medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte

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med tropole
Nr. 17 April 2009
HIRN-SONOGRAPHIE
zur Früherkennung des Morbus Parkinson
DEPRESSION
Neues zu Diagnostik und Therapie
„NO SUTURE IN THE FUTURE?“
Elektive Makulachirurgie
Aktuelles aus der Klinik
für einweisende Ärzte
Editorial
Impressum
Liebe Leserinnen und Leser,
Redaktion
Jens Oliver Bonnet
(verantw.)
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens
Prof. Dr. Christian Arning
PD Dr. Oliver Detsch
Dr. Birger Dulz
PD Dr. Siegbert Faiss
Dr. Christian Frerker
Dr. Annette Hager
Dr. Susanne Huggett
Prof. Dr. Uwe Kehler
Dr. Jürgen Madert
Dr. Ulrich Müllerleile
Dr. Ursula Scholz
PD Dr. Gunther Harald Wiest
Prof. Dr. Gerd Witte
Cornelia Wolf
Herausgeber
Asklepios Kliniken
Hamburg GmbH
Unternehmenskommunikation
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.
Rübenkamp 226
22307 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-82 66 36
Fax (0 40) 18 18-82 66 39
E-Mail:
[email protected]
Auflage: 15.000
Erscheinungsweise:
4 x jährlich
ISSN 1863-8341
vor Ihnen liegt die neue Ausgabe der Medtropole, die wiederum versucht, dem
ureigensten Bedürfnis der Ärzte in Klinik und Praxis gerecht zu werden, indem
sie für Wissens- und Informationsaustausch untereinander sorgt. Informationsaustausch ist aber genauso wichtig für unsere Patienten, die gerne die Information aus erster Hand haben und nicht „weitergereicht“ werden möchten.
Am 16. Juni 2008 stellten Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, Deutsche
Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren den „Nationalen Krebsplan“ zur besseren Versorgung von Krebspatientinnen und
-patienten vor. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts waren 2004 insgesamt 436.500 Krebsneuerkrankungen zu verzeichnen. In diesem Kontext ist der Beitrag von Dr. Kreitz aus der AK St. Georg
zu sehen, der die operative Behandlung von Knochenmetastasen zur Verbesserung der Lebensqualität beschreibt. Bei der Ergebnisqualität onkologischer Behandlungen liegt Deutschland (verglichen mit anderen Staaten der EU, USA und Japan) im unteren Drittel, was sich unter anderem
durch die mangelhafte Interdisziplinarität bei der Versorgung onkologischer Patienten begründet.
Das Problem kann in der inneren Organisation der Akutkrankenhäuser gesehen werden, die
durch medizinisch fachliche Spezialisierung geprägt ist. Dies zeigt die zwingende Notwendigkeit,
den Umbau der Versorgungssysteme insbesondere bei Krebserkrankungen voranzubringen und
zu fördern. Ziel muss die Verbesserung von Früherkennung und Heilungsraten sein. In den
großen Kliniken werden sich weiter Zentren entwickeln, da sich in unserem Gesundheitswesen
zunehmend eine problemorientierte Sicht der medizinischen Versorgung durchsetzt. Dies zeigt
sich auch in der Entwicklung von Zentrumsstrukturen, in denen medizinische Disziplinen auf
ambulanter wie stationärer Basis miteinander verknüpft sind. Die medizinischen wie ökonomischen Vorteile der Zentrumsbildung zeigen die Beispiele der Darm- und Adipositaszentren, die
Prof. Hagenmüller und Dr. Tigges in diesem Heft vorstellen. Integrierte Konzepte, kollegiale
Interdisziplinarität ohne „Fürstentümer“ sowie strukturelle Anpassungen sollen hier Prozessund Ergebnisqualität weiter verbessern.
Gleiches gilt übrigens für die „Hanseatischen Klinikkonferenzen“, eine neue gemeinsame Fortbildungsreihe der Hamburger Asklepios Kliniken, zu der wir Sie gern willkommen heißen.
Mehr dazu erfahren Sie im Beileger dieses Heftes.
Mit besten Wünschen
Ihr
Prof. Dr. Hanswerner Bause
Ärztlicher Direktor, Asklepios Klinik Altona
Inhalt
644 | NEUROLOGIE
Hirn-Sonographie zur Früherkennung des Morbus Parkinson
S. 644
647 | UNFALLCHIRURGIE
Operative Behandlung von Knochenmetastasen
S. 647
651 | PSYCHIATRIE
Neues zur Diagnostik und Therapie der Depression
655 | NEUROCHIRURGIE
Lumbale Spinalkanalstenose mit Claudicatio spinalis
658 | CHIRURGIE
Minimal invasive Chirurgie – MIC® Stellenwert und evidente Indikationen
661 | AUGENHEILKUNDE
„No suture in the future?“ – Elektive Makulachirurgie
S. 661
664 | PERSONALIA
667 | INTERDISZIPLINÄR
Adipositastherapie im Adipositaszentrum
670 | INTERDISZIPLINÄR
Das Darmzentrum der Asklepios Klinik Altona
672 | GESCHICHTE DER MEDIZIN
Am Anfang war der Feuerstein –
die Geschichte der Neurochirurgie
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Hirn-Sonographie zur Früherkennung
des Morbus Parkinson
Prof. Dr. Christian Arning, Dr. Jürgen Rieper, Dr. Haiko Kazarians
Die Sonographie der Hirnbasisarterien ist heute Standardverfahren bei Gefäßpatienten. Leitstrukturen im Ultraschall-Schnittbild erlauben die Identifizierung verschiedener Gefäße und Gefäßabschnitte: So ist der mesenzephale
Hirnstamm, der sich im Ultraschallbild als schmetterlingsförmige echoarme Struktur beidseits der Mittellinie
darstellt, eine wichtige Leitstruktur für die Identifizierung der A. cerebri posterior. Auffällige Signalveränderungen
im Mesenzephalon wurden bei der Gefäßdiagnostik an Parkinson-Patienten zunächst zufällig gefunden, bei
systematischer Aufarbeitung an dieser Patientengruppe dann regelmäßig nachgewiesen. Obwohl die Bedeutung
dieser Befunde noch nicht in allen Einzelheiten geklärt ist, hat die Methode inzwischen das Forschungslabor
verlassen und wird – neben nuklearmedizinischen Verfahren – zur Früherkennung des M. Parkinson eingesetzt.
Erstaunlicherweise zeigt die Sonographie
gewebliche Veränderungen im Hirnparenchym, die weder mit CT noch mit MRT
nachweisbar sind. Ultraschallbilder entstehen ja auf völlig anderer biophysikalischer
Grundlage als CT- oder MRT-Bilder: Das
Ultraschallbild unterscheidet verschiedene
Gewebe durch unterschiedliche Eigenschaften bei der Reflexion akustischer Wellen, während das CT die unterschiedliche
Absorption von Röntgenstrahlen und das
MRT die unterschiedliche Relaxationszeit
magnetisch angeregter Protonen für die
Bildgebung ausnutzt.
Methode
Die Untersuchung erfolgt wie zur Diagnostik der Hirnbasisarterien (A. cerebri media
und A. cerebri posterior) am liegenden
Patienten. Mit einem Phased-array-Schallkopf (Sendefrequenz 2 – 2,5 MHz) erfolgt
die Sonographie durch das temporale
„Schallfenster“ der Schädelkalotte (Abb. 1).
644
Zunächst wird eine axiale Ebene eingestellt,
etwa der Orbitomeatallinie des kranialen
CT beziehungsweise MRT entsprechend
(Abb. 2b). Hier stellt sich das Mittelhirn
mit der Substantia nigra (SN) als echoarme
Schmetterlingsfigur dar (Abb. 2c). In einer
zweiten schräg-axialen Ebene werden der
Thalamus, der 3. Ventrikel und der Linsenkern dargestellt (Abb. 1b).
Abb. 3 zeigt den typischen Befund bei M.
Parkinson: Im anatomischen Bereich der
SN findet sich eine hyperechogene Struktur, die sich im sonst echoarm dargestellten
Mesenzephalon abgrenzen lässt. Der Befund
wird vermessen und nach der Größe der
betroffenen Fläche quantifiziert. Die Untersuchung erfordert ein hoch auflösendes
Ultraschallgerät und erfolgt mit standardisierter Geräteeinstellung. Da sich die Messwerte verschiedener Ultraschallsysteme
unterscheiden, muss jedes Labor seine
Normwerte mit einer eigenen altersangepassten Kontrollgruppe erstellen. Als nor-
mal gelten bei Verwendung des Systems
Siemens Sonoline Elegra™ Hyperechogenitäten von <2 0 mm2, als auffällig Werte
von 20 – 25 mm2 und als pathologisch Werte
von > 25 mm2.
Ergebnisse
Die beschriebene Hyperechogenität in der
Substantia nigra ist charakteristisch für das
idiopathische Parkinson-Syndrom (M. Parkinson): 80 Prozent der Patienten mit M.
Parkinson weisen einen pathologischen
Ultraschallbefund auf, bei weiteren zehn
Prozent finden sich auffällige, aber nicht
eindeutig pathologische Werte.[2 – 4] Bei Parkinsonkranken mit Manifestation vor dem
60. Lebensjahr sind pathologische Befunde
in 100 Prozent nachweisbar.[5]
Studien mit absolut verblindeten Untersuchern zeigten einen positiven prädiktiven
Wert für die Diagnose M. Parkinson von 86
Prozent und einen negativen prädiktiven
Neurologie
a
b
Abb. 1: Untersuchungstechnik:
a) Platzierung des Schallkopfs am temporalen „Schallfenster“ analog der Hirngefäßdiagnostik
(aus Arning[1]). b) Einstellung einer axialen Ebene parallel zur Orbitomeatallinie (1) zur
Darstellung des Mittelhirns sowie einer schräg-axialen Ebene (2) zur Darstellung des
3. Ventrikels und des Linsenkerns (nach Walter et al.,[3] modifiziert).
a
b
c
Abb. 2: Axiale Schnittebene parallel zur Orbitomeatallinie – a) Schema, b) MRT, c) Ultraschallbild (1: A. cerebri media, 2: A. cerebri anterior,
3: A. cerebri posterior, 4: Mittelhirn). Im Ultraschallbild sind Gefäße mit Strömungsrichtung auf den Schallkopf zu rot kodiert, vom Schallkopf weg blau kodiert.
Wert von 83 Prozent.[6] Dabei ist bemerkenswert, dass auch bei gesunden Personen in zehn Prozent eine pathologische
Hyperechogenität gefunden wird. Möglicherweise liegt hier eine Parkinson-Prädisposition vor. Bei psychiatrischen Patienten
mit Neuroleptikatherapie wurde eine enge
Korrelation zwischen SN-Hyperechogenität
und extrapyramidalen Nebenwirkungen
nachgewiesen[2]: Dies spricht für eine subklinische Dysfunktion des nigrostriatalen
Systems. Nach bisherigen Untersuchungen
ist die SN-Hyperechogenität unabhängig
vom Krankheitsstadium. Verlaufsbeobachtungen liegen erst für einen Zeitraum von
fünf Jahren vor und zeigen hier keine Veränderung.[2]
M. Parkinson
PSP
Hyperechogenität Substantia nigra
+
-
-
Hyperechogenität Linsenkern
-
+
+
Erweiterung 3. Ventrikel >10 mm
-
-
+
Tab. 1: Befundkonstellation bei verschiedenen Parkinson-Syndromen
eine Erweiterung des 3. Ventrikels.[2] Die
kombinierte Untersuchung dieser drei
Kriterien macht die Diagnose des M. Parkinson noch sicherer (Tab. 1): So schließt
eine normal echogene SN bei gleichzeitig
hyperechogenem Linsenkern einen M. Parkinson aus.
Methodische Probleme
Auch bei anderen Parkinson-Syndromen
zeigt die Hirnparenchymsonographie
typische Veränderungen: Bei Multisystematrophie (MSA) und Progressiver supranuklärer Blickparese (PSP) findet sich eine
Hyperechogenität des Linsenkerns, bei PSP
MSA
Wie bei allen Ultraschall-Untersuchungen
hängen auch hier die Ergebnisse von Qualifikation und Ausbildungsstand des Untersuchers ab. Außerdem muss ein hochwertiges Ultraschallgerät mit spezieller
Schallsonde verfügbar sein. Sind diese
Bedingungen nicht erfüllt, sind die Ergebnisse der Hirnparenchymsonographie
unbefriedigend.[7]
Eine mögliche Einschränkung sind
außerdem unzureichende Untersuchungsbedingungen bei nicht ausreichendem
Schallfenster. Abhängig von Lebensalter
und Geschlecht der Patienten ist eine ausreichende Beurteilung in 10 – 20 Prozent
der Fälle nicht möglich. Insbesondere bei
älteren Frauen ist die Durchschallung der
Schädelkalotte erschwert.[3]
645
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
a
b
Abb. 3: Darstellung des Mittelhirns mit Ultraschall und MRT – a) echoreiche Zone im anatomischen Bereich der
Substantia nigra, b) MRT zum Vergleich
a
b
Abb. 4: Quantitative Bestimmung der Hyperechogenität – a) Das Mittelhirn wird stark vergrößert dargestellt,
b) die hyperechogene Struktur wird auf der zur Sonde ipsilateralen Seite umfahren und planimetrisch vermessen
Klinische Relevanz
der Ultraschallbefunde
Die Differenzierung verschiedener Parkinson-Syndrome ist klinisch – insbesondere
im Frühstadium – nicht immer eindeutig
möglich. Die Unterscheidung ist aber
wünschenswert, da zum Beispiel DopaminAgonisten bei M. Parkinson im Frühstadium
besonders vorteilhaft sind, Patienten mit
MSA oder PSP davon aber nicht profitieren.
Untersuchungen werden zeigen, ob diese
oder andere Substanzen den Verlauf der
Erkrankung modifizieren können. Mit der
Hirnparenchymsonographie steht jedenfalls ein Werkzeug zur Frühdiagnose des
M. Parkinson zur Verfügung.
Literatur
[1] Arning C. Farbkodierte Duplexsonographie der hirn-
Kontakt
Prof. Dr. Christian Arning
Abteilung Neurologie
Asklepios Klinik Wandsbek
Alphonsstraße 14, 22043 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-83 14 13
Fax (0 40) 18 18-83 16 31
E-Mail: [email protected]
versorgenden Arterien. Ein Text-Bild-Atlas der methodischen Grundlagen, normalen und pathologischen Befunde,
Besonders vorteilhaft wäre eine ParkinsonFrühdiagnose, um mit Neuroprotektion
das Fortschreiten oder überhaupt das Auftreten der Erkrankung zu verhindern.
Bei Manifestation der ersten motorischen
Symptome liegen ja bereits ein SN-Neuronenverlust von 60 Prozent und eine
Reduktion von Dopamin im Striatum von
80 Prozent vor. Möglicherweise hat Rasagilin neuroprotektive Wirkung, die Datenlage
hierzu ist aber noch uneinheitlich. Weitere
646
3. Auflage. Stuttgart – New York, Thieme, 2002.
[5] Walter U, Dressler D, Probst T et al. Transcranial brain
[2] Berg D, Behnke S, Walter U. Application of transcranial
sonography findings in discriminating between parkinso-
sonography in extrapyramidal disorders: updated recom-
nism and idiopathic Parkinson disease. Arch Neurol 2007;
mendations. Ultraschall Med 2006; 27: 12-9.
64: 1635-40.
[3] Walter U, Behnke S, Eyding J et al. Transcranial brain
[6] Prestel J, Schweitzer KJ, Hofer A, Gasser T, Berg D. Pre-
parenchyma sonography in movement disorders: state of
dictive value of transcranial sonography in the diagnosis of
the art. Ultrasound Med Biol 2007; 33: 15-25.
