5 Anmerkungen zu den Fußnoten Die folgenden Seiten enthalten zahlreiche Fußnoten. Diese Fußnoten enthalten: • Querverweise, Referenzen, • Ergänzungen, • Präzisierungen, Erläuterungen, • Hinweise auf weiterführende Resultate oder Begriffe, • Beweise und • Definitionen. Sie sind gedacht • nicht als Haupttext, • aber als Hilfestellung zum Verständnis des Haupttextes, • zur Verdeutlichung von Verbindungen innerhalb der Vorlesung und • für Ausblicke auf Resultate im späteren Verlauf der Vorlesung, bzw. in weiterführenden Veranstaltungen. 25. Juli 2011 KAPITEL 1 Einleitung und Überblick Die Wahrscheinlichkeitstheorie und die Statistik, die gelegentlich auch unter dem Namen Stochastik 1.1 zusammengefaßt werden, sind Disziplinen der Mathematik, die der Beschreibung und der Untersuchung von Gesetzmäßigkeiten, die durch den 1.2 Zufall“ beeinflußt werden, gewidmet sind. ” Beispiel 1.1 (Gesetzmäßigkeit in einem zufälligen Geschehen). Eine sehr oft geworfene faire Münze zeigt in etwa der Hälfte aller Fälle Kopf“. Diese Gesetz” mäßigkeit wird im sog. Gesetz der großen Zahlen, einem zentralen Resultat der Wahrscheinlichkeitstheorie, mathematisch gefaßt 1.3. Beispiel 1.2 (Auswertung zufälliger Beobachtungen). Eine nicht notwendigerweise faire Münze werde mehrmals geworfen. Mit Hilfe der konkreten Wurfergebnisse soll entschieden werden, ob • die Münze fair ist, bzw. • wie groß die Wahrscheinlichkeit 1.4 p ist, daß bei einem einzigen Wurf Zahl“ erscheint 1.5. ” Methoden zur Beantwortung solcher Fragen werden durch die Statistik bereitgestellt. Beispielsweise können Schätzer oder Konfidenzintervalle für p bestimmt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, durch einen Test zu prüfen, ob die Münze fair ist 1.6. Beispiel 1.3 (Zufälliges Geschehen ohne eine erkennbare Gesetzmäßigkeit). 1.7 Öffentliche Diskussionsbeiträge von Politikern und Funktionären zur Steuer- oder 1.1In der Einleitung zu [5] findet sich eine Deutung des Wortes Stochastik aus Ursprüngen im Altgriechischen. 1.2Ein fundamentaler Beitrag der Wahrscheinlichkeitstheorie ist insbesondere eine Beantwortung der Frage, wie Zufall“ mathematisch überhaupt beschrieben werden soll. Die Antwort wird ” durch die Kolmogorovschen Axiome (2.1) und (2.2) gegeben. 1.3Das Gesetz der großen Zahlen exisitiert in vielen Variationen. Im vorliegenden Fall beschreibt es die Asymptotik bei Wurfanzahl N → ∞ der relativen Anzahl von Kopf“, d.h. des ” Quotienten (Anzahl von Kopf“)/N . Insbesondere wird die Konvergenz dieses Quotienten gegen ” seinen Erwartungswert, der bei einer fairen Münze 1/2 ist, festgehalten. Eine vergleichbar grundlegende Bedeutung hat der Zentrale Grenzwertsatz, der im Zusammenhang dieses Beispiels die Asymptotik der zufälligen√Fluktuationen der relativen Anzahl von Kopf“ um den Erwartungswert 1/2, d.h. genauer von N ((Anzahl von Kopf“)/N − 1/2), ” ” charakterisiert. 1.4Dieser zentrale Begriff ist zunächst formal zu verstehen. Später wird genauer erläutert werden, wie Ereignissen gewisse Wahrscheinlichkeiten ∈ [0, 1] zugeordnet werden. Es gilt: Ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 0 tritt (fast) sicher nicht ein, ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 1 tritt (fast) sicher ein, allgemein tritt ein Ereignis mit größerer Sicherheit ein, je höher seine Wahrscheinlichkeit ist. 1.5Die zu bestimmende Wahrscheinlichkeit ist 1/2, falls die Münze fair ist. 1.6Die Begriffe Schätzer, Konfidenzintervall und Test sind in der Statistik grundlegend. Sie beschreiben spezielle Methoden, beobachtete Daten auszuwerten. 1.7Solche Phänomene, denen keine Gesetzmäßigkeit zugrundeliegt, werden in der Stochastik nicht behandelt. 7 8 Rentengesetzgebung sind gelegentlich durch undurchschaubare Einflüsse wie Wahlkampfvorbereitungen, Profilierungssucht, Lobbytätigkeit, . . . bestimmt. Eine Bearbeitung derartiger Äußerungen mit Methoden der Stochastik scheint nicht möglich zu sein. Mathematische Gesetzmäßigkeiten z.B. in der Natur, der Technik oder der Wirtschaft 1.8 werden mit Hilfe von Modellen formuliert 1.9 und untersucht 1.10. Daher ist das zentrale Thema dieser Vorlesung die Bildung und Untersuchung von Modellen in der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik 1.11. 1.1. Konzepte und Methoden in Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Im Rahmen einer speziellen Anwendung werden in diesem Abschnitt 1.1 einige typische Fragestellungen und übliche Vorgehensweisen in der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik erläutert 1.12. Es sei angenommen, daß in einem Industriebetrieb N gleichartige Produktionsstücke 1.13 zufällig ausgewählt und auf ihre Fehlerfreiheit getestet werden. • Zunächst soll die Gesamtheit der möglichen Prüfungsdaten für die verschiedenen Produktionsstücke, d.h. die Struktur und die Eigenschaften dieser Daten, analysiert werden 1.14. • Weiterhin soll untersucht werden, wie aus konkreten Prüfungsergebnissen Rückschlüsse auf die Verarbeitungsqualität des Betriebs gezogen werden können 1.15. 1.1.1. Einfache Modellannahmen. 1.16 Es sei angenommen, daß (i) ein einzelnes Produktionsstück mit einer vorerst noch unbekannten Wahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1] fehlerhaft ist 1.17, und daß (ii) die Qualitätseigenschaften der jeweiligen Produktionsstücke voneinander unabhängig 1.18 sind. 1.8Dies betrifft alle Arten von Anwendungen, auch solche in denen kein Zufall involviert ist. 1.9Bei der Formulierung eines Modells werden alle bekannten, für wichtig erachteten Merkma- le der jeweiligen Anwendung mathematisch formuliert. Vermeintlich unwesentliche Details werden ignoriert, wie z.B. bei der Modellierung des Wurfs eines Würfels dessen Farbe. 1.10Nicht offensichtliche, sich als Konsequenzen spezieller Voraussetzungen, bzw. Modellannahmen ergebende Eigenschaften werden bewiesen. 1.11Eine mathematische Behandlung von Beispiel 1.3 scheitert an der Schwierigkeit, bzw. Unmöglichkeit ein vernünftiges Modell für die dort angesprochenen Diskussionsbeiträge zu entwerfen. 1.12Damit ist dieser Abschnitt 1.1 ein Ausblick auf die folgenden Kapitel 2 - 9. 1.13Je nach Branche könnten dies Glühlampen, Speicherchips oder auch PKW’s sein. 1.14In diesem Kontext werden insbesondere Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie angewandt. 1.15Bei diesem Vorhaben kommen Methoden der Statistik zur Geltung. 1.16Die nun vorgestellten Modellannahmen bilden die Basis der in den Abschnitten 1.1.2 und 1.1.4 eingeführten mathematischen Modelle. Derartige mathematische Modelle gehen immer von Annahmen aus, die plausibel, widerspruchsfrei und mit der zugrundeliegenden Realität verträglich sein sollen. Zur Klärung der Frage, ob diese Annahmen ausreichend sind oder aber verändert bzw. ergänzt werden sollten, müssen vorhandene Daten und Fakten berücksichtigt, evtl. weitere Messungen und Experimente vorgenommen und auch die mathematischen Konsequenzen des Modells mit der Realität verglichen werden. 1.17Mit dieser Annahme wird u.a. auch zum Ausdruck gebracht, daß die Qualität des Herstellungsprozesses keinen systematischen Schwankungen unterliegt: Jedes Produktionsstück besitzt die gleiche Chance“, fehlerfrei zu sein. ”1.18 Der Begriff der Unabhängigkeit oder auch stochastischen Unabhängigkeit, der in der Umgangssprache eine klare Bedeutung hat, bzw. seine mathematisch präzisierte Formulierung wird in der Stochastik außerordentlich oft verwendet. Die Unabhängigkeit von zwei Ereignissen A und 25. Juli 2011 9 Bemerkung 1.4. Völlig analoge Modellannahmen machen auch in anderen Situationen einen Sinn, z.B. bei Alkoholkontrollen im Straßenverkehr, beim Prüfen der Wirksamkeit eines neuen Medikaments durch seine Verabreichung an Testpersonen oder bei der Untersuchung von Schlachtvieh auf eine spezielle Krankheit. In diesen Fällen wären die Produktionsstücke durch Autofahrer, Testpersonen, bzw. Schlachttiere zu ersetzen. Außerdem wäre dann p die Wahrscheinlichkeit für einen festgestellten Alkoholkonsum, eine positive Wirkung des Medikaments, bzw. das Vorliegen einer Erkrankung 1.19. Die Modellannahmen (i) und (ii) kann man zunächst • innerhalb der Wahrscheinlichkeitstheorie in ein mathematisches Modell der Gesamtheit der möglichen Prüfungsdaten für die verschiedenen Produktionsstücke umsetzen. Für dieses wahrscheinlichkeitstheoretische Modell lassen sich mathematische Resultate herleiten, beispielsweise über Erwartungswerte oder die Asymptotik bei N → ∞ 1.20. Aufbauend auf dem wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell und den hierzu gewonnenen Erkenntnissen kann in einem weiteren Schritt • innerhalb der Statistik 1.21 ein mathematisches Modell zur Auswertung real vorliegender Prüfungsergebnisse entwickelt werden. Im Rahmen dieses statistischen Modells können z.B. Verfahren erarbeitet werden, die eine Schätzung des wahren“ Parameters p = pw 1.22 aus konkret erhobenen ” Daten 1.23 ermöglichen. 1.1.2. Ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Modell. Die Annahmen (i) und (ii) in Abschnitt 1.1.1 können in einer mathematischen Struktur (ΩN , FN , PN,p ) zusammengefaßt werden 1.24: • ΩN = {0, 1}N = (ω1 , ω2 , . . . , ωN ) : ωk ∈ {0, 1}, k = 1, . . . , N beschreibt die Menge der möglichen Stichproben. ωk = 1, bzw. ωk = 0, bedeutet, daß das k-te Produktionsstück 1.25 defekt, bzw. nicht defekt ist. ΩN wird Stichprobenraum genannt. B besagt, daß die Wahrscheinlichkeit, mit der A eintritt, sich nicht ändert, wenn bekannt wird, daß B eingetreten ist. Hier beschreibt die Unabhängigkeit der . . . Produktionsstücke“ eine gewisse Optimalität“ ” ” des Herstellungsprozesses: Auch wenn ein defektes Produktionsstück gefunden wird, so hat dennoch das nächste wieder alle Chancen“, fehlerfrei zu sein. ” 1.19Um alle diese möglichen unterschiedlichen Situationen gleichzeitig behandeln zu können und um irrelevante, spezielle Details aus dem Blickfeld zu drängen, wird in der Stochastik oft der mehrmalige, unabhängige Wurf einer Münze betrachtet, die mit Wahrscheinlichkeit p Zahl“ ” zeigt. Wenn p = 1/2 ist, nennt man diese Münze fair, sonst wird sie als unfair bezeichnet. 1.20In jenen Überlegungen nimmt die Fehlerwahrscheinlichkeit p einen fest vorgegebenen Wert an. 1.21Genaugenommen ist hier die mathematische, induktive oder schließende Statistik gemeint. Im Gegensatz dazu werden in der deskriptiven, beschreibenden oder empirischen Statistik die Prüfungsdaten nur geeignet zusammengefaßt, beispielsweise in graphischen Darstellungen oder Kennzahlen. 1.22Hiermit ist dasjenige p gemeint, das dem speziellen Produktionsprozeß, für den die Prüfungen durchgeführt werden, zugeordnet ist. 1.23 D.h. aus den Prüfungsergebnissen für N ausgewählte Produktionsstücke. 1.24Mit der Struktur (Ω , F , P N N N,p ) und den Eigenschaften ihrer Komponenten werden auf eine elementare Weise die Kolmogorovschen Axiome erfüllt. Insbesondere erlaubt diese Struktur, ein sog. Wahrscheinlichkeitsraum, die Modellannahmen (i) und (ii) aus Abschnitt 1.1.1 und die dadurch ausgedrückten Zufallsmechanismen“ im Rahmen der Mathematik zu realisieren. ” 1.25Hier wird implizit angenommen, daß die Produktionsstücke durchnumeriert werden. 25. Juli 2011 10 • Die Menge 1.26 FN = {A : A ⊆ ΩN } = Pot(ΩN ) beschreibt die Familie aller Ereignisse. Beispielsweise sind (1.1) Ar = N X ωi = r , ω ∈ ΩN : r = 0, . . . , N, i=1 die Ereignisse, daß jeweils genau r der getesteten Produktionsstücke defekt sind 1.27. • Jedem Ereignis A ∈ FN wird durch PN,p [A] ∈ [0, 1] seine Wahrscheinlichkeit zugeordnet 1.28. In Übereinstimmung mit der Modellannahme (i) wird beispielsweise PN,p {ω ∈ ΩN : ωi = 1} = p, PN,p {ω ∈ ΩN : ωi = 0} = 1 − p, (1.2) i = 1, . . . , N, festgesetzt. Weiterhin ist PN,p [Ar ] = PN,p (1.3) " [ ω∈Ar # {ω} = 1.29 X PN,p [{ω}], ω∈Ar wobei (1.4) PN,p [{ω}] = 1.30 N Y i=1 = p PN pωi (1 − p)1−ωi {z } | ( p, falls ωi = 1, = 1 − p, falls ωi = 0, i=1 ωi (1 − p)N − = pr (1 − p)N −r , PN i=1 ωi ω ∈ Ar . 1.26Pot(S) bezeichnet die Potenzmenge, d.h. die Menge aller Teilmengen einer Menge S. 1.27In einer anderen Sprechweise ist A das Ereignis, daß die gezogene Stichprobe genau r r ” defekte Produktionsstücke umfaßt“. 1.28Bei einem festen N hängt die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses von dem zwar innerhalb dieses wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells als fest, sonst aber beliebig betrachteten Parameter p ab. ΩN und FN hingegen sind von p unabhängig. 1.29Die Wahrscheinlichkeiten disjunkter Mengen addieren sich, d.h., wenn Ereignisse A und B aufgrund von A ∩ B = ∅ sich gegenseitig ausschließen, gilt (∗) PN,p [A oder B] = PN,p [A ∪ B] = PN,p [A] + PN,p [B]. Somit addieren sich in diesem Fall die Einzelwahrscheinlichkeiten. Die Beziehung (∗) entspricht der Anschauung, d.h., dem intuitiven Verständnis des Begriffs Wahrscheinlichkeit“. Im Rahmen der ” Wahrscheinlichkeitstheorie wird (∗) als ein Bestandteil der Kolmogorovschen Axiome gefordert. Im konkreten hierbetrachteten Fall muß berücksichtigt werden, daß Ar aus den disjunkten Mengen {ω} : ω ∈ Ar besteht. 25. Juli 2011 11 (1.5) Es gibt Nr Möglichkeiten für die Einordnung“ von r defekten Produkti” onsstücken in die Folge aller N geprüften Produktionsstücke 1.31, d.h. 1.32 |Ar | = Nr . Mit (1.3) und (1.4) folgt daher N r PN,p [Ar ] = p (1 − p)N −r , r = 0, . . . , N. r Somit ist die Anzahl der defekten Produktionsstücke binomialverteilt mit den Parametern N und p 1.33. Die nun konstruierte Struktur (ΩN , FN , PN,p ) ist ein einfaches Beispiel eines Wahrscheinlichkeitsraums. Mit ihm liegt ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Modell für die hier behandelte Qualitätsprüfung von Produktionsstücken vor 1.34. Mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (ΩN , FN , PN,p ) sind auch Zufallsvariablen, d.h. gewisse reellwertige Funktionen auf ΩN , gegeben 1.35, wie z.B.: • Yi : ΩN → R, i = 1, . . . , N , mit (1.6) Yi (ω) = ωi , ω = (ω1 , . . . , ωN ) ∈ ΩN , i = 1, . . . , N. Yi gibt das Testergebnis für das i-te Produktionsstück an 1.36 . 1.30Wenn allgemein zwei Ereignisse A und B stochastisch unabhängig sind, gilt die Beziehung (∗1 ) PN,p [A und B] = PN,p [A ∩ B] = PN,p [A]PN,p [B], d.h. die Einzelwahrscheinlichkeiten werden multipliziert. (∗1 ) entspricht der Anschauung, d.h., dem intuitiven Verständnis von Unabhängigkeit“. Im Rahmen der Wahrscheinlichkeitstheorie ” wird (∗1 ) als Definition der Unabhängigkeit von zwei Ereignissen benutzt, vgl. (3.16). Da nach der Modellannahme (ii) die Qualitätseigenschaften der Produktionsstücke unabhängig sind, gilt beispielsweise PN,p [1. Produktionsstück defekt, 2. Produktionsstück nicht defekt] = PN,p [{ω ∈ ΩN : ω1 = 1, ω2 = 0}] = PN,p [{ω ∈ ΩN : ω1 = 1} ∩ {ω ∈ ΩN : ω2 = 0}] = PN,p [{ω ∈ ΩN : ω1 = 1}] · PN,p [{ω ∈ ΩN : ω2 = 0}] = p(1 − p) (vgl. (1.2)). 1.31Die Anzahl der Möglichkeiten für die Einordnung“ . . . kann mit kombinatorischen Me” thoden bestimmt werden, vgl. Abschnitt 5.1 und insbesondere (5.4). 1.32Mit |M | wird die Mächtigkeit einer endlichen Menge M bezeichnet. 1.33Die Binomialverteilung ist eine der klassischen Wahrscheinlichlichkeitsmaße oder -verteilungen, die in der Stochastik häufig betrachtet werden. 1.34Nach der axiomatischen Begründung der Wahrscheinlichkeitstheorie u.a. durch A.N. Kolmogorov liegt jedem wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell ein Wahrscheinlichkeitsraum zugrunde. Für einen allgemeinen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) ist nach den Kolmogorovschen Axiomen, vgl. (2.1), (2.2), Ω eine Menge, F eine σ-Algebra bestehend aus der Menge aller Ereignisse, d.h. einer geeigneten Menge von Teilmengen von Ω, und P ein Wahrscheinlichkeitsmaß, das jedem A ∈ F eine Wahrscheinlichkeit P[A] ∈ [0, 1] zuweist. Ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) kann auch betrachtet werden als ein meßbarer Raum (Ω, F), der durch ein Wahrscheinlichkeitsmaß P eine Gewichtung der meßbaren Mengen F erfährt. Im allgemeinen ist F 6= Pot(Ω), da andernfalls eine vernünftige Definition von P nicht möglich zu sein braucht, vgl. Abschnitt 2.5. 1.35Allgemein müssen diese Funktionen meßbar sein und damit eine in der Stochastik übliche Minimalforderung für Funktionen erfüllen. Da im vorliegenden Fall die σ-Algebra FN alle Teilmengen von ΩN umfaßt, sind automatisch alle reellwertigen Funktionen auf ΩN meßbar. 1.36Wenn man die Zufallsvariablen Y , i = 1, . . . , N , als eine Gesamtheit (Y ) i i i=1,...,N betrachtet, erhält man ein einfaches Beispiel eines stochastischen Prozesses. Im allgemeinen sind stochastische Prozesse (Yt )t∈T Familien Yt , t ∈ T, von Zufallsvariablen, die durch eine Menge T ⊆ R indiziert sind, welche als ein Bereich von Zeitpunkten betrachtet werden kann. Stochastische Prozesse dienen u.a. der Modellierung vom Zufall beeinflußter, dynamischer Vorgänge. 25. Juli 2011 12 • ZN : ΩN → R mit (1.7) ZN (ω) = N 1 X ω i , ω ∈ ΩN , N i=1 d.h., ZN = N 1 X Yi . N i=1 ZN gibt die relative Anzahl defekter Produktionsstücke an. • TN : ΩN → R mit ( PN inf i ∈ {1, ..., N } : ωi = 1 , falls i=1 ωi > 0, TN (ω) = ω ∈ ΩN . N + 1, sonst, TN modelliert den Zeitpunkt Produktionsstücks. 1.37 der ersten Beobachtung eines defekten Solche Zufallsvariablen können als Darstellungen von Verfahren zur Erhebung, bzw. Zusammenfassung von Daten betrachtet werden 1.38 1.39. Vor allem auch durch das Studium von Zufallsvariablen kann das durch (ΩN , FN , PN,p ) gegebene wahrscheinlichkeitstheoretische Modell genauer untersucht werden 1.40. 1.1.3. Wahrscheinlichkeitstheoretische Untersuchungen. In der Wahrscheinlichkeitstheorie werden primär für einen gegebenen Wahrscheinlichkeitsraum darauf definierte Zufallsvariablen mathematisch studiert 1.41. Detaillierte Überlegungen, die reale Meßwerte einschließen, treten in den Hintergrund. Für das in Abschnitt 1.1.2 beschriebene mathematische Modell können in der Wahrscheinlichkeitstheorie beispielsweise Kenngrößen wie Erwartungswerte oder Varianzen spezieller auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (ΩN , FN , PN,p ) definierter Zufallsvariablen berechnet werden. Man kann auch die Fälle N → ∞ und / oder p → 0 betrachten und Resultate ableiten, die das asymptotische Verhalten charakterisieren. In den folgenden Beispielen 1.5 - 1.8 werden insbesondere die Zufallsvariablen 1.42 ZN untersucht. Beispiel 1.5 (Erwartungswert). Allgemein ist der Erwartungswert E[X] einer reellwertigen Zufallsvariable X definiert als ein gewichtetes Mittel über den Wertebereich von X. Die Gewichte sind hierbei gegeben durch die Wahrscheinlichkeiten, mit der die jeweiligen Werte von X angenommen werden, d.h. durch die Verteilung 1.37Es sei angenommen, daß die Tests in aufeinanderfolgenden Zeitpunkten durchgeführt werden. Aufgrund von (1.6) ist in diesem Zusammenhang die Identifizierung der Folge der Zufallsvariablen Yi , i = 1, . . . , N , mit dem stochastischen Prozeß (Yi )i=1,...,N naheliegend, vgl. Fußnote 1.36. Insbesondere kann ( PN inf i ∈ {1, ..., N } : Yi = 1 , falls i=1 Yi > 0, TN = N + 1, sonst, geschrieben werden. 1.38 Für jede mögliche Stichprobe ω ∈ ΩN ist z.B. mit ZN (ω) die relative Anzahl der defekten Produktionsstücke gegeben. 1.39 Im mathematischen Gebiet der Statistik werden Zufallsvariablen auch als Statistiken bezeichnet. 1.40Aus diesem Grund ist es oft auch sinnvoll, alle oder zumindest eine als wichtig erachtete Familie von Zufallsvariablen zusammen mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (ΩN , FN , PN,p ) als wahrscheinlichkeitstheoretisches Modell zu bezeichnen. 1.41 Beispielsweise werden Sätze bewiesen, Verbesserungen und Verallgemeinerungen bekannter Resultate gesucht oder Verbindungen zu anderen Teilgebieten der Mathematik hergestellt. 1.42Vgl. (1.7). 25. Juli 2011 13 von X (1.8) 1.43 1.44 1.45 . EN,p [ZN ] = N hn X k oi k PN,p ω ∈ ΩN : ZN (ω) = N | N } {z k=0 = 1.46 PN,p [ZN = k/N ] N 1 X kPN,p [Ak ] N k=0 N N 1 X pk (1 − p)N −k k = 1.48 N k k=1 | {z } N −1 N! =N =k k!(N − k)! k−1 N X N −1 =p pk−1 (1 − p)N −1−(k−1) k−1 k=1 | {z } N −1 X N −1 l = p (1−p)N −1−l = (p + (1−p))N −1 = 1 l = 1.47 = 1.49 l=0 p. Beispiel 1.6 (Varianz). Die Varianz Var(X) einer reellwertigen Zufallsvariable X ist definiert als der Erwartungswert der quadratischen Abweichung von X von 1.43Der Erwartungswert entspricht somit dem intuitiven Begriff des Mittelwerts“. ” 1.44Der Erwartungswert existiert, wenn jenes gewichtete Mittel wohldefiniert ist. Das ist z.B. für integrable, bzw. für nicht-negative Zufallsvariablen der Fall. 1.45Um die zugrundeliegenden Parameter N und p, d.h. den Bezug zum Wahrscheinlichkeitsmaß PN,p hervorzuheben, wird im folgenden die Notation EN,p [. . . ] benutzt. Allgemein wird der Erwartungswert einer reellwertigen Zufallsvariable X mit E[X] bezeichnet. 1.46 Dies ist eine abkürzende Schreibweise. 1.47 Vgl. (1.1) und (1.7). Insbesondere ist {ω ∈ ΩN : ZN (ω) = k/N } = Ak , k = 1, . . . , N . 1.48 Vgl. (1.5). 1.49Eine einfachere Begründung von (1.8) wäre folgende: (a) Die Zuordnung X → E[X], die jeder reellwertigen Zufallsvariable X auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), die einen Erwartungswert besitzt, diesen Erwartungswert E[X] zuordnet, ist ein linearer Operator, d.h., es gilt X, Y Zufallsvariablen, α, β ∈ R. E[αX + βY ] = αE[X] + βE[Y ], (b) Bei Berücksichtigung von (1.7) folgt somit EN,p [ZN ] = N 1 X EN,p [Yi ], N i=1 wobei die Zufallsvariablen Yi , i = 1, . . . , N , in (1.6) eingeführt wurden. (c) Aufgrund von (1.2) und (1.6) ist EN,p [Yi ] = PN,p [Yi = 1] · 1 + PN,p [Yi = 0] · 0 = p, i = 1, . . . , N. (d) Zusammenfassend folgt nun EN,p [ZN ] = N 1 X p = p. N i=1 Durch wenige simple Berechnungen wie in (b), (c) und (d) und ein allgemeines Resultat der Stochastik, genauer der Maß- und Integrationstheorie, wie in (a) erübrigen sich somit aufwendigere, langweilige und auch fehleranfällige Berechnungen wie bei der obigen Herleitung von (1.8). 25. Juli 2011 14 ihrem Erwartungswert E[X], d.h., Var(X) = E[(X − E[X])2 ]. Sie charakterisiert die Größe der Schwankungen von X um E[X] 1.50. (1.9) VarN,p (ZN ) = EN,p (ZN − EN,p [ZN ])2 = N X k N k=0 = ... = 1.51 −p 2 PN,p [ZN = k/N ] 1 p(1 − p). N Beispiel 1.7 (Gesetz der großen Zahlen). 1.52 Die Beziehungen (1.8) und (1.9) besagen, daß die Schwankungen der Zufallsvariablen ZN um ihren Erwartungswert p mit wachsendem N immer kleiner werden. Mit Hilfe eines allgemeinen Resultats aus der Wahrscheinlichkeitstheorie, der Čebyšev’schen Ungleichung 1.53 (1.10) 1 P |X − E[X]| ≥ ǫ ≤ 2 Var(X), ǫ X Zufallsvariable, ǫ > 0, läßt sich diese Aussage genauer fassen. Es ergibt sich die Konvergenz von ZN gegen p bei N → ∞ in der Form (1.11) 1 PN,p |ZN − p| ≥ ǫ ≤ 2 VarN,p (ZN ) ǫ 1 N →∞ = 2 p(1 − p) −−−−→ 0, ǫ N ǫ > 0. 1.50Nicht für alle Zufallsvariablen X ist Var(X) < ∞. Eine Zufallsvariable X mit Var(X) = 0 nimmt fast-sicher nur den Wert E[X] an, d.h., X ist deterministisch. 1.51Zur Begründung von (1.9) könnte man detaillierte Berechnungen wie bei der Herleitung von (1.8) in Beispiel 1.5 durchführen. Andererseits könnte mit Hilfe allgemeiner Zusammenhänge der Wahrscheinlichkeitstheorie auch wie folgt argumentiert werden. P (a) Gemäß (1.7) ist ZN = (1/N ) N i=1 Yi eine gewichtete Summe der Zufallsvariablen Yi , i = 1, . . . , N . In Übereinstimmung mit der Modellannahme (ii) in Abschnitt 1.1.1 sind diese Zufallsvariablen (stochastisch) unabhängig. (b) Für unabhängige Zufallsvariablen X und Y auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) und α, β ∈ R gilt allgemein die Beziehung: Var(αX + βY ) = α2 Var(X) + β 2 Var(Y ), vgl. Abschnitt 6.4.1. (c) Wegen (1.2), (1.6), weil EN,p [Yi ] = p, i = 1, . . . , N , vgl. Fußnote 1.49(c), und wegen der Linearität des Operators EN,p [ . ], vgl. Fußnote 1.49(a), ergibt sich: VarN,p (Yi ) = EN,p [(Yi − p)2 ] = EN,p [Yi2 ] − 2EN,p [Yi ]p + p2 = p − p2 = p(1 − p), i = 1, . . . , N. (d) Zusammenfassend folgt (1.9), d.h., VarN,p (ZN ) = N N 1 X 1 1 X VarN,p (Yi ) = 2 p(1 − p) = p(1 − p). 2 N i=1 N i=1 N 1.52 In diesem Beispiel 1.7 ist N nicht mehr fest, sondern kann beliebige Werte in N annehmen. Um insbesondere große N zu behandeln, wird der Grenzübergang N → ∞ diskutiert. 1.53Damit (1.10) eine brauchbare Information liefert, sollte Var(X) < ∞ vorausgesetzt werden. Die Čebyšev’sche Ungleichung, vgl. Satz 6.18, ist eine der vielen Ungleichungen, die in den mathematischen Untersuchungen in der Stochastik unverzichtbar sind. 25. Juli 2011 15 Das in (1.11) beschriebene Konvergenzresultat ist auch als schwaches Gesetz der großen Zahlen bekannt 1.54 1.55. Beispiel 1.8 (Zentraler Grenzwertsatz). Eine Präzisierung der durch (1.11) beschriebenen Konvergenz von ZN wird durch den Zentralen Grenzwertsatz gegeben. Während das Gesetz der großen Zahlen ohne Angabe einer KonvergenzgeschwinN →∞ digkeit nur besagt, daß ZN − p −−−−→ 0 bzgl. eines geeigneten Konvergenzbegriffs,√identifiziert der Zentrale Grenzwertsatz diese Konvergenzgeschwindigkeit als √ ∼ 1/ N . In einer genauen Formulierung wird festgestellt, daß die mit N skalierten Fluktuationen von ZN um den Erwartungswert p für N → ∞ normalverteilt sind, d.h. 1.56 1.57 1.58 1.59 p (1.12) lim PN,p N/p(1 − p)(ZN − p) ∈ [a, b] N →∞ Z b 1 dx exp(−x2 /2), a, b ∈ R, a < b. = √ 2π a 1.54Es gibt auch ein starkes Gesetz der großen Zahlen für Z , N ∈ N. Die beiden VariN anten des Gesetzes der großen Zahlen unterscheiden sich durch den jeweils zur Feststellung der Konvergenz von ZN gegen p verwendeten Konvergenzbegriff. Während bei der Formulierung des schwachen Gesetzes der großen Zahlen wie in (1.11) die stochastische Konvergenz benutzt wird, findet beim starken Gesetz der großen Zahlen die fast-sichere Konvergenz Verwendung. Die hier genannten und auch andere Konvergenzbegriffe werden in der Maß- und Integrationstheorie genauer untersucht. U.a. werden dort die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Konvergenzkonzepten verdeutlicht. So folgt beispielsweise die stochastische Konvergenz aus der fast-sicheren, vgl. Satz 6.20. Daher impliziert das starke Gesetz der großen Zahlen das schwache, wodurch insbesondere die gewählte Namensgebung gerechtfertigt wird. 1.55 In einer allgemeineren Form wird beim Gesetz der großen Zahlen die Konvergenz N 1 X N→∞ Xk −−−−→ E[X1 ] N k=1 für unabhängige, identisch verteilte, integrable Zufallsvariablen X1 , X2 , . . . festgestellt. Eine weitere Variante des Gesetzes der großen Zahlen wird in Satz 7.1 und Bemerkung 7.2 vorgestellt. 1.56Die Normalverteilung N(µ, σ2 ) mit Erwartungswert µ und Varianz σ2 ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf R, das einem Intervall [a, b], −∞ ≤ a < b ≤ ∞, jeweils die Wahrscheinlichkeit R (2πσ2 )−1/2 ab dx exp(−(x − µ)2 /2σ2 ) zuordnet. Die Verteilung N(0, 1), die auf der rechten Seite von (1.12) auftaucht, wird als standard Normalverteilung bezeichnet. 1.57 Mit (1.12) wird ein weiterer, in der Stochastik üblicher Konvergenzbegriff vorgestellt, nämlich die sog. Konvergenz in Verteilung. Diese Namensgebung wird verständlich, wenn bedacht wird, daß die Größen P X ∈ [a, b] , a, b ∈ R, a < b, die Verteilung einer reellwertigen Zufallsvariable X kennzeichnen. p Insbesondere wird durch (1.12) festgehalten, daß die Zufallsvariablen N/p(1 − p)(ZN − p) bei N → ∞ in Verteilung gegen eine standard normalverteilte Zufallvariable konvergieren. Die standard Normalverteilung N(0, 1) wird in Fußnote 1.56 beschrieben. 1.58 In einer allgemeineren Form besagt der Zentrale Grenzwertsatz, daß für unabhängige, identisch verteilte, quadratintegrable Zufallsvariablen X1 , X2 , . . . mit Varianz σ2 ∈ (0, ∞) die Zufallsvariablen ! r N N 1 X Xk − E[X1 ] , N = 1, 2, . . . , ηN = σ2 N k=1 bei N → ∞ in Verteilung gegen eine standard normalverteilte Zufallsvariable konvergieren, vgl. Satz 9.3. 1.59 Als Präzisierung des Gesetzes der großen Zahlen (1.11) besagt der Zentrale Grenzwertsatz p N→∞ (1.12) zumindest formal, daß ZN ∼ p + p(1 − p)/N Z, wobei Z eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert √ 0 und Varianz 1 ist. Insbesondere tendiert der Abstand zwischen ZN und p bei N → ∞ wie 1/ N gegen 0. 25. Juli 2011 16 1.1.4. Ein statistisches Modell. Die Aufgabe, die Qualität des Produktionsverfahrens zu prüfen 1.60, soll nun mit Methoden der Statistik bearbeitet werden. Basierend auf dem in Abschnitt 1.1.2 eingeführten und in Abschnitt 1.1.3 untersuchten wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell der Gesamtheit der möglichen Prüfungsdaten für die einzelnen Produktionsstücke sei angenommen 1.61, daß • diesem Produktionsprozeß eine wahre“, allerdings unbekannte Fehler” wahrscheinlichkeit pw zugeordnet ist, und daß somit • aufgrund von Qualitätskontrollen vorliegende Prüfungsergebnisse y1 , . . . , yN mit yi = ( 1, falls das i-te Produktionsstück fehlerhaft ist, 0, sonst, i = 1, ..., N, Realisierungen 1.62 der Zufallsvariablen Yi , i = 1, . . . , N , auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (ΩN , FN , PN,pw ) sind. Die Aufgabe besteht nun darin, pw zu schätzen, wobei nur die empirisch bestimmten Daten y1 , . . . , yN der Schätzung zugrundegelegt werden können. Vor der Lösung der Aufgabe kann ein Statistiker seine Situation folgendermaßen zusammenfassen 1.63: • Es gibt eine Menge XN = {0, 1, 2, . . . , N }, die die möglichen Werte für die Anzahl der fehlerhaften Produktionsstücke umfaßt. XN wird Stichprobenraum genannt 1.64. • Die σ-Algebra GN = Pot(XN ) der Teilmengen von XN repräsentiert die Menge der Ereignisse, auf denen der Statistiker seine Entscheidungen aufbauen kann. • Auf dem meßbaren Raum (XN , GN ) gibt es mit (QN,p )p∈[0,1] eine Familie von Wahrscheinlichkeitsmaßen, so daß für eine zugrundeliegende Fehlerwahrscheinlichkeit p durch QN,p die zugehörige Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anzahl fehlerhafter Produktionsstücke bei N Stichproben beschrieben wird. Aufgrund von (1.5) gilt (1.13) QN,p = B(N, p), p ∈ [0, 1], wobei B(N, p) die Binomialverteilung mit den Parametern N und p ist. 1.60Diese Aufgabe war eine Motivation für die Überlegungen dieses Abschnitts 1.1. 1.61Sobald ein mit der Lösung der Aufgabe der Qualitätsprüfung betrauter Statistiker auf- grund der Auskünfte der am Produktionsprozeß beteiligten Personen mit den Modellannahmen (i) und (ii) in Abschnitt 1.1.1 einverstanden ist, kann er bei seinen Überlegungen das genannte wahrscheinlichkeitstheoretische Modell akzeptieren und sich auf die daraus folgenden mathematischen Konsequenzen verlassen. In den Beispielen 1.5 - 1.8 werden einige solcher Konsequenzen vorgestellt. 1.62Eine Realisierung einer Zufallsvariable X auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) ergibt sich als X(ω) nach Auswahl eines zufälligen, dann aber als fest betrachteten ω ∈ Ω. 1.63Offensichtlich reicht nach der Prüfung einer festen Anzahl N von Produktionsstücken zur Einschätzung der Verarbeitungsqualität, d.h. zu einer vernünftigen Schätzung pc w von pw , allein die Kenntnis der Anzahl fehlerhafter Produktionsstücke. Weitere Details wie die genaue Reihenfolge ihres Auftretens, sind nicht notwendig. 1.64In der hier betrachteten speziellen Situation ist offensichtlich nicht das detaillierte Ergebnis der Prüfung von N Produktionsstücken, sondern nur die Anzahl der fehlerhaften Teile von Interesse. Daher wird es sinnvoll, mit XN einen Stichprobenraum zu wählen, der übersichtlicher“ ” ist als der in den Abschnitten 1.1.2 und 1.1.3 benutzte Stichprobenraum ΩN . 25. Juli 2011 17 Die Struktur (XN , GN , (QN,p )p∈[0,1] ) ist ein Beispiel eines statistischen Modells 1.65. In jeder Anwendungssituation ist die Bestimmung eines derartigen statistischen Modells die erste Aufgabe eines Statistikers. Seine mathematischen Überlegungen kann er dann im Rahmen dieses statistischen Modells ausführen. 1.1.5. Statistische Untersuchungen. 1.66 In der Realität sind die Ziele und die Methoden statistischer Überlegungen stark von der konkreten Anwendungssituation abhängig. Für den vorliegenden Fall einer Prüfung der Verarbeitungsqualität sollen drei typische Fragestellungen und ihre jeweilige Lösung durch Methoden der Statistik vorgestellt werden. Beispiel 1.9 (Maximum-Likelihood-Schätzer). Ein mögliches Verfahren zur Bestimmung eines Schätzers 1.67 pc w für pw basiert auf dem sog. Maximum-Likelihood-Prinzip: Für eine beobachtete Anzahl x fehlerhafter Produktionsstücke wird pc w dadurch charakterisiert, daß unter der zugehörigen Verteilung, d.h. unter der Binomialverteilung 1.68 QN,b c w ), jener Wert x die maximale Wahrscheinpw = B(N, p 1.70 lichkeit hat 1.69. pc w löst somit N x N −x QN,b (1.14) c pc w) w (1 − p pw [{x}] = x N x = sup p (1 − p)N −x = sup QN,p [{x}]. x p∈[0,1] p∈[0,1] Als Maximum-Likelihood-Schätzer, d.h. als Lösung von (1.14), ergibt sich mit x (1.15) pc w = N die relative Anzahl der defekten Produktionsstücke in der auszuwertenden Stichprobe vom Umfang N 1.71. 1.65Genaugenommen liegt hier ein parametrisches Modell mit dem Parameterbereich Θ = [0, 1] vor. Θ parametrisiert die unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen QN,p , p ∈ [0, 1], die als mögliche Kandidaten für die real zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsverteilung QN,pw der Daten in Frage kommen. 1.66 In diesem Abschnitt 1.1.5 sei die Anzahl N der geprüften Produktionsstücke fest. 1.67 Mit pc w soll die wahre Fehlerwahrscheinlichkeit pw des Produktionsverfahrens geschätzt werden. 1.68Vgl. (1.13). 1.69Unter allen möglichen p ∈ [0, 1] ist also der beobachtete Wert x für jenes pc am wahrw ” scheinlichsten“. 1.70Für ein etwas allgemeineres statistisches Modell (X, G, (Q ) p p∈Θ ), wobei X höchstens abzählbar, G = Pot(X) und Qp , p ∈ Θ, eine Familie von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf (X, G) sei, ist bei einer Anwendung des Maximum-Likelihood-Prinzips zu x ∈ X eine Lösung pb = pb(x) von (∗) Qpb[{x}] = sup Qp [{x}] p∈Θ zu suchen. Für ein festes x ∈ X bezeichnet man übrigens die Funktion Θ ∋ p → Qp [{x}] = Lx (p) ∈ [0, 1] als Likelihood-Funktion zum Beobachtungswert x. Aufgrund von (∗) ist zur Bestimmung von pb(x) das Maximum der Likelihood-Funktion Lx zu suchen. 1.71Zur Lösung von (1.14) ist für x ∈ X N das Maximum der Likelihood-Funktion p → N x p (1 − p)N−x = Lx (p), bzw. in einer äquivalenten Formulierung das Maximum der Logx Likelihood-Funktion x p → log(Lx (p)) = log N p (1 − p)N−x = log N + x log(p) + (N − x) log(1 − p) = ℓx (p) x x zu suchen. (1.15) ergibt sich nun aus N −x x x − = 0 ⇐⇒ p = , p 1−p N x N −x ℓ′′ < 0, p ∈ (0, 1), x (p) = − 2 − p (1 − p)2 ℓ′x (p) = 25. Juli 2011 18 Der Schätzer pc w ist insofern zunächst unbefriedigend, als mit ihm keine Angabe über seine Genauigkeit, bzw. seine Zuverlässigkeit verbunden ist. Beispiel 1.10 (Konfidenzbereich). 1.72 Eine vertrauenswürdige, bzw. zuverlässige Schätzung für pw liegt dann vor, wenn ein möglichst kleiner sog. Konfidenzbereich angegeben wird, innerhalb dessen mit einer vorgegebenen hinreichend großen Si” cherheit“ 1.73 dieses pw erwartet werden kann. Eine sinnvolle Vorgehensweise besteht darin, • zunächst ein Irrtumsniveau s ∈ (0, 1) 1.74 zu wählen und dann • eine Zuordnung XN ∋ x → C(x) = [pu (x), po (x)] ⊆ [0, 1] so zu bestimmen, daß für alle x das jeweilige Intervall C(x) möglichst klein ist und • für jedes mögliche pw ∈ [0, 1] bzgl. des zugehörigen Wahrscheinlichkeitsmaßes QN,pw solche x, für die C(x) 6∋ pw gilt, höchstens mit Wahrscheinlichkeit s beobachtet werden 1.75. Wegen (1.13) sollte daher (1.16) sup QN,p [{x ∈ XN : C(x) 6∋ p}] p∈[0,1] = sup X p∈[0,1] x=0,1,...,N C(x)6∋p N x p (1 − p)N −x ≤ s x gelten 1.76 1.77. Für einen festen Beobachtungswert x und nach der Bestimmung von C(x) kann nun der Statistiker sein Ergebnis in der folgenden Form präsentieren: Mit einer ” Sicherheit von mindestens (1 − s) · 100 % liegt pw in dem Intervall C(x)“ 1.78. Beispiel 1.11 (Testen einer Hypothese). 