med tropole Nr. 17 April 2009 HIRN-SONOGRAPHIE zur Früherkennung des Morbus Parkinson DEPRESSION Neues zu Diagnostik und Therapie „NO SUTURE IN THE FUTURE?“ Elektive Makulachirurgie Aktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte Editorial Impressum Liebe Leserinnen und Leser, Redaktion Jens Oliver Bonnet (verantw.) Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens Prof. Dr. Christian Arning PD Dr. Oliver Detsch Dr. Birger Dulz PD Dr. Siegbert Faiss Dr. Christian Frerker Dr. Annette Hager Dr. Susanne Huggett Prof. Dr. Uwe Kehler Dr. Jürgen Madert Dr. Ulrich Müllerleile Dr. Ursula Scholz PD Dr. Gunther Harald Wiest Prof. Dr. Gerd Witte Cornelia Wolf Herausgeber Asklepios Kliniken Hamburg GmbH Unternehmenskommunikation Rudi Schmidt V. i. S. d. P. Rübenkamp 226 22307 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-82 66 36 Fax (0 40) 18 18-82 66 39 E-Mail: [email protected] Auflage: 15.000 Erscheinungsweise: 4 x jährlich ISSN 1863-8341 vor Ihnen liegt die neue Ausgabe der Medtropole, die wiederum versucht, dem ureigensten Bedürfnis der Ärzte in Klinik und Praxis gerecht zu werden, indem sie für Wissens- und Informationsaustausch untereinander sorgt. Informationsaustausch ist aber genauso wichtig für unsere Patienten, die gerne die Information aus erster Hand haben und nicht „weitergereicht“ werden möchten. Am 16. Juni 2008 stellten Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren den „Nationalen Krebsplan“ zur besseren Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten vor. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts waren 2004 insgesamt 436.500 Krebsneuerkrankungen zu verzeichnen. In diesem Kontext ist der Beitrag von Dr. Kreitz aus der AK St. Georg zu sehen, der die operative Behandlung von Knochenmetastasen zur Verbesserung der Lebensqualität beschreibt. Bei der Ergebnisqualität onkologischer Behandlungen liegt Deutschland (verglichen mit anderen Staaten der EU, USA und Japan) im unteren Drittel, was sich unter anderem durch die mangelhafte Interdisziplinarität bei der Versorgung onkologischer Patienten begründet. Das Problem kann in der inneren Organisation der Akutkrankenhäuser gesehen werden, die durch medizinisch fachliche Spezialisierung geprägt ist. Dies zeigt die zwingende Notwendigkeit, den Umbau der Versorgungssysteme insbesondere bei Krebserkrankungen voranzubringen und zu fördern. Ziel muss die Verbesserung von Früherkennung und Heilungsraten sein. In den großen Kliniken werden sich weiter Zentren entwickeln, da sich in unserem Gesundheitswesen zunehmend eine problemorientierte Sicht der medizinischen Versorgung durchsetzt. Dies zeigt sich auch in der Entwicklung von Zentrumsstrukturen, in denen medizinische Disziplinen auf ambulanter wie stationärer Basis miteinander verknüpft sind. Die medizinischen wie ökonomischen Vorteile der Zentrumsbildung zeigen die Beispiele der Darm- und Adipositaszentren, die Prof. Hagenmüller und Dr. Tigges in diesem Heft vorstellen. Integrierte Konzepte, kollegiale Interdisziplinarität ohne „Fürstentümer“ sowie strukturelle Anpassungen sollen hier Prozessund Ergebnisqualität weiter verbessern. Gleiches gilt übrigens für die „Hanseatischen Klinikkonferenzen“, eine neue gemeinsame Fortbildungsreihe der Hamburger Asklepios Kliniken, zu der wir Sie gern willkommen heißen. Mehr dazu erfahren Sie im Beileger dieses Heftes. Mit besten Wünschen Ihr Prof. Dr. Hanswerner Bause Ärztlicher Direktor, Asklepios Klinik Altona Inhalt 644 | NEUROLOGIE Hirn-Sonographie zur Früherkennung des Morbus Parkinson S. 644 647 | UNFALLCHIRURGIE Operative Behandlung von Knochenmetastasen S. 647 651 | PSYCHIATRIE Neues zur Diagnostik und Therapie der Depression 655 | NEUROCHIRURGIE Lumbale Spinalkanalstenose mit Claudicatio spinalis 658 | CHIRURGIE Minimal invasive Chirurgie – MIC® Stellenwert und evidente Indikationen 661 | AUGENHEILKUNDE „No suture in the future?“ – Elektive Makulachirurgie S. 661 664 | PERSONALIA 667 | INTERDISZIPLINÄR Adipositastherapie im Adipositaszentrum 670 | INTERDISZIPLINÄR Das Darmzentrum der Asklepios Klinik Altona 672 | GESCHICHTE DER MEDIZIN Am Anfang war der Feuerstein – die Geschichte der Neurochirurgie Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Hirn-Sonographie zur Früherkennung des Morbus Parkinson Prof. Dr. Christian Arning, Dr. Jürgen Rieper, Dr. Haiko Kazarians Die Sonographie der Hirnbasisarterien ist heute Standardverfahren bei Gefäßpatienten. Leitstrukturen im Ultraschall-Schnittbild erlauben die Identifizierung verschiedener Gefäße und Gefäßabschnitte: So ist der mesenzephale Hirnstamm, der sich im Ultraschallbild als schmetterlingsförmige echoarme Struktur beidseits der Mittellinie darstellt, eine wichtige Leitstruktur für die Identifizierung der A. cerebri posterior. Auffällige Signalveränderungen im Mesenzephalon wurden bei der Gefäßdiagnostik an Parkinson-Patienten zunächst zufällig gefunden, bei systematischer Aufarbeitung an dieser Patientengruppe dann regelmäßig nachgewiesen. Obwohl die Bedeutung dieser Befunde noch nicht in allen Einzelheiten geklärt ist, hat die Methode inzwischen das Forschungslabor verlassen und wird – neben nuklearmedizinischen Verfahren – zur Früherkennung des M. Parkinson eingesetzt. Erstaunlicherweise zeigt die Sonographie gewebliche Veränderungen im Hirnparenchym, die weder mit CT noch mit MRT nachweisbar sind. Ultraschallbilder entstehen ja auf völlig anderer biophysikalischer Grundlage als CT- oder MRT-Bilder: Das Ultraschallbild unterscheidet verschiedene Gewebe durch unterschiedliche Eigenschaften bei der Reflexion akustischer Wellen, während das CT die unterschiedliche Absorption von Röntgenstrahlen und das MRT die unterschiedliche Relaxationszeit magnetisch angeregter Protonen für die Bildgebung ausnutzt. Methode Die Untersuchung erfolgt wie zur Diagnostik der Hirnbasisarterien (A. cerebri media und A. cerebri posterior) am liegenden Patienten. Mit einem Phased-array-Schallkopf (Sendefrequenz 2 – 2,5 MHz) erfolgt die Sonographie durch das temporale „Schallfenster“ der Schädelkalotte (Abb. 1). 644 Zunächst wird eine axiale Ebene eingestellt, etwa der Orbitomeatallinie des kranialen CT beziehungsweise MRT entsprechend (Abb. 2b). Hier stellt sich das Mittelhirn mit der Substantia nigra (SN) als echoarme Schmetterlingsfigur dar (Abb. 2c). In einer zweiten schräg-axialen Ebene werden der Thalamus, der 3. Ventrikel und der Linsenkern dargestellt (Abb. 1b). Abb. 3 zeigt den typischen Befund bei M. Parkinson: Im anatomischen Bereich der SN findet sich eine hyperechogene Struktur, die sich im sonst echoarm dargestellten Mesenzephalon abgrenzen lässt. Der Befund wird vermessen und nach der Größe der betroffenen Fläche quantifiziert. Die Untersuchung erfordert ein hoch auflösendes Ultraschallgerät und erfolgt mit standardisierter Geräteeinstellung. Da sich die Messwerte verschiedener Ultraschallsysteme unterscheiden, muss jedes Labor seine Normwerte mit einer eigenen altersangepassten Kontrollgruppe erstellen. Als nor- mal gelten bei Verwendung des Systems Siemens Sonoline Elegra™ Hyperechogenitäten von <2 0 mm2, als auffällig Werte von 20 – 25 mm2 und als pathologisch Werte von > 25 mm2. Ergebnisse Die beschriebene Hyperechogenität in der Substantia nigra ist charakteristisch für das idiopathische Parkinson-Syndrom (M. Parkinson): 80 Prozent der Patienten mit M. Parkinson weisen einen pathologischen Ultraschallbefund auf, bei weiteren zehn Prozent finden sich auffällige, aber nicht eindeutig pathologische Werte.[2 – 4] Bei Parkinsonkranken mit Manifestation vor dem 60. Lebensjahr sind pathologische Befunde in 100 Prozent nachweisbar.[5] Studien mit absolut verblindeten Untersuchern zeigten einen positiven prädiktiven Wert für die Diagnose M. Parkinson von 86 Prozent und einen negativen prädiktiven Neurologie a b Abb. 1: Untersuchungstechnik: a) Platzierung des Schallkopfs am temporalen „Schallfenster“ analog der Hirngefäßdiagnostik (aus Arning[1]). b) Einstellung einer axialen Ebene parallel zur Orbitomeatallinie (1) zur Darstellung des Mittelhirns sowie einer schräg-axialen Ebene (2) zur Darstellung des 3. Ventrikels und des Linsenkerns (nach Walter et al.,[3] modifiziert). a b c Abb. 2: Axiale Schnittebene parallel zur Orbitomeatallinie – a) Schema, b) MRT, c) Ultraschallbild (1: A. cerebri media, 2: A. cerebri anterior, 3: A. cerebri posterior, 4: Mittelhirn). Im Ultraschallbild sind Gefäße mit Strömungsrichtung auf den Schallkopf zu rot kodiert, vom Schallkopf weg blau kodiert. Wert von 83 Prozent.[6] Dabei ist bemerkenswert, dass auch bei gesunden Personen in zehn Prozent eine pathologische Hyperechogenität gefunden wird. Möglicherweise liegt hier eine Parkinson-Prädisposition vor. Bei psychiatrischen Patienten mit Neuroleptikatherapie wurde eine enge Korrelation zwischen SN-Hyperechogenität und extrapyramidalen Nebenwirkungen nachgewiesen[2]: Dies spricht für eine subklinische Dysfunktion des nigrostriatalen Systems. Nach bisherigen Untersuchungen ist die SN-Hyperechogenität unabhängig vom Krankheitsstadium. Verlaufsbeobachtungen liegen erst für einen Zeitraum von fünf Jahren vor und zeigen hier keine Veränderung.[2] M. Parkinson PSP Hyperechogenität Substantia nigra + - - Hyperechogenität Linsenkern - + + Erweiterung 3. Ventrikel >10 mm - - + Tab. 1: Befundkonstellation bei verschiedenen Parkinson-Syndromen eine Erweiterung des 3. Ventrikels.[2] Die kombinierte Untersuchung dieser drei Kriterien macht die Diagnose des M. Parkinson noch sicherer (Tab. 1): So schließt eine normal echogene SN bei gleichzeitig hyperechogenem Linsenkern einen M. Parkinson aus. Methodische Probleme Auch bei anderen Parkinson-Syndromen zeigt die Hirnparenchymsonographie typische Veränderungen: Bei Multisystematrophie (MSA) und Progressiver supranuklärer Blickparese (PSP) findet sich eine Hyperechogenität des Linsenkerns, bei PSP MSA Wie bei allen Ultraschall-Untersuchungen hängen auch hier die Ergebnisse von Qualifikation und Ausbildungsstand des Untersuchers ab. Außerdem muss ein hochwertiges Ultraschallgerät mit spezieller Schallsonde verfügbar sein. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, sind die Ergebnisse der Hirnparenchymsonographie unbefriedigend.[7] Eine mögliche Einschränkung sind außerdem unzureichende Untersuchungsbedingungen bei nicht ausreichendem Schallfenster. Abhängig von Lebensalter und Geschlecht der Patienten ist eine ausreichende Beurteilung in 10 – 20 Prozent der Fälle nicht möglich. Insbesondere bei älteren Frauen ist die Durchschallung der Schädelkalotte erschwert.[3] 645 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 a b Abb. 3: Darstellung des Mittelhirns mit Ultraschall und MRT – a) echoreiche Zone im anatomischen Bereich der Substantia nigra, b) MRT zum Vergleich a b Abb. 4: Quantitative Bestimmung der Hyperechogenität – a) Das Mittelhirn wird stark vergrößert dargestellt, b) die hyperechogene Struktur wird auf der zur Sonde ipsilateralen Seite umfahren und planimetrisch vermessen Klinische Relevanz der Ultraschallbefunde Die Differenzierung verschiedener Parkinson-Syndrome ist klinisch – insbesondere im Frühstadium – nicht immer eindeutig möglich. Die Unterscheidung ist aber wünschenswert, da zum Beispiel DopaminAgonisten bei M. Parkinson im Frühstadium besonders vorteilhaft sind, Patienten mit MSA oder PSP davon aber nicht profitieren. Untersuchungen werden zeigen, ob diese oder andere Substanzen den Verlauf der Erkrankung modifizieren können. Mit der Hirnparenchymsonographie steht jedenfalls ein Werkzeug zur Frühdiagnose des M. Parkinson zur Verfügung. Literatur [1] Arning C. Farbkodierte Duplexsonographie der hirn- Kontakt Prof. Dr. Christian Arning Abteilung Neurologie Asklepios Klinik Wandsbek Alphonsstraße 14, 22043 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-83 14 13 Fax (0 40) 18 18-83 16 31 E-Mail: [email protected] versorgenden Arterien. Ein Text-Bild-Atlas der methodischen Grundlagen, normalen und pathologischen Befunde, Besonders vorteilhaft wäre eine ParkinsonFrühdiagnose, um mit Neuroprotektion das Fortschreiten oder überhaupt das Auftreten der Erkrankung zu verhindern. Bei Manifestation der ersten motorischen Symptome liegen ja bereits ein SN-Neuronenverlust von 60 Prozent und eine Reduktion von Dopamin im Striatum von 80 Prozent vor. Möglicherweise hat Rasagilin neuroprotektive Wirkung, die Datenlage hierzu ist aber noch uneinheitlich. Weitere 646 3. Auflage. Stuttgart – New York, Thieme, 2002. [5] Walter U, Dressler D, Probst T et al. Transcranial brain [2] Berg D, Behnke S, Walter U. Application of transcranial sonography findings in discriminating between parkinso- sonography in extrapyramidal disorders: updated recom- nism and idiopathic Parkinson disease. Arch Neurol 2007; mendations. Ultraschall Med 2006; 27: 12-9. 