Parkinson’s disease. Mov Disord 2006; 21: 1763-5.
[4] Gaenslen A, Unmuth B, Godau J et al. The specificity
[7] Vlaar AM, de Nijs T, van Kroonenburgh MJ et al. The
and sensitivity of transcranial ultrasound in the differential
predictive value of transcranial duplex sonography for the
diagnosis of Parkinson’s disease: a prospective blinded
clinical diagnosis in undiagnosed parkinsonian syndromes:
study. Lancet Neurol 2008; 7: 417-24.
comparison with SPECT scans. BMC Neurol 2008; 8: 42.
Unfallchirurgie
Operative Behandlung
von Knochenmetastasen
Dr. Nikolaus Kreitz
Erhaltung oder Wiederherstellung der Mobilität und Schmerzreduktion sind die entscheidenden Ziele der palliativen
Knochenmetastasentherapie. Dabei werden, soweit möglich, eine Tumorreduktion und eine Stabilisierung mittels
Prothese, Osteosynthese oder Spondylodese durchgeführt. Im Anschluss sind fast immer eine Radiatio und eine
systemische Therapie indiziert, um ein Lokalrezidiv und das Fortschreiten der malignen Erkrankung zu verzögern.
Eine weite oder radikale Resektion nach
Enneking [3] ist bei einer Metastasierung
meist nicht zu erreichen und auch nicht
sinnvoll, da sie zu keiner Lebensverlängerung führt. Meist erfolgt im Sinne der
onkologischen Qualität nach Enneking [3]
eine intraläsionale Resektion.
Die Indikation für eine operative Therapie
bei Knochenmetastasen muss individuell
gestellt werden. Neurologisches Defizit,
Art des Primärtumors und Progressionsgeschwindigkeit, Alter und Allgemeinzustand (Karnofsky-Index[4]) des Patienten
mit Nebendiagnosen, Verhalten unter
Chemo- und Strahlentherapie sowie Lage
und Anzahl der Skelett- und Organmetastasen sind Faktoren zur Entscheidungsfindung. Die Vor- und Nachteile eines operativen Eingriffes und der Nachbehandlung
müssen gemeinsam mit dem Patienten
besprochen und der Prognose angepasst
werden.
Allgemeine Indikationskriterien
■ Neurologisches Defizit
■ Resultate und Risiken nichtoperativer
Behandlungsverfahren
■ Schmerzcharakteristik
■ Alter, Allgemein- und Ernährungszustand des Patienten, Begleitrisiken
■ Prospektive Überlebenszeit
■ Zahl der Skelettmetastasen
■ Organmetastasen
■ Progressionsgeschwindigkeit des
Tumorleidens
■ Histologie des Primärtumors
■ Lokalbefund
■ Behandlungs- und Therapiewunsch
des Patienten
Auftreten von Knochenmetastasen
Knochenmetastasen werden beim TumorScreening gefunden, als Zufallsbefund im
Rahmen anderer Diagnostik oder sie
machen sich durch belastungsabhängige
Schmerzen bemerkbar. Wird die Schmerzsymptomatik ignoriert oder durch Analgetika kaschiert, kommt es im Verlauf zu
pathologischen Frakturen. Die ossäre
Metastasierung befällt in absteigender
Häufigkeit Wirbelkörper, proximales
Femur, Becken, Rippen, Sternum und den
proximalen Humerus.[1,2,3] Ursächlich sind
in unserem Krankengut zu 85 % das Bronchial-, das Mamma-, das Prostata- und das
Nierenzellkarzinom.[5]
Behandlung von Metastasen an den
langen Röhrenknochen
Die präoperative Diagnostik mit nativen
Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen mit
den angrenzenden Gelenken wird bei
unklarer Stabilität durch eine Computertomographie zur Beurteilung der Kortikalisdicke erweitert. Schmerz ist ein klinisches
Zeichen für eine Instabilität und drohende
647
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Abb. 1: Röntgen nativ
Abb. 2, 3: Prothese
pathologische Fraktur. Die Magnetresonanztomographie gibt Auskunft über den
begleitenden Weichteiltumor und Nähe zu
Gefäßen und Nerven. Bei vaskularisierter
Metastase (bei bekanntem Primärtumor) ist
eine Angiographie zur OP-Planung sinnvoll.
Diagnostik Röhrenknochen
■ Röntgen nativ mit angrenzenden
Gelenken in zwei Ebenen
■ ggf. Computertomographie
■ ggf. Magnetresonanztomographie
■ ggf. Angiographie
Zur Einschätzung des Frakturrisikos an
langen Röhrenknochen kann man die Klassifikation nach Mirels [6] zu Hilfe nehmen.
Ab acht Punkten liegt ein hohes Frakturrisiko vor:
Risikofaktoren
Lokalisation
Läsion
Schmerz
Größe
648
obere Extremität
untere Extremität
proximaler Oberschenkel
osteoblastisch
gemischt
osteoklastisch
gering
mäßig
schwer
< 1/3 der kortikalen Zirkumferenz
1/3 – 2/3 der kortikalen Zirkumferenz
> 2/3 der kortikalen Zirkumferenz
Abb. 4: Verbundosteosynthese
Ist bei unbekanntem Primärtumor eine Probeexzision erforderlich, ist diese nicht an
der günstigsten Zugangsstelle, sondern im
späteren Hautschnittverlauf des Zugangswegs zur Resektion und Stabilisierung zu
wählen. Muss eine Drainage in die Wundhöhle eingelegt werden, wird sie ebenfalls
immer in unmittelbarer Nähe des späteren
Hautschnittverlaufs herausgeleitet. So wird
die Aussaat von Tumorgewebe vermieden.
Gelenknah am proximalen Femur lässt sich
operativ ein großer Tumorteil resezieren
und durch eine belastungsstabile zementierte Hüftendoprothese ersetzen. Die
Schmerzreduktion setzt postoperativ direkt
ein und der Patient kann sofort unter Vollbelastung mobilisiert werden (Abb. 1, 2, 3).
Ist am Humerus die Osteolyse weit fortgeschritten oder liegt eine pathologische
Fraktur vor, lässt sich durch eine TumorPunkte
1
2
3
1
2
3
1
2
3
1
2
3
Abb. 5, 6, 7: Osteosynthese mit Marknagel
reduktion und Plattenosteosynthese ggf.
mit winkelstabilem Implantat in Verbindung mit in die Markhöhle eingebrachtem
Knochenzement (Palacos®) am Arm eine
Übungsstabilität und frühfunktionelle
Nachbehandlung erreichen (Verbundosteosynthese). In diesem Fall wird im a.p.-Röntgenbild ein Portsystem nahe dem Operationsgebiet zusätzlich sichtbar (Abb. 4).
Bei pathologischen Frakturen oder frakturgefährdeten Osteolysen im Schaftbereich
ist die belastungsstabile Nagelung indiziert. Eine frühzeitige postoperative lokale
Radiatio kann meist das lokale Tumorwachstum begrenzen und ein Implantatversagen im Sinne eines Ermüdungsbruches vermeiden (Abb. 5, 6, 7).
Behandlung von Wirbelsäulenmetastasen
Die Lokalisation von Metastasen an der
Wirbelsäule, meist in den Wirbelkörpern,
ist im Verlauf mit einer neurologischen
Symptomatik von einer Gangataxie bis
zum kompletten motorischen und sensiblen Querschnittsyndrom vergesellschaftet.
Die Progredienz kann innerhalb weniger
Tage vom Beginn der Symptomatik mit
Parästhesien bis zum kompletten Querschnittsyndrom führen. Das Erreichen der
Gehfähigkeit aus diesem Stadium ist sel-
Unfallchirurgie
Abb. 9: CT der Wirbelsäule
Abb. 8: Röntgendiagnostik WS
Abb. 10: MRT der Wirbelsäule
Abb. 11, 12: Angiographie + Coiling
Abb. 13, 14: Laminektomie und dorsale Spondylodese
mit Querstabilisator
ten. Eine Steigerung bis zu zwei Kraftgraden ist postoperativ nach Dekompression
des Spinalkanales möglich. Daher ist zwingend eine rasche Diagnostik bei onkologischen Patienten mit Rückenschmerzen
und/oder neurologischer Symptomatik zur
Vermeidung der Gehunfähigkeit notwendig!
Die Diagnostik besteht aus nativen Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen zur Beurteilung der Wirbelkörperhöhe, -hinterkante
und Bogenabgangsfiguren. Da diese Strukturen auch intraoperativ mit der Durchleuchtung sichtbar werden, eignen sich die
nativen Röntgenaufnahmen gut zur intraoperativen Orientierung. Ist in den Röntgenaufnahmen keine pathologische Fraktur oder Osteolyse erkennbar, sollte zum
Ausschluss einer Metastasierung eine Magnetresonanztomographie durchgeführt
werden. Um einen multilokulären Befall
der Wirbelsäule mit weiteren Spinalkanalstenosen, pathologischen Frakturen oder
Osteolysen nicht zu übersehen, ergänzt die
Kernspintomographie der gesamten Wirbelsäule die spinale Diagnostik. Zur Beurteilung der aktuellen Frakturgefährdung
bei Osteolysen und zur präoperativen
Beurteilung der Pedikel ist immer eine
Computertomographie des betroffenen
Wirbels und zur Operationsplanung auch
der kranial und kaudal angrenzenden Wir-
bel erforderlich (Abb. 8, 9, 10).
In Fällen mit typisch stark vaskularisierten
Metastasen ist eine präoperative Angiographie, ggf. der Verschluss der pathologischen Gefäße mit Platinspiralen (Coiling)
indiziert. Beim Plasmozytom wird die
präoperative Labordiagnostik mit der
Blutungszeit erweitert (Abb. 11, 12).
Diagnostik Wirbelsäule
■ Röntgen WS nativ in 2 Ebenen
■ CT des betroffenen Wirbels
+ je 2 Wirbel kranial und kaudal
■ MRT der gesamten Wirbelsäule
■ ggf. Angiographie
Operativ muss zur Vermeidung eines
Querschnittsyndroms der Spinalkanal
durch eine Laminektomie des betroffenen
Wirbels dekomprimiert werden. Über den
dorsalen Zugang werden der betroffene
Wirbel komplett und die angrenzenden
Wirbel teilweise laminektomiert. Die sorgfältige Blutstillung ist zur Vermeidung
postoperativer neurologischer Ausfälle
durch ein bedrängendes Hämatom mit
bipolarer Elektrokoagulationspinzette und
Einbringen eines Hämostyptikums durchzuführen. Die Laminektomie führt allerdings zu einer weiteren Wirbelsäuleninstabilität, sodass die Stabilisierung mittels
dorsaler Spondylodese indiziert ist. Meist
genügt eine bisegmentale winkelstabile
Spondylodese mit einem zusätzlichen
Querstabilisator. Da die Pedikelschrauben
vor allem in den Wirbelbögen Halt finden,
lassen sie sich auch in angrenzenden Wirbelkörpern mit kleinen Osteolysen verankern. Gegebenenfalls lässt sich die Verankerung durch kanülierte Pedikelschrauben,
über welche Knochenzement in den Wirbelkörper eingebracht wird, verstärken
(Abb. 13, 14, 15).
Bei längerer Lebenserwartung und Befall
eines Wirbelkörpers von 50 Prozent oder
mehr sind die Korporektomie und Ersatz
durch einen Titanspacer sinnvoll. Sie kann
an der LWS über einen erweiterten dorsolateralen Zugang oder retroperitoneal, an
der BWS transthorakal oder costotransversal und an der HWS von ventral mit individuell angefertigten oder spreizbaren Wirbelkörperspacern durchgeführt werden.
Erfolgt bei langfristigem Krankheitsverlauf
keine ausreichende ventrale Abstützung,
kommt es zum Implantatversagen mit
Kyphosierung und neurologischer Symptomatik bei Spinalkanalstenose (Abb. 16, 17).
Nach jeder operativen Therapie sollte sich
nach Abschluss der Wundheilung je nach
Primärtumor eine lokale Radiatio, Chemo-
649
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Abb. 15: Cement augmentierte posteriore Spondylodese
Abb. 16: Spacer und ventrale Spondylodese an der
Abb. 17: Spreizbarer Spacer und dorsale Spondylodese
(CAPS)
HWS
mit Querstabilisator an der BWS
und/oder Hormontherapie anschließen,
um das Fortschreiten der Erkrankung zu
verzögern, ein rasches Lokalrezidiv und
einen Materialbruch bei ausbleibender
knöcherner Konsolidierung zu vermeiden.
Literatur
[1] Clain A. Secondary malignant disease of bone. Br J
Cancer 1965; 19: 15-29.
[2] Conroy T, Malissard L, Dartois D, Luporsi E, Stines J,
Chardot C. Histoire naturelle et évolution des métastases
osseuses. à propos de 429 observations. Bull Cancer. 1988;
Fazit
75(9): 845-57.
[3] Enneking WF. Musculoskeletal tumor surgery. Churchill
Bei der chirurgischen Behandlung von
Skelettmetastasen stehen die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der
Mobilität durch belastungsstabile Osteosynthesen, Prothesen oder rückenmarkdekomprimierende Laminektomie mit
stabilisierender Spondylodese zur Verbesserung der Lebensqualität und nicht die
Lebensverlängerung im Vordergrund.
Präoperativ ist die rasche suffiziente Diagnostik und postoperativ die Zusammenarbeit mit Onkologie und Strahlentherapie
für den günstigsten Therapieablauf des
Patienten notwendig.
650
Kontakt
Dr. Nikolaus Kreitz
Oberarzt im Chirurgisch-Traumatologischen
Zentrum
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5
20099 Hamburg
Livingstone 1983, Edinburgh.
[4] Karnofsky DA. Clinical evaluation of anticancer drugs.
Tel. (0 40) 18 18-85 42 97
Fax (0 40) 18 18-85 39 90
GANN Monograph 1967; 2: 223-31.
[5] Madert J, Eggers C, Hentschel S. Pathologische Frakturen der Wirbelsäule. 68. Jahrestagung der DGU, Deutschland 2004.
[6] Mirels H. Metastatic disease in long bones. A proposed
scoring system for diagnosing impending pathologic fractures. Clin Orthop. Clin Orthop Relat Res. 1989; 249: 256-64.
E-Mail: [email protected]
Psychiatrie
Neues zur Diagnostik und Therapie
der Depression
Dr. Hans-Peter Unger, Dr. Markus Preiter
Die Einführung der ICD 10-5 als verbindliches Diagnosemanual in den 1990er-Jahren hat das Denken in der
Psychiatrie grundlegend verändert. Die deutschen Übersetzer beschreiben im Vorwort der Erstausgabe das Konzept
der ICD 10 als einen Versuch, einem möglichst „atherotischen“ Ansatz folgend auf Begriffsbildungen wie Neurose,
Psychose und Endogenität zu verzichten und diese durch Einführung einer beschreibenden und lediglich an
diagnostischen Einzelkriterien orientierten Klassifikation zu ersetzen.[1] Man erhoffte sich, dadurch verschiedene
biologisch begründbare Depressionsformen zu finden.