1.79 Durch einen Vertrag sei der Hersteller der Produktionsstücke zur Zahlung einer Konventionalstrafe verpflichtet, wenn bei und lim ℓx (p) = lim ℓx (p) = −∞. pց0 pր1 1.72In den Überlegungen dieses Beispiels wird auf den möglichen Wunsch des Herstellers, die Einschätzung der Verarbeitungsqualität seines Produkts mit einer Angabe zur Genauigkeit jener Einschätzung zu verbinden, eingegangen. 1.73Eine derartige Phrase muß natürlich mathematisch gefaßt werden. 1.74Man könnte auch von einem Sicherheitsniveau 1 − s sprechen. 1.75Damit wären die umgangssprachlich formulierten Aussagen p 6∈ C(x) für höchstens ” w s·100 % aller Beobachtungen x“ und pw ∈ C(x) für mindestens (1−s)·100 % aller Beobachtungen ” x“ zutreffend. Diese Aussagen sind dann unabhängig vom genauen Wert von pw korrekt. 1.76Für C(x) = [0, 1], x ∈ X , ist (1.16) zwar erfüllt, jedoch liefert ein solcher KonfidenzN bereich offensichtlich keine brauchbare Information und sollte daher verkleinert werden. Die Bestimmung eines solchen kleineren“ Konfidenzbereichs wird in Beispiel 4.8 vorgenommen. ” 1.77 In einer allgemeineren, im Rahmen eines statistischen Modells (X, G, (Qp )p∈Θ ) gewählten Formulierung sollte die Zuordnung X ∋ x → C(x) ⊆ Θ so bestimmt werden, daß sup Qp {x ∈ X : C(x) 6∋ p} ≤ s. p∈Θ 1.78Die häufig umgangssprachlich verwendete Aussage Mit einer Wahrscheinlichkeit von ” mindestens (1 − s) · 100 % liegt pw in dem Intervall C(x)“ ist unpräzise und irreführend, da sie suggeriert, daß pw zufällig ist, was nicht der Fall ist. 1.79 Die nun diskutierte Problemstellung kann für den Hersteller dann relevant werden, wenn er beim Unterschreiten einer vorher vereinbarten Qualitätsgrenze, d.h. beim Überschreiten einer vorgegebenen Fehlerwahrscheinlichkeit, zur Vermeidung von Regreßforderungen der Kunden informiert werden will. 25. Juli 2011 19 einer Lieferung eine Fehlerquote 1.80 pf ∈ [0, 1] überschritten wird. Das Risiko, jene maximale Fehlerwahrscheinlichkeit pf unbemerkt 1.81 zu überschreiten, soll für den Hersteller unter einem vorgegebenen, gerade noch akzeptablen Niveau bleiben 1.82. In einem systematischen statistischen Verfahren zur Risikobegrenzung besteht • ein erster Schritt darin, ein Irrtumsniveau t ∈ (0, 1) und • eine Nullhypothese 1.83 Θ0 = {p ∈ [0, 1] : p ≥ pf } (1.17) festzulegen. • Für das noch genauer zu bestimmende Entscheidungsschema, einen sog. Test φ, mit 1.84 ( 0, falls p ∈ Θ0 angenommen wird 1.85, XN ∋ x → φ(x) = (1.18) 1, falls p 6∈ Θ0 vermutet wird 1.86, sollte dann einerseits die maximale Irrtumswahrscheinlichkeit bei einer zu großen Fehlerquote, d.h. bei Gültigkeit der Nullhypothese Θ0 , nicht größer als t sein 1.87, d.h., es sollte sup QN,p [{x ∈ XN : φ(x) = 1}] (1.19) p∈Θ0 = sup p∈Θ0 X {x∈XN :φ(x)=1} N x p (1 − p)N −x ≤ t x 1.88 gelten . • Andererseits sollte auch im Fall einer eigentlich akzeptablen Fehlerquote p < pf die entsprechende Irrtumswahrscheinlichkeit möglichst klein 1.80 Die Fehlerquote“ pf sei der relative Anteil der defekten Produktionsstücke in einer Lie” ferung an einen Kunden. Nach dem Gesetz der großen Zahlen, vgl. Beispiel 1.7, wird für große Liefermengen diese Fehlerquote durch die Fehlerwahrscheinlichkeit p, d.h. die Wahrscheinlichkeit, daß ein beliebiges Produktionsstück defekt ist, approximiert. 1.81Wenn die Fehlerwahrscheinlichkeit p f unbemerkt “ überschritten wird, kann die Auslie” ferung der Ware nicht verhindert werden, d.h., der Eingang einer Regreßforderung ist zu erwarten. 1.82 Ein akzeptables Niveau“ ist im folgenden bestimmt durch die für den Hersteller noch ” vertretbare Wahrscheinlichkeit“, bzw. Ungewißheit, mit der die Zahlung der Konventionalstrafe ” fällig wird. 1.83Die Gültigkeit der Nullhypothese Θ sollte nur auf einem geringen Irrtumsniveau unent0 deckt bleiben, da ihr Übersehen mit hohen Kosten verbunden sein kann. 1.84Bei der genauen Bestimmung von φ(.) werden die Mengen A = {x ∈ X : φ(x) = 0} 0 N und A1 = {x ∈ XN : φ(x) = 1} = XN \ A0 spezifiziert. 1.85Der Statistiker, der die Datenauswertung vornimmt, kommt zum Ergebnis, daß die Fehlerwahrscheinlichkeit pf überschritten wird. Er schlägt nun dem Betrieb vor, Verbesserungen im Produktionsprozeß vorzunehmen. 1.86 Der Statistiker kommt zum Schluß, daß die Fehlerwahrscheinlichkeit pf nicht erreicht wird. Der Produktionsprozeß könnte dann unverändert bleiben. 1.87Die maximale Wahrscheinlichkeit für einen sog. Fehler 1. Art sollte das Niveau t nicht überschreiten. 1.88In einem allgemeineren, im Rahmen eines statistischen Modells (X, G, (Q ) p p∈Θ ) formulierten Testproblem sollte für eine gegebene Nullhypothese Θ0 ⊆ Θ der Test φ : X → {0, 1} so bestimmt werden, daß sup Qp [{x ∈ X : φ(x) = 1}] ≤ t p∈Θ0 gilt. Analog zu (1.18) hat auch hier φ die Bedeutung ( 0, falls Θ0 akzeptiert wird, φ(x) = 1, falls Θ0 verworfen wird, 25. Juli 2011 x ∈ X. 20 sein (1.20) 1.89 , d.h. 1.90 QN,p [{x ∈ XN : φ(x) = 0}] = X {x∈XN :φ(x)=0} N x p (1 − p)N −x x !! = minimal für den zu suchenden Test φ, falls p 6∈ Θ0 . Nach der Bestimmung eines Tests φ, der (1.18) - (1.20) zu vorgegebenem Irrtumsniveau t und Nullhypothese Θ0 löst, kann ein Statistiker dessen Wirkungsweise folgendermaßen charakterisieren: Die Nullhypothese Θ0 wird in höchstens t · 100 % ” aller Fälle übersehen“ oder auch die Nullhypothese wird mit einer Sicherheit von ” mindestens (1−t)·100 % erkannt“ 1.91. Zusätzlich wird auf das eventuelle Vorliegen ” der Alternative p < pf mit maximaler Zuverlässigkeit hingewiesen“. 1.1.6. Zusammenfassung und Ausblick. In der Stochastik werden Gesetzmäßigkeiten in zufälligen Vorgängen mathematisch beschrieben. Hierbei wird mit mathematischen Modellen gearbeitet. Im Teilgebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie werden die Eigenschaften fest vorgegebener wahrscheinlichkeitstheoretischer Modelle studiert. Im Teilgebiet der Statistik werden im Rahmen statistischer Modelle reale Beobachtungsdaten interpretiert. In diesem Abschnitt 1.1 wurden u.a. folgende Begriffe, Konzepte und Resultate der Stochastik vorgestellt 1.92: • Wahrscheinlichkeitsraum (Stichprobenraum, σ-Algebra der Ereignisse, Wahrscheinlichkeitsmaß) • Zufallsvariable, Verteilung einer Zufallsvariable, stochastischer Prozeß • Unabhängigkeit • Erwartungswert, Varianz • (schwaches bzw. starkes) Gesetz der großen Zahlen • Zentraler Grenzwertsatz • Čebyšev’sche Ungleichung • stochastische bzw. fast-sichere Konvergenz, Konvergenz in Verteilung • Binomialverteilung, Normalverteilung • deskriptive und mathematische Statistik • (parametrisches) statistisches Modell • Maximum-Likelihood-Prinzip, Schätzer • Konfidenzbereich • Testen einer Hypothese • Maß- und Integrationstheorie Diese Begriffe spielen zentrale Rollen in den mathematischen Disziplinen Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Sie werden im weiteren Verlauf der Vorlesung immer wieder auftauchen und dann auch mathematisch präzisiert und in Anwendungen und Beispielen erläutert werden. 1.89Durch diese Forderung soll der sog. Fehler 2. Art möglichst unwahrscheinlich“ werden. ” Die Gefahr eines falschen Alarms soll möglichst klein werden. Damit soll eine evtl. kostenintensive, aber überflüssige Änderung des Produktionsprozesses vermieden werden. Insbesondere soll die Verwendung des trivialen Tests φ ≡ 0 ausgeschlossen werden. Bei Anwendung dieses Tests, einer offensichtlichen Lösung von (1.19), wird ohne Berücksichtigung der Prüfergebnisse vorgeschlagen, den Produktionsprozeß zu verbessern. 1.90 Für alle p < pf soll in der Klasse aller Tests, die (1.19) erfüllen, das Minimum der linken Seite von (1.20) durch den zu suchenden Test φ angenommen werden. 1.91Eine Verwendung des Wortes Wahrscheinlichkeit“ anstelle von Sicherheit“ wäre un” ” präzise, da sie eine nicht vorhandene Zufälligkeit von p suggerieren würde. 1.92Zum Teil wurden diese Begriffe nur in Fußnoten erwähnt. 25. Juli 2011 21 1.2. (∗) Geschichte der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik Um die Einordnung der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik in den allgemeinen Rahmen der Mathematik und ihre außermathematische Bedeutung anzudeuten, werden in diesem Abschnitt 1.2 einige wenige Entwicklungsphasen und markante Zeitpunkte festgehalten. Antike und Mittelalter. Da völlig unklar ist, wie Begriffe wie Zufall oder Wahrscheinlichkeit mathematisch faßbar sind, kann sich noch keine Wahrscheinlichkeitstheorie entwickeln. Einzelne Abhandlungen über Glücksspiele sind bekannt. ca. 1655. Ein Briefwechsel zwischen B. Pascal und P. de Fermat u.a. über kombinatorische Probleme bei Glücksspielen wird als Beginn der mathematischen Disziplin Wahrscheinlichkeitstheorie betrachtet. In einer Abhandlung ebenfalls über Glücksspiele führt Ch. Huygens den Erwartungswert ein. ca. 1710. U.a. durch Arbeiten von J. Bernoulli (Gesetz der großen Zahlen) und A. de Moivre (Zentraler Grenzwertsatz) gibt es Fortschritte in der elementaren“ ” Stochastik. Es entwickelt sich das Gebiet der Statistik. 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts. In den mathematischen Auseinandersetzungen mit der Stochastik bleiben große Probleme mit kontinuierlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen bestehen. In philosphischen Überlegungen wird u.a. von d’Alembert und P.S. Laplace versucht, den Zufall“ zu verstehen. ” T. Bayes (bedingte Wahrscheinlichkeit) begründet die angelsächsische Schu” le“ der mathematischen Statistik. C.F. Gauß und A.M. Legendre erarbeiten die Methode der kleinsten Quadrate. Ende des 19. Jahrhunderts. Die Mengenlehre (G. Cantor) und die Maß- und Integrationstheorie (E. Borel, H. Lebesgue) werden entwickelt. Sie erweisen sich später als die Basis der modernen“ Stochastik. ” Beginn des 20. Jahrhunderts. Vielfältige theoretische Untersuchungen und Anwendungen konvergieren“ letztendlich zum noch heute akzeptierten Gebäude“ ” ” der Wahrscheinlichkeitstheorie. Durch Arbeiten von L. Bachelier (Modellierung von Aktienkursen, 1900) und A. Einstein (Molekularbewegung, 1905) findet mit der Brownschen Bewegung ein stochastischer Prozeß erste wichtige Anwendungen. 1933. A.N. Kolmogorov veröffentlicht das Axiomensystem der Wahrscheinlichkeitstheorie. In den folgenden zwei Jahrzehnten sind schnelle Fortschritte möglich (Stochastische Prozesse, Stochastische Differentialgleichungen, Martingale). 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erst durch Anwendungen von Resultaten der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie werden viele technische oder wirtschaftliche Entwicklungen möglich, wie z.B. • Manhattan-Projekt, Entwicklung der H-Bombe (Monte-Carlo Simulationen u.a. von S. Ulam, E. Fermi, J. v. Neumann), • Steuerung von Satelliten und Raketen, bzw. Satellitennavigationssysteme (Kalman-Bucy Filter), • Bestimmung des Preises für gewisse Finanzderivate (z.B. Terminkontrakte, Aktienoptionen) (u.a. Black-Scholes Modell). 25. Juli 2011 KAPITEL 2 Wahrscheinlichkeitsräume Ein Wahrscheinlichkeitsraum ist ein Tripel (Ω, F, P), wobei • Ω eine Menge, • F eine σ-Algebra 2.1, d.h. eine spezielle Familie von Teilmengen von Ω und • P ein Wahrscheinlichkeitsmaß 2.3 auf (Ω, F) ist. 2.2 , Ω heißt Stichprobenraum. Die Elemente 2.4 A ∈ F beschreiben Ereignisse, welche durch P eine Wahrscheinlichkeit P[A] ∈ [0, 1] zugewiesen bekommen. Während Stichprobenräume keinerlei Einschränkungen unterliegen 2.5, müssen σ-Algebren und Wahrscheinlichkeitsmaße den im folgenden beschriebenen Kolmogorovschen Axiomen (2.1) und (2.2) genügen. Sei Ω 6= ∅ eine Menge. Eine Familie F ⊆ Pot(Ω) heißt σ-Algebra, wenn Ω ∈ F, (2.1a) (2.1b) A∈F (2.1c) A1 , A2 , · · · ∈ F Ω \ A ∈ F, =⇒ =⇒ ∞ [ k=1 Ak ∈ F. Nun wird (Ω, F) als meßbarer Raum bezeichnet. Im Rahmen eines wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells lassen sich die Bedingungen (2.1) wie folgt interpretieren. • Mit (2.1a) wird festgehalten, daß durch Ω ein Ereignis, nämlich irgen” detwas geschieht“ beschrieben wird. • (2.1b) besagt, daß mit A auch A geschieht nicht“ ein Ereignis ist. ” • Aufgrund von (2.1c) ist mit A1 , A2 , . . . auch A1 oder A2 oder . . .“ ein ” Ereignis 2.6 2.7. Für einen meßbaren Raum (Ω, F) heißt eine Funktion P : F → [0, 1] Wahrscheinlichkeitsmaß, wenn (2.2a) P[Ω] = 1, 2.1Die genaue Definition von σ-Algebren folgt in (2.1). 2.2I. allg. ist F eine echte Teilmenge der Potenzmenge Pot(Ω) von Ω, vgl. Abschnitt 2.5. 2.3Die genaue Definition von Wahrscheinlichkeitsmaßen folgt in (2.2). 2.4Die Elemente A ∈ F sind Teilmengen von Ω. 2.5In konkreten Anwendungen sollten Stichprobenräume einfach nur groß genug“ sein, d.h., ” eine hinreichend detaillierte Struktur besitzen. 2.6Man beachte, daß in (2.1c) nur abzählbare Vereinigungen betrachtet werden. 2.7Aus (2.1) können weitere Eigenschaften von σ-Algebren, wie z.B. A1 , A2 , · · · ∈ F =⇒ ∞ \ k=1 abgeleitet werden, vgl. Abschnitt 2.3.1. 23 Ak ∈ F, 24 " (2.2b) P ∞ [ k=1 Ak # 2.8 = ∞ X k=1 P[Ak ], A1 , A2 , . . . ∈ F, Ak ∩ Al = ∅, k, l ∈ N, k 6= l. Die Eigenschaft (2.2b) wird als σ-Additivität von P bezeichnet. Man beachte, daß die Gültigkeit dieser Beziehung nur für abzählbar viele, paarweise disjunkte A1 , A2 , · · · ∈ F gefordert wird 2.9. Die Eigenschaften (2.2) sind mit einem anschaulichen Begriff der Wahrschein” lichkeit“ vereinbar 2.10. Beispielsweise besagt (2.2a), daß mit Wahrscheinlichkeit 1 2.11 “irgendetwas geschieht“ . Mit der σ-Additivität (2.2b) von P wird verlangt, daß sich die Wahrscheinlichkeiten abzählbar vieler, sich gegenseitig ausschließender Ereignisse addieren 2.12 2.13. 2.1. Elementare wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle Die Bildung einfacher wahrscheinlichkeitstheoretischer Modelle wird in diesem Abschnitt mit einigen Beispielen für unterschiedliche Varianten des Wurfs einer Münze, bzw. eines Würfels erläutert 2.14. Beispiel 2.1 (Wurf einer fairen Münze). Bei einem Wurf einer fairen Münze kann sich Kopf oder Zahl ergeben, wobei diese beiden Möglichkeiten die gleiche Wahrscheinlichkeit besitzen. Zur mathematischen Modellierung dieses Vorgangs kann Kopf“ mit der Zahl 0 und Zahl“ mit 1 identifiziert werden und dann ” ” Ω = {0, 1}, F = ∅, {0}, {1}, Ω = Pot(Ω), 1 1 P[∅] = 0, P[{0}] = , P[{1}] = , P[Ω] = 1 2 2 gewählt werden. Die Menge Ω faßt die möglichen Ausgänge des Münzwurfs zusammen. Mit diesen Ausgängen sind die durch F beschriebenen Ereignisse ∅ , Es ” {0} , Es ” {1} , Es ” Ω , Es ” wird weder Kopf noch Zahl geworfen“ 2.15 , wird Kopf geworfen“, wird Zahl geworfen“, wird Kopf oder Zahl geworfen“ 2.8Als Folge von (2.1c) ist mit A , A , · · · ∈ F auch S∞ A ∈ F, d.h., die linke Seite von 1 2 k=1 k (2.2b) ist wohldefiniert. 2.9Für beliebige, nicht notwendigerweise paarweise disjunkte A , A , · · · ∈ F gilt (2.2b) i. allg. 1 2 nicht. Vielmehr liegt dann σ-Subadditivität vor, vgl. (2.14). 2.10 Es ist bemerkenswert, daß (2.2a) und (2.2b) ausreichen, um auf eine eindeutige Weise Wahrscheinlichkeitsmaße auf einem meßbaren Raum (Ω, F) zu charakterisieren. 2.11Das Ereignis Ω umfaßt “alles mögliche, das eintreten kann“. Man beachte, daß P[Ω] aufgrund von (2.1a) wohldefiniert ist. 2.12Sich ausschließende Ereignisse entsprechen disjunkten Mengen. 2.13Es ist wesentlich, daß (2.2b) für abzählbar viele und nicht nur für endliche viele disjunkte A1 , . . . , AN ∈ F, N ∈ N, gefordert wird. Jene endliche Additivität von P kann als Konsequenz von (2.2) bewiesen werden, vgl. (2.10). Zusammen mit (2.10) werden weitere Konsequenzen aus (2.2) in Abschnitt 2.3.2 zusammengestellt. 2.14 Insbesondere wird beschrieben, wie in diesen Fällen zur Modellierung geeignete Wahrscheinlichkeitsräume angegeben werden können. 25. Juli 2011 25 verbunden. Da die Münze als fair vorausgesetzt wurde, besitzen diese Ereignisse offensichtlich“ 2.16 die durch P angegebenen Wahrscheinlichkeiten. ” Mit dem hier beschriebenen wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell (Ω, F, P) kann offenbar auch jedes andere Experiment“ mit zwei möglichen, gleichwahr” scheinlichen Ausgängen beschrieben werden 2.17. Beispiel 2.2 (Wurf einer unfairen Münze). Bei einem Wurf einer Münze, die bevorzugt auf eine der beiden Seiten fällt, d.h. einer unfairen Münze, können Ω und F wie in Beispiel 2.1 gewählt werden. Mit einem geeigneten p ∈ [0, 1] 2.18 ist dann allerdings P gemäß P[∅] = 0, P[{0}] = 1 − p, P[{1}] = p, P[Ω] = 1 zu modifizieren. Mit einem derartigen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) können Experimente mit zwei möglichen, unterschiedlich wahrscheinlichen Ausgängen modelliert werden 2.19. Beispiel 2.3 (Wurf eines fairen Würfels). Anders als in den Beispielen 2.1 und 2.2 sind in diesem Fall sechs Ausgänge möglich, wobei diese wie in Beispiel 2.1 gleichwahrscheinlich sind. Nun kann durch Ω = {1, 2, . . . , 6}, F = Pot(Ω), 1 P[{k}] = , 6 P[A] = 2.20 k = 1, . . . , 6, X k∈A P[{k}] = |A| |A| = , 6 |Ω| A ∈ F, ein zur Modellierung geeigneter Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definiert werden. Beispiel 2.4 (Wurf eines unfairen Würfels). Ein Würfel sei so manipuliert, daß die sechs Seiten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten pk , k = 1, . . . , 6, geworfen werden. Hierbei sollte pk ∈ [0, 1], k = 1, . . . , 6, 6 X pk = 1 k=1 2.15Mit ∅ ∈ F werden hier auch unwahrscheinliche“ Ereignisse wie die Münze bleibt in der ” ” Luft hängen“ oder im Zeitpunkt ihres Wurfs schlägt ein Blitz in die Münze ein und sie verdampft“ ” modelliert. 2.16 Hier wird auf die menschliche Erfahrung Bezug genommen. In mathematischen Modellen realer Phänomene geht diese menschliche Erfahrung immer ein. 2.17Beispiele sind ein Wurf eines fairen Würfels, bei dem gefragt wird, ob eine gerade oder ” eine ungerade Augenzahl auftritt“ oder eine Ultraschalluntersuchung eines Embryos zur Feststel” lung seines Geschlechts“. 2.18p = 0 oder p = 1 wird dann benutzt, wenn die Münze so präpariert ist, daß sie immer auf die gleiche Seite fällt. 2.19Weitere Beispiele wären der Wurf eines Reißnagels“, bei dem die glatte Seite, bzw. ” der Stift nach oben zeigen kann, die Frage an einen zufällig ausgewählten Passanten, ob er im ” kommenden Sommer Urlaub machen wird oder nicht“ oder die Untersuchung einer Blutkonserve, ” ob diese HIV-positiv ist oder nicht“. 2.20Hier wird benutzt, daß sich die Wahrscheinlichkeiten endlich vieler, sich gegenseitig ausschließender, d.h. disjunkter Ereignisse zu ihrer Gesamtwahrscheinlichkeit addieren, vgl. Fußnote 1.29, bzw. (2.2b) oder (2.10). 25. Juli 2011 26 gelten. Zur Modellierung kann in diesem Fall (Ω, F) wie in Beispiel 2.3 gewählt und das Wahrscheinlichkeitsmaß P durch X X P[A] = P[{k}] = pk , A ∈ F, k∈A k∈A definiert werden. Beispiel 2.5 (Mehrmaliger, unabhängiger Wurf einer fairen Münze). 2.21 Ausgehend von den Überlegungen in Beispiel 2.1 kann die Menge der Sequenzen von N Würfen der Münze durch Ω = {0, 1}N = {(ω1 , . . . , ωN ) : ωk ∈ {0, 1}, k = 1, . . . , N } beschrieben werden. Wie in den Beispielen 2.1 - 2.4 ist weiterhin die Wahl F = Pot(Ω) sinnvoll 2.22. Bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit P[{ω}] für das Auftreten einer einzelnen festen Wurfsequenz ω = (ω1 , . . . , ωN ) ∈ Ω muß beachtet werden, daß für alle k = 1, . . . , N die Wahrscheinlichkeit für den Wurf von 0, bzw. 1 beim k-ten Wurf unabhängig von den Resultaten der restlichen Würfe l 6= k jeweils 1/2 ist. Somit folgt zunächst (2.3) P[{ω}] = P[1. Wurf , ω1 , 2. Wurf , ω2 , . . . , N . Wurf , ωN ] 2.23 P[1. Wurf , ω1 ]P[2. Wurf , ω2 ] . . . P[N . Wurf , ωN ] 1 N 1 = 2.24 , ω = (ω1 , . . . , ωN ) ∈ Ω, = 2 |Ω| = und dann als Ergänzung (2.4) P[A] = X ω∈A P[{ω}] = |A| , |Ω| A ∈ F. Beispiel 2.6 (Mehrmaliger, unabhängiger Wurf einer unfairen Münze). 2.25 Die Menge der möglichen Wurfsequenzen ist offensichtlich die gleiche wie in Beispiel 2.5, d.h., wenn die Münze N mal geworfen wird, kann Ω = {0, 1}N gewählt werden. Ebenso können die gleichen Ereignisse wie in Beispiel 2.5 betrachtet werden, so daß F = Pot(Ω) 2.21Der Begriff der Unabhängigkeit in der Wahrscheinlichkeitstheorie wird noch erläutert werden. Analog zu den zu (1.4) führenden Überlegungen, vgl. insbesondere Fußnote 1.30, sei vorerst damit gemeint, daß die einzelnen Würfe nicht durch die Ausgänge der anderen Würfe ” beeinflußt werden“. Bei der rigorosen Definition der Unabhängigkeit zweier Ereignisse wird die intuitiv einleuchtende Beziehung P[A und B] = P[A ∩ B] = P[A]P[B] für unabhängige“ Ereignisse A und B benutzt, vgl. Abschnitt 3.2.3. ”2.22 Einer Menge A von Wurfsequenzen entspricht das Ereignis, daß die geworfene Wurfse” quenz in A enthalten ist“. 2.23Wegen der Unabhängigkeit der Würfe, vgl. Fußnote 2.21. 2.24Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Tatsache, daß Ω insgesamt 2N Elemente enthält, d.h., |Ω| = 2N . 2.25Das nun vorgestellte wahrscheinlichkeitstheoretische Modell wurde schon bei der Untersuchung einer anderen Fragestellung (Prüfung der Qualität von Produktionsstücken) in Abschnitt 1.1.2 eingeführt. 25. Juli 2011 27 definiert werden sollte. Wenn allerdings 2.26 p 6= 1/2 ist, so besitzen jene Ereignisse nun andere Wahrscheinlichkeiten als in Beispiel 2.5, d.h., P ist zu modifizieren. Wenn die Unabhängigkeit der einzelnen Würfe berücksichtigt wird, führt die in Beispiel 2.2 festgehaltene Wahrscheinlichkeitsverteilung 2.27 für das Ergebnis eines einzelnen Wurfs zu 2.28 (2.5a) P[{ω}] = N Y i=1 bzw., 2.29 (2.5b) pωi (1 − p)1−ωi = p P[A] = X PN i=1 P[{ω}], ω∈A ωi (1 − p)N − PN i=1 ωi , ω ∈ Ω, A ∈ F. Bemerkungen 2.7. (i) Wie in den Beispielen 2.1 - 2.6 ist i. allg. bei endlichen oder abzählbar unendlichen Stichprobenräumen Ω die Wahl F = Pot(Ω) üblich. Wenn aber Ω überabzählbar unendlich ist, kann eine derartige Wahl von F zu einem Widerspruch führen 2.30. (ii) Wenn |Ω| < ∞ und P[{ω}] = 1/|Ω|, ω ∈ Ω, wie in den Beispielen 2.1, 2.3 und 2.5, wird P als Gleichverteilung auf Ω bezeichnet 2.31. Nun ist (Ω, F, P) ein Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum. 2.2. Diskrete Wahrscheinlichkeitsmaße Die in diesem Abschnitt 2.2 vorgestellten Wahrscheinlichkeitsmaße tauchen sehr oft in den klassischen Beispielen der elementaren Wahrscheinlichkeitstheorie auf. Sei zunächst allgemein • Ω eine endliche oder abzählbar unendliche Menge, • F = Pot(Ω) P und • P[A] = a∈A pa , A ∈ F, wobei X pa = P[{a}] ∈ [0, 1], a ∈ Ω, mit pa = 1. a∈Ω In einem solchen Fall wird (Ω, F, P) als diskreter Wahrscheinlichkeitsraum und P als diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß bezeichnet 2.32. Spezielle Beispiele sind in folgender Liste zusammengestellt: Bernoulli-Verteilung mit Parameter p ∈ [0, 1]: Ω = {0, 1}; p0 = 1 − p, p1 = p. Anwendung: Modellierung eines Münzwurfs (fair, wenn p = 1/2, sonst unfair) 2.33. 2.26p ∈ [0, 1] ist die Wahrscheinlichkeit für den Wurf von 1 , Zahl“ bei einem einzelnen ” Wurf der Münze, vgl. Beispiel 2.2. 2.27Wahrscheinlichkeitsverteilung ist ein Synonym für Wahrscheinlichkeitsmaß. 2.28Vgl. die entsprechende Bestimmung von P N,p in Abschnitt 1.1.2 und insbesondere auch die Herleitung von (1.4). 2.29Wenn p 6= 1/2, sind in (2.5) anders als in (2.3), (2.4) die Wahrscheinlichkeiten P[{ω}], ω ∈ Ω, verschieden. 2.30Vgl. Abschnitt 2.5. 2.31In diesen Fällen hat jedes einpunktige Elementarereignis“ {ω}, ω ∈ Ω, die gleiche Wahr” scheinlichkeit. 2.32Die in Abschnitt 2.1 beschriebenen Wahrscheinlichkeitsräume sind alle diskret. 2.33Vgl. Beispiele 2.1 und 2.2. Auch andere Experimente“ mit zwei möglichen Ausgängen ” können mit Hilfe einer Bernoulli-Verteilung modelliert werden. Beispiele wären der Test einer Person auf eine HIV-Infektion oder eine Funktionsprüfung einer Glühbirne. 25. Juli 2011 28 Binomial-Verteilung B(N, p) mit Parametern N ∈ N und p ∈ [0, 1]: N k Ω = {0, 1, . . . , N }; pk = p (1 − p)N −k , k ∈ Ω. k Anwendung: Mit B(N, p) kann die Anzahl der Erfolge beim N -maligen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p modelliert werden 2.34. Geometrische Verteilung (auf N) mit Parameter p ∈ (0, 1) 2.35: Ω = N = {1, 2, . . . }; pk = (1 − p)k−1 p, k ∈ Ω. Anwendung: Modellierung des Zeitpunkts des ersten Wurfs von Zahl“ bei ” dem ∞-fachen, unabhängigen Wurf einer Münze mit Wahrscheinlichkeit p 2.36 2.37 für Zahl“ beim einmaligen Wurf . ” Negative Binomial-Verteilung mit Parametern r ∈ N und p ∈ (0, 1): k+r−1 r Ω = N0 = {0, 1, 2, . . . }; pk = p (1 − p)k , k ∈ Ω. k Anwendung: Modellierung der Anzahl der Mißerfolge vor dem r-ten Erfolg bei einem beliebig oft unabhängig wiederholten Bernoulli-Experiment“ mit ” Erfolgswahrscheinlichkeit p 2.38 2.39. Die Negative Binomial-Verteilung, die auch als Pascal-Verteilung bezeichnet wird, ist eine Verallgemeinerung der sich für r = 1 ergebenden geometrischen Verteilung 2.40 2.41. 2.34Vgl. auch Abschnitt 1.1.2, insbesondere (1.5). Die Anzahl der defekten Produktionsstücke bei N Prüfungen ist binomialverteilt mit den Parametern N und der Fehlerwahrscheinlichkeit p. 2.35In [5] wird auch die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf N = {0, 1, 2, . . . } mit p = (1 − 0 k k p) p, k ∈ N0 , als geometrische Verteilung bezeichnet. 2.36Wegen der Unabhängigkeit der Würfe, vgl. Fußnote 2.21, gilt insbesondere P zum Zeitpunkt n wird das erste Mal Zahl“ geworfen ” = P 1. Wurf , Kopf“, . . . , (n − 1)-ter Wurf , Kopf“, n-ter Wurf , Zahl“ ” ” ” = P[1. Wurf , Kopf“] · · · P[(n − 1)-ter Wurf , Kopf“]P[n-ter Wurf , Zahl“] ” ” ” = (1 − p)n−1 p, n ∈ N. 2.37 Die Modellierung des ∞-fachen, unabhängigen Wurf einer Münze wird ausführlich in Abschnitt 2.4.2 erläutert. 2.38Bei einem Bernoulli-Experiment“ denke man nicht nur an einen Wurf einer Münze. ” 2.39Das Ereignis, daß k (durch 0“ beschriebene) Mißerfolge vor dem r-ten (durch 1“ be” ” schriebenen) Erfolg eintreten, wird repräsentiert durch die Menge der Sequenzen der Länge k + r mit Werten in {0, 1}, die mit einer 1 enden und in den vorangehenden k + r − 1 Stellen genau k mal eine 0 und r − 1 mal eine 1 haben. Somit zeigt sich, wenn wie bei der Herleitung von (1.5) argumentiert wird, daß die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis k + r − 1 pr (1 − p)k k ist. 2.40Mit geometrischer Verteilung ist hier die in Fußnote 2.35 beschriebene Variante gemeint. 2.41Der Name negative Binomial-Verteilung“ bezieht sich auf die Darstellung ” −r k + r − 1 (−1)k pr (1 − p)k , k ∈ N0 , r ∈ N, pr (1 − p)k = k k die sich ergibt, wenn m = 1, 0 m m(m − 1) · · · (m − l + 1) = , l = 1, 2, . . . , l l! für beliebige m ∈ Z definiert wird. 25. Juli 2011 29 Laplacesche Verteilung (Gleichverteilung) auf einer endlichen Menge M Ω = M; pm = 2.42 : 1 , m ∈ Ω. |M | Anwendung: Modellierung von Experimenten mit einer endlichen Anzahl möglicher Ausgänge, die evtl. aufgrund eingeschränkter Vorkenntnisse alle als gleichwahrscheinlich erscheinen. Poissonverteilung P (λ) mit Parameter λ > 0: Ω = N0 = {0, 1, 2, . . . }; pk = λk exp(−λ), k ∈ Ω. k! Anwendung: Modellierung der Anzahl von total zufälligen“ Zeitpunkten 2.43 ” in einem Zeitintervall [0, T ], z.B. der Anzahl eingehender Anrufe in einer 2.44 Telefonzentrale . Multinomialverteilung und hypergeometrische Verteilung 2.45 sind weitere diskrete Wahrscheinlichkeitsmaße, die auf geeigneten endlichen Teilmengen eines Zd , d = 2, 3, . . . , konzentriert sind. Sie treten auf bei der Modellierung der Resultate von mehrmaligen Ziehungen aus einer Urne, die endlich viele Kugeln mit teilweise unterschiedlichen Farben enthält. Verschiedenartige Situationen ergeben sich, je nachdem ob die gezogenen Kugeln zurückgelegt oder nicht zurückgelegt werden. Bemerkung 2.8. (i) Sei Ω ⊂ Rd höchstens abzählbar. Ein diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß P auf Ω kann auch als ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf 2.46 (Rd , B(Rd )) betrachtet werden. Man definiert dann X P[A] = P[{a}], A ∈ B(Rd ). a∈Ω∩A (ii) Für ein allgemeines Wahrscheinlichkeitsmaß P 2.47 auf (Rd , B(Rd )) bezeichnet man Punkte a ∈ Rd mit P[{a}] > 0 auch als Atome von P. Offensichtlich ist ein diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß auf seinen Atomen konzentriert 2.48. 2.42In den Beispielen 2.1, 2.3 und 2.5 wurden Laplacesche Verteilungen betrachtet. Später, vgl. Abschnitte 2.4.1 und 2.6, wird auch die Gleichverteilung auf [0, 1], bzw. einem beschränkten Gebiet G ⊆ Rd eingeführt werden. 2.43Sowohl die Anzahl als auch die Lage jener Zeitpunkte innerhalb von [0, T ] seien zufällig“. ” Außerdem seien keine Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Zeitpunkten vorhanden. 2.44Weitere Beispiele wären jeweils in einem Zeitintervall [0, T ] die Anzahl der bei einem Mailserver eingehenden E-Mails, die Anzahl der Verkehrsunfälle auf einem festen Straßenabschnitt, der Vulkaneruptionen auf der Erde, der von Astronomen beobachteten Supernova-Explosionen, .... Die Tatsache, daß in derartigen Situationen mit Hilfe der Poissonverteilung eine vernünftige mathematische Modellierung vorgenommen werden kann, ergibt sich aus der Gültigkeit der Poisson-Approximation der Binomialverteilung. Dieses Resultat besagt, daß bei N → ∞ die Binomialverteilung B(N, pN ) gegen die Poissonverteilung P (λ) konvergiert“, falls N pN → λ, ” vgl. Abschnitt 2.7. Die Entwicklung eines Poissonschen Modells in einem konkreten Beispiel wird in Abschnitt 2.7.1 diskutiert. 2.45 Vgl. Abschnitt 5.4. 2.46Die Borelsche σ-Algebra B(Rd ) ist die kleinste σ-Algebra in Rd , die alle d-dimensionalen Rechtecke in Rd enthält, vgl. Abschnitt 2.4.3. 2.47P muß nicht diskret sein. 2.48Für ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Rd , B(Rd )) mit einer Dichte f , vgl. Abschnitt 2.6, R gilt P[{a}] = {a} dx f (x) = 0, a ∈ Rd . Ein solches Wahrscheinlichkeitsmaß hat daher keine Atome. 25. Juli 2011 30 2.3. Konsequenzen aus den Kolmogorovschen Axiomen In diesem Abschnitt 2.3 wird die Struktur allgemeiner σ-Algebren und Wahrscheinlichkeitsmaße ein wenig detaillierter betrachtet 2.49. 2.3.1. Weitere Eigenschaften von σ-Algebren. Sei (Ω, F) ein meßbarer Raum. Unmittelbar aus (2.1) folgt zunächst 2.50 ∅ ∈ F. (2.6) Weiterhin ist F auch unter endlichen Vereinigungen abgeschlossen, d.h., (2.7) A1 , . . . , AN ∈ F, N ∈ N =⇒ N [ k=1 Ak ∈ F. Schließlich läßt sich (2.1c) auf eine natürliche Weise durch A1 , A2 , · · · ∈ F (2.8) =⇒ ∞ \ k=1 2.51 2.52 Ak ∈ F ergänzen. 2.3.2. Weitere Eigenschaften von Wahrscheinlichkeitsmaßen. Sei ein allgemeiner Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) gegeben. Komplementär zu (2.2a) 2.49Insbesondere werden einfache Folgerungen aus (2.1) und (2.2), welche σ-Algebren und Wahrscheinlichkeitsmaße eindeutig charakterisieren, zusammengestellt. 2.50Zum Beweis von (2.6) beachte man ∅ = Ω \ Ω ∈ F (vgl. (2.1b)). |{z} ∈ F (vgl. (2.1a)) 2.51Aufgrund von (2.1c) scheint (2.7) offensichtlich“ zu sein. Diese Beziehung sollte aber ” dennoch einmal präzise bewiesen werden. Wenn hierzu A′k = ( Ak , k = 1, . . . , N, ∅, k = N + 1, N + 2, . . . , gesetzt wird, folgt N [ Ak = k=1 ∞ [ k=1 A′k ∈ F (aufgrund von (2.6) und (2.1c)). 2.52(2.8) folgt aus ∞ \ k=1 Ak = Ω \ ( Ω \ Ak ) ∈ F (vgl. (2.1b)). | {z } k=1 ∈ F (vgl. (2.1b)) | {z } ∈ F (vgl. (2.1c)) [ ∞ 25. Juli 2011 31 ist 2.53 2.54 (2.9) P[∅] = 0. Natürlich ist neben der σ-Additivität d.h., 2.56 # "N N X [ (2.10) P P[Ak ], Ak = k=1 2.55 auch die endliche Additivität von P, k=1 A1 , . . . , AN ∈ F, Ak ∩Al = ∅, k, l = 1, . . . , N, k 6= l, N ∈ N, zu erwarten. Für sich nicht gegenseitig ausschließende Ereignisse kann (2.10) beispielsweise durch 2.57 (2.11) P[A ∪ B] = P[A] + P[B] − P[A ∩ B], A, B ∈ F, ergänzt werden. Als Konsequenzen von (2.11) ergeben sich mit (2.12) P[A ∪ B] ≤ P[A] + P[B], die Subadditivität von P und mit A, B ∈ F, 2.59 P[A] ≤ P[B], (2.13) 2.58 A, B ∈ F, A ⊆ B, 2.53(2.9) besagt, daß die Wahrscheinlichkeit, daß nichts geschieht“ 0 ist. 2.54 ” Man beachte, daß ∅ ∈ F, vgl. (2.6). Damit ist P[∅] wohldefiniert. Nun gilt (∗) 1 = P[Ω] (vgl. (2.2a)) . . . = P[ Ω ∪ ∅ ∪ ∅ ∪ . . . ] | {z } disjunkte Vereinigung ∞ X P[∅] (vgl. (2.2b)). = P[Ω] + | {z } k=2 = 1 (vgl. (2.2a)) (∗) kann nur gelten, wenn (2.9) richtig ist. 2.55Vgl. (2.2b). 2.56Zum Beweis von (2.10) beachte man " N # " N [ [ Ak = P Ak ∪ P k=1 k=1 ∞ [ k=N+1 ∅ # {z } | disjunkte Vereinigung = N X P[Ak ] + k=1 ∞ X k=N+1 P[∅] (vgl. (2.2b)). |{z} = 0 (vgl. (2.9)) . . 2.57Zum Beweis von (2.11) beachte man daß A∪B = (A\B) ∪ (B \A) ∪ (A∩B) eine disjunkte Vereinigung ist. Mit (2.10) folgt nun P[A ∪ B] + P[A ∩ B] = (P[A \ B] + P[A ∩ B]) + (P[B \ A] + P[A ∩ B]), | {z } | {z } = P[A] = P[B] womit (2.11) bewiesen ist. 2.58Da P[A ∩ B] ≥ 0, folgt (2.12) aus (2.11). 2.59(2.13) folgt aus P[B] = P[A] + P[B \ A] ≥ P[A] (vgl. (2.10)) (da P[B \ A] ≥ 0). 25. Juli 2011 32 die Monotonie von P. Die Beziehung (2.12) bleibt auch für abzählbar viele, nicht notwendigerweise paarweise disjunkte Ereignisse bestehen, d.h., es gilt die σ-Subadditivität 2.60 # "∞ ∞ X [ P[Ak ], A1 , A2 , · · · ∈ F, (2.14) P Ak ≤ k=1 k=1 von P. 2.4. Konstruktion von σ-Algebren und Wahrscheinlichkeitsmaßen In diesem Abschnitt 2.4 wird erläutert, wie in komplexen Situationen, wenn mit sehr großen Stichprobenräumen Ω zu arbeiten ist, geeignete σ-Algebren F und Wahrscheinlichkeitsmaße P konstruiert werden können 2.61. Wenn insbesondere Ω überabzählbar unendlich ist und daher i. allg. die Wahl F = Pot(Ω) nicht sinnvoll ist 2.62, bietet sich die folgende Vorgehensweise an 2.63: (i) Angabe einer Menge F∗ von elementaren“, dem menschlichen Verständnis ” leicht zugänglichen, wichtigen“ Ereignissen 2.64. ” (ii) Angabe einer Funktion P∗ : F∗ → [0, 1] mit den Eigenschaften (2.2a) und (2.2b) 2.65. In dieser Vorlesung wird im wesentlichen im Rahmen von (i) und (ii) gearbeitet. Dies ist gerechtfertigt, falls der nächste Schritt (iii) gelingt. (iii) Nachweis der eindeutigen Fortsetzbarkeit von P∗ zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß P : F → [0, 1], wobei F = σ(F∗ ) die kleinste, F∗ umfassende σ-Algebra ist 2.66. Der Schritt (iii) wird in weiterführenden Vorlesungen behandelt 2.67. 2.60Die Abschätzung (2.14) ist eine Konsequenz aus " P ∞ [ k=1 # " Ak = P ∞ [ k=1 = ≤ ∞ X k=1 ∞ X Ak \ " k−1 [ Al l=1 !# # P Ak \ k−1 [ P[Ak ] (vgl. (2.13)). l=1 Al (Darstellung von S∞ k=1 Ak als disjunkte Vereinigung) (vgl. (2.2b)) k=1 2.61Hierbei ist beispielsweise die Modellierung von sehr umfangreichen realen Geschehnissen gemeint, wenn die Verwendung von endlichen oder abzählbar unendlichen Stichprobenräumen ausgeschlossen ist. 2.62Vgl. Abschnitt 2.5. Der dort vorgestellte Satz von Vitali verdeutlicht, wie in dem in Abschnitt 2.4.2 entworfenen Modell für den ∞-fachen, unabhängigen, fairen Münzwurf die Wahl F = Pot(Ω) zu einem Widerspruch führt. 2.63 Diese allgemeine Vorgehensweise wird in den in den Abschnitten 2.4.1 - 2.4.3 behandelten Beispielen konkretisiert werden. 2.64F ∗ braucht keine σ-Algebra zu sein. Im Rahmen einer Modellbildung sollte a priori klar sein, daß die Wahrscheinlichkeiten der Ereignisse in F∗ auf jeden Fall bekannt, bzw. einfach zu berechnen sein sollten. 2.65 (2.2b) muß bei P∗ nur für paarweise disjunkte Mengen A1 , A2 , · · · ∈ F∗ S Die Bedingung ∗ mit ∞ k=1 Ak ∈ F gelten. 