64: 1635-40. [3] Walter U, Behnke S, Eyding J et al. Transcranial brain [6] Prestel J, Schweitzer KJ, Hofer A, Gasser T, Berg D. Pre- parenchyma sonography in movement disorders: state of dictive value of transcranial sonography in the diagnosis of the art. Ultrasound Med Biol 2007; 33: 15-25. Parkinson’s disease. Mov Disord 2006; 21: 1763-5. [4] Gaenslen A, Unmuth B, Godau J et al. The specificity [7] Vlaar AM, de Nijs T, van Kroonenburgh MJ et al. The and sensitivity of transcranial ultrasound in the differential predictive value of transcranial duplex sonography for the diagnosis of Parkinson’s disease: a prospective blinded clinical diagnosis in undiagnosed parkinsonian syndromes: study. Lancet Neurol 2008; 7: 417-24. comparison with SPECT scans. BMC Neurol 2008; 8: 42. Unfallchirurgie Operative Behandlung von Knochenmetastasen Dr. Nikolaus Kreitz Erhaltung oder Wiederherstellung der Mobilität und Schmerzreduktion sind die entscheidenden Ziele der palliativen Knochenmetastasentherapie. Dabei werden, soweit möglich, eine Tumorreduktion und eine Stabilisierung mittels Prothese, Osteosynthese oder Spondylodese durchgeführt. Im Anschluss sind fast immer eine Radiatio und eine systemische Therapie indiziert, um ein Lokalrezidiv und das Fortschreiten der malignen Erkrankung zu verzögern. Eine weite oder radikale Resektion nach Enneking [3] ist bei einer Metastasierung meist nicht zu erreichen und auch nicht sinnvoll, da sie zu keiner Lebensverlängerung führt. Meist erfolgt im Sinne der onkologischen Qualität nach Enneking [3] eine intraläsionale Resektion. Die Indikation für eine operative Therapie bei Knochenmetastasen muss individuell gestellt werden. Neurologisches Defizit, Art des Primärtumors und Progressionsgeschwindigkeit, Alter und Allgemeinzustand (Karnofsky-Index[4]) des Patienten mit Nebendiagnosen, Verhalten unter Chemo- und Strahlentherapie sowie Lage und Anzahl der Skelett- und Organmetastasen sind Faktoren zur Entscheidungsfindung. Die Vor- und Nachteile eines operativen Eingriffes und der Nachbehandlung müssen gemeinsam mit dem Patienten besprochen und der Prognose angepasst werden. Allgemeine Indikationskriterien ■ Neurologisches Defizit ■ Resultate und Risiken nichtoperativer Behandlungsverfahren ■ Schmerzcharakteristik ■ Alter, Allgemein- und Ernährungszustand des Patienten, Begleitrisiken ■ Prospektive Überlebenszeit ■ Zahl der Skelettmetastasen ■ Organmetastasen ■ Progressionsgeschwindigkeit des Tumorleidens ■ Histologie des Primärtumors ■ Lokalbefund ■ Behandlungs- und Therapiewunsch des Patienten Auftreten von Knochenmetastasen Knochenmetastasen werden beim TumorScreening gefunden, als Zufallsbefund im Rahmen anderer Diagnostik oder sie machen sich durch belastungsabhängige Schmerzen bemerkbar. Wird die Schmerzsymptomatik ignoriert oder durch Analgetika kaschiert, kommt es im Verlauf zu pathologischen Frakturen. Die ossäre Metastasierung befällt in absteigender Häufigkeit Wirbelkörper, proximales Femur, Becken, Rippen, Sternum und den proximalen Humerus.[1,2,3] Ursächlich sind in unserem Krankengut zu 85 % das Bronchial-, das Mamma-, das Prostata- und das Nierenzellkarzinom.[5] Behandlung von Metastasen an den langen Röhrenknochen Die präoperative Diagnostik mit nativen Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen mit den angrenzenden Gelenken wird bei unklarer Stabilität durch eine Computertomographie zur Beurteilung der Kortikalisdicke erweitert. Schmerz ist ein klinisches Zeichen für eine Instabilität und drohende 647 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Abb. 1: Röntgen nativ Abb. 2, 3: Prothese pathologische Fraktur. Die Magnetresonanztomographie gibt Auskunft über den begleitenden Weichteiltumor und Nähe zu Gefäßen und Nerven. Bei vaskularisierter Metastase (bei bekanntem Primärtumor) ist eine Angiographie zur OP-Planung sinnvoll. Diagnostik Röhrenknochen ■ Röntgen nativ mit angrenzenden Gelenken in zwei Ebenen ■ ggf. Computertomographie ■ ggf. Magnetresonanztomographie ■ ggf. Angiographie Zur Einschätzung des Frakturrisikos an langen Röhrenknochen kann man die Klassifikation nach Mirels [6] zu Hilfe nehmen. Ab acht Punkten liegt ein hohes Frakturrisiko vor: Risikofaktoren Lokalisation Läsion Schmerz Größe 648 obere Extremität untere Extremität proximaler Oberschenkel osteoblastisch gemischt osteoklastisch gering mäßig schwer < 1/3 der kortikalen Zirkumferenz 1/3 – 2/3 der kortikalen Zirkumferenz > 2/3 der kortikalen Zirkumferenz Abb. 4: Verbundosteosynthese Ist bei unbekanntem Primärtumor eine Probeexzision erforderlich, ist diese nicht an der günstigsten Zugangsstelle, sondern im späteren Hautschnittverlauf des Zugangswegs zur Resektion und Stabilisierung zu wählen. Muss eine Drainage in die Wundhöhle eingelegt werden, wird sie ebenfalls immer in unmittelbarer Nähe des späteren Hautschnittverlaufs herausgeleitet. So wird die Aussaat von Tumorgewebe vermieden. Gelenknah am proximalen Femur lässt sich operativ ein großer Tumorteil resezieren und durch eine belastungsstabile zementierte Hüftendoprothese ersetzen. Die Schmerzreduktion setzt postoperativ direkt ein und der Patient kann sofort unter Vollbelastung mobilisiert werden (Abb. 1, 2, 3). Ist am Humerus die Osteolyse weit fortgeschritten oder liegt eine pathologische Fraktur vor, lässt sich durch eine TumorPunkte 1 2 3 1 2 3 1 2 3 1 2 3 Abb. 5, 6, 7: Osteosynthese mit Marknagel reduktion und Plattenosteosynthese ggf. mit winkelstabilem Implantat in Verbindung mit in die Markhöhle eingebrachtem Knochenzement (Palacos®) am Arm eine Übungsstabilität und frühfunktionelle Nachbehandlung erreichen (Verbundosteosynthese). In diesem Fall wird im a.p.-Röntgenbild ein Portsystem nahe dem Operationsgebiet zusätzlich sichtbar (Abb. 4). Bei pathologischen Frakturen oder frakturgefährdeten Osteolysen im Schaftbereich ist die belastungsstabile Nagelung indiziert. Eine frühzeitige postoperative lokale Radiatio kann meist das lokale Tumorwachstum begrenzen und ein Implantatversagen im Sinne eines Ermüdungsbruches vermeiden (Abb. 5, 6, 7). Behandlung von Wirbelsäulenmetastasen Die Lokalisation von Metastasen an der Wirbelsäule, meist in den Wirbelkörpern, ist im Verlauf mit einer neurologischen Symptomatik von einer Gangataxie bis zum kompletten motorischen und sensiblen Querschnittsyndrom vergesellschaftet. Die Progredienz kann innerhalb weniger Tage vom Beginn der Symptomatik mit Parästhesien bis zum kompletten Querschnittsyndrom führen. Das Erreichen der Gehfähigkeit aus diesem Stadium ist sel- Unfallchirurgie Abb. 9: CT der Wirbelsäule Abb. 8: Röntgendiagnostik WS Abb. 10: MRT der Wirbelsäule Abb. 11, 12: Angiographie + Coiling Abb. 13, 14: Laminektomie und dorsale Spondylodese mit Querstabilisator ten. Eine Steigerung bis zu zwei Kraftgraden ist postoperativ nach Dekompression des Spinalkanales möglich. Daher ist zwingend eine rasche Diagnostik bei onkologischen Patienten mit Rückenschmerzen und/oder neurologischer Symptomatik zur Vermeidung der Gehunfähigkeit notwendig! Die Diagnostik besteht aus nativen Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen zur Beurteilung der Wirbelkörperhöhe, -hinterkante und Bogenabgangsfiguren. Da diese Strukturen auch intraoperativ mit der Durchleuchtung sichtbar werden, eignen sich die nativen Röntgenaufnahmen gut zur intraoperativen Orientierung. Ist in den Röntgenaufnahmen keine pathologische Fraktur oder Osteolyse erkennbar, sollte zum Ausschluss einer Metastasierung eine Magnetresonanztomographie durchgeführt werden. Um einen multilokulären Befall der Wirbelsäule mit weiteren Spinalkanalstenosen, pathologischen Frakturen oder Osteolysen nicht zu übersehen, ergänzt die Kernspintomographie der gesamten Wirbelsäule die spinale Diagnostik. Zur Beurteilung der aktuellen Frakturgefährdung bei Osteolysen und zur präoperativen Beurteilung der Pedikel ist immer eine Computertomographie des betroffenen Wirbels und zur Operationsplanung auch der kranial und kaudal angrenzenden Wir- bel erforderlich (Abb. 8, 9, 10). In Fällen mit typisch stark vaskularisierten Metastasen ist eine präoperative Angiographie, ggf. der Verschluss der pathologischen Gefäße mit Platinspiralen (Coiling) indiziert. Beim Plasmozytom wird die präoperative Labordiagnostik mit der Blutungszeit erweitert (Abb. 11, 12). Diagnostik Wirbelsäule ■ Röntgen WS nativ in 2 Ebenen ■ CT des betroffenen Wirbels + je 2 Wirbel kranial und kaudal ■ MRT der gesamten Wirbelsäule ■ ggf. Angiographie Operativ muss zur Vermeidung eines Querschnittsyndroms der Spinalkanal durch eine Laminektomie des betroffenen Wirbels dekomprimiert werden. Über den dorsalen Zugang werden der betroffene Wirbel komplett und die angrenzenden Wirbel teilweise laminektomiert. Die sorgfältige Blutstillung ist zur Vermeidung postoperativer neurologischer Ausfälle durch ein bedrängendes Hämatom mit bipolarer Elektrokoagulationspinzette und Einbringen eines Hämostyptikums durchzuführen. Die Laminektomie führt allerdings zu einer weiteren Wirbelsäuleninstabilität, sodass die Stabilisierung mittels dorsaler Spondylodese indiziert ist. Meist genügt eine bisegmentale winkelstabile Spondylodese mit einem zusätzlichen Querstabilisator. Da die Pedikelschrauben vor allem in den Wirbelbögen Halt finden, lassen sie sich auch in angrenzenden Wirbelkörpern mit kleinen Osteolysen verankern. Gegebenenfalls lässt sich die Verankerung durch kanülierte Pedikelschrauben, über welche Knochenzement in den Wirbelkörper eingebracht wird, verstärken (Abb. 13, 14, 15). Bei längerer Lebenserwartung und Befall eines Wirbelkörpers von 50 Prozent oder mehr sind die Korporektomie und Ersatz durch einen Titanspacer sinnvoll. Sie kann an der LWS über einen erweiterten dorsolateralen Zugang oder retroperitoneal, an der BWS transthorakal oder costotransversal und an der HWS von ventral mit individuell angefertigten oder spreizbaren Wirbelkörperspacern durchgeführt werden. Erfolgt bei langfristigem Krankheitsverlauf keine ausreichende ventrale Abstützung, kommt es zum Implantatversagen mit Kyphosierung und neurologischer Symptomatik bei Spinalkanalstenose (Abb. 16, 17). Nach jeder operativen Therapie sollte sich nach Abschluss der Wundheilung je nach Primärtumor eine lokale Radiatio, Chemo- 649 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Abb. 15: Cement augmentierte posteriore Spondylodese Abb. 16: Spacer und ventrale Spondylodese an der Abb. 17: Spreizbarer Spacer und dorsale Spondylodese (CAPS) HWS mit Querstabilisator an der BWS und/oder Hormontherapie anschließen, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verzögern, ein rasches Lokalrezidiv und einen Materialbruch bei ausbleibender knöcherner Konsolidierung zu vermeiden. Literatur [1] Clain A. Secondary malignant disease of bone. Br J Cancer 1965; 19: 15-29. [2] Conroy T, Malissard L, Dartois D, Luporsi E, Stines J, Chardot C. Histoire naturelle et évolution des métastases osseuses. à propos de 429 observations. Bull Cancer. 1988; Fazit 75(9): 845-57. [3] Enneking WF. Musculoskeletal tumor surgery. Churchill Bei der chirurgischen Behandlung von Skelettmetastasen stehen die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Mobilität durch belastungsstabile Osteosynthesen, Prothesen oder rückenmarkdekomprimierende Laminektomie mit stabilisierender Spondylodese zur Verbesserung der Lebensqualität und nicht die Lebensverlängerung im Vordergrund. Präoperativ ist die rasche suffiziente Diagnostik und postoperativ die Zusammenarbeit mit Onkologie und Strahlentherapie für den günstigsten Therapieablauf des Patienten notwendig. 650 Kontakt Dr. Nikolaus Kreitz Oberarzt im Chirurgisch-Traumatologischen Zentrum Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5 20099 Hamburg Livingstone 1983, Edinburgh. [4] Karnofsky DA. Clinical evaluation of anticancer drugs. Tel. (0 40) 18 18-85 42 97 Fax (0 40) 18 18-85 39 90 GANN Monograph 1967; 2: 223-31. [5] Madert J, Eggers C, Hentschel S. Pathologische Frakturen der Wirbelsäule. 68. Jahrestagung der DGU, Deutschland 2004. [6] Mirels H. Metastatic disease in long bones. A proposed scoring system for diagnosing impending pathologic fractures. Clin Orthop. Clin Orthop Relat Res. 1989; 249: 256-64. E-Mail: [email protected] Psychiatrie Neues zur Diagnostik und Therapie der Depression Dr. Hans-Peter Unger, Dr. Markus Preiter Die Einführung der ICD 10-5 als verbindliches Diagnosemanual in den 1990er-Jahren hat das Denken in der Psychiatrie grundlegend verändert. Die deutschen Übersetzer beschreiben im Vorwort der Erstausgabe das Konzept der ICD 10 als einen Versuch, einem möglichst „atherotischen“ Ansatz folgend auf Begriffsbildungen wie Neurose, Psychose und Endogenität zu verzichten und diese durch Einführung einer beschreibenden und lediglich an diagnostischen Einzelkriterien orientierten Klassifikation zu ersetzen.[1] Man erhoffte sich, dadurch verschiedene biologisch begründbare Depressionsformen zu finden. Dieser Ansatz hatte zunächst Vorteile. Er half der Psychiatrie, sich von „ideologischen“ Theorievoraussetzungen zu distanzieren. Wer erinnert sich noch an die für Patienten quälende und unfruchtbare Diskussion, ob die neurotische Depression mit Antidepressiva behandelt werden darf oder ob Psychotherapie bei endogenen Depressionen überhaupt wirksam und erlaubt ist?[2] Auch der Begriff der Komorbidität veränderte die psychiatrische Diagnostik. Mehrere unterschiedliche psychiatrische Erkrankungen können gleichzeitig bei einem Patienten auftreten und müssen nicht unbedingt in einem kausalen Zusammenhang stehen. Die traditionelle Psychiatrie hatte in ihren schichttheoretischen Überlegungen Jaspers folgend dazu tendiert, Erkrankungen unterschiedlich in ihrem Schweregrad zu gewichten und die leichteren Erkrankungen in den schweren Erkrankungen potenziell inkludiert zu sehen.[3] In der Folge der ICD 10 wurde so die Diagnose der depressiven Episode unter- schiedlicher Ausprägung zur Hauptdiagnose der affektiven Störungen. Parallel kam es seit den 1990er-Jahren zu einem „Siegeszug“ der Antidepressiva und einer beinahe explosionsartigen Verordnungszunahme dieser Substanzklasse. Eine hohe Anzahl von Forschungen über die Wirksamkeit von Antidepressiva wurde in den letzten Jahren durchgeführt, mit teilweise ernüchternden Resultaten.