Dieser Ansatz hatte zunächst Vorteile. Er
half der Psychiatrie, sich von „ideologischen“ Theorievoraussetzungen zu distanzieren. Wer erinnert sich noch an die für
Patienten quälende und unfruchtbare Diskussion, ob die neurotische Depression mit
Antidepressiva behandelt werden darf
oder ob Psychotherapie bei endogenen
Depressionen überhaupt wirksam und
erlaubt ist?[2] Auch der Begriff der Komorbidität veränderte die psychiatrische Diagnostik. Mehrere unterschiedliche psychiatrische Erkrankungen können gleichzeitig
bei einem Patienten auftreten und müssen
nicht unbedingt in einem kausalen Zusammenhang stehen. Die traditionelle Psychiatrie hatte in ihren schichttheoretischen
Überlegungen Jaspers folgend dazu tendiert, Erkrankungen unterschiedlich in
ihrem Schweregrad zu gewichten und die
leichteren Erkrankungen in den schweren
Erkrankungen potenziell inkludiert zu
sehen.[3]
In der Folge der ICD 10 wurde so die
Diagnose der depressiven Episode unter-
schiedlicher Ausprägung zur Hauptdiagnose der affektiven Störungen. Parallel
kam es seit den 1990er-Jahren zu einem
„Siegeszug“ der Antidepressiva und einer
beinahe explosionsartigen Verordnungszunahme dieser Substanzklasse. Eine hohe
Anzahl von Forschungen über die Wirksamkeit von Antidepressiva wurde in den
letzten Jahren durchgeführt, mit teilweise
ernüchternden Resultaten.[4] Erst in den
letzten Jahren wird erkannt, dass die Psychiatrie mit dem beschreibenden kategorialen Diagnosesystem der ICD 10 in eine
Sackgasse geraten ist. Die Depressionsdiagnostik nach ICD 10 steht zugespitzt mit
der Diagnose der „depressiven Episode“
unter der verführerischen Annahme „one
size fits all“. Dies hat die jeweilig untersuchte Patientenklientel zu heterogen
werden lassen, weshalb Antidepressiva
manchmal zu positiv und manchmal zu
negativ beurteilt worden sind. Gleichzeitig
sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe
von wissenschaftlich sehr gut evaluierten
und evidenzbasierten Psychotherapieverfahren entwickelt worden, für die ebenfalls
eine differenziertere Depressionsdiagnose
erforderlich ist. Jetzt ist klar: „Die“ Depression gibt es gar nicht. Es gibt eine Gruppe
von depressiven Störungsbildern, die verschiedene therapeutische Interventionen
erfordern. Deshalb ist es zur exakten Indikationsstellung einer psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlung erforderlich, eine bio-psycho-soziale
Depressionsdiagnostik mit „Übergängen“
zugrunde zu legen.
Natürlich gibt es zwischen Patienten mit
Depressionen große Symptomparallelitäten
wie zum Beispiel den Verlust von Freude
und Interesse, Antriebshemmungen und
den spezifisch depressiven Affekt bis hin
zur Gefühlsstarre. Aber die depressive
Symptomatologie entfaltet sich in einem
Menschen, der aus mehr besteht als aus
seiner aktuellen depressiven Symptomatik.
Er bringt seine eigene Geschichte mit, seine
eigene Genkombination und seine spezifischen Lebenserfahrungen. Er verfügt über
depressionsverstärkende Anlagen ebenso
wie über depressions-abschwächende Res-
651
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
F32 Depressive Episode
F33 Rezidivierende depressive Störung
Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren
(F32.2 und F32.3) Episoden leidet der betroffene Patient unter einer
gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität.
Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert.
Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der
Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen
Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte
Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten „somatischen“ Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief,
deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome
ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen.
Inkl.: Einzelne Episoden von:
– depressiver Reaktion
– psychogener Depression
– reaktiver Depression (F32.0, F32.1, F32.2)
Exkl.: Anpassungsstörungen (F43.2)
depressive Episode in Verbindung mit Störungen des Sozialverhaltens
(F91.-, F92.0)
rezidivierende depressive Störung (F33.-)
Hierbei handelt es sich um eine Störung, die durch wiederholte depressive
Episoden (F32.-) charakterisiert ist. In der Anamnese finden sich dabei keine
unabhängigen Episoden mit gehobener Stimmung und vermehrtem Antrieb
(Manie). Kurze Episoden von leicht gehobener Stimmung und Überaktivität
(Hypomanie) können allerdings unmittelbar nach einer depressiven Episode,
manchmal durch eine antidepressive Behandlung mitbedingt, aufgetreten
sein. Die schwereren Formen der rezidivierenden depressiven Störung (F33.2
und .3) haben viel mit den früheren Konzepten der manisch-depressiven
Krankheit, der Melancholie, der vitalen Depression und der endogenen
Depression gemeinsam. Die erste Episode kann in jedem Alter zwischen
Kindheit und Senium auftreten, der Beginn kann akut oder schleichend sein,
die Dauer reicht von wenigen Wochen bis zu vielen Monaten. Das Risiko, dass
ein Patient mit rezidivierender depressiver Störung eine manische Episode
entwickelt, wird niemals vollständig aufgehoben, gleichgültig, wie viele depressive Episoden aufgetreten sind. Bei Auftreten einer manischen Episode ist die
Diagnose in bipolare affektive Störung zu ändern (F31.-).
Inkl.: Rezidivierende Episoden (F33.0 oder F33.1):
– depressive Reaktion
– psychogene Depression
– reaktive Depression
Saisonale depressive Störung
Exkl.: Rezidivierende kurze depressive Episoden (F38.1)
F32.0 Leichte depressive Episode
Gewöhnlich sind mindestens zwei oder drei der oben angegebenen Symptome
vorhanden. Der betroffene Patient ist im Allgemeinen davon beeinträchtigt,
aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen.
F33.0 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode
Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist,
wobei die gegenwärtige Episode leicht ist (siehe F32.0), ohne Manie in der
Anamnese.
F32.1 Mittelgradige depressive Episode
Gewöhnlich sind vier oder mehr der oben angegebenen Symptome vorhanden
und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen.
F33.1 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode
Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist,
wobei die gegenwärtige Episode mittelgradig ist (siehe F32.1), ohne Manie in
der Anamnese.
F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
Eine depressive Episode mit mehreren oben angegebenen, quälenden Symptomen. Typischerweise bestehen ein Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle
von Wertlosigkeit und Schuld. Suizidgedanken und -handlungen sind häufig,
und meist liegen einige somatische Symptome vor.
Einzelne Episode einer agitierten Depression
Einzelne Episode einer majoren Depression [major depression] ohne psychotische Symptome
Einzelne Episode einer vitalen Depression ohne psychotische Symptome
F33.2 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode
ohne psychotische Symptome
Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist,
wobei die gegenwärtige Episode schwer ist, ohne psychotische Symptome
(siehe F32.2) und ohne Manie in der Anamnese.
Endogene Depression ohne psychotische Symptome
Manisch-depressive Psychose, depressive Form, ohne psychotische Symptome
Rezidivierende majore Depression [major depression], ohne psychotische
Symptome
Rezidivierende vitale Depression, ohne psychotische Symptome
F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
Eine schwere depressive Episode, wie unter F32.2 beschrieben, bei der aber
Halluzinationen, Wahnideen, psychomotorische Hemmung oder ein Stupor so
schwer ausgeprägt sind, dass alltägliche soziale Aktivitäten unmöglich sind
und Lebensgefahr durch Suizid und mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bestehen kann. Halluzinationen und Wahn können, müssen aber
nicht, synthym sein.
Einzelne Episoden:
– majore Depression [major depression] mit psychotischen Symptomen
– psychogene depressive Psychose
– psychotische Depression
– reaktive depressive Psychose
F32.8 Sonstige depressive Episoden
Atypische Depression
Einzelne Episoden der „larvierten“ Depression o. n. A.
F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet
Depression o. n. A.
Depressive Störung o. n. A.
F33.3 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode
mit psychotischen Symptomen
Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist;
die gegenwärtige Episode ist schwer, mit psychotischen Symptomen
(siehe F32.3), ohne vorhergehende manische Episoden.
Endogene Depression mit psychotischen Symptomen
Manisch-depressive Psychose, depressive Form, mit psychotischen Symptomen
Rezidivierende schwere Episoden:
– majore Depression [major depression] mit psychotischen Symptomen
– psychogene depressive Psychose
– psychotische Depression
– reaktive depressive Psychose
F33.4 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert
Die Kriterien für eine der oben beschriebenen Störungen F33.0-F33.3 sind in
der Anamnese erfüllt, aber in den letzten Monaten bestehen keine depressiven
Symptome.
F33.8 Sonstige rezidivierende depressive Störungen
F33.9 Rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet
Monopolare Depression o. n. A.
Kriterien der ICD 10
652
Psychiatrie
sourcen, und die Erfahrung einer Depression verändert selbst Gehirn und Verhalten.
Wir wissen aus der aktuellen Forschung,
dass die alte Dichotomie zwischen genetisch bedingtem Depressionsrisiko, früher
im Konzept der Endogenität verankert,
und der Bahnung depressiver Vulnerabilitäten durch lebensgeschichtliche, traumatische frühe Erfahrungen aufgegeben werden muss. Das Gehirn ist kein Computer,
der eine angeborene Hardware mitbringt
und durch die Lebenserfahrung seine Software erhält. Vielmehr gleicht das Gehirn
einem informationsverarbeitenden System,
bei dem sowohl genetische Aspekte als
auch Lebenserfahrungen am Aufbau der
individuellen Hirnstruktur beteiligt sind
und welches lebensbegleitend moduliert
wird. Dieser strukturelle Zusammenhang
wird in der neuen Forschungsrichtung der
Epigenetik aktuell beleuchtet und gehört
zu den spannendsten Theorieentwicklungen des Fachgebietes.
Die individuell unterschiedliche Ressourcenkapazität kann aber durch ein aktuell
oder chronisch erhöhtes Stressniveau
unterminiert werden. Verantwortlich sind
hierfür z. B. chronische körperliche Erkrankungen oder chronischer Stress. Am Ende
einer Burnout- oder Erschöpfungsdepression steht in der Regel eine Depression.
Dem Auftreten einer Depression liegt also
eine Reihe von Risikofaktoren zugrunde,
die von Mensch zu Mensch eine unterschiedliche Gewichtung besitzen. Die
depressive Reaktion selbst hat eine biologische und verhaltensspezifische Eigendyna-
mik, die nicht selten zur Chronifizierung
führt. Es wird die große Schwierigkeit der
ICD 11 sein, dieses in einem mehrdimensionalen Diagnostikprozess abzubilden.
Diesem multidimensionalen Depressionsansatz entsprechend haben sich in den
letzten Jahren verschiedene depressionsspezifische Psychotherapien entwickelt.
Ziel der interpersonellen Psychotherapie
der Depression (IPT)[6] ist die Behandlung
der akuten Depression. Zunächst geht es
um die Entwicklung eines Krankheitsmodells und die Akzeptanz der Krankenrolle.
Denn in der depressiven Krise verlieren
viele Patienten die innere Distanz zu den
Krankheitssymptomen. Die passive Krankenrolle therapeutisch zuzuweisen ist dann
zunächst entlastend. Im zweiten Schritt
wird die Erkrankung in einen persönlichen
aktuellen Lebenskontext gestellt und mit
vier grundsätzlichen depressionsauslösenden Lebensthemen in Verbindung gebracht:
Verlusterleben, Rollenwechsel, Beziehungskonflikten und interpersonellen Defiziten.
Anhand eines dieser Schwerpunkte soll
der Patient in der Einzel- oder Gruppentherapie neue Bewältigungsstrategien erarbeiten und zum Erleben einer sozialen
Wirksamkeit zurückkehren. Es handelt sich
um eine Kurztherapieform, die wir klinisch
mit großem Erfolg im Rahmen der „Integrierten Versorgung Depression“ durchführen. Auch psychodynamische Behandlungskonzepte liegen inzwischen in
manualisierter Form vor.[7]
Davon zu unterscheiden ist die Behandlung der chronischen Depression, d. h.
einer Depression, die per Definition länger
als zwei Jahre durchgehend besteht. Bei
einem Teil dieser Patienten finden sich
strukturelle Defizite, deren Ursachen in
frühen Kindheitserfahrungen liegen, bei
anderen Patienten hat der depressive Verlauf selbst zu einem Verlust der sozialen
Selbstwirksamkeit geführt. Es entwickelt
sich ein dysfunktionaler sozialer Kommunikationsstil, der positive Neuerfahrungen
unmöglich macht. Ein starkes Hilfesuchverhalten – zum Beispiel im Arztkontakt –
ist gepaart mit einer fast feindseligen negativen Grunderwartung, dass im Grunde
alles Handeln vergeblich und Hilfe unmöglich ist. Der Patient lernt in der CBASP
Therapie[8] schrittweise mithilfe des Therapeuten diesen sozialen Interaktionsstil zu
verlassen und wieder in kleinen Schritten
Selbstwirksamkeit zu lernen. Die Bearbeitung der negativen Übertragung ist bei
dieser kognitiven Therapieform ebenso
bedeutend wie bei den tiefenpsychologischen Depressionsbehandlungen.
Für die Rückfallprophylaxe der Depression
hat sich die achtsamkeitsbasierte kognitive
Therapie der Depression[9] bewährt, die wir
mit Erfolg sowohl in der „Integrierten Versorgung Depression“ als auch in der Burnout-Behandlung anwenden. Im Vordergrund steht hier, über Atemtechnik, Yoga
und Meditation zu lernen, „gegenwärtig“
zu sein. Denn Menschen mit Depressionsrisiko sind häufig mit der Zukunft („was
soll werden“) oder mit der Vergangenheit
653
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Kontakt
Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt
[email protected]
Dr. Markus Preiter, Oberarzt
[email protected]
Abteilung für Psychiatrie und
Psychotherapie
Asklepios Klinik Harburg
Tel. (0 40) 18 18-86 32 54
Fax (0 40) 18 18-86 30 90
(„mein Rucksack mit schlechten Erfahrungen“) beschäftigt. In diesem „getriebenen
Daseinsmodus“ wird jedes auch noch so
kleine negative Ereignis sofort als Katastrophe bewertet und zieht damit die Stimmung nach unten. Eine neutrale Beobachterposition einzunehmen, nicht gleich zu
bewerten und auch negative Emotionen
erst einmal zu akzeptieren, das kann gelernt werden und reduziert Stresserleben
und depressives Rückfallrisiko.
mit dem Ziel, Hilfe und Schutz durch die
anderen zu erhalten, und besitzt damit
appellativen Charakter. Im instinktgebundenen Verhaltensrepertoire der frühen Primaten funktionierte dieses gut. Allerdings
bewegt sich der moderne Mensch in Beziehungsgeflechten, die oft kurz und wenig
Halt gebend sind. Dadurch läuft der depressive Kommunikationsstil unter Umständen ins Leere und verselbstständigt
sich in Form eines Krankheitsprozesses.