2.66σ(F ∗ ) existiert immer auf eine eindeutige Weise. Insbesondere kann nachgewiesen werden, T daß σ(F∗ ) = G∈F∗ G, wobei F∗ die Menge alle σ-Algebren G mit G ⊇ F∗ ist. Die Fortsetzung P ∗ von P auf σ(F∗ ) braucht jedoch nicht immer zu existieren, bzw. nicht eindeutig zu sein. 2.67 Die eindeutige Existenz eines Wahrscheinlicheitsmaßes P, das P∗ fortsetzt, wird z.B. mit dem Satz von Carathéodory gesichert, vgl. [3], Appendix A.1. Jenes Resultat besagt, daß eine Funktion P∗ : F∗ → [0, 1], welche die in (2.2) angegebenen Eigenschaften besitzt, vgl. dazu Fußnote 2.65, sich dann auf eine eindeutige Weise zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, σ(F∗ )) fortsetzen läßt, wenn F∗ eine Algebra ist. 25. Juli 2011 33 Letztendlich ist dann (Ω, F, P) der Wahrscheinlichkeitsraum, mit dem mathematisch rigoros für wahrscheinlichkeitstheoretische Untersuchungen gearbeitet wird. 2.4.1. Gleichverteilung auf [0, 1]. Sei Ω = [0, 1], F∗ = {[a, b] : 0 ≤ a ≤ b ≤ 1} 2.68 und P∗ : F∗ → [0, 1] mit P∗ [[a, b]] = b − a, 0 ≤ a ≤ b ≤ 1. σ(F∗ ) =: B([0, 1]) 2.69 ist die Borelsche σ-Algebra in [0, 1]. P∗ besitzt eine eindeutige Fortsetzung 2.70 λ = λ[0,1] auf B([0, 1]), das sog. Lebesguemaß auf [0, 1]. λ[0,1] wird auch als Gleichverteilung auf [0, 1] bezeichnet 2.71. Beispiel 2.9. In B([0, 1]) sind u.a. einpunktige Mengen 2.72 {a}, a ∈ [0, 1], oder auch abzählbare Teilmengen 2.73 {ak : k ∈ N}, ak ∈ [0, 1], k ∈ N, von [0, 1] enthalten. Weil "∞ # [ λ[{ak : k ∈ N}] = λ {ak } = k=1 ∞ X 2.74 k=1 λ[{ak }] = 0, ak ∈ [0, 1], k ∈ N, | {z } = |ak − ak | = 0 besitzen alle abzählbaren Teilmengen von [0, 1] das Lebesguemaß 0 2.75 . 2.4.2. ∞-facher, unabhängiger Münzwurf. Bei manchen Experimenten mit unabhängigen Würfen einer Münze, wie z.B. beim Bestimmen des ersten Zeitpunkts, an dem Kopf“ geworfen wird, steht anfangs nicht fest, wie oft die Münze ” überhaupt geworfen werden muß 2.76. Um derartige Situationen zu untersuchen, ist Hierbei wird eine Familie F∗ von Teilmengen von Ω als Algebra bezeichnet, wenn F∗ die Eigenschaften (2.1a) und (2.1b) besitzt und wenn für A, B ∈ F∗ auch A ∪ B ∈ F∗ gilt. 2.68F ∗ ist die Menge der abgeschlossenen Intervalle in [0, 1]. 2.69B([0, 1]) ist die kleinste σ-Algebra, die alle abgeschlossenen Intervalle in [0, 1] umfaßt. B([0, 1]) ist ebenso die kleinste σ-Algebra, die alle offenen, bzw. halboffenen Intervalle in [0, 1] enthält. 2.70Zum Nachweis der eindeutigen Existenz von λ kann der in Fußnote 2.67 beschriebene Satz von Carathéodory nicht direkt angewandt werden, da F∗ keine Algebra ist. Allerdings könnte man e ∗ der endlichen Vereinigungen disjunkter Elemente von F∗ , d.h. durch die F∗ durch die Menge F Menge e ∗ = [a1 , b1 ] ∪ · · · ∪ [an , bn ] : 0 ≤ a1 ≤ b1 < a2 ≤ · · · < an ≤ bn ≤ 1, n ∈ N F ersetzen und anschließend mit n X e ∗ [a1 , b1 ] ∪ · · · ∪ [an , bn ] = P |bk − ak |, k=1 0 ≤ a1 ≤ b1 < a2 ≤ · · · < an ≤ bn ≤ 1, n ∈ N, e ∗ erweitern. F e ∗ ist eine Algebra und in der Tat ist es mit dem Satz von Carathéodory P∗ auf F e ∗ definierten Funktion möglich, zu zeigen, daß auf B([0, 1]) eine eindeutige Fortsetzung λ der auf F e ∗ existiert. P 2.71In Abschnitt 2.2 war die Gleichverteilung auf einer endlichen Menge beschrieben worden. Die beiden Gleichverteilungen besitzen aus offensichtlichen Gründen den gleichen Namen, sind aber völlig unterschiedlich strukturierte Wahrscheinlichkeitsmaße. 2.72Da {a} = [a, a] ∈ F ∗ . 2.73Da {a } ∈ B([0, 1]), k = 1, 2, . . . , ist wegen (2.1c) auch {a : k ∈ N} = S∞ {a } ∈ k k k k=1 B([0, 1]). 2.74Wegen der σ-Additivität von λ, vgl. (2.2b). O.E.d.A. sei hierzu angenommen, daß alle ak , k ∈ N, verschieden sind. 2.75Es gibt auch Mengen M ∈ B([0, 1]), die die gleiche Mächtigkeit wie R haben und damit überabzählbar sind, mit λ[M ] = 0, z.B. gewisse Cantormengen. 2.76Andere Beispiele sind die Bestimmung des ersten Zeitpunkts, an dem insgesamt 104 mal Zahl“ geworfen wurde, die Bestimmung des ersten Zeitpunkts, an dem eine ununterbrochene ” Sequenz von mehr als 105 Würfen von Kopf“ beendet wird, oder auch die Beantwortung der ” 25. Juli 2011 34 es sinnvoll, zu p ∈ [0, 1] den ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p zu modellieren 2.77. Wenn die Überlegungen in den Beispielen 2.5 und 2.6 als Ausgangspunkt genommen werden, ist es naheliegend, als Stichprobenraum 2.78 (2.15) Ω = {0, 1}N := (ω1 , ω2 , . . . ) : ωk ∈ {0, 1}, k ∈ N zu wählen. Ω ist insbesondere überabzählbar unendlich 2.79. Mit einem vernünftigen Modell für den ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf sollte es insbesondere möglich sein, jede endliche Folge von Würfen zu beschreiben. Aus diesem Grund wird F∗ als eine Menge von Ereignissen, die durch Würfe der Münze an endlich vielen festen Zeitpunkten bestimmt sind, gewählt, d.h., (2.16) F∗ = {ω ∈ Ω : ωk1 = ηk1 , . . . , ωkn = ηkn } 2.80 : k1 , . . . , kn ∈ N, 1 ≤ k1 < . . . < kn , ηk1 , . . . , ηkn ∈ {0, 1}, n ∈ N . Um eine Funktion P∗ : F∗ → [0, 1] zur Angabe von Wahrscheinlichkeiten P∗ [A] von Ereignissen A ∈ F∗ zu definieren, können die Überlegungen in Beispiel 2.6 herangezogen werden. Daher setzt man 2.81 (2.17) P∗ [{ω ∈ Ω : ωk1 = ηk1 , . . . , ωkn = ηkn }] = n Y l=1 pηkl (1 − p)1−ηkl = p Pn l=1 ηkl (1 − p)n− Pn l=1 ηkl , k1 , . . . , kn ∈ N, 1 ≤ k1 < . . .< kn , ηk1 , . . . , ηkn ∈ {0, 1}, n ∈ N. Zu dieser Funktion P∗ : F∗ → [0, 1] existiert als eindeutig bestimmte Fortsetzung ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (Ω, F), wobei F = σ(F∗ ). Beispiel 2.10. Für den ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ (0, 1) ist die Wahrscheinlichkeit q1 , daß der erste Wurf von Kopf“ in ” einem geraden“ Zeitpunkt, d.h. zu einem Zeitpunkt 2k mit k ∈ N eintritt, zu ” bestimmen 2.82. Es gilt: q1 = P erster Wurf von Kopf“ in einem der Zeitpunkte 2k, k ∈ N ” = P ω ∈ Ω : ωl = 1, l = 1, . . . , 2k − 1; ω2k = 0 für ein k ∈ N Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit, zumindest einmal Zahl“ geworfen wird. Bei der Lösung ” dieser Probleme muß man bereit sein, die Münze evtl. unendlich oft zu werfen. 2.77Mit einem Modell“ ist hier ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) gemeint, so daß ins” besondere unendlich lange Wurfsequenzen der Münze durch die Elemente ω von Ω repräsentiert werden. 2.78 {0, 1}N ist die Menge der {0, 1}-wertigen Folgen. Für ein ω ∈ Ω und k ∈ N beschreibt ωk das Ergebnis des k-ten Wurfs. 2.79Zur Begründung sei daraufhingewiesen, daß durch die Abbildung Ω ∋ (ωk )k∈N → ∞ X k=1 ωk 2−k ∈ [0, 1] Ω surjektiv auf [0, 1] abgebildet werden kann. 2.80Hier wird das Ereignis, daß beim k -ten Wurf η , . . . und beim k -ten Wurf η n 1 k1 kn geworfen wird, betrachtet. 2.81Während Ω und F ∗ und somit auch F = σ(F ∗ ) von p ∈ [0, 1] unabhängig sind, hängt P∗ und folglich auch P von p ab. 2.82Für den ∞-fachen, unabhängigen, fairen Münzwurf, d.h., für p = 1/2, mag eine sehr naive Vorgehensweise mit dem Argument genau die Hälfte der Zeitpunkte ist gerade“ zu q1 = 1/2 ” führen. Da aber zunächst in dem ungeraden“ Zeitpunkt 1, dann erst in dem geraden“ Zeitpunkt 2 ” ” . . . Kopf“ oder Zahl“ geworfen wird, zeigt sich bald, daß q1 < 1/2 sein muß. ” ” 25. Juli 2011 35 " =P 2.83 ∞ [ {ω ∈ {0, 1}N : ωl = 1, l = 1, . . . , 2k − 1; ω2k = 0} k=1 # ∞ X P {ω ∈ {0, 1}N : ωl = 1, l = 1, . . . , 2k − 1; ω2k = 0} {z } | k=1 ∈ F∗ 2.85 ∞ ∞ X 1−p X 2 k (p ) p2k−1 (1 − p) = p k=1 k=1 | {z } p2 p2 1 −1= = = 2 2 1−p 1−p (1 − p)(1 + p) = 2.84 = 2.86 = p . 1+p Speziell ergibt sich q1 = 1/3 für p = 1/2, d.h. für den ∞-fachen, unabhängigen, fairen Münzwurf 2.87. Beispiel 2.11. Für den ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1) ist die Wahrscheinlichkeit q2 , daß nur endlich oft Kopf“ geworfen ” wird, zu bestimmen 2.88. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit q2 könnte zunächst auch experimentell durch wiederholtes Werfen einer realen Münze oder auch mit Hilfe einer Computersimulation 2.89 bestimmt“ werden 2.90. Es würde sich andeuten, daß 2.91 q2 = 0 ist. ” Bei einem mathematisch präzisen Vorgehen ergibt sich "∞ # [ q2 = 2.92 P (2.18) ω ∈ {0, 1}N : ωk = ωk+1 = · · · = 1 k=1 2.83Hier liegt eine Zerlegung in disjunkte, d.h. sich ausschließende Ereignisse vor. 2.84Wegen der σ-Additivität von P, vgl. (2.2b). 2.85 Vgl. (2.16). Da dieses Ereignis durch die ersten 2k Würfe der Münze bestimmt wird, kann seine Wahrscheinlichkeit in einem Modell für den 2k-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p, vgl. Beispiel 2.6, berechnet werden. 2.86 Vgl. (2.17). 2.87In vielen wahrscheinlichkeitstheoretischen Untersuchungen wird die Asymptotik von Modellen betrachtet. In diesem Beispiel ist evtl. das Verhalten von q1 = q1 (p) für p → 0, bzw. für p → 1 interessant. Zunächst gilt limp→0 q1 (p) = 0. Dies ist plausibel, da bei p → 0 mit gegen 1 strebender Wahrscheinlichkeit gleich beim 1. Wurf, d.h. in einem ungeraden Zeitpunkt, Kopf“ geworfen ” wird. Weiterhin ist limp→1 q1 (p) = 1/2. Da bei p → 1 bei jedem einzelnen Wurf mit nahe bei 1 liegender Wahrscheinlichkeit Zahl“ geworfen wird, dauert es i. allg. extrem lang, bis irgendwann ” mal Kopf“ erscheint. Die Tatsache, daß in dem ungeraden Zeitpunkt 1 mit dem Werfen begonnen ” wurde, ist dann längst vergessen“. In dieser fernen Zukunft wird dann jeweils mit Wahrschein” lichkeit 1/2 Kopf“ erstmals in einem geraden, bzw. einem ungeraden Zeitpunkt geworfen. ” Im Fall p = 1 wird immer Zahl“ geworfen, so daß q1 (1) = 0 ist. Daher ist limp→1 q1 (p) = ” 1/2 6= 0 = q1 (1), d.h., die Funktion [0, 1] ∋ p → q1 (p) ∈ [0, 1] ist unstetig für p = 1. 2.88Da p < 1, ist insbesondere für jeden einzelnen Wurf die Wahrscheinlichkeit 1 − p, daß Kopf“ geworfen wird, von 0 verschieden. ” 2.89Es ist eine beliebig lange Folge von unabhängigen, {0, 1}-wertigen Zufallszahlen“, die ” mit Wahrscheinlichkeit p den Wert 1 und mit Wahrscheinlichkeit 1 − p den Wert 0 annehmen, zu simulieren. Hinweise zur Durchführung einer solchen Simulation finden sich in Beispiel 3.4. 2.90 Eine mathematisch korrekte Aussage kann mit derartigen Mitteln natürlich nicht gewonnen werden. 2.91 Wenn die Münze lange genug geworfen wird, erscheint immer wieder irgendwann mal“ ” Kopf“. ” 25. Juli 2011 36 ≤ ∞ X P ω ∈ Ω : ωk = ωk+1 = · · · = 1 , {z } | k=1 = 2.93 Bk wobei die σ-Subadditivität (2.14) von P benutzt wird. Weiterhin folgt P[Bk ] ≤ 2.94 P ω ∈ Ω : ωk = · · · = ωk+N = 1 = 2.96 d.h., P[Bk ] = 0, k ∈ N. Aus (2.18) ergibt sich somit 2.97 2.95 pN +1 , k, N ∈ N, q2 = 0. 2.4.3. Lebesguemaß in Rd , d = 1, 2, . . . . Sei Ω = Rd , F∗ = [a1 , b1 ] × · · · × [ad , bd ] : −∞ < ak ≤ bk < ∞, k = 1, . . . , d und 2.98 λ∗ : F∗ → [0, ∞) mit Qd λ∗ [a1 , b1 ] × · · · × [ad , bd ] = k=1 (bk − ak ), −∞ < ak ≤ bk < ∞, k = 1, . . . , d. σ(F∗ ) =: B(Rd ) ist die Borelsche σ-Algebra in Rd 2.99. Die eindeutig existierende Fortsetzung λ(= λRd ) : B(Rd ) → [0, ∞] von λ∗ auf den meßbaren Raum (Rd , B(Rd )) ist das Lebesguemaß auf Rd . λRd ist kein Wahrscheinlichkeitsmaß, da offensichtlich (2.2a) nicht gilt. Allerdings wird das Maß λRd bei der Arbeit mit Wahrscheinlichkeitsmaßen mit einer Dichte (bzgl. des Lebesguemaßes), wie z.B. der Normalverteilung oder der Exponentialverteilung benötigt 2.100. 2.5. Satz von Vitali Das in diesem Abschnitt 2.5 vorgestellte Resultat deutet an, daß in überabzählbaren Stichprobenräumen Ω die Verwendung der σ-Algebra Pot(Ω) im allgemeinen nicht sinnvoll ist 2.101. 2.92Es wird nur endlich oft Kopf“ geworfen“ genau dann, wenn ein k ∈ N existiert, so daß ” ” nach dem Zeitpunkt k nur noch Zahl“ geworfen wird. ” 2.93 Bk ist das Ereignis, daß zum Zeitpunkt k und danach nur Zahl“ geworfen wird. 2.94Wegen der Monotonie von P, vgl. (2.13). Man beachte, daß”B = ω ∈ Ω : ω = ω k k k+1 = · · · = 1 ⊆ ω ∈ Ω : ωk = ωk+1 = · · · =ωk+N = 1 . 2.95 Vgl. (2.17). Man beachte, daß ω ∈ Ω : ωk = ωk+1 = · · · = ωk+N = 1 ∈ F∗ und daß die Einschränkung von P auf F∗ mit P∗ übereinstimmt. 2.96 Man beachte, daß p < 1. 2.97Damit wäre eine experimentelle“ Bestimmung von q bestätigt. 2 ” 2.98λ∗ weist jedem beschränkten d-dimensionalen Rechteck A in Rd sein Volumen Vol(A) zu. 2.99Für ein Gebiet G in Rd definiert man auf analoge Weise B(G) als die kleinste σ-Algebra, die alle in G enthaltenen Rechtecke umfaßt. 2.100Vgl. Abschnitt 2.6. Eine hinreichend reguläre Funktion f : Rd → [0, ∞) ist eine WahrR scheinlichkeitsdichte, wenn Rd dx f (x) = 1. Durch Z dx f (x), A ∈ B(Rd ), P[A] = A definiert f ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (Rd , B(Rd )). Jenes P wird als das Wahrscheinlichkeitsmaß mit der Dichte f bzgl. des Lebesguemaßes auf Rd bezeichnet. Beispiele für Wahrscheinlichkeitsdichten auf R sind 1 (x − µ)2 fµ,σ 2 : x → √ exp − , µ ∈ R, σ2 > 0. 2 2σ 2πσ2 fµ,σ 2 ist die Dichte der Normalverteilung mit Erwartungswert µ und Varianz σ2 , vgl. Beispiel 1.8. Weitere Wahrscheinlichkeitsdichten sind beispielsweise ( λ exp(−λx), x ≥ 0, , λ > 0. fλ : x → 0, x < 0, fλ ist die Dichte der Exponentialverteilung mit Parameter λ > 0. 2.101Die Einführung von σ-Algebren durch (2.1) und auch die Überlegungen in Abschnitt 2.4 zur Konstruktion von σ-Algebren werden letztendlich erst aufgrund jenes Resultats notwendig. 25. Juli 2011 37 Wie in Abschnitt 2.4.2 sei zur Modellierung des ∞-fachen, unabhängigen Wurfs einer fairen Münze der Stichprobenraum Ω = {0, 1}N = {ω = (ωi )i∈N : ωi ∈ {0, 1}, i ∈ N} 2.102 gewählt. Mit Tn ω = (ω1 , . . . , ωn−1 , 1 − ωn , ωn+1 , . . . ), (2.19a) sei ω ∈ Ω, n ∈ N, 2.103 Tn A = {Tn ω : ω ∈ A}, (2.19b) A ⊆ Ω, n ∈ N. Auf Ω sei weiterhin eine σ-Algebra F von Ereignissen gegeben 2.104. Wegen der Fairness der Münze sollte ein vernünftiges Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (Ω, F) insbesondere die Invarianzeigenschaft (2.19c) besitzen P[A] = P[Tn A], A ∈ F, n ∈ N, 2.105 . Satz 2.12 (Vitali). 2.106 Für F = Pot({0, 1}N ) kann kein Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem meßbaren Raum ({0, 1}N , F) existieren, das neben den üblichen, in (2.2) geforderten Eigenschaften eines Wahrscheinlichkeitsmaßes auch die bei der Modellierung des ∞-fachen, unabhängigen Wurfs einer fairen Münze erwartete Invarianzeigenschaft (2.19) besitzt. Zum Beweis dieses Satzes kann mit Hilfe des Auswahlaxioms 2.107 eine Menge A1 ∈ Pot({0, 1}N) konstruiert werden, die sich dadurch auszeichnet, daß jeder mögliche Wert für P[A1 ] zu einem Widerspruch führt. Auf Ω = {0, 1}N muß folglich zur Beschreibung des ∞-fachen, unabhängigen Wurfs einer fairen Münze mit einer σ-Algebra F gearbeitet werden, die kleiner als Pot(Ω) ist, d.h. weniger Elemente enthält 2.108. 2.102Ω ist die Menge aller {0, 1}-wertigen Folgen. Dieser Raum ist überabzählbar unendlich, vgl. Fußnote 2.79. 2.103Für ω ∈ Ω beschreibt T ω eine Wurfsequenz, bei der im Vergleich zu ω beim n-ten Wurf n das Ergebnis von 0 nach 1, bzw. von 1 nach 0 verändert ist. Für A ⊆ Ω geht Tn A aus A durch Änderung des n-ten Wurfergebnisses für alle ω ∈ A hervor. 2.104In diesem Moment sei die σ-Algebra F noch nicht festgelegt. Es folgen nun Überlegungen zur Wahl von F. 2.105(2.19c) besagt, daß beim ∞-fachen, unabhängigen Wurf einer fairen Münze die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses sich nicht ändern sollte, wenn man in einem festgelegten Wurfzeitpunkt die Rollen von Kopf“ und Zahl“ vertauscht. ” ” 2.106 Vgl. [5], Satz (1.5). 2.107Sei M eine Menge von nichtleeren Mengen. Das Auswahlaxiom besagt, daß es eine Funktion F mit Definitionsbereich M und F (ξ) ∈ ξ, ξ ∈ M, gibt. F wählt also aus jeder Menge ξ ∈ M genau ein Element aus. 2.108Damit der obengenannte Widerspruch nicht auftritt, darf F insbesondere nicht die Menge A1 enthalten. Durch die in Abschnitt 2.4.2 vorgestellte σ-Algebra F = σ(F∗ ), wobei F∗ in (2.16) definiert ist, ist eine geeignete σ-Algebra gegeben. 25. Juli 2011 38 2.6. Wahrscheinlichkeitsmaße mit einer Dichte bzgl. des Lebesguemaßes Eine hinreichend reguläre f : Rd → [0, ∞) mit (2.20) 2.109 , z.B. stetige oder stückweise stetige Funktion Z dx f (x) = 1 Rd heißt Wahrscheinlichkeitsdichte. Sei 2.110 Ω = Rd , F∗ = 2.111 [a1 , b1 ] × · · · × [ad , bd ] : −∞ < ak ≤ bk < ∞, k = 1, . . . , d und Z ∗ dx f (x), A ∈ F∗ . (2.21) P [A] = A Wenn f stetig oder stückweise stetig ist, können die Integrale in (2.20) und (2.21) als Riemann-Integrale aufgefaßt werden. Wenn allgemeiner f nur eine meßbare 2.112 Funktion ist, so sind jene Integrale als Lebesgue-Integrale zu betrachten 2.113. Die eindeutig existierende Fortsetzung P von P∗ auf 2.114 B(Rd ) ist das Wahrscheinlichkeitsmaß mit der Dichte f (bzgl. des Lebesguemaßes auf Rd ) 2.115. Es folgt eine Zusammenstellung einiger wichtiger Wahrscheinlichkeitsmaße mit einer Dichte auf R, bzw. Rd . Normalverteilung N(µ, σ 2 ) mit Erwartungswert 2.116 µ ∈ R und Varianz σ 2 > 0: (x − µ)2 1 exp − , x ∈ R. fµ,σ2 (x) = √ 2σ 2 2πσ 2 Anwendung: Modellierung vom Meßfehlern, bzw. von Beobachtungen“, die ” durch Rauschen“ gestört sind. Der Hintergrund solcher Anwendungen ist die ” Tatsache, daß die Normalverteilung die Asymptotik beim Zentralen Grenzwertsatz 2.117 beschreibt. 2.109 Im allgemeinen Fall wird als Regularität“ die Meßbarkeit der Abbildung f : (Rd , B(Rd )) ” → ([0, ∞), B([0, ∞))) benötigt, vgl. (3.1). Die Meßbarkeit ist der in der Stochastik übliche Regularitätsbegriff für Funktionen oder Zufallsvariablen. Borelsche σ-Algebren wie hier B(Rd ), bzw. B([0, ∞)) werden in den Abschnitten 2.4.1 und 2.4.3 vorgestellt. 2.110Nun wird ausgehend von einer Wahrscheinlichkeitsdichte f gemäß der in Abschnitt 2.4 beschriebenen Vorgehensweise ein Wahrscheinlichkeitsmaß konstruiert. 2.111F ∗ ist die Menge der abgeschlossenen, beschränkten Rechtecke in Ω = Rd . 2.112Vgl. Fußnote 2.109. 2.113Eine Einführung des abstrakten Lebesgue-Integrals wird in [8], § 12, gegeben. Das dort beschriebene Verfahren entspricht der in den Abschnitten 6.1 - 6.3 vorgestellten Einführung des Erwartungswerts reellwertiger Zufallsvariablen, vgl. Kapitel R 3. Für eine meßbare, reellwertige Funktion, vgl. Fußnote 2.109, f auf [0, 1] gilt beispielsweise 01 dx f (x) = E[f ], wobei auf der rechten Seite f als eine Zufallsvariable auf dem in Abschnitt 2.4.1 eingeführten Wahrscheinlichkeitsraum ([0, 1], B([0, 1]), λ[0,1] ) zu betrachten ist. 2.114Die Borelsche σ-Algebra B(Rd ) ist die kleinste σ-Algebra, die F ∗ enthält, vgl. Abschnitt 2.4.3. 2.115Wie in den Ausführungen am Anfang von Abschnitt 2.4 angedeutet, wird in dieser Vorlesung im wesentlichen nur mit P∗ , d.h. mit (2.21) gearbeitet, wenn Wahrscheinlichkeitsmaße mit einer Dichte betrachtet werden. Darüberhinaus sind im folgenden alle Wahrscheinlichkeitsdichten stetig, bzw. stückweise stetig. 2.116Die Begriffe Erwartungswert und Varianz wurden in Abschnitt 1.1.3 kurz angesprochen, vgl. Beispiele 1.5 und 1.6. Detaillierte Erläuterungen folgen in Kapitel 6. Zunächst genügt es, µ und σ2 als Parameter zu betrachten. Später in Beispiel 6.12 werden µ und σ2 als Erwartungswert, bzw. Varianz identifiziert. 2.117Vgl. Beispiel 1.8 und insbesondere Abschnitt 9.3. 25. Juli 2011 39 Exponentialverteilung mit Parameter λ > 0: ( λ exp(−λx), fλ (x) = 0, x ≥ 0, x < 0. Anwendung: Modellierung von Wartezeiten in kontinuierlicher Zeit 2.118. Der Hintergrund solcher Anwendungen ist die Gedächtnislosigkeit der Exponentialverteilung 2.119 2.120. Gleichverteilung 2.121 auf einem beschränkten Gebiet 2.122 G ⊆ Rd : ( 1/Vol(G) 2.123, x ∈ G, fG (x) = 0, x 6∈ G. Anwendung: Modellierung einer zufälligen Position in einem beschränkten Bereich des Rd , wenn z. B. aufgrund eingeschränkter Vorkenntnisse kein Teilbereich als bevorzugt erscheint. Cauchy-Verteilung mit Parameter a > 0 2.124 2.125: a , x ∈ R. fa (x) = 2 π(a + x2 ) Gamma-Verteilung mit Parametern α, r > 0 2.126: r α xr−1 exp(−αx), 2.127 Γ(r) fα,r (x) = 0, x ≥ 0, x < 0. Für n ∈ N heißt die Gamma-Verteilung mit den Parametern α = 1/2 und r = n/2 auch χ2 -Verteilung mit n Freiheitsgraden oder auch kurz χ2n Verteilung. 2.118Man nehme an, daß ein Anfangszeitpunkt festgelegt wird. Nun eignet sich die Exponen- tialverteilung mit einem jeweils geeignet zu wählenden λ > 0, um die Wartezeit bis zum ersten Telefonanruf, zum Eingang der ersten E-Mail, zum ersten Vulkanausbruch, zum ersten Einschlag eines Asteroiden, . . . zu modellieren. 2.119 Vgl. Beispiel 8.3. Die Gedächtnislosigkeit einer Wartezeit besagt, daß die Wahrschein” lichkeitsverteilung“ der verbleibenden Wartezeit nicht davon abhängt, wie lang man schon wartet. Mit anderen Worten, die Wartezeit bis zu einem Hauptgewinn beim Zahlenlotto wird nicht kürzer, wenn man jahrelang keinen Gewinn erzielt hat. 2.120 Die Exponentialverteilung ist ein kontinuierliches“ Analogon zur geometrischen Vertei” lung, die zur Modellierung von Wartezeiten in diskreter Zeit geeignet ist, vgl. Abschnitt 2.2 und insbesondere Fußnote 2.36. 2.121 Ein Spezialfall der nun beschriebenen Wahrscheinlichkeitsmaße mit G = [0, 1] wird in Abschnitt 2.4.1 betrachtet. Diskrete Gleichverteilungen werden in Abschnitt 2.2 vorgestellt. 2.122 Ein Gebiet ist eine einfach zusammenhängende Teilmenge des Rd mit einem glatten“ ” Rand. 2.123Vol(G) bezeichnet das Volumen von G. 2.124Die Cauchy-Verteilung ist ein Spezialfall der Student’schen t-Verteilung, vgl. [10], Definition 14.2, ff. Um unabhängig von diesem Zusammenhang nachzuweisen, daß fa eine WahrR∞ scheinlichkeitsdichte auf R ist, d.h., daß insbesondere −∞ dx fa (x) = 1, kann der Residuensatz aus der Funktionentheorie verwendet werden, vgl. [1], Chapter 4, Section 5.3, Part 2. 2.125 Die Cauchy-Verteilung zeichnet sich dadurch aus, daß Zufallsvariablen mit dieser Verteilung keinen Erwartungswert besitzen, vgl. Beispiel 6.11. Die Graphen der Dichten der Normalverteilung und der Cauchy-Verteilung haben beide eine glockenförmige“ Gestalt. Jedoch fällt der ” Graph der Dichte der Cauchy-Verteilung im Unendlichen wesentlich langsamer ab als der Graph der Dichte der Normalverteilung. 2.126Offensichtlich sind die Gamma-Verteilungen mit r = 1 Exponentialverteilungen. 2.127Γ : (0, ∞) → (0, ∞) mit Γ(r) = R ∞ ds sr−1 exp(−s), r > 0, ist die Eulersche Gamma0 Funktion. 25. Juli 2011 40 Anwendung: Die χ2 -Verteilungen werden sehr häufig in der Statistik benötigt 2.128. 2.6.1. (∗) Anwendung“ der Gleichverteilung. 2.129 Es ist die Wahr” scheinlichkeit pM zu bestimmen, daß der nächste Meteorit mit einem Durchmesser größer als 100 m, der auf Deutschland stürzt, Baden-Württemberg trifft. Eine Standardvorgehensweise zur Lösung wäre: Modellierung des Einschlagspunktes des Meteoriten durch die Gleichverteilung auf Deutschland 2.130. Lösung: 35.752 km2 Fläche von Baden-Württemberg = 0,1 = Fläche von Deutschland 357.050 km2 Bei einer Diskussion der Fragestellung und ihrer Lösung ergeben sich folgende Aspekte 2.131. • Meteorite mit einem Durchmesser größer als 100 m schlagen sehr selten in Deutschland ein. Mit dem nächsten Einschlag ist im Mittel“ erst ” in mehreren Millionen Jahren zu rechnen 2.132. Es kann nicht angenommen werden, daß nach Ablauf dieser Zeit Baden-Württemberg oder auch Deutschland noch existieren, bzw. überhaupt noch bekannt sind. • Jeder Einschlag eines Meteoriten mit einem Durchmesser größer als 100 m hat katastrophale Auswirkungen, die i. allg. weit über Deutschlands Grenzen hinaus reichen 2.133. Allerdings hängt das Ausmaß der Katastrophe pM = 2.128Für n ∈ N besitzt die Summe Pn X 2 der Quadrate von unabhängigen, standard nori=1 i malverteilten Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn eine χ2n -Verteilung, vgl. [5], Satz (9.11). Daher spielen χ2 -Verteilungen eine große Rolle sowohl bei der Untersuchung normalverteilter Daten, als auch in einigen Situationen, wo große Datenmengen als Folge des Zentralen Grenzwertsatzes auf normalverteilte Größen reduziert werden können. Beispiele derartiger Anwendungen werden in [5], Abschnitt 11.1 - 11.3, vorgestellt. 2.129Die Anführungszeichen deuten an, daß der Sinn dieser zunächst vernünftig erscheinenden Anwendung letztendlich fraglich ist. 2.130Kleine Meteorite haben in dichter besiedelten Gegenden eine größere Chance, entdeckt zu werden. Wenn also nur Objekte berücksichtigt werden sollen, die auch beobachtet werden, wäre die Gleichverteilung für kleine Meteorite keine gute Wahl. Hingegen werden Meteorite mit einem Durchmesser größer als 100 m immer bemerkt. 2.131Die folgenden Überlegungen basieren auf teilweise unsicheren Schätzungen, die aus dem Internet entnommen wurden. 2.132Beispielsweise wird die durchschnittliche Zeit bis zum nächsten Einschlag eines Meteoriten mit einem Durchmesser größer als 75 m auf der Erdoberfläche auf 1000 Jahre geschätzt. Da die Fläche Deutschlands nur 0, 07 % der Erdoberfläche beträgt, ergeben sich 1428571 Jahre für die mittlere Zeit bis zum nächsten Einschlag eines solchen Meteoriten in Deutschland. Meteorite mit einem Durchmesser größer als 100 m kommen natürlich noch seltener vor. 2.133Einige Beispiele derartiger Einschläge von Meteoriten: – Tunguska-Einschlag (1908, westl. Sibirien). Durchmesser des Meteoriten ca. 60 m, lose zusammengepreßtes Material; Zerstörung des Objekts in ca. 8 km Höhe; kein Krater; 10 - 15 Megatonnen TNT Sprengkraft; massive Verwüstungen im Umkreis von 30 km; Lärm der Explosion war in London zu hören. – Barringer-Krater (vor ca. 50000 Jahren, Arizona). 50 m Durchmesser, 300000 t Gewicht, im wesentlichen aus Eisen; Krater ursprünglich mit 1200 m Durchmesser und 170 m Tiefe; Feuerball bis 10 km Entfernung, Schockwelle mit 2000 km/h bis 40 km Entfernung. – Chiemgau-Impakt (vor ca. 2500 Jahren, Chiemgau). Ca. 1 km Durchmesser, geringe Dichte; Explosion in 70 km Höhe, Zerfall in kleinere Objekte; viele Krater mit bis zu 370 m Durchmesser in einem Bereich von 27 km Breite und 70 km Länge. Wahrscheinlich seit dem Einschlag dieses Meteoriten hatten die sonst furchtlosen Kelten Angst, daß ihnen der ” Himmel auf den Kopf fällt“ (Bericht eines Chronisten Alexanders des Großen). – Nördlinger Ries (vor 15 Millionen Jahren, Bayern). Ca. 1 km Durchmesser, 70000 km/h Einschlagsgeschwindigkeit; Krater mit 25 km Durchmesser und 4 km Tiefe; 140000 Megatonnen TNT Sprengkraft; Auslöschung allen Lebens im Umkreis von 100 km. 25. Juli 2011 41 stark von der Zusammensetzung und nicht nur von der Größe des Meteoriten ab. Die Größe der Wahrscheinlichkeit pM wird dann interessant, wenn das Ereignis E, daß ein Meteorit mit einem Durchmesser größer als 100 m auf Deutschland stürzt, eintritt. Mit dem Eintreten von E in nächster Zeit sollte man aber nicht rechnen 2.134. Wenn allerdings E wirklich eingetreten sein wird, wird das Wissen um den Wert von pM relativ nutzlos sein, da es dann für die meisten Bewohner Deutschlands, wenn es überhaupt noch exisitieren sollte, keine Rolle spielen wird, wo genau der Meteorit aufgetroffen ist. Die Berechnung von pM beantwortet eine oberflächlich vielleicht interessant“ ” erscheinende Frage, ist aber genaugenommen völlig nutzlos und gleicht hierin vielen 2.135 anderen Modellen“ und Studien“, die durch die Medien geistern . ” ” 2.7. Poissonapproximation der Binomialverteilung In diesem Abschnitt 2.7 wird nachgewiesen, daß unter gewissen Voraussetzungen die für explizite Berechnungen schwer zugängliche Binomialverteilung durch die leichter handhabbare Poissonverteilung 2.136 approximiert werden kann. Diese Approximation ist der Hintergrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Poissonverteilung. Satz 2.13. Sei pn , n ∈ N, eine Folge in (0, 1) mit lim npn = λ ∈ (0, ∞). (2.22) n→∞ Dann gilt: λk exp(−λ) , lim B(n, pn )[{k}] = n→∞ | {z } |k! {z } n k n−k = P (λ)[{k}] = p (1 − pn ) k n (2.23) k = 0, 1, 2, . . . Beweis. Sei k = 0, 1, 2, . . . fest. Dann ist zunächst 1 n −k n(n − 1) · · · (n − k + 1) = (2.24) lim n = lim n→∞ k n→∞ k! nk k! und weiterhin (2.25) npn lim (1 − pn )n = lim (1 − pn )1/pn = n→∞ | {z } → 2.137 exp(−1) n→∞ Somit folgt: 2.138 exp(−λ). lim B(n, pn )[{k}] n→∞ – Chicxulub-Impakt (vor 65 Millionen Jahren, Yukatán-Halbinsel in Mexiko). 10 - 15 km Durchmesser; Krater mit 190 km Durchmesser; 100 Millionen Megatonnen TNT Sprengkraft; vermutl. verantwortlich für weltweite Auslöschung der Dinosaurier. Zur besseren Einschätzung der Sprengkraft jener Meteoriten sei erwähnt, daß die stärkste jemals gezündete Wasserstoffbombe ein Sprengkraft von ca. 57 Megatonnen TNT hatte. 2.134Man hätte dann viele schlaflose Nächte vor sich, da die mittlere Zeit“ bis zum nächsten ” Einschlag recht groß ist. 2.135Oft wird wahrscheinlich der Wert derartiger Studien“ aber erst durch ihre oberflächliche ” Darstellung in den Medien gemindert. 2.136Die Poissonverteilung wurde in Abschnitt 2.2 vorgestellt. 2.137Aufgrund der Definition der Zahl e. Man beachte, daß (2.22) zu p → 0 bei n → ∞ n führt. 2.138 Da npn → λ bei n → ∞, vgl. (2.22). 25. Juli 2011 42 → 2.141 exp(−λ) z }| { n −k = lim n (npn )k (1 − pn )n (1 − pn )−k n→∞ k | {z } | {z } | {z } 2.140 k → 2.142 1 → λ → 2.139 1/k! = λk exp(−λ). k! 2.7.1. Anwendung der Poissonapproximation. 2.143 In einer Steppe 2.144 sei eine rechteckige Versuchsfläche A betrachtet. Gesucht ist ein mathematisches Modell für die Anzahl der Bäume in A. Zu diesem Zweck ist das folgende Vorgehen sinnvoll: • In einem Diskretisierungsschritt wird für jedes n ∈ N die Versuchsfläche A in kleine Rechtecke Rkn , k = 1, . . . , n, mit der Fläche αn 2.145 aufgeteilt, d.h., nαn = |A| = Fläche von A. αn sei so klein, daß unter den gegebenen Bedingungen (Bodenbeschaffenheit, Klima, . . . ) in jedem Rechteck Rkn , k = 1, . . . , n, i. allg. höchstens ein Baum steht. • In einem vorläufigen Modell 2.146 sei – für k = 1, . . . , n die Wahrscheinlichkeit für einen Baum in Rkn proportional zur Fläche |Rkn | = αn , d.h., P[ein Baum in Rkn ] = µαn , P[kein Baum in Rkn ] = 1 − µαn , k = 1, . . . , n, für ein µ > 0 2.147. – Die Baumbestände in den verschiedenen Rechtecken Rkn , k = 1, . . . , n, seien stochastisch unabhängig. Als Konsequenz besitzt in diesem vorläufigen Modell die Anzahl der Bäume in A eine Binomialverteilung B(n, µαn ) 2.148. • Wenn die Diskretisierung von A immer feiner wird, d.h. bei n → ∞, folgt: n P[k Bäume in A] = (µαn )k (1 − µαn )n−k = B(n, µαn )[{k}] k n→∞ 2.149 ≈ P (µ|A|)[{k}] = (µ|A|)k exp(−µ|A|), k! k = 0, 1, 2, . . . 2.139Wegen (2.24). 2.140Wegen (2.22). 2.141Wegen (2.25). 2.142Da p → 0 bei n → ∞. n 2.143 In diesem Abschnitt 2.7.1 wird für eine realistische“ Situation eine typische Anwendung ” der Poissonverteilung bei der mathematischen Modellierung beschrieben. 2.144 Eine Steppe ist durch eine spärliche Vegetation charakterisiert. Insbesondere wachsen dort nur sehr wenige, vereinzelt stehende Bäume. 2.145Alle kleinen Rechtecke sollen die gleiche Fläche α haben. Da letztendlich sehr große n n betrachtet werden, ist αn im Verhältnis zur Gesamtfläche |A| sehr klein. 2.146In den später folgenden Überlegungen wird aus diesem vorläufigen Modell ein end” gültiges“ Modell hergeleitet. 2.147Da α = |A|/n, ist µα < 1, wenn n hinreichend groß ist. n n 2.148Die Anzahl der Bäume in A bestimmt sich im vorliegenden Modell genauso wie die Anzahl der Erfolge bei einem n-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit µαn , vgl. Abschnitt 2.2 und insbesondere auch die Herleitung von (1.5) in Abschnitt 1.1.2. 25. Juli 2011 43 • Obige Überlegungen führen zu einem endgültigen Modell und zeigen, daß die Wahl der Poissonverteilung P (µ|A|) zur Modellierung der Anzahl der in A wachsenden Bäume sinnvoll ist 2.150. Das soeben beschriebene Verfahren ist auch in vielen ähnlichen Situationen anwendbar. Sich hieraus ergebende Beispiele für Anwendungen der Poissonverteilung sind 2.151: • Modellierung der Anzahl der Zerfälle eines radioaktiven Präparats in einem festen Zeitintervall [0, t] durch eine Poissonverteilung mit einem Parameter µt 2.152. • Modellierung der Anzahl der Anfragen an einen Mail-Server 2.153 in einem vorgegebenen Zeitintervall [s, t] durch eine Poissonverteilung mit einem Parameter µ(t − s) 2.154. • Modellierung der Anzahl der Sterne in einem hinreichend großen Bereich A des Weltalls 2.155 durch eine Poissonverteilung mit einem Parameter µ|A| 2.156. In diesen verschiedenen Situationen ist jeweils ein geeigneter Parameter µ > 0 zu verwenden 2.157. 2.149Mit der Poissonapproximation der Binomialverteilung, vgl. (2.23). Man beachte hierbei, daß nµαn = µ|A| für alle n ∈ N. 2.150In diesem endgültigen Modell ist die zwar hilfreiche, aber dennoch künstliche Einteilung der Fläche A in kleine Rechtecke nicht mehr vorhanden. 2.151 In jedem der folgenden Beispiele kann wie bei der obigen Modellierung der Anzahl der Bäume in einem beschränkten Gebiet einer Steppe • zunächst durch Einteilung des jeweiligen Bereichs von Raum oder Zeit in sehr kleine Teilbereiche ein vorläufiges“ diskretes Modell entworfen werden. ” • Es zeigt sich, daß in dem diskreten Modell die jeweilige Anzahl von Punkten“ binomial” verteilt ist. • Nach einer Anwendung der Poissonapproximation der Binomialverteilung wird deutlich, daß • in dem endgültigen“ Modell die Anzahl der Punkte“ eine Poissonverteilung besitzt. ” ” 2.152Damit die obigen Überlegungen auf die hier vorliegende Situation übertragen werden können, müssen die physikalischen Bedingungen innerhalb des Zeitintervalls [0, t] im wesentlichen konstant bleiben. Insbesondere sollte t kleiner als die Halbwertszeit des radioaktiven Materials sein. Weiterhin dürfen die Zerfälle möglicher kurzlebiger Zerfallsprodukte nicht berücksichtigt werden. 2.153Ein Mail-Server ist ein Rechner, der E-Mails verwaltet, d.h. entgegennimmt, speichert, verschickt, weiterleitet, usw. Anfragen“ beziehen sich auf das Verschicken oder Entgegenneh” men von Mails durch einzelne User, oder auch auf Aktionen zur Verwaltung des jeweiligen MailAccounts. 2.154In einem präziseren Modell sollte µ abhängig von der Tageszeit sein. Evtl. sollte auch ein deterministischer Beitrag in das Modell hinzugenommen werden, um regelmäßige, automatische Anfragen zu modellieren. 2.155Damit in dem Bereich A räumlich homogene Bedingungen“ vorliegen, sollte ” Durchmesser eines Sonnensystems ≪ Durchmesser von A ≪ Durchmesser einer Galaxie angenommen werden. 2.156Hier bezeichnet |A| das Volumen von A. 2.157Gegebenenfalls kann µ ausgehend von einigen Beobachtungen geschätzt werden, vgl. Beispiel 4.2. 25. Juli 2011 44 Allgemein findet die Poissonverteilung Anwendungen bei der Modellierung der Anzahl von zufälligen, sich gegenseitig nicht beeinflußenden Punkten“ in einem ” festen Bereich von Raum oder Zeit 2.158 2.159. 2.158 Die Modellierung der genauen Lage dieser Punkte“ steht hier nicht zur Debatte. Hierzu ” werden sog. Poissonprozesse verwendet. Ein Teilproblem in diesem Zusammenhang (Lage des ersten Punktes“) wird in Beispiel 8.3 angesprochen. ” 2.159 Aufgrund ihrer breiten Anwendungspalette ist die Poissonverteilung eine der wichtigsten Wahrscheinlichkeitsverteilungen. 25. Juli 2011 KAPITEL 3 Zufallsvariablen Mit Zufallsvariablen können Beobachtungsgrößen“, die zufällige Werte anneh” men, modelliert werden. Der für die Modellierung benötigte Zufall“ wird durch ” einen Wahrscheinlichkeitsraum, auf dem diese Zufallsvariablen als Funktionen 3.1 3.2 definiert sind, erzeugt“ . ” Zunächst seien (Ω, F) und (Ω′ , F′ ) meßbare Räume 3.3. Weiterhin sei 3.4 X : ′ (Ω, F) → (Ω , F′ ) eine Funktion. X wird meßbar genannt, wenn (3.1) X −1 (A′ ) := 3.5 {ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′ } =: 3.6 {X ∈ A′ } ∈ F, A′ ∈ F′ . Wenn P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Definitionsbereich (Ω, F) von X ist, schreibt man X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) und bezeichnet X als (Ω′ - oder auch (Ω′ , F′ )wertige) Zufallsvariable, wenn (3.1) gilt 3.7 3.8 3.9. 