[4] Erst in den letzten Jahren wird erkannt, dass die Psychiatrie mit dem beschreibenden kategorialen Diagnosesystem der ICD 10 in eine Sackgasse geraten ist. Die Depressionsdiagnostik nach ICD 10 steht zugespitzt mit der Diagnose der „depressiven Episode“ unter der verführerischen Annahme „one size fits all“. Dies hat die jeweilig untersuchte Patientenklientel zu heterogen werden lassen, weshalb Antidepressiva manchmal zu positiv und manchmal zu negativ beurteilt worden sind. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von wissenschaftlich sehr gut evaluierten und evidenzbasierten Psychotherapieverfahren entwickelt worden, für die ebenfalls eine differenziertere Depressionsdiagnose erforderlich ist. Jetzt ist klar: „Die“ Depression gibt es gar nicht. Es gibt eine Gruppe von depressiven Störungsbildern, die verschiedene therapeutische Interventionen erfordern. Deshalb ist es zur exakten Indikationsstellung einer psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlung erforderlich, eine bio-psycho-soziale Depressionsdiagnostik mit „Übergängen“ zugrunde zu legen. Natürlich gibt es zwischen Patienten mit Depressionen große Symptomparallelitäten wie zum Beispiel den Verlust von Freude und Interesse, Antriebshemmungen und den spezifisch depressiven Affekt bis hin zur Gefühlsstarre. Aber die depressive Symptomatologie entfaltet sich in einem Menschen, der aus mehr besteht als aus seiner aktuellen depressiven Symptomatik. Er bringt seine eigene Geschichte mit, seine eigene Genkombination und seine spezifischen Lebenserfahrungen. Er verfügt über depressionsverstärkende Anlagen ebenso wie über depressions-abschwächende Res- 651 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 F32 Depressive Episode F33 Rezidivierende depressive Störung Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten „somatischen“ Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen. Inkl.: Einzelne Episoden von: – depressiver Reaktion – psychogener Depression – reaktiver Depression (F32.0, F32.1, F32.2) Exkl.: Anpassungsstörungen (F43.2) depressive Episode in Verbindung mit Störungen des Sozialverhaltens (F91.-, F92.0) rezidivierende depressive Störung (F33.-) Hierbei handelt es sich um eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden (F32.-) charakterisiert ist. In der Anamnese finden sich dabei keine unabhängigen Episoden mit gehobener Stimmung und vermehrtem Antrieb (Manie). Kurze Episoden von leicht gehobener Stimmung und Überaktivität (Hypomanie) können allerdings unmittelbar nach einer depressiven Episode, manchmal durch eine antidepressive Behandlung mitbedingt, aufgetreten sein. Die schwereren Formen der rezidivierenden depressiven Störung (F33.2 und .3) haben viel mit den früheren Konzepten der manisch-depressiven Krankheit, der Melancholie, der vitalen Depression und der endogenen Depression gemeinsam. Die erste Episode kann in jedem Alter zwischen Kindheit und Senium auftreten, der Beginn kann akut oder schleichend sein, die Dauer reicht von wenigen Wochen bis zu vielen Monaten. Das Risiko, dass ein Patient mit rezidivierender depressiver Störung eine manische Episode entwickelt, wird niemals vollständig aufgehoben, gleichgültig, wie viele depressive Episoden aufgetreten sind. Bei Auftreten einer manischen Episode ist die Diagnose in bipolare affektive Störung zu ändern (F31.-). Inkl.: Rezidivierende Episoden (F33.0 oder F33.1): – depressive Reaktion – psychogene Depression – reaktive Depression Saisonale depressive Störung Exkl.: Rezidivierende kurze depressive Episoden (F38.1) F32.0 Leichte depressive Episode Gewöhnlich sind mindestens zwei oder drei der oben angegebenen Symptome vorhanden. Der betroffene Patient ist im Allgemeinen davon beeinträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen. F33.0 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode leicht ist (siehe F32.0), ohne Manie in der Anamnese. F32.1 Mittelgradige depressive Episode Gewöhnlich sind vier oder mehr der oben angegebenen Symptome vorhanden und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen. F33.1 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode mittelgradig ist (siehe F32.1), ohne Manie in der Anamnese. F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome Eine depressive Episode mit mehreren oben angegebenen, quälenden Symptomen. Typischerweise bestehen ein Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Suizidgedanken und -handlungen sind häufig, und meist liegen einige somatische Symptome vor. Einzelne Episode einer agitierten Depression Einzelne Episode einer majoren Depression [major depression] ohne psychotische Symptome Einzelne Episode einer vitalen Depression ohne psychotische Symptome F33.2 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode schwer ist, ohne psychotische Symptome (siehe F32.2) und ohne Manie in der Anamnese. Endogene Depression ohne psychotische Symptome Manisch-depressive Psychose, depressive Form, ohne psychotische Symptome Rezidivierende majore Depression [major depression], ohne psychotische Symptome Rezidivierende vitale Depression, ohne psychotische Symptome F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen Eine schwere depressive Episode, wie unter F32.2 beschrieben, bei der aber Halluzinationen, Wahnideen, psychomotorische Hemmung oder ein Stupor so schwer ausgeprägt sind, dass alltägliche soziale Aktivitäten unmöglich sind und Lebensgefahr durch Suizid und mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bestehen kann. Halluzinationen und Wahn können, müssen aber nicht, synthym sein. Einzelne Episoden: – majore Depression [major depression] mit psychotischen Symptomen – psychogene depressive Psychose – psychotische Depression – reaktive depressive Psychose F32.8 Sonstige depressive Episoden Atypische Depression Einzelne Episoden der „larvierten“ Depression o. n. A. F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet Depression o. n. A. Depressive Störung o. n. A. F33.3 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist; die gegenwärtige Episode ist schwer, mit psychotischen Symptomen (siehe F32.3), ohne vorhergehende manische Episoden. Endogene Depression mit psychotischen Symptomen Manisch-depressive Psychose, depressive Form, mit psychotischen Symptomen Rezidivierende schwere Episoden: – majore Depression [major depression] mit psychotischen Symptomen – psychogene depressive Psychose – psychotische Depression – reaktive depressive Psychose F33.4 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert Die Kriterien für eine der oben beschriebenen Störungen F33.0-F33.3 sind in der Anamnese erfüllt, aber in den letzten Monaten bestehen keine depressiven Symptome. F33.8 Sonstige rezidivierende depressive Störungen F33.9 Rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet Monopolare Depression o. n. A. Kriterien der ICD 10 652 Psychiatrie sourcen, und die Erfahrung einer Depression verändert selbst Gehirn und Verhalten. Wir wissen aus der aktuellen Forschung, dass die alte Dichotomie zwischen genetisch bedingtem Depressionsrisiko, früher im Konzept der Endogenität verankert, und der Bahnung depressiver Vulnerabilitäten durch lebensgeschichtliche, traumatische frühe Erfahrungen aufgegeben werden muss. Das Gehirn ist kein Computer, der eine angeborene Hardware mitbringt und durch die Lebenserfahrung seine Software erhält. Vielmehr gleicht das Gehirn einem informationsverarbeitenden System, bei dem sowohl genetische Aspekte als auch Lebenserfahrungen am Aufbau der individuellen Hirnstruktur beteiligt sind und welches lebensbegleitend moduliert wird. Dieser strukturelle Zusammenhang wird in der neuen Forschungsrichtung der Epigenetik aktuell beleuchtet und gehört zu den spannendsten Theorieentwicklungen des Fachgebietes. Die individuell unterschiedliche Ressourcenkapazität kann aber durch ein aktuell oder chronisch erhöhtes Stressniveau unterminiert werden. Verantwortlich sind hierfür z. B. chronische körperliche Erkrankungen oder chronischer Stress. Am Ende einer Burnout- oder Erschöpfungsdepression steht in der Regel eine Depression. Dem Auftreten einer Depression liegt also eine Reihe von Risikofaktoren zugrunde, die von Mensch zu Mensch eine unterschiedliche Gewichtung besitzen. Die depressive Reaktion selbst hat eine biologische und verhaltensspezifische Eigendyna- mik, die nicht selten zur Chronifizierung führt. Es wird die große Schwierigkeit der ICD 11 sein, dieses in einem mehrdimensionalen Diagnostikprozess abzubilden. Diesem multidimensionalen Depressionsansatz entsprechend haben sich in den letzten Jahren verschiedene depressionsspezifische Psychotherapien entwickelt. Ziel der interpersonellen Psychotherapie der Depression (IPT)[6] ist die Behandlung der akuten Depression. Zunächst geht es um die Entwicklung eines Krankheitsmodells und die Akzeptanz der Krankenrolle. Denn in der depressiven Krise verlieren viele Patienten die innere Distanz zu den Krankheitssymptomen. Die passive Krankenrolle therapeutisch zuzuweisen ist dann zunächst entlastend. Im zweiten Schritt wird die Erkrankung in einen persönlichen aktuellen Lebenskontext gestellt und mit vier grundsätzlichen depressionsauslösenden Lebensthemen in Verbindung gebracht: Verlusterleben, Rollenwechsel, Beziehungskonflikten und interpersonellen Defiziten. Anhand eines dieser Schwerpunkte soll der Patient in der Einzel- oder Gruppentherapie neue Bewältigungsstrategien erarbeiten und zum Erleben einer sozialen Wirksamkeit zurückkehren. Es handelt sich um eine Kurztherapieform, die wir klinisch mit großem Erfolg im Rahmen der „Integrierten Versorgung Depression“ durchführen. Auch psychodynamische Behandlungskonzepte liegen inzwischen in manualisierter Form vor.[7] Davon zu unterscheiden ist die Behandlung der chronischen Depression, d. h. einer Depression, die per Definition länger als zwei Jahre durchgehend besteht. Bei einem Teil dieser Patienten finden sich strukturelle Defizite, deren Ursachen in frühen Kindheitserfahrungen liegen, bei anderen Patienten hat der depressive Verlauf selbst zu einem Verlust der sozialen Selbstwirksamkeit geführt. Es entwickelt sich ein dysfunktionaler sozialer Kommunikationsstil, der positive Neuerfahrungen unmöglich macht. Ein starkes Hilfesuchverhalten – zum Beispiel im Arztkontakt – ist gepaart mit einer fast feindseligen negativen Grunderwartung, dass im Grunde alles Handeln vergeblich und Hilfe unmöglich ist. Der Patient lernt in der CBASP Therapie[8] schrittweise mithilfe des Therapeuten diesen sozialen Interaktionsstil zu verlassen und wieder in kleinen Schritten Selbstwirksamkeit zu lernen. Die Bearbeitung der negativen Übertragung ist bei dieser kognitiven Therapieform ebenso bedeutend wie bei den tiefenpsychologischen Depressionsbehandlungen. Für die Rückfallprophylaxe der Depression hat sich die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie der Depression[9] bewährt, die wir mit Erfolg sowohl in der „Integrierten Versorgung Depression“ als auch in der Burnout-Behandlung anwenden. Im Vordergrund steht hier, über Atemtechnik, Yoga und Meditation zu lernen, „gegenwärtig“ zu sein. Denn Menschen mit Depressionsrisiko sind häufig mit der Zukunft („was soll werden“) oder mit der Vergangenheit 653 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Kontakt Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt [email protected] Dr. Markus Preiter, Oberarzt [email protected] Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie Asklepios Klinik Harburg Tel. (0 40) 18 18-86 32 54 Fax (0 40) 18 18-86 30 90 („mein Rucksack mit schlechten Erfahrungen“) beschäftigt. In diesem „getriebenen Daseinsmodus“ wird jedes auch noch so kleine negative Ereignis sofort als Katastrophe bewertet und zieht damit die Stimmung nach unten. Eine neutrale Beobachterposition einzunehmen, nicht gleich zu bewerten und auch negative Emotionen erst einmal zu akzeptieren, das kann gelernt werden und reduziert Stresserleben und depressives Rückfallrisiko. mit dem Ziel, Hilfe und Schutz durch die anderen zu erhalten, und besitzt damit appellativen Charakter. Im instinktgebundenen Verhaltensrepertoire der frühen Primaten funktionierte dieses gut. Allerdings bewegt sich der moderne Mensch in Beziehungsgeflechten, die oft kurz und wenig Halt gebend sind. Dadurch läuft der depressive Kommunikationsstil unter Umständen ins Leere und verselbstständigt sich in Form eines Krankheitsprozesses. Was aber ist die Depression eigentlich und in welchem Verhältnis steht sie zu einem „normalen“ psychischen Erleben? Einem evolutionspsychiatrischen Verständnisansatz folgend können depressive Symptome nicht nur als krankhafte Störung im engeren Sinne verstanden werden, sondern auch als Ergebnis einer evolutionär gewachsenen Strategie, die bereits bei unseren sozial lebenden Primatenvorfahren in der Evolution verankert wurde und das Verhaltensrepertoire im sozialen Kontext bei bestimmten Verlustsituationen erleichterte.