Was aber ist die Depression eigentlich und
in welchem Verhältnis steht sie zu einem
„normalen“ psychischen Erleben? Einem
evolutionspsychiatrischen Verständnisansatz folgend können depressive Symptome
nicht nur als krankhafte Störung im engeren Sinne verstanden werden, sondern auch
als Ergebnis einer evolutionär gewachsenen
Strategie, die bereits bei unseren sozial
lebenden Primatenvorfahren in der Evolution verankert wurde und das Verhaltensrepertoire im sozialen Kontext bei bestimmten Verlustsituationen erleichterte.[10]
Es gibt Zeiten im sozialen Miteinander, in
denen es keinen Sinn macht, sich weiter
stark zu verausgaben und aktiv in das
soziale Außen zu handeln. Vielmehr kann
es manchmal Sinn machen, sich und die
anderen zu überzeugen, dass man keine
Ansprüche mehr stellt, nichts fordert,
zurücksteckt und aufgibt. Diese bei sozial
lebenden Primaten wirkungsvolle soziale
Interventionsstrategie liegt als evolutionäres Erbe in Form der depressiven Reaktionsbereitschaft in jedem Menschen jederzeit abrufbereit bereit. Sie dient als
Unterwerfungs- und Hilflosigkeitssignal
Ebenso wie Husten zwar ein Krankheitszeichen ist, selber aber eine evolutionär
gewachsene Abwehrstrategie des Körpers
darstellt, sehen wir viele depressive Symptome als Bewältigungsversuch (noch)
ungelöster sozialer Konflikte.
nisansätze zum derzeitigen Zeitpunkt noch
außer Acht lässt, finden sich die zutreffendsten Beschreibungen des inneren Erlebens und des unterlassenen Handelns
nicht mehr in gängigen psychiatrischen
Fachbüchern, sondern in philosophischen
Abhandlungen.[11]
Literatur
[1] WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD 10: Verlag Hans Huber 1991; S. 12
654
[2] Ehrenberg A: Das erschöpfte Selbst: Depression und
Gesellschaft in der Gegenwart: Campus Verlag 2004
[3] Jaspers K: Allgemeine Psychopathologie. Springer Verlag, 9. Auflage 1973
[4] Jurk C: Der niedergeschlagene Mensch. Depression.
Eine sozialwissenschaftliche Studie zu Geschichte und
gesellschaftlicher Relevanz einer Diagnose. Dissertation
Die depressive Reaktion ist so ein intrapsychischer Lösungsversuch und gleichzeitig
eine soziale Kommunikationsform. Überspitzt könnte man sagen, sie ist eine Kapitulationsoffensive nach außen in einer Situation, die als bedrohlich und nicht zu
bewältigen erlebt wird. Mit aller Kraft wird
gezeigt, dass man nicht mehr kann. Man
traut sich nichts mehr zu, bringt nichts
mehr fertig und hält jede Veränderung dieses aktuellen Gemütszustandes für ausgeschlossen. Die depressive Erkrankung
bedeutet dann das Überschießen eines
eigentlich gesunden, evolutionär gewachsenen Lösungsversuches. Das Depressionspotential gehört somit zur anthropologischen Matrix des Menschen und kann sich
in fast alle psychiatrischen Störungsbilder
untermischen. Da die Psychiatrie diese
evolutionär-anthropologischen Verständ-
2005
[5] Callahan CM Berrios GE: Reinventing Depression. A
History of the Treatment of Depression in Primary Care.
1940 – 2004. Oxford University Press 2005
[6] Schramm E: Interpersonelle Psychotherapie. Schattauer
Verlag, 2. Auflage 1998
[7] Busch FN Rudden M Shapiro T: Psychodynamic Treatment of Depression. American Psychiatric Publishing 2004
[8] Cullogh JP Schramm E: Psychotherapie der chronischen Depression: Cognitive Behavioral Analysis System of
Psychotherapy – CBASP. Urban & Fischer 2006
[9] Segal ZV Mark J et al.: Die Achtsamkeitsbasierte
Kognitive Therapie der Depression. Ein neuer Ansatz zur
Rückfallprophylaxe. dgft-Verlag 2008
[10] Brüne M: Textbook of Evolutionary Psychiatry: The
Origins of Psychopathology. Oxford University Press 2008
[11] Sloterdijk P: Sphären Band 2: Globen. „Die Depression als Ausdehnungskrise” S. 612-665. Suhrkamp Verlag
2004
Neurochirurgie
„Ich kann kaum gehen, Fahrrad fahren ist aber o. k. …“
Lumbale Spinalkanalstenose
mit Claudicatio spinalis
Prof. Dr. Uwe Kehler
Rücken- und Beinschmerzen, die beim Gehen auftreten (Claudicatio) und sich beim Vorbeugen bessern, sind
typische Zeichen einer lumbalen Spinalkanalenge. In ausgeprägten Fällen ist ein schmerzfreies Gehen gar nicht
mehr möglich, während Fahrradfahren in vielen Fällen kaum Probleme bereitet. Die Diagnose wird per Kernspintomographie oder Computertomographie gesichert, die mikrochirurgische Dekompression ist äußerst effektiv.
Pathophysiologie [1,5]
Die Spinalkanalstenose ist eine typische
Folge degenerativer Wirbelsäulenveränderungen. Losgetreten wird dieser Prozess
durch einen Verschleiß mit Dehydrierung
der Bandscheibe, Höhenminderung und
Bandscheibenprotrusion. Die Höhenminderung des Bandscheibenraumes führt zu
einer Bandlaxität und Segmentmikroinstabilität. Folge ist eine Mehrbelastung der
kleinen Wirbelgelenke, die mit einer Hypertrophie reagieren. Die Höhenminderung
des Bandscheibenraumes führt auch zu
einer Zusammenfaltung des gelben Bandes, das sich in den Wirbelkanal von hinten vorwölbt (Abb. 1). All diese Faktoren
(Bandscheibenprotrusion, Vorwölbung des
gelben Bandes und Hypertrophie der Wirbelgelenke) engen den Wirbelkanal ein und
können seinen Inhalt (die Cauda equina)
komprimieren. Folge ist die Claudicatio
spinalis.
Die lumbale Spinalkanalstenose wird in
eine absolute und relative Stenose (Sagittaldurchmesser < 10 mm, respektiv 10 – 14 mm)
eingeteilt.[5] Entscheidend für die Behand-
lung ist aber die klinische Symptomatik.
Darüber hinaus unterscheidet man die primäre/anlagebedingte von der sekundären/
degenerativen (s. o.) Spinalkanalstenose. Die
primäre Spinalkanalstenose wird, wenn
überhaupt, in der Regel erst durch zusätzliche degenerative Veränderungen symptomatisch.
Die Inzidenz der lumbalen Spinalkanalstenose steigt mit der alternden Bevölkerungsstruktur. Bei 20 Prozent der Über60-Jährigen findet man kernspintomographisch eine Spinalkanalstenose.[2]
Klinik
Die typische Symptomatik besteht aus
Rückenschmerzen und belastungsabhängigen Ischialgien (Claudicatio spinalis). Auch
kann es zu neurologischen Ausfällen mit
Sensibilitätsstörungen und Lähmungen
kommen, in fortgeschrittenen Fällen kann
ein Caudasyndrom mit Blasen- und Mastdarmstörungen auftreten. Die Beschwerden sind häufig einseitig betont. Charakteristisch ist eine Beschwerdebesserung beim
Vorbeugen und Hinsetzen. Fahrradfahren
wird als angenehm empfunden. In diesen
Positionen mit Kyphosierung der Lendenwirbelsäule kommt es zu einer Straffung
des gelben Bandes und einer konsekutiven
leichten Erweiterung des Spinalkanals.
Diagnostik
Diagnostik der Claudicatio spinalis bei
Spinalkanalstenose:
■ Anamnese und klinisch/neurologische
Untersuchung mit Gefäßstatus
■ Kernspintomographie und/oder
Computertomographie
■ evtl. EMG
■ evtl. Gefäßdiagnostik (bei differentialdiagnostischen Schwierigkeiten)
Die Anamnese mit Claudicatio und
Beschwerdebesserung beim Vorbeugen ist
bereits richtungsweisend. Die klinisch neurologische Untersuchung ist zur Beurteilung des Schweregrads der Erkrankung,
zur differentialdiagnostischen Abgrenzung,
zum Timing eines operativen Eingriffs und
zur Verlaufsbeurteilung notwendig. Die
Prüfung der Fußpulse ist zur Abgrenzung
655
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Abb. 1: NMR der LWS in T2-Wichtung in sagittaler und axialer Schnittführung; in dem
Abb. 2: postoperative Computertomographie; der
sagittalen Bild ist eine multisegmentale Spinalkanalstenose besonders ausgeprägt im Seg-
Zugang mit der knöchernen Resektion ist gut erkennbar.
ment LW3/4 zu erkennen. Die Pfeile zeigen die von dorsal kommende Einengung durch die
Ligamenta flava. In der axialen Schnittführung erkennt man den geringfügig verbliebenen
Rest des Wirbelkanals (rotes Dreieck).
gegen die periphere arterielle Verschlusskrankheit durchzuführen. Für die Quantifizierung der (noch schmerzfreien) Gehstrecke sind Laufbänder hilfreich.
Die Diagnose muss mittels Kernspintomographie (Abb. 1) und gegebenenfalls auch
mittels Computertomographie gesichert
werden. Weniger entscheidend ist die absolute Enge als vielmehr die fehlende Liquordarstellung um die Cauda equina-Fasern
herum. Die Kernspintomographie hat
zusätzlich den Vorteil, den gesamten lumbalen Spinalkanal darzustellen. Dies ist
wichtig, da von der klinischen Untersuchung die Festlegung der betroffenen
Höhe häufig nicht eindeutig ist. Die Computertomographie kommt vor allem bei
Kontraindikationen zur Kernspintomographie (z. B. Herzschrittmacher), nach Myelographien und zur besonderen Beurteilung
der ossären Strukturen (Abb. 2) zum Tragen.
Bei einem Wirbelgleiten sind Funktionsaufnahmen der LWS zur Beurteilung der (In-)
Stabilität notwendig. Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung gegenüber der
peripheren arteriellen Verschlusskrankheit,
der Polyneuropathie und anderer Erkrankungen können unter anderem EMG und
Gefäßdopplersonographie herangezogen
656
werden. Die häufigsten Differentialdiagnosen:
■ Claudicatio intermittens bei peripherer
AVK (= arterieller Verschlusskrankheit)
■ Coxarthrose
■ Polyneuropathie
■ Spondylolisthese
■ Bandscheibenvorfall
■ spinaler Tumor
■ Wirbelkörperfraktur
Therapie
Konservative Therapie
Die konservative Therapie besteht in der
Verordnung von Analgetika, Antiphlogistika sowie Krankengymnastik. Heute wird
auch mit lokaler Instillation von Lokalanästhetika und Kortison gearbeitet. Der
Effekt ist aber häufig nur temporär und
langfristig unbefriedigend.
Operative Therapie
Solange keine neurologischen Ausfälle
bestehen, ist eine operative Dekompression
nicht dringend, bei schweren progredienten Paresen und/oder Blasenstörungen ist
dagegen eine dringende oder sogar notfallmäßige Operation notwendig.
Ziel der operativen Therapie ist die
Dekompression der eingeengten nervalen
Strukturen. Früher war hierzu die Entfernung des gesamten Wirbelbogens (Laminektomie) Standard. Heute – im Zeitalter
der Mikroneurochirurgie – ist ein wesentlich kleinerer, weniger traumatisierender
Zugang von einer Seite möglich, wobei
auch die Gegenseite unterminiert und
damit entlastet werden kann (Abb. 3:
„under cutting-Technik“). Die hypertrophen Gelenke werden dabei partiell mit
Highspeed-Fräsen und Flachfußstanzen
reseziert. Vorteil dieser minimal invasiven
Methode sind der verminderte postoperative Schmerz, die schnellere Mobilisation
und der signifikant kürzere Krankenhausaufenthalt.
Besteht eine (gesicherte) Makroinstabilität,
muss eine Versteifung – Spondylodese – im
gleichen Eingriff durchgeführt werden
(Abb. 4). Ein symptomloses Wirbelgleiten
(Spondylolisthese) allein rechtfertigt eine
nicht ganz komplikationsarme [4] Spondylodese nicht. In unseren eigenen Untersuchungen und der Literatur [3] liegt das Risiko
einer postoperativ auftretenden symptomatischen Instabilität bei etwa fünf Prozent, eine sofortige Spondylodese wäre
also in 95 Prozent der Fälle überflüssig.
In den vergangenen Jahren kamen inter-
Neurochirurgie
Abb. 4: Spondylodese LW4/5 bei symptomatischer
Abb. 5: Der interspinöse Spreizer soll durch Kyphosie-
Spondylolisthese; deutliches Wirbelgleiten in Höhe LW
rung des Segments zu einer Straffung des gelben Bandes
4/5 (links). Im postoperativen Bild (rechts) erkennt man
führen und damit eine Erweiterung des Spinalkanals
die gute Reposition des Wirbelgleitens. Die Stabilisie-
bewirken.
rung erfolgte mit einem Fixateur interne und einem
Abb. 3: Schema des einseitigen Zuganges mit
„Cage“ im Zwischenwirbelraum.
beidseitiger Dekompression; der Pfeil zeigt die Einblickrichtung mit dem Operationsmikroskop. Nach Eröffnung
des Wirbelkanals mit Entfernung des gelben Bandes
werden mit Highspeed-Fräse und Flachfußstanzen die
hypertrophen Gelenkanteile (partielle Arthrektomie)
von beiden Seiten reseziert. Der grün gekennzeichnete
Bezirk entspricht der postoperativen Spinalkanalweite.
spinöse Spreizer (Abb. 5) auf, die durch
Aufdehnung der Dornfortsätze zu einer
Kyphosierung des Segmentes mit Straffung
des vorgewölbten gelben Bandes führen.
Dies soll eine Erweiterung des Wirbelkanals
– ähnlich wie beim Vorbeugen – bewirken.
Im Vergleich zur konservativen Therapie
erscheinen diese Verfahren vorteilhaft,[6]
einen Vergleich zur mikrochirurgischen
Dekompression gibt es bisher nicht.
Die physiotherapeutische Nachbehandlung
hängt im Wesentlichen von den vorbestehenden Ausfällen ab. Um ein „muskuläres
Korsett“ für die Wirbelsäule zu formen,
sollte eine Stabilisierung der Rücken- und
Bauchmuskulatur angestrebt werden.
Fazit
Kontakt
Die Claudicatio spinalis wird durch Kompression der Nerven im engen lumbalen
Spinalkanal verursacht. Die Spinalkanalstenose wird am besten mittels Kernspintomographie diagnostiziert. Gegebenenfalls
muss eine weitere differentialdiagnostische
Abklärung erfolgen. Bei erfolgloser konservativer Therapie oder manifesten neurologischen Ausfällen ist die mikrochirurgische
Dekompression Methode der Wahl und
zeichnet sich durch eine sehr günstige
Prognose – auch bei den häufig sehr alten
Patienten – aus. In Einzelfällen (bei vorliegender manifester Instabilität) muss gleichzeitig eine Spondylodese erfolgen.
Prof. Dr. Uwe Kehler
Abteilung für Neurochirurgie
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-81 16 70
Fax (0 40) 18 18-81 49 11
E-Mail: [email protected]
[5] Thomé C, Börm W, Meyer F. Die degenerative lumbale
Spinalkanalstenose. Dtsch Arztebl 2008; 105(20): 373-9.
[6] Zuchermann JF et al. A prospective randomized multicenter study for the treatment of lumbar spinal stenosis
with the x-stop interspinous implant: 1 year results. Eur
Spine J 2004; 13: 22-31.
Die Ergebnisse sind sehr zufriedenstellend,
auch bei den vielfach schon sehr alten
Patienten. Das Alter sollte deshalb per se
kein Ausschlusskriterium sein. Eine wesentliche Beschwerdebesserung wird in
mehr als 80 Prozent erreicht und in den
übrigen Fällen lässt sich häufig noch eine
partielle Besserung erzielen. Ein „Rezidiv“
ist eher selten, erneute Wirbelsäulenbeschwerden können dennoch wieder auftreten, da die Dekompression die Stenose
sehr gut beseitigt, aber nicht das weitere
Altern der Wirbelsäule stoppt.
Literatur
[1] AWMF-Leitlinie: Leitlinien der Deutschen Gesellschaft
für Neurochirurgie „Lumbale Spinalkanalstenose“ 2005.
www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll-na/008-022.htm
[2] Boden SD, Davis DO, Dina TS, Patronas NJ, Wiesel SW.