3.1 Funktionen, die eine Zufallsvariable darstellen, müssen mit der Meßbarkeit, vgl. (3.1), eine spezielle Eigenschaft besitzen. 3.2 Jener Wahrscheinlichkeitsraum dient als Zufallsgenerator“. ” 3.3Vgl. (2.1). 3.4Die Schreibweise X : (Ω, F) → (Ω′ , F ′ ) ist im Vergleich zu X : Ω → Ω′ vorzuziehen, da die für das folgende wesentlichen σ-Algebren F und F′ hervorgehoben werden. 3.5X −1 (A′ ) ist das Urbild von A′ unter X. X muß keine invertierbare Funktion sein. 3.6 Diese Abkürzung wird im folgenden häufig verwendet werden. 3.7In der Definition des Begriffs Zufallsvariable ist das Wahrscheinlichkeitsmaß P noch bedeutungslos. Es wird allerdings wesentlich, wenn mit X gearbeitet wird. 3.8 Bei den in dieser Vorlesung in Erscheinung tretenden Zufallsvariablen X ist oft • der Definitionsbereich (Ω, F, P) ein anonymer Zufallsgenerator“, der im Hintergrund ” bleibt, während • der Wertebereich (Ω′ , F′ ) und insbesondere die Verteilung PX von X, vgl. Abschnitt 3.1, im Zentrum des Interesses steht. PX ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω′ , F′ ), welches angibt, mit welchen Wahrscheinlichkeiten die Zufallsvariable X ihre ” verschiedenen Werte annimmt“. • In den allermeisten konkreten Fällen ist (Ω′ , F′ ) = (G, B(G)) oder (Ω′ , F′ ) = (M, Pot(M )), wobei G ein Gebiet in einem Rd , d = 1, 2, . . . , und M höchstens abzählbar unendlich ist. 3.9 Die Begriffe meßbarer Raum und Zufallsvariable, die fundamental für die Stochastik sind, erinnern an die ähnlich erscheinenden Begriffe topologischer Raum, bzw. stetige Funktion, die grundlegend für viele mathematische Disziplinen sind. Ein topologischer Raum (M, O) besteht aus einer Menge M und einer Topologie O auf M . Hierbei ist O eine Familie von Teilmengen von M , die die Bedingungen ∅, M ∈ O, Oi ∈ O, i ∈ I O1 , . . . , On ∈ O =⇒ =⇒ [ Oi ∈ O, i∈I n \ i=1 Oi ∈ O mit jeder beliebigen Menge I und n ∈ N erfüllt. Die Mengen O ∈ O werden offene Mengen genannt. Während σ-Algebren abzählbare Vereinigungen und abzählbare Durchschnitte ihrer Elemente enthalten, sind in Topologien beliebige Vereinigungen, aber nur endliche Durchschnitte von Elementen enthalten. 45 46 Wenn Ω höchstens abzählbar unendlich und F = Pot(Ω) ist, gilt die Meßbarkeitsbedingung (3.1) immer 3.10. Wenn andererseits Ω′ höchstens abzählbar unendlich ist, ist eine Funktion X : (Ω, F) → (Ω′ , Pot(Ω′ )) genau dann meßbar, wenn 3.11 (3.2) X −1 ({ω ′ }) = {ω ∈ Ω : X(ω) = ω ′ } = {X = ω ′ } ∈ F, In diesem Fall ist X eine diskrete meßbare Funktion. ω ′ ∈ Ω′ . Beispiel 3.1. Um den Begriff der Meßbarkeit näher zu beleuchten, werden nun nicht-meßbare Funktionen vorgestellt 3.12. Seien (Ω, F) und (Ω′ , F′ ) meßbare Räume. Weiterhin sei X : (Ω, F) → (Ω′ , F′ ) eine Funktion. Offensichtlich kann die Meßbarkeit (3.1) von X verloren gehen, wenn F zu klein ist. In einem ersten Beispiel sei Ω = {0, 1} und F = {∅, Ω} 3.13. Weiterhin sei Ω′ = {0, 1} = Ω, F′ = Pot(Ω′ ) und X : Ω → Ω′ die Identität, d.h., X(ω) = ω, ω ∈ Ω. Da {1} ∈ F′ und X −1 ({1}) = {1} ∈ / F, ist Xnicht meßbar. In einem zweiten Beispiel sei Ω = [0, 1] und F = ∅, Ω, [0, 1/2], (1/2, 1] 3.14. Sei außerdem Ω′ = R, F′ = B(R) 3.15 und X wiederum die Identität, d.h., X(ω) = ω, ω ∈ Ω. Da [1/4, 3/4] ∈ F′ und X −1 ([1/4, 3/4]) = [1/4, 3/4] ∈ / F, ist auch in diesem Fall X nicht meßbar. Hätte man in den beiden Situationen in Ω die jeweils übliche σ-Algebra, d.h., F = Pot({0, 1}), bzw. F = B([0, 1]), gewählt, wären die Funktionen X natürlich meßbar gewesen. 3.1. Verteilung von Zufallsvariablen Sei X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) eine Zufallsvariable 3.16. Die Meßbarkeitsbedingung (3.1) besagt, daß die X zugeordneten Mengen X −1 (A′ ), A′ ∈ F′ , Elemente von F sind, d.h. Ereignisse 3.17, die jeweils eine durch P bestimmte Wahrscheinlichkeit besitzen. Man faßt diese Wahrscheinlichkeiten in der Verteilung PX von X mit (3.3) PX [A′ ] := P[{ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′ }] {z } | −1 ′ 3.18 = X (A ) ∈ F Die zur Meßbarkeit (3.1) analoge Bedingung f −1 (O ′ ) = {m ∈ M : f (m) ∈ O ′ } ∈ O, O ′ ∈ O′ , zeichnet stetige Funktionen f : (M, O) → (M ′ , O′ ) eines topologischen Raums (M, O) in einen weiteren topologischen Raum (M ′ , O′ ) aus. 3.10Zur Begründung beachte man, daß für alle Mengen Ω′ , alle A′ ⊆ Ω′ und alle Funktionen X : Ω → Ω′ immer X −1 (A′ ) ∈ Pot(Ω) = F gilt. 3.11Offensichtlich folgt aus (2.1c), (3.2) und der Tatsache, daß A′ ⊆ Ω′ höchstens abzählbar unendlich ist, insbesondere [ X −1 (A′ ) = {ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′ } = {ω ∈ Ω : X(ω) = ω ′ } ∈ F, A′ ∈ F′ . | {z } ω ′ ∈A′ = X −1 ({ω ′ }) ∈ F 3.12In der Mathematik sollte man immer auch versuchen, die Bedeutung neu eingeführter Begriffe durch Gegenbeispiele zu erhellen. 3.13Für dieses triviale Mengensystem sind die Eigenschaften einer σ-Algebra, vgl. (2.1), offensichtlich erfüllt. 3.14Diese σ-Algebra in [0, 1] wird üblicherweise natürlich nicht betrachtet. 3.15Die Wahl der Borelschen σ-Algebra, d.h. der kleinsten σ-Algebra, die alle Intervalle enthält, ist für R üblich. 3.16In den nun folgenden Überlegungen wird insbesondere das Wahrscheinlichkeitsmaß P eine entscheidende Rolle spielen. 3.17Diese Ereignisse beschreiben das Verhalten der Zufallsvariable X. 25. Juli 2011 47 =: 3.19 P[X ∈ A′ ], A′ ∈ F′ , zusammen. PX ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω′ , F′ ) 3.20, d.h., (Ω′ , F′ , PX ) ist ein Wahrscheinlichkeitsraum. Dieses Wahrscheinlichkeitsmaß PX beschreibt, mit ” welchen Wahrscheinlichkeiten die Zufallsvariable X ihre verschiedenen möglichen Werte in Ω′ annimmt“. Bemerkung 3.2. Sei X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) eine Zufallsvariable, wobei Ω′ abzählbar und F′ = Pot(Ω′ ) ist 3.21. Die Verteilung PX ist dann eindeutig bestimmt durch 3.22 PX [{η}] = P[{ω ∈ Ω : X(ω) = η}] = P[X = η], Insbesondere gilt: ′ PX [A ] = PX "• [ η∈A′ # 3.23 {η} = X PX [{η}], η∈A′ η ∈ Ω′ . A′ ∈ F′ . Beispiel 3.3. Zur Modellierung des ∞-fachen, unabhängigen Münzwurfs mit Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ (0, 1) wird der in Abschnitt 2.4.2 eingeführte Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) benutzt. Insbesondere ist Ω = {0, 1}N und 3.24 F = σ(F∗ ). Außerdem ist das Wahrscheinlichkeitsmaß P durch seine durch (2.17) beschriebene Einschränkung P∗ auf F∗ bestimmt. 3.18Da X meßbar ist, vgl. (3.1). 3.19 P[X ∈ A′ ] ist eine Abkürzung für P[{ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′ }]. 3.20Zur Begründung ist zu zeigen, daß P X die Eigenschaften (2.2) erfüllt. Zunächst folgt (2.2a) aus PX [Ω′ ] = P[{ω ∈ Ω : X(ω) ∈ Ω′ }] {z } | =Ω = 1 (da (2.2a) für P gilt). Zum Nachweis der σ-Additivität (2.2b) von PX seien A′1 , A′2 , · · · ∈ F′ mit A′k ∩ A′l = ∅, k, l ∈ N, k 6= l. Dann gilt: "•∞ # [ •∞ A′k (die Notation ∪k=1 . . . bezeichnet eine disjunkte Vereinigung) PX k=1 "( =P | = = = ∞ X k=1 ∞ X ω ∈ Ω : X(ω) ∈ • ∞ [ k=1 {z • ∞ [ k=1 A′k )# } {ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′k } (da für k 6= l und ω ∈ Ω nicht gleichzeitig X(ω) ∈ A′k und X(ω) ∈ A′l ) P[{ω ∈ Ω : X(ω) ∈ A′k }] (wegen (2.2b) für P) PX [A′k ] (wegen (3.3)). k=1 3.21X ist somit eine diskrete Zufallsvariable. 3.22P ist in diesem Fall durch seine Einschränkung auf die einpunktigen Teilmengen von X Ω′ charakterisiert. 3.23Wegen der σ-Additivität von P . X 3.24Ω ist der Raum der {0, 1}-wertigen Folgen und F die kleinste σ-Algebra, die die Menge F∗ enthält, d.h., jene Ereignisse, die durch endlich viele Würfe der Münze bestimmt sind, vgl. (2.16). 25. Juli 2011 48 Zunächst sind Xk : (Ω, F, P) → ({0, 1}, Pot({0, 1})), k ∈ N, mit 3.25 Xk (ω) = ωk , ω ∈ Ω, k ∈ N, Zufallsvariablen. Offensichtlich modelliert für k ∈ N die Zufallsvariable Xk das Ergebnis des k-ten Wurfs der Münze 3.26. Durch T (ω) := inf{k ∈ N : Xk (ω) = 1}, ω ∈ Ω, wird nun eine (N, Pot(N))wertige Funktion T auf (Ω, F, P) definiert. Da (3.4) {T = n} = {ω ∈ Ω : T (ω) = n} = {ω ∈ Ω : X1 (ω) = · · · = Xn−1 (ω) = 0, Xn (ω) = 1} = {ω ∈ Ω : ω1 = · · · = ωn−1 = 0, ωn = 1} ∈ F∗ ⊂ F, n ∈ N, ist T eine diskrete Zufallsvariable 3.27. Diese Zufallsvariable modelliert den Zeitpunkt des ersten Wurfs von Zahl“. Ihre Verteilung PT ist eindeutig bestimmt ” durch 3.28 PT [{n}] = P[T = n], n ∈ N. Weil P[T = n] = 3.29 = 3.30 P[{ω ∈ Ω : ω1 = · · · = ωn−1 = 0, ωn = 1}] (1 − p)n−1 p, n ∈ N, ist T geometrisch verteilt mit Parameter p 3.31. Auch bei anderen, beliebig oft unabhängig wiederholten, identischen Experi” menten“ mit zwei möglichen Ausgängen Erfolg“, bzw. Mißerfolg“ ist der Zeit” 3.32 ” punkt des ersten Erfolgs geometrisch verteilt . 3.1.1. Konstruktion und Simulation diskreter Zufallsvariablen. 3.33 Auf 3.34 N sei ein Wahrscheinlichkeitsmaß 3.35 µ = (µn )n∈N gegeben. Gesucht ist eine N-wertige Zufallsvariable mit der Verteilung µ. Damit ist insbesondere ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) und eine meßbare 3.36 (N, Pot(N))-wertige Funktion X auf (Ω, F, P) anzugeben, d.h. zu konstruieren 3.37, so daß PX [{n}] = P[X = n] = µn , n ∈ N. 3.25Beachte, daß ω = (ω , ω , . . . ), ω ∈ Ω. X ist somit die Projektion auf die k-te Koordinate 1 2 k von Ω. 3.26Wenn die Familie der Zufallsvariablen X , k ∈ N, zu einem Objekt (X ) k k k∈N zusammengefaßt wird, ergibt sich ein einfaches Beispiel eines stochastischen Prozesses. Insbesondere liegt hier ein Bernoulli-Prozeß vor. Allgemein sind bei einem Bernoulli-Prozeß Y = (Yk )k∈N die Zufallsvariablen Yk , k ∈ N, unabhängig und identisch verteilt. 3.27Man beachte, daß die Funktion T die Bedingung (3.2) erfüllt. 3.28Vgl. Bemerkung 3.2. 3.29Wegen (3.4). 3.30Aufgrund von (2.17). 3.31Mit den hier durchgeführten Überlegungen sind die eher formal einzuschätzenden Ausführungen in Fußnote 2.36 auf eine mathematisch korrekte Basis gestellt. 3.32Der Parameter dieser geometrischen Verteilung stimmt mit der Erfolgswahrscheinlichkeit bei der einmaligen Durchführung des Experiments überein. Beispielsweise ist beim ∞-fachen, unabhängigen Wurf eines Würfels der Zeitpunkt des ersten Wurfs einer 5 geometrisch mit Parameter 1/6 verteilt. 3.33 Zum besseren Verständnis mathematischer Objekte ist es hilfreich, wenn geklärt wird, wie derartige Strukturen konkret erzeugt“, bzw. konstruiert werden können. Hierbei kann die” se Konstruktion rein abstrakt in einem mathematischen Umfeld oder auch real“ mit Hilfe eines ” Computers vorgenommen werden. In diesem Abschnitt 3.1.1 sollen auf diese Weise speziell diskrete Zufallsvariablen, d.h. Zufallsvariablen, deren Wertebereich höchstens abzählbar ist, erzeugt“ wer” den. Als Ausgangspunkt ist die Verteilung der zu konstruierenden Zufallsvariable fest vorgegeben. 3.34 Die folgenden Überlegungen lassen sich leicht modifizieren, wenn N durch eine beliebige, höchstens abzählbare Menge Ω′ ersetzt wird. 3.35Insbesondere ist µ ≥ 0, n ∈ N, und P n n∈N µn = 1. 3.36Auf der abzählbaren Menge N wird üblicherweise die σ-Algebra Pot(N) verwendet. 3.37A priori ist nicht klar, ob es zu jedem Wahrscheinlichkeitsmaß µ auch eine Zufallsvariable X gibt, deren Verteilung PX gleich µ ist. 25. Juli 2011 49 Eine erste Möglichkeit besteht darin, zunächst Ω = N, F = Pot(N) und P = µ zu wählen und anschließend X : (Ω, F, P) → (N, Pot(N)) durch 3.38 X(ω) = ω, ω ∈ Ω, zu definieren. Da PX [{n}] = 3.39 = 3.40 P[{ω ∈ Ω : X(ω) = n}] P[{ω ∈ Ω : ω = n}] = P[{n}] = 3.41 µn , n ∈ N, wird damit das Konstruktionsproblem gelöst. Es 3.42 wäre auch möglich, 3.43 (Ω, F, P) = ([0, 1], B([0, 1]), λ[0,1] ) zu wählen und X1 durch 3.44 Pn−1 Pn (3.5) X1 (ω) = n, ω ∈ k=1 µk , k=1 µk , n ∈ N, zu definieren. Da (3.6) PX1 [{n}] = 3.45 = 3.46 = 3.47 λ[0,1] [{ω ∈ [0, 1] : X1 (ω) = n}] Pn Pn−1 λ[0,1] ω ∈ [0, 1] : k=1 µk ≤ ω < k=1 µk Pn−1 Pn | k=1 µk − k=1 µk | = µn , n ∈ N, löst auch dieser Ansatz mit der Zufallsvariablen X1 das vorgegebene Konstruktionsproblem 3.48. 3.38X ist die Identität auf Ω = N. 3.39Aufgrund der Definition (3.3) der Verteilung P einer Zufallsvariable X. X 3.40 Wegen der speziellen Definition der Zufallsvariable X als Identität auf Ω = N. Da P = µ gewählt wird. 3.42 Es folgt nun eine zweite Konstruktion einer N-wertigen Zufallsvariable mit der vorgegebenen Verteilung µ. Diese zweite Konstruktion wird sich in Beispiel 3.4 als nützlich herausstellen, wenn diese Zufallsvariable mit Hilfe eines Computers simuliert werden soll. 3.43 Vgl. Abschnitt 2.4.1 3.44Der Funktion X sollte auch ein Wert X (ω) für ω = 1 zugewiesen werden. Da 1 1 λ[0,1] [{1}] = 0, ist der genaue Wert X1 (1) allerdings irrelevant. Allgemein werden zwei auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definierte Zufallsvariablen X und Y als identisch betrachtet, d.h. miteinander identifiziert, wenn 3.41 P[{ω ∈ Ω : X(ω) = Y (ω)}] = P[X = Y ] = 1. In diesem Fall schreibt man X = Y , f.s. (fast-sicher). Verschiedene Gleichheitsbegriffe für Zufallsvariablen werden in Abschnitt 3.2.5 diskutiert. 3.45Weil die Zufallsvariable X auf dem Wahrscheinlichkeitsraum ([0, 1], B([0, 1]), λ 1 [0,1] ) definiert ist. 3.46 Aufgrund von (3.5). 3.47 Da das Lebesguemaß eines Intervalls dessen Länge ist, vgl. Abschnitt 2.4.1 3.48Ist (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und X : (Ω, F, P) → ([0, 1], B([0, 1])) eine Zufallsvariable mit PX = λ[0,1] , so folgt wie in (3.6), daß PX1 (X) [{n}] = P[{ω ∈ Ω : X1 (X(ω)) = n}] Pn−1 Pn (wegen (3.5)) = P ω ∈ Ω : X(ω) ∈ k=1 µk k=1 µk , Pn−1 Pn = λ[0,1] µ (da P = λ µ , X [0,1] ) k=1 k k=1 k = µn , n ∈ N. Insbesondere besitzt die transformierte Zufallsvariable X1 (X) = X1 ◦ X : (Ω, F, P) → (N, Pot(N)) die Verteilung PX1 (X) = µ. Von dieser Beobachtung ausgehend wird im folgenden Beispiel 3.4 die Zufallsvariable X durch eine Simulation x einer in [0, 1] gleichverteilten Zufallsvariable ersetzt, um mit X1 (x) eine Simulation einer Zufallsvariable mit der Verteilung µ zu erhalten. 25. Juli 2011 50 Beispiel 3.4 (Simulation einer Folge unabhängiger 3.49, N-wertiger Zufallsvariablen mit einer vorgegebenen Verteilung). Als Basis zur Verwendung von Statistik-Software erzeugen Computer, bzw. sog. Zufallsgeneratoren, die auf diesen Computern implementiert sind, üblicherweise Folgen von unabhängigen“ Zufallszah” len x1 , x2 , . . . , die in [0, 1] gleichverteilt“ sind, d.h., mit den Zahlen x1 , x2 , . . . ” wird eine 3.50 Realisierung einer Folge unabhängiger, in [0, 1] gleichverteilter 3.51 Zufallsvariablen simuliert. Genaugenommen sind diese Zahlen aber in keiner Weise zufällig oder unabhängig, da sie durch spezielle, i. allg. rekursive Algorithmen berechnet werden und somit völlig deterministisch sind. Nur aufgrund ihrer Komplexität scheinen sie jene Eigenschaften zu besitzen. Sie werden daher auch als Pseudozufallszahlen bezeichnet 3.52. Die Überlegungen zu (3.6) demonstrieren 3.53, daß durch die transformierten Zufallszahlen 3.54 X1 (x1 ), X1 (x2 ), . . . unabhängige, N-wertige Zufallsvariablen mit der Verteilung µ simuliert werden können. Bemerkung 3.5. Auf den üblichen Computern sind Zufallsgeneratoren und auch Befehle zur Simulation von unabhängigen Zufallsvariablen mit einer vorgegebenen Verteilung meistens direkt verfügbar, evtl. als Teil des Betriebssystems oder im Rahmen von Softwarepaketen wie Maple, Mathematica oder R 3.55. In R können beispielsweise unabhängige, geometrisch verteilte Zufallsvariaben 3.56 mit dem Befehl rgeom simuliert werden. Wenn R interaktiv genutzt wird, ergibt sich z.B. 3.57: > rgeom(60,0.3) 3.49Der Begriff der Unabhängigkeit von Zufallsvariablen wird erst in Abschnitt 3.2 eingeführt werden, vgl. (3.8). Zum Verständnis der Überlegungen in diesem Beispiel sollte allerdings ein intuitives Verständnis der Unabhängigkeit ausreichen. 3.50Eine Realisierung einer Familie X , X , . . . von Zufallsvariablen, die auf einem Wahr1 2 scheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definiert sind, ergibt sich, wenn eine Folge X1 (ω), X2 (ω), . . . für ein festes, aber beliebiges ω ∈ Ω betrachtet wird. 3.51Die Gleichverteilung in [0, 1] wird in Abschnitt 2.4.1 eingeführt. 3.52 Ein bekanntes Verfahren zur Erzeugung von Pseudozufallszahlen ist die lineare Kongruenzmethode, vgl. z.B. [7], Abschnitt 10.2. Zu vorgegebenen Parametern m ∈ N, a = 1, . . . , m − 1, c = 0, 1, . . . , m − 1 und einem Startwert y0 = 0, 1, . . . , m − 1 betrachtet man zunächst die Folge yn , n ∈ N0 , mit (∗) yn+1 = (ayn + c) mod m, n = 0, 1, 2, . . . , und bildet diese anschließend mit xn = yn /m, n = 0, 1, 2, . . . , in das Intervall [0, 1] ab. Wenn m, a, c und y0 geschickt“ gewählt werden, hat die Folge xn , n = 0, 1, 2, . . . , ein Erscheinungsbild wie ” eine typische“ Realisierung einer Folge unabhängiger, in [0, 1] gleichverteilter Zufallsvariablen. ” Bei einer unglücklichen Wahl der Parameter erhält man aber u.U. eine sehr regelmäßige Folge y0 , y1 , y2 , . . . . Beispielsweise ergibt sich 5, 0, 5, 0, . . . für a = c = y0 = 5, m = 10. Allgemein besitzt eine durch eine Relation wie (∗) bestimmte Zahlenfolge immer eine endliche Periode, die höchstens gleich m ist. Etliche klassische, ältere Zufallsgeneratoren basieren auf der linearen Kongruenzmethode. Oft hat sich allerdings im Lauf der Zeit herausgestellt, daß jene oft benutzten Zufallsgeneratoren, deren Perioden zwischen 230 und 248 liegen, eine nur geringe Qualität besitzen. Hingegen gibt es mit dem Mersenne Twister einen modernen Zufallsgenerator, der in einer gut bewährten Variante mit 219937 − 1 eine extrem große Mersennesche Primzahl als Periode besitzt, vgl. z.B. [11]. 3.53 Vgl. insbesondere auch Fußnote 3.48. 3.54 Die Funktion X1 wird in (3.5) definiert. 3.55Vgl. z.B. http://www.maplesoft.com/products/Maple/index.aspx, http://www.wolfram.com/mathematica/, bzw. http://www.r-project.org. Auch einige wissenschaftliche SoftwareBibliotheken, wie beispielsweise die GNU Scientific Library (GSL), vgl. http://www.gnu.org /software/gsl/, enthalten derartige Software zur Simulation von Zufallsvariaben mit gegebener Verteilung. 3.56Mit geometrischer Verteilung ist hier die in Fußnote 2.35 beschriebene Verteilung gemeint. 3.57Mit dem R-Befehl rgeom(n, p) werden n unabhängige, geometrisch mit Parameter p verteilte Zufallsvariaben simuliert, vgl. Fußnote 3.56. 25. Juli 2011 51 [1] 0 0 1 0 3 2 3 0 3 3 1 1 3 2 1 10 1 7 3 18 2 0 0 0 1 [26] 1 2 0 2 1 2 2 3 5 0 0 5 13 0 0 8 1 0 0 20 2 1 3 2 8 [51] 0 4 5 3 7 1 0 2 1 7 3.2. Familien von Zufallsvariablen und deren gemeinsame Verteilung In diesem Abschnitt 3.2 wird insbesondere dargelegt, wie sich Zusammen” hänge“ 3.58 zwischen mehreren Zufallsvariablen und auch deren Unabhängigkeit 3.59 mathematisch beschreiben lassen. Beispiel 3.6 (Abhängige Zufallsvariablen). Für k = 1, 2, . . . sei Tk der Tip eines Lottospielers 3.60 in der k-ten Woche. Insbesondere seien Tk , k = 1, 2, . . . , auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definierte Zufallsvariablen mit Werten in 3.61 Ω′ = {M ⊂ {1, . . . , 49} : |M | = 6}. Wie es für einen endlichen Stichprobenraum üblich ist, wird Ω′ mit der σ-Algebra F′ = Pot(Ω′ ) versehen 3.62. Für ein p ∈ [0, 1] habe der Lottospieler folgendes spezielle Tip-Verfahren: • T1 sei gleichverteilt auf Ω′ , d.h., P[T1 = ν] = 1/|Ω′ |, ν ∈ Ω′ 3.63. • Die Tips Tk für k = 2, 3, . . . werden sukzessive folgendermaßen bestimmt: – Sei Tk−1 = µ für ein µ ∈ Ω′ . – Mit Wahrscheinlichkeit 1 − p sei Tk = µ. – Mit Wahrscheinlichkeit p werde ein · l ∈ µ 3.64 gemäß der Gleichverteilung auf 3.65 µ und ein · l′ ∈ {1, . . . , 49} \ µ gemäß der Gleichverteilung auf 3.66 {1, . . . , 49} \ µ ausgewählt 3.67. – Nun sei Tk = (µ \ {l}) ∪ {l′ } 3.68. Man beobachtet, daß 3.58Dieser vage Begriff wird durch das Konzept der gemeinsamen Verteilung von Zufallsvariablen präzisiert. 3.59Unabhängigkeit liegt vor, wenn sich Zufallsvariablen nicht gegenseitig beeinflussen“. Der ” bisher verwendete intuitive Zugang zu diesem Begriff muß nun in eine mathematisch korrekte Form gebracht werden. 3.60Es sei das Spiel 6 aus 49“ gemeint. ” 3.61|A| bezeichnet die Mächtigkeit einer Menge A. 3.62(Ω′ , F ′ ) ist somit ein meßbarer Raum. In dieser Situation ist es bemerkenswert, daß Ω′ eine Menge von Mengen und daher Pot(Ω′ ) die Menge aller Teilmengen einer Menge von Mengen ist. 3.63|Ω′ | ist die Anzahl der Möglichkeiten, aus einer Menge mit 49 Elementen eine 6-elementige Teilmenge auszuwählen, d.h., |Ω′ | = 49 , vgl. Abschnitt 5.1, insbesondere (5.4). 6 3.64Man beachte, daß µ als Element von Ω′ eine Teilmenge von {1, . . . , 49} ist. 3.65 An diese Stelle wird mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (µ, Pot(µ), Pµ ) gearbeitet, wobei Pµ die Gleichverteilung auf der Menge µ ist. 3.66An diese Stelle wird mit dem Wahrscheinlichkeitsraum ({1, . . . , 49} \ µ, Pot({1, . . . , 49} \ µ), P{1,...,49}\µ ) gearbeitet, wobei P{1,...,49}\µ die Gleichverteilung auf der Menge {1, . . . , 49} \ µ ist. 3.67Die Wahrscheinlichkeitsräume (µ, Pot(µ), P ) und ({1, . . . , 49} \ µ, Pot({1, . . . , 49} \ µ), µ P{1,...,49}\µ ), die bei der Wahl von l und l′ verwendet werden, sind nur Hilfsmittel bei der Beschreibung der Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . . Der eigentliche“ Wahrscheinlichkeitsraum, auf ” dem die Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , definiert sind, ist der eingangs genannte (Ω, F, P), der nicht näher spezifiziert wird, allerdings groß genug“ sein muß, damit die beschriebene Konstruk” tion der Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , durchführbar wird. 3.68Mit Wahrscheinlichkeit p wird also bei der Bestimmung des zukünftigen Tips eine Zahl des aktuellen Tips zufällig ausgewählt und durch eine aktuell nicht getippte Zahl ersetzt. Hierbei werden die zu ersetzende und die neue Zahl jeweils gemäß einer Gleichverteilung ausgewählt. 25. Juli 2011 52 −1 • P[Tk = ν] = 1/|Ω′ | = 3.69 49 , ν ∈ Ω′ , für alle k = 1, 2, . . . . Die 6 Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , besitzen daher die gleiche Verteilung 3.70. • Wenn p = 0 3.71, so ist Tk = T1 für alle k = 2, 3, . . . , d.h., die Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , sind stark voneinander abhängig“. Diese ” Abhängigkeit sinkt“ mit wachsendem p 3.72. ” Die Basis einer quantitativen Beschreibung der Abhängigkeit von Zufallsvariablen ist deren gemeinsame Verteilung 3.73. Es wäre übrigens zweckmäßig die Familie der Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , zusammenzufassen und als als einen stochastischen Prozeß 3.74 (Tk )k∈N zu betrachten 3.75. Sei nun (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ω′λ , Fλ′ ), λ ∈ Λ, eine Familie meßbarer Räume 3.76. Außerdem seien Xλ : (Ω, F, P) → (Ω′λ , Fλ′ ), λ ∈ Λ, Zufallsvariablen 3.77. Die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, ist charakterisiert durch die Größen 3.78 3.79 (3.7) P Xλ1 ∈ A′λ1 , Xλ2 ∈ A′λ2 , . . . , Xλm ∈ A′λm = P ω ∈ Ω : Xλ1 (ω) ∈ A′λ1 , . . . , Xλm (ω) ∈ A′λm , {λ1 , . . . , λm } ⊆ Λ, A′λ1 ∈ Fλ′ 1 , . . . , A′λm ∈ Fλ′ m , m ∈ N. 3.69Vgl. Fußnote 3.63. 3.70Die Zufallsvariablen T , k = 1, 2, . . . , sind somit identisch verteilt. k 3.71In diesem Fall wird zu keinem Zeitpunkt eine der aktuell getippten Zahlen modifiziert. 3.72Mit wachsendem p steigt die Wahrscheinlichkeit, daß beim Zusammenstellen eines neuen Tips eine der getippten Zahlen ausgetauscht wird. Da niemals alle Zahlen des aktuellen Tips ausgetauscht werden, besteht allerdings auch für p = 1, wenn mit Sicherheit genau eine der Zahlen des aktuellen Tips geändert wird, eine gewisse Abhängigkeit zwischen aufeinanderfolgenden Tips Tk und Tk+1 . 3.73 Der Begriff der gemeinsamen Verteilung einer Familie von Zufallsvariablen wird in diesem Abschnitt 3.2 eingeführt, vgl. (3.7). 3.74Vgl. Abschnitt 3.4. Ein stochastischer Prozeß ist eine durch Zeitpunkte“ indizierte Fa” milie von Zufallsvariablen. 3.75Offensichtlich ist bei Kenntnis des gegenwärtigen Tips T die Kenntnis der Tips T k k−1 , Tk−2 , . . . in der Vergangenheit nicht notwendig, um den zukünftigen Tip Tk+1 zu beschreiben. Daher ist (Tk )k∈N sogar ein Markovprozeß, vgl. Abschnitt 8.2. 3.76Λ ist eine beliebige Menge, die auch überabzählbar sein kann. Die meßbaren Räume ′ ), λ ∈ Λ, können durchaus verschieden sein. (Ω′λ , Fλ 3.77Um die nun folgenden Erläuterungen der Begriffe gemeinsame Verteilung und Unabhängigkeit in (3.7), bzw. in (3.8) besser zu verstehen, kann man zuerst |Λ| = 2, 3, . . . und ′ ) = (R, B(R)), λ ∈ Λ, annehmen. Insbesondere sollte man auch den folgenden Ab(Ω′λ , Fλ schnitt 3.2.1, in dem eine endliche Menge diskreter Zufallsvariablen betrachtet wird, beachten. 3.78Für alle endlichen Teilmengen Λ = {λ , . . . , λ } ⊆ Λ wird in (3.7) festgehalten, mit e m 1 Q ′ welchen Wahrscheinlichkeiten die m k=1 Ωλ -wertige Zufallsvariable (Xλ1 , . . . , Xλm ) ihre Werte k ′ ′ , . . . , A′ in den Mengen A′λ1 × · · · × A′λm , A′λ1 ∈ Fλ λm ∈ Fλm , annimmt. 1 3.79 Charakterisiert durch . . . “ heißt nicht definiert durch . . . “. In (3.7) wird nur eine Familie ” ” von Wahrscheinlichkeiten angegeben. Die vollständige Definition der gemeinsamen Q Verteilung der Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, als ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Produktraum λ∈Λ Ω′λ wird in weiterführenden Vorlesungen angegeben. Es sei nur erwähnt, daß für ein beliebiges Λ die gemeinsame Verteilung der Zufallsvaria′ ), λ ∈ Λ, ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem meßbaren Raum blen Xλ : (Ω, F, P) → (Ω′λ , Fλ N Q ′ ′ ′ ′ λ∈Λ Ωλ ,N λ∈Λ Fλ , dem Produkt der meßbaren Räume (Ωλ , Fλ ), λ ∈ Λ, ist. Die Produkt′ ist hierbei die kleinste σ-Algebra, die die endlich-dimensionalen Rechtecke σ-Algebra F λ∈Λ λ ′ ′ , . . . , A′ {ω = (ωλ )λ∈Λ : ωλ1 ∈ A′λ1 , . . . , ωλm ∈ A′λm }, {λ1 , . . . , λm } ⊆ Λ, A′λ1 ∈ Fλ λm ∈ Fλm , 1 m ∈ N, enthält. 25. Juli 2011 53 Falls die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, faktorisiert, d.h., wenn 3.80 P Xλ1 ∈ A′λ1 , Xλ2 ∈ A′λ2 , . . . , Xλm ∈ A′λm (3.8) = P[Xλ1 ∈ A′λ1 ] P[Xλ2 ∈ A′λ2 ] . . . P[Xλm ∈ A′λm ] {λ1 , . . . , λm } ⊆ Λ, A′λ1 ∈ Fλ′ 1 , . . . , A′λm ∈ Fλ′ m , m ∈ N, werden diese Zufallsvariablen unabhängig genannt 3.81. In den einfachsten Varianten vieler klassischer Resultate der Wahrscheinlichkeitstheorie, z.B. dem Gesetz der großen Zahlen oder dem Zentralen Grenzwertsatz 3.82, wird mit Folgen 3.83 Xk , k ∈ N, unabhängiger, identisch verteilter Zufallsvariablen gearbeitet. Hierbei sind Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, identisch verteilt, wenn sie die gleiche Verteilung besitzen, d.h., wenn 3.84 PXλ1 = PXλ2 , λ1 , λ2 ∈ Λ 3.85. Als Abkürzung für unabhängig, identisch verteilt “ benutzt man häufig auch ” i.i.d. 3.86. Mit i.i.d. Zufallenvariablen kann ein mehrmals, unabhängig unter gleichbleibenden Bedingungen wiederholtes Experiment modelliert werden 3.87. 3.2.1. Gemeinsame Verteilung endlich vieler diskreter Zufallsvariablen. 3.88 Seien Xk : (Ω, F, P) → (Mk , Pot(Mk )), k = 1, . . . , n, Zufallsvariablen, wobei Mk , k = 1, . . . , n, höchstens abzählbare Mengen sind. Die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn wird eindeutig charakterisiert durch 3.89 (3.9) P {ω ∈ Ω : X1 (ω) = m1 , . . . , Xn (ω) = mn } = P[X1 = m1 , . . . , Xn = mn ], m1 ∈ M 1 , . . . , mn ∈ M n . Durch Addition solcher Terme, d.h., mit (3.10) PX1 ,...,Xn [A] := P[(X1 , . . . , Xn ) ∈ A] [ • =P {X1 = m1 , . . . , Xn = mn } (m1 ,...,mn )∈A X 3.90 P[X1 = m1 , . . . , Xn = mn ], A ∈ Pot(M1 ×. . .×Mn ), = (m1 ,...,mn )∈A 3.80Genaugenommen wird in (3.8) verlangt, daß alle gemeinsamen Verteilungen von jeweils endlich vielen der Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, faktorisieren. 3.81Um den Unterschied zur linearen Unabhängigkeit zu betonen, bezeichnet man die Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, auch als stochastisch unabhängig. 3.82 Diese beiden Resultate werden in den Beispielen 1.7 und 1.8 vorgestellt. Ausführlichere Diskussionen folgen in den Kapiteln 7 und 9. 3.83 Somit ist Λ = N. 3.84P bezeichnet die Verteilung einer Zufallsvariablen X, vgl. (3.3). X 3.85Man beachte: Zufallsvariablen, die die gleiche Verteilung besitzen, müssen nicht, aber können gleichverteilt sein! Zufallenvariablen X werden gleichverteilt genannt, wenn ihre Verteilung PX die Gleichverteilung auf einer endlichen Menge, vgl. Abschnitt 2.2, oder die Gleichverteilung in einem beschränkten Gebiet eines Rd , vgl. Abschnitt 2.6, ist. 3.86 i.i.d. bedeutet independent, identically distributed“. ” 3.87 Ein Beispiel ist der ∞-fache, unabhängige Münzwurf mit einer festen Erfolgswahrscheinlichkeit. 3.88 Zur Illustration der allgemeinen in (3.7), bzw. (3.8) betrachteten Situation wird nun ein übersichtlicher“ Spezialfall vorgestellt. ” 3.89Vgl. (3.7). Dort werden in einer allgemeinen Situation analoge Wahrscheinlichkeiten betrachtet. 25. Juli 2011 54 erhält man ein Wahrscheinlichkeitsmaß 3.91 PX1 ,...,Xn auf (M1 × · · ·× Mn , Pot(M1 × · · · × Mn )). Dieses Wahrscheinlichkeitsmaß PX1 ,...,Xn ist die (gemeinsame) Verteilung von X1 , . . . , Xn 3.92. Faßt man übrigens die Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn zu einer einzigen n-dimensionalen Zufallsvariable X = (X1 , . . . , Xn ) zusammen, so ist PX1 ,...,Xn = PX , wobei PX die mit (3.3) eingeführte Verteilung von X ist. Die Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn sind unabhängig, genau dann wenn die Terme in (3.9) faktorisieren 3.93, d.h., wenn (3.11) P[X1 = m1 , . . . , Xn = mn ] = P[X1 = m1 ] · · · P[Xn = mn ], m1 ∈ M 1 , . . . , mn ∈ M n . Beispiel 3.7 (Gemeinsame Verteilung von zwei Zufallsvariablen). Wie in Beispiel 2.6 wird der N -fache, unabhängige Wurf einer Münze mit der Wahrscheinlichkeit p für den Wurf von Zahl“ , 1 betrachtet 3.94. ” Gesucht ist die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen Z und T mit 3.95 Z(ω) = ω1 + · · · + ωN , bzw. ( inf{i ∈ {1, . . . , N } : ωi = 1}, falls Z(ω) > 0, T (ω) = N + 1, falls Z(ω) = 0, für ω = (ω1 , . . . , ωN ) ∈ Ω = {0, 1}N . Dazu ist P[Z = k, T = n], zu bestimmen (3.12) k = 0, 1, . . . , N, n = 1, . . . , N + 1, 3.96 . Zunächst gilt: P[Z = 0, T = N + 1] = 3.97 P[Z = 0, T = n] = 3.98 P[Z = k, T = N + 1] = 3.99 P[Z = k, T = n] = (1 − p)N , 0, n = 1, . . . , N, 0, k = 1, . . . , N, 3.100 0, n = 1, . . . , N, k = N − n + 2, . . . , N. Wenn für ein ω ∈ Ω weiterhin T (ω) = n und Z(ω) = k für n = 1, . . . , N und k = 1, . . . , N − n + 1 ist, so folgt • ωi = 0, i = 1, . . . , n − 1, • ωn = 1, 3.90Aufgrund der σ-Additivität von P. 3.91 Wie in den Überlegungen in Fußnote 3.20 beim Nachweis, daß die Verteilung PX einer einzelnen Zufallsvariable X ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist, kann gezeigt werden, daß die Eigenschaften (2.2) für PX1 ,...,Xn gelten. 3.92Zumindest für eine endliche Menge diskreter Zufallsvariablen X , . . . , X wird hier die n 1 gemeinsame Verteilung PX1 ,...,Xn definiert. In (3.7) wird diese gemeinsame Verteilung nur charakterisiert. Vgl. hierzu Fußnote 3.79. 3.93Vgl. (3.8). 3.94Insbesondere wird nun auch mit dem in Beispiel 2.6 betrachteten Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), wobei Ω = {0, 1}N , F = Pot(Ω) und P durch (2.5) definiert ist, gearbeitet. 3.95Z beschreibt die Anzahl der Würfe von Zahl“, während T den Zeitpunkt des ersten ” Wurfs von Zahl“ modelliert. ” 3.96Nach (3.9) und (3.10) ist die gemeinsame Verteilung von Z und T durch diese Größen eindeutig bestimmt. 3.97Hier wird nach der Wahrscheinlichkeit für N Würfe von Kopf“ gefragt. ” 3.98 Wenn Z = 0 ist, so kann nicht T ≤ N sein. 3.99 Wenn Z > 0 ist, so ist T ≤ N . 3.100 Wenn T = n, können in den nachfolgenden Zeitpunkten n, n+1, . . . , N höchstens N −n+1 Würfe von Zahl“ auftreten. ” 25. Juli 2011 55 • ωl = 1 für genau k − 1 verschiedene l ∈ {n + 1, . . . , N }. −n Es gibt 3.101 Nk−1 derartige ω ∈ Ω, wobei jedes die Wahrscheinlichkeit pk (1−p)N −k besitzt. Somit ist N −n k P[Z = k, T = n] = (3.13) p (1 − p)N −k , k−1 n = 1, . . . , N, k = 1, . . . , N − n + 1. Durch (3.12) - (3.13) ist die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen Z und T bestimmt 3.102. 3.2.2. Unabhängige Zufallsvariablen mit einer Dichte. Für ein N ∈ N seien X1 , . . . , XN unabhängige 3.103, reellwertige Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Für k = 1, . . . , N habe die Verteilung PXk von Xk die Dichte 3.104 fk bzgl. des Lebesguemaßes auf (R, B(R)). Dann hat die gemeinsame Verteilung PX1 ,...,XN von X1 , . . . , XN die Dichte Q N RN ∋ (y1 , . . . , yN ) → N k=1 fk (yk ) ∈ [0, ∞) bzgl. des Lebesguemaßes auf (R , 3.105 N B(R )) . Zur Begründung dieser Behauptung beachte man, daß (3.14) 3.106 P[(X1 , . . . , XN ) ∈ A1 × · · · × AN ] = = 3.107 = 3.109 = Z P[X1 ∈ A1 , . . . , XN ∈ AN ] P[X1 ∈ A1 ] · · · P[XN ∈ AN ] = 3.108 PX1 [A1 ] . . . PXn [An ] Z Z dy1 f1 (y1 ) · · · dyN fN (yN ) A1 A1 ×···×AN AN dy1 · · · dyN f1 (y1 ) · · · fN (yN ), A1 , . . . , AN ∈ B(R). Da in einem weiteren Schritt gefolgert werden kann 3.110, daß (3.14) nicht nur für Rechtecke“ A1 × · · · × AN = {y = (y1 , . . . , yN ) ∈ RN : y1 ∈ A1 , . . . , yN ∈ AN } ∈ ” B(RN ), sondern für beliebige A ∈ B(RN ) gilt, ist die Behauptung bewiesen. Beispiel 3.8 (Unabhängige, normalverteilte Zufallsvariablen). Seien X1 , . . . , XN unabhängige, normalverteilte Zufallsvariablen mit den Dichten 3.111 (x − µk )2 1 , x ∈ R, k = 1, . . . , N, exp − fk (x) = p 2σk2 2πσk2 3.101Die Anzahl dieser ω’s ist gleich der Anzahl der Möglichkeiten aus einer Menge mit N − n Elementen eine Teilmenge mit k−1 Elementen auszuwählen, vgl. Abschnitt 5.1, insbesondere (5.4). 3.102Zur Kontrolle der obigen Ausführungen kann nachgewiesen werden, daß die berechneten Koeffizienten νk,n = P[Z = k, T = n], k = 0, 1, . . . , N , n = 1, . . . , N + 1, in der Tat in Übereinstimmung mit den Überlegungen zu (3.9) und (3.10) ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf {0, 1, . . . , N } × {1, . . . , N + 1} beschreiben. Offensichtlich ist νk,n ≥ 0, k = 0, 1, . . . , N , P PN+1 n = 1, . . . , N + 1. Weiterhin zeigt sich, daß N k=0 n=1 νk,n = 1. 3.103Vgl. (3.8). 3.104Für alle k = 1, . . . , N sei P Xk ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R, B(R)) mit der Dichte fk , vgl. Abschnitt 2.6. 3.105Somit hat die gemeinsame Verteilung endlich vieler, unabhängiger Zufallsvariablen mit einer Dichte ebenfalls eine Dichte. Jene gemeinsame Dichte ist das Produkt der einzelnen Dichten. 3.106Hier wird nur die Schreibweise geändert. 3.107Da die Zufallsvariablen X , . . . , X unabhängig sind, vgl. (3.8). 1 N 3.108 Vgl. (3.3). 3.109 Da für k = 1, . . . , N die Verteilung PXk der Zufallsvariable Xk die Dichte fk besitzt. 3.110 Hierzu kann Satz (1.12) in [5] benutzt werden. 3.111Vgl. Abschnitt 2.6. 25. Juli 2011 56 2 wobei µ1 , . . . , µN ∈ R und σ12 , . . . , σN > 0. Um die Dichte f : RN → [0, ∞) der gemeinsamen Verteilung PX1 ,...,XN von X1 , . . . , XN mit f (x) = f (x1 , . . . , xN ) = N Y fk (xk ) k=1 = N Y k=1 (xk − µk )2 1 p , exp − 2σk2 2πσk2 x = (x1 , . . . , xN ) ∈ RN , in einer kompakten“ Form darstellen zu können, wird der Vektor µ = (µ1 , . . . , µN ) ” ∈ RN und die N × N -Matrix σ 2 = (σk2 δk,l )k,l=1,...,N 3.112 eingeführt. Nun ist die Dichte f von PX1 ,...,XN darstellbar in der Form 3.113 3.114 1 1 2 −1 T (3.15) f (x) = p exp − (x − µ)(σ ) (x − µ) , x ∈ RN , 2 (2π)N det(σ 2 ) d.h., die Zufallsvariablen X1 , . . . , XN sind gemeinsam normalverteilt mit Erwartungswert µ und Kovarianzmatrix σ 2 3.115. Man schreibt PX1 ,...,XN = N(µ, σ 2 ). 