[10] Es gibt Zeiten im sozialen Miteinander, in denen es keinen Sinn macht, sich weiter stark zu verausgaben und aktiv in das soziale Außen zu handeln. Vielmehr kann es manchmal Sinn machen, sich und die anderen zu überzeugen, dass man keine Ansprüche mehr stellt, nichts fordert, zurücksteckt und aufgibt. Diese bei sozial lebenden Primaten wirkungsvolle soziale Interventionsstrategie liegt als evolutionäres Erbe in Form der depressiven Reaktionsbereitschaft in jedem Menschen jederzeit abrufbereit bereit. Sie dient als Unterwerfungs- und Hilflosigkeitssignal Ebenso wie Husten zwar ein Krankheitszeichen ist, selber aber eine evolutionär gewachsene Abwehrstrategie des Körpers darstellt, sehen wir viele depressive Symptome als Bewältigungsversuch (noch) ungelöster sozialer Konflikte. nisansätze zum derzeitigen Zeitpunkt noch außer Acht lässt, finden sich die zutreffendsten Beschreibungen des inneren Erlebens und des unterlassenen Handelns nicht mehr in gängigen psychiatrischen Fachbüchern, sondern in philosophischen Abhandlungen.[11] Literatur [1] WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD 10: Verlag Hans Huber 1991; S. 12 654 [2] Ehrenberg A: Das erschöpfte Selbst: Depression und Gesellschaft in der Gegenwart: Campus Verlag 2004 [3] Jaspers K: Allgemeine Psychopathologie. Springer Verlag, 9. Auflage 1973 [4] Jurk C: Der niedergeschlagene Mensch. Depression. Eine sozialwissenschaftliche Studie zu Geschichte und gesellschaftlicher Relevanz einer Diagnose. Dissertation Die depressive Reaktion ist so ein intrapsychischer Lösungsversuch und gleichzeitig eine soziale Kommunikationsform. Überspitzt könnte man sagen, sie ist eine Kapitulationsoffensive nach außen in einer Situation, die als bedrohlich und nicht zu bewältigen erlebt wird. Mit aller Kraft wird gezeigt, dass man nicht mehr kann. Man traut sich nichts mehr zu, bringt nichts mehr fertig und hält jede Veränderung dieses aktuellen Gemütszustandes für ausgeschlossen. Die depressive Erkrankung bedeutet dann das Überschießen eines eigentlich gesunden, evolutionär gewachsenen Lösungsversuches. Das Depressionspotential gehört somit zur anthropologischen Matrix des Menschen und kann sich in fast alle psychiatrischen Störungsbilder untermischen. Da die Psychiatrie diese evolutionär-anthropologischen Verständ- 2005 [5] Callahan CM Berrios GE: Reinventing Depression. A History of the Treatment of Depression in Primary Care. 1940 – 2004. Oxford University Press 2005 [6] Schramm E: Interpersonelle Psychotherapie. Schattauer Verlag, 2. Auflage 1998 [7] Busch FN Rudden M Shapiro T: Psychodynamic Treatment of Depression. American Psychiatric Publishing 2004 [8] Cullogh JP Schramm E: Psychotherapie der chronischen Depression: Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy – CBASP. Urban & Fischer 2006 [9] Segal ZV Mark J et al.: Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression. Ein neuer Ansatz zur Rückfallprophylaxe. dgft-Verlag 2008 [10] Brüne M: Textbook of Evolutionary Psychiatry: The Origins of Psychopathology. Oxford University Press 2008 [11] Sloterdijk P: Sphären Band 2: Globen. „Die Depression als Ausdehnungskrise” S. 612-665. Suhrkamp Verlag 2004 Neurochirurgie „Ich kann kaum gehen, Fahrrad fahren ist aber o. k. …“ Lumbale Spinalkanalstenose mit Claudicatio spinalis Prof. Dr. Uwe Kehler Rücken- und Beinschmerzen, die beim Gehen auftreten (Claudicatio) und sich beim Vorbeugen bessern, sind typische Zeichen einer lumbalen Spinalkanalenge. In ausgeprägten Fällen ist ein schmerzfreies Gehen gar nicht mehr möglich, während Fahrradfahren in vielen Fällen kaum Probleme bereitet. Die Diagnose wird per Kernspintomographie oder Computertomographie gesichert, die mikrochirurgische Dekompression ist äußerst effektiv. Pathophysiologie [1,5] Die Spinalkanalstenose ist eine typische Folge degenerativer Wirbelsäulenveränderungen. Losgetreten wird dieser Prozess durch einen Verschleiß mit Dehydrierung der Bandscheibe, Höhenminderung und Bandscheibenprotrusion. Die Höhenminderung des Bandscheibenraumes führt zu einer Bandlaxität und Segmentmikroinstabilität. Folge ist eine Mehrbelastung der kleinen Wirbelgelenke, die mit einer Hypertrophie reagieren. Die Höhenminderung des Bandscheibenraumes führt auch zu einer Zusammenfaltung des gelben Bandes, das sich in den Wirbelkanal von hinten vorwölbt (Abb. 1). All diese Faktoren (Bandscheibenprotrusion, Vorwölbung des gelben Bandes und Hypertrophie der Wirbelgelenke) engen den Wirbelkanal ein und können seinen Inhalt (die Cauda equina) komprimieren. Folge ist die Claudicatio spinalis. Die lumbale Spinalkanalstenose wird in eine absolute und relative Stenose (Sagittaldurchmesser < 10 mm, respektiv 10 – 14 mm) eingeteilt.[5] Entscheidend für die Behand- lung ist aber die klinische Symptomatik. Darüber hinaus unterscheidet man die primäre/anlagebedingte von der sekundären/ degenerativen (s. o.) Spinalkanalstenose. Die primäre Spinalkanalstenose wird, wenn überhaupt, in der Regel erst durch zusätzliche degenerative Veränderungen symptomatisch. Die Inzidenz der lumbalen Spinalkanalstenose steigt mit der alternden Bevölkerungsstruktur. Bei 20 Prozent der Über60-Jährigen findet man kernspintomographisch eine Spinalkanalstenose.[2] Klinik Die typische Symptomatik besteht aus Rückenschmerzen und belastungsabhängigen Ischialgien (Claudicatio spinalis). Auch kann es zu neurologischen Ausfällen mit Sensibilitätsstörungen und Lähmungen kommen, in fortgeschrittenen Fällen kann ein Caudasyndrom mit Blasen- und Mastdarmstörungen auftreten. Die Beschwerden sind häufig einseitig betont. Charakteristisch ist eine Beschwerdebesserung beim Vorbeugen und Hinsetzen. Fahrradfahren wird als angenehm empfunden. In diesen Positionen mit Kyphosierung der Lendenwirbelsäule kommt es zu einer Straffung des gelben Bandes und einer konsekutiven leichten Erweiterung des Spinalkanals. Diagnostik Diagnostik der Claudicatio spinalis bei Spinalkanalstenose: ■ Anamnese und klinisch/neurologische Untersuchung mit Gefäßstatus ■ Kernspintomographie und/oder Computertomographie ■ evtl. EMG ■ evtl. Gefäßdiagnostik (bei differentialdiagnostischen Schwierigkeiten) Die Anamnese mit Claudicatio und Beschwerdebesserung beim Vorbeugen ist bereits richtungsweisend. Die klinisch neurologische Untersuchung ist zur Beurteilung des Schweregrads der Erkrankung, zur differentialdiagnostischen Abgrenzung, zum Timing eines operativen Eingriffs und zur Verlaufsbeurteilung notwendig. Die Prüfung der Fußpulse ist zur Abgrenzung 655 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Abb. 1: NMR der LWS in T2-Wichtung in sagittaler und axialer Schnittführung; in dem Abb. 2: postoperative Computertomographie; der sagittalen Bild ist eine multisegmentale Spinalkanalstenose besonders ausgeprägt im Seg- Zugang mit der knöchernen Resektion ist gut erkennbar. ment LW3/4 zu erkennen. Die Pfeile zeigen die von dorsal kommende Einengung durch die Ligamenta flava. In der axialen Schnittführung erkennt man den geringfügig verbliebenen Rest des Wirbelkanals (rotes Dreieck). gegen die periphere arterielle Verschlusskrankheit durchzuführen. Für die Quantifizierung der (noch schmerzfreien) Gehstrecke sind Laufbänder hilfreich. Die Diagnose muss mittels Kernspintomographie (Abb. 1) und gegebenenfalls auch mittels Computertomographie gesichert werden. Weniger entscheidend ist die absolute Enge als vielmehr die fehlende Liquordarstellung um die Cauda equina-Fasern herum. Die Kernspintomographie hat zusätzlich den Vorteil, den gesamten lumbalen Spinalkanal darzustellen. Dies ist wichtig, da von der klinischen Untersuchung die Festlegung der betroffenen Höhe häufig nicht eindeutig ist. Die Computertomographie kommt vor allem bei Kontraindikationen zur Kernspintomographie (z. B. Herzschrittmacher), nach Myelographien und zur besonderen Beurteilung der ossären Strukturen (Abb. 2) zum Tragen. Bei einem Wirbelgleiten sind Funktionsaufnahmen der LWS zur Beurteilung der (In-) Stabilität notwendig. Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung gegenüber der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, der Polyneuropathie und anderer Erkrankungen können unter anderem EMG und Gefäßdopplersonographie herangezogen 656 werden. Die häufigsten Differentialdiagnosen: ■ Claudicatio intermittens bei peripherer AVK (= arterieller Verschlusskrankheit) ■ Coxarthrose ■ Polyneuropathie ■ Spondylolisthese ■ Bandscheibenvorfall ■ spinaler Tumor ■ Wirbelkörperfraktur Therapie Konservative Therapie Die konservative Therapie besteht in der Verordnung von Analgetika, Antiphlogistika sowie Krankengymnastik. Heute wird auch mit lokaler Instillation von Lokalanästhetika und Kortison gearbeitet. Der Effekt ist aber häufig nur temporär und langfristig unbefriedigend. Operative Therapie Solange keine neurologischen Ausfälle bestehen, ist eine operative Dekompression nicht dringend, bei schweren progredienten Paresen und/oder Blasenstörungen ist dagegen eine dringende oder sogar notfallmäßige Operation notwendig. Ziel der operativen Therapie ist die Dekompression der eingeengten nervalen Strukturen. Früher war hierzu die Entfernung des gesamten Wirbelbogens (Laminektomie) Standard. Heute – im Zeitalter der Mikroneurochirurgie – ist ein wesentlich kleinerer, weniger traumatisierender Zugang von einer Seite möglich, wobei auch die Gegenseite unterminiert und damit entlastet werden kann (Abb. 3: „under cutting-Technik“). Die hypertrophen Gelenke werden dabei partiell mit Highspeed-Fräsen und Flachfußstanzen reseziert. Vorteil dieser minimal invasiven Methode sind der verminderte postoperative Schmerz, die schnellere Mobilisation und der signifikant kürzere Krankenhausaufenthalt. Besteht eine (gesicherte) Makroinstabilität, muss eine Versteifung – Spondylodese – im gleichen Eingriff durchgeführt werden (Abb. 4). Ein symptomloses Wirbelgleiten (Spondylolisthese) allein rechtfertigt eine nicht ganz komplikationsarme [4] Spondylodese nicht. In unseren eigenen Untersuchungen und der Literatur [3] liegt das Risiko einer postoperativ auftretenden symptomatischen Instabilität bei etwa fünf Prozent, eine sofortige Spondylodese wäre also in 95 Prozent der Fälle überflüssig. In den vergangenen Jahren kamen inter- Neurochirurgie Abb. 4: Spondylodese LW4/5 bei symptomatischer Abb. 5: Der interspinöse Spreizer soll durch Kyphosie- Spondylolisthese; deutliches Wirbelgleiten in Höhe LW rung des Segments zu einer Straffung des gelben Bandes 4/5 (links). Im postoperativen Bild (rechts) erkennt man führen und damit eine Erweiterung des Spinalkanals die gute Reposition des Wirbelgleitens. Die Stabilisie- bewirken. rung erfolgte mit einem Fixateur interne und einem Abb. 3: Schema des einseitigen Zuganges mit „Cage“ im Zwischenwirbelraum. beidseitiger Dekompression; der Pfeil zeigt die Einblickrichtung mit dem Operationsmikroskop. Nach Eröffnung des Wirbelkanals mit Entfernung des gelben Bandes werden mit Highspeed-Fräse und Flachfußstanzen die hypertrophen Gelenkanteile (partielle Arthrektomie) von beiden Seiten reseziert. Der grün gekennzeichnete Bezirk entspricht der postoperativen Spinalkanalweite. spinöse Spreizer (Abb. 5) auf, die durch Aufdehnung der Dornfortsätze zu einer Kyphosierung des Segmentes mit Straffung des vorgewölbten gelben Bandes führen. Dies soll eine Erweiterung des Wirbelkanals – ähnlich wie beim Vorbeugen – bewirken. Im Vergleich zur konservativen Therapie erscheinen diese Verfahren vorteilhaft,[6] einen Vergleich zur mikrochirurgischen Dekompression gibt es bisher nicht. Die physiotherapeutische Nachbehandlung hängt im Wesentlichen von den vorbestehenden Ausfällen ab. Um ein „muskuläres Korsett“ für die Wirbelsäule zu formen, sollte eine Stabilisierung der Rücken- und Bauchmuskulatur angestrebt werden. Fazit Kontakt Die Claudicatio spinalis wird durch Kompression der Nerven im engen lumbalen Spinalkanal verursacht. Die Spinalkanalstenose wird am besten mittels Kernspintomographie diagnostiziert. Gegebenenfalls muss eine weitere differentialdiagnostische Abklärung erfolgen. Bei erfolgloser konservativer Therapie oder manifesten neurologischen Ausfällen ist die mikrochirurgische Dekompression Methode der Wahl und zeichnet sich durch eine sehr günstige Prognose – auch bei den häufig sehr alten Patienten – aus. In Einzelfällen (bei vorliegender manifester Instabilität) muss gleichzeitig eine Spondylodese erfolgen. Prof. Dr. Uwe Kehler Abteilung für Neurochirurgie Asklepios Klinik Altona Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-81 16 70 Fax (0 40) 18 18-81 49 11 E-Mail: [email protected] [5] Thomé C, Börm W, Meyer F. Die degenerative lumbale Spinalkanalstenose. Dtsch Arztebl 2008; 105(20): 373-9. [6] Zuchermann JF et al. A prospective randomized multicenter study for the treatment of lumbar spinal stenosis with the x-stop interspinous implant: 1 year results. Eur Spine J 2004; 13: 22-31. Die Ergebnisse sind sehr zufriedenstellend, auch bei den vielfach schon sehr alten Patienten. Das Alter sollte deshalb per se kein Ausschlusskriterium sein. Eine wesentliche Beschwerdebesserung wird in mehr als 80 Prozent erreicht und in den übrigen Fällen lässt sich häufig noch eine partielle Besserung erzielen. Ein „Rezidiv“ ist eher selten, erneute Wirbelsäulenbeschwerden können dennoch wieder auftreten, da die Dekompression die Stenose sehr gut beseitigt, aber nicht das weitere Altern der Wirbelsäule stoppt. Literatur [1] AWMF-Leitlinie: Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie „Lumbale Spinalkanalstenose“ 2005. www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll-na/008-022.htm [2] Boden SD, Davis DO, Dina TS, Patronas NJ, Wiesel SW. Abnormal magnetic-resonance scans of the lumbar spine in asymptomatic subjects. A prospective investigation. J Bone Joint Surg Am 1990; 72: 403-8. [3] Epstein NE et al. Lumbar decompression for spinal stenosis. In: Frymoyer JW (Ed.) The Adult Spine 1997: 2055-88. [4] Hosono N et al. Perioperative complications of primary posterior lumbar interbody fusion for nonisthmic spondylolisthesis: analysis of risk factors, J Neurosurg Spine 2008; 9(5): 403-7. 