Abnormal magnetic-resonance scans of the lumbar spine
in asymptomatic subjects. A prospective investigation.
J Bone Joint Surg Am 1990; 72: 403-8.
[3] Epstein NE et al. Lumbar decompression for spinal stenosis. In: Frymoyer JW (Ed.) The Adult Spine 1997: 2055-88.
[4] Hosono N et al. Perioperative complications of primary
posterior lumbar interbody fusion for nonisthmic spondylolisthesis: analysis of risk factors, J Neurosurg Spine 2008;
9(5): 403-7.
657
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Minimal invasive Chirurgie – MIC®
Stellenwert und evidente Indikationen
Dr. med. Dipl. oec. med. Colin M. Krüger, Priv.-Doz. Dr. Matthias Kapischke
Seit Einführung der minimal invasiven Chirurgie zu Beginn der 1990er-Jahre hat eine begrenzte Anzahl von
Operationen flächendeckend Einzug in den chirurgischen Alltag gehalten. Darüber hinaus ist die Entwicklung an
spezialisierten Zentren derart vorangeschritten, dass es nur noch wenige chirurgische Eingriffe gibt, die nicht über
eine minimal invasive Alternative verfügen.
Bei einigen Indikationen ist die MIC aktuell Gold-Standard [1], zum Beispiel bei der
Appendektomie oder der Cholecystektomie. Bei anderen Eingriffen wird die Diskussion offen geführt. Das jüngste Feld der
minimal invasiven Chirurgie, und hier
nach Indikationen einzeln auf dem Prüfstand, ist der Bereich der onkologischen
MIC. Gründe hierfür sind die Diskussion
um die onkologische Radikalität wie auch
der chirurgische Generationenwechsel.
Mit Einzug der neuen Generationen
medizintechnischer Innovationen im OP
(HF-Technologie, Ultraschalltechnik, laparoskopisch adaptierte Applikatoren für
alloplastische Implantate, Klammernaht,
Gewebekleber und Haemostyptika) wurde
eine Vielfalt zusätzlicher Operationsverfahren in das minimal invasive Leistungsspektrum aufgenommen. Neben der Motivation,
das operative Trauma für den Patienten zu
658
reduzieren, stellt das minimal invasive
Leistungsspektrum chirurgischer Abteilungen zunehmend einen zentralen MarketingAspekt für die regionale und überregionale
Positionierung der eigenen Klinik dar.
Ist der Begriff der „Minimal invasiven
Chirurgie“ zwischenzeitlich inflationär
zum Sinnbild für schmerzfreie, risikoarme
und mit kurzen stationären Verweildauern
verbundene Chirurgie geworden, birgt
diese Entwicklung die Gefahr, dass unkritisch gegenüber der zugrunde liegenden
chirurgischen Problematik schnell der Ruf
nach einem MIC-Verfahren laut wird. Wer
MIC pauschal anbietet, gilt – aus Sicht der
Autoren – vorschnell als modern und in
besonderer Weise qualifiziert. Das zentrale
Problem in der MIC ist und bleibt die individuelle Lernkurve, die direkt mit der operativen Qualität korreliert. Das Erlernen
der Methode unterscheidet sich grundle-
gend von dem der offenen Chirurgie. Dass
über die wiederholte Assistenz des Eingriffs lediglich der methodische Ablauf
„ersehen“, nicht aber die manuell-taktische
Manipulation mit dem Instrumentarium,
die Haptik, simultan erlernt werden kann,
unterscheidet die MIC wesentlich von der
offenen Chirurgie.[3] In gleicher Weise ist die
Ausbildung gegenüber dem offenen Vorgehen deutlich erschwert, da der Ausbilder
nur im Notfall eingreifen, nicht aber gezielt
simultan manuell-taktisch führen kann.
Hierfür sind unter anderem die individuellen Fallzahlen und Konversionsraten ein
Hinweis auf die Expertise am Zentrum. Oft
sind diese weichen Qualitätskriterien für
Patienten und Hausärzte nicht in jedem
Fall nachvollziehbar.
Die in den Fachgesellschaften kontrovers
geführte Diskussion, ob die MIC einen
selbstständigen chirurgischen Fachbereich
Chirurgie
MIC-Operation (Auszug)
Bundesweit chirurgischer
Standard MIC
Vorbehalten für chirurgisches MIC-Zentrum
Gesamt %-Anteil MIC (%)
Cholecystektomie
ja
nein
Appendektomie
ja
nein
Leistenhernie
ja
Bauchwand-, Narbenhernie
Gesamt %-Anteil
konv. Chir. (%)
Gold Standard (aktuell)
>95
~5
MIC
>80
~20
MIC
ja
~30
~70
Konv.
nein
(ja)
30 – 40
60 – 70
Konv.
Adhaesiolyse
ja
nein
~60
~40
MIC
chron. Unterbauchschmerz
ja
nein
>90
~10
MIC
Sigmaresektion b. Divertikulose
ja
nein
~40
>60
MIC
Hemikolektomie re. / li.
nein
ja
20
80
Konv.
Rectumresektion
nein
nein
bis 30
70 – 80
Konv.
ja
nein
bis 30
>80
– Karzinom
nein
ja
<10
Gastrektomie
nein
ja
>5
>90
Konv.
Gastric Bypass
ja
ja
>70
<20
MIC
Fundoplikatio
ja
nein
Oesophagusresektion
nein
ja
<5
>90
Konv.
– lap. assistiert
nein
Magenteilresektion
Konv.
– benigne Ursache
Splenektomie
– elektiv
ja
nein
~60
~40
MIC
– traumatisch
nein
ja
<5
>95
Konv.
Aortenaneurysma (abdominal)
nein
ja
<1
~80
Konv.
Schilddrüsenresektion
nein
ja
~10
90
Konv.
Nebennierenresektion
ja
ja
50
50
MIC
Tab. 1: Zusammenstellung MIC-Operationen [2]
oder lediglich ein zusätzliches Verfahren
darstellt, ist hinlänglich bekannt und derzeit nicht abgeschlossen. Die MIC stellt
eigene manuell-technische Anforderungen
an den Operateur und muss auch nach
jahrzehntelanger konventionell-chirurgischer Praxis neu erlernt werden. Die MIC
als operativer Bereich wurde erst durch die
medizintechnischen Innovationen der vergangenen zehn Jahre in die Lage versetzt,
dass die chirurgischen OP-Bedingungen
der Blutungskontrolle, Hämostase, Nahtund Anastomosentechniken heute technisch sicher sind.
Die Beurteilung der Qualität und Wertigkeit eines neuen chirurgischen Verfahrens
richtet sich nach einer Vielzahl von Kriterien. Die Qualität der Patientenversorgung
ist dabei im gesamten DRG-Kontext bedauerlicher Weise nur eines unter mehreren.
Ohne an dieser Stelle den gesundheitspoli-
tischen Bogen zu weit zu spannen, haben
das Maß an technischer Innovation, die
Invasivität, der mit der Methode zu betreibende Material- und Investitionsaufwand
(Sachkostenanteil) sowie die Ausgestaltbarkeit der G-DRG-Erlösstruktur einen zentralen Einfluss auf die Durchsetzung der
Methode. Die Wertigkeit hinsichtlich ihrer
Qualität nach den Maßstäben der „evidence based medicine“ (EBM) lässt sich oft
mangels qualifizierter Studien nur unvollständig oder gar nicht widerspiegeln.
Somit sind viele der aktuell proklamierten
Einschätzungen gegenüber neuen Methoden seitens der anhängigen medizintechnischen Industrie oder einzelner medizinpolitisch herausragender Vertreter
(„eminence based medicine“) bestimmt.
Zusammenfassend muss es für Patienten,
interessierte Angehörige und insbesondere
niedergelassene Kollegen, wie in Tab. 1
versucht, eine Zusammenstellung mit
Empfehlungscharakter für die verschiedenen Tätigkeitsfelder der MIC geben, die
den aktuellen Stand der operativ allgemein, im Sinne von über das Bundesgebiet
flächendeckend, allgemein und darüber
hinaus an spezialisierten Zentren verfügbaren und derzeit in Weiterentwicklung oder
Etablierung befindlichen MIC-OP-Indikationen beinhaltet. Nur so werden auch
künftig qualitativ gute operative Ergebnisse einen sicheren Ausbau des operativen
Angebotes in der MIC gewährleisten.
Die gezeigte Zusammenstellung macht die
Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten
der MIC und ihrer flächigen Durchsetzung
in der täglichen Chirurgie deutlich. Bei
vielen Indikationen, in denen die MIC
operative Vorteile bietet, konnte sich die
Methode bisher nicht flächendeckend in
Deutschland durchsetzen. Wichtige Grün-
659
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
de dafür sind neben der individuellen
Lernkurve die kostenintensive technische
Ausstattung wie auch die Tatsache, dass
sich konservativ chirurgische Kennzahlen
(OP-Dauer, stationäre Verweildauer, Morbidität, Mortalität) nicht 1:1 auf die gleiche
Operation in MIC-Technik transferieren
lassen. In gegenläufiger Weise positiv zeigt
die Übersicht hingegen umso deutlicher,
dass die MIC sich in einem stetig breiter
werdenden Spektrum neue Indikationen
eröffnet. Sie ist noch lange nicht so flächig
etabliert und ubiquitär in angemessener
Qualität verfügbar, wie dies auf den einschlägigen Fachtagungen suggeriert wird.
Neben der chirurgischen Sicht ist zu
berücksichtigen, dass die MIC auch Effekte
auf das postoperative Management der
konventionellen Chirurgie hat. Sie hat dazu
geführt, dass postoperative Managementprinzipien der konventionellen Chirurgie
adaptiert und „modernisiert“ wurden.[4]
Ein wesentlicher Punkt ist der frühzeitige
Kostaufbau, der sich abseits des Schlagwortes „fast track“ breitflächig durchge-
660
setzt hat. Ob es angesichts des noch deutlich ausbaufähigen Potenzials der MIC notwendig und sinnvoll ist, das öffentliche
Interesse auf Ideen wie NOTES (natural
orific transluminal endoscopic surgery)
und SINGLE PORT SURGERY zu verlagern und somit den allgemeinen Leistungshorizont industriegesteuert zu verzerren, lassen die Autoren dem Leser
wertungsfrei bewusst zur persönlichen
Entscheidung.
Die minimal invasive Chirurgie als große
technische Innovation der Chirurgie der
1990er-Jahre steht nach wie vor am Anfang,
für ein breites chirurgisches Indikationsfeld in einem bundesweit einheitlichen
Leistungsniveau zum Wohle der Patienten
verfügbar zu sein.
Kontakt
Dr. med. Dipl. oec. med.
Colin M. Krüger, MBA
Abteilung für Allgemein-, Visceral- und
Gefäßchirurgie
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 21 44
Fax (0 40) 18 18-85 21 88
E-Mail: [email protected]
[2] Rosin D, Khaikin M, Zmora O. Minimally invasive
approach to colorectal surgery. Minerva Chir. 2008 Apr;
63(2): 127-49. Review.
[3] van Det MJ, Meijerink WJ, Hoff C, Totté ER, Pierie JP.
Optimal ergonomics for laparoscopic surgery in minimally
invasive surgery suites: a review and guidelines. Surg Endosc. 2008 Oct 2.
Literatur
[4] Kolb W, Lang J, Zünd M. Moderne perioperative
[1] Moberg AC, Montgomery A. Appendicitis: laparoscopic
Behandlungskonzepte und Fast-track-Chirurgie – weniger
versus conventional operation: a study and review of the
Komplikationen und schnellere Rekonvaleszenz als über-
literature. Surg Laparosc Endosc. 1997 Dec; 7(6): 459-63.
geordnete Ziele. Klinikarzt 2007; 36: 331-5.
Augenheilkunde
„No suture in the future?“
Elektive Makulachirurgie
Dr. Annette Hager, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wiegand
Die konventionelle pars plana Vitrektomie (PPV) mit 20-gauge Instrumenten ist seit 20 Jahren ein etabliertes
operatives Verfahren in der Versorgung des hinteren Augenabschnittes (Glaskörpereinblutungen, proliferative
diabetische Retinopathie, komplizierte Netzhautablösungen, Makulaforamina, macular pucker). Dabei wird
zunächst die Bindehaut eröffnet, um drei Sklerotomien (Zugänge durch die Sklera in den Glaskörperraum) für die
Lichtquelle, Instrumente und den Zulauf im Bereich der pars plana anzulegen. Nach der OP müssen sowohl die
Sklerotomien als auch die Bindehaut wieder vernäht werden, was zum einen zeitaufwendig ist und zum anderen
beim Patienten ein Fremdkörpergefühl durch die Nähte hinterlässt und im weiteren Verlauf zu Narben der Bindehaut führen kann. Mit 23-gauge Instrumenten sind selbstschließende Sklerotomien ohne Nähte möglich und die
oben genannten Nachteile sind somit vermeidbar.
Makulaforamen
Die Erstbeschreibung und bis heute gültige
Einteilung der idiopathischen Makulaforamina erfolgte 1988 durch Gass.[2] Er beschrieb vier Stadien des Makulaforamens,
die sich aufgrund der Konfiguration des
Netzhautdefektes und des anliegenden
beziehungsweise abgehobenen Glaskörpers differenzieren ließen. Kelly und Wendel [6] führten die pars plana Vitrektomie
(PPV) als chirurgische Therapie ein, die die
zur Entstehung des Makulaforamens beitragende Glaskörpertraktion entlastet und
zu einem Foramenverschluss führen soll.
Die PPV zeigte zunächst gute Verschlussraten des Makulaforamens von 45 bis 73 Prozent.[5] Ende der 90er-Jahre setzte sich dann
zunehmend die intraoperative zusätzliche
Entfernung der Membrana limitans interna
(ILM) durch, sodass inzwischen Verschlussraten des idiopathischen Makulaforamens
nach einer PPV von etwa 90 Prozent angegeben werden.[3,5] Durch den Verschluss des
Foramens kommt es zu einer Visusverbesserung, mindestens aber zu einer Reduk-
tion des Zentralskotoms. Die Visusrehabilitation kann jedoch 6 bis 12 Monate andauern.
Macular pucker
Der macular pucker (auch epiretinale Gliose) besteht aus verschiedenen zellulären
Membranen, die über der Makula – also
epiretinal – proliferieren und durch Kontraktion zu Faltenbildung der zentralen
Netzhaut und gelegentlich auch der Aderhaut führen können. Aufgrund dieser
Faltenbildung klagen die Patienten über
Verzerrt- und Wellensehen im zentralen
Gesichtsfeld, sogenannte Metamorphopsien. Komplizierend kommt häufig als
Spätfolge ein zystoides Makulaödem
(CMÖ) hinzu, das für eine weitere Visusreduktion und auch für einen dauerhaften
Schaden verantwortlich sein kann. Die
innere Grenzmembran (ILM) ist mit der
epiretinalen Gliose adhärent, sodass in
histologischen Untersuchungen operativ
entfernter epiretinaler Membranen oft auch
die ILM nachgewiesen werden kann.[3] Eine
Operationsindikation besteht – einen entsprechenden morphologischen Befund vorausgesetzt – bei einem herabgesetzten
Visus, wobei der Visus bei Wahrnehmung
von Metamorphopsien gegebenenfalls
auch nur geringfügig reduziert sein kann.
Ergebnisse
In einer großen retrospektiven Auswertung
von 353 Patienten aus den Jahren 1995 bis
2001 haben wir sowohl den funktionellen
Erfolg als auch die Risiken der PPV bei
elektiver Makulachirurgie untersucht.[3,4]
Hierbei musste als visusbedrohende Komplikation der Operation eine postoperative
Netzhautablösung (Ablatio retinae) in 2,0
Prozent und eine postoperative Endophthalmitis in 0,6 Prozent festgestellt werden.
