Wissen Sonntag, 27. September 2015 / Nr. 39 Zentralschweiz am Sonntag 47 Wenn das Herz nicht mehr mit mag HERZ Atemnot und Müdigkeit sind Leitsymptome der Herzinsuffizienz. Längst nicht alle Betroffenen wissen von ihrer lebensbedrohlichen Krankheit. Herz-Event in Zug DIENSTAG Der 29. September gilt als Weltherztag. Die Schweizerische Herzstiftung lädt an diesem Tag zum Bewegungs-Event «Jeder Schritt zählt!» in Zug ein. Mitmachen kann jedermann (zwischen 12 und 17 Uhr). Mehr unter www. swissheart.ch/jsz INTERVIEW HANS GRABER [email protected] Was ist Herzinsuffizienz? Richard Kobza*: Herzinsuffizienz ist der medizinische Ausdruck für Herzschwäche. Das Herz kann nicht die gleiche Leistung erbringen wie im gesunden Zustand. Es ist nicht in der Lage, genug Blut durch den Kreislauf zu pumpen, der Körper wird nicht mehr optimal mit Blut und somit mit Sauerstoff versorgt. Als Folge der Pumpschwäche kann sich Wasser im Körper anstauen. Diverse Krankheiten können zu Herzinsuffizienz führen. der Herzspezialist mit dem Herzultraschall (Echokardiografie). Mit Ultraschall kann er die Auswurfleistung des Herzens messen, die Herzklappen und die Steifigkeit des Herzmuskels beurteilen, und er kann feststellen, ob ein Gebiet des Herzmuskels durch einen Herzinfarkt zu Schaden gekommen ist. Im Zuge der Abklärungen werden oft auch Herzkatheteruntersuchungen, MRI-Untersuchungen des Herzens oder – bei vermuteter Herzrhythmusstörung – Langzeit-EKGs gemacht, seltener sind genetische Testungen und andere Spezialuntersuchungen. Welche? Kobza: Zum Beispiel eine Erkrankung des Herzmuskels, sei es aufgrund einer angeborenen oder erworbenen Störung der Herzfunktion, sei es als Folge einer Entzündung des Herzmuskels (Myokarditis). Weiter in Frage kommen eine Narbe im Herzmuskel als Folge eines Herzinfarktes, eine Herzklappenerkrankung, eine Herzrhythmusstörung oder langjähriger Bluthochdruck. Zudem gibt es seltenere Ursachen wie angeborene Missbildungen des Herzens und Stoffwechselerkrankungen. Sind trotz verschiedener Ursachen die Symptome identisch? Kobza: Die Beschwerden unterscheiden sich von Patient zu Patient. Durch die eingeschränkte Leistung des Herzens kann es zu einer raschen Ermüdung kommen. Aufgrund der Pumpschwäche kann es zu Rückstau von Flüssigkeit in die Lunge kommen, was zum typischen Symptom Atemnot führt. Je ausgeprägter die Herzschwäche ist, desto geringere Anstrengungen führen zur Atemnot. Bei schwerster Herzinsuffizienz kann schon das Sprechen dazu führen oder sich auch in Ruhe bemerkbar machen. Und neben Müdigkeit und Atemnot? Kobza: Da sich Flüssigkeit nicht nur in der Lunge, sondern auch im Magen, in der Bauchhöhle und der Leber ansammeln kann, klagen Patienten teils über Appetitlosigkeit, Übelkeit und MagenDarm-Beschwerden. Ebenfalls durch Wassereinlagerung kann es zum Anschwellen der Beine, Füsse und Knöchel kommen (Ödeme). Die Einlagerung von Wasser führt auch zu einer Gewichtszunahme. Machen sich diese Symptome in der Regel frühzeitig bemerkbar? Kobza: Der Hausarzt wird an eine Herzinsuffizienz denken, wenn ihm der Patient die obengenannten Symptome wie Müdigkeit und Luftnot bei Anstrengung schil- Lässt sich der Grund der Herzinsuffizienz immer bestimmen? Kobza: Nein, manchmal findet sich keine konkrete Ursache, vor allem bei Herzmuskelentzündungen. Eine Herzinsuffizienz macht sich häufig bei körperlicher Anstrengung wie Treppensteigen erstmals bemerkbar. Symptome wie Atemnot werden aber oft falsch gedeutet oder ignoriert. Getty dert. Mit der klinischen Untersuchung kann er feststellen, ob sich Wasser im Körper angesammelt hat, etwa durch Abhören der Lunge mit dem Stethoskop, und mit dem Abhören des Herzens kann er Rückschlüsse ziehen, ob möglicherweise eine Herzerkrankung besteht. Führt einen eine Herzinsuffizienz fast zwangsläufig zum Arzt, oder kann sie mit dem plötzlichen Tod enden, ohne dass man zuvor etwas bemerkt hat? Kobza: Meistens führen einen die Beschwerden schon zum Arzt, aber es ist tatsächlich so, dass eine Herzrhythmusstörung zum plötzlichen Herztod führen kann, ohne dass der Betroffene wirklich realisiert hatte, dass er an einer Herzerkrankung litt. Ein typisches Beispiel ist eine akute Herzmuskelentzündung. Aber es gibt auch andere mögliche