657 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Minimal invasive Chirurgie – MIC® Stellenwert und evidente Indikationen Dr. med. Dipl. oec. med. Colin M. Krüger, Priv.-Doz. Dr. Matthias Kapischke Seit Einführung der minimal invasiven Chirurgie zu Beginn der 1990er-Jahre hat eine begrenzte Anzahl von Operationen flächendeckend Einzug in den chirurgischen Alltag gehalten. Darüber hinaus ist die Entwicklung an spezialisierten Zentren derart vorangeschritten, dass es nur noch wenige chirurgische Eingriffe gibt, die nicht über eine minimal invasive Alternative verfügen. Bei einigen Indikationen ist die MIC aktuell Gold-Standard [1], zum Beispiel bei der Appendektomie oder der Cholecystektomie. Bei anderen Eingriffen wird die Diskussion offen geführt. Das jüngste Feld der minimal invasiven Chirurgie, und hier nach Indikationen einzeln auf dem Prüfstand, ist der Bereich der onkologischen MIC. Gründe hierfür sind die Diskussion um die onkologische Radikalität wie auch der chirurgische Generationenwechsel. Mit Einzug der neuen Generationen medizintechnischer Innovationen im OP (HF-Technologie, Ultraschalltechnik, laparoskopisch adaptierte Applikatoren für alloplastische Implantate, Klammernaht, Gewebekleber und Haemostyptika) wurde eine Vielfalt zusätzlicher Operationsverfahren in das minimal invasive Leistungsspektrum aufgenommen. Neben der Motivation, das operative Trauma für den Patienten zu 658 reduzieren, stellt das minimal invasive Leistungsspektrum chirurgischer Abteilungen zunehmend einen zentralen MarketingAspekt für die regionale und überregionale Positionierung der eigenen Klinik dar. Ist der Begriff der „Minimal invasiven Chirurgie“ zwischenzeitlich inflationär zum Sinnbild für schmerzfreie, risikoarme und mit kurzen stationären Verweildauern verbundene Chirurgie geworden, birgt diese Entwicklung die Gefahr, dass unkritisch gegenüber der zugrunde liegenden chirurgischen Problematik schnell der Ruf nach einem MIC-Verfahren laut wird. Wer MIC pauschal anbietet, gilt – aus Sicht der Autoren – vorschnell als modern und in besonderer Weise qualifiziert. Das zentrale Problem in der MIC ist und bleibt die individuelle Lernkurve, die direkt mit der operativen Qualität korreliert. Das Erlernen der Methode unterscheidet sich grundle- gend von dem der offenen Chirurgie. Dass über die wiederholte Assistenz des Eingriffs lediglich der methodische Ablauf „ersehen“, nicht aber die manuell-taktische Manipulation mit dem Instrumentarium, die Haptik, simultan erlernt werden kann, unterscheidet die MIC wesentlich von der offenen Chirurgie.[3] In gleicher Weise ist die Ausbildung gegenüber dem offenen Vorgehen deutlich erschwert, da der Ausbilder nur im Notfall eingreifen, nicht aber gezielt simultan manuell-taktisch führen kann. Hierfür sind unter anderem die individuellen Fallzahlen und Konversionsraten ein Hinweis auf die Expertise am Zentrum. Oft sind diese weichen Qualitätskriterien für Patienten und Hausärzte nicht in jedem Fall nachvollziehbar. Die in den Fachgesellschaften kontrovers geführte Diskussion, ob die MIC einen selbstständigen chirurgischen Fachbereich Chirurgie MIC-Operation (Auszug) Bundesweit chirurgischer Standard MIC Vorbehalten für chirurgisches MIC-Zentrum Gesamt %-Anteil MIC (%) Cholecystektomie ja nein Appendektomie ja nein Leistenhernie ja Bauchwand-, Narbenhernie Gesamt %-Anteil konv. Chir. (%) Gold Standard (aktuell) >95 ~5 MIC >80 ~20 MIC ja ~30 ~70 Konv. nein (ja) 30 – 40 60 – 70 Konv. Adhaesiolyse ja nein ~60 ~40 MIC chron. Unterbauchschmerz ja nein >90 ~10 MIC Sigmaresektion b. Divertikulose ja nein ~40 >60 MIC Hemikolektomie re. / li. nein ja 20 80 Konv. Rectumresektion nein nein bis 30 70 – 80 Konv. ja nein bis 30 >80 – Karzinom nein ja <10 Gastrektomie nein ja >5 >90 Konv. Gastric Bypass ja ja >70 <20 MIC Fundoplikatio ja nein Oesophagusresektion nein ja <5 >90 Konv. – lap. assistiert nein Magenteilresektion Konv. – benigne Ursache Splenektomie – elektiv ja nein ~60 ~40 MIC – traumatisch nein ja <5 >95 Konv. Aortenaneurysma (abdominal) nein ja <1 ~80 Konv. Schilddrüsenresektion nein ja ~10 90 Konv. Nebennierenresektion ja ja 50 50 MIC Tab. 1: Zusammenstellung MIC-Operationen [2] oder lediglich ein zusätzliches Verfahren darstellt, ist hinlänglich bekannt und derzeit nicht abgeschlossen. Die MIC stellt eigene manuell-technische Anforderungen an den Operateur und muss auch nach jahrzehntelanger konventionell-chirurgischer Praxis neu erlernt werden. Die MIC als operativer Bereich wurde erst durch die medizintechnischen Innovationen der vergangenen zehn Jahre in die Lage versetzt, dass die chirurgischen OP-Bedingungen der Blutungskontrolle, Hämostase, Nahtund Anastomosentechniken heute technisch sicher sind. Die Beurteilung der Qualität und Wertigkeit eines neuen chirurgischen Verfahrens richtet sich nach einer Vielzahl von Kriterien. Die Qualität der Patientenversorgung ist dabei im gesamten DRG-Kontext bedauerlicher Weise nur eines unter mehreren. Ohne an dieser Stelle den gesundheitspoli- tischen Bogen zu weit zu spannen, haben das Maß an technischer Innovation, die Invasivität, der mit der Methode zu betreibende Material- und Investitionsaufwand (Sachkostenanteil) sowie die Ausgestaltbarkeit der G-DRG-Erlösstruktur einen zentralen Einfluss auf die Durchsetzung der Methode. Die Wertigkeit hinsichtlich ihrer Qualität nach den Maßstäben der „evidence based medicine“ (EBM) lässt sich oft mangels qualifizierter Studien nur unvollständig oder gar nicht widerspiegeln. Somit sind viele der aktuell proklamierten Einschätzungen gegenüber neuen Methoden seitens der anhängigen medizintechnischen Industrie oder einzelner medizinpolitisch herausragender Vertreter („eminence based medicine“) bestimmt. Zusammenfassend muss es für Patienten, interessierte Angehörige und insbesondere niedergelassene Kollegen, wie in Tab. 1 versucht, eine Zusammenstellung mit Empfehlungscharakter für die verschiedenen Tätigkeitsfelder der MIC geben, die den aktuellen Stand der operativ allgemein, im Sinne von über das Bundesgebiet flächendeckend, allgemein und darüber hinaus an spezialisierten Zentren verfügbaren und derzeit in Weiterentwicklung oder Etablierung befindlichen MIC-OP-Indikationen beinhaltet. Nur so werden auch künftig qualitativ gute operative Ergebnisse einen sicheren Ausbau des operativen Angebotes in der MIC gewährleisten. Die gezeigte Zusammenstellung macht die Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten der MIC und ihrer flächigen Durchsetzung in der täglichen Chirurgie deutlich. Bei vielen Indikationen, in denen die MIC operative Vorteile bietet, konnte sich die Methode bisher nicht flächendeckend in Deutschland durchsetzen. Wichtige Grün- 659 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 de dafür sind neben der individuellen Lernkurve die kostenintensive technische Ausstattung wie auch die Tatsache, dass sich konservativ chirurgische Kennzahlen (OP-Dauer, stationäre Verweildauer, Morbidität, Mortalität) nicht 1:1 auf die gleiche Operation in MIC-Technik transferieren lassen. In gegenläufiger Weise positiv zeigt die Übersicht hingegen umso deutlicher, dass die MIC sich in einem stetig breiter werdenden Spektrum neue Indikationen eröffnet. Sie ist noch lange nicht so flächig etabliert und ubiquitär in angemessener Qualität verfügbar, wie dies auf den einschlägigen Fachtagungen suggeriert wird. Neben der chirurgischen Sicht ist zu berücksichtigen, dass die MIC auch Effekte auf das postoperative Management der konventionellen Chirurgie hat. Sie hat dazu geführt, dass postoperative Managementprinzipien der konventionellen Chirurgie adaptiert und „modernisiert“ wurden.[4] Ein wesentlicher Punkt ist der frühzeitige Kostaufbau, der sich abseits des Schlagwortes „fast track“ breitflächig durchge- 660 setzt hat. Ob es angesichts des noch deutlich ausbaufähigen Potenzials der MIC notwendig und sinnvoll ist, das öffentliche Interesse auf Ideen wie NOTES (natural orific transluminal endoscopic surgery) und SINGLE PORT SURGERY zu verlagern und somit den allgemeinen Leistungshorizont industriegesteuert zu verzerren, lassen die Autoren dem Leser wertungsfrei bewusst zur persönlichen Entscheidung. Die minimal invasive Chirurgie als große technische Innovation der Chirurgie der 1990er-Jahre steht nach wie vor am Anfang, für ein breites chirurgisches Indikationsfeld in einem bundesweit einheitlichen Leistungsniveau zum Wohle der Patienten verfügbar zu sein. Kontakt Dr. med. Dipl. oec. med. Colin M. Krüger, MBA Abteilung für Allgemein-, Visceral- und Gefäßchirurgie Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 21 44 Fax (0 40) 18 18-85 21 88 E-Mail: [email protected] [2] Rosin D, Khaikin M, Zmora O. Minimally invasive approach to colorectal surgery. Minerva Chir. 2008 Apr; 63(2): 127-49. Review. [3] van Det MJ, Meijerink WJ, Hoff C, Totté ER, Pierie JP. Optimal ergonomics for laparoscopic surgery in minimally invasive surgery suites: a review and guidelines. Surg Endosc. 2008 Oct 2. Literatur [4] Kolb W, Lang J, Zünd M. Moderne perioperative [1] Moberg AC, Montgomery A. Appendicitis: laparoscopic Behandlungskonzepte und Fast-track-Chirurgie – weniger versus conventional operation: a study and review of the Komplikationen und schnellere Rekonvaleszenz als über- literature. Surg Laparosc Endosc. 1997 Dec; 7(6): 459-63. geordnete Ziele. Klinikarzt 2007; 36: 331-5. Augenheilkunde „No suture in the future?“ Elektive Makulachirurgie Dr. Annette Hager, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wiegand Die konventionelle pars plana Vitrektomie (PPV) mit 20-gauge Instrumenten ist seit 20 Jahren ein etabliertes operatives Verfahren in der Versorgung des hinteren Augenabschnittes (Glaskörpereinblutungen, proliferative diabetische Retinopathie, komplizierte Netzhautablösungen, Makulaforamina, macular pucker). Dabei wird zunächst die Bindehaut eröffnet, um drei Sklerotomien (Zugänge durch die Sklera in den Glaskörperraum) für die Lichtquelle, Instrumente und den Zulauf im Bereich der pars plana anzulegen. Nach der OP müssen sowohl die Sklerotomien als auch die Bindehaut wieder vernäht werden, was zum einen zeitaufwendig ist und zum anderen beim Patienten ein Fremdkörpergefühl durch die Nähte hinterlässt und im weiteren Verlauf zu Narben der Bindehaut führen kann. Mit 23-gauge Instrumenten sind selbstschließende Sklerotomien ohne Nähte möglich und die oben genannten Nachteile sind somit vermeidbar. Makulaforamen Die Erstbeschreibung und bis heute gültige Einteilung der idiopathischen Makulaforamina erfolgte 1988 durch Gass.[2] Er beschrieb vier Stadien des Makulaforamens, die sich aufgrund der Konfiguration des Netzhautdefektes und des anliegenden beziehungsweise abgehobenen Glaskörpers differenzieren ließen. Kelly und Wendel [6] führten die pars plana Vitrektomie (PPV) als chirurgische Therapie ein, die die zur Entstehung des Makulaforamens beitragende Glaskörpertraktion entlastet und zu einem Foramenverschluss führen soll. Die PPV zeigte zunächst gute Verschlussraten des Makulaforamens von 45 bis 73 Prozent.[5] Ende der 90er-Jahre setzte sich dann zunehmend die intraoperative zusätzliche Entfernung der Membrana limitans interna (ILM) durch, sodass inzwischen Verschlussraten des idiopathischen Makulaforamens nach einer PPV von etwa 90 Prozent angegeben werden.[3,5] Durch den Verschluss des Foramens kommt es zu einer Visusverbesserung, mindestens aber zu einer Reduk- tion des Zentralskotoms. Die Visusrehabilitation kann jedoch 6 bis 12 Monate andauern. Macular pucker Der macular pucker (auch epiretinale Gliose) besteht aus verschiedenen zellulären Membranen, die über der Makula – also epiretinal – proliferieren und durch Kontraktion zu Faltenbildung der zentralen Netzhaut und gelegentlich auch der Aderhaut führen können. Aufgrund dieser Faltenbildung klagen die Patienten über Verzerrt- und Wellensehen im zentralen Gesichtsfeld, sogenannte Metamorphopsien. Komplizierend kommt häufig als Spätfolge ein zystoides Makulaödem (CMÖ) hinzu, das für eine weitere Visusreduktion und auch für einen dauerhaften Schaden verantwortlich sein kann. Die innere Grenzmembran (ILM) ist mit der epiretinalen Gliose adhärent, sodass in histologischen Untersuchungen operativ entfernter epiretinaler Membranen oft auch die ILM nachgewiesen werden kann.[3] Eine Operationsindikation besteht – einen entsprechenden morphologischen Befund vorausgesetzt – bei einem herabgesetzten Visus, wobei der Visus bei Wahrnehmung von Metamorphopsien gegebenenfalls auch nur geringfügig reduziert sein kann. Ergebnisse In einer großen retrospektiven Auswertung von 353 Patienten aus den Jahren 1995 bis 2001 haben wir sowohl den funktionellen Erfolg als auch die Risiken der PPV bei elektiver Makulachirurgie untersucht.