Aufgrund eines unzureichenden postoperativen Makulabefundes (persistierendes
Makulaforamen, erneute epiretinale Membran) wurde bei 9,0 Prozent der Patienten
eine weitere PPV notwendig. Der Visus
stieg bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 20 Monaten in der Gruppe
661
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Abb. 1: Intraoperatives Bild der transkonjunktival ein-
Abb. 2: Rechtes Auge eines Patienten am ersten
geführten 23-gauge Zugänge bei minimal invasiver pars
postoperativen Tag nach 23-gauge Vitrektomie bei
plana Vitrektomie
macular pucker
der Patienten mit Makulaforamen von 0,2
auf 0,45 und in der Gruppe der Patienten
mit macular pucker von 0,3 auf 0,5. Somit
wurde bei vielen Patienten wieder ein
Lesevisus (min. 0,4) erreicht.
blutungen, keine Endophthalmitis und in
nur 1,5 Prozent eine postoperative Ablatio
retinae gesehen, was vergleichbar mit
anderen Berichten nach 23-gauge PPV ist [1]
und sich im Profil mit Ausnahme der postoperativen Bulbushypotonie nicht von den
Komplikationen der 20-gauge PPV unterscheidet. Aufgrund des nahtlosen Wundverschlusses ist die postoperative Bulbushypotonie nicht unerwartet, mit 2,6 Prozent
jedoch selten. Sie lässt sich bei Persistenz
mit einer intravitrealen Gasinjektion oder
im Ausnahmefall mit einer Naht der Sklerotomie beheben.
23-gauge oder no suture in the future?
Die Einführung von 23-gauge Instrumenten
für die Vitrektomie macht seit einigen Jahren eine transkonjunktivale, nahtlose PPV
möglich. 23-gauge Instrumente haben
einen Außendurchmesser von nur 0,6 mm.
Die elektive Makulachirurgie (Makulaforamina und macular pucker) ist für 23-gauge
Instrumente besonders gut geeignet, da
der Eingriff gut planbar ist und das operative Zielgebiet am hinteren Augenpol liegt.
Im Zeitraum von 11/2007 bis 12/2008 wurden in der Augenabteilung der Asklepios
Klinik Nord – Heidberg 269 23-gauge PPV
bei Makulaforamen oder macular pucker
durchgeführt. In diesem Zeitraum haben
wir postoperativ lediglich in 2,6 Prozent
Hypotonien, in 1,7 Prozent Glaskörperein-
662
Im postoperativen Verlauf sind die Patienten äußerst beschwerdearm, da jegliches
Fremdkörpergefühl durch Nahtmaterial
der Bindehaut und Sklera entfällt. Auch
von außen sehen die Augen bemerkenswert reizarm aus (Abb. 2).
Grenzen der minimal invasiven
Vitrektomie (23-gauge)
Durch das geringere Hohlmaß der Instrumente bei der 23-gauge Vitrektomie sind
diese sehr viel flexibler, sodass insbesondere die Netzhautperipherie nicht uneingeschränkt erreichbar ist. Ferner sind nicht
alle Instrumente, wie zum Beispiel Scheren, für den intraoperativen Gebrauch im
Glaskörperraum verfügbar. Insofern werden unübersichtliche Netzhautsituationen,
wie sie etwa bei Diabetikern mit traktiven
fibrotischen Membranen oder auch bei
Augen mit komplizierten Netzhautablösungen (proliferative Vitreoretinopathie =
PVR) auftreten, in der Regel weiterhin mit
der konventionellen 20-gauge Vitrektomie
operiert.
Augenheilkunde
a
b
Abb. 3: Makulaforamen im OCT (Optische Kohärenztomographie) vor und nach der 23-gauge Vitrektomie
a) Darstellung des Foramens mit Substanzdefekt im Bereich der Fovea, die Ränder des Foramens sind zystoid
aufgetrieben, an den Rändern ist die innere Grenzmembran mit Traktion erkennbar
b) die Foramenränder liegen postoperativ an, das Foramen ist verschlossen
Vorteile der minimal invasiven
Vitrektomie (23-gauge)
Literatur
[1] Fine HF, Iranmanesh R, Iturralde D, Spaide RF. Outcomes of 77 consecutive cases of 23-gauge transconjuncti-
Im Rahmen einer elektiven operativen
Maßnahme sind für den Patienten die
durch die Operation hervorgerufenen
Beschwerden von relativ großer Bedeutung. Mit der 23-gauge Vitrektomie lassen
sich planbare Eingriffe durch den minimal
invasiven Zugang für den Patienten sicher
und sehr beschwerdearm durchführen und
OP-Dauer und auch Regenerationszeit auf
ein Minimum reduzieren.
val vitrectomy surgery for posterior segment disease.
Ophthalmology 2007; 114: 1197-200.
[2] Gass JDM. Idiopathic senile macular hole: its early stages and development. Arch Ophthalmol 1988; 106: 629-39.
Kontakt
Dr. Annette Hager
Augenklinik
Asklepios Klinik Nord – Heidberg
Tangstedter Landstraße 400
22415 Hamburg
[3] Hager A, Ehrich S, Wiegand W. Anatomische und funktionelle Ergebnisse nach elektiver Makulachirurgie. Ophthalmologe 2005; 102: 597-602.
[4] Hager A, Ehrich S, Wiegand W. Vitreoretinale Zweitein-
Tel. (0 40) 18 18-87 36 18
Fax (0 40) 18 18-87 36 14
[email protected]
griffe nach elektiver Maculachirurgie. Ophthalmologe
2004; 101: 39-44.
[5] Haritoglou C. Makulaforamenchirurgie heute – ein
Überblick. Klin Monatsbl. Augenheilk. 2007; 224: 755-62.
[6] Kelly NE, Wendel RT. Vitreous surgery for idiopathic
macular holes. Results of a pilot study. Arch Ophthalmol
1991; 109: 654-9.
663
Priv.-Doz. Dr. Thomas Niemeyer
Asklepios Klinik St. Georg:
Neuer Leiter des Wirbelsäulenzentrums
Ab April übernahm Priv.-Doz. Dr. Thomas
Niemeyer (42) die Leitung des interdisziplinären Wirbelsäulen-Zentrums Hamburg,
zu dem die Sektionen Neurochirurgie,
Orthopädie und die Abteilung für Unfallund Wiederherstellungschirurgie gehören,
in der Asklepios Klinik St. Georg.
Dr. Niemeyer wurde in Stralsund geboren,
ist verheiratet und hat eine Tochter. Sein
Medizinstudium absolvierte er an der ErnstMoritz-Arndt Universität Greifswald, die
AiP-Zeit in Großbritannien und die Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie an
der Klinik und Poliklinik für Allgemeine
Orthopädie der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster (Direktor Prof. Dr. W.
Winkelmann) sowie am Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie der Universität Nottingham. 2000 wurde Niemeyer Oberarzt der
Klinik für Wirbelsäulenchirurgie und Skoliosezentrum am Klinikum Neustadt unter
Prof. Halm, 2002 Leitender Oberarzt. Im
gleichen Jahr wechselte er an die Orthopädische Universitätsklinik Tübingen (Direktor Prof. Dr. N. Wülker), wo er den Bereich
Wirbelsäulenchirurgie leitete und bis zu
seinem Wechsel nach Hamburg als stellv.
Ärztlicher Direktor der Orthopädischen
Universitätsklinik tätig war. 2006 folgten
die Facharztanerkennung für Orthopädie
und Unfallchirurgie, 2007 die Anerkennung „Spezielle Orthopädische Chirurgie“
und die Habilitation, 2008 die Anerkennung „Kinderorthopädie“. In St. Georg
befasst sich Niemeyer mit der gesamten
Bandbreite der Wirbelsäulenerkrankungen
und -verletzungen. Zu seinem Repertoire
gehören mikrochirurgisch mikroskopische
und endoskopische Bandscheibenoperationen aller Wirbelsäulenabschnitte, Instrumentationsspondylodesen und Rekonstruktion bei sämtlichen Frakturen und
664
Dr. Bernd Richter
degenerativen Erkrankungen einschließlich
minimal-invasiver Verfahren, bewegungserhaltender Bandscheibenersatz, primärstabile dorsale und ventrale Derotationsspondylodesen zur Formkorrektur von
Skoliosen, Korrektur von Thoraxwanddeformitäten, Tumoroperationen der Wirbelsäule inkl. Wirbelkörperersatz sowie die
operative Therapie bei Spondylitis und
Spondylodiszitis. Besonders wichtig sind
Niemeyer regelmäßige gemeinsame Fallbesprechungen innerhalb der Klinik und
mit niedergelassenen Kollegen, um den
Patienten ein optimales und individuelles
Therapiekonzept entsprechend dem neusten Stand der Wissenschaft und der Erfahrung aller beteiligten Fachbereiche zu bieten.
Kontakt
PD Dr. Thomas Niemeyer
Wirbelsäulen-Zentrum Hamburg
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 21 11
Fax (0 40) 18 18-85 30 79
E-Mail: [email protected]
Asklepios Klinik Harburg:
Neuer Leiter der Kinderchirurgie
Seit 1. März leitet Dr. Bernd Richter die
Sektion für Kinderchirurgie des Urologischen Zentrums an der Asklepios Klinik
Harburg. Der Facharzt für Kinderchirurgie
wurde in Bad Orb geboren, studierte an
den Universitäten Homburg/Saar, Göttingen und Marburg und absolvierte seine
Weiterbildung im Arrowe-Park-Hospital,
Liverpool, sowie in der Kinderchirurgischen Klinik des ZKH Sankt-Jürgen-Straße
in Bremen bei Dr. Booss und Prof. v. d.
Oelsnitz. 2002 wechselte er an die Kinderchirurgische Klinik der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald unter Prof.
Festge, 2003 als Oberarzt des Funktionsbereiches Kinderchirurgie an die Klinik für
Allgemein- und Gefäßchirurgie der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität
Frankfurt/Main unter Prof. Heller. 2005
wurde Richter Leitender Oberarzt der
Abteilung für Neugeborenen- und Kinderchirurgie am Klinikum der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster unter Dr. K.
Lohse. Von 2007 bis 2009 leitete er schließlich die Kinderurologische Sprechstunde
und die operative Kinderurologische Versorgung im Altonaer Kinderkrankenhaus,
wo er auch an der Pränataldiagnostik teilnahm.
Richters klinische Schwerpunkte liegen in
der Kinderurologie (v.a. angeborene urogenitale Fehlbildungen, Harntransportstörungen, Hodenhochstand), der Frühgeborenen- und Fehlbildungschirurgie, der
Kindertumorchirurgie und Kindertraumatologie sowie der minimal-invasiven Kinderchirurgie des Bauchraumes. Seine wissenschaftlichen Publikationen befassen
sich vor allem mit den Themen Oesophagusatresie und roboterassistierte Hemifundoplikatio. Daneben ist Dr. Bernd Richter
Autor des 2003 im Peter Lang-Verlag
erschienenen Buches „Kindesmisshandlung“. Besonders wichtig ist Richter der
gute Kontakt zu den behandelten Kindern
und ihren Eltern sowie den sie betreuenden niedergelassenen Kinderärzten. Die
persönliche ambulante Beratung und stationäre Betreuung der Kinder und Eltern
auf dem fachlichen Niveau der aktuellsten
kinderchirurgischen Versorgung steht bei
seinen Zielen ganz oben.
Personalia
Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer
Kontakt
Dr. Bernd Richter
Allgemein-, Gefäß- und Viszeralchirurgie
Sektion Kinderchirurgie
Asklepios Klinik Harburg
Eißendorfer Pferdeweg 52
21075 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-86 50 98
Fax (0 40) 18 18-86 30 09
E-Mail: [email protected]
Kinderchirurgische und
Kinderurologische Sprechstunden
Enuresis- und Inkontinenz-Sprechstunde:
Mittwoch 12 – 14 Uhr
Allgemeine Kinderchirurgie, Fehlbildungen
und Harntransportstörungen:
Donnerstag 12 – 14 Uhr
Haus 8, 1. OG, Zi. 133
Termine:
Tel. (0 40) 18 18-86 26 61
Asklepios Klinik St. Georg:
Neuer Chefarzt des ChirurgischTraumatologischen Zentrums und der
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Seit April leitet Prof. Dr. Thomas Armin
Schildhauer das Chirurgisch-Traumatologische Zentrum und die Abteilung für Unfallund Wiederherstellungschirurgie der
Asklepios Klinik St. Georg. Der bisherige
Leitende Oberarzt und ständige Vertreter
des Direktors der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik der BG-Universitätskliniken „Bergmannsheil“ der RuhrUniversität Bochum tritt dabei die Nachfolge
von Prof. Dr. Christoph Eggers an.
Schildhauer wurde 1963 in Düsseldorf geboren, ist verheiratet und hat vier Kinder.
Sein Medizinstudium absolvierte er an der
RWTH Aachen, Famulaturen und Prakti-
sches Jahr führten ihn unter anderem in
die Schweiz, nach Südafrika und an die
Orthopädie/Chirurgie der USC in Los
Angeles. Mit dem Thema „Invitro Protonen-Relaxometrie von normalem, benignem und malignem Mamma-Gewebe“
promovierte er am Fraunhofer Institut für
Biomedizinische Technik und Biophysikalische Chemie. Mehrjährige und DFG-unterstützte Forschungsaufenthalte folgten an
der USC in Los Angeles und am Hospital
for Special Surgery der New Yorker Cornell University.
Schildhauers Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum trug den Titel „Entwicklung modifizierter Operationstechniken
und Charakterisierung von Biomaterialien
zur Knochenfraktur- und Defektheilung“.
Seine klinische Weiterbildung absolvierte
Schildhauer an der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik der BG-Kliniken
„Bergmannsheil“ der Ruhr-Universität
Bochum, im Trauma Service des Department of Orthopaedics am MetroHealth
Medical Center in Cleveland und im Trauma and Reconstruction Service des Department of Orthopaedics and Sports Medicine
am Harborview Medical Center der University of Washington in Seattle, wo er
letztendlich als Oberarzt und Assistant
Professor tätig war. 2002 wurde Schildhauer Oberarzt und 2005 Leitender Oberarzt
und ständiger Vertreter des Direktors der
Chirurgischen Klinik am Bergmannsheil.
ler und internationaler Standesorganisationen und Arbeitsgemeinschaften, des Editorial Boards des American Journal of Orthopaedic Trauma sowie Reviewer mehrerer
internationaler Fachzeitschriften. Am St.
Georg möchte Prof. Schildhauer die ganzheitliche, fachübergreifende Behandlung
der Traumapatienten, einschließlich aller
wirbelsäulen-chirurgischen Aspekte, wie
gewohnt fortführen, aber auch durch seine
speziellen Erfahrungen in der muskuloskeletalen Wiederherstellung verstärken. Darunter fallen vor allem die umfangreiche
Rekonstruktion am Azetabulum, Pilon tibiale und Fuß sowie die Behandlung posttraumatischer Fehlstellungen und Pseudarthrosen an Becken und Extremitäten.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer
Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 22 86
Fax (0 40) 18 18-85 37 70
E-Mail: [email protected]
Im Juli 2008 verlieh die Ruhr-Universität
Bochum ihm den Titel eines Außerplanmäßigen Professors. Seine klinischen Schwerpunkte liegen in der orthopädischen Traumatologie/Gelenkrekonstruktion, der
Becken- und Azetabulumchirurgie, der
posttraumatischen Wiederherstellungschirurgie sowie der Polytraumaversorgung.