3.2.3. Unabhängigkeit von Ereignissen. 3.116 Mit (Ω, F, P) sei ein Wahrscheinlichkeitsraum und mit Aλ , λ ∈ Λ, eine Menge von Ereignissen gegeben. Diese heißen unabhängig, wenn 3.117 " # Y \ (3.16) P P[Aλ ], ∆ ⊆ Λ, |∆| < ∞. Aλ = λ∈∆ λ∈∆ Wenn Ereignisse A und B unabhängig sind, so sind auch A und Ω \ B, bzw. Ω \ A und B, bzw. Ω \ A und Ω \ B unabhängig 3.118. Daher folgt insbesondere, daß die 3.112 δk,l = ( 1, 0, falls k = l, falls k = 6 l, ist das Kronecker-Symbol. Somit ist σ 2 eine Diagonalmatrix, deren Diagonalelemente durch die Varianzen σk2 , k = 1, . . . , N , der Zufallsvariablen X1 , . . . , XN gegeben sind. QN 3.113Da (σ 2 )−1 = ((σ2 )−1 δ ) 2 2 k,l k,l=1,...,N und weil det(σ ) = k=1 σk . k 3.114 N T Zu y ∈ R bezeichnet y den zu y transponierten Vektor. Für einen Zeilenvektor y ist y T der entsprechende Spaltenvektor. 3.115Wenn eine allgemeine N -dimensionale Normalverteilung eine Dichte f besitzt, so hat diese die Gestalt 1 1 (∗) f (x) = p exp − (x − ν)(A)−1 (x − ν)T , x ∈ RN , 2 (2π)N det(A) wobei ν ∈ RN der Erwartungswert und A die Kovarianzmatrix ist. A ist eine positiv-definite, symmetrische N × N -Matrix. Es gibt zu jedem ν ∈ RN und jeder positiv-semidefiniten, symmetrischen N × N -Matrix A eine Normalverteilung N(ν, A) auf RN mit dem Erwartungswert ν und der Kovarianzmatrix A. Diese besitzt genau dann eine Dichte fµ,A : RN → [0, ∞), wenn A positiv-definit ist. fµ,A ist in diesem Fall durch (∗) gegeben. Wenn eine Normalverteilung im RN eine nur positiv-semidefinite, nicht aber positiv-definite Kovarianzmatrix besitzt, ist sie auf einer niederdimensionalen, linearen Untermannigfaltigkeit des RN konzentriert“ und besitzt somit keine Dichte. ”3.116 Die Unabhängigkeit von Ereignissen, mit der auf eine formale Weise schon mehrfach gearbeitet wurde, z.B. in den Fußnoten 1.30 und 2.36, ist ein Spezialfall der Unabhängigkeit von Zufallsvariablen, vgl. (3.8). 3.117T λ∈∆ Aλ , Aλ1 und . . . und Aλm , falls ∆ = {λ1 , . . . , λm }. Die Faktorisierungseigenschaft (3.16) muß für alle endlichen Teilmengen ∆ der beliebigen Menge Λ gelten. 3.118Beispielsweise gilt P[A ∩ (Ω \ B) ] = P[A] − P[A ∩ B] (Additivität von P) {z } | {z } | = A \ (A ∩ B) = P[A] · P[B] (Unabhängigkeit von A und B) 25. Juli 2011 57 Unabhängigkeit der Ereignisse Aλ , λ ∈ Λ, gleichbedeutend mit der Unabhängigkeit der ({0, 1}, Pot({0, 1}))-wertigen Zufallsvariablen 3.119 IAλ , λ ∈ Λ, ist. Beispiel 3.9 (Paarweise Unabhängigkeit von Ereignissen). Sei (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Ereignisse A1 , A2 , . . . ∈ F sind paarweise (stochastisch) unabhängig, wenn (3.17) P[Ak1 ∩ Ak2 ] = P[Ak1 ] · P[Ak2 ], 1 ≤ k1 < k2 < ∞. Offensichtlich impliziert die Unabhängigkeit von Ereignissen ihre paarweise Unabhängigkeit. Wie nun gezeigt wird, gilt der umgekehrte Schluß nicht 3.120. Wir betrachten den 2-fachen, unabhängigen Wurf einer fairen Münze, d.h., wir arbeiten mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) mit 3.121 Ω = {0, 1}2 , 1 P[{ω}] = , 4 F = Pot(Ω), ω ∈ Ω. Für die Ereignisse A= 3.122 B= 3.123 C= 3.124 {(1, 0), (1, 1)}, {(0, 1), (1, 1)}, {(0, 0), (1, 1)} gilt (3.18a) P[A] = P[B] = P[C] = 1 , 2 1 = P[A] · P[B], 4 1 (3.18c) P[A ∩ C] = P[{(1, 1)}] = = P[A] · P[C], 4 1 (3.18d) P[B ∩ C] = P[{(1, 1)}] = = P[B] · P[C], 4 1 1 (3.18e) P[A ∩ B ∩ C] = P[{(1, 1)}] = 6= = P[A] · P[B] · P[C]. 4 8 Die Beziehungen (3.18b) - (3.18d) zeigen, daß die Ereignisse A, B und C paarweise unabhängig sind. Aufgrund von (3.18e) sind sie allerdings nicht unabhängig. Die Unabhängigkeit zweier Ereignisse bedeutet nicht, daß sie nichts miteinan” der zu tun haben“. So sind wegen (3.18c) die Ereignisse A und C zwar unabhängig, (3.18b) P[A ∩ B] = P[{(1, 1)}] = = P[A](1 − P[B]). | {z } = P[Ω \ B] 3.119Für A ⊆ Ω bezeichnet I mit A IA (ω) = ( 1, 0, ω ∈ A, ω ∈ Ω \ A, die Indikatorfunktion von A. 3.120Beachte, daß die Ereignisse A , A , . . . unabhängig sind, wenn die in (3.17) beschriebene 1 2 Faktorisierungseigenschaft nicht nur für zwei sondern für jeweils endlich viele A... ’s gilt, vgl. (3.16). 3.121Vgl. Beispiel 2.5. 3.122A beschreibt das Ereignis, daß der erste Wurf Zahl“ , 1 ergibt. ” 3.123 B beschreibt das Ereignis, daß der zweite Wurf Zahl“ ergibt. ” 3.124 C beschreibt das Ereignis, daß die Ergebnisse der beiden Würfe übereinstimmen. 25. Juli 2011 58 allerdings kann, wenn bekannt ist, daß A geschieht, das Ereignis C nur eintreten, wenn der zweite Wurf Zahl“ , 1 ergibt 3.125. ” 3.2.4. Verteilung von Summen unabhängiger Zufallsvariablen. 3.126 Für unabhängige, reellwertige Zufallsvariablen X und Y ist die Verteilung der Summe X + Y zu bestimmen 3.127. Zur Vereinfachung der Berechnungen werden im folgenden zwei Spezialfälle betrachtet, wobei sowohl X als auch Y Zufallsvariablen mit Werten in Z 3.128, bzw. Zufallsvariablen mit einer Dichte bzgl. des Lebesguemaßes auf R sind. Falls die unabhängigen Zufallsvariablen X und Y Werte in Z annehmen, gilt: "•∞ # [ 3.129 P[X + Y = m] = P (3.19) {X = n, Y = m − n} n=−∞ = = ∞ X 3.130 3.131 n=−∞ ∞ X n=−∞ P[X = n, Y = m − n] P[X = n]P[Y = m − n], m ∈ Z. Die Faltung p ∗ q zweier reellwertiger Sequenzen p = (pn )n∈Z und q = (qn )n∈Z ist durch (3.20) (p ∗ q)m := = ∞ X pn qm−n n=−∞ 3.132 ∞ X pm−l ql = l=−∞ 3.133 (q ∗ p)m , m ∈ Z, definiert. Daher zeigt (3.19), daß die Verteilung PX+Y der Summe zweier unabhängiger, Z-wertiger Zufallsvariablen X und Y die Faltung von PX und PY ist. 3.125Von einem intuitiven Standpunkt aus sind zwei Ereignisse D und E stochastisch unabhängig, wenn das Wissen über das Eintreten von D (bzw. E) die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von E (bzw. D) nicht ändert. Mathematisch rigoros bedeutet dies, daß P[E|D] = P[E] (bzw. P[D|E] = P[D]), wobei P[E|D] die bedingte Wahrscheinlichkeit des Ereignisses E unter der Bedingung D bezeichnet, vgl. Abschnitt 8.1. 3.126 In vielen Anwendungen ist eine zufällige Beobachtungsgröße, d.h. eine reellwertige Zufallsvariable X, eine Summe von mehreren unabhängigen, kleineren Beiträgen X1 , . . . , Xn . Oft treten diese nicht als individuelle Größen, sondern nur als Bestandteil von X in Erscheinung. Beispielsweise kann X ein Gesamtertrag (eine Gesamtwartezeit) sein, der (die) als Summe X = X1 + · · · + Xn einzelner Erträge (Wartezeiten) darstellbar ist. In diesem Abschnitt 3.2.4 soll geklärt werden, wie aus den Verteilungen von X1 , . . . , Xn die Verteilung von X berechnet werden kann. 3.127Die Verteilung beliebiger endlicher Summen unabhängiger, reellwertiger Zufallsvariablen kann anschließend mit einem Iterationsverfahren bestimmt werden. 3.128Somit sind in diesem Fall X und Y diskrete Zufallsvariablen. •∞ 3.129S n=−∞ {X = n, Y = m − n} ist eine disjunkte Zerlegung des Ereignisses {X + Y = m}. 3.130 Wegen der σ-Additivität von P. 3.131 Da X und Y unabhängig sind. 3.132Mit der Substitution l = m − n. 3.133 Die Faltung ist somit kommutativ, d.h., p ∗ q = q ∗ p. 25. Juli 2011 59 Beispiel 3.10. Wenn Folgen führt (3.20) zu (3.21) (p ∗ q)m = ∞ X n=−∞ 3.134 p = (pn )n∈N0 und q = (qn )n∈N0 gefaltet werden, pn qm−n IN0 (n)IN0 (m − n) = m X pn qm−n , n=0 m ∈ N0 . Für die Verteilung der Summe X + Y zweier unabhängiger, geometrisch 3.135 mit Parameter p ∈ (0, 1) verteilter Zufallsvariablen X und Y ergibt sich daher insbesondere P[X + Y = m] = 3.136 m X n=0 P[X = n] P[Y = m − n] | {z } = 3.137 (1 − p)n p = (m + 1) p2 (1 − p)m , | {z } m+1 = m m ∈ N0 . Somit ist die Verteilung von X + Y eine negative Binomialverteilung Parametern r = 2 und p. 3.138 mit den Falls die Verteilungen unabhängiger, reellwertiger Zufallsvariablen X und Y Dichten f , bzw. g bzgl. des Lebesguemaßes besitzen, so ist (3.22) P[X + Y ≤ z] = 3.139 = 3.140 = Z Z ∞ dx −∞ z z −∞ Z −∞ du Z ∞ −∞ ∞ Z −∞ dy I(−∞,z] (x + y)f (x)g(y) dv f (v)g(u − v) du (f ∗ g)(u), z ∈ R, wobei (3.23) (f ∗ g)(u) = Z ∞ −∞ dv f (v)g(u − v) = (g ∗ f )(u), u ∈ R, die Faltung der Wahrscheinlichkeitsdichten f und g bezeichnet. 3.134Durch solche Folgen sind z.B. die Verteilungen N -wertiger Zufallsvariablen bestimmt. 0 3.135Hier ist die in Fußnote 2.35 beschriebene Variante der geometrischen Verteilung gemeint. 3.136Vgl. (3.19) und (3.21). 3.137Vgl. Fußnote 2.35. 3.138Vgl. Abschnitt 2.2. 3.139Da die gemeinsame Verteilung von X und Y die Dichte f · g hat, vgl. Abschnitt 3.2.2. 3.140 Mit der Substitution u = x + y, v = x. 25. Juli 2011 60 Aus (3.22) und (3.23) kann geschlossen werden, daß die Summe X + Y zweier unabhängiger, reellwertiger Zufallsvariablen X und Y mit Dichten f , bzw. g ebenfalls eine Dichte besitzt, nämlich f ∗ g 3.141 3.142 3.143. Beispiel 3.11. Die Zufallsvariablen X1 und X2 seien unabhängig mit den Verteilungen 3.144 N(µi , σi2 ), i = 1, 2. Dann besitzt X + Y die Verteilung N(µ1 + µ2 , σ12 + σ22 ) 3.145. 3.2.5. Gleichheitsbegriffe für Zufallsvariablen. 3.146 In diesem Abschnitt werden zwei verschiedene Gleichheitsbegriffe für Zufallsvariablen vorgestellt. Gleichheit in Verteilung. Seien X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) und Y : (Ω1 , F1 , P1 ) → (Ω′ , F′ ) Zufallsvariablen 3.147. Wenn X und Y die gleiche Verteilung besitzen, d.h., wenn 3.148 PX = PY , bzw. PX [A′ ] = P[X ∈ A′ ] = 3.149 P1 [Y ∈ A′ ] = PY [A′ ], A′ ∈ F′ , 3.141In (3.22) wird die Verteilungsfunktion F X+Y der Zufallsvariable X + Y berechnet. All- gemein ist die Verteilungsfunktion FZ : R → [0, 1] einer reellwertigen Zufallsvariable Z durch FZ (ζ) = P[Z ≤ ζ] = PZ [(−∞, ζ]], ζ ∈ R, definiert, vgl. Abschnitt 3.3. Durch FZ ist die Verteilung PZ von Z eindeutig bestimmt. 3.142 Die in (3.20), (3.21) oder (3.23) beschriebenen Faltungen sind Spezialfälle der Faltung von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf R, die durch (P ∗ Q)[A] = Z R P(dx)Q[A − x], A ∈ B(R), P, Q Wahrscheinlichkeitsmaße auf (R, B(R)), mit A − x = {y ∈ R : y = a − x für ein a ∈ A} definiert ist. Allgemein ist die Verteilung PX+Y einer Summe X + Y unabhängiger, reellwertiger Zufallsvariablen X und Y mit den Verteilungen PX , bzw. PY durch deren Faltung gegeben, d.h., PX+Y = PX ∗ PY . 3.143 Die Berechnung von Faltungen wie in (3.20), (3.21), (3.23) oder auch im allgemeinen, in Fußnote 3.142 betrachteten Fall kann wesentlich vereinfacht werden, wenn erzeugende bzw. charakteristische Funktionen verwendet werden. Insbesondere ist die charakteristische Funktion ψZ : R → C einer reellwertigen Zufallsvariable Z durch ψZ (λ) = E[exp(iλZ)], λ ∈ R, definiert. Durch ψZ ist die Verteilung PZ von Z eindeutig bestimmt. Für unabhängige Zufallsvariablen X und Y gilt außerdem die Faktorisierungseigenschaft ψX+Y (λ) = ψX (λ) · ψY (λ), λ ∈ R, vgl. (9.3). Somit brauchen in einem solchen Fall zur Identifizierung der Verteilung PX+Y von X + Y nur die charakteristischen Funktionen ψX und ψY multipliziert werden. 3.144N(µ, σ2 ) ist die Normalverteilung mit Erwartungswert µ ∈ R und Varianz σ2 > 0, vgl. Abschnitt 2.6. 3.145Ein Beweis dieser Aussage mit der Berechnung eines Integrals wie in (3.23) findet sich in [10], Satz 11.9. Wenn allerdings charakteristische Funktionen, vgl. Fußnote 3.143, benutzt werden, wird die Folgerung dieses Beispiels 3.11 trivial“. Da als Folge von (9.5) und (9.6) eine Zufallsvariable Z mit ” PZ = N(µ, σ2 ) die charakteristische Funktion ψZ (λ) = exp(iλµ − λ2 σ2 /2), λ ∈ R, besitzt, folgt mit der Unabhängigkeit von X1 und X2 und (9.3) die Beziehung ψX1 +X2 (λ) = ψX1 (λ)ψX2 (λ) = exp(iλ(µ1 + µ2 ) − λ2 (σ12 + σ22 )/2), λ ∈ R, d.h., PX1 +X2 = N(µ1 + µ2 , σ12 + σ22 ). 3.146 Die Zufallsvariablen Tk , k = 1, 2, . . . , in Beispiel 3.6 sind identisch verteilt, d.h., sie besitzen die gleiche Verteilung und sind daher in einem speziellen Sinn gleich“. Andererseits sind ” sie zumindest für p > 0 natürlich unterschiedliche Zufallsvariablen. Nur für p = 0 gilt Tk = T1 für alle k ∈ N. Somit gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Gleichheit zwischen zwei Zufallsvariablen zu definieren. 3.147Die Definitionsbereiche (Ω, F, P), bzw. (Ω , F , P ) der Zufallsvariablen X und Y 1 1 1 können verschieden sein. Allerdings besitzen X und Y den gleichen Wertebereich (Ω′ , F′ ). 3.148Die Verteilung P einer Zufallsvariable X wird in (3.3) definiert. X 25. Juli 2011 61 so bezeichnet man X und Y als gleich in Verteilung oder identisch verteilt. Man schreibt 3.150 L d X = Y oder X = Y. Fast-sichere Gleichheit. Seien X, Y : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) Zufallsvariablen Man bezeichnet X und Y als fast-sicher gleich und schreibt 3.151 . X = Y, f.s., wenn 3.152 3.153 P[X = Y ] = P[{ω ∈ Ω : X(ω) = Y (ω)}] = 1. Zwei Zufallsvariablen, die auf dem gleichen Wahrscheinlichkeitsraum definiert sind und fast-sicher gleich sind, werden üblicherweise miteinander identifiziert, d.h. als identisch betrachtet. d Bemerkungen 3.12. (i) Wenn X = Y , f.s., so folgt X = Y . Wenn umgekehrt d X = Y , so braucht X = Y , f.s., nicht zu gelten 3.154. (ii) Die unterschiedlichen Gleichheitsbegriffe deuten an, daß es auch verschiedene Konvergenzbegriffe für Zufallsvariablen gibt 3.155. 3.3. Verteilungsfunktionen reellwertiger Zufallsvariablen Die Verteilung 3.156 einer Zufallsvariable X : (Ω, F, P) → (R, B(R)) ist eindeutig bestimmt durch die Größen 3.157 PX [A′ ] = P[X ∈ A′ ], A′ ⊆ R, A′ Intervall 3.158 . Insbesondere ist es ausreichend, die Intervalle (−∞, y], y ∈ R, zu betrachten. Dementsprechend führt man zur eindeutigen Charakterisierung der Verteilung einer (R, B(R))-wertigen Zufallsvariable X deren Verteilungsfunktion FX : R → [0, 1] mit (3.24) FX (y) = PX [(−∞, y]] = P[X ≤ y], y ∈ R, ein. 3.149Es ist hier zu beachten, daß die Zufallsvariable Y eine Funktion auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω1 , F1 , P1 ) ist. L d 3.150Die Notationen = und = erinnern an die englischen Bezeichnungen law und distribution für Verteilung. 3.151Nun sind X und Y auf dem gleichen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definiert. 3.152Die Menge A = {ω ∈ Ω : X(ω) 6= Y (ω)} braucht nicht leer zu sein. Allerdings muß P[A] = 0 sein, wenn X = Y , f.s. 3.153 Auf eine analoge Weise ist die Bedeutung von Ausdrücken wie X 6= Y , f.s., oder X ≤ Y , f.s., definiert. 3.154Diese Aussage kann z.B. mit Hilfe der Zufallsvariablen T , k = 1, 2, . . . , in Beispiel 3.6 k im Fall p > 0 begründet werden. Wenn X und Y auf verschiedenen Wahrscheinlichkeitsräumen definiert sind, so macht es sowieso überhaupt keinen Sinn zu fragen, ob X = Y , f.s. 3.155 Beim schwachen Gesetz der großen Zahlen, beim starken Gesetz der großen Zahlen und beim Zentralen Grenzwertsatz, drei Hauptresultaten der Wahrscheinlichkeitstheorie, werden in der Tat die unterschiedlichen Konvergenzbegriffe der stochastischen Konvergenz, der fast-sicheren Konvergenz, bzw. der Konvergenz in Verteilung verwendet, vgl. Beispiel 1.7 und 1.8 und insbesondere Satz 7.1, Bemerkung 7.2 und Satz 9.3. Die genannten drei Konvergenzbegriffe werden in Abschnitt 6.8 gegenübergestellt. 3.156 Vgl. (3.3). 3.157Vgl. [5], Satz (1.12). Man beachte, daß die Menge der offenen (oder abgeschlossenen oder . . . ) Intervalle durchschnittsstabil ist. 3.158Es reicht, offene, bzw. abgeschlossene, bzw. halboffene Intervalle zu betrachten. 25. Juli 2011 62 3.3.1. Eigenschaften von Verteilungsfunktionen. Die Verteilungsfunktion FX einer reellwertigen Zufallsvariable X zeichnet sich durch die folgenden Eigenschaften aus: (i) Es gilt (3.25) PX [(a, b]] = 3.159 = 3.160 P[X ∈ (a, b]] P[X ≤ b] − P[X ≤ a] = FX (b) − FX (a), (ii) FX ist monoton wachsend, d.h., 3.161 FX (a) ≤ FX (b), (3.26) −∞ < a < b < ∞. −∞ < a < b < ∞. (iii) Das Verhalten der Funktion FX an den Rändern ihres Definitionsbereichs R wird durch 3.162 (3.27) lim FX (y) = 0, y→−∞ beschrieben. (iv) FX ist rechtsstetig, d.h., (3.28) 3.163 lim FX (y) yցy0 lim FX (y) = 1 y→∞ 3.164 = FX (y0 ), (v) FX besitzt linksseitige Grenzwerte, d.h., (3.29) lim FX (y) 3.166 yրy0 y0 ∈ R. 3.165 − = P[X < y0 ] =: FX (y0 ), y0 ∈ R. Es gilt: (3.30) FX (y0 ) − − FX (y0 ) ≤ FX (y0 ), − (y0 ) FX y0 ∈ R, = P[X = y0 ] = PX [{y0 }], y0 ∈ R. Somit ist FX in y0 ∈ R genau dann stetig, wenn y0 kein Atom 3.167 von PX ist 3.168. (vi) Besitzt PX eine stetige Dichte 3.169 f bzgl. des Lebesguemaßes auf R, so folgt Z y dx f (x), y ∈ R, (3.31) FX (y) = PX [(−∞, y]] = −∞ 3.159Es werden hier spezielle, halboffene Intervalle betrachtet. 3.160Da sich aus der Additivität von P, vgl. (2.10), P[X ≤ a] + P[X ∈ (a, b]] = P[X ≤ b] ergibt. 3.161Zur Begründung beachte man, daß die linke Seite von (3.25) immer ≥ 0 ist. 3.162Die Eigenschaften (3.27), (3.28) und (3.29) von Verteilungsfunktionen können aus gewissen Stetigkeitseigenschaften von Wahrscheinlichkeitsmaßen abgeleitet werden, vgl. [5], Satz (1.11)(e). 3.163Vgl. Fußnote 3.162. 3.164Mit lim yցy0 . . .“ wird der Grenzwert bei monoton gegen y0 fallenden y beschrieben. 3.165Vgl. ”Fußnote 3.162. 3.166Mit lim yրy0 . . .“ wird der Grenzwert bei monoton gegen y0 steigenden y beschrieben. 3.167Der ” Begriff Atom wird in Bemerkung 2.8(ii) eingeführt. 3.168M.a.W., F hat genau in den Atomen von P Sprungstellen. Die Wahrscheinlichkeit X X eines Atoms von PX gibt die Größe des entsprechenden Sprungs von FX an. 3.169Vgl. Abschnitt 2.6. 25. Juli 2011 63 ′ d.h., 3.170 f = FX . Wenn umgekehrt FX eine stetige Ableitung f besitzt, so hat FX die Darstellung (3.31) und folglich PX die Dichte f bzgl. des Lebesguemaßes 3.171 3.172. 3.3.2. Beispiele für Verteilungsfunktionen. Die Struktur und die Anwendungsmöglichkeiten von Verteilungsfunktionen reellwertiger Zufallsvariablen werden in diesem Abschnitt 3.3.2 anhand einiger Beispiele erläutert. Beispiel 3.13. Sei X eine in [a, b] gleichverteilte Zufallsvariable 3.173. PX besitzt somit die Dichte f (y) = (b − a)−1 I[a,b] (y), y ∈ R. In diesem Fall ist FX (y) = 3.174 PX (−∞, y] 0, y < a, Z y y − a , y ∈ [a, b), = 3.175 dz f (z) = 3.176 b−a −∞ 1, y ≥ b. Beispiel 3.14. SeiP A eine höchstens abzählbare Teilmenge von R und seien pa ∈ (0, 1], a ∈ A, mit a∈A pa = 1. Sei außerdem X eine A-wertige Zufallsvariable mit 3.177 3.178 (3.32) P[X = a] = 3.179 PX [{a}] = 3.180 pa , a ∈ A. 3.170Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung. 3.171Man beachte, daß f = F ′ ≥ 0 wegen der Monotonie von F , vgl. (3.26), und daß X X Z ∞ −∞ dx f (x) = lim y→∞ Z y dx f (x) = lim FX (y) = 1, −∞ y→∞ ′ eine Wahrscheinlichkeitsdichte. = FX FX ist immer stetig, wenn PX eine Dichte vgl. (3.27). Somit ist in der Tat f 3.172 Die Verteilungsfunktion bzgl. des Lebesguemaßes auf R hat. Umgekehrt gibt es allerdings auch Zufallsvariablen X mit einer stetigen Verteilungsfunktion FX , deren Verteilung PX weder eine Dichte besitzt noch diskret ist. In solchen Fällen ist FX nicht absolutstetig. Allgemein besitzt die Verteilung PX einer reellwertigen Zufallsvariable X genau dann eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes auf R, wenn die Verteilungsfunktion FX absolutstetig ist. Hierbei heißt eine P Funktion h : R → R absolutstetig, wenn für alle K > 0 zu ε > 0 ein n δ > 0 existiert, so daß < ε für jede endliche Menge (ck , dk ), k = 1, . . . , n, k=1 |h(dk ) − h(ck )|P disjunkter, offener Intervalle in [−K, K] mit n k=1 |dk − ck | < δ. Der Hauptsatz der Differentialund Integralrechnung besagt, daß zu jeder absolutstetigen Funktion h : R → R eine Funktion R R h′ : R → R mit ab dx |h′ (x)| < ∞ und h(b) = h(a) + ab dx h′ (x), −∞ < a < b < ∞, existiert. Für weitere Informationen zu absolutstetigen Funktionen sei auf [8], § 18, verwiesen. Für eine reellwertige Zufallsvariable X mit absolutstetiger Verteilungsfunktion FX ist somit ′ die Dichte der Verteilung P FX X von X bzgl. des Lebesguemaßes. 3.173D.h., P ist die Gleichverteilung auf [a, b], vgl. Abschnitte 2.4.1 und 2.6. X 3.174Nach der Definition (3.24) der Verteilungsfunktion F einer reellwertigen ZufallsvariaX ble X. 3.175 Da PX die Dichte f besitzt. 3.176 Links von a ist FX ≡ 0, während FX ≡ 1 rechts von b. Zwischen a und b steigt FX linear an. 3.177X ist eine diskrete, reellwertige Zufallsvariable. Ihre Verteilung P ist auf der Menge X A ihrer Atome konzentriert, vgl. Bemerkung 2.8(ii). 3.178 Man könnte sich hier wie in Abschnitt 3.1.1 die Frage stellen, ob eine derartige Zufallsvariable X überhaupt existiert. Um diese Frage mit ja“ beantworten zu können, kann man ” beispielsweise durch Modifikation der ersten in Abschnitt 3.1.1 beschriebenen Methode folgendermaßen eine solche Zufallsvariable konstruieren: Man betrachtet den diskreten WahrscheinlichkeitsP raum (A, Pot(A), P1 ), wobei P1 [A′ ] = a∈A′ pa , A′ ∈ Pot(A), und definiert X durch X(ω) = ω, ω ∈ A. 25. Juli 2011 64 Es folgt nun 3.181 : FX (y) = PX (−∞, y] X = 3.182 PX [{a}] = X a∈A∩(−∞,y] a∈A∩(−∞,y] pa , y ∈ R. Beispiel 3.15. Sei zunächst X eine reellwertige Zufallsvariable auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Die Verteilung von X habe eine stetige Dichte ψ. Nun ist Z = X 2 eine positive reellwertige Zufallsvariable auf (Ω, F, P) 3.183. Es zeigt sich, daß y ≤ 0, FZ (y) = 0, FZ (y) = P[Z ≤ y] = P X 2 ∈ [0, y] Z √y √ √ = P X ∈ [− y, y] = √ dζ ψ(ζ), y > 0. − y Insbesondere besitzt auch die Verteilung PZ von Z eine Dichte, nämlich ϕ mit 0, y ≤ 0, 1 √ √ ϕ(y) = 3.184 ′ FZ (y) = √ ψ(− y) + ψ( y) , y > 0. 2 y Beispiel 3.16 (Dichtetransformation 3.185). Sei X eine reellwertige Zufallsvariable, deren Verteilung eine stetige Dichte ψ hat. Weiterhin sei H : R → R stetig differenzierbar und streng monoton steigend mit limx→−∞ H(x) = −∞ und limx→∞ H(x) = ∞. Insbesondere sei H ′ (x) > 0, x ∈ R. Somit besitzt die Funktion H eine streng monoton steigende und stetig differenzierbare Inverse H −1 : R → R mit 3.186 1 , x ∈ R. (3.33) (H −1 )′ (x) = ′ −1 H (H (x)) 3.179Aufgrund der Definition (3.3) der Verteilung P von X. X 3.180 3.181 der Form Dies ist eine Annahme, die in diesem Beispiel gemacht wird. Wenn beispielsweise A = {ak : k ∈ N} mit −∞ < a1 < a2 < · · · < ∞, kann FX auch in FX (y) = 0, P 1, k≤m−1 pak , y < a1 , y ∈ [am−1 , am ), m = 2, 3, . . . , y ≥ sup{ak : k ∈ N}, geschrieben werden. Eine derart übersichtliche Struktur hat die Verteilungsfunktion FX natürlich nicht für jede diskrete reellwertige Zufallsvariable X. Wenn z.B. X eine Q-wertige Zufallsvariable ist und wenn P[X = q] > 0 für alle q ∈ Q, liegen die Sprungstellen von FX dicht in R und es gibt kein nichtleeres offenes Intervall, in dem FX konstant ist. 3.182Vgl. Bemerkung 2.8(i). 3.183Die Meßbarkeitsbedingung (3.1) läßt sich für die reellwertige Funktion Z auf (Ω, F, P) leicht nachprüfen. 3.184Vgl. Abschnitt 3.3.1(vi). Die Tatsache, daß F ′ (y) für y = 0 nicht existiert, ist letztZ endlich nicht problematisch, da die Funktion FZ absolutstetig ist und daher dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung genügt, vgl. Fußnote 3.172. 3.185 In diesem Beispiel wird erläutert, wie die Dichte einer Zufallsvariable X transformiert wird, wenn X durch H(X) ersetzt wird, wobei H eine glatte“, evtl. nichtlineare Abbildung ist. 3.186Wenn die Identität H(H −1 (x)) = x, x ∈ R, ”auf beiden Seiten differenziert wird, folgt ′ H (H −1 (x))(H −1 )′ (x) = 1, x ∈ R, woraus (3.33) geschlossen werden kann. 25. Juli 2011 65 Die Verteilungsfunktion FZ der Zufallsvariable die Darstellung FZ (y) = P[H(X) ≤ y] = P[X ≤ H −1 (y)] = Z 3.187 Z = H(X) hat in diesem Fall H −1 (y) dx ψ(x), −∞ y ∈ R. Da FZ′ (y) = ψ(H −1 (y))(H −1 )′ (y) = 3.188 ψ(H −1 (y)) besitzt die Verteilung PZ von Z die Dichte ψH mit (3.34) ψH (y) = ψ(H −1 (y)) , H ′ (H −1 (y)) Für a > 0 und b ∈ R ist insbesondere (3.35) ψH (y) = 1 , H ′ (H −1 (y)) y ∈ R, 3.189 y ∈ R. 3.190 y−b 1 , ψ a a y ∈ R, die Dichte der Zufallsvariable H(X) = aX + b. Die in Abschnitt 3.3.1 aufgeführten Eigenschaften einer Verteilungsfunktion lassen sich in den in den Beispielen 3.13 - 3.16 vorgestellten Fällen leicht nachprüfen. Insbesondere ist in Beispiel 3.14 die Verteilungsfunktion FX rechtsstetig und besitzt linksseitige Grenzwerte, ist aber nicht stetig 3.191. Hingegen sind die Verteilungsfunktionen FX und FZ in den Beispielen 3.13, 3.15 und 3.16 stetig. 3.3.3. Simulation einer Folge von i.i.d. Zufallsvariablen mit einer Dichte. 3.192 Es sei mit Hilfe eines Computers eine Folge X1 , X2 , . . . von unabhängigen, reellwertigen Zufallsvariablen, die die Verteilung µ = PX1 = PX2 = . . . besitzen, zu simulieren. Hierbei sei angenommen, daß µ eine Dichte f > 0 besitzt. Damit ist die Verteilungsfunktion 3.193 3.194 Fµ : R → (0, 1) von µ stetig und streng monoton steigend. Als Konsequenz besitzt Fµ eine stetige und streng monoton steigende Umkehrfunktion Fµ−1 : (0, 1) → R. 3.187Wenn X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F ′ ) eine Zufallsvariable und ϕ : (Ω′ , F ′ ) → (Ω′′ , F ′′ ) meßbar ist, so ist auch ϕ ◦ X = ϕ(X) : (Ω, F, P) → (Ω′′ , F′′ ) eine Zufallsvariable. 3.188Wegen (3.33). 3.189Vgl. Abschnitt 3.3.1(vi). Wenn nur |H ′ (x)| = 6 0, x ∈ R, verlangt wird, ergibt sich ψH (y) = ψ(H −1 (y)) , |H ′ (H −1 (y))| y ∈ R, als Dichte der Verteilung der Zufallsvariable Z = H(X). 3.190Nun ist H(x) = ax + b, x ∈ R, bzw. H −1 (y) = (y − b)/a, y ∈ R. 3.191In jedem a ∈ A besitzt F einen Sprung der Größe p . a X 3.192Zufallsvariablen X , X , . . . , die alle die gleiche Verteilung besitzen, werden als identisch 1 2 verteilt bezeichnet. Wenn solche Zufallsvariablen auch unabhängig sind, wird die Notation i.i.d. benutzt, vgl. die Ausführungen nach (3.8). Während die Simulation von diskreten i.i.d. Zufallsvariablen in Beispiel 3.4 diskutiert wird, sollen nun die zu simulierenden Zufallsvariablen eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes auf R besitzen, vgl. Abschnitt 2.6. 3.193Die Verteilungsfunktion F eines Wahrscheinlichkeitsmaßes µ ist analog zur Verteiµ lungsfunktion einer Zufallsvariable zu definieren, d.h., Fµ (x) = µ[(−∞, x]], x ∈ R. Insbesondere ist unter der Verteilungsfunktion Fµ eines Wahrscheinlichkeitsmaßes µ die Verteilungsfunktion einer Zufallsvariable X mit der Verteilung R x PX = µ zu verstehen. 3.194 dy f (y) = Fµ (x) < 1, x ∈ R, vgl. Abschnitt 3.3.1(vi). Da f (y) > 0, y ∈ R, ist 0 < −∞ Die Werte 1 und 0 werden durch Fµ asymptotisch bei x → ±∞ angenommen, vgl. Abschnitt 3.3.1(iii). 25. Juli 2011 66 Seien nun U1 , U2 , . . . unabhängige, (0, 1)-wertige, gleichverteilte 3.195 Zufallsvariablen. Dann sind Fµ−1 (U1 ), Fµ−1 (U2 ), . . . unabhängige, identisch verteilte Zufallsvariablen. Da (3.36) P[Fµ−1 (Uk ) ≤ y] = 3.196 = 3.197 P[Uk ≤ Fµ (y)] Z Fµ (y) dx = Fµ (y), 0 y ∈ R, k = 1, 2, . . . , besitzen diese Zufallsvariablen die Verteilungsfunktion Fµ und somit die Verteilung µ 3.198 3.199 3.200. Wie in Beispiel 3.4 sei jetzt x1 , x2 , . . . eine durch einen Computer erzeugte unabhängige Folge in [0, 1] gleichverteilter“ Pseudozufallszahlen. Die Überlegungen ” in (3.36) deuten an, daß durch die transformierten Zufallszahlen Fµ−1 (x1 ), Fµ−1 (x2 ), . . . unabhängige Zufallsvariablen mit der Verteilung µ simuliert werden können. Die vorgestellte Simulationsmethode wird aufgrund der Verwendung der Inversen der Verteilungsfunktion als Inversionsmethode bezeichnet 3.201. 3.3.4. Quantile reellwertiger Zufallsvariablen. 3.202 Sei X eine (R, B(R))wertige Zufallsvariable 3.203 und α ∈ (0, 1). Ein qα ∈ R mit P[X ≤ qα ] ≥ α | {z } = FX (qα ) (3.37) und P[X ≥ qα ] ≥ 1 − α 3.195Die Zufallsvariablen U , U , . . . sind somit i.i.d. und in (0, 1) gleichverteilt. 1 2 3.196Da F streng monoton steigend ist. µ 3.197 Vgl. Abschnitt 3.3.1(vi). Hier wird benutzt, daß die Gleichverteilung auf (0, 1) die Dichte I(0,1) (.) hat. 3.198Da die Verteilung einer reellwertigen Zufallsvariablen durch ihre Verteilungsfunktion eindeutig bestimmt ist. 3.199Die bisher in diesem Abschnitt 3.3.3 präsentierten Überlegungen zeigen, wie eine i.i.d. Folge von Zufallsvariablen mit einer vorgegebenen, strikt positiven Dichte mit Hilfe einer i.i.d. Folge von in (0, 1) gleichverteilten Zufallsvariablen konstruiert werden kann. 3.200 (3.36) zeigt, daß die Zufallsvariablen Fµ−1 (Uk ), k = 1, 2, . . . , die Verteilung µ und daher die Dichte f haben. Dieses Resultat kann auch mit Hilfe von Beispiel 3.16 begründet werden. Allerdings ist diese Begründung nur formal, da die in Beispiel 3.16 angegebenen Voraussetzungen nicht alle erfüllt sind. Zu dieser Begründung von (3.36) sei H = Fµ−1 und U eine in (0, 1) gleichverteilte Zufallsvariable. U hat somit die Dichte ψ = I(0,1) . Da nun H −1 = Fµ und 1 (vgl. (3.33)) (Fµ )′ (Fµ−1 (x)) 1 , x ∈ (0, 1), (da (Fµ )′ = f ) = f (Fµ−1 (x)) H ′ (x) = (Fµ−1 )′ (x) = führen (3.34), Fµ−1 (Fµ (y)) = y, y ∈ R, und Fµ (.) ∈ (0, 1) zu ψH (y) = I(0,1) (Fµ (y)) ψ(H −1 (y)) = = f (Fµ−1 (Fµ (y))) = f (y), H ′ (H −1 (y)) (Fµ−1 )′ (Fµ (y)) y ∈ R, d.h., H(U ) = Fµ−1 (U ) hat die Dichte f . 3.201Eine Diskussion dieser und anderer Verfahren zur Simulation von Zufallsvariablen findet sich in [7], Abschnitt 10.2. Dort wird insbesondere auch eine allgemeinere Form der Inversionsmethode betrachtet, mit welcher die Simulation von reellwertigen Zufallsvariablen mit beliebiger Verteilung möglich ist. Die in Beispiel 3.4 vorgestellte Methode zur Simulation diskreter, N-wertiger Zufallsvariablen ist übrigens auch eine Variante jener allgemeinen Inversionsmethode. 3.202 Quantile werden in der Statistik, insbesondere auch zur Bestimmung von Konfidenzintervallen benötigt, vgl. z.B. Beispiel 4.7. 3.203Wie häufig in der Wahrscheinlichkeitstheorie findet der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), auf dem eine Zufallsvariable X definiert ist, keine Beachtung. 25. Juli 2011 67 wird als α-Quantil von X bezeichnet 3.204. Ein 1/2-Quantil wird auch Median genannt. Ein α-Quantil qα einer Zufallsvariable X ist dadurch gekennzeichnet, daß X mit mindestens der Wahrscheinlichkeit α (1 − α) einen Wert ≤ qα (≥ qα ) annimmt 3.205. Quantile sind i. allg. nicht eindeutig. Wenn z.B. P[X ≤ a] = α′ und P[X ∈ (a, b]] = 0 für −∞ < a < b < ∞, so sind alle q ∈ [a, b] offensichtlich α′ -Quantile von X. Andererseits, wenn die Verteilungsfunktion FX von X streng monoton wachsend ist 3.206, so sind alle Quantile eindeutig bestimmt. Beispiel 3.17. Sei X eine exponentiell mit Parameter λ > 0 verteilte Zufallsvariable 3.207, d.h., 0, y ≤ 0, Z y FX (y) = λ dx exp(−λx) = 1 − exp(−λy), y > 0. 0 Da FX in [0, ∞) streng monoton von 0 nach 1 anwächst, ist für jedes α ∈ (0, 1) das α-Quantil qα von X eindeutig bestimmt und erfüllt α = FX (qα ) = 1 − exp(−λqα ), d.h., 1 1 1 , α ∈ (0, 1). qα = − log(1 − α) = log λ λ 1−α Beispiel 3.18. Sei X eine reellwertige Zufallsvariable und α ∈ (0, 1). Dann ist 3.208 (3.38) qf α := inf y ∈ R : P[X ≤ y] = FX (y) ≥ α das kleinste α-Quantil von X 3.209 3.210 . 3.204Auf eine analoge Weise definiert man α-Quantile von Wahrscheinlichkeitsmaßen. 3.205Ein Median wird von X mit mindestens der Wahrscheinlichkeit 1/2 unter-, bzw. über- schritten. Daher kann ein Median von X auch als eine Art mittlerer Wert von X“ betrachtet ” werden. 3.206Dies ist z.B. der Fall, wenn X eine strikt positive Dichte hat. 3.207Vgl. Abschnitt 2.6. 3.208Wenn die Rechtsstetigkeit von F berücksichtigt wird, wird deutlich, daß q f α die kleinste X Stelle ist, an der FX den Wert α erreicht oder überschreitet. 3.209Zur Begründung betrachte man zunächst y > y > · · · > qf mit lim f α n→∞ yn = q α. 1 2 Dann gilt: (∗1 ) P[X ≤ qf α] | {z } = FX (f qα ) = lim P[X ≤ yn ] (da FX rechtsstetig ist, vgl. Abschnitt 3.3.1(iv)) n→∞ | {z } = FX (yn ) ≥ α ≥ α. (da yn > qf α und weil FX monoton steigend ist, vgl. Abschnitt 3.3.1(ii)) Nun sei y1 < y2 < · · · < qf f α mit limn→∞ yn = q α . Es ergibt sich zuerst − P[X < qf qα ) = lim P[X ≤ yn ] (vgl. Abschnitt 3.3.1(v)) α ] = FX (f n→∞ | {z } < α (da yn < qf α und wegen (3.38)) ≤α und anschließend (∗2 ) P[X ≥ qf f α ] = 1 − P[X < q α ] ≥ 1 − α. Wegen (∗1 ) und (∗2 ) ist (3.37) für qf f α erfüllt, d.h., q α ist in der Tat ein α-Quantil. Aufgrund von (3.38) ist es jetzt offensichtlich, daß qf α das kleinste α-Quantil ist. 3.210 Da limy→−∞ FX (y) = 0, bzw. limy→∞ FX (y) = 1, vgl. Abschnitt 3.3.1(iii), ist nun insbesondere auch die Existenz eines α-Quantils für alle α ∈ (0, 1) bewiesen. 25. Juli 2011 68 Beispiel 3.19 (∗) (Quantile einer diskreten Gleichverteilung 3.211). Für L ∈ Z und M ∈ N sei PL,M die Gleichverteilung auf {L, L + 1, . . . , L + M } 3.212. Zur Bestimmung der α-Quantile von PL,M reicht es, den Fall L = 0 zu behandeln, denn qα ist genau dann ein α-Quantil von P0,M auf {0, 1, . . . , M }, wenn qα + L ein α-Quantil von PL,M auf {L, L + 1, . . . , L + M } ist 3.213. Zunächst ist 0, x < 0, (3.39) P0,M (−∞, x] = k/(M + 1), x ∈ [k − 1, k), k = 1, 2, . . . , M, 1, x ≥ M, und 1, x ≤ 0, (3.40) P0,M [x, ∞) = (M +1−k)/(M +1), x ∈ (k − 1, k], k = 1, 2, . . . , M, 0, x > M. Bei der Bestimmung der α-Quantile qα , α ∈ (0, 1), von P0,M müssen im folgenden je nachdem, ob α ein Vielfaches von 1/(M + 1) ist oder nicht, zwei Fälle unterschieden werden. (a) Sei α = m/(M + 1) für ein m = 1, . . . , M . In dieser Situation gilt (3.41a) P0,M (−∞, q] ≥ α ⇐⇒ 3.214 q ≥ m − 1 und (3.41b) M +1−m P0,M [q, ∞) ≥ 1 − α = M +1 ⇐⇒ 3.215 q ≤ m. Als Konsequenz von (3.41) zeigt sich, daß für α = m/(M + 1) jedes q ∈ [m − 1, m] ein α-Quantil von P0,M ist 3.216. (b) Sei 3.217 α(M + 1) ∈ / {1, . . . , M } und seien 3.218 m′ = ⌈α(M + 1)⌉, bzw. ′ ′ α = m /(M + 1). In diesem Fall ist P0,M (−∞, q] ≥ α ⇐⇒ 3.219 P0,M (−∞, q] ≥ α′ ⇐⇒ 3.220 q ≥ m′ − 1 und P0,M [q, ∞) ≥ 1 − α ⇐⇒ 3.221 ⇐⇒ 3.223 ⌈(1 − α)(M + 1)⌉ P0,M [q, ∞) ≥ = M +1 q ≤ m′ − 1. 3.222 M + 2 − m′ M +1 3.211In einer anderen Formulierung sind die Quantile einer Zufallsvariablen, die auf einer endlichen Menge äquidistanter Punkte in R gleichverteilt ist, zu berechnen. 3.212Vgl. Abschnitt 2.2. Jeder der M + 1 Punkte in {L, L + 1, . . . , L + M } hat die gleiche Wahrscheinlichkeit 1/(M + 1). 3.213Im folgenden wird P 0,M als ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf R betrachtet, vgl. Bemerkung 2.8(i) 3.214Wegen (3.39). 3.215Wegen (3.40). 3.216Vgl. die Definition der Quantile in (3.37). 3.217α hat nicht die Gestalt α = m/(M + 1) für ein m = 1, . . . , M . 3.218⌈x⌉ = inf{n ∈ Z : n ≥ x}, x ∈ R. Für x ∈ R ist ⌈x⌉ die kleinste ganze Zahl, die ≥ x ist. 3.219Da P 0,M [ . ] nur Werte der Form k/(M + 1), k = 0, 1, . . . , M + 1, annehmen kann, gilt für ein A ∈ B(R) und y ∈ [0, 1] genau dann P0,M [A] ≥ y, wenn P0,M [A] ≥ ⌈y(M + 1)⌉/(M + 1). Hierbei ist zu beachten, daß ⌈y(M + 1)⌉/(M + 1) die kleinste Zahl der Form k/(M + 1), k = 0, 1, . . . , M + 1, ist, welche größer oder gleich y ist. 3.220 Aufgrund der Überlegungen in (3.41a). 