[3,4] Hierbei musste als visusbedrohende Komplikation der Operation eine postoperative Netzhautablösung (Ablatio retinae) in 2,0 Prozent und eine postoperative Endophthalmitis in 0,6 Prozent festgestellt werden. Aufgrund eines unzureichenden postoperativen Makulabefundes (persistierendes Makulaforamen, erneute epiretinale Membran) wurde bei 9,0 Prozent der Patienten eine weitere PPV notwendig. Der Visus stieg bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 20 Monaten in der Gruppe 661 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Abb. 1: Intraoperatives Bild der transkonjunktival ein- Abb. 2: Rechtes Auge eines Patienten am ersten geführten 23-gauge Zugänge bei minimal invasiver pars postoperativen Tag nach 23-gauge Vitrektomie bei plana Vitrektomie macular pucker der Patienten mit Makulaforamen von 0,2 auf 0,45 und in der Gruppe der Patienten mit macular pucker von 0,3 auf 0,5. Somit wurde bei vielen Patienten wieder ein Lesevisus (min. 0,4) erreicht. blutungen, keine Endophthalmitis und in nur 1,5 Prozent eine postoperative Ablatio retinae gesehen, was vergleichbar mit anderen Berichten nach 23-gauge PPV ist [1] und sich im Profil mit Ausnahme der postoperativen Bulbushypotonie nicht von den Komplikationen der 20-gauge PPV unterscheidet. Aufgrund des nahtlosen Wundverschlusses ist die postoperative Bulbushypotonie nicht unerwartet, mit 2,6 Prozent jedoch selten. Sie lässt sich bei Persistenz mit einer intravitrealen Gasinjektion oder im Ausnahmefall mit einer Naht der Sklerotomie beheben. 23-gauge oder no suture in the future? Die Einführung von 23-gauge Instrumenten für die Vitrektomie macht seit einigen Jahren eine transkonjunktivale, nahtlose PPV möglich. 23-gauge Instrumente haben einen Außendurchmesser von nur 0,6 mm. Die elektive Makulachirurgie (Makulaforamina und macular pucker) ist für 23-gauge Instrumente besonders gut geeignet, da der Eingriff gut planbar ist und das operative Zielgebiet am hinteren Augenpol liegt. Im Zeitraum von 11/2007 bis 12/2008 wurden in der Augenabteilung der Asklepios Klinik Nord – Heidberg 269 23-gauge PPV bei Makulaforamen oder macular pucker durchgeführt. In diesem Zeitraum haben wir postoperativ lediglich in 2,6 Prozent Hypotonien, in 1,7 Prozent Glaskörperein- 662 Im postoperativen Verlauf sind die Patienten äußerst beschwerdearm, da jegliches Fremdkörpergefühl durch Nahtmaterial der Bindehaut und Sklera entfällt. Auch von außen sehen die Augen bemerkenswert reizarm aus (Abb. 2). Grenzen der minimal invasiven Vitrektomie (23-gauge) Durch das geringere Hohlmaß der Instrumente bei der 23-gauge Vitrektomie sind diese sehr viel flexibler, sodass insbesondere die Netzhautperipherie nicht uneingeschränkt erreichbar ist. Ferner sind nicht alle Instrumente, wie zum Beispiel Scheren, für den intraoperativen Gebrauch im Glaskörperraum verfügbar. Insofern werden unübersichtliche Netzhautsituationen, wie sie etwa bei Diabetikern mit traktiven fibrotischen Membranen oder auch bei Augen mit komplizierten Netzhautablösungen (proliferative Vitreoretinopathie = PVR) auftreten, in der Regel weiterhin mit der konventionellen 20-gauge Vitrektomie operiert. Augenheilkunde a b Abb. 3: Makulaforamen im OCT (Optische Kohärenztomographie) vor und nach der 23-gauge Vitrektomie a) Darstellung des Foramens mit Substanzdefekt im Bereich der Fovea, die Ränder des Foramens sind zystoid aufgetrieben, an den Rändern ist die innere Grenzmembran mit Traktion erkennbar b) die Foramenränder liegen postoperativ an, das Foramen ist verschlossen Vorteile der minimal invasiven Vitrektomie (23-gauge) Literatur [1] Fine HF, Iranmanesh R, Iturralde D, Spaide RF. Outcomes of 77 consecutive cases of 23-gauge transconjuncti- Im Rahmen einer elektiven operativen Maßnahme sind für den Patienten die durch die Operation hervorgerufenen Beschwerden von relativ großer Bedeutung. Mit der 23-gauge Vitrektomie lassen sich planbare Eingriffe durch den minimal invasiven Zugang für den Patienten sicher und sehr beschwerdearm durchführen und OP-Dauer und auch Regenerationszeit auf ein Minimum reduzieren. val vitrectomy surgery for posterior segment disease. Ophthalmology 2007; 114: 1197-200. [2] Gass JDM. Idiopathic senile macular hole: its early stages and development. Arch Ophthalmol 1988; 106: 629-39. Kontakt Dr. Annette Hager Augenklinik Asklepios Klinik Nord – Heidberg Tangstedter Landstraße 400 22415 Hamburg [3] Hager A, Ehrich S, Wiegand W. Anatomische und funktionelle Ergebnisse nach elektiver Makulachirurgie. Ophthalmologe 2005; 102: 597-602. [4] Hager A, Ehrich S, Wiegand W. Vitreoretinale Zweitein- Tel. (0 40) 18 18-87 36 18 Fax (0 40) 18 18-87 36 14 [email protected] griffe nach elektiver Maculachirurgie. Ophthalmologe 2004; 101: 39-44. [5] Haritoglou C. Makulaforamenchirurgie heute – ein Überblick. Klin Monatsbl. Augenheilk. 2007; 224: 755-62. [6] Kelly NE, Wendel RT. Vitreous surgery for idiopathic macular holes. Results of a pilot study. Arch Ophthalmol 1991; 109: 654-9. 663 Priv.-Doz. Dr. Thomas Niemeyer Asklepios Klinik St. Georg: Neuer Leiter des Wirbelsäulenzentrums Ab April übernahm Priv.-Doz. Dr. Thomas Niemeyer (42) die Leitung des interdisziplinären Wirbelsäulen-Zentrums Hamburg, zu dem die Sektionen Neurochirurgie, Orthopädie und die Abteilung für Unfallund Wiederherstellungschirurgie gehören, in der Asklepios Klinik St. Georg. Dr. Niemeyer wurde in Stralsund geboren, ist verheiratet und hat eine Tochter. Sein Medizinstudium absolvierte er an der ErnstMoritz-Arndt Universität Greifswald, die AiP-Zeit in Großbritannien und die Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie an der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster (Direktor Prof. Dr. W. Winkelmann) sowie am Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie der Universität Nottingham. 2000 wurde Niemeyer Oberarzt der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie und Skoliosezentrum am Klinikum Neustadt unter Prof. Halm, 2002 Leitender Oberarzt. Im gleichen Jahr wechselte er an die Orthopädische Universitätsklinik Tübingen (Direktor Prof. Dr. N. Wülker), wo er den Bereich Wirbelsäulenchirurgie leitete und bis zu seinem Wechsel nach Hamburg als stellv. Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik tätig war. 2006 folgten die Facharztanerkennung für Orthopädie und Unfallchirurgie, 2007 die Anerkennung „Spezielle Orthopädische Chirurgie“ und die Habilitation, 2008 die Anerkennung „Kinderorthopädie“. In St. Georg befasst sich Niemeyer mit der gesamten Bandbreite der Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen. Zu seinem Repertoire gehören mikrochirurgisch mikroskopische und endoskopische Bandscheibenoperationen aller Wirbelsäulenabschnitte, Instrumentationsspondylodesen und Rekonstruktion bei sämtlichen Frakturen und 664 Dr. Bernd Richter degenerativen Erkrankungen einschließlich minimal-invasiver Verfahren, bewegungserhaltender Bandscheibenersatz, primärstabile dorsale und ventrale Derotationsspondylodesen zur Formkorrektur von Skoliosen, Korrektur von Thoraxwanddeformitäten, Tumoroperationen der Wirbelsäule inkl. Wirbelkörperersatz sowie die operative Therapie bei Spondylitis und Spondylodiszitis. Besonders wichtig sind Niemeyer regelmäßige gemeinsame Fallbesprechungen innerhalb der Klinik und mit niedergelassenen Kollegen, um den Patienten ein optimales und individuelles Therapiekonzept entsprechend dem neusten Stand der Wissenschaft und der Erfahrung aller beteiligten Fachbereiche zu bieten. Kontakt PD Dr. Thomas Niemeyer Wirbelsäulen-Zentrum Hamburg Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 21 11 Fax (0 40) 18 18-85 30 79 E-Mail: [email protected] Asklepios Klinik Harburg: Neuer Leiter der Kinderchirurgie Seit 1. März leitet Dr. Bernd Richter die Sektion für Kinderchirurgie des Urologischen Zentrums an der Asklepios Klinik Harburg. Der Facharzt für Kinderchirurgie wurde in Bad Orb geboren, studierte an den Universitäten Homburg/Saar, Göttingen und Marburg und absolvierte seine Weiterbildung im Arrowe-Park-Hospital, Liverpool, sowie in der Kinderchirurgischen Klinik des ZKH Sankt-Jürgen-Straße in Bremen bei Dr. Booss und Prof. v. d. Oelsnitz. 2002 wechselte er an die Kinderchirurgische Klinik der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald unter Prof. Festge, 2003 als Oberarzt des Funktionsbereiches Kinderchirurgie an die Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main unter Prof. Heller. 2005 wurde Richter Leitender Oberarzt der Abteilung für Neugeborenen- und Kinderchirurgie am Klinikum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter Dr. K. Lohse. Von 2007 bis 2009 leitete er schließlich die Kinderurologische Sprechstunde und die operative Kinderurologische Versorgung im Altonaer Kinderkrankenhaus, wo er auch an der Pränataldiagnostik teilnahm. Richters klinische Schwerpunkte liegen in der Kinderurologie (v.a. angeborene urogenitale Fehlbildungen, Harntransportstörungen, Hodenhochstand), der Frühgeborenen- und Fehlbildungschirurgie, der Kindertumorchirurgie und Kindertraumatologie sowie der minimal-invasiven Kinderchirurgie des Bauchraumes. Seine wissenschaftlichen Publikationen befassen sich vor allem mit den Themen Oesophagusatresie und roboterassistierte Hemifundoplikatio. Daneben ist Dr. Bernd Richter Autor des 2003 im Peter Lang-Verlag erschienenen Buches „Kindesmisshandlung“. Besonders wichtig ist Richter der gute Kontakt zu den behandelten Kindern und ihren Eltern sowie den sie betreuenden niedergelassenen Kinderärzten. Die persönliche ambulante Beratung und stationäre Betreuung der Kinder und Eltern auf dem fachlichen Niveau der aktuellsten kinderchirurgischen Versorgung steht bei seinen Zielen ganz oben. Personalia Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer Kontakt Dr. Bernd Richter Allgemein-, Gefäß- und Viszeralchirurgie Sektion Kinderchirurgie Asklepios Klinik Harburg Eißendorfer Pferdeweg 52 21075 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-86 50 98 Fax (0 40) 18 18-86 30 09 E-Mail: [email protected] Kinderchirurgische und Kinderurologische Sprechstunden Enuresis- und Inkontinenz-Sprechstunde: Mittwoch 12 – 14 Uhr Allgemeine Kinderchirurgie, Fehlbildungen und Harntransportstörungen: Donnerstag 12 – 14 Uhr Haus 8, 1. OG, Zi. 133 Termine: Tel. (0 40) 18 18-86 26 61 Asklepios Klinik St. Georg: Neuer Chefarzt des ChirurgischTraumatologischen Zentrums und der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Seit April leitet Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer das Chirurgisch-Traumatologische Zentrum und die Abteilung für Unfallund Wiederherstellungschirurgie der Asklepios Klinik St. Georg. Der bisherige Leitende Oberarzt und ständige Vertreter des Direktors der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik der BG-Universitätskliniken „Bergmannsheil“ der RuhrUniversität Bochum tritt dabei die Nachfolge von Prof. Dr. Christoph Eggers an. Schildhauer wurde 1963 in Düsseldorf geboren, ist verheiratet und hat vier Kinder. Sein Medizinstudium absolvierte er an der RWTH Aachen, Famulaturen und Prakti- sches Jahr führten ihn unter anderem in die Schweiz, nach Südafrika und an die Orthopädie/Chirurgie der USC in Los Angeles. Mit dem Thema „Invitro Protonen-Relaxometrie von normalem, benignem und malignem Mamma-Gewebe“ promovierte er am Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik und Biophysikalische Chemie. Mehrjährige und DFG-unterstützte Forschungsaufenthalte folgten an der USC in Los Angeles und am Hospital for Special Surgery der New Yorker Cornell University. Schildhauers Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum trug den Titel „Entwicklung modifizierter Operationstechniken und Charakterisierung von Biomaterialien zur Knochenfraktur- und Defektheilung“. Seine klinische Weiterbildung absolvierte Schildhauer an der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik der BG-Kliniken „Bergmannsheil“ der Ruhr-Universität Bochum, im Trauma Service des Department of Orthopaedics am MetroHealth Medical Center in Cleveland und im Trauma and Reconstruction Service des Department of Orthopaedics and Sports Medicine am Harborview Medical Center der University of Washington in Seattle, wo er letztendlich als Oberarzt und Assistant Professor tätig war. 2002 wurde Schildhauer Oberarzt und 2005 Leitender Oberarzt und ständiger Vertreter des Direktors der Chirurgischen Klinik am Bergmannsheil. ler und internationaler Standesorganisationen und Arbeitsgemeinschaften, des Editorial Boards des American Journal of Orthopaedic Trauma sowie Reviewer mehrerer internationaler Fachzeitschriften. Am St. Georg möchte Prof. Schildhauer die ganzheitliche, fachübergreifende Behandlung der Traumapatienten, einschließlich aller wirbelsäulen-chirurgischen Aspekte, wie gewohnt fortführen, aber auch durch seine speziellen Erfahrungen in der muskuloskeletalen Wiederherstellung verstärken. Darunter fallen vor allem die umfangreiche Rekonstruktion am Azetabulum, Pilon tibiale und Fuß sowie die Behandlung posttraumatischer Fehlstellungen und Pseudarthrosen an Becken und Extremitäten. Kontakt Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 22 86 Fax (0 40) 18 18-85 37 70 E-Mail: [email protected] Im Juli 2008 verlieh die Ruhr-Universität Bochum ihm den Titel eines Außerplanmäßigen Professors. Seine klinischen Schwerpunkte liegen in der orthopädischen Traumatologie/Gelenkrekonstruktion, der Becken- und Azetabulumchirurgie, der posttraumatischen Wiederherstellungschirurgie sowie der Polytraumaversorgung. Schildhauer ist Mitglied mehrerer nationa- 665 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Personalia Prof. Dr. Sigrid Nikol Asklepios Klinik St. Georg: Neue Abteilung für Angiologie Seit Februar verfügt die Asklepios Klinik St. Georg über eine Abteilung für Klinische und Interventionelle Angiologie, die von der Angiologin Prof. Dr. Sigrid Nikol geleitet wird. Prof. Nikol wurde in Erlangen geboren, studierte an der RWTH Aachen, sammelte während ihrer Famulaturen und PJ-Einsätze Erfahrungen unter anderem in Kenia und Dominica. Ihre Dissertation, mit der sie bei dem Medizinhistoriker Prof. Murken in Aachen promovierte, trug den Titel „Die Geschichte des Medizinalwesens und die Traditionelle Heilkunde der Karibischen Insel Dominica”. Prof. Nikol absolvierte ihre ärztliche Weiterbildung in der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der RWTH Aachen, in der Kardiologie des Krankenhauses Maria Hilf II in Mönchengladbach sowie in der Abteilung Cardiovascular Research am St. Elizabeth’s Medical Center der Tufts University, Boston. 