Gründe. Nämlich? Kobza: Eine Herzinsuffizienz kann sich sehr langsam entwickeln, sodass sich der Patient daran gewöhnt und nicht realisiert, dass seine Leistungsfähigkeit langsam abnimmt. Unser Körper kann zum Beispiel beim Sport sehr grosse Leistungen abrufen. Bei einer Herzinsuffizienz im Anfangsstadium hat man nur Beschwerden bei grossen Anstrengungen. Wenn sich jemand also kaum je anstrengt, immer Lift und Auto nimmt, kann es sein, dass er die Leistungsintoleranz lange gar nicht realisiert. Erst wenn die Leistung des Herzens noch weiter abnimmt, bekommt man auch bei Alltagsbeschäftigungen wie Kleideranziehen usw. Atemnot, wobei Betroffene dies vielleicht auf eine hartnäckige Erkältung zurückführen und nicht zum Arzt gehen. Wie viele Menschen sind betroffen? Kobza: In der Schweiz etwa 150 000 Personen. Nicht nur ältere, auch Jugendliche und Kinder können an Herzinsuffizienz leiden, meistens als Folge einer angeborenen Herzerkrankung oder einer Herzmuskelentzündung. Frauen erkranken etwas seltener, da sie aber eine längere Lebenserwartung haben, gibt es ungefähr gleich viele Männer und Frauen mit Herzinsuffizienz. Kann man einer Herzinsuffizienz vorbeugen? Kobza: Man kann das Risiko minimieren, aber nicht ganz eliminieren. Risikofaktoren sind sicher Rauchen, Bewegungsmangel und Übergewicht sowie hoher Blutdruck und hohe Blutfettwerte. Das alles kann zu Arteriosklerose («Arterienverkalkung») und Herzinfarkt führen und dieser zur Herzinsuffizienz. Gibt es eine Prävention gegen Herzmuskelentzündungen oder Herzklappenerkrankungen? Kobza: Um einer Herzmuskelentzündung vorzubeugen, sollte man bei Erkältungen mit Fieber unbedingt auf sportliche Betätigung verzichten. Eine Herzklappenerkrankung kann man dagegen leider nicht gross beeinflussen. Wie erfolgt die Diagnose einer Herzinsuffizienz? Kobza: Die Erfragung der Beschwerden (Anamnese) und die körperliche Untersuchung sind die Grundpfeiler der Dia­ gnostik, die Leistung des Herzens misst Spielt für die Therapie die Ursache überhaupt eine Rolle? Kobza: Natürlich, wenn man eine behandelbare Ursache feststellen kann, so muss zuerst diese behandelt werden. Muss man eine Herzinsuffizienz immer therapieren, auch eine leichtere Form? Im fortgeschrittenen Alter ist es doch normal, dass man nicht mehr das Herz eines 20-/30-Jährigen hat. Kobza: Ja, man sollte auch eine leichte Form behandeln, denn man weiss, dass die medikamentöse Therapie das Leben von Betroffenen verlängert. Daneben soll die Behandlung die Lebensqualität erhöhen, das Fortschreiten der Erkrankung bremsen und Spitaleinweisungen und lebensbedrohliche Notfälle vermeiden. Kann sich ein geschwächtes Herz wieder erholen, oder geht es bei der Therapie «nur» vor allem darum, eine weitere Schwächung zu verhindern? Kobza: Es gibt Situationen, in denen sich das Herz wieder erholt, häufig ist man aber bereits froh, wenn man eine weitere Verschlechterung aufhalten kann. HINWEIS * PD Dr. med. Richard Kobza ist Chefarzt Kardiologie am Luzerner Kantonsspital. Therapie: Von Medikamenten bis zur Herztransplantation BEHANDLUNG hag. In erster Linie erfolgt die Therapie der Herzinsuffizienz medikamentös. Die Medikamente haben zum Ziel, das Herz zu entlasten. Häufig zum Einsatz kommt dabei eine Kombination von ACE-Hemmer (wirkt u. a. blutdrucksenkend), Betablocker (vermindert u. a. die Herzfrequenz) und Diuretikum (wirkt wassertreibend). Jeder Patient reagiert anders, weshalb es oft Geduld braucht, bis die Behandlung optimal «eingestellt» ist. Ausser wenn die Erkrankung abheilt, müssen die Medikamente in vielen Fällen lebenslang eingenommen werden, teils immer wieder mal in anderer Zusammensetzung und Dosierung. Vielversprechend scheint das neue Medikament LCZ696 zu sein, das bei chronischer Herzinsuffizienz eingesetzt werden könnte. Aber, so Richard Kobza, Kardiologie-Chefarzt am Luzerner Kantonsspital: «Man muss in kontrollierten Studien jetzt erst einmal Erfahrungen damit sammeln.» Resynchronisationstherapie vermindert die Beschwerden zusätzlich und erhöht die Lebenserwartung. Patienten mit einem hohen Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen wird das Einsetzen eines sogenannten Defibrillators (im Fachjargon ICD) empfohlen, der durch elektrische Impulse das Herz wieder in den normalen Rhythmus bringt, falls lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen (Kammerflimmern) auftreten. Bei Herzklappenfehlern kann es notwendig sein, diese zu korrigieren via Herzkatheter oder Herzoperation. Welcher Patient welche Therapie erhält, ist individuell. Kobza: «Am Herzzentrum des Luzerner Kantonsspitals entscheiden wir jeweils im sogenannten Heart-Team in enger Zusammenarbeit zwischen Kardiologen und Herzchirurgen, welche Therapieform für den einzelnen Patienten die geeignetste ist.» Chirurgische Massnahmen Da sich heute in vielen Fällen eine Stabilisierung über Jahre erreichen lässt, wird die letzte Möglichkeit – eine Herztransplantation – eher selten ausgeschöpft. In der Schweiz werden derzeit jährlich rund 30 Herzen transplantiert. Da es in unserem Land weiterhin Ergänzend zu Medikamenten kann bei gewissen Patienten die Pumpfunktion durch die Implantation eines speziellen (biventrikulären) Schrittmachers verbessert werden. Diese sogenannte Transplantation und Kunstherz relativ wenige Organspender gibt, kann es zum Teil Jahre dauern, bis ein passendes Organ gefunden wird. Wären Kunstherzen eine Alternative? «Im klinischen Alltag kommen sie selten zur Anwendung», sagt Kobza, «persönlich bin ich aber überzeugt, dass auf diesem Gebiet in den nächsten Jahrzehnten eine grosse Entwicklung stattfinden wird.» Bereits eingesetzt werden als Überbrückungsmassnahme künstliche Pumpsysteme bei Patienten mit akutem Herzversagen. Was Betroffene tun können Muss man sich mit einem geschwächten Herzen möglichst schonen? «Nein», sagt Richard Kobza, «im Prinzip ist körperliche Aktivität bei Herzschwäche sogar sinnvoll und gut. Ein regelmässiges körperliches Training wirkt sich auf die Prognose sehr günstig aus.» Voraussetzung für Bewegungstraining ist aber ein stabiler Gesundheitszustand. Der behandelnde Arzt kann Auskunft geben, welches Ausmass der körperlichen Betätigung sinnvoll ist. Überanstrengung ist zu vermeiden. Und grundsätzlich sollte man nur trainieren, wenn man sich wohl fühlt. Betreute Herzgruppen von Mitbetroffenen sind ein geeignetes Umfeld, um sich fit zu halten (Verzeichnis der Herzgruppen unter www.swissheartgroups.ch). Wichtig ist die jährliche Grippeschutzimpfung, denn ein Infekt belastet das geschwächte Herz zusätzlich. Ernährung Herzinsuffiziente Patienten haben die Tendenz, zu viel Wasser zu speichern. Deshalb sollten die Flüssigkeitsein­ nahme kontrolliert und täglich das Gewicht gemessen werden. In der Regel sollte ein Patient mit Herzinsuffizienz nicht mehr als 1,5 l pro Tag zu sich nehmen (gilt nicht bei starkem Schwitzen an heissen Sommertagen). Weil Salz zusätzlich Wasser im Körper zurückhält, sollte auch die Salzzufuhr kontrolliert und eingeschränkt werden. «Man muss aber trotz Herzinsuffizienz nicht auf alle Genüsse verzichten», betont Richard Kobza. Er empfiehlt die Ernährungsbroschüre «Herzgesund geniessen» sowie das Kochbuch «Kochen für das Herz, wenig Salz – viele Gewürze», die man bei der Schweizerischen Herzstiftung bestellen kann. Alkohol sollte gemieden oder nur in kleinen Mengen getrunken werden, da grössere Mengen nicht nur den Herzmuskel, sondern auch andere Organe schädigen. Sex und Sauna Viele Herzpatienten meiden sexuelle Aktivitäten, weil sie fürchten, dass diese ihr Herz allzu sehr belasten könnten. Kobza: «Diese Furcht ist in den meisten Fällen aber unbegründet.» Betroffene sollen offen mit ihrem Arzt auch über diese Frage sprechen. Da grössere Temperaturschwankungen das Herz belasten, sollten Saunagänge vorsichtig angegangen werden. Im Zweifelsfall den Arzt fragen. Psyche An Herzinsuffizienz zu leiden, ist oft mit grossen und dauerhaften Ängsten verbunden. Das belastet die Psyche. Studien zeigen, dass Patienten mit depressiven Tendenzen ein deutlich höheres Sterberisiko haben als Patienten ohne Depression. Insofern ist es wichtig, dass man seelische Symptome ernst nimmt. Familiäre Unterstützung oder auch psychologischer Beistand sind hilfreich. «Auch seine Ängste sollte man gegebenenfalls mit dem Arzt besprechen», sagt Richard Kobza. Er empfiehlt Betroffenen generell, alles daranzusetzen, dass man das Leben geniessen und sich trotz der gravierenden Erkrankung an den schönen Dingen des Alltags erfreuen kann.