25. Juli 2011 69 Nun kann gefolgert werden, daß das α-Quantil eindeutig bestimmt und durch m′ − 1 = ⌈α(M + 1)⌉ − 1 = ⌊α(M + 1)⌋ gegeben ist. 3.224 3.4. Stochastische Prozesse Mit stochastischen oder zufälligen Prozessen können zeitliche Entwicklungen modelliert werden, die vom Zufall beeinflußt sind“. ” Sei (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum, (Ω′ , F′ ) ein meßbarer Raum und 3.225 T ⊆ R. Für alle t ∈ T sei Xt : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ) eine Zufallsvariable. Ein stochastischer Prozeß X = (Xt )t∈T ergibt sich, wenn die Familie {Xt : t ∈ T} dieser Zufallsvariablen zu einem Objekt zusammengefaßt wird. Der gemeinsame Wertebereich (Ω′ , F′ ) der Zufallsvariablen Xt , t ∈ T, wird auch als Zustandsraum von X bezeichnet. Unter der Verteilung eines stochastischen Prozesses X = (Xt )t∈T versteht man die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen {Xt : t ∈ T} 3.226. Beispiel 3.20 (Bernoulli-Prozeß 3.227). Zu p ∈ [0, 1] seien Yn , n ∈ N, unabhängige, {−1, 1}-wertige Zufallsvariablen mit P[Yn = 1] = p = 1 − P[Yn = −1], (3.42) n ∈ N. Der stochastische Prozeß Y = (Yn )n∈N wird als Bernoulli-Prozeß (mit Parameter p) bezeichnet. Mit einem derartigen Prozeß kann z.B. der zeitliche Verlauf eines beliebig oft unabhängig wiederholten Münzwurfs mit Erfolgswahrscheinlichkeit p modelliert werden 3.228. Die Verteilung von Y wird durch die Größen 3.229 n Y (3.43) P[Yk1 = ηk1 , . . . , Ykn = ηkn ] = 3.230 P[Ykl = ηkl ] l=1 = 3.231 = 3.232 charakterisiert 3.233. n Y p(1+ηkl )/2 (1 − p)(1−ηkl )/2 l=1 Pn p l=1 (1+ηkl )/2 Pn (1 − p) l=1 (1−ηkl )/2 , k1 , . . . , kn ∈ N, 1 ≤ k1 < . . . < kn , ηk1 , . . . , ηkn ∈ {−1, 1}, n ∈ N, 3.221Vgl. Fußnote 3.219. 3.222Da α(M + 1) ∈ / {1, . . . , M }, gilt ⌈(1 − α)(M + 1)⌉ ⌈M + 1 − α(M + 1)⌉ M + 1 − ⌈α(M + 1)⌉ + 1 M + 2 − m′ = = = . M +1 M +1 M +1 M +1 3.223 Aufgrund der Überlegungen in (3.41b). 3.224⌊x⌋ = sup{n ∈ Z : n ≤ x}, x ∈ R. Für x ∈ R ist ⌊x⌋ die größte ganze Zahl, die ≤ x ist. 3.225In den konkreten Beispielen dieser Vorlesung ist üblicherweise T = N oder N oder Z. 0 3.226Die gemeinsame Verteilung einer Familie von Zufallsvariablen ist durch Terme wie in (3.7) charakterisiert. 3.227Dieser Typ stochastischer Prozesse wurde bereits in Fußnote 3.26 angesprochen. 3.228Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.2. Im hier beschriebenen Modellierungsansatz kann −1 mit Mißerfolg“ und 1 mit Erfolg“ identifiziert werden. ” 3.229(3.43) ergibt ” sich aus (2.17), wenn berücksüchtigt wird, daß {−1, 1} der Wertebereich der Zufallsvariablen Yn , n ∈ N, ist. 3.230Da die Zufallsvariablen Y , n ∈ N, unabhängig sind. n 3.231 Man beachte, daß (1 + η)/2 = 1 und (1 − η)/2 = 0, falls η = 1, bzw. (1 + η)/2 = 0 und (1 − η)/2 P = 1, falls η = −1. Pn n 3.232 l=1 (1− l=1 (1+ηkl )/2 ist die Anzahl der l’s mit ηkl = 1, d.h. die Anzahl der Erfolge; ηkl )/2 ist die Anzahl der l’s mit ηkl = −1, d.h. die Anzahl der Mißerfolge. 3.233 Allgemein wird ein (Ω′ , F′ )-wertiger stochastischer Prozeß ζ = (ζt )t∈T als BernoulliProzeß bezeichnet, wenn die Zufallsvariablen ζt , t ∈ T, i.i.d. sind. 25. Juli 2011 70 Beispiel 3.21 (Irrfahrt). Sei Y = (Yn )n∈N der Bernoulli-Prozeß zum Parameter p ∈ [0, 1] aus Beispiel 3.20. Weiterhin sei ( 0, k = 0, (3.44) Xk = Pk Xk−1 + Yk = l=1 Yl , k = 1, 2, . . . . Der stochastische Prozeß X = (Xk )k∈N0 wird als Irrfahrt (auf Z) bezeichnet. Für p = 1/2 ergibt sich die symmetrische Irrfahrt. Auf eine anschauliche Weise läßt sich die Irrfahrt X folgendermaßen beschreiben: • X startet zum Zeitpunkt 0 im Ursprung 0. • Zu jedem späteren Zeitpunkt k = 1, 2, . . . springt X mit Wahrscheinlichkeit p nach rechts, bzw. mit Wahrscheinlichkeit 1 − p nach links 3.234. • Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten in N0 bewegt sich X nicht. Für p ∈ (0, 1) kann die Irrfahrt als ein einfaches Modell für ein eindimensiona” les diffundierendes Teilchen“ betrachtet werden. In den Fällen p 6= 1/2 hat dieses Teilchen eine Drift“. ” 3.4.1. Stationäre stochastische Prozesse. 3.235 Sei (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (Ω′ , F′ ) ein meßbarer Raum. Weiterhin sei Xn : (Ω, F, P) → (Ω′ , F′ ), n ∈ N0 , eine Familie von Zufallsvariablen. Der stochastische Prozeß X = (Xn )n∈N0 heißt stationär, wenn für alle m ∈ N und alle k1 , . . . , km ∈ N0 mit 0 ≤ k1 < · · · < km < ∞ die gemeinsame Verteilung von Xk+k1 , . . . , Xk+km unabhängig von k ∈ N0 ist 3.236, d.h., wenn (3.45) P Xk+k1 ∈ A′k1 , . . . , Xk+km ∈ A′km = P Xk1 ∈ A′k1 , . . . , Xkm ∈ A′km , 0 ≤ k1 < · · · < km < ∞, A′k1 , . . . , A′km ∈ F′ , m ∈ N, k ∈ N0 . Ein stochastischer Prozeß ist somit stationär, wenn sein Verhalten in einem end” lichen Zeitintervall“ 3.237 nicht von der genauen Lage dieses Zeitintervalls auf der Zeitachse abhängt. Beispiel 3.22. Der in Beispiel 3.20 vorgestellte Bernoulli-Prozess Y = (Yn )n∈N mit Parameter p ∈ [0, 1] ist stationär. In der Tat sind die Größen P Yk+k1 = ηk1 , . . . , Yk+km = ηkm = 3.238 p Pm r=1 (1+ηkr )/2 Pm (1 − p) r=1 (1−ηkr )/2 , 1 ≤ k1 < · · · < km < ∞, ηk1 , . . . , ηkm ∈ {−1, 1}, m ∈ N, k ∈ N0 , welche die endlich-dimensionalen Verteilungen von Y charakterisieren, von k unabhängig. 3.234Im Zeitpunkt n ∈ N beschreibt die Bernoulli-verteilte Zufallsvariable Y 0 n+1 , wie die unmittelbar folgende Bewegung von X verläuft. 3.235Stationäre stochastische Prozesse bilden eine spezielle Klasse stochastischer Prozesse. Andere solche Klassen sind Markovprozesse, Diffusionsprozesse, Martingale, . . . . Markovprozesse in diskreter Zeit mit diskretem Zustandsraum werden in den Abschnitten 8.2 und 8.3 etwas ausführlicher behandelt. 3.236Auf die gleiche Weise lassen sich natürlich auch stationäre stochastische Prozesse wie (Xn )n∈N , (Xn )n∈Z oder (Xn )n∈Zd mit N, Z oder Zd , wobei d = 2, 3, . . . , als Indexmenge charakterisieren. 3.237Dies ist (3.45) entsprechend in einem speziellen wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinn gemeint. Insbesondere wird die Invarianz des Verhaltens des Prozesses“ mit Hilfe des Begriffs der ” Verteilung von Zufallsvariablen formuliert. 3.238Vgl. (3.43). 25. Juli 2011 71 Beispiel 3.23. Die in Beispiel 3.21 beschriebene Irrfahrt X = (Xn )n∈N0 ist nicht stationär, da z.B. P[X0 = 0] = 1 6= 0 = P[X1 = 0] gilt. Beispiel 3.24. An einem festen äquatornahen Ort werde an jedem Tag k = 1, 2, . . . zur Mittagszeit die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit gemessen. In einem vernünftigen Modell der Meßreihe scheint die Verwendung eines stationären Prozesses Y = (Yn )n∈N sinnvoll zu sein 3.239. 3.5. Wahrscheinlichkeitsräume und Zufallsvariablen in der Modellbildung 3.240 In Anwendungen der Wahrscheinlichkeitstheorie bei der Bildung von Modellen für vom Zufall beeinflußte Phänomene dient typischerweise ein allgemeiner Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) als ein Zufallsgenerator“, während Zufallsvaria” blen Messungen oder Beobachtungen mit zufälligem Ausgang modellieren. (Ω, F, P) muß so groß“ sein, daß alle benötigten Zufallsvariablen mit den von ihnen erwar” teten Eigenschaften konstruiert werden können. Insbesondere muß die gemeinsame Verteilung dieser Zufallsvariablen 3.241 den Wünschen und Vorstellungen des modellbildenden Mathematikers gerecht werden. Beim Entwurf eines mathematischen Modells für einen physikalischen oder technischen Vorgang ist nur die realistische Nachbildung“ der möglichen Beob” achtungsergebnisse wesentlich. Dies bedeutet, daß der zugrundeliegende allgemeine Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) in den Hintergrund tritt, d.h. sein detaillierter Aufbau irrelevant bleibt, solange nur die für die Modellbildung benutzten Zufallsvariablen die richtige Verteilung besitzen 3.242. Beispiel 3.25. Zur Modellierung des N -fachen, unabhängigen Wurfs einer fairen Münze könnte anstelle des in Beispiel 2.5 vorgestellten Wahrscheinlichkeitsraums (Ω, F, P) mit Ω = {0, 1}N , e P) e F, e mit ebenso (Ω, e = {0, 1, . . . , 2N − 1}, Ω F = Pot(Ω), P[{ω}] = 2−N , ω ∈ Ω, e = Pot(Ω), e F e ω}] = 2−N , ω e P[{e e ∈ Ω, 3.243 3.239Der in Beispiel 3.6 betrachtete Prozeß T = (T ) k k∈N , der die Tips eines eine spezielle Strategie anwendenden Lotto-Spielers beschreibt, ist auch ein Beispiel eines stationären Prozesses. 3.240 In diesem Abschnitt 3.5 sind einige Bemerkungen zu allgemeinen Prinzipien der Struktur mathematischer Modelle, die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie aufbauen, zu finden. 3.241Vgl. (3.7). Durch ihre gemeinsame Verteilung werden die Abhängigkeiten“ zwischen ” verschiedenen Zufallsvariablen Xλ , λ ∈ Λ, ausgedrückt. 3.242Diese Tatsache äußert sich u.a. durch die übliche Verwendung der Phrase Sei (Ω, F, P) ” ein Wahrscheinlichkeitsraum . . . “ am Anfang vieler mathematischer Beiträge zur wahrscheinlichkeitstheoretischen Modellbildung. Auf die genaue Struktur von (Ω, F, P) wird dann in keiner Weise eingegangen. 25. Juli 2011 72 ei , i = 1, . . . , N , benutzt werden. Nun sind z.B. die {0, 1}-wertigen Zufallsvariablen X 3.244 3.245 mit ω e e i = 1, . . . , N, e e ∈ Ω, Xi (e ω ) = i−1 mod 2, ω 2 unabhängig 3.246 mit der Verteilung eX eX ei = 1] = P e [{1}], i = 1, . . . , N, ei = 0] = 1 = P[ PXei [{0}] = P[ Xi 2 ei das Ergebnis des i-ten Wurfs der Münze. d.h., für i = 1, . . . , N modelliert X Bei Anwendungen der Wahrscheinlichkeitstheorie treten spezielle Wahrscheinlichkeitsräume meistens dann in Erscheinung, wenn letztendlich die Verteilungen von Zufallsvariablen untersucht werden sollen 3.247. Wenn diese beispielsweise nur endlich viele Werte annehmen können und wenn außerdem diese Werte alle die gleiche Wahrscheinlichkeit besitzen 3.248, kann man mit den Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsräumen 3.249 arbeiten 3.250 3.251. 3.243Für beliebige A e folgt P[ e A] e∈F e = |A|2 e −N aus der σ-Additivität von Wahrscheinlichkeitsmaßen, vgl. (2.2b). 3.244⌊x⌋ = sup{n ∈ Z : n ≤ x}, x ∈ R. PN−1 3.245 e in der Dualdarstellung ω Schreibt man ω e ∈ Ω e = ω ek 2k mit ω ek ∈ {0, 1} für k = 0, 1, . . . , N − 1, folgt ω e 2i−1 = k=0 N−1 X k=0 ω ek 2k−i+1 , d.h., ω e 2i−1 = N−1 X k=i−1 ω ek 2k−i+1 . ei (e Für i = 0, 1, . . . , N −1 ist damit X ω ) = ⌊e ω /2i−1 ⌋ mod 2 = ω ei−1 die i-te Stelle in der Entwicklung von ω e im Dualsystem. 3.246D.h., man kann (3.8) nachweisen. 3.247Für eine Zufallsvariable X : (Ω, F, P) → (Ω′ , F ′ ) ist die Verteilung P ein WahrscheinX lichkeitsmaß auf dem meßbaren Raum (Ω′ , F′ ), vgl. Abschnitt 3.1 und insbesondere Fußnote 3.20. Damit ist (Ω′ , F′ , PX ) ein Wahrscheinlichkeitsraum. 3.248 Man denke z.B. an den Wurf einer fairen Münze oder eines fairen Würfels. 3.249 Vgl. Abschnitt 2.2. 3.250 Insbesondere in der Statistik wird mit speziellen Wahrscheinlichkeitsräumen gearbeitet. In klassischen Anwendungen ist dann • Ω = M , wobei M höchstens abzählbar ist, und F = Pot(M ), bzw. • Ω ∈ B(Rn ) für ein n ∈ N und F = B(Ω) = {A ∩ Ω : A ∈ B(Rn )}. In (Ω, F) ist weiterhin eine Familie Pλ , λ ∈ Λ, von Wahrscheinlichkeitsmaßen, die geeignet sind, ein zu untersuchendes zufallsbeeinflußtes Phänomen zu charakterisieren, gegeben. Mit der Struktur (Ω, F, (Pλ )λ∈Λ ) liegt ein statistisches Modell vor, vgl. Abschnitte 1.1.4 und 4.1. Ziel statistischer Überlegungen könnte nun die Identifizierung eines wahren“ Wahrscheinlichkeitsmaßes Pλw sein. ” 3.251 Gelegentlich wird in der Wahrscheinlichkeitstheorie eine spezielle Wahl eines Wahrscheinlichkeitsraums auch durch dessen Brauchbarkeit für die mathematischen Überlegungen oder die Beweise der Resultate bestimmt. Es ist dann zu prüfen, ob die Zufallsvariablen, mit denen gearbeitet werden muß, auf diesem Wahrscheinlichkeitsraums auch wirklich konstruiert werden können. 25. Juli 2011 KAPITEL 4 Schätztheorie 4.1 Bei vielen zufallsbeeinflußten Phänomenen im menschlichen Umfeld 4.2 wird aufgrund von logischen Überlegungen schnell deutlich, daß ein gewisser Typ wahrscheinlichkeitstheoretischer Modelle, z.B. eine besondere Klasse von Zufallsvariablen oder stochastischen Prozessen, zu einer mathematischen Beschreibung, d.h. Modellierung, jenes Phänomens in Frage kommt. Allerdings ist oft der genaue Wert gewisser Parameter, die innerhalb der möglichen Klasse von Modellen das am besten geeignete charakterisieren, unklar. Beispiel 4.1. Eine Reihe gleichartiger Produktionsstücke, die unabhängig voneinander mit einer Wahrscheinlichkeit p ∈ (0, 1) defekt sind, wird solange geprüft, bis zu einem Zeitpunkt n ∈ N das erste fehlerhafte Produktionsstück beobachtet wird. Ausgehend von dem beobachteten Zeitpunkt n ist die Fehlerwahrscheinlichkeit p zu bestimmen, d.h. zu schätzen. Aufgrund der Analogie zum ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ (0, 1) 4.3 ist die Annahme, daß die zufällige Größe n durch eine geometrisch mit Parameter p verteilte Zufallsvariable modelliert werden kann, naheliegend. Das ursprüngliche Problem kann nun folgendermaßen umformuliert werden: Eine geometrisch mit Parameter p ∈ (0, 1) verteilte Zufallsvariable X ist zu beobachten. Basierend auf dieser Beobachtung 4.4 ist anschließend p zu schätzen. Die Statistik stellt vernünftige“ Methoden zur Lösung solcher Schätzprobleme ” zur Verfügung, z.B. das Maximum-Likelihood-Prinzip 4.5 oder die Methode der Konfidenzbereiche 4.6. Diese und andere Methoden der Statistik werden in einem speziellen Arbeitsumfeld, einem statistischen Modell benutzt. 4.1. Statistische Modelle Wenn ein Statistiker mathematische Schlüsse aus vorliegenden Daten 4.7 zieht, arbeitet er üblicherweise im Rahmen eines statistischen Modells 4.8. Ein derartiges statistisches Modell ist ein Tripel (X, G, (Pλ )λ∈Λ ), wobei (X, G) ein meßbarer Raum und (Pλ )λ∈Λ eine Familie von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf (X, G) ist. Für Λ ⊆ Rd , d = 1, 2, . . . , liegt ein parametrisches Modell vor 4.9. In dieser Vorlesung wird speziell mit zwei Standardmodellen gearbeitet, d.h. mit • diskreten Modellen, wenn X diskret und G = Pot(X) ist, bzw. mit 4.1 Dieses Kapitel ist ein Abstecher in die mathematische Statistik. Als Vorbereitung können die Abschnitte 1.1.4 und 1.1.5 betrachtet werden. 4.2 Es könnte ein technisches Phänomen, ein Geschehnis in der Natur oder auch der Wirtschafts- oder Arbeitswelt sein. 4.3Vgl. Beispiel 3.3. 4.4Insbesondere werden keine weiteren Informationen eingeholt. 4.5Vgl. Beispiel 1.9 und Abschnitt 4.2. 4.6Vgl. Beispiel 1.10 und Abschnitt 4.3. 4.7Diese Daten können beispielsweise Meßwerte oder Umfrageergebnisse sein. 4.8Ein einfaches statistisches Modell wurde in Abschnitt 1.1.4 vorgestellt. 4.9Für d = 1 ergeben sich eindimensionale oder einparametrige Modelle. 73 74 • kontinuierlichen Modellen, wenn X eine Borelsche Teilmenge eines Rn ist und alle Wahrscheinlichkeitsmaße Pλ , λ ∈ Λ, eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes auf X besitzen. Entscheidungsverfahren eines Statistikers, der mit einem statistischen Modell (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) arbeitet, werden durch Statistiken beschrieben. Hierbei wird als Statistik jede meßbare Funktion S : (X, G) → (Σ, S) mit einem geeigneten meßbaren Raum (Σ, S) bezeichnet. Der Aufbau von wahrscheinlichkeitstheoretischen und statistischen Modellen, weiterhin deren Interpretation und auch die Arbeit mit ihnen kann nun folgendermaßen zusammengefaßt werden: Wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle. Als ein Zufallsmechanismus im Hinter” grund“ dient ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) 4.10. Durch Zufallsvariablen X auf (Ω, F, P) werden zufällige, gemäß PX verteilte Beobachtungswerte modelliert. Bei der Untersuchung eines solchen wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells versucht ein Wahrscheinlichkeitstheoretiker Eigenschaften verschiedener gegebener Zufallsvariablen und Zusammenhänge zwischen diesen zu ermitteln. Statistische Modelle. Eine Menge X beschreibt die möglichen Beobachtungswerte eines Experiments“ und eine σ-Algebra G in X die Menge der Ereig” nisse, die mit diesen Beobachtungswerten verbunden sind 4.11. I. allg. gibt es viele mögliche Wahrscheinlichkeitsmaße Pλ , λ ∈ Λ, auf (X, G), die zur Beschreibung der Verteilung der Beobachtungswerte in Frage kommen 4.12. Auf Beobachtungsdaten basierende Schlüsse 4.13 werden durch Statistiken auf (X, G) repräsentiert. Beim Entwurf seiner Statistiken, d.h. seiner Entscheidungsschemata, nutzt ein Statistiker aus, daß unter verschiedenen Pλ ’s die ” möglichen Beobachtungswerte unterschiedlich häufig“ 4.14 auftreten 4.15. 4.2. Maximum-Likelihood-Schätzer b Sei zunächst (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) ein diskretes statistisches Modell. Als Schätzer λ für den wahren“ Parameter λw ∈ Λ ist das nach einer Beobachtung plausibelste“ ” ” b ∈ Λ als λ eine sinnvolle Wahl. Insbesondere wird für x ∈ X ein λ MaximumLikelihood-Schätzer (zum Beobachtungswert x) bezeichnet, wenn (4.1) Pλb [{x}] = sup Pλ [{x}] λ∈Λ gilt 4.16. Die in (4.1) zu maximierende Funktion Λ ∋ λ → Pλ [{x}] =: Lx (λ) wird Likelihood-Funktion (zum Beobachtungswert x) genannt. 4.10Vgl. Abschnitt 3.5 zur Wahl von (Ω, F, P). Im Prinzip könnte (Ω, F, P) so groß sein, daß hiermit aller Zufall dieser Welt repräsentiert wird“. 4.11”Auf den Beobachtungswerten, bzw. den zugehörigen Ereignissen sollte ein Statistiker seine Entscheidungen, d.h., seine Schätzungen, Vorhersagen, . . . aufbauen. 4.12Durch logische Überlegungen mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden kann evtl. gefolgert werden, daß die Pλ , λ ∈ Λ, zu einer speziellen Klasse von Wahrscheinlichkeitsmaßen, z.B. Normalverteilungen, geometrischen Verteilungen, . . . gehören. 4.13 Z.B. Schätzungen für den wahren“ Parameter λw ∈ Λ. 4.14D.h. mit unterschiedlichen”Wahrscheinlichkeiten. 4.15Beim Maximum-Likelihood-Schätzer, vgl. Abschnitt 4.2, wird z.B. das wahre“ λ durch w ” b ein λ geschätzt, das sich unter allen λ ∈ Λ dadurch auszeichnet, daß unter dem zugehörigen Wahrscheinlichkeitsmaß Pλ b der vorliegende Beobachtungswert am wahrscheinlichsten“ ist. ” 4.16λ b zeichnet sich dadurch aus, daß unter Pb der Beobachtungswert x maximale Wahrλ scheinlichkeit hat. 25. Juli 2011 75 Beispiel 4.2. Die Anzahl der Anfragen an einer Telefonhotline innerhalb eines Tages besitze eine Poissonverteilung mit einem Parameter λ > 0 4.17. Aus der Anzahl k der eingegangenen Anrufe ist λ zu schätzen. Es sei k > 0 angenommen 4.18. Die zu maximierende Likelihood-Funktion 4.19 b genau dann ist (0, ∞) ∋ λ → λk exp(−λ)/k! = Lk (λ). Offensichtlich wird Lk in λ maximal, wenn die Funktion (0, ∞) ∋ λ → log Lk (λ) = k log λ − λ − log k! =: ℓk (λ) dort maximal wird. Da 4.20 k − 1 = 0 ⇐⇒ λ = k, λ k ℓ′′k (λ) = − 2 < 0, λ > 0, λ ℓ′k (λ) = und lim ℓk (λ) = lim ℓk (λ) = −∞, λց0 λր∞ b = k ein globales Maximum der Likelihood-Funktion Lk , d.h., λ b = k ist der ist λ Maximum-Likelihood-Schätzer für λ. Wie in diesem Beispiel 4.2 ist es zur Bestimmung eines Maximum-LikelihoodSchätzers häufig zweckmäßig, anstelle der Likelihood-Funktion Lx ( . ) mit der LogLikelihood-Funktion ℓx ( . ) = log Lx ( . ) (zum Beobachtungswert x) zu arbeiten 4.21. Für alle x ∈ X werden beide Funktionen für die gleichen Parameter maximal. Sei nun (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) ein kontinuierliches statistisches Modell 4.22. Somit ist X ∈ B(Rn ) für ein n = 1, 2, . . . . Außerdem besitzt Pλ für alle λ ∈ Λ eine Dichte ρλ bzgl. des Lebesguemaßes auf X 4.23. In diesem Fall ist ein Maximum-Likelihoodb zum Beobachtungswert x ∈ X als Lösung von Schätzer λ (4.2) ρλb (x) = sup ρλ (x) λ∈Λ definiert. Analog zum diskreten Fall bezeichnet man nun für x ∈ X die Funktion Λ ∋ λ → ρλ (x) =: Lx (λ) als Likelihood-Funktion (zum Beobachtungswert x). Weiterhin ist ℓx ( . ) = log Lx ( . ) die Log-Likelihood-Funktion (zum Beobachtungswert x). Beispiel 4.3. Die Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn seien unabhängig und exponentiell mit Parameter λ > 0 verteilt 4.24. Ausgehend von einer Beobachtung (x1 , . . . , xn ) ∈ [0, ∞)n dieser Zufallsvariablen ist λ zu schätzen. Als statistisches Modell kann man (X, G, (Pλ )λ>0 ) wählen, wobei X = [0, ∞)n , G = B([0, ∞)n ) und Pλ das Wahrscheinlichkeitsmaß auf ([0, ∞)n , B([0, ∞)n )) mit 4.17Aufgrund von Überlegungen wie sie in Abschnitt 2.7.1 vorgestellt werden ist diese Annahme gerechtfertigt, falls angenommen werden kann, daß die Telefonanrufe unabhängig voneinander sind und gleichmäßig über den Tag verteilt eingehen. 4.18Aus wirtschaftlichen Gründen wird eine Telefonhotline, bei der es möglich ist, daß während eines ganzen Tages niemand anruft, nicht existieren. 4.19Zum Beobachtungswert k. 4.20Eine ähnliche Argumentation ist in Beispiel 1.9, vgl. insbesondere Fußnote 1.71, bei der Bestimmung eines anderen Maximum-Likelihood-Schätzers zu finden. 4.21In vielen Fällen ist L ( . ) ein Produkt relativ komplizierter Funktionen, während ℓ ( . ) x x eine Summe einfacherer Terme ist. 4.22Vgl. Abschnitt 4.1. Bisher wurden in diesem Abschnitt 4.2 nur diskrete statistische Modelle betrachtet. 4.23D.h., P [A] = R dx ρ (x), A ∈ B(Rn ), A ⊆ X. λ λ A 4.24Die Zufallsvariablen X , . . . , X könnten bei einer Modellierung unabhängiger Wartezein 1 ten auftauchen, vgl. Abschnitt 2.6 und insbesondere Fußnote 2.118. 25. Juli 2011 76 Qn der Dichte [0, ∞)n ∋ (y1 , . . . , yn ) → k=1 (λ exp(−λyk )) = λn exp(−λ(y1 +· · ·+yn )) ist 4.25. Die Likelihood-Funktion zum Beobachtungswert (x1 , . . . , xn ) ∈ [0, ∞)n ist daher (0, ∞) ∋ λ → λn exp(−λ(x1 + · · · + xn )). Für die Log-Likelihood-Funktion (0, ∞) ∋ λ → n log λ − λ(x1 + · · · + xn ) = ℓx1 ,...,xn (λ) gilt nun 4.26: n n , ℓ′x1 ,...,xn (λ) = − (x1 + · · · + xn ) = 0 ⇐⇒ λ = λ x1 + · · · + xn n ℓ′′x1 ,...,xn (λ) = − 2 < 0, λ ∈ (0, ∞), λ lim ℓx1 ,...,xn (λ) = lim ℓx1 ,...,xn (λ) = −∞. λց0 λ→∞ b = n/(x1 + · · · + xn ) der gesuchte Maximum-Likelihood-Schätzer für λ. Somit ist λ Beispiel 4.4 (Regressionsgerade). Der Ausgabewert y einer Meßapparatur sei linear abhängig von der Eingabe x und zusätzlich durch einen additiven Rauschterm gestört 4.27. Um das System quantitativ genau zu charakterisieren 4.28, wird für n Eingaben x1 , . . . , xn , von denen zumindest zwei verschieden sein sollen 4.29, der zugehörige Ausgabewert y1 , . . . , yn gemessen. Wenn der jeweilige Wert des Rauschens durch z1 , . . . , zn beschrieben wird, ist somit 4.30 (4.3) yk = α + βxk + zk , k = 1, . . . , n. Anschließend sind die Systemparameter α, β ∈ R zu schätzen 4.31. Im folgenden sei angenommen, daß für ein festes σ 2 > 0 die Rauschterme zk , k = 1, . . . , n, Realisierungen 4.32 von unabhängigen, N(0, σ 2 )-verteilten Zufallsvariablen Zk , k = 1, . . . , n, sind 4.33 4.34. Dann besitzt für k = 1, . . . , n die Zufallsvariable 4.35 Yk = α + βxk + Zk bzgl. des Lebesguemaßes auf R die Dichte 4.36 fk : R → [0, ∞) mit fk (y) = (2πσ 2 )−1/2 exp(−(y − α − βxk )2 /2σ 2 ), y ∈ R, und 4.25Nach Abschnitt 3.2.2 ist die Dichte der gemeinsamen Verteilung von unabhängigen Zufallsvariablen mit einer Dichte bzgl. des Lebesguemaßes das Produkt der jeweiligen Dichten. 4.26Da exponentiell verteilte Zufallsvariablen f.s. strikt positiv sind, kann x + · · · + x > 0 n 1 angenommen werden. 4.27Unter Rauschen versteht man eine zufällige Größe Z, die symmetrisch um 0 verteilt ist und somit keinen systematischen Anteil mehr enthält. Mathematisch präziser charakterisieren kann man Z als eine Zufallsvariable mit Erwartungswert E[Z] = 0. Eine kurze Beschreibung des Erwartungswerts einer Zufallsvariable findet sich in Beispiel 1.5. Detailliert wird dieser Begriff in den Abschnitten 6.1 bis 6.3 eingeführt. 4.28 D.h. zur Schätzung der Koeffizienten, die die lineare Abhängigkeit bestimmen. Damit sind α und β in (4.3) gemeint. 4.29Durch diese Forderung wird letztendlich sichergestellt, daß (4.7) eine eindeutige Lösung b hat. Hierzu beachte man insbesondere auch Fußnote 4.43. (b α, β) 4.30In (4.3) könnte x beispielsweise auch die Menge des auf einer landwirtschaftlich genutzk ten Fläche Ak verteilten Düngers und yk der Ernteertrag sein. zk kann eine Schwankung des Ernteertrags repräsentieren, der auf unvorhersehbare Witterungs- oder Bodeneinflüsse zurückzuführen ist. Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, sollten die Größen |Ak |, k = 1, . . . , n, der verschiedenen Flächen alle gleich groß sein. 4.31Nur wenn die Rauschterme z , . . . , z verschwinden und die angenommene Linearität des n 1 Systems genau der Realität entspricht, können α und β exakt berechnet werden. 4.32Vgl. Fußnote 1.62. 4.33Es stellt sich heraus, vgl. (4.6), daß der genaue Wert von σ2 die Schätzung von α und β nicht beeinflußt. Daher wird hier auch nicht versucht, ein unbekanntes σ2 zu schätzen. 4.34 Die Annahme, daß das Rauschen normalverteilt ist, kann in vielen Anwendungen mit dem Zentralen Grenzwertsatz, vgl. Abschnitt 9.3, begründet werden. 4.35α, β und x , k = 1, . . . , n, sind nicht zufällig. Allerdings sind α und β unbekannt. Für k die jeweiligen Eingaben xk , k = 1, . . . , n modellieren die Zufallsvariablen Yk , k = 1, . . . , n, die Ausgaben des in diesem Beispiel 4.4 betrachteten linearen Systems. 4.36Zur Bestimmung der Dichte von Y = α + βx + Z kann zurückgegriffen werden auf k k k (3.35), wobei a = 1, b = α + βxk und X = Zk zu wählen ist. 25. Juli 2011 77 somit die Verteilung N(α + βxk , σ 2 ). Aus der Unabhängigkeit der Zk , k = 1, . . . , n, folgt die Unabhängigkeit der Zufallsvariablen Yk , k = 1, . . . , n. Daher besitzt deren gemeinsame Verteilung die Dichte 4.37 (4.4) fα,β (y) = fα,β (y1 , . . . , yn ) = n Y fk (yk ) k=1 (yk − α − βxk )2 √ exp − = 2σ 2 2πσ 2 k=1 n 1 1 X 2 , = (y −α−βx ) exp − k k 2σ 2 (2πσ 2 )n/2 n Y 1 y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn , k=1 bzgl. des Lebesguemaßes auf Rn . fα,β ist die Dichte der n-dimensionalen Normalverteilung 4.38 N(µα,β , σ 2 ) mit dem Erwartungswert µα,β = (α + βx1 , . . . , α + βxn ) und der Kovarianzmatrix σ 2 = (σ 2 δk,l )k,l=1,...,n . Somit kann als Basis der sich anschließenden Überlegungen das kontinuierliche statistische Modell (Rn , B(Rn ), (N(µα,β , σ 2 ))α,β∈R ) betrachtet werden. Aus (4.4) ergibt sich zum Beobachtungswert y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn die LogLikelihood-Funktion 4.39 (4.5) ℓy (α, β) = − n 1 X n (yk − α − βxk )2 − log(2πσ 2 ), 2 2σ 2 k=1 α, β ∈ R. b für (α, β) folgt Bei der Bestimmung eines Maximum-Likelihood-Schätzers 4.40 (b α, β) aus (4.5) zunächst (4.6) σ2 n X ∂ ℓy (α, β) = (yk − α − βxk ) = 0, ∂α k=1 n X ∂ xk (yk − α − βxk ) = 0. σ 2 ℓy (α, β) = ∂β k=1 Wenn P für v, w ∈ Rn die Bezeichnungen 4.41 M (v) = (1/n) n (1/n) k=1 vk wk eingeführt werden, führt (4.6) zu 4.42 (4.7) Pn k=1 vk und M (v, w) = M (y) − α − βM (x) = 0, M (x, y) − αM (x) − βM (x, x) = 0. 4.37Vgl. Beispiel 3.8. 4.38Die Notation N(ν, A) für ν ∈ Rn und eine symmetrische, positiv-semidefinite n×n-Matrix A wird in Fußnote 3.115 erläutert. 4.39Da ℓ (α, β) = log f n y α,β (y), α, β ∈ R, y = (y1 , . . . , yn ) ∈ R . 4.40Es ist zu beachten, daß der zu schätzende Parameter (α, β) in diesem Beispiel 4.4 in R2 variiert. Daher wird in (4.6) mit partiellen Ableitungen gearbeitet. 4.41M (v) ist der Mittelwert der Komponenten v , . . . , v von v. n 1 4.42Wenn die beiden Gleichungen in (4.6) durch n dividiert und anschließend die Summationen ausgeführt werden, folgt (4.7). 25. Juli 2011 78 Da 4.43 (4.8) b mit M (x, x) − M (x)2 > 0 hat (4.7) eine eindeutige Lösung (b α, β) α b= M (x, x)M (y) − M (x, y)M (x) , M (x, x) − M (x)2 4.44 M (x, y) − M (x)M (y) βb = . M (x, x) − M (x)2 Weil der Graph der in (4.5) angegebenen quadratischen Log-Likelihood-Funktion ℓy ein nach unten geöffnetes“ Paraboloid ist, zeigen die zu (4.8) führenden Überlegun” b ein eindeutig bestimmtes Maximum von ℓy vorliegt. gen, daß an der Stelle (b α, β) b in der Tat ein Maximum-Likelihood-Schätzer für (α, β). Somit ist (b α, β) b nennt man Regressionsgerade 4.45. βb wird Die Gerade R ∋ x → y = α b + βx auch als empirischer Regressionskoeffizient bezeichnet. Dieser Koeffizient gibt an, ob und wie stark die Ausgabewerte y typischerweise“ ansteigen oder abnehmen, ” wenn die Eingabewerte x erhöht werden 4.46. In dem nächsten Beispiel wird sich der Maximum-Likelihood-Schätzer als unbefriedigend herausstellen. Allerdings bieten sich sinnvolle Alternativen an. Beispiel 4.5 (Taxiproblem). In einer Stadt gebe es N Taxis mit den vom Straßenrand aus lesbaren Nummern 1, . . . , N . Ein Passant stehe eine gewisse Zeit lang an einer viel befahrenen Straße und notiere sich die Nummern x1 , . . . , xk der vorbeifahrenden Taxis. Es sei angenommen, daß 4.47 x1 < · · · < xk und daß der Passant ein mehrmals vorbeifahrendes Taxi nur einmal zählt. Unter der Annahme, daß im Beobachtungszeitraum alle Taxis in Betrieb und gleichmäßig in der ganzen Stadt eingesetzt sind, ist die Anzahl N aller Taxis der Stadt zu schätzen. 4.43Man kann zeigen, daß (∗) n 1 X 2 M (x, x) − M (x) = x − n k=1 k 2 n 1 X xk n k=1 !2 = n 1 X (xk − M (x))2 . n k=1 Wenn mindestens zwei der xi , i = 1, . . . , n, verschieden sind, was in diesem Beispiel 4.4 vorausgesetzt wird, ist (xk − M (x))2 > 0 für zumindest ein k = 1, . . . , n. Somit ist M (x, x) − M (x)2 > 0. Aufgrund von (∗) kann M (x, x) − M (x)2 als empirische Varianz der Sequenz x1 , . . . , xn der Eingabedaten betrachtet werden. Die entsprechende Varianz Var(X) = E[(X − E[X])2 ] einer Zufallsvariable X wird in (6.20) eingeführt. 4.44(4.8) ergibt sich z.B. durch Anwendung der Cramerschen Regel. 4.45Diese Regressionsgerade ergibt sich offensichtlich auch, wenn mit der Methode der kleinsten Quadrate die Meßpunkte“ (xk , yk ), k = 1, . . . , n, durch eine Gerade approximiert werden. P ” 2 In diesem Fall ist (α, β) ∈ R2 so zu bestimmen, daß Q(α, β) = n k=1 (yk − α − βxk ) minimiert wird. Die quadratische Funktion Q besitzt ein eindeutig bestimmtes Minimum, das ebenfalls als die eindeutige Lösung (4.8) von (4.6) bestimmt ist. 4.46Da der Nenner M (x, x) − M (x)2 > 0 ist, vgl. Fußnote 4.43, wird das Vorzeichen von β b durch den Zähler M (x, y) − M (x)M (y) bestimmt. Weil ! ! n n n 1 X 1X 1 X x k yk − xk yl (∗) M (x, y) − M (x)M (y) = n k=1 n k=1 n l=1 = n 1 X (xk − M (x))(yk − M (y)), n k=1 besitzen die Fluktuationen xk − M (x) der Eingabe und die Fluktuationen yk − M (y) der Ausgabe um den jeweiligen Mittelwert M (x), bzw. M (y) typischerweise“ genau dann das gleiche ” Vorzeichen, wenn βb > 0 ist. Aufgrund von (∗) kann man M (x, y) − M (x)M (y) auch als empirische Kovarianz der Datensequenzen x1 , . . . , xn und y1 , . . . , yn bezeichnen. Die entsprechende Kovarianz Cov(X,Y) = E[(X − E[X])(Y − E[Y ])] von zwei Zufallsvariablen X und Y wird in (6.23) eingeführt. 4.47Die Nummern der vorbeifahrenden Taxis werden in aufsteigender Reihenfolge notiert. 25. Juli 2011 79 Als statistisches Modell kann 4.48 (Xk , Gk , (Pk;N )N ∈N, N ≥k ) mit Xk = Menge der k-elementigen Teilmengen von N 4.49 , Gk = Pot(Xk ), Pk;N = Gleichverteilung auf der Menge der k-elementigen Teilmengen von {1, . . . , N }, N ∈ N, N ≥ k 4.50 , gewählt werden. Dieser Ansatz führt zur Likelihood-Funktion ( 4.51 N −1 , falls xk ≤ N, L(k;x1 ,...,xk ) (N ) = 4.52 k 0, falls xk > N, zur Beobachtung von k Taxis mit den Nummern x1 < x2 < · · · < xk . Da für jedes −1 xk die Funktion {xk , xk + 1, . . . } ∋ N → N monoton fällt, ist 4.53 k S1 = xk der Maximum-Likelihood-Schätzer für die Gesamtzahl N der Taxis. Der Maximum-Likelihood-Schätzer S1 ist in der vorliegenden Situation unbefriedigend, da offensichtlich immer S1 ≤ N gilt, d.h., die wahre Anzahl aller Taxis wird systematisch unterschätzt. Mit heuristischen Argumenten können jedoch zwei weitere, evtl. 4.54 plausiblere Schätzer vorgeschlagen werden. • Aus Symmetriegründen“ sollte 4.55 x1 − 1 ≈ N − xk gelten. Als Schätzer ” für N ergibt sich dann: S2 = xk + x1 − 1. • Es wäre auch sinnvoll, den Ansatz N − xk ≈ 4.56 k 1 1X (xr − xr−1 − 1) = (xk − k), k r=1 k zu wählen. Diese Überlegung führt nun zu xk − k S3 = xk + k 4.58 als Schätzer für N . 4.57 4.48Die Anzahl k der beobachteten Taxis wird nicht als eine Beobachtungsgröße, die zu den statistischen Schlußfolgerungen herangezogen wird, betrachtet. Nach dem Ende der Beobachtungen steht k fest und wird dann vor dem eigentlichen Beginn der statistischen Überlegungen als eine deterministische, d.h. nicht als zufällig zu behandelnde Zahl festgehalten. 4.49Beachte, daß X abzählbar ist. k 4.50 Hier geht die Annahme ein, daß alle Taxis gleichmäßig im Stadtgebiet im Einsatz sind. 4.51In der Menge {1, . . . , N } existieren N Teilmengen mit k Elementen. k 4.52 Offensichtlich kann die Anzahl N aller Taxis nicht kleiner als die größte beobachtete Nummer xk sein. 4.53Der Maximum-Likelihood-Schätzer für die Gesamtzahl aller Taxis ist somit die größte der beobachteten Nummern. 4.54Dies ist natürlich Ansichtssache. 4.55Die Lücke bis zur kleinsten beobachteten Nummer x , bzw. die Lücke nach der größten 1 beobachteten Nummer xk sollten in etwa gleich sein. Diese Vermutung sollte zumindest im Mittel ” bei vielen Beobachtungsreihen“ gelten. 4.56In der Summe ist x = 0 zu setzen. Die Größe der Lücke nach der größten beobachteten 0 Nummer xk wird nun durch die mittlere Größe aller anderen Lücken“ geschätzt. Auch diese ” Vermutung sollte im Mittel bei vielen Beobachtungsreihen“ gelten. ” 4.57In der Praxis kann S3 durch die am nächsten an xk + (xk − k)/k liegende ganze Zahl S3′ ersetzt werden. 4.58Die drei Schätzer S , S und S für die Gesamtzahl N der Taxis besitzen unterschiedliche 1 2 3 Eigenschaften, vgl. [10], Abschnitte 4.2 - 4.4. Zunächst kann nachgewiesen werden, daß S2 und 25. Juli 2011 80 4.3. Konfidenzbereiche b eines Parameters λ gibt nur einen ersten Anhaltspunkt für den Der Schätzwert λ wahren“ Wert λw . Eine Präzisierung ergibt sich aus den Angabe eines möglichst ” b ⊆ Λ, innerhalb dessen λw mit einer hinreichend großen Sicherkleinen Bereichs Λ ” heit“ erwartet werden kann 4.59. Sei (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) ein statistisches Modell und α ∈ (0, 1). Eine Abbildung X ∋ x → C(x) ⊆ Λ heißt Konfidenzbereich zum Irrtumsniveau α, wenn 4.60 sup Pλ [{x ∈ X : C(x) 6∋ λ}] ≤ α. (4.9) λ∈Λ Die Bedingung (4.9) bedeutet, daß unabhängig vom real vorliegenden Wert von λ die Wahrscheinlichkeit unter Pλ , daß die Menge 4.61 C( . ) jenes λ nicht enthält 4.62, höchstens gleich α ist. Man kann sagen: Mit einer Sicherheit 4.63 von ” mindestens (1 − α) · 100% liegt (der wahre Parameter) λw in C( . )“. Beispiel 4.6. Für C(x) = Λ, x ∈ X, gilt offensichtlich (4.9) für alle α ∈ (0, 1). Zu einem Erkenntnisgewinn führt diese Wahl eines Konfidenzbereichs allerdings nicht. Man sollte daher C( . ) immer möglichst klein“ wählen 4.64. ” Beispiel 4.7. Eine exponentiell mit einem zu schätzenden Parameter λ > 0 verteilte Zufallsvariable 4.65 X werde beobachtet. Anschließend sei zu α ∈ (0, 1) ein Konfidenzbereich zum Irrtumsniveau α zu bestimmen 4.66. S3 erwartungstreue Schätzer sind, d.h., für i = 2, 3 gilt: (∗) Ek;N [Si ] := ∞ X l=k l · Pk;N [Si = l] = N, N ∈ N, N ≥ k. Andererseits ist S1 nicht erwartungstreu, d.h., S1 erfüllt (∗) nicht. Im Mittel“ wird daher durch ” die Schätzer S2 und S3 der wahre Wert von N gefunden. Hingegen wird durch S1 im Mittel“ ein ” falscher Wert geschätzt. Beim Vergleich von S2 und S3 zeigt sich, daß der mittlere quadratische Fehler für S3 kleiner als für S2 ist, d.h., ∞ X (l − N )2 · Pk;N [S3 = l] < Ek;N (S2 − N )2 , Ek;N (S3 − N )2 = l=k N ∈ N, N ≥ k. Der Schätzer S3 schwankt daher im quadratischen Mittel“ weniger als S2 um den wahren Wert ” von N . Zusammenfassend ist also der Schätzer S3 gegenüber den beiden anderen Schätzern zu bevorzugen. Erwartungstreue und die Größe des mittleren quadratischen Fehlers sind spezielle Kriterien, mit denen die Qualitäten verschiedener Schätzer verglichen werden können. Auf diese Begriffe wird in den Abschnitten 6.6 und 6.6.1 eingegangen werden. 4.59Durch die Angabe von Λ b gewinnt der Schätzer λ, b der i. allg. innerhalb von Λ b liegt, an Vertrauenswürdigkeit“. Die englische Bezeichnung hierfür ist confidence. ” 4.60Die Meßbarkeit von {x ∈ X : C(x) 6∋ λ}, d.h. die Zugehörigkeit zu G sei stillschweigend vorausgesetzt. 4.61Der Bereich C(x) hängt vom Beobachtungswert x ab, ist also zufällig. 4.62D.h., daß ein Irrtum geschieht. 