1992 wechselte sie an die Medizinische Klinik I (Kardiologie, Pulmonologie, Nephrologie) im Klinikum Großhadern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, wo sie sich 1999 mit dem Thema „Gentherapie zur Prävention der Restenose nach Angioplastie“ habilitierte. Im Jahr darauf wurde Nikol zur C3-Professorin für Molekulare Kardiologie an die Medizinische Klinik und Poliklinik C der Universität Münster (Direktor: Prof. G. Breithardt) berufen. Nach deren Aufbau leitete sie hier bis Januar die Angiologie im Universitätsklinikum der Westfälischen Wilhelms-Universität. Prof. Nikols wissenschaftliche Schwerpunkte liegen in der Pathophysiologie der Restenose nach Angioplastie, der Gentherapie zur Prävention der Restenose, der 666 Rolle von Genen, Zytokinen und Zelltherapie bei der Regulation der Myokardfunktion und Regeneration einschließlich Angiogenese bis hin zu klinischen Studien zur Regeneration von Myocard und Gefäßen mittels Zell- und Zytokintherapie. Sie ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften und Editorial boards, Trägerin mehrerer Forschungspreise sowie Autorin und Gutachterin zahlreicher Fachartikel und Förderanträge. Die neue Abteilung in der Asklepios Klinik St. Georg bietet neben Angiographien und therapeutischen Katheterinterventionen an peripheren Arterien und Venen (PTA) sowie regenerativen Therapien (Gen- und Stammzelltherapie) das gesamte Spektrum der nicht-invasiven Gefäßdiagnostik einschließlich Duplex- und Doppler-Sonographien der extremitätenversorgenden, abdominellen, retroperitonealen, intra- und extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße, Dopplerdruck-Messungen des systolischen Blutdrucks peripherer Arterien, Kapillaroskopien, Venenverschlussplethysmographien, Oszillographien, Licht-ReflexRheographien, transkutanen Sauerstoffdruckmessungen und Laufbandergometrien. Dr. Rainer Zahorsky Linksherzkatheter im Asklepios Westklinikum Hamburg-Rissen Mit dem Facharzt für Angiologie und Kardiologie Dr. Rainer Zahorsky bietet das Asklepios Westklinikum in seinem Herzzentrum Hamburg West seit Januar auch Linksherzkathetereingriffe an. Daneben gehören auch Kathetereingriffe an Hirnund peripheren Arterien zum neuen Behandlungsspektrum. Kontakt Dr. Rainer Zahorsky Herzzentrum Hamburg West am Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20, 22559 Hamburg Tel. (0 40) 81 91-20 27 Fax (0 40) 81 91-20 34 Kontakt Prof. Dr. Sigrid Nikol Klinische und Interventionelle Angiologie Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 24 01 Fax (0 40) 18 18-85 39 80 E-Mail: [email protected] Interdisziplinär Adipositastherapie im Adipositaszentrum Dr. Wolfgang Tigges Adipositas ist eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes. Die Weltgesundheitsorganisation hat Adipositas und Übergewicht als chronische Krankheit mit eingeschränkter Lebensqualität und hohem Krankheits- und Sterberisiko bewertet und zu Epidemien des 21. Jahrhunderts erklärt. Auch in Deutschland steigt die Zahl der an Adipositas leidenden Menschen Jahr für Jahr an. Heute schon ist jeder zweite Mann und jede dritte Frau übergewichtig.[1] Adipös ist ein Patient mit einem Body-MaßIndex (BMI) von mehr als 30, als normalgewichtig gilt ein BMI bis zu 25. Der BMI berechnet sich aus dem Körpergewicht in Bezug zum Quadrat der Körpergröße in Meter. Danach werden die weiteren Grade der Adipositas eingeteilt in Grad 2 (BMI 35 – 39,9) und extreme Adipositas Grad III (BMI ab 40). Adipositas bezeichnet primär keine psychologische, sondern eine körperliche Relevanz und hat daher zunächst einmal internistische Bedeutung. Ihren inzwischen anerkannten Krankheitswert bekommt die Adipositas durch eine Vielzahl von Folgeerkrankungen, insbesondere im Rahmen des Metabolischen Syndroms, das erhebliche Auswirkung auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung hat. Zu den Folgekrankheiten zählen z. B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus Typ II und degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch Krebserkrankungen werden bei Adipositas gehäuft beobachtet. Abgesehen von den körperlichen Folgeerkrankungen sind auch psychosoziale Konsequenzen wie erhöhte Depressivität, Ängstlichkeit, soziale Diskriminierung, Selbstwertminderung und soziale Isolation bedeutend. Die Gründe für die Entstehung von Übergewicht sind vielfältig und umfassen unter anderem genetische Faktoren, soziale Umwelteinflüsse, kulturelle Gewohnheiten, das Ausmaß an Bewegung und psychische Dispositionen.[2,3] Versorgungssituation in Deutschland Die Notwendigkeit der Behandlung übergewichtiger und adipöser Patienten konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden. Alleine durch die Gewichtsreduktion waren in bis zu 80 Prozent der Fälle ein Rückgang der Folgeerkrankungen und eine Verlängerung der Lebenserwartung nachzuweisen. Grundsätzlich ist die Behandlung von Übergewicht und adipösen Patienten eine interdisziplinäre Herausforderung für verschiedene Disziplinen, die miteinander die individuelle Therapie für den Patienten festlegen. Häufig bleibt der Patient sich selbst überlassen. Aus Unkenntnis oder von Vorurteilen geprägt werden Therapieempfehlungen abgegeben, die sich ausschließlich auf eine der Komponenten von Ernährungsberatung oder Verhaltenstherapie stützen, ohne den Patienten in der Therapie selbst zu begleiten. Die Folgeerkrankungen der Adipositas wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Störungen des Fettstoffwechsels und Herzkreislauferkrankungen werden dagegen erkannt und isoliert ohne Betrachtung der auslösenden Ursache des Übergewichtes therapiert. Durch ursächliche Behandlung der Adipositas könnten Folgeerkrankungen allein durch Gewichtsreduktion mit nachhaltiger Stabilisierung des Gewichtes behandelt werden. Da Adipositas eine chronische Erkrankung mit hoher Rezidivneigung ist, kommt es darauf an, über die eigentliche Phase der Gewichtsabnahme hinaus eine langfristige Gewichtsstabilisierung durch dauerhafte Verbesserung des Gesundheitsverhaltens zu erreichen.[4] Optimierte Behandlung der Adipositas im Adipositaszentrum Hamburg 2003 wurde am Asklepios Westklinikum Hamburg das Adipositaszentrum Hamburg gegründet. Hier entwickeln Spezialisten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam ein Konzept, das für jeden Patienten individuell die beste Lösung bietet, das Gewicht dauerhaft zu reduzieren. Abb. 1: Lagerung zur laparoskopischen Operation 667 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Abb. 2: OP-Team während laparoskopischer Operation Im Adipositaszentrum Hamburg sind mehrere Fachdisziplinen zusammengefasst: haben oder eine psychische Erkrankung der Operation entgegensteht. ■ Psychosomatische Abteilung, Chefarzt Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens ■ Innere Abteilung, Diabetologie, Angiologie/Kardiologie mit Schlaflabor, Chefarzt Prof. Dr. Manfred Dreyer ■ Innere Medizin, Gastroenterologie mit Oecotrophologie, Chefarzt Prof. Dr. Andreas Raedler ■ Chirurgische Abteilung, Chefarzt Dr. Wolfgang Tigges Grundsätzlich kommen hier entsprechend den Leitlinien der Adipositasgesellschaft alle Anwendungen der bariatrischen Chirurgie zum Tragen. Neben dem laparoskopischen Gastric Banding werden im Adipositaszentrum Magenbypassverfahren und Schlauch-Magenbildungen sowie Magenballon-Implantationen durchgeführt. Auch diese Operationen werden laparoskopisch durchgeführt. Für alle Patienten wird eine individuelle chirurgische Lösung gesucht. Dabei kann grob festgehalten werden, dass ein Patient mit einem BMI bis 45 mit einem Magenband versorgt werden sollte, ein Patient mit einem BMI über 50 mit einem Magenbypass. Insbesondere bei einem gleichzeitig vorliegenden Metabolischen Syndrom ist eine Magenbypassoperation vorzuziehen.[5,6] Eingebunden sind außerdem eine Selbsthilfegruppe sowie ein spezialisiertes Fitnessstudio. Dem Schweregrad der Adipositas entsprechend wird für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie festgelegt. Sie kann psychotherapeutische Behandlungen oder ein konservatives Ernährungstherapie-Programm „Schwerelos“ beinhalten, in ausgewählten Fällen der extremen Adipositas aber auch operative Eingriffe. Operative Behandlungen kommen für Patienten infrage, die einen BMI von mehr als 35 mit Folgeerkrankungen oder einen solchen von mehr als 40 aufweisen. Voraussetzung ist, dass bislang durchgeführte konservative Therapiemaßnahmen nicht dauerhaft zur gewünschten Gewichtsreduktion geführt 668 Tagesklinisches Konzept Mit der Tagesklinik „Stoffwechselerkrankung und Übergewicht“ bietet das Asklepios Westklinikum Hamburg eine bislang in der Bundesrepublik einmalige Möglichkeit, diese verschiedenen Therapieansätze zu intensivieren. Bei Patienten mit Essstörungen oder einem BMI > 35 kg/m² oder > 30 kg/m² mit Komorbiditäten ist die Ein- leitung einer tagesklinischen Therapie indiziert. Das Angebot richtet sich insbesondere an Patienten mit einem Umfeld (z. B. erforderliche Kinderbetreuung), das ein vollstationäres Konzept nicht zulässt, oder mit einer mittleren Schwere der Störungen, die keine stationäre Behandlung erfordert, oder Patienten, die vom täglichen Wechsel des Umfeldes und regelmäßiger Alltagserprobung profitieren und der Regressionsgefahr der stationären Behandlung nicht ausgesetzt werden sollen. Ebenso werden in diesem tagesklinischen Konzept Patienten betreut, bei denen ein operatives Verfahren indiziert ist. Hier erfolgt sowohl eine prästationäre Vorbereitung als auch eine poststationäre Betreuung, die in der Umstellungsphase der Essgewohnheiten nach Magenband oder Magenbypass-OP eine wichtige Begleittherapie darstellt. Auswahl der Patienten für das Adipositasprogramm Fakultativ können übergewichtige Patienten (BMI 25 – 30) von Hausärzten dem Adipositaszentrum zugewiesen werden. Eine obligate Vorstellung des Patienten sollte vom Hausarzt dann erfolgen, wenn ein BMI von mehr als 30, insbesondere aber mit bereits vorliegenden Folgeerkrankun- Interdisziplinär Abb. 3: Postoperative Röntgenkontrolle nach Magen- Abb. 4: Adipositas per magna, 38-j. Patientin unmittel- Abb. 5: Patientin ½ Jahr nach laparoskopischer Operation band – restriktiver Effekt bar nach laparoskopischer Operation und Gewichtsverlust von 30 kg gen besteht. Der Hausarzt wird vom Adipositaszentrum über die individuelle, nach interdisziplinären Gesichtspunkten entwickelte Behandlungsstrategie seines Patienten informiert. Nach abgeschlossenem Behandlungsprogramm erfolgt die weitere lebenslange Betreuung des Patienten in vierteljährlichen, später bei Stabilisierung der Gewichtsreduktion nach Ablauf von zwei Jahren in jährlichen Abständen. Es ist bekannt, dass die Therapiekonzepte im konservativen Ansatz mit Diäten und Verhaltenstherapien in einem hohen Maße durch erneute Gewichtszunahme im Sinne eines Jo-Jo-Effektes gekennzeichnet sind. Die derzeit wirksamste Methode, dauerhaft eine Gewichtsreduktion zu erzielen, ist die operative Therapie.[7] Den Behandlungsmodulen entsprechend wird der Hausarzt aufgefordert, unter ambulanten Bedingungen somatische Erkrankungen als Ursache der Adipositas auszuschließen. Dazu zählt insbesondere der Ausschluss endokrinologischer Erkrankungen durch die Bestimmung von Laborwerten (Cortisol, TSH). Ist der Patient für die operative Adipositastherapie vorgesehen, sollte der Hausarzt auch die Untersuchungen zum Ausschluss somatischer Begleiterkrankungen durch abdominelle Sonographie und Gastroskopie durchführen (Gallenblasenerkrankungen, Magenerkrankungen, Neoplasien). Zwischenzeitliche ambulante Vorstellungen nach eingeleiteter spezieller Adipositastherapie erfolgen zur Verlaufskontrolle beim Hausarzt, der entsprechend einem erwarteten Therapieerfolg durch das Adipositaszentrum festgelegte Kriterien überprüfen kann. Bei Abweichen der entsprechenden Parameter wird der Patient unmittelbar in die Sprechstunde des Adipositaszentrums zurücküberwiesen, auch außerhalb der festgelegten ambulanten Vorstellungszeiten. Kontakt Dr. Wolfgang Tigges Allgemein- und Viszeralchirurgie Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20, 22559 Hamburg Tel. (0 40) 81 91-24 00 Fax (0 40) 81 91-24 09 E-Mail: [email protected] Literatur [1] Ernährungsbericht 2004, Dt. Gesellschaft für Ernährung Durch verschiedene Behandlungsmodule, die vom Adipositaszentrum Hamburg angeboten werden, kann einerseits der mangelnde Therapieerfolg durch konservative Maßnahmen verbessert werden (Wegfall des Jo-Jo-Effektes), andererseits auch eine deutliche Beeinflussung der Folgeerkrankung stattfinden. Mit Einbindung der chirurgischen Therapie können darüber hinaus durch Reduktion von mindestens 50 Prozent des Übergewichts in den ersten beiden Jahren das Ausmaß der Folgekrankheiten nachhaltig reduziert sowie Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten deutlich verbessert werden. e.V. [2] Hell E, Miller K. Kriterien zur Selektion von Patienten für bariatrische Eingriffe, Zentral Chir 2002; 127: 1035-7. [3] Schüler-Schneider A. Psychosomatik der Adipositas, Chir Gastroenterol 2003; 19: 12-20. [4] Weiner S, Weiner R, Pomhoff I. Lebensqualität nach bariatrischen Eingriffen – ein Überblick Chir Gastroenterol 2003; 19: 70-5. [5] Buchwald H, Avidor Y, Braunwald E et al. Bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. JAMA. 2004 Oct 13; 292(14): 1724-37. [6] Buchwald H, Buchwald JN. Evolution of operative procedures for the management of morbid obesity 1950-2000. Obes Surg. 2002 Oct; 12(5): 705-17. [7] Sjöström L, Lindroos AK, Peltonen M et al. Lifestyle, diabetes, and cardiovascular risk factors 10 years after bariatric surgery. N Engl J Med. 2004 Dec 23; 351(26): 2683-93. 