Schildhauer ist Mitglied mehrerer nationa-
665
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Personalia
Prof. Dr. Sigrid Nikol
Asklepios Klinik St. Georg:
Neue Abteilung für Angiologie
Seit Februar verfügt die Asklepios Klinik
St. Georg über eine Abteilung für Klinische
und Interventionelle Angiologie, die von
der Angiologin Prof. Dr. Sigrid Nikol geleitet wird. Prof. Nikol wurde in Erlangen
geboren, studierte an der RWTH Aachen,
sammelte während ihrer Famulaturen und
PJ-Einsätze Erfahrungen unter anderem in
Kenia und Dominica. Ihre Dissertation, mit
der sie bei dem Medizinhistoriker Prof.
Murken in Aachen promovierte, trug den
Titel „Die Geschichte des Medizinalwesens
und die Traditionelle Heilkunde der Karibischen Insel Dominica”.
Prof. Nikol absolvierte ihre ärztliche
Weiterbildung in der Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie der RWTH Aachen, in der
Kardiologie des Krankenhauses Maria Hilf
II in Mönchengladbach sowie in der Abteilung Cardiovascular Research am St. Elizabeth’s Medical Center der Tufts University,
Boston. 1992 wechselte sie an die Medizinische Klinik I (Kardiologie, Pulmonologie,
Nephrologie) im Klinikum Großhadern
der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, wo sie sich 1999 mit dem Thema
„Gentherapie zur Prävention der Restenose
nach Angioplastie“ habilitierte. Im Jahr
darauf wurde Nikol zur C3-Professorin für
Molekulare Kardiologie an die Medizinische Klinik und Poliklinik C der Universität Münster (Direktor: Prof. G. Breithardt)
berufen. Nach deren Aufbau leitete sie hier
bis Januar die Angiologie im Universitätsklinikum der Westfälischen Wilhelms-Universität.
Prof. Nikols wissenschaftliche Schwerpunkte liegen in der Pathophysiologie der
Restenose nach Angioplastie, der Gentherapie zur Prävention der Restenose, der
666
Rolle von Genen, Zytokinen und Zelltherapie bei der Regulation der Myokardfunktion und Regeneration einschließlich
Angiogenese bis hin zu klinischen Studien
zur Regeneration von Myocard und Gefäßen mittels Zell- und Zytokintherapie.
Sie ist Mitglied zahlreicher nationaler und
internationaler Fachgesellschaften und
Editorial boards, Trägerin mehrerer Forschungspreise sowie Autorin und Gutachterin zahlreicher Fachartikel und Förderanträge.
Die neue Abteilung in der Asklepios Klinik
St. Georg bietet neben Angiographien und
therapeutischen Katheterinterventionen an
peripheren Arterien und Venen (PTA)
sowie regenerativen Therapien (Gen- und
Stammzelltherapie) das gesamte Spektrum
der nicht-invasiven Gefäßdiagnostik einschließlich Duplex- und Doppler-Sonographien der extremitätenversorgenden, abdominellen, retroperitonealen, intra- und
extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße,
Dopplerdruck-Messungen des systolischen
Blutdrucks peripherer Arterien, Kapillaroskopien, Venenverschlussplethysmographien, Oszillographien, Licht-ReflexRheographien, transkutanen Sauerstoffdruckmessungen und Laufbandergometrien.
Dr. Rainer Zahorsky
Linksherzkatheter im Asklepios
Westklinikum Hamburg-Rissen
Mit dem Facharzt für Angiologie und
Kardiologie Dr. Rainer Zahorsky bietet das
Asklepios Westklinikum in seinem Herzzentrum Hamburg West seit Januar auch
Linksherzkathetereingriffe an. Daneben
gehören auch Kathetereingriffe an Hirnund peripheren Arterien zum neuen
Behandlungsspektrum.
Kontakt
Dr. Rainer Zahorsky
Herzzentrum Hamburg West
am Asklepios Westklinikum Hamburg
Suurheid 20, 22559 Hamburg
Tel. (0 40) 81 91-20 27
Fax (0 40) 81 91-20 34
Kontakt
Prof. Dr. Sigrid Nikol
Klinische und Interventionelle Angiologie
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 24 01
Fax (0 40) 18 18-85 39 80
E-Mail: [email protected]
Interdisziplinär
Adipositastherapie
im Adipositaszentrum
Dr. Wolfgang Tigges
Adipositas ist eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes. Die Weltgesundheitsorganisation hat Adipositas und Übergewicht als chronische Krankheit mit eingeschränkter Lebensqualität und
hohem Krankheits- und Sterberisiko bewertet und zu Epidemien des 21. Jahrhunderts erklärt. Auch in Deutschland
steigt die Zahl der an Adipositas leidenden Menschen Jahr für Jahr an. Heute schon ist jeder zweite Mann und
jede dritte Frau übergewichtig.[1]
Adipös ist ein Patient mit einem Body-MaßIndex (BMI) von mehr als 30, als normalgewichtig gilt ein BMI bis zu 25. Der BMI
berechnet sich aus dem Körpergewicht in
Bezug zum Quadrat der Körpergröße in
Meter. Danach werden die weiteren Grade
der Adipositas eingeteilt in Grad 2 (BMI
35 – 39,9) und extreme Adipositas Grad III
(BMI ab 40).
Adipositas bezeichnet primär keine psychologische, sondern eine körperliche Relevanz und hat daher zunächst einmal internistische Bedeutung. Ihren inzwischen
anerkannten Krankheitswert bekommt die
Adipositas durch eine Vielzahl von Folgeerkrankungen, insbesondere im Rahmen
des Metabolischen Syndroms, das erhebliche Auswirkung auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung hat. Zu den Folgekrankheiten zählen z. B. Bluthochdruck,
Fettstoffwechselstörungen, koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus Typ II und
degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch Krebserkrankungen
werden bei Adipositas gehäuft beobachtet.
Abgesehen von den körperlichen Folgeerkrankungen sind auch psychosoziale
Konsequenzen wie erhöhte Depressivität,
Ängstlichkeit, soziale Diskriminierung,
Selbstwertminderung und soziale Isolation
bedeutend. Die Gründe für die Entstehung
von Übergewicht sind vielfältig und
umfassen unter anderem genetische Faktoren, soziale Umwelteinflüsse, kulturelle
Gewohnheiten, das Ausmaß an Bewegung
und psychische Dispositionen.[2,3]
Versorgungssituation in Deutschland
Die Notwendigkeit der Behandlung übergewichtiger und adipöser Patienten konnte
in verschiedenen Studien nachgewiesen
werden. Alleine durch die Gewichtsreduktion waren in bis zu 80 Prozent der Fälle
ein Rückgang der Folgeerkrankungen und
eine Verlängerung der Lebenserwartung
nachzuweisen. Grundsätzlich ist die
Behandlung von Übergewicht und adipösen Patienten eine interdisziplinäre Herausforderung für verschiedene Disziplinen,
die miteinander die individuelle Therapie
für den Patienten festlegen. Häufig bleibt
der Patient sich selbst überlassen. Aus
Unkenntnis oder von Vorurteilen geprägt
werden Therapieempfehlungen abgegeben,
die sich ausschließlich auf eine der Komponenten von Ernährungsberatung oder
Verhaltenstherapie stützen, ohne den
Patienten in der Therapie selbst zu begleiten. Die Folgeerkrankungen der Adipositas
wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Störungen des Fettstoffwechsels und Herzkreislauferkrankungen werden dagegen
erkannt und isoliert ohne Betrachtung der
auslösenden Ursache des Übergewichtes
therapiert. Durch ursächliche Behandlung
der Adipositas könnten Folgeerkrankungen allein durch Gewichtsreduktion mit
nachhaltiger Stabilisierung des Gewichtes
behandelt werden. Da Adipositas eine
chronische Erkrankung mit hoher Rezidivneigung ist, kommt es darauf an, über die
eigentliche Phase der Gewichtsabnahme
hinaus eine langfristige Gewichtsstabilisierung durch dauerhafte Verbesserung des
Gesundheitsverhaltens zu erreichen.[4]
Optimierte Behandlung der Adipositas
im Adipositaszentrum Hamburg
2003 wurde am Asklepios Westklinikum
Hamburg das Adipositaszentrum Hamburg gegründet. Hier entwickeln Spezialisten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam ein Konzept, das für jeden Patienten
individuell die beste Lösung bietet, das
Gewicht dauerhaft zu reduzieren.
Abb. 1: Lagerung zur laparoskopischen Operation
667
Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Abb. 2: OP-Team während laparoskopischer Operation
Im Adipositaszentrum Hamburg sind mehrere Fachdisziplinen zusammengefasst:
haben oder eine psychische Erkrankung
der Operation entgegensteht.
■ Psychosomatische Abteilung, Chefarzt
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens
■ Innere Abteilung, Diabetologie, Angiologie/Kardiologie mit Schlaflabor,
Chefarzt Prof. Dr. Manfred Dreyer
■ Innere Medizin, Gastroenterologie mit
Oecotrophologie, Chefarzt Prof. Dr.
Andreas Raedler
■ Chirurgische Abteilung, Chefarzt Dr.
Wolfgang Tigges
Grundsätzlich kommen hier entsprechend
den Leitlinien der Adipositasgesellschaft
alle Anwendungen der bariatrischen Chirurgie zum Tragen. Neben dem laparoskopischen Gastric Banding werden im Adipositaszentrum Magenbypassverfahren und
Schlauch-Magenbildungen sowie Magenballon-Implantationen durchgeführt. Auch
diese Operationen werden laparoskopisch
durchgeführt. Für alle Patienten wird eine
individuelle chirurgische Lösung gesucht.
Dabei kann grob festgehalten werden, dass
ein Patient mit einem BMI bis 45 mit einem
Magenband versorgt werden sollte, ein
Patient mit einem BMI über 50 mit einem
Magenbypass. Insbesondere bei einem
gleichzeitig vorliegenden Metabolischen
Syndrom ist eine Magenbypassoperation
vorzuziehen.[5,6]
Eingebunden sind außerdem eine Selbsthilfegruppe sowie ein spezialisiertes Fitnessstudio.
Dem Schweregrad der Adipositas entsprechend wird für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie festgelegt. Sie kann
psychotherapeutische Behandlungen oder
ein konservatives Ernährungstherapie-Programm „Schwerelos“ beinhalten, in ausgewählten Fällen der extremen Adipositas
aber auch operative Eingriffe. Operative
Behandlungen kommen für Patienten
infrage, die einen BMI von mehr als 35 mit
Folgeerkrankungen oder einen solchen von
mehr als 40 aufweisen. Voraussetzung ist,
dass bislang durchgeführte konservative
Therapiemaßnahmen nicht dauerhaft zur
gewünschten Gewichtsreduktion geführt
668
Tagesklinisches Konzept
Mit der Tagesklinik „Stoffwechselerkrankung und Übergewicht“ bietet das Asklepios Westklinikum Hamburg eine bislang
in der Bundesrepublik einmalige Möglichkeit, diese verschiedenen Therapieansätze
zu intensivieren. Bei Patienten mit Essstörungen oder einem BMI > 35 kg/m² oder
> 30 kg/m² mit Komorbiditäten ist die Ein-
leitung einer tagesklinischen Therapie indiziert. Das Angebot richtet sich insbesondere an Patienten mit einem Umfeld (z. B.
erforderliche Kinderbetreuung), das ein
vollstationäres Konzept nicht zulässt, oder
mit einer mittleren Schwere der Störungen,
die keine stationäre Behandlung erfordert,
oder Patienten, die vom täglichen Wechsel
des Umfeldes und regelmäßiger Alltagserprobung profitieren und der Regressionsgefahr der stationären Behandlung nicht
ausgesetzt werden sollen.
Ebenso werden in diesem tagesklinischen
Konzept Patienten betreut, bei denen ein
operatives Verfahren indiziert ist. Hier
erfolgt sowohl eine prästationäre Vorbereitung als auch eine poststationäre Betreuung, die in der Umstellungsphase der
Essgewohnheiten nach Magenband oder
Magenbypass-OP eine wichtige Begleittherapie darstellt.
Auswahl der Patienten
für das Adipositasprogramm
Fakultativ können übergewichtige Patienten (BMI 25 – 30) von Hausärzten dem Adipositaszentrum zugewiesen werden. Eine
obligate Vorstellung des Patienten sollte
vom Hausarzt dann erfolgen, wenn ein
BMI von mehr als 30, insbesondere aber
mit bereits vorliegenden Folgeerkrankun-
Interdisziplinär
Abb. 3: Postoperative Röntgenkontrolle nach Magen-
Abb. 4: Adipositas per magna, 38-j. Patientin unmittel-
Abb. 5: Patientin ½ Jahr nach laparoskopischer Operation
band – restriktiver Effekt
bar nach laparoskopischer Operation
und Gewichtsverlust von 30 kg
gen besteht. Der Hausarzt wird vom Adipositaszentrum über die individuelle, nach
interdisziplinären Gesichtspunkten entwickelte Behandlungsstrategie seines Patienten informiert.
Nach abgeschlossenem Behandlungsprogramm erfolgt die weitere lebenslange
Betreuung des Patienten in vierteljährlichen, später bei Stabilisierung der
Gewichtsreduktion nach Ablauf von zwei
Jahren in jährlichen Abständen. Es ist
bekannt, dass die Therapiekonzepte im
konservativen Ansatz mit Diäten und Verhaltenstherapien in einem hohen Maße
durch erneute Gewichtszunahme im Sinne
eines Jo-Jo-Effektes gekennzeichnet sind.
Die derzeit wirksamste Methode, dauerhaft eine Gewichtsreduktion zu erzielen,
ist die operative Therapie.[7]
Den Behandlungsmodulen entsprechend
wird der Hausarzt aufgefordert, unter
ambulanten Bedingungen somatische
Erkrankungen als Ursache der Adipositas
auszuschließen. Dazu zählt insbesondere
der Ausschluss endokrinologischer Erkrankungen durch die Bestimmung von Laborwerten (Cortisol, TSH). Ist der Patient für
die operative Adipositastherapie vorgesehen, sollte der Hausarzt auch die Untersuchungen zum Ausschluss somatischer
Begleiterkrankungen durch abdominelle
Sonographie und Gastroskopie durchführen
(Gallenblasenerkrankungen, Magenerkrankungen, Neoplasien). Zwischenzeitliche
ambulante Vorstellungen nach eingeleiteter
spezieller Adipositastherapie erfolgen zur
Verlaufskontrolle beim Hausarzt, der entsprechend einem erwarteten Therapieerfolg
durch das Adipositaszentrum festgelegte
Kriterien überprüfen kann. Bei Abweichen
der entsprechenden Parameter wird der
Patient unmittelbar in die Sprechstunde
des Adipositaszentrums zurücküberwiesen, auch außerhalb der festgelegten ambulanten Vorstellungszeiten.
Kontakt
Dr. Wolfgang Tigges
Allgemein- und Viszeralchirurgie
Asklepios Westklinikum Hamburg
Suurheid 20, 22559 Hamburg
Tel. (0 40) 81 91-24 00
Fax (0 40) 81 91-24 09
E-Mail: [email protected]
Literatur
[1] Ernährungsbericht 2004, Dt. Gesellschaft für Ernährung
Durch verschiedene Behandlungsmodule,
die vom Adipositaszentrum Hamburg
angeboten werden, kann einerseits der
mangelnde Therapieerfolg durch konservative Maßnahmen verbessert werden (Wegfall des Jo-Jo-Effektes), andererseits auch
eine deutliche Beeinflussung der Folgeerkrankung stattfinden. Mit Einbindung der
chirurgischen Therapie können darüber
hinaus durch Reduktion von mindestens
50 Prozent des Übergewichts in den ersten
beiden Jahren das Ausmaß der Folgekrankheiten nachhaltig reduziert sowie Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten deutlich verbessert werden.
e.V.
[2] Hell E, Miller K. Kriterien zur Selektion von Patienten
für bariatrische Eingriffe, Zentral Chir 2002; 127: 1035-7.
[3] Schüler-Schneider A. Psychosomatik der Adipositas,
Chir Gastroenterol 2003; 19: 12-20.
[4] Weiner S, Weiner R, Pomhoff I. Lebensqualität nach
bariatrischen Eingriffen – ein Überblick Chir Gastroenterol
2003; 19: 70-5.
[5] Buchwald H, Avidor Y, Braunwald E et al. Bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. JAMA. 2004
Oct 13; 292(14): 1724-37.
[6] Buchwald H, Buchwald JN. Evolution of operative procedures for the management of morbid obesity 1950-2000.
Obes Surg. 2002 Oct; 12(5): 705-17.
[7] Sjöström L, Lindroos AK, Peltonen M et al. Lifestyle,
diabetes, and cardiovascular risk factors 10 years after bariatric surgery. N Engl J Med. 2004 Dec 23; 351(26): 2683-93.
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Medtropole | Ausgabe 17 | April 2009
Das Darmzentrum
der Asklepios Klinik Altona
Dr. Martin Keuchel*, Prof. Dr. Wolfgang Schwenk*, Dr. Dietrich Braumann*,
Priv.-Doz. Dr. Florian Würschmidt**, Frank Kühl*, Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller*
* Asklepios Klinik Altona
** Radiologische Allianz Mörkenstraße, Hamburg
Die Deutsche Krebsgesellschaft hat jüngst mit Übergabe der Urkunde durch Prof. Dr. Ulrich Kleeberg, Vorstandsmitglied der DKG und Pionier des Onkologie-Standorts Hamburg, die Asklepios Klinik Altona als Darmzentrum
anerkannt. Das „Organzentrum Darm“ versteht sich als Teil des ebenfalls zertifizierten Tumorzentrums der Klinik.
Keimzelle des Darmzentrums ist die seit Jahren etablierte „GastroClinic“ der Asklepios Klinik Altona, eine interdisziplinäre Einrichtung der Abteilungen für Gastroenterologie und Viszeralchirurgie. Dreh- und Angelpunkt für
fachliche Entscheidungen ist das interdisziplinäre Tumorboard. Aufgabe des Darmzentrums ist die evidenzbasierte
Behandlung aller Patienten mit intestinalen Tumoren und anderen Erkrankungen der Verdauungsorgane durch ein
hoch spezialisiertes, interdisziplinäres Expertenteam mit hohen Fallzahlen. Die maßgeschneiderte Therapie für
jeden Patienten auf höchstem Qualitätsniveau ist das Ziel.
Mit besonderer Intensität widmet sich das
Team des Darmzentrums der Behandlung
des kolorektalen Karzinoms, die Diagnose
bedeutet keineswegs immer den chirurgischen Eingriff.
Vorsorge und Behandlung des
kolorektalen Karzinoms
Seit 2002 wird in Deutschland für alle
gesetzlich versicherten Bürger ab 55 Jahren
eine Vorsorge-Koloskopie angeboten. Sie
erlaubt eine echte Prävention durch Entfernung von Polypen als Vorstufen des kolorektalen Karzinoms. Findet sich in einem
solchen Polypen ein Karzinom, kann bei
frühen Formen mit hoher Differenzierung,
freien Resektaträndern, allenfalls minimaler Infiltration der Submukosa und fehlender Lymph- und Veneninfiltration die endoskopische Therapie ausreichend sein.
670
Durch endoskopische Mukosaresektion
lassen sich heute auch große flache Polypen abtragen. Bei frühen Karzinomen kann
durch endoskopische Submukosadissektion eine enbloc Resektion erfolgen. Chromoendoskopie und Farbfilter verbessern
die Diagnostik. Der Stellenwert der in Altona neu verfügbaren „optischen Biopsie“
durch konfokale Lasermikroskopie muss
sich noch beweisen. Bei der Behandlung
früher Karzinome ist der Dialog zwischen
Endoskopiker, Pathologe und Chirurg
gefragt. Ist eine Nachresektion erforderlich,
kann die endoskopische Markierung der
Abtragungsstelle die Operation erleichtern.
Weiter können heute zahlreiche Dickdarmkarzinome minimal-invasiv reseziert werden, ohne dass die onkologischen Langzeitergebnisse dadurch gefährdet werden.
Beim Rektumkarzinom ist neben der histologischen Diagnose auch eine exakte Sta-
dieneinteilung (CT/MRT und Endosonographie) wichtig. Liegt ein Stadium T3
und/oder N1 vor, kann eine neo-adjuvante
Radio-Chemotherapie vor der Operation
die Prognose verbessern. Nach gemeinsamer
Wertung der Befunde und Beschlussfassung
im Tumorboard wird die ambulante RadioChemotherapie mit den niedergelassenen
Kollegen initiiert, die Anlage eines Venenports vereinbart und die anschließende
Rektumresektion – unter Umständen
wiederum als laparoskopischer, minimalinvasiver Eingriff – gebahnt.
Nach der Resektion wird der Patient erneut
im Tumorboard besprochen und festgelegt,
ob eine nachfolgende adjuvante Chemotherapie aufgrund des pathologischen
Stadiums erforderlich ist. Auch in metastasierten Situationen kann den Patienten
vielfältige Hilfe angeboten werden. Neben
der CT bietet hier die Kontrastmittel-Sono-
Interdisziplinär
Die Tumorkonferenz tagt dreimal wöchentlich im Hörsaal der Asklepios Klinik Altona
graphie für Lebermetastasen ausgezeichnete Detektionsraten. Die vollständige Resektion von bis zu drei Lebermetastasen kann
mit einer Langzeitheilung einhergehen.
Dagegen erlaubt die sonographisch gesteuerte Radiofrequenzablation RFA (ggf. auch
intraoperativ) oder die radiologische transarterielle perkutane Chemoembolisation
(TACE) die erfolgreiche palliative Behandlung nicht resektabler Lebermetastasen.
Bei diffusem Befall kommen systemische
Chemotherapien in Betracht, ggf. auch als
second oder third line Therapie, sowie die
Gabe monoklonaler Antikörper. Chirurgische und endoskopische Palliativeingriffe
stehen bei fortgeschrittenen Tumoren ebenso zur Verfügung wie palliative Bestrahlung oder Plexusblockade.
Es wird jedoch nicht das medizinische Problem behandelt, sondern der Kranke in seiner Ganzheit als menschliches Wesen. Hier
sind neben persönlicher Zuwendung der
medizinisch Verantwortlichen auch der
Einsatz der Seelsorger und Psychologen
wichtig. Bei Bedarf kümmern sich Schmerztherapeuten, Sozialarbeiter oder Stomatherapeuten um den Patienten. Bei Karzinomen junger Patienten oder familiären
Erkrankungen besteht die Möglichkeit
einer genetischen Beratung und gezielten
Genanalyse. Besondere Situationen eines
Patienten können zum Abweichen von den
Leitlinien führen. Dies wird dann von allen
Mitgliedern des Tumorboards nach Diskussion getragen und nicht als einsame Entscheidung eines einzelnen Arztes.
Qualitätssicherung
Wichtiger Bestandteil eines Darmzentrums
ist die Qualitätssicherung. Hierzu gehört
das in Altona vorhandene klinische Krebsregister. Ausgewählte Daten von Darmkrebs-Patienten werden in einer Datenbank
erfasst. Die Software ermöglicht zudem die
Übertragung ausgewählter Daten an das
Hamburger Krebsregister. In regelmäßigen
Abständen werden Dokumentare den Kontakt zu Arztpraxen suchen, um sich über
den weiteren Verlauf der Behandlung zu
informieren und die Verlaufsdaten zu
dokumentieren.
Der Sicherstellung einer leitliniengerechten
Behandlung dient ein 1.300 Seiten umfassendes Behandlungspfade-Handbuch.
Leitlinien und Standards beschreiben die
medizinischen Prozesse von der Aufnahme
des Patienten bis zur postoperativen Versorgung und sind im Intranet einsehbar.
ligten Klinikern und Niedergelassenen wird
die leitlinienbasierte Behandlung festgelegt
und dokumentiert. Gerade für jüngere
Ärzte hat dies einen hohen Lerneffekt.
Die Konferenzen sind als Fortbildungsveranstaltung von der Ärztekammer
Hamburg anerkannt. Das Zertifikat
„Darmzentrum“ ist kein Qualitätssiegel
für die Ewigkeit. Zur Aufrechterhaltung
des Status überprüfen externe Auditoren
jährlich erneut die Strukturen, Prozesse
und Behandlungsergebnisse des Darmzentrums. Eine Rezertifizierung erfolgt in
drei Jahren.
Kontakt
Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller
Medizinische Abteilung –
Gastroenterologie
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg
Das intraoperative Controlling sichert die
chirurgische Qualität neben den etablierten
prä- und postoperativen Maßnahmen. Zu
festgelegten Momenten eines Eingriffes
wird ein zweiter Chirurg – außerhalb des
Operationsteams – zur Operation gebeten.
Er dient als Korrektiv für die intraoperative Diagnose, die Festlegung der operativen
Strategie und schließlich des Ergebnisses.
Tel. (0 40) 18 18-81 12 01
Fax (0 40) 18 18-81 49 02
In den regelmäßig stattfindenden Tumorkonferenzen werden dem Tumorboard alle
Patienten mit Darmkrebs vorgestellt. Im
interdisziplinären Gespräch mit den betei-
Tel. (0 40) 18 18-81 16 01
Fax (0 40) 18 18-81 49 07
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Wolfgang Schwenk
I. Chirurgische Abteilung –
Allgemein- und Viszeralchirurgie
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1
22763 Hamburg
E-Mail: [email protected]
671
ISSN 1863-8341
Am Anfang war der Feuerstein –
die Geschichte der Neurochirurgie
Jens Oliver Bonnet
Die Schädeltrepanation gehört zu den
ersten chirurgischen Eingriffen, das zeigen
etwa 12.000 Jahre alte paläoanthropologische Funde aus Marokko. So weist ein in
der Nekropole von Taforalt entdecktes Teil
eines Schädelgewölbes ein vernarbtes Loch
von einer Schädeltrepanation auf. Die Vernarbung zeigt, dass der Patient den Eingriff überlebt haben muss. Die dabei angewendete Schabemethode war zugleich die
älteste Technik zur Eröffnung des Schädeldachs eines Lebenden und die schonendste: Mit einem Feuersteinschaber wurde
nach Umklappen der Kopfschwarte das
knöcherne Schädeldach in einem umschriebenen Bezirk geöffnet. Die Überlebenschancen für einen derartigen Eingriff
betrugen im Neolithikum etwa 73 Prozent,
während die von den Griechen und Römern
praktizierte modernere Methode mit einem
Kronentrepan nur von der Hälfte der
Patienten überlebt wurde.[1] Hippokrates
(450 – 370 v. Chr.) verwendete drei Formen
von Trepanen, die er für verschiedene
Anwendungen auswählte: Neben dem
gewöhnlichen Kronentrepan setzte er ein
schärfer gezähntes Instrument für putride
und purulente Knochenteile ein, die von
dem gewöhnlichen Trepan zu stark gerissen worden wären, und einen geraden
Bohrer zum Bohren kleiner Öffnungen, den
Perforativtrepan.[2] Im frühen Mittelalter
verbot die Kirche Trepanationen an lebenden Menschen. Im 16. Jahrhundert kam
sie wieder in Mode, neben den typischen
Werkzeugen wie Hammer, Meißel oder
Messer wurden nun auch Schraubapparate
oder primitive Bohrgeräte eingesetzt. Zu
dieser Zeit schnitten auch zahlreiche Scharlatane den Patienten gegen Geld angeblich
Steine und sogar Tiere aus dem Kopf. Eine
solche „Operation“ zeigt Hieronymus
Bosch in seinem Gemälde „Das Steinschneiden“ (Museo del Prado, Madrid).
Als Geburtsland der modernen Neurochi-
www.medtropole.de
Fedor Krause
rurgie gilt Großbritannien: 1876 zeigte der
Londoner Chirurg William MacEwen, dass
es möglich ist, aus der klinischen Beobachtung der motorischen und sensorischen
Funktionen auf die Lokalisation eines Tumors oder einer Läsion im Hirn zu schließen. So diagnostizierte er einen Abszess im
Frontallappen eines Jungen, doch die Eltern
verweigerten die Operation. Die Autopsie
des Jungen bestätigte MacEwens Diagnose.
1879 führte er schließlich die erste erfolgreiche intrakranielle Operation durch,
indem er ein allein anhand klinischer
Symptome lokalisiertes Meningeom entfernte. Die Patientin, ein junges Mädchen,
lebte nach dieser Operation noch acht
Jahre.[3] 1884 führten der Chirurg Rickman
John Godlee und der Neurologe Alexander
Hughes Bennett in London die erste erfolgreiche Hirntumorexstirpation durch.
entwickelt schonende Operationstechniken, die zum Teil noch heute grundlegend
bei Operationen am Frontallappen, dem
Ganglion Gasseri oder im Bereich des
Chiasma opticum sind. So fand er den Weg
zur Hypophyse bei der Entfernung einer
Revolverkugel, die bis zum hinteren Rand
der Orbita eines Patienten vorgedrungen
war. 1908 operierte Krause an der Charité
den ersten lumbalen Bandscheibenvorfall.[4]
Doch trotz der grundlegenden Arbeiten
und Erfolge der zu dieser Zeit weltweit
führenden deutschen Chirurgen ging die
Entwicklung der Neurochirurgie in der
Gründerzeit von den USA aus. Der Chirurg Harvey Cushing gilt als Begründer der
Neurochirurgie, da er unter anderem die
weltweit erste Schule für Neurochirurgie in
Boston gründete. Durch verbesserte Operationstechniken und -zugänge sowie die
Einführung von Narkoseprotokollen senkte Cushing die damals hohe Mortalitätsrate
der Hirnoperationen von 90 auf sechs Prozent.[5]
Die moderne Neurochirurgie wurde 1967
von Mahmut Gazi Yasargil in Zürich mit
Etablierung des OP-Mikroskops und der
Mikroneurochirurgie eingeläutet. Ein weiterer Meilenstein war ab 1990 die Entwicklung der Neuronavigation.
Literatur
[1] Grossinger, R. Wege des Heilens: Vom Schamanismus
der Steinzeit zur heutigen modernen Alternativmedizin,
München 1985.
Der 25-jährige Patient verstarb aber am
28. post-OP-Tag an einer eitrigen Meningitis. 1886 lokalisierte Victor Horsley epileptische Foci erstmals durch eine intraoperative elektrische Stimulation. Die Geschichte
der modernen Neurochirurgie in Deutschland beginnt unter anderem in HamburgAltona. Hier wird Fedor Krause 1892 Oberarzt im Städtischen Krankenhaus und
[2] Kühlewein H. Die chirurgischen Schriften des Hippocrates. In: Jahresbericht über die Königliche Klosterschule
zu Ilfeld. Nordhausen 1898: 12.
[3] Canale DJ. William MacEwen and the treatment of
brain abscesses: revisited after one hundred years. J Neurosurg. 1996 Jan; 84(1):133-42.
[4] Rosegay H. The Krause operations. J Neurosurg 1992;
76: 1032-6.
[5] Eckart WU. Ärzte Lexikon. Springer, Heidelberg 2006
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