4.63Die Verwendung von Wahrscheinlichkeit“ anstelle von Sicherheit“ wäre irreführend, da ” ” λ nicht zufällig, sondern fest, aber unbekannt ist. 4.64Mit möglichst klein“ können unterschiedliche Bedeutungen verbunden sein, je nachdem ” welche Prioritäten bei der Suche nach dem wahren λw gesetzt werden. Man könnte einerseits an einer objektiven“ Bestimmung von λw interessiert sein. Andererseits sind z.B. Situationen ” vorstellbar, in denen ein Überschätzen, bzw. ein Unterschätzen von λw weitestgehend vermieden werden sollte. Auf diese Problematik wird in Beispiel 4.7 eingegangen 4.65Vgl. Abschnitt 2.6. X könnte beispielsweise eine Wartezeit modellieren. Der mathematische Hintergrund solcher Anwendungen, d.h. die Gedächtnislosigkeit der Exponentialverteilung, wird in Beispiel 8.3 erklärt. 4.66Die Bestimmung eines Maximum-Likelihood-Schätzers für λ wird in Beispiel 4.3 diskutiert. 25. Juli 2011 81 Als statistisches Modell kann ((0, ∞), B((0, ∞)), (Pλ )λ>0 ) gewählt werden, wobei Pλ die Exponentialverteilung zum Parameter λ ist. Beim Entwurf eines Konfidenzbereichs soll zunächst gefordert werden, daß große Parameter λ nicht übersehen werden sollten 4.67. Somit sollte ein Konfidenzintervall der Gestalt X = (0, ∞) ∋ x → [k(x), ∞) = C(x) mit einer geeigneten Funktion k : (0, ∞) → (0, ∞) bestimmt werden. Sei qα (λ) das α-Quantil von Pλ , d.h. 4.68, (4.10) qα (λ) = inf y ∈ (0, ∞) : Pλ [[0, y]] ≥ α 1 = − log(1 − α), α ∈ (0, 1), λ ∈ (0, ∞). λ Für festes α ∈ (0, 1) ist die Funktion qα : (0, ∞) → (0, ∞) stetig und streng monoton fallend und hat somit eine stetige und streng monoton fallende Umkehrfunktion κα : (0, ∞) → (0, ∞) mit (4.11) κα (q) = inf λ ∈ (0, ∞) : qα (λ) ≤ q 1 = − log(1 − α), α ∈ (0, 1), q ∈ (0, ∞). q Zu einer Beobachtung 4.69 x ∈ (0, ∞) und dem Irrtumsniveau α ∈ (0, 1) sei nun Cα (x) = [κα (x), ∞). Aus (4.10) und (4.11) folgt λ ∈ Cα (x) ⇐⇒ λ ≥ κα (x) ⇐⇒ qα (λ) ≤ x, α ∈ (0, 1), λ ∈ (0, ∞), bzw. (4.12) λ 6∈ Cα (x) ⇐⇒ ⇐⇒ λ < κα (x) qα (λ) > x, α ∈ (0, 1), λ ∈ (0, ∞). Daher gilt Pλ [{x ∈ (0, ∞) : Cα (x) 6∋ λ}] = 4.70 = 4.71 = 4.72 Pλ [{x ∈ (0, ∞) : x < qα (λ)}] Pλ [{x ∈ (0, ∞) : x ≤ qα (λ)}] α, α ∈ (0, 1), λ ∈ (0, ∞), d.h., für α ∈ (0, 1) ist durch [0, ∞) ∋ x → Cα (x) = [κα (x), ∞) ein Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α gegeben. Wenn der Parameter λ zuverlässig sowohl nach oben als auch nach unten abgegrenzt werden soll, ist es naheliegend, Konfidenzintervalle der Gestalt X = (0, ∞) ∋ x → [k(x), k(x)] = C ′ (x) mit geeigneten Funktionen k, k : (0, ∞) → (0, ∞) zu suchen. Als Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α kann in diesem Fall beispielsweise Cα′ (x) = [κα/2 (x), κ1−(α/2) (x)], gewählt werden x ∈ (0, ∞), 4.73 . 4.67Kleine λ’s dürfen mit einer Fehlerquote von höchsten α · 100% unerkannt bleiben. 4.68Vgl. Beispiele 3.17 und 3.18. Im vorliegenden Fall ist insbesondere für alle α ∈ (0, 1) und alle λ > 0 das α-Quantil qα (λ) von Pλ eindeutig bestimmt. 4.69x ist als beobachtete Realisierung der Zufallsvariable X zu betrachten. 4.70Vgl. (4.12). 4.71Da P eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes hat. λ 4.72 Da qα (λ) ein α-Quantil von Pλ ist und weil Pλ eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes hat. 4.73Weil die Funktionen q , κ : (0, ∞) → (0, ∞), α ∈ (0, 1), stetig und streng monoton α α fallend sind und weil qα (κα (x)) = x, x ∈ (0, ∞), α ∈ (0, 1), gilt: Pλ {x ∈ (0, ∞) : [κα/2 (x), κ1−(α/2) (x)] 6∋ λ} = Pλ {x ∈ (0, ∞) : κα/2 (x) > λ oder κ1−(α/2) (x) < λ} = Pλ {x ∈ (0, ∞) : x < qα/2 (λ) oder x > q1−(α/2) (λ)} 25. Juli 2011 82 Da die Funktionen qα und κα streng monoton sind, können die in diesem Beispiel bestimmten Konfidenzintervalle Cα ( . ), bzw. Cα′ ( . ) nicht durch kleinere Konfidenzbereiche 4.74 in (0, ∞) ersetzt werden, d.h., diese Konfidenzbereiche können als optimal bezeichnet werden. Im nächsten Beispiel 4.8 wird gezeigt, wie auf eine zwar nicht optimale, allerdings einfache Weise Konfidenzintervalle bestimmt werden können. Beispiel 4.8. Ein zu einem Erfolg oder zu einem Mißerfolg führendes Experiment wird unter gleichbleibenden Bedingungen N mal unabhängig wiederholt 4.75. Es ist ein Konfidenzbereich für die Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1] zu bestimmen. Sei Z die Anzahl der Erfolge in den N Experimenten. Z ist binomialverteilt mit den Parametern N und p 4.76. Man kann daher mit dem statistischen Modell (X, Pot(X), (Pp )p∈[0,1] ), wobei X = {0, 1, . . . , N } und Pp = B(N, p), p ∈ [0, 1], arbeiten. In dieser Situation ist Z die durch Z(x) = x, x ∈ X, gegebene Statistik. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die sich als Konsequenz der Čebyšev’schen Ungleichung 4.77 ergebende Abschätzung Z 1 1 , ǫ > 0, p ∈ [0, 1]. (4.13) Pp − p ≥ ǫ ≤ 4.78 2 p(1 − p) ≤ 4.79 N ǫ N 4N ǫ2 Setzt man " x − C(x) = N r x 1 , + 4N α N r # 1 ∩ 4N α 4.80 [0, 1], x ∈ X, so folgt Pp [{x ∈ X : C(x) 6∋ p}] "( )# r r x x 1 1 = Pp x ∈ X : p > + oder p < − N 4N α N 4N α "( )# r x 1 = Pp x ∈ X : − p > N 4N α # " r Z 1 ≤ 4.81 α, p ∈ [0, 1], = Pp − p > N 4N α = Pλ [(0, qα/2 (λ))] + Pλ [(q1−(α/2) (λ), ∞)] | {z } | {z } = α/2 = 1 − Pλ [(0, q1−(α/2) (λ)]] | {z } = 1 − (α/2) = α, λ > 0. 4.74Seien D( . ) und D ′ ( . ) Konfidenzbereiche zum Irrtumsniveau α. Wenn D(x) $ D ′ (x) für alle x ∈ (0, ∞) ist, kann man sagen, daß D( . ) kleiner als D ′ ( . ) ist. 4.75M.a.W., man betrachtet den N -fachen, unabhängigen Münzwurf mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1]. 4.76Vgl. Abschnitt 1.1.2, insbesondere (1.5). 4.77Vgl. (1.10) und Satz 6.18. 4.78Vgl. (1.11). 4.79Da q(1 − q) ≤ 1/4, q ∈ [0, 1]. 4.80Es sollte C(x) ⊆ [0, 1] sein. 25. Juli 2011 83 d.h., {0, 1, . . . , N } = X ∋ x → C(x) ist ein Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α 4.82 4.83. √ 4.81Zum Nachweis dieser Ungleichung setze ǫ = 1/ 4N α in (4.13). 4.82Zum Beobachtungswert x ist x/N der Maximum-Likelihood-Schätzer für p, vgl. Bei- spiel 1.9. Im vorliegenden Fall ist daher C(x) symmetrisch bzgl. des Maximum-LikelihoodSchätzers. 4.83 In Beispiel 4.7 wird sehr detailliert auf die spezielle Struktur des zugrundeliegenden statistischen Modells, insbesondere auf die Eigenschaften der Exponentialverteilung eingegangen. Hingegen wird in Beispiel 4.8 im Rahmen einer speziellen Anwendung eine allgemeine, auf der Čebyšev’schen Ungleichung basierende Methode zur Bestimmung von Konfidenzintervallen vorgestellt. Eine andere allgemeine Methode, die auf dem Zentralen Grenzwertsatz beruht, wird in Abschnitt 9.5 anhand von zwei Beispielen erläutert. 25. Juli 2011 KAPITEL 5 Laplacesche Wahrscheinlichkeitsräume und Kombinatorik Sei (Ω, F, P) ein Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum 5.1, d.h., 1 , ω ∈ Ω. |Ω| < ∞, F = Pot(Ω), P[{ω}] = |Ω| Zur genauen Bestimmung von 5.2 (5.1) P[A] = |A| , |Ω| A ∈ F, sind durch kombinatorische Überlegungen Abzählmethoden zu entwickeln. Beispiel 5.1. 5.3 Es sei angenommen, daß vier faire Würfel unabhängig voneinander geworfen werden. Zur Modellierung dieses Geschehens kann mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), wobei Ω = {1, . . . , 6}4 5.4, F = Pot(Ω) und P die Gleichverteilung auf (Ω, F) ist, gearbeitet werden. Zu beantworten sei zunächst die Frage nach der Wahrscheinlichkeit p1 , daß alle vier Augenzahlen verschieden sind. Aufgrund von (5.1) ist |{ω ∈ Ω : ωi 6= ωj , falls i 6= j}| |Ω| Anzahl der Wurfsequenzen mit vier verschiedenen Augenzahlen = Anzahl aller Wurfsequenzen 6 · 5 · 4 · 3 5 = 5.5 = . 64 18 p1 = Die Würfel seien nun durchnumeriert 5.6. Bei der Klärung der Frage nach der Wahrscheinlichkeit p2 , daß die geworfenen Augenzahlen streng monoton steigend sind 5.7, führt (5.1) zu p2 = |{ω ∈ Ω : ω1 < ω2 < ω3 < ω4 }| |Ω| 5.1Vgl. Abschnitt 2.2. 5.2Für Terme wie auf der rechten Seite von (5.1) muß die Anzahl der Elemente in Ω, bzw. in A bestimmt werden. 5.3Auf die Fragestellungen dieses Beispiels wird unter leicht veränderten Blickwinkeln auch in den folgenden Beispielen 5.2, 5.3 und 5.7 eingegangen. 5.4Ω = {1, . . . , 6}4 = {(ω , . . . , ω ) : ω , . . . , ω = 1, 2, . . . , 6}. Für i = 1, . . . , 4 beschreibt ω 1 4 1 4 i die Augenzahl des i-ten Würfels. 5.5Der Zähler ergibt sich folgendermaßen: Für den ersten Wurf gibt es 6 Möglichkeiten, danach verbleiben für den zweiten Wurf noch 5 Möglichkeiten. Für den dritten und den vierten Wurf gibt es schließlich noch 4, bzw. 3 Möglichkeiten. 5.6Bei der Verwendung des Stichprobenraums Ω = {1, . . . , 6}4 ist durch die Reihenfolge der vier Koordinatenrichtungen“ natürlich auch eine Reihenfolge der Würfel gegeben. Insbesondere ” war bei der Lösung der ersten Frage auch implizit angenommen worden, daß die Würfel numeriert sind. 5.7D.h., daß ω < ω < ω < ω . 1 2 3 4 85 86 = 5.8 = 5.9 Anzahl der 4-elementigen Teilmengen von {1, . . . , 6} |Ω| 6 1 6! 5 4 = 4· = . 4 6 6 4! · 2! 432 Die Lösungen der Abzählprobleme in diesen und vielen anderen Beispielen der elementaren Wahrscheinlichkeitstheorie 5.10 können häufig mit Hilfe der im folgenden Abschnitt 5.1 eingeführten sog. Urnenmodelle bestimmt werden. 5.1. Urnenmodelle Einige Klassen von Abzählproblemen können gelöst werden durch die Bestimmung der Anzahl der Möglichkeiten, aus einer Urne, die N unterscheidbare Kugeln enthält, n Kugeln zu ziehen. Hierbei entsprechen die unterschiedlichen Klassen der Abzählprobleme verschiedenen Ziehungsstrategien. Es gibt: • zwei • zwei - Auswahlverfahren zum Ziehen der Kugeln: gezogene Kugeln werden nach ihrer Ziehung zurückgelegt, gezogene Kugeln werden nach ihrer Ziehung nicht zurückgelegt. Anordnungsverfahren für die gezogenen Kugeln: der Reihenfolge der gezogenen Kugeln wird Beachtung geschenkt 5.11, der Reihenfolge der gezogenen Kugeln wird keine Beachtung geschenkt 5.12. Damit ergeben sich vier verschiedene Ziehungsstrategien oder Urnenmodelle: (U1 ) Ziehung mit Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge der gezogenen Kugeln, (U2 ) Ziehung ohne Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge der gezogenen Kugeln, (U3 ) Ziehung mit Zurücklegen und ohne Berücksichtigung der Reihenfolge der gezogenen Kugeln, (U4 ) Ziehung ohne Zurücklegen und ohne Berücksichtigung der Reihenfolge der gezogenen Kugeln. Für k = 1, 2, 3, 4 sei Wk (N, n) die Menge der für (Uk ) möglichen Ziehungsresultate 5.13. Während W1 (N, n) und W3 (N, n) für alle N, n ∈ N definiert sind, muß für W2 (N, n) und W4 (N, n) die Einschränkung n ≤ N berücksichtigt werden 5.14. 5.8Die Augenzahl des ersten Wurfs wird identifiziert mit dem kleinsten Element einer 4elementigen Teilmenge von {1, . . . , 6}, die Augenzahl des zweiten Wurfs mit dem zweitkleinsten Element . . . . 5.9 Details zur Berechnung der Anzahl r-elementiger Teilmengen einer N -elementigen Menge mit Hilfe des Binomialkoeffizienten N folgen in Abschnitt 5.1.2. Insbesondere wird in Beispiel 5.3 r ein weiteres Mal auf die Bestimmung von p2 eingegangen. 5.10 Ein solches Beispiel wäre die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, daß in einer Gruppe von 100 Personen zwei am gleichen Tag Geburtstag haben, vgl. Beispiel 5.5. 5.11Beispielsweise wird die Ziehung der Kugeln 1, 4, 2, 7, . . . (in dieser Reihenfolge) von der Ziehung der Kugeln 1, 2, 7, 4, . . . (in dieser Reihenfolge) unterschieden. 5.12Beispielsweise wird die Ziehungssequenz 1, 4, 2, 7, . . . (in dieser Reihenfolge) mit der Ziehungssequenz 1, 2, 7, 4, . . . (in dieser Reihenfolge) identifiziert. 5.13In Abschnitt 5.1.2 wird |W (N, n)|, k = 1, 2, 3, 4, N, n ∈ N, d.h., die Anzahl der jeweils k möglichen, unterschiedlichen Ziehungsresultate berechnet. 5.14Offensichtlich können mit den Ziehungsstrategien (U ) und (U ) höchstens N Kugeln der 2 4 Urne entnommen werden. 25. Juli 2011 87 5.1.1. Darstellung der Mengen Wk (N, n), k = 1, . . . , 4. Die Elemente von Wk (N, n), k = 1 . . . , 4, besitzen eine Darstellung w = (w1 , . . . , wn ), wobei wl ∈ {1, . . . , N } 5.15. Allerdings sind für die verschiedenen Urnenmodelle 5.16 evtl. nicht alle w’s möglich 5.17, bzw. sind unterschiedliche w’s miteinander zu identifizieren 5.18. Insbesondere ergeben sich die folgenden Darstellungen: • W1 (N, n) = (w1 , . . . , wn ) : wl ∈ {1, . . . , N }, l = 1, . . . , n 5.19. • W2 (N, n) = (w1 , . . . , wn ) ∈ W1 (N, n) : wi 6= wj für i 6= j 5.20. • W3 (N, n) = (w1 , . . . , wn ) ∈ W1 (N, n) : 1 ≤ w1 ≤ w2 ≤ · · · ≤ wn ≤ N . Da die Reihenfolge der gezogenen Kugeln keine Rolle spielt, können o.E.d.A. die Ziehungszeitpunkte“ 5.21 so umgeordnet werden, daß die wl ’s monoton ” ansteigend sind. • W4 (N, n) = (w1 , . . . , wn ) ∈ W1 (N, n) : 1 ≤ w1 < w2 < . . . < wn ≤ N . Nach einer Umordnung der Ziehungszeitpunkte“ sind die wl ’s streng mo” noton ansteigend 5.22. 5.1.2. Berechnung von |Wk (N, n)|, k = 1, . . . , 4. 5.23 Zu |W1 (N, n)|: Es gibt • N Möglichkeiten für die Wahl der 1. Kugel, • N Möglichkeiten für die Wahl der 2. Kugel 5.24, • ... • N Möglichkeiten für die Wahl der n. Kugel. Somit ist (5.2) |W1 (N, n)| = N n , N, n ∈ N. Zu |W2 (N, n)|: Es gibt • N Möglichkeiten für die Wahl der 1. Kugel, • N − 1 Möglichkeiten für die Wahl der 2. Kugel 5.25, • ... • N − (n − 1) Möglichkeiten für die Wahl der n. Kugel 5.26. Somit ist N! , N, n ∈ N, n ≤ N. (5.3) |W2 (N, n)| = N (N − 1) · · · (N − (n − 1)) = (N − n)! Beispiel 5.2 (Rückblick auf Beispiel 5.1). Die Würfe des Würfels können modelliert werden, als Ziehungen aus einer Urne mit 6 Kugeln, wobei nach jeder Ziehung die gezogene Kugel wieder zurückgelegt wird. Damit folgt p1 = |W2 (6, 4)| |W1 (6, 4)| 5.27 5.28 = 6! 1 5 = · . 2! 64 18 5.15w gibt die Nummer der im l-ten Zeitpunkt gezogenen Kugel an. Offensichtlich kann in l den hier vorgestellten Überlegungen angenommen werden, daß die Kugeln in aufeinanderfolgenden Zeitpunkten gezogen werden. 5.16 Damit sind die in Abschnitt 5.1 unter (U1 ) - (U4 ) aufgeführten Ziehungsvarianten gemeint. 5.17Beispielsweise, wenn die Kugeln nicht mehr zurückgelegt werden. 5.18Beispielsweise, wenn es auf die Reihenfolge der gezogenen Kugeln nicht ankommt. 5.19Für k 6= l kann w = w sein, da die Kugeln zurückgelegt werden. k l 5.20Man beachte, daß die Kugeln nicht zurückgelegt werden, und daher alle w ’s verschieden l sind. 5.21D.h. die Koordinaten von w = (w , . . . , w ). n 1 5.22Da die Kugeln nicht zurückgelegt werden, ist Gleichkeit zwischen zwei w ’s ausgeschlossen. l 5.23Nach der Bestimmung von |W (N, n)|, k = 1, . . . , 4, sind Lösungen für Abzählprobleme, k wie sie beispielsweise in Beispiel 5.1 angesprochen wurden, möglich. 5.24Man beachte, daß die 1. Kugel wieder zurückgelegt wird. 5.25Nach der Entnahme der 1. Kugel verbleiben noch N − 1 Kugeln in der Urne. 5.26Nach dem Ziehen von n − 1 Kugeln sind noch N − (n − 1) Kugeln in der Urne. 25. Juli 2011 88 Zu |W4 (N, n)| 5.29 : Jedes w = (w1 , . . . , wn ) ∈ W4 (N, n) repräsentiert alle w′ = (w1′ , . . . , wn′ ) ∈ W2 (N, n), deren Komponenten w1′ , . . . , wn′ sich durch eine Permutation, d.h. Umordnung aus den Komponenten w1 , . . . , wn von w ergeben 5.30. Für alle w ∈ W4 (N, n) gibt es n! derartige Permutationen 5.31 5.32. Andererseits ergibt sich jedes w′ ∈ W2 (N, n) aus genau einem w ∈ W4 (N, n) durch eine Permutation 5.33. Folglich zerfällt W2 (N, n) in disjunkte Klassen mit jeweils n! Elementen. Jede Klasse entspricht genau einem Element in W4 (N, n). Daher ist |W2 (N, n)| = (5.4) |W4 (N, n)| = n! 5.34 N! 1 · =: (N −n)! n! N , n N, n ∈ N, n ≤ N. Beispiel 5.3 (Weiterer Rückblick auf Beispiel 5.1 5.35). Eine streng monoton ansteigende Folge von Augenzahlen bei 4 Würfen eines Würfels entspricht genau einer in aufsteigender Reihenfolge angeordneten, 4-elementigen Teilmenge von {1, . . . , 6}. Daher ist |W4 (6, 4)| 5.36 1 6 5 p2 = = · 4 = . 4 6 432 |W1 (6, 4)| 5.37 Zu |W3 (N, n)|: Wenn die in Abschnitt 5.1.1 angegebenen Darstellungen der Mengen W3 (. . . ) und W4 (. . . ) benutzt werden, wird deutlich, daß die Abbildung W3 (N, n) ∋ (w1 , w2 , . . . , wn ) τ (N,n) → (w1 , w2 + 1, . . . , wn + n − 1) ∈ W4 (N + n − 1, n) 5.27Eine Wurfsequenz mit verschiedenen Augenzahlen entspricht einer Ziehungssequenz mit verschiedenen gezogenen Kugeln, wobei in beiden Fällen die Reihenfolge beachtet wird. 5.28Jede Wurfsequenz entspricht genau einer Ziehungssequenz. 5.29Die etwas schwierigere Berechnung von |W (N, n)| wird zurückgestellt. 3 5.30In W (N, n) und W (N, n) werden Ziehungen ohne Zurücklegen betrachtet. In W (N, n) 2 4 4 wird allerdings die Reihenfolge nicht berücksichtigt, d.h., unterschiedliche Ziehungssequenzen aus W2 (N, n) können in W4 (N, n) zusammenfallen. 5.31w kann an n Stellen in w ′ eingeordnet werden. Anschließend kann w noch an n − 1 1 2 Positionen gebracht werden. . . . 5.32 Jede Permutation entspricht einer Möglichkeit, aus n Objekten (Kugeln) ohne Zurücklegen n Objekte (Kugeln) mit Berücksichtigung der Reihenfolge auszuwählen. Folglich ist Anzahl der Permutationen = |W2 (n, n)| = n! = n!, 0! vgl. (5.3). 5.33Wenn die in Abschnitt 5.1.1 angegebenen Darstellungen der W (N, n), k = 1, . . . , 4, k ′ in aufsteigender benutzt werden, entsteht jenes w ∈ W4 (N, n) durch Anordnung von w1′ , . . . , wn Reihenfolge. 5.34Vgl. (5.3). 5.35Vgl. auch Beispiel 5.2. 5.36|W (6, 4)| ist die Anzahl aller 4-elementigen Teilmengen von {1, . . . , 6}, d.h. aller Wurf4 sequenzen der Länge 4 mit streng monoton ansteigenden Augenzahlen. 5.37 |W1 (6, 4)| ist die Anzahl aller Wurfsequenzen der Länge 4. 25. Juli 2011 89 bijektiv ist 5.38 . Diese Beobachtung führt zu N +n−1 , |W3 (N, n)| = |W4 (N + n − 1, n)| = 5.39 n (5.5) N, n ∈ N. 5.2. Anwendungen von Urnenmodellen Vor allem in Beispielen der elementaren Wahrscheinlichkeitstheorie, wenn mit Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsräumen gearbeitet wird, finden die verschiedenen Urnenmodelle Anwendungen, um mit Hilfe von (5.1) Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Beispiel 5.4 (Ein Problem zum Skatspiel 5.40). Beim Skatspiel kann es für den Spieler, der das Spiel macht“ ein großer Vorteil sein, wenn zwei Buben im Skat“ ” ” sind. Es ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit p3 dieses Ereignisses zu beantworten 5.41. Bei der Berechnung von p3 ist zu beachten, daß • der Skat sich durch Auswahl von 2 aus 32 Karten ergibt und daß es somit |W4 (32, 2)| Möglichkeiten für seine Zusammensetzung gibt. Da alle Möglichkeiten die gleiche Wahrscheinlichkeit besitzen, kann mit einem Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsraum mit |W4 (32, 2)| Elementen gearbeitet werden. • Da 4 Buben im Spiel enthalten sind, gibt es weiterhin |W4 (4, 2)| Möglichkeiten, einen Skat mit zwei Buben zusammenzustellen. Folglich ist 4 3 |W4 (4, 2)| 2 = = ≈ 0, 012. p3 = 32 |W4 (32, 2)| 248 2 Beispiel 5.5 (Zusammenfallen zweier Geburtstage). Es ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit p4,M , daß in einer Gruppe von M Personen mindestens zwei am gleichen Tag des Jahres Geburtstag haben, zu beantworten 5.42. Der Fall M > 365 ist trivial. Dann ist p4,M = 1. Für M ≤ 365 gilt: p4,M = 1 − P[alle M Personen haben an verschiedenen Tagen Geburtstag] = 5.43 1− Anzahl der Möglichkeiten für M verschiedene Geburtstage 5.44 Anzahl aller Möglichkeiten für die Geburtstage von M Personen 5.45 5.38Wenn w ≤ w l l+1 für ein Element w ∈ W3 (N, n), so gilt wl +l−1 < wl +l ≤ wl+1 +l. Durch die Abbildung τ (N, n) wird Luft“ in die Sequenz (w1 , . . . , wn ) hineingeblasen“. Eine monoton ” ” ansteigende Folge mit Werten in {1, . . . , N } wird daher in eine streng monoton ansteigende Folge mit Werten in {1, . . . , N + n − 1} abgebildet. Die Umkehrabbildung von τ (N, n) ist durch ′ W4 (N + n − 1, n) ∋ (w1′ , w2′ , . . . , wn ) τ (N,n)−1 → ′ (w1′ , w2′ − 1, . . . , wn − n + 1) ∈ W3 (N, n) gegeben. 5.39Vgl. (5.4). 5.40Es sei daran erinnert, daß 32 Karten (4 Asse, 4 Könige, . . . , 4 Buben,. . . , 4 Siebener) im Spiel sind. Diese werden gut gemischt. 3 Spieler erhalten dann jeweils 10 Karten. 2 Karten verbleiben im Skat“ und werden später demjenigen Spieler, der das Spiel macht“ zugeteilt. 5.41p ist ”unter der Voraussetzung, daß die Spieler die ihnen”jeweils zugeteilten Karten noch 3 nicht kennen, zu bestimmen. 5.42Es sei angenommen, daß für einen Geburtstag jeder Tag des Jahres gleichwahrscheinlich ist, d.h., ein Phänomen wie die Häufung von Geburtstagen im November im Rheinland als Folge des Karnevals sei nicht berücksichtigt. Außerdem seien Schaltjahre vernachlässigt. 25. Juli 2011 90 |W2 (365, M )| |W1 (365, M )| 365! = 5.46 1 − 365M · (365 − M )! 365 365 − 1 365 − 2 365 − M + 1 = 1− . · · ··· 365 365 365 365 | {z } 2 M − 1 1 · 1− ··· 1 − =1· 1− 365 365 365 Da 0 < 1 − x ≤ exp(−x), x ∈ [0, 1), ergibt sich M−1 k Y p4,M ≥ 1 − exp − 365 k=1 M−1 M (M − 1) 1 X . k = 5.47 1 − exp − = 1 − exp − 365 730 = 1− k=1 Speziell für M = 100 ist somit p4,100 ≥ 0.9999987. Beispiel 5.6 (Gewinnchancen beim Zahlenlotto). Beim Zahlenlotto 6 aus 49“ ” werden aus 49 numerierten Kugeln mit gleicher Wahrscheinlichkeit 6 Kugeln aus5.48 gewählt . Für r = 1, . . . , 6, ist die Wahrscheinlichkeit p5,r , daß ein Tip mit 6 Zahlen genau r Richtige“ enthält, zu berechnen 5.49. ” Ein Tip mit genau r Richtigen“ enthält auch 6 − r falsch getippte Zahlen. ” Daher gilt: p5,r = (Anzahl aller Ziehungsmöglichkeiten)−1 ×(Anzahl aller Möglichkeiten, r der 6 gezogenen Zahlen zu tippen) ×(Anzahl aller Möglichkeiten, 6−r der 43 nicht gezogenen Zahlen zu tippen) 5.43Es wird nun so getan, als würden die M Personen in einer festen Reihenfolge nach Ihrem Geburtstag gefragt. Diese Reihenfolge wird im folgenden berücksichtigt. Da es insbesondere |W1 (365, M )| Möglichkeiten gibt, die Geburtstage der M Personen festzulegen, wird letztendlich in einem Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsraum mit |W1 (365, M )| Elementen gearbeitet. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß die Reihenfolge der Personen keine Rolle spielt, könnte man versucht sein, mit einem Wahrscheinlichkeitsraum mit |W3 (365, M )| Elementen zu arbeiten. Allerdings haben dann die 1-elementigen Ereignisse unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten, d.h., die Arbeit mit einem Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsraum wäre nun nicht möglich. Beispielsweise haben für M = 2 die Ereignisse E1 = {(w1 , w1 )} und E2 = {(w1 , w2 )} mit w1 < w2 die Wahrscheinlichkeiten P[E1 ] = 365−2 , bzw. P[E2 ] = 2 · 365−2 . Es ist zu beachten, daß E1 eintritt, wenn beide Personen am Tag w1 Geburtstag haben und daß E2 eintritt, wenn Person 1 am Tag w1 und Person 2 am Tag w2 oder wenn Person 1 am Tag w2 und Person 2 am Tag w1 Geburtstag haben. Auf die in dieser Fußnote 5.43 angesprochene Problematik, d.h. die Verwendung einer a priori nicht gegebenen Reihenfolge, wird im Rahmen einer Diskussion von Beispiel 5.1 ausführlicher in Beispiel 5.7 eingegangen. 5.44 Dies ist die Anzahl der Möglichkeiten, unter Berücksichtigung der Reihenfolge aus einer Menge von 365 Objekten (Tagen) M verschiedene auszuwählen. 5.45 Dies ist die Anzahl der Möglichkeiten, unter Berücksichtigung der Reihenfolge M mal eines (einen) von 365 Objekten (Tagen) auszuwählen. 5.46 Vgl. (5.2) und (5.3). 5.47Da PL l = L(L + 1)/2. l=1 5.48Die Ziehung einer weiteren Kugel mit der Zusatzzahl bleibt hier unberücksichtigt. 5.49Da es insgesamt |W (49, 6)| gleichwahrscheinliche Möglichkeiten gibt, aus 49 Kugeln 4 6 auszuwählen, kann mit einem Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsraum mit |W4 (49, 6)| Elementen gearbeitet werden. 25. Juli 2011 91 6 43 · |W4 (6, r)| · |W4 (43, 6 − r)| r 6−r . = = 49 |W4 (49, 6)| 6 Insbesondere ist p5,3 p5,5 p5,6 6 43 · 3 3 = ≈ 1, 77 · 10−2 , 49 6 6 43 · 5 1 = ≈ 1, 845 · 10−5 , 49 6 6 43 · 1 6 0 = ≈ 7, 15 · 10−8 . = 49 49 6 6 Das nächste Beispiel demonstriert insbesondere, daß auch bei elementaren Fragen, die üblicherweise auf Abzählprobleme reduziert und mit kombinatorischen Methoden behandelt werden, Sorgfalt geboten ist, und daß eine leichtfertige Argumentation schnell zu falschen Resultaten führt. Beispiel 5.7 (Noch ein Rückblick auf Beispiel 5.1). Bei der Untersuchung des unabhängigen Wurfs von 4 Würfeln in Beispiel 5.1, bzw. in Beispiel 5.2 ergab sich 5.50 (5.6) |W2 (6, 4)| p1 = P1 alle Augenzahlen sind verschieden = |W1 (6, 4)| 5.51 5.52 = 5 . 18 Bei den Berechnungen in (5.6) wird in dem Wahrscheinlichkeitsraum (W1 (6, 4), Pot(W1 (6, 4)), P1 ) gearbeitet, wobei P1 die Gleichverteilung auf W1 (6, 4) ist 5.53. Durch die Verwendung von W1 (. . . ) wird stillschweigend für die Würfe eine Reihenfolge festgelegt, die zunächst eigentlich nicht vorgegeben ist. Es wäre daher naheliegend, wenn auf die Festlegung der Reihenfolge der Würfe verzichtet werden soll, die Menge der möglichen Wurfkombinationen durch den Stichprobenraum Ω = W3 (6, 4) 5.54 zu beschreiben. Wie die folgenden Überlegungen zeigen, kann dieser Stichprobenraum zur Bestimmung von p1 in der Tat zwar verwendet, dann allerdings nicht mehr mit der Struktur eines Laplaceschen Wahrscheinlichkeitsraums versehen werden 5.55. 5.50Bei der Argumentation in Beispiel 5.2 wurde der Wurf eines Würfels mit dem Ziehen einer Kugel aus einer Urne mit 6 unterscheidbaren Kugeln identifiziert. 5.51Anzahl der Wurfsequenzen mit 4 verschiedenen Augenzahlen. 5.52Anzahl aller Wurfsequenzen. 5.53Damit ist (W (6, 4), Pot(W (6, 4)), P ) ein Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum. 1 1 1 5.54W (6, 4) ist die Menge der möglichen Resultate bei 4 Ziehungen mit Zurücklegen aus 3 einer Urne mit 6 Kugeln (4 Würfe eines Würfels) ohne Berücksichtigung der Reihenfolge, vgl. Abschnitt 5.1. 5.55Die einzelnen Elemente ω ∈ Ω = W (6, 4) sind dann nicht gleichwahrscheinlich. 3 25. Juli 2011 92 Wenn zunächst auf Ω = W3 (6, 4) die Gleichverteilung P3 betrachtet werden würde, ergäbe sich die (5.6) widersprechende Beziehung 5.56 6 5.57 5 |W4 (6, 4)| 4 = 5.58 = . (5.7) p1 = 9 |W3 (6, 4)| 42 4 Zur Korrektur von (5.7) kann folgendermaßen vorgegangen werden. (a) Es sei angenommen, daß irgendeine Möglichkeit einer Unterscheidung der vier Würfel besteht 5.59. 6 (b) Die 4 in Ω = W3 (6, 4) paarweise verschiedenen Zustände ((1, 2, 3, 4)), ((1, 2, 3, 5)), ((1, 2, 3, 6)), . . . 5.60, die vier Würfe mit unterschiedlichen Augenzahlen beschreiben, sind Makrozustände 5.61, die jeweils 4! verschiedene Mikrozustände aus W1 (6, 4) 5.62 zusammenfassen. Diese Mikrozustände werden nur dann unterscheidbar, wenn die in (a) genannten feinen Unterschiede zwischen den Würfeln sichtbar werden 5.63. Beispielsweise faßt der Makrozustand ((1, 2, 3, 5)) solche Mikrozustände wie (1, 2, 3, 5), (1, 2, 5, 3), (1, 5, 2, 3), . . . zusammen, die im mit der Gleichverteilung P1 versehenen Raum W1 (6, 4) jeweils die Wahrscheinlichkeit 6−4 besitzen 5.64. (c) Einem Makrozustand wie ((1, 2, 3, 5)) muß damit in Ω = W3 (6, 4) die Wahrscheinlichkeit 5.65 P2 [{((1, 2, 3, 5))}] = 4! · 6−4 = 1/54 zugewiesen werden 5.66. (d) Alternativ kann nun p1 gemäß (5.8) p1 = 5.67 = 5.68 P2 [{((w1 , . . . , w4 )) ∈ W3 (6, 4) : 1 ≤ w1 < w2 < w3 < w4 ≤ 6}] X P2 [{((ω1 , . . . , ω4 ))}] ((w1 ,...,w4 ))∈W3 (6,4), 1≤w1 <w2 <w3 <w4 ≤6 6·5·4·3 6 5 = · 4! · 6−4 = = 4 4 6 18 5.56Es ist leicht einzusehen, daß die Annahme der Gleichverteilung auf W (6, 4) nicht 3 vernünftig ist. Beispielsweise ist es offensichtlich schwieriger“, d.h. unwahrscheinlicher“, vier ” ” mal eine 1 zu werfen als je zwei mal eine 1, bzw. eine 2 zu erhalten. Im zweiten Fall gibt es mehr Möglichkeiten, das beschriebene Resultat zu erzielen. Ein ähnliches Argument wird in Fußnote 5.43 vorgebracht. 5.57W (6, 4) ist die Teilmenge jener Elemente von W (6, 4), die ein Wurfresultat mit 4 ver4 3 schiedenen Augenzahlen darstellen. 5.58 Vgl. (5.4) und (5.5). 5.59 Beispielsweise bestehen die Würfel vermutlich aus unterschiedlich vielen Atomen. 5.60Die Notation ω = ((w , w , w , w )) für Elemente in Ω = W (6, 4) soll daraufhinweisen, 1 2 3 4 3 daß die Reihenfolge der Würfe nicht berücksichtigt zu werden braucht, d.h., daß o.E.d.A. 1 ≤ w1 ≤ w2 ≤ w3 ≤ w4 ≤ 6 angenommen werden kann, vgl. Abschnitt 5.1.1. 5.61 In den Makrozuständen ist keine Reihenfolge der Würfel ausgezeichnet. 5.62In den Mikrozuständen ist eine Reihenfolge der Würfel ausgezeichnet. Die Menge aller Mikrozustände wird durch W1 (6, 4) repräsentiert. 5.63 Makro- und Mikrozustände sind bildliche Begriffsbildungen zur Erleichterung der mathematischen Argumentation. 5.64Offensichtlich sind alle Mikrozustände gleichwahrscheinlich. 5.65Die Wahrscheinlichkeit eines Makrozustandes ist die Summe der Wahrscheinlichkeiten der durch ihn zusammengefaßten, sich gegenseitig ausschließenden Mikrozustände. 5.66Das Wahrscheinlichkeitsmaß P unterscheidet sich von der Gleichverteilung P auf 2 3 −1 = 1/126, ω ∈ W3 (6, 4). (W3 (6, 4), Pot(W3 (6, 4))). Z.B. gilt P3 [{ω}] = |W3 (6, 4)|−1 = 94 25. Juli 2011 93 berechnet werden, d.h., (5.6) wird bestätigt. Solche ω ∈ W3 (6, 4), über die in (5.8) nicht summiert wird, besitzen i. allg. verschiedene andere Wahrscheinlichkeiten unter P2 . Beispielsweise gilt: P2 [{((1, 1, 1, 1))}] = 5.69 6−4 = 1/1296, P2 [{((1, 2, 2, 4))}] = 5.70 4 · 3 · 6−4 = 1/108. Die Überlegungen dieses Beispiels verdeutlichen wieder einmal, daß in konkreten Anwendungen immer unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsräume benutzt werden können 5.71. Die Kunst besteht dann darin, einen für das jeweilige mathematische Vorhaben optimal geeigneten Wahrscheinlichkeitsraum herauszufinden 5.72. 5.3. Eine Alternative zu den Urnenmodellen Die Urnenmodelle (U1 ) - (U4 ) 5.73 repräsentieren mathematische Modelle zur Lösung gewisser Abzählprobleme. Diese Lösungen können auch mit Hilfe der in diesem Abschnitt 5.3 vorgestellten und zu den Urnenmodellen äquivalenten Verteilungsmodelle gewonnen werden. Gegeben seien N unterscheidbare Zellen, auf welche n Murmeln 5.74 verteilt werden. Hierbei können die Zellen und die Murmeln folgende unterschiedliche physikalische Eigenschaften besitzen: • Die Zellen erlauben nur Einfach-, bzw. auch Mehrfachbesetzungen. • Die Murmeln sind unterscheidbar, bzw. nicht unterscheidbar. Entsprechend den vier Urnenmodellen gibt es nun vier Verteilungsvarianten: (V1 ) Für unterscheidbare Murmeln ist eine Mehrfachbelegung der Zellen erlaubt. (V2 ) Für unterscheidbare Murmeln ist eine Mehrfachbelegung der Zellen nicht erlaubt. (V3 ) Für nicht unterscheidbare Murmeln ist eine Mehrfachbelegung der Zellen erlaubt. (V4 ) Für nicht unterscheidbare Murmeln ist eine Mehrfachbelegung der Zellen nicht erlaubt. fk (N, n) der möglichen VerteilungsFür k = 1, . . . , 4 entspricht die Menge W resultate unter (Vk ) genau der Menge Wk (N, n) der möglichen Ziehungsresultate unter (Uk ). Dazu muß 5.67Es ist die Wahrscheinlichkeit der Menge der 6 4 unterschiedlichen Elemente ω von W3 (6, 4), deren Komponenten paarweise verschieden sind, und die damit durch W4 (6, 4) beschrieben werden können, zu bestimmen. 5.68 Als Folge der Additivität von P2 . Im Gegensatz zu den zu (5.7) führenden Überlegungen haben aufgrund von (a) - (c) die ω’s, über die summiert wird, nicht mehr die Wahrscheinlichkeit |Ω3 (6, 4)|−1 sondern 4! · 6−4 . 5.69Dem Makrozustand ((1, 1, 1, 1)) entspricht nur der eine Mikrozustand (1, 1, 1, 1) in W1 (6, 4), der die Wahrscheinlichkeit 6−4 besitzt. 5.70 Dem Makrozustand ((1, 2, 2, 4)) entsprechen 4 · 3 verschiedene Mikrozustände (1, 2, 2, 4), (1, 2, 4, 2), (1, 4, 2, 2), . . . . Diese werden durch Wahl eines von 4 · 3 möglichen geordneten Würfelpaaren für die Augenzahlen 1 und 4 bestimmt. Die zwei restlichen Würfel zeigen dann automatisch 2. 5.71 Diese Beobachtung konnte auch in Beispiel 3.25 gemacht werden. 5.72 Zur Bestimmung von p1 ist offensichtlich die in Beispiel 5.1 vorgestellte Argumentation leichter nachvollziehbar und daher besser geeignet als die zu (5.8) führenden Überlegungen (a) - (d) dieses Beispiels. 5.73Vgl. Abschnitt 5.1 5.74Der Name Kugeln“ wird hier nicht gewählt, weil die nun benutzten Murmeln eine andere ” mathematische Bedeutung als die Kugeln in den Urnenmodellen haben. 25. Juli 2011 94 • jede der N Kugeln in den Urnenmodellen mit einer der N Zellen und • jede der n Ziehungen in den Urnenmodellen mit der Einordnung einer der n Murmeln identifiziert werden 5.75. Beispielsweise entspricht nun • das Ziehen der r-ten Kugel bei der k-ten Ziehung dem Einlegen der k-ten Murmel in die r-te Zelle, • das k-fache Ziehen einer bestimmten Kugel dem Einlegen von k Murmeln in die der Kugel zugeordnete Zelle, • das Nichtberücksichtigen der Reihenfolge der gezogenen Kugeln der Verwendung ununterscheidbarer Murmeln, • ... Beispiel 5.8. Das Zahlenlotto 5.76 6 aus 49 läßt sich auch darstellen als die Verteilung von 6 ununterscheidbaren Murmeln auf 49 Zellen, wobei eine Mehrfachbelegung der Zellen verboten ist. 5.4. Multinomialverteilung und hypergeometrische Verteilung Die in diesem Abschnitt 5.4 vorgestellten Wahrscheinlichkeitsmaße sind auf gewissen endlichen Teilmengen von Zn , n ∈ N, konzentriert. In ihren klassischen Anwendungen 5.77 dienen sie der Modellierung der Resultate von Ziehungen aus einer Urne, die Gruppen von Kugeln verschiedener Farben enthält. Je nachdem, ob man gezogene Kugeln wieder zurücklegt oder nicht, beschreibt die Multinomialverteilung, bzw. die hypergeometrische Verteilung die Verteilung der möglichen Ziehungsresultate 5.78. Die Multinomialverteilung P Mn (N, q1 , . . . , qn ) ist durch Parameter n, N ∈ N und q1 , . . . , qn ∈ [0, 1] mit nk=1 qk = 1 gekennzeichnet. Mn (N, q1 , . . . , qn ) ist ein diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß 5.79 auf n X (5.9) Ωn,N = ω = (ω1 , . . . , ωn ) : ωk ∈ {0, 1, ..., N }, k = 1, . . . , n; ωk = N k=1 mit 5.80 (5.10) Mn (N, q1 , . . . , qn )[{ω}] = Die Größen N N! , (5.11) := l1 ! · · · ln ! l1 , . . . , ln N! q ω1 · · · qnωn , ω1 ! · · · ωn ! 1 l1 , . . . , ln = 0, 1, . . . , N, n X k=1 werden als Multinomialkoeffizienten bezeichnet. ω ∈ Ωn,N . lk = N, n, N ∈ N, 5.75Insbesondere haben die Murmeln in den Verteilungsmodellen die Bedeutung der Ziehungszeitpunkte in den Urnenmodellen. 5.76Vgl. Beispiel 5.6. 5.77Auf diese klassischen“ Anwendungen wird in den Beispielen 5.10 und 5.12 eingegangen. ” 5.78Ein Ziehungsresultat“ gibt für alle Farben die jeweilige Anzahl gezogener Kugeln an. ” Auf die Reihenfolge, in der die Kugeln mit den verschiedenen Farben gezogen werden, wird nicht eingegangen. 5.79Vgl. Abschnitt 2.2. 5.80Da N! ωn ≥ 0, ω ∈ Ωn,N , q ω1 · · · q n ω1 ! · · · ωn ! 1 und weil X N! ωn = (q1 + · · · + qn )N = 1, q1ω1 · · · qn ω ! · 1 · · ωn ! ω∈Ω n,N ist durch (5.9) und (5.10) in der Tat ein Wahrscheinlichkeitsmaß definiert. 25. Juli 2011 95 Beispiel 5.9. Sei n = 2, q1 = q und q2 = 1 − q für ein q ∈ [0, 1]. Dann ist N! q k q N −k k!(N −k)! 1 2 N k = q (1−q)N −k = B(N, q)[{k}], k 5.81 M2 (N, q1 , q2 )[{(k, N −k)}] = k = 0, 1, . . . , N. Daher entspricht die Multinomialverteilung M2 (N, q, 1 − q) der Binomialverteilung B(N, q) 5.82. I. allg. ist die Multinomialverteilung eine Verallgemeinerung der Binomialverteilung. Beispiel 5.10. Gegeben sei eine Urne mit Kugeln der Farben 1, . . . , n. Für k = 1, . . . , n sei qk der Anteil der Kugeln der Farbe k. Aus der Urne wird N mal eine Kugel gezogen und anschließend wieder zurückgelegt 5.83. Es gilt wobei P[lk Kugeln der Farbe k, k = 1, . . . , n, werden gezogen] 5.84 ! n Y N − l1 − · · · − ln−2 N N − l1 lk = qk ··· , ln−1 l2 l1 k=1 {z } | {z } | {z } | {z } | ... = (∗ ) = (∗ ) 2 3 = (∗1 ) | {z } = (∗) • (∗1 ) die Wahrscheinlichkeit, in einer fest vorgegebenen Reihenfolge für k = 1, . . . , n jeweils lk Kugeln der Farbe k zu ziehen 5.85, • (∗2 ) die Anzahl der Möglichkeiten, l1 Zeitpunkte für das Ziehen einer Kugel der Farbe 1 aus der Menge aller N Ziehungszeitpunkte auszuwählen, • (∗3 ) die Anzahl der Möglichkeiten, l2 Zeitpunkte für das Ziehen einer Kugel der Farbe 2 aus der Menge der verbliebenen N − l1 Ziehungszeitpunkte 5.86 auszuwählen, . . . , ist 5.87. Da (N − l1 )! (N − l1 − · · · − ln−2 )! N! · ··· l1 !