669 Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009 Das Darmzentrum der Asklepios Klinik Altona Dr. Martin Keuchel*, Prof. Dr. Wolfgang Schwenk*, Dr. Dietrich Braumann*, Priv.-Doz. Dr. Florian Würschmidt**, Frank Kühl*, Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller* * Asklepios Klinik Altona ** Radiologische Allianz Mörkenstraße, Hamburg Die Deutsche Krebsgesellschaft hat jüngst mit Übergabe der Urkunde durch Prof. Dr. Ulrich Kleeberg, Vorstandsmitglied der DKG und Pionier des Onkologie-Standorts Hamburg, die Asklepios Klinik Altona als Darmzentrum anerkannt. Das „Organzentrum Darm“ versteht sich als Teil des ebenfalls zertifizierten Tumorzentrums der Klinik. Keimzelle des Darmzentrums ist die seit Jahren etablierte „GastroClinic“ der Asklepios Klinik Altona, eine interdisziplinäre Einrichtung der Abteilungen für Gastroenterologie und Viszeralchirurgie. Dreh- und Angelpunkt für fachliche Entscheidungen ist das interdisziplinäre Tumorboard. Aufgabe des Darmzentrums ist die evidenzbasierte Behandlung aller Patienten mit intestinalen Tumoren und anderen Erkrankungen der Verdauungsorgane durch ein hoch spezialisiertes, interdisziplinäres Expertenteam mit hohen Fallzahlen. Die maßgeschneiderte Therapie für jeden Patienten auf höchstem Qualitätsniveau ist das Ziel. Mit besonderer Intensität widmet sich das Team des Darmzentrums der Behandlung des kolorektalen Karzinoms, die Diagnose bedeutet keineswegs immer den chirurgischen Eingriff. Vorsorge und Behandlung des kolorektalen Karzinoms Seit 2002 wird in Deutschland für alle gesetzlich versicherten Bürger ab 55 Jahren eine Vorsorge-Koloskopie angeboten. Sie erlaubt eine echte Prävention durch Entfernung von Polypen als Vorstufen des kolorektalen Karzinoms. Findet sich in einem solchen Polypen ein Karzinom, kann bei frühen Formen mit hoher Differenzierung, freien Resektaträndern, allenfalls minimaler Infiltration der Submukosa und fehlender Lymph- und Veneninfiltration die endoskopische Therapie ausreichend sein. 670 Durch endoskopische Mukosaresektion lassen sich heute auch große flache Polypen abtragen. Bei frühen Karzinomen kann durch endoskopische Submukosadissektion eine enbloc Resektion erfolgen. Chromoendoskopie und Farbfilter verbessern die Diagnostik. Der Stellenwert der in Altona neu verfügbaren „optischen Biopsie“ durch konfokale Lasermikroskopie muss sich noch beweisen. Bei der Behandlung früher Karzinome ist der Dialog zwischen Endoskopiker, Pathologe und Chirurg gefragt. Ist eine Nachresektion erforderlich, kann die endoskopische Markierung der Abtragungsstelle die Operation erleichtern. Weiter können heute zahlreiche Dickdarmkarzinome minimal-invasiv reseziert werden, ohne dass die onkologischen Langzeitergebnisse dadurch gefährdet werden. Beim Rektumkarzinom ist neben der histologischen Diagnose auch eine exakte Sta- dieneinteilung (CT/MRT und Endosonographie) wichtig. Liegt ein Stadium T3 und/oder N1 vor, kann eine neo-adjuvante Radio-Chemotherapie vor der Operation die Prognose verbessern. Nach gemeinsamer Wertung der Befunde und Beschlussfassung im Tumorboard wird die ambulante RadioChemotherapie mit den niedergelassenen Kollegen initiiert, die Anlage eines Venenports vereinbart und die anschließende Rektumresektion – unter Umständen wiederum als laparoskopischer, minimalinvasiver Eingriff – gebahnt. Nach der Resektion wird der Patient erneut im Tumorboard besprochen und festgelegt, ob eine nachfolgende adjuvante Chemotherapie aufgrund des pathologischen Stadiums erforderlich ist. Auch in metastasierten Situationen kann den Patienten vielfältige Hilfe angeboten werden. Neben der CT bietet hier die Kontrastmittel-Sono- Interdisziplinär Die Tumorkonferenz tagt dreimal wöchentlich im Hörsaal der Asklepios Klinik Altona graphie für Lebermetastasen ausgezeichnete Detektionsraten. Die vollständige Resektion von bis zu drei Lebermetastasen kann mit einer Langzeitheilung einhergehen. Dagegen erlaubt die sonographisch gesteuerte Radiofrequenzablation RFA (ggf. auch intraoperativ) oder die radiologische transarterielle perkutane Chemoembolisation (TACE) die erfolgreiche palliative Behandlung nicht resektabler Lebermetastasen. Bei diffusem Befall kommen systemische Chemotherapien in Betracht, ggf. auch als second oder third line Therapie, sowie die Gabe monoklonaler Antikörper. Chirurgische und endoskopische Palliativeingriffe stehen bei fortgeschrittenen Tumoren ebenso zur Verfügung wie palliative Bestrahlung oder Plexusblockade. Es wird jedoch nicht das medizinische Problem behandelt, sondern der Kranke in seiner Ganzheit als menschliches Wesen. Hier sind neben persönlicher Zuwendung der medizinisch Verantwortlichen auch der Einsatz der Seelsorger und Psychologen wichtig. Bei Bedarf kümmern sich Schmerztherapeuten, Sozialarbeiter oder Stomatherapeuten um den Patienten. Bei Karzinomen junger Patienten oder familiären Erkrankungen besteht die Möglichkeit einer genetischen Beratung und gezielten Genanalyse. Besondere Situationen eines Patienten können zum Abweichen von den Leitlinien führen. Dies wird dann von allen Mitgliedern des Tumorboards nach Diskussion getragen und nicht als einsame Entscheidung eines einzelnen Arztes. Qualitätssicherung Wichtiger Bestandteil eines Darmzentrums ist die Qualitätssicherung. Hierzu gehört das in Altona vorhandene klinische Krebsregister. Ausgewählte Daten von Darmkrebs-Patienten werden in einer Datenbank erfasst. Die Software ermöglicht zudem die Übertragung ausgewählter Daten an das Hamburger Krebsregister. In regelmäßigen Abständen werden Dokumentare den Kontakt zu Arztpraxen suchen, um sich über den weiteren Verlauf der Behandlung zu informieren und die Verlaufsdaten zu dokumentieren. Der Sicherstellung einer leitliniengerechten Behandlung dient ein 1.300 Seiten umfassendes Behandlungspfade-Handbuch. Leitlinien und Standards beschreiben die medizinischen Prozesse von der Aufnahme des Patienten bis zur postoperativen Versorgung und sind im Intranet einsehbar. ligten Klinikern und Niedergelassenen wird die leitlinienbasierte Behandlung festgelegt und dokumentiert. Gerade für jüngere Ärzte hat dies einen hohen Lerneffekt. Die Konferenzen sind als Fortbildungsveranstaltung von der Ärztekammer Hamburg anerkannt. Das Zertifikat „Darmzentrum“ ist kein Qualitätssiegel für die Ewigkeit. Zur Aufrechterhaltung des Status überprüfen externe Auditoren jährlich erneut die Strukturen, Prozesse und Behandlungsergebnisse des Darmzentrums. Eine Rezertifizierung erfolgt in drei Jahren. Kontakt Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller Medizinische Abteilung – Gastroenterologie Asklepios Klinik Altona Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg Das intraoperative Controlling sichert die chirurgische Qualität neben den etablierten prä- und postoperativen Maßnahmen. Zu festgelegten Momenten eines Eingriffes wird ein zweiter Chirurg – außerhalb des Operationsteams – zur Operation gebeten. Er dient als Korrektiv für die intraoperative Diagnose, die Festlegung der operativen Strategie und schließlich des Ergebnisses. Tel. (0 40) 18 18-81 12 01 Fax (0 40) 18 18-81 49 02 In den regelmäßig stattfindenden Tumorkonferenzen werden dem Tumorboard alle Patienten mit Darmkrebs vorgestellt. Im interdisziplinären Gespräch mit den betei- Tel. (0 40) 18 18-81 16 01 Fax (0 40) 18 18-81 49 07 E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Wolfgang Schwenk I. Chirurgische Abteilung – Allgemein- und Viszeralchirurgie Asklepios Klinik Altona Paul-Ehrlich-Straße 1 22763 Hamburg E-Mail: [email protected] 671 ISSN 1863-8341 Am Anfang war der Feuerstein – die Geschichte der Neurochirurgie Jens Oliver Bonnet Die Schädeltrepanation gehört zu den ersten chirurgischen Eingriffen, das zeigen etwa 12.000 Jahre alte paläoanthropologische Funde aus Marokko. So weist ein in der Nekropole von Taforalt entdecktes Teil eines Schädelgewölbes ein vernarbtes Loch von einer Schädeltrepanation auf. Die Vernarbung zeigt, dass der Patient den Eingriff überlebt haben muss. Die dabei angewendete Schabemethode war zugleich die älteste Technik zur Eröffnung des Schädeldachs eines Lebenden und die schonendste: Mit einem Feuersteinschaber wurde nach Umklappen der Kopfschwarte das knöcherne Schädeldach in einem umschriebenen Bezirk geöffnet. Die Überlebenschancen für einen derartigen Eingriff betrugen im Neolithikum etwa 73 Prozent, während die von den Griechen und Römern praktizierte modernere Methode mit einem Kronentrepan nur von der Hälfte der Patienten überlebt wurde.[1] Hippokrates (450 – 370 v. Chr.) verwendete drei Formen von Trepanen, die er für verschiedene Anwendungen auswählte: Neben dem gewöhnlichen Kronentrepan setzte er ein schärfer gezähntes Instrument für putride und purulente Knochenteile ein, die von dem gewöhnlichen Trepan zu stark gerissen worden wären, und einen geraden Bohrer zum Bohren kleiner Öffnungen, den Perforativtrepan.[2] Im frühen Mittelalter verbot die Kirche Trepanationen an lebenden Menschen. Im 16. Jahrhundert kam sie wieder in Mode, neben den typischen Werkzeugen wie Hammer, Meißel oder Messer wurden nun auch Schraubapparate oder primitive Bohrgeräte eingesetzt. Zu dieser Zeit schnitten auch zahlreiche Scharlatane den Patienten gegen Geld angeblich Steine und sogar Tiere aus dem Kopf. Eine solche „Operation“ zeigt Hieronymus Bosch in seinem Gemälde „Das Steinschneiden“ (Museo del Prado, Madrid). Als Geburtsland der modernen Neurochi- www.medtropole.de Fedor Krause rurgie gilt Großbritannien: 1876 zeigte der Londoner Chirurg William MacEwen, dass es möglich ist, aus der klinischen Beobachtung der motorischen und sensorischen Funktionen auf die Lokalisation eines Tumors oder einer Läsion im Hirn zu schließen. So diagnostizierte er einen Abszess im Frontallappen eines Jungen, doch die Eltern verweigerten die Operation. Die Autopsie des Jungen bestätigte MacEwens Diagnose. 1879 führte er schließlich die erste erfolgreiche intrakranielle Operation durch, indem er ein allein anhand klinischer Symptome lokalisiertes Meningeom entfernte. Die Patientin, ein junges Mädchen, lebte nach dieser Operation noch acht Jahre.[3] 1884 führten der Chirurg Rickman John Godlee und der Neurologe Alexander Hughes Bennett in London die erste erfolgreiche Hirntumorexstirpation durch. entwickelt schonende Operationstechniken, die zum Teil noch heute grundlegend bei Operationen am Frontallappen, dem Ganglion Gasseri oder im Bereich des Chiasma opticum sind. So fand er den Weg zur Hypophyse bei der Entfernung einer Revolverkugel, die bis zum hinteren Rand der Orbita eines Patienten vorgedrungen war. 1908 operierte Krause an der Charité den ersten lumbalen Bandscheibenvorfall.[4] Doch trotz der grundlegenden Arbeiten und Erfolge der zu dieser Zeit weltweit führenden deutschen Chirurgen ging die Entwicklung der Neurochirurgie in der Gründerzeit von den USA aus. Der Chirurg Harvey Cushing gilt als Begründer der Neurochirurgie, da er unter anderem die weltweit erste Schule für Neurochirurgie in Boston gründete. Durch verbesserte Operationstechniken und -zugänge sowie die Einführung von Narkoseprotokollen senkte Cushing die damals hohe Mortalitätsrate der Hirnoperationen von 90 auf sechs Prozent.[5] Die moderne Neurochirurgie wurde 1967 von Mahmut Gazi Yasargil in Zürich mit Etablierung des OP-Mikroskops und der Mikroneurochirurgie eingeläutet. Ein weiterer Meilenstein war ab 1990 die Entwicklung der Neuronavigation. Literatur [1] Grossinger, R. Wege des Heilens: Vom Schamanismus der Steinzeit zur heutigen modernen Alternativmedizin, München 1985. Der 25-jährige Patient verstarb aber am 28. post-OP-Tag an einer eitrigen Meningitis. 1886 lokalisierte Victor Horsley epileptische Foci erstmals durch eine intraoperative elektrische Stimulation. Die Geschichte der modernen Neurochirurgie in Deutschland beginnt unter anderem in HamburgAltona. Hier wird Fedor Krause 1892 Oberarzt im Städtischen Krankenhaus und [2] Kühlewein H. Die chirurgischen Schriften des Hippocrates. In: Jahresbericht über die Königliche Klosterschule zu Ilfeld. Nordhausen 1898: 12. [3] Canale DJ. William MacEwen and the treatment of brain abscesses: revisited after one hundred years. J Neurosurg. 1996 Jan; 84(1):133-42. [4] Rosegay H. The Krause operations. J Neurosurg 1992; 76: 1032-6. [5] Eckart WU. Ärzte Lexikon. Springer, Heidelberg 2006