(N − l1 )! l2 !(N − l1 − l2 )! ln−1 !(N − (l1 + · · · + ln−1 ))! | {z } = ln N! = , l1 ! · · · ln ! (∗) = ist P[lk Kugeln der Farbe k, k = 1, . . . , n, werden gezogen] = Mn (N, q1 , . . . , qn )[{(l1 , . . . , ln )}], l1 , . . . , ln = 0, 1, . . . , N, n X lk = N, k=1 5.81Offensichtlich ist Ω 2,N = {(k, N − k) : k = 0, 1, . . . , N }, N ∈ N. 5.82Sicherlich wäre die Folgerung M (N, q, 1 − q) = B(N, q) falsch, da M (N, q, 1 − q) auf 2 2 einer Teilmenge von Z2 und B(N, q) auf einer Teilmenge von Z konzentriert ist. 5.83Für die hier behandelte Fragestellung ist die Zahl der Kugeln in der Urne irrelevant. Die Struktur des Urneninhalts wird durch die Anteile q1 , . . . , qn beschrieben. Für k = 1, . . . n entspricht qk der Wahrscheinlichkeit, beim einmaligen Ziehen einer Kugel die Farbe k zu erhalten. 5.84Die Reihenfolge, in der die Kugeln gezogen werden, spielt keine Rolle. 5.85P[Farbe der 1. Kugel = α, Farbe der 2. Kugel = β, . . . ] = q q · · · . α β 5.86In l Zeitpunkten war schon vorher die Farbe 1 gewählt worden. 1 5.87 Bei der Bestimmung der Anzahl der Möglichkeiten für die Wahl der Zeitpunkte zum Ziehen von Kugeln der verschiedenen Farben 1, 2, . . . wird iterativ das Urnenmodell (U4 ) angewandt. Insbeondere wird (5.4) benutzt. 25. Juli 2011 96 d.h., die Farbverteilung“ der gezogenen Kugeln ist durch die Multinomialverteilung ” Mn (N, q1 , . . . , qn ) gegeben. Die hypergeometrische Verteilung Hn,M (N, m1 , . . . , mn ) P mit den Parametern n, n M, N ∈ N, m1 , . . . , mn ∈ {1, . . . , M } mit n, N ≤ M und k=1 mk = M ist ein 5.88 Wahrscheinlichkeitsmaß auf m1 ,...,mn (5.12) Ωn,N = ω = (ω1 , . . . , ωn ) : ωk ∈ {0, 1, . . . , mk }, k = 1, . . . , n; mit (5.13) Hn,M (N, m1 , . . . , mn )[{(ω1 , . . . , ωn )}] mn m2 m1 ... ωn ω2 ω1 , = M N Beispiel 5.11. Beim Zahlenlotto 6 aus 49“ ist ” 6 43 r 6−r P[r Richtige] = 5.89 49 6 = 5.90 H2,49 (6, 6, 43)[{(r, 6 − r)}], n X k=1 ωk = N , 1 ,...,mn . ω ∈ Ωm n,N r = 0, 1, . . . , 6. Beispiel 5.12. Eine naheliegende Modifikation von Beispiel 5.10 ergibt sich nach der Forderung, die gezogenen Kugeln nicht wieder zurückzulegen 5.91. Gegeben sei daher eine Urne mit M Kugeln der Farben 1, . . . , n. Für k = 1, . . . , n sei mk die Anzahl der Kugeln der Farbe k 5.92. Aus der Urne wird N mal eine Kugel gezogen und anschließend nicht wieder zurückgelegt. Es gilt 5.93 P[lk Kugeln der Farbe k, k = 1, . . . , n, werden gezogen] 5.94 = Hn,M (N, m1 , . . . , mn )[{(l1 , . . . , ln )}], m1 ,...,mn 5.88Wenn die Stichprobenräume Ω der Multinomialvertein,N , vgl. (5.9), und Ωn,N lung Mn (N, q1 , . . . , qn ), bzw. der hypergeometrischen Verteilung Hn,M (N, m1 , . . . , mn ) verglichen werden, fällt auf, daß ω = (ω1 , . . . , ωn ) ∈ Ωn,N durch ωk ∈ {0, 1, ..., N }, k = 1, . . . , n, aber 1 ,...,mn durch ωk ∈ {0, 1, . . . , mk }, k = 1, . . . , n, eingeschränkt werden. ω ∈ Ωm n,N 5.89Vgl. Beispiel 5.6. 5.90Vgl. (5.12) und (5.13). 5.91Anders als in Beispiel 5.10 ist es nun unerläßlich, für die verschiedenen Farben die Anzahl der Kugeln mit dieser Farbe festzulegen. 5.92Offensichtlich muß M = Pn k=1 mk gelten. 5.93Wenn die Kugeln nach dem Ziehen zurückgelegt werden würden, könnte P[lk Kugeln der Farbe k, k = 1, . . . , n, werden gezogen] m1 mn = Mn N, [{(l1 , . . . , ln )}], ,..., M M n X l1 , . . . , ln ∈ {0, 1, . . . , N }, lk = N, k=1 aus Beispiel 5.10 geschlossen werden. Es ist hierbei zu beachten, daß für alle k = 1, . . . , n durch qk = mk /M der Anteil der Kugeln der Farbe k gegeben ist. 25. Juli 2011 97 lk ∈ {0, 1, . . . , mk }, k = 1, . . . , n, n X lk = N. k=1 Beispiel 5.13 (Multinomialapproximation der hypergeometrischen Verteilung). 5.95 Wenn von jeder Farbe, verglichen mit der Anzahl der Ziehungen sehr viele“ ” Kugeln in der Urne sind, spielt es keine wesentliche Rolle, ob nach ihrem Ziehen die 5.96 Kugeln wieder zurückgelegt werden oder nicht . Daher wird in diesem Grenzfall die hypergeometrische Verteilung durch die Multinomialverteilung approximiert. Sei n, N ∈ N. Für α ∈ N sei außerdem 5.97 N ≤ Mα ∈ N und α α mα 1 , . . . , mn ∈ {1, . . . , M } mit Es gelte n X α mα k = M . k=1 lim M α = ∞ α→∞ und lim mα k = ∞, k = 1, . . . , n, mα k = qk , α→∞ M α k = 1, . . . , n. α→∞ wobei 5.98 lim Dann folgt α lim Hn,M α (N, mα 1 , . . . , mn )[{(l1 , . . . , ln )}] α→∞ = Mn (N, q1 , . . . , qn )[{(l1 , . . . , ln )}], l1 , . . . , ln ∈ {0, 1, . . . , N }, n X lk = N. k=1 5.94Wie in Beispiel 5.10 spielt die Reihenfolge, in der die Kugeln gezogen werden, keine Rolle. 5.95Vgl. [5], Satz (2.14). 5.96Beispielsweise ist es eine vernachlässigbare Änderung, wenn in einer Urne mit 106 Kugeln nach dem Ziehen einer Kugel nicht mehr 105 von 106 Kugeln sondern nur noch 105 − 1 von 106 − 1 Kugeln eine gegebene Farbe f besitzen. Da 105 /106 ≈ (105 − 1)/(106 − 1) ändert sich die Wahrscheinlichkeit, eine Kugel mit der Farbe f zu ziehen, nicht merklich. 5.97Man betrachtet eine Folge (Uα ) α∈N von Urnen, die asymptotisch bei α → ∞ für jede Farbe eine unbeschränkt wachsende Anzahl von Kugeln enthalten. 5.98Bei α → ∞ stabilisiert“ sich für alle Farben k = 1, . . . , n der Anteil der Kugeln der ” Farbe k bei qk . 25. Juli 2011 KAPITEL 6 Erwartungswert und Varianz Beim üblichen Arbeiten mit zufälligen Meßwerten oder sonstigen, durch reelle Zahlen beschriebenen Beobachtungen werden Mittelwerte“ zur Beschreibung ty” ” pischer Beobachtungswerte“ verwendet. Dem Mittelwert“ entspricht in der Wahr” scheinlichkeitstheorie der Erwartungswert. Die Genauigkeit der Approximation eines zufälligen Werts durch seinen Mittelwert kann durch seine mittlere quadrierte ” Abweichung“ 6.1 von diesem Mittelwert charakterisiert werden. Diese Größe ent6.2 spricht der Varianz . In den folgenden Abschnitten 6.1 - 6.5 sei (Ω, F, P) ein gegebener Wahrscheinlichkeitsraum, auf dem alle Zufallsvariablen, mit denen gearbeitet wird, definiert sind. Diese Zufallsvariablen seien reellwertig 6.3. 6.1. Erwartungswert für diskrete Zufallsvariablen Sei X eine diskrete Zufallsvariable, d.h., X(Ω) = {X(ω) : ω ∈ Ω} sei eine höchstens abzählbare Teilmenge von R 6.4. Dann besitzt X einen (endlichen) Erwartungswert, wenn 6.5 X |x| P[X = x] < ∞. (6.1) x∈X(Ω) Wenn (6.1) gilt, nennt man X auch integrabel. Man definiert nun den Erwartungswert von X durch X X x PX [{x}]. x P[X = x] = 6.7 (6.2) E[X] := 6.6 x∈X(Ω) x∈X(Ω) Der Erwartungswert E[X] ist damit eine gewichtete Summe über den Wertebereich X(Ω) von X, wobei die möglichen Werte von X mit den Wahrscheinlichkeiten, mit denen sie angenommen werden, gewichtet werden 6.8. 6.1Man betrachtet quadrierte Abweichungen, damit nicht beispielsweise große negative und große positive Abweichungen nach ihrer Mittelung ein geringe Ungenauigkeit bei der Approximation durch den Mittelwert vortäuschen. 6.2Erwartungswert und Varianz einer reellwertigen Zufallsvariable X wurden erstmals in den Beispielen 1.5 und 1.6 vorgestellt. 6.3D.h., ihr Wertebereich ist (R, B(R)). 6.4In diesem Abschnitt 6.1 wird der Erwartungswert nur für diskrete Zufallsvariablen definiert. Zur Erweiterung auf beliebige (R, B(R))-wertige Zufallsvariablen vgl. Abschnitt 6.3. 6.5In (6.1) muß P[X = x] wohldefiniert sein, d.h., {X = x} ∈ F, x ∈ X(Ω). Diese Eigenschaft folgt aus {x} = [x, x] ∈ B(R), x ∈ R, vgl. Abschnitt 2.4.3, und aus der Meßbarkeit von X : (Ω, F) → (R, B(R)), vgl. (3.1). 6.6Wenn (6.1) gilt, konvergiert diese Reihe absolut, d.h., E[X] ist wohldefiniert. 6.7 Die Verteilung PX einer Zufallsvariable X wird in Abschnitt 3.1 beschrieben. 6.8Offensichtlich hängt der Erwartungswert E[X] nur von der Verteilung P ab. Der WahrX scheinlichkeitsraum (Ω, F, P), auf dem die Zufallsvariable X definiert ist, tritt, wie insbesondere die zweite Summe in (6.2) andeutet, nur indirekt in Erscheinung. Allgemeinere Überlegungen in Abschnitt 3.5 zur Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsräumen, auf denen zur Modellbildung benutzte Zufallsvariablen X definiert sind, und zur Verteilung PX jener Zufallsvariablen werden somit hier bestätigt. 99 100 Bemerkungen 6.1. (i) Für A ∈ F ist (6.3) E[IA ] 6.9 = 1 · P[IA = 1] + 0 · P[IA = 0] = 6.10 P[A]. (ii) Wenn 6.11 X ≥ 0, f.s., so ist die rechte Seite von (6.2) immer eindeutig definiert 6.12, d.h., für positive, diskrete Zufallsvariablen X kann immer durch (6.2) der Erwartungswert E[X] definiert werden. Allerdings kann in einem solchen Fall E[X] = ∞ sein. (iii) Da X X (6.4) y (P[X = −y] + P[X = y]) |x| P[X = x] = 6.13 y∈|X|(Ω) x∈X(Ω) = X 6.14 y∈|X|(Ω) = 6.15 E[|X|], y P[X ∈ {−y, y}] | {z } = P[|X| = y] ist eine Zufallsvariable X genau dann integrabel, wenn 6.16 E[|X|] < ∞ ist. Beispiel 6.2. Die Zufallsvariable X habe eine Poissonverteilung mit Parameter λ > 0. Dann folgt 6.17: E[X] = 6.18 ∞ X k P[X = k] = k=0 ∞ X k=0 k· λk exp(−λ) k! ∞ X λk−1 = λ exp(−λ) = λ. (k − 1)! k=1 | {z } ∞ X λn = exp(λ) = n! n=0 6.19 6.2. Eigenschaften der Abbildung X → E[X] Seien X, Y , X1 , X2 , . . . , Y1 , Y2 , . . . diskrete, integrable, reellwertige Zufallsvariablen. Monotonie des Erwartungswerts. Ist X ≤ Y , f.s. (6.5) E[X] ≤ 6.21 6.20 , so folgt: E[Y ]. 6.9I A ist die Indikatorfunktion von A. Man beachte, daß {IA = 1} = A. 6.11 Vgl. Abschnitt 3.2.5, insbesondere Fußnote 3.153. 6.12Höchstens abzählbare Summen positiver Zahlen sind immer wohldefiniert. 6.13|X|(Ω) ist der Wertebereich der Zufallsvariable |X|. 6.14 Für y ∈ |X|(Ω) mit y 6= 0 ist offensichtlich {|X| = y} = {X ∈ {−y, y}} = {X = . −y} ∪ {X = y}. 6.15 Vgl. die Definition des Erwartungswerts in (6.2). 6.16Da |X| eine positive Zufallsvariable ist, ist E[|X|] immer wohldefiniert, vgl. (ii). 6.17Da X ≥ 0, f.s., ist E[X] wohldefiniert, vgl. Bemerkung 6.1(ii). 6.18Vgl. (6.2). 6.19Die Abbildung X → E[X] ist auf einer Teilmenge A der Menge aller reellwertigen Zufallsvariablen auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definiert. A enthält zumindest die diskreten, integrablen und die diskreten, positiven Zufallsvariablen, vgl. Abschnitt 6.1 und dort insbesondere Bemerkung 6.1(ii). Weitere Zufallsvariablen in A werden in Abschnitt 6.3 vorgestellt. 6.20D.h., P[{ω ∈ Ω : X(ω) ≤ Y (ω)}] = 1. 6.10 25. Juli 2011 101 Linearität des Erwartungswerts. Die Zufallsvariablen 6.22 X +Y , bzw. cX mit c ∈ R sind integrabel. Es gilt: E[cX] = 6.23 cE[X], E[X + Y ] = 6.24 E[X] + E[Y ]. (6.6a) (6.6b) 6.21Es gilt: X E[X] = x∈X(Ω) (∗) X = x P[X = x] | {z } [ • = P[X = x, Y ∈ Y (Ω)] = P X x∈X(Ω) y∈Y (Ω) ≤ X X x P[X = x, Y = y] {z } | ( = 0, wenn x > y, ≥ 0, wenn x ≤ y, y∈Y (Ω) {X = x, Y = y} (σ-Additivität von P) (da X ≤ Y , f.s.) y P[X = x, Y = y] x∈X(Ω) y∈Y (Ω) = E[Y ]. Im letzten Schritt wird hier die zu (∗) führende Argumentation in umgekehrter Reihenfolge wiederholt. Da die Zufallsvariablen X und Y integrabel sind, konvergieren alle Reihen absolut, d.h., es ist gerechtfertigt, hierbei die Summationsreihenfolge zu vertauschen. 6.22 Die Zufallsvariable X + Y ist durch (X + Y )(ω) = X(ω) + Y (ω), ω ∈ Ω, definiert. 6.23O.E.d.A. sei c 6= 0. Da X X |z| P[cX = z] = |cx| P[cX = cx] (man setze z = cx) (∗1 ) | {z } z∈(cX)(Ω) x∈X(Ω) = P[X = x] X = |c| |x| P[X = x], x∈X(Ω) folgt nun die Integrabilität von cX aus der Integrabilität von X. Wenn anschließend in (∗1 ) die Betragsstriche weggelassen werden, ergibt sich (6.6a). 6.24 Die Zufallsvariable X + Y ist diskret, da (X + Y )(Ω) ⊆ X(Ω) + Y (Ω) = {z ∈ R : z = x + y, x ∈ X(Ω), y ∈ Y (Ω)}. Weiterhin ist X E[|X + Y |] = |z| P[X + Y = z] (vgl. (6.4)) z∈(X+Y )(Ω) X = X z∈(X+Y )(Ω) x∈X(Ω),y∈Y (Ω) x+y=z (∗2 ) |x + y| P[X = x, Y = y] • S da {X + Y = z} = x∈X(Ω),y∈Y (Ω),x+y=z {X = x, Y = y} X ≤ (|x| + |y|) P[X = x, Y = y] x∈X(Ω),y∈Y (Ω) X = |x| P[X = x, Y = y] + x∈X(Ω),y∈Y (Ω) | = X x∈X(Ω) {z ... |x| P[X = x] + } X y∈Y (Ω) X x∈X(Ω),y∈Y (Ω) | = X y∈Y (Ω) |y| |y| P[X = x, Y = y] {z X x∈X(Ω) } P[X = x, Y = y] {z } | = P[X ∈ X(Ω), Y = y] = P[Y = y] |y| P[Y = y] < ∞ (da X und Y integrabel sind), d.h., die Zufallsvariable X + Y ist integrabel. In den obigen Berechnungen gilt weiterhin überall Gleichheit, insbesondere auch in (∗2 ), wenn die Betragsstriche weggelassen werden. Damit ist (6.6b) nachgewiesen. 25. Juli 2011 102 σ-Additivität des Erwartungswerts, bzw. Satz von der monotonen Konvergenz. Sei P∞ Xk ≥ 0, f.s., k ∈ N, und sei 6.25 X = k=1 Xk , f.s. In diesem Fall ist 6.26 (6.7) E[X] = ∞ X E[Xk ]. k=1 Wenn Yk ր Y , f.s., d.h., Y1 ≤ Y2 ≤ . . . , f.s., und so folgt 6.28 (6.8) 6.27 limk→∞ Yk = Y , f.s., lim E[Yk ] = E[Y ]. k→∞ Die beiden Beziehungen (6.7) und (6.8) gehören zu jener Klasse mathematischer Resultate, die die Vertauschbarkeit von Limiten, unendlichen Summen und Integralen beschreiben. Produktregel für unabhängige Zufallsvariablen. Die Zufallsvariablen X und Y seien unabhängig 6.29. Dann ist X · Y integrabel 6.30 mit 6.31 E[X · Y ] = (6.9) E[X] · E[Y ]. 6.25Diese Annahmen bedeuten, daß es ein Ω ∈ F mit P[Ω ] = 1 gibt, so daß X (ω) ≥ 0, 1 1 k P k ∈ N, und ∞ n=1 Xn (ω) = X(ω) für alle ω ∈ Ω1 . 6.26Vgl. [5], Satz (4.7)(c). 6.27Die fast-sichere Konvergenz wird in Abschnitt 6.8(b) genau beschrieben. 6.28Zum Beweis von (6.8) mit Hilfe von (6.7) definiere man X := Y und X := Y − Y n n 1 1 n−1 , n = 2, 3, . . . . Bei den nun folgenden Argumenten spielt es keinePRolle, daß Y1 = X1 nicht unbedingt f.s. nichtnegativ ist. Da Xk ≥ 0, f.s., k = 2, 3, . . . , und Yn = n k=1 Xk , f.s., n ∈ N, gilt zunächst (∗) Y = lim n→∞ Mit E[Y ] = ∞ X E[Xk ] n X k=1 Xk = ∞ X Xk , f.s. k=1 (vgl. (∗) und (6.7)) k=1 = lim n→∞ n X E[Xk ] k=1 = lim E[Yn ] n→∞ (da E[Xk ] ≥ 0, k = 2, 3, . . . ) (wegen (6.6b) und da Yn = Pn k=1 Xk ) ist dann (6.8) bewiesen. 6.29Vgl. (3.8). 6.30Die Integrabilität von X und Y war vorausgesetzt worden. Falls X und Y nicht unabhängig sind, braucht übrigens X · Y nicht integrabel zu sein. Wenn beispielsweise X integrabel mit E[X 2 ] = ∞ ist, so ist X · Y mit Y = X nicht integrabel. 6.31Zunächst ist es offensichtlich, daß mit X und Y auch XY eine diskrete Zufallsvariable ist. Da X X X |z| P[XY = z] = |z| P[X = x, Y = y] z∈(XY )(Ω) z∈(XY )(Ω) x∈X(Ω),y∈Y (Ω) xy=z • S (da {XY = z} = x∈X(Ω),y∈Y (Ω),xy=z {X = x, Y = y}) X = |xy| P[X = x, Y = y] | {z } x∈X(Ω),y∈Y (Ω) = P[X = x]P[Y = y] (X, Y unabhängig) ! ! X X = |x| P[X = x] |y| P[Y = y] x∈X(Ω) y∈Y (Ω) = E[|X|] · E[|Y |] (vgl. (6.4)), folgt die Integrabilität von XY aus der Integrabilität von X und Y . (6.9) ergibt sich nun, wenn in diesen Berechnungen auf die Betragsstriche verzichtet wird. 25. Juli 2011 103 Normierung des Erwartungswerts. Die Zufallsvariable X mit X = 1, f.s., ist integrabel mit (6.10) E[X] = 6.32 1. 6.3. Erwartungswert für allgemeine, reellwertige Zufallsvariablen Zur Berechnung von E[X] wird eine allgemeine, nicht notwendigerweise diskrete, reellwertige Zufallsvariable X hinreichend fein diskretisiert“ und anschließend ” die Asymptotik für die Erwartungswerte der Diskretisierungen untersucht. Zu m ∈ N sei eine diskrete Zufallsvariable X(m) : (Ω, F, P) → (R, B(R)) gemäß 6.33 1 (6.11) X(m) (ω) = ⌊mX(ω)⌋, ω ∈ Ω, m definiert. X(m) ist die größte diskrete Zufallsvariable, die Werte k/m, k ∈ Z, annimmt und kleiner oder höchstens gleich X ist. Satz 6.3. (a) Bei n → ∞ konvergiert X(n) gegen die Zufallsvariable X. Insbesondere ist 1 (6.12) X(n) ≤ X ≤ X(n) + , n ∈ N. n (b) Wenn X(n0 ) für ein n0 ∈ N integrabel 6.34 ist, so sind alle Zufallsvariablen X(n) , n ∈ N, integrabel. In diesem Fall ist E[X(n) ], n ∈ N, eine Cauchy-Folge 6.35. Satz 6.3 legt nahe, die Zufallsvariable X als integrabel zu bezeichnen, wenn für ein n0 ∈ N ihre diskrete Approximation X(n0 ) integrabel ist. In diesem Fall kann (6.13) E[X] := lim E[X(n) ] n→∞ definiert werden. Beweis (von Satz 6.3). (a) Die Abschätzungen (6.12) folgen aus nX(n) (ω) = 6.36 ⌊nX(ω)⌋ ≤ nX(ω) ≤ ⌊nX(ω)⌋ + 1 = 6.36 nX(n) (ω) + 1, ω ∈ Ω, nach Division durch n. (b) Es sei nun angenommen, daß X(n0 ) integrabel ist, d.h., daß E[|X(n0 ) |] < 6.37 ∞ . Aus (6.12) folgt für alle n ∈ N weiterhin (6.14) 1 1 ≤ |X(n0 ) | + , n0 n0 1 1 1 ≤ −X + ≤ −X(n0 ) + ≤ |X(n0 ) | + , n n n X(n) ≤ X ≤ X(n0 ) + −X(n) 6.32Man beachte, daß E[|X|] = E[X] = 1 · P[X = 1] = 1. | {z } = P[Ω] = 1 6.33Für z ∈ R ist ⌊z⌋ = sup{n ∈ Z : n ≤ z}. ⌊z⌋ ist die größte ganze Zahl, die kleiner oder höchstens gleich z ist. 6.34Vgl. (6.1) zur Definition der Integrabilität einer diskreten Zufallsvariable. 6.35Damit existiert lim n→∞ E[X(n) ]. 6.36Vgl. (6.11). 6.37Vgl. Bemerkung 6.1(iii). 25. Juli 2011 104 d.h., |X(n) | ≤ |X(n0 ) | + max 1 o , n n0 n1 , n ∈ N. Wegen der Monotonie des Erwartungswerts für diskrete Zufallsvariablen somit ist n ∈ N. E[|X(n) |] ≤ E[|X(n0 ) |] + 1, Daher sind alle Zufallsvariablen X(n) , n ∈ N, integrabel 6.39. Wenn n0 in (6.14) durch m ∈ N ersetzt wird, ergibt sich E[X(n) ] ≤ E[X(m) ] + 6.38 6.40 1 , m −E[X(n) ] ≤ − E[X(m) ] + 1 , n n, m ∈ N, woraus n1 1 o , n, m ∈ N, |E[X(n) ] − E[X(m) ]| ≤ max , n m folgt. Somit ist gezeigt, daß E[X(n) ], n ∈ N, eine Cauchy-Folge ist. Bemerkungen 6.4. (i) Die in Abschnitt 6.2 zunächst nur für diskrete Zufallsvariablen vorgestellten Eigenschaften des Erwartungswerts gelten auch für allgemeine, integrable Zufallsvariablen mit Werten in (R, B(R)) 6.41. (ii) Den durch (6.5), (6.6) und (6.8) repräsentierten Eigenschaften 6.42 des Erwartungswerts, d.h., der reellwertigen Abbildung Y → E[Y ] auf dem Raum der reellwertigen, integrablen Zufallsvariablen auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) d entsprechen völlig R analoge Eigenschaften des Integrals auf R , d.h., der reellwertigen Abbildung f → Rd dx f (x) auf dem Raum der integrablen, reellwertigen Funktionen auf Rd 6.43. Insbesondere definiert die Zuordnung Y → E[Y ] ein abstraktes Integral 6.44. Wenn in der Stochastik in komplexen Situationen Erwartungswerte zu bearbeiten sind, wird somit die allgemeine Integrationstheorie oder Maßtheorie benötigt. (iii) Um die in (ii) genannte Integraleigenschaft des Erwartungswerts zu betonen, schreibt man für den Erwartungswert E[X] einer (R, B(R))-wertigen Zufallsvariablen X auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) auch Z Z (6.15) E[X] = X(ω) P(dω) = X dP. Ω Ω 6.38Vgl. (6.5). Hier wird außerdem noch max{1/n, 1/n } ≤ 1, die Linearität des Erwartungs0 werts, vgl. (6.6), und die Normierung des Erwartungswerts, vgl. (6.10), berücksichtigt. 6.39Vgl. Bemerkung 6.1(iii). 6.40Insbesondere müssen hier noch die Monotonie, die Linearität und die Normierung des Erwartungswerts für diskrete Zufallsvariablen, vgl. (6.5), (6.6) und (6.10), benutzt werden. 6.41Zum Beweis vgl. [5], Satz (4.11). 6.42Damit sind die Monotonie, die Linearität und die Gültigkeit des Satzes von der monotonen Konvergenz gemeint. 6.43Die durch (6.9) beschriebene Faktorisierungseigenschaft des Erwartungswerts eines R R Produkts unabhängiger Zufallsvariablen entspricht der Beziehung Rd Rd dx dy f (x)g(y) = R R Rd dx f (x) · Rd dy g(y). Die Normierungseigenschaft (6.10) spiegelt die Tatsache wider, daß das zugrundeliegende Maß P, bzgl. dessen bei der Bestimmung des Erwartungswerts auf (Ω, F) integriert“ wird, vgl. ” (6.15), ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist. 6.44Ein abstraktes Integral ist eine monotone, lineare Abbildung auf einem Stoneschen Vektorverband, für die eine geeignete Variante des Satzes von der monotonen Konvergenz gilt, vgl. [2], §39. 25. Juli 2011 105 Beispiel 6.5 (Erwartungswert für eine reellwertige Zufallsvariable mit Dichte). Die Verteilung PX einer reellwertigen Zufallsvariable X habe eine Dichte f bzgl. des Lebesguemaßes 6.45, d.h., Z dx f (x), A ∈ B(R). (6.16) PX [A] = P[X ∈ A] = A Es sei vorausgesetzt, daß X integrabel ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn Z ∞ (6.17) dx |x|f (x) < ∞. 6.46 −∞ Nun folgt E[X] = 6.47 = 6.48 = 6.49 = 6.50 = 6.51 lim E[X(2n ) ] n→∞ k k n P X = (2 ) n→∞ 2n 2n k=−∞ | {z } = PX [k2−n , (k + 1)2−n ) Z (k+1)2−n ∞ X k dx f (x) lim n→∞ 2n k2−n k=−∞ Z ∞ 1 lim dx n ⌊x2n ⌋f (x) n→∞ −∞ 2 | {z } ր x, falls n → ∞ Z ∞ dx xf (x). lim ∞ X −∞ 6.45Vgl. Abschnitt 2.6. 6.46Nach (6.1) und Satz 6.3 ist zu prüfen, ob (∗) ∞> ∞ ∞ X X k k+1 k |k| k P X∈ , = P X(n0 ) = n0 n0 n n0 n0 k=−∞ 0 k=−∞ Z ∞ Z (k+1)/n0 ∞ X |k| |⌊xn0 ⌋| = dx dx f (x) = f (x) n n0 0 −∞ k/n 0 k=−∞ für ein n0 ∈ N. Da |⌊xn⌋| 1 1 ≤ ≤ |x| + , x ∈ R, n ∈ N, n n n gilt (∗) genau dann, wenn (6.17) zutrifft. 6.47Vgl. (6.13). Die Folge X , k ∈ N, diskreter Approximationen für die Zufallsvariable X (k) wird in (6.11) beschrieben. 6.48 Hier wird die Definition des Erwartungswerts für diskrete Zufallsvariablen benutzt, vgl. (6.2). Außerdem findet die Tatsache Verwendung, daß X(2n ) die Werte k2−n , k ∈ Z, jeweils annimmt, wenn X ∈ [k2−n , (k + 1)2−n ), d.h. mit der Wahrscheinlichkeit P[X ∈ [k2−n , (k + 1)2−n )] = PX [[k2−n , (k + 1)2−n )]. 6.49 Vgl. (6.16). 6.50 Beachte, daß k = ⌊x2n ⌋, falls x ∈ [k2−n , (k + 1)2−n ). 6.51 Nach dem Satz von der monotonen Konvergenz, vgl. (6.8). Beachte, daß dieser Satz auch für allgemeine, reellwertige Zufallsvariablen gilt, vgl. Bemerkung 6.4(i). Er wird hier angewandt auf die reellwertigen Zufallsvariablen Yn , n ∈ N, und Y auf (R, B(R), PX ) mit Yn (y) = ⌊y2n ⌋/2n , y ∈ R, n ∈ N, und Y (y) = y, y ∈ R. Um die Anwendung des Satzes von der monotonen Konvergenz zu ermöglichen, wurde übrigens die Folge (X(2n ) )n∈N zur Approximation von X benutzt. Bei Verwendung von (X(n) )n∈N hätte sich die Tatsache, daß die Funktionen Yen , n ∈ N, mit Yen (y) = ⌊yn⌋/n, y ∈ R, nicht monoton |x| − steigend gegen Y konvergieren, als Problem erwiesen. 25. Juli 2011 106 Beispiel 6.6. Für eine Rd -wertige Zufallsvariable X mit Dichte f und eine meßbare Funktion H : (Rd , B(Rd )) → (R, B(R)) ist die Zufallsvariable H(X) integrabel, wenn Z dx |H(x)|f (x) < ∞. Rd In diesem Fall ist E[H(X)] = Z dx H(x)f (x). Rd Für eine beliebige 6.52, positive Zufallsvariable kann man die Definition E[X] := ∞ einführen, wenn E[X(n0 ) ] = ∞ 6.53 für ein n0 ∈ N 6.54. Eine beliebige reellwertige Zufallsvariable X hat die Zerlegung X = X+ − X− , wobei X+ = max{X, 0} und X− = max{−X, 0} 6.55. Der Erwartungswert E[X] ist nun auf eine eindeutige Weise durch 6.56 E[X] = E[X+ ] − E[X− ] (6.18) definierbar 6.57 , wenn nicht E[X+ ] = E[X− ] = ∞. (6.19) Wenn (6.19) zutrifft, existiert der Erwartungswert von X nicht 6.58. Eine Zufallsvariable X besitzt genau dann einen endlichen Erwartungswert E[X], wenn E[X+ ] + E[X− ] = E[|X|] < ∞, d.h., wenn X integrabel ist 6.59. 6.4. Varianz und verwandte Begriffe Neben dem Erwartungswert gibt es weitere Kenngrößen, die reellwertigen Zufallsvariablen, bzw. einer endlichen Menge X1 , . . . , Xn solcher Zufallsvariablen zu deren Charakterisierung zugeordnet werden können 6.60. Wenn für eine reellwertige Zufallsvariable X und ein r ∈ N die Zufallsvariable X r einen Erwartungswert besitzt 6.61, so bezeichnet man E[X r ] als das r-te Moment von X. Wenn |X|r integrabel 6.62 ist, d.h., wenn E[|X|r ] < ∞ ist, gilt E[X r ] ∈ (−∞, ∞), d.h., X besitzt eine endliches r-tes Moment. 6.52D.h. nicht notwendigerweise diskrete Zufallsvariable. 6.53In diesem Fall sollte also P x∈X (Ω) x P[X(n0 ) = x] = ∞ sein, vgl. Bemerkung 6.1(ii). (n0 ) Diese Summe ist wohldefiniert, weil X(n) (Ω) ⊂ [0, ∞), n ∈ N. P 6.54Nach Satz 6.3(b) ist dann E[X (n) ] = x∈X (Ω) x P[X(n) = x] = ∞ für alle n ∈ N. 6.55X (n) und X− sind positive Zufallsvariablen. 6.56Bei der Definition (6.18) wird die allgemeine Gültigkeit der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6) und Bemerkung 6.4(i), zugrundegelegt. 6.57Die Werte ∞ oder −∞ für E[X] sind nun möglich. 6.58In Beispiel 6.11 wird (6.19) nachgewiesen für eine Zufallsvariable X mit einer CauchyVerteilung, d.h. mit einer Dichte f (x) = a/(π(a2 + x2 )), x ∈ R, für ein a > 0, vgl. Abschnitt 2.6. 6.59Angeregt durch Satz 6.3 wurde eine Zufallsvariable X als integrabel bezeichnet, wenn eine diskrete Approximation X(n0 ) integrabel ist, d.h., wenn E[|X(n0 ) |] < ∞ für ein n0 ∈ N. Nun impliziert (6.12), daß |X(n0 ) | − 1/n0 ≤ |X| ≤ |X(n0 ) | + 1/n0 , d.h., es gilt E[|X(n0 ) |] < ∞, genau dann, wenn E[|X|] < ∞. 6.60Eine eindeutige Charakterisierung von X , . . . , X ist mit diesen Kenngrößen nicht n 1 möglich. Allerdings können sie über gewisse Eigenschaften jener Zufallsvariablen informieren. 6.61Die Existenz des Erwartungswerts einer Zufallsvariable wird am Ende von Abschnitt 6.3 diskutiert. 6.62Die Integrabilität einer Zufallsvariable wird insbesondere am Anfang von Abschnitt 6.1, unmittelbar nach Satz 6.3, bzw. am Ende von Abschnitt 6.3 erläutert. + 25. Juli 2011 107 Bemerkungen 6.7. (i) Wenn eine Zufallsvariable X für ein r ∈ N ein endliches r-tes Moment besitzt, so besitzt X auch für alle s ∈ N mit s ≤ r ein endliches s-tes Moment 6.63. (ii) Für einen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) und p ∈ [1, ∞) ist Lp (Ω, F, P) die Menge der reellwertigen Zufallsvariablen mit E[|X|p ] < ∞. Hierbei werden zwei Zufallsvariablen X und X ′ mit X = X ′ , f.s., als identisch betrachtet. Ausgestattet mit der Norm kXkp := E[|X|p ]1/p bildet Lp (Ω, F, P) einen Banachraum 6.64. Der Raum 6.65 L2 (Ω, F, P) ist sogar ein Hilbertraum, wenn durch hX, Y i := E[XY ], X, Y ∈ L2 (Ω, F, P) ein Skalarprodukt definiert wird 6.66. Für X ∈ L2 (Ω, F, P) bezeichnet (6.20) Var(X) := E[(X − E[X])2 ] = 6.67 E[X 2 ] − E[X]2 dieVarianz von X. Offensichtlich ist Var(X) ≥ 0, X ∈ L2 (Ω, F, P). Daher folgt aus (6.20) die Cauchysche Ungleichung (6.21) E[X]2 ≤ E[X 2 ], X ∈ L2 (Ω, F, P). Weiterhin ist Var(X) = 0, genau dann, wenn X = E[X], f.s., d.h., wenn X deterministisch ist. (6.22) σX := p Var(X) heißt Standardabweichung oder Streuung von X. Sowohl Var(X) als auch σX charakterisieren die Größe der Abweichungen“ der Zufallsvariablen X von ihrem ” Erwartungswert E[X] 6.68. Im Gegensatz zu Var(X) ist σX von der “gleichen Größenordnung“ wie X − E[X]. Allerdings ist Var(X) in mathematischen Berechnungen leichter als σX zu bearbeiten. Für X, Y ∈ L2 (Ω, F, P) bezeichnet (6.23) 6.69 Cov(X, Y ) := E[(X − E[X])(Y − E[Y ])] = die Kovarianz von X und Y . (6.24) ρX,Y := 6.70 E[XY ] − E[X]E[Y ] Cov(X, Y ) σX · σY 6.63Es gilt |X|s ≤ 1 + |X|r , 1 ≤ s ≤ r < ∞, d.h., die Monotonie des Erwartungswerts, vgl. (6.5), die Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6), und die Normierung des Erwartungswerts, vgl. (6.10), ergeben E[|X|s ] ≤ 1 + E[|X|r ] < ∞, 1 ≤ s ≤ r < ∞. 6.64Ein Banachraum ist ein vollständiger, normierter Vektorraum. 6.65Eine Zufallsvariable X ∈ L2 (Ω, F, P) wird auch quadratintegrabel genannt. 6.66Allgemein ist ein Hilbertraum H ein mit einem Skalarprodukt h., .i versehener Banach- raum, dessen Norm k.k durch kxk = 6.67Diese Gleichheit folgt aus p hx, xi, x ∈ H, gegeben ist. E[(X − E[X])2 ] = E[X 2 − 2XE[X] + E[X]2 ] = E[X 2 ] − 2E[X]E[X] + E[X]2 2 (vgl. (6.6) und (6.10)) 2 = E[X ] − E[X] . 6.68Der Erwartungswert E[X] beschreibt einen typischen“ Wert von X. 6.69Diese Gleichheit folgt aus ” E[(X − E[X])(Y − E[Y ])] = E[XY − XE[Y ] − E[X]Y + E[X]E[Y ]] = E[XY ] − 2E[X]E[Y ] + E[X]E[Y ] = E[XY ] − E[X]E[Y ]. 25. Juli 2011 (vgl. (6.6) und (6.10)) 108 heißt Korrelation von X und Y . Zufallsvariablen X, Y ∈ L2 (Ω, F, P) mit Cov(X, Y ) = ρX,Y = 0 werden unkorreliert genannt. Andererseits sind X und Y positiv korreliert, wenn 6.71 ρX,Y > 0, d.h., wenn typischerweise“ X und Y gleichzeitig größer, bzw. kleiner als ihre Er” wartungswerte E[X] und E[Y ] sind. Negative Korrelation ρX,Y < 0 bedeutet, daß typischerweise“ X genau dann größer als E[X] ist, wenn Y kleiner als E[Y ] ist 6.72. ” In (6.24) werden durch die Division durch σX und σY die Abweichungen X − E[X], bzw. Y −E[Y ] der Zufallsvariablen X und Y von ihrem jeweiligen Erwartungswert normiert 6.73. Als Folge ist ρX,Y unabhängig“ 6.74 von den Größenordnungen ” von X − E[X] und Y − E[Y ] und damit gut zu einer quantitativen Charakterisierung der Abhängigkeiten zwischen diesen Fluktuationen von X und Y geeignet 6.75. Andererseits ist in mathematischen Berechnungen mit Cov(X, Y ) wesentlich besser zu arbeiten. Um Zusammenhänge“ in einer endlichen Menge X1 , . . . , Xn reellwertiger Zu” fallsvariablen darzustellen, können die Kovarianzen für Paare dieser Zufallsvariablen zu einer Kovarianzmatrix Cov(X1 , . . . , Xn ) := Cov(Xk , Xl ) k,l=1,...,n zusammengefaßt werden 6.76 . Beispiel 6.8 (Unkorreliertheit und Unabhängigkeit). Unkorreliertheit, bzw. Unabhängigkeit haben in anwendungsorientierten Überlegungen eine ähnliche Bedeutung. Als mathematische Begriffe betrachtet, sind sie jedoch sehr unterschiedlich. Seien zunächst X und Y zwei unabhängige, reellwertige Zufallsvariablen mit E[X 2 ], E[Y 2 ] < ∞. Dann ist ρX,Y = 0, d.h., X und Y sind unkorreliert 6.77. Wie das folgende Beispiel zeigt, folgt umgekehrt aus der Unkorreliertheit nicht die Unabhängigkeit. Sei Ω = {1, 2, 3}, F = Pot(Ω) und P die Gleichverteilung auf (Ω, F). Die reellwertigen Zufallsvariablen X und Y auf (Ω, F, P) seien durch X(1) = 1, X(2) = 0, Y (1) = 0, Y (2) = 1, X(3) = −1, Y (3) = 0, gegeben. Diese Zufallsvariablen sind unkorreliert, da E[XY ] = 0 = E[X] = E[X] · E[Y ], aber nicht unabhängig, denn P[X = 1, Y = 1] = 0 6= 1 = P[X = 1] · P[Y = 1]. 9 6.70Die Streuung σ einer Zufallsvariable X ∈ L2 (Ω, F, P) wird in (6.22) definiert. X 6.71Aus (6.24) und der Positivität von σ und σ folgt, daß ρ X Y X,Y > 0 genau dann, wenn Cov(X, Y ) > 0. 6.72Die hier beschriebene Interpretation der Korrelation zweier Zufallsvariablen wird in Beispiel 6.9 verdeutlicht werden. 6.73Insbesondere ist (X − E[X])/σ ∼ 1, gleichgültig ob typischerweise“ (X − E[X]) ∼ 1010 X ” oder (X − E[X]) ∼ 10−10 . 6.74 Unabhängigkeit“ ist hier in einem umgangssprachlichen und nicht mathematisch rigo” rosen Sinn gemeint. 6.75Mit ρ X,Y können Zusammenhänge zwischen X und Y verdeutlicht werden, auch wenn die Werte jener Zufallsvariablen völlig unterschiedliche Größenordnungen besitzen, vgl. Fußnote 6.73. 6.76Für endlich viele gemeinsam normalverteilte, reellwertige Zufallsvariablen ist deren Kovarianzmatrix ein die gemeinsame Verteilung, eine mehrdimensionale Normalverteilung kennzeichnender Parameter, vgl. (3.15) und Fußnote 3.115. 6.77Nach der Produktregel für unabhängige Zufallsvariablen, vgl. (6.9), ist E[XY ] = E[X]E[Y ]. Somit ist Cov(X, Y ) = E[XY ] − E[X]E[Y ] = 0, vgl. (6.23). 25. Juli 2011 109 Beispiel 6.9 (Korrelationen in einem Populationsmodell). 6.78 Ein Modell für die zeitliche Entwicklung einer Population pflanzenfressender Tiere in einem abgeschlossenen Areal 6.79 ist zu entwerfen 6.80. Als Modell sei ein stochastischer Prozeß X = (Xn )n∈N0 mit Xn = (Pn , Nn , Vn , νn ), n ∈ N0 , zu bestimmen, wobei Pn die Populationsgröße, Nn das Nahrungsangebot, Vn der Nahrungsverbrauch und νn (≈ Nn /Pn ) das durchschnittliche Nahrungsangebot zur Zeit n ∈ N0 ist. Auf eine konkrete Beschreibung eines geeigneten Prozesses X soll hier nicht eingegangen werden. Allerdings sollen Eigenschaften festgehalten werden, die ein vernünftiges“, die Realität widerspiegelndes Modell evtl. besitzen könnte. Insbe” sondere sollen einige Korrelationen zwischen den einzelnen Zufallsvariablen Pn , Nn , Vn , νn , n ∈ N0 , diskutiert werden. 1. Fall. Für spezielle Populationen kann beispielsweise erwartet werden, daß 6.81 • ρPn ,Nn = 0 6.82 (Alternative: ρPn ,Nn+1 < 0 6.83), • ρPn ,Vn > 0 6.84, • ρPn ,νn < 0 6.85, • ρNn ,νn ≥ 0 6.86, . . . Wenn in einem vorgeschlagenen Modell eine dieser Beziehungen verletzt ist, könnte dies ein Grund sein, jenes Modell zu überdenken und evtl. zu modifizieren. 2. Fall. In anderen Situationen könnte die Populationsgröße z.B. aufgrund externer Einflüsse 6.87 ständig auf einem relativ niedrigen Niveau bleiben. Dann sollten die zeitlichen Entwicklungen der Tierpopulation und des Nahrungsangebots unabhängig werden und somit Korrelationen wie ρPn ,Nk oder ρPn ,νk für alle n, k ∈ N0 verschwinden. Es könnte nun ausreichen, ein Modell für die Dynamik von (Pn )n∈N0 allein zu entwerfen 6.88. 6.4.1. Rechenregeln für Varianz und Kovarianz. X, Y, X1 , . . . , Xn : (Ω, F, P) → (R, B(R)) seien Zufallsvariablen in L2 (Ω, F, P) 6.89. (a) Für a, b, c, d ∈ R gilt (6.25) Cov(aX + b, cY + d) = ac Cov(X, Y ). 6.78In diesem Beispiel soll erläutert werden, wie heuristische Überlegungen Eigenschaften von Korrelationen zwischen zufälligen beobachtbaren Größen x1 , . . . , xn in einem realen Umfeld aufdecken können. Zur Überprüfung eines mathematischen Modells wäre es dann notwendig, diese Eigenschaften für jene Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn , die x1 , . . . , xn modellieren, zu verifizieren. 6.79 Z.B. eine Insel. 6.80 Es sollen hier nur einige Gedankengänge vorgestellt werden, die bei der Entwicklung und der Überprüfung eines Modells brauchbar sein können, vgl. Fußnote 6.78. 6.81Diese Beziehungen sollten zumindest dann gelten, wenn sich ein gewisses Gleichgewicht“ ” in dem betrachteten System eingestellt hat, also für große Zeiten n. 6.82Die Anzahl der Tiere hat keinen Einfluß auf das Wachstum der Pflanzen. 6.83Ein negativer Einfluß einer großen Tierpopulation auf das zukünftige Nahrungsangebot kann dann eintreten, wenn die Tiere die Wurzeln der Pflanzen zerstören oder die jungen Triebe wegfressen. 6.84Viele Tiere fressen viel. 6.85In einer größeren Population steht den einzelnen Tieren ein kleinerer Anteil des gesamten Nahrungsangebots zur Verfügung. 6.86Wenn insgesamt ein größeres Nahrungsangebot zur Verfügung steht, fällt für jedes einzelne Tier mehr ab. 6.87Beispielsweise als Resultat der Verfolgung durch Raubtiere oder durch Stress, bzw. Anfälligkeit gegenüber Krankheiten bei größeren Populationsdichten. 6.88In einer derartigen Situation kann die das Nahrungsangebot bestimmende Umwelt als zeitlich konstant betrachtet werden. Somit kann angenommen werden, daß die zeitliche Entwicklung von (Pn )n∈N0 nicht durch äußere Kräfte“ beeinflußt ist, d.h. einer autonomen Dynamik ” unterliegt. 6.89Vgl. Bemerkung 6.7(ii). 25. Juli 2011 110 Insbesondere ist 6.90 Var(aX + b) = a2 Var(X). (6.26) Varianz und Kovarianz sind daher invariant unter der Addition von Konstanten 6.91. Beweis. Offensichtlich ist Cov(aX + b, cY + d) = E (aX + b − E[aX + b])(cY + d − E[cY + d]) = 6.92 E (aX − E[aX])(cY − E[cY ]) = 6.93 ac E (X − E[X])(Y − E[Y ]) = ac Cov(X, Y ). (b) Es gilt (6.27) Var(X1 + · · · + Xn ) = n X Var(Xk ) + k=1 X Cov(Xk , Xl ). k,l=1,...,n k6=l Insbesondere addieren sich für unkorrelierte Zufallsvariablen X1 , . . . , Xn ihre Varianzen, d.h., (6.28) Var(X1 + · · · + Xn ) = n X Var(Xk ). k=1 Beweis. Einfache Überlegungen zeigen, daß 2 Var(X1 + · · · + Xn ) = E X1 + · · · + Xn − E[X1 + · · · + Xn ] {z } | = E[X1 ] + · · · + E[Xn ] " n # X =E (Xk − E[Xk ])(Xl − E[Xl ]) k,l=1 n X 6.94 E (Xk − E[Xk ])(Xl − E[Xl ]) | {z } k,l=1 = Cov(Xk , Xl ) n X X Var(Xk ) + = Cov(Xk , Xl ). = k=1 k,l=1,...,n k6=l (c) Als Verallgemeinerung der Cauchyschen Ungleichung (6.29) 6.95 gilt 2 Cov(X, Y ) ≤ Var(X) Var(Y ). 6.90Man beachte, daß Var(Z) = Cov(Z, Z), Z ∈ L2 (Ω, F, P). 6.91Da Varianz und Kovarianz die Fluktuationen von Zufallsvariablen um ihren Erwartungs- wert beschreiben, ist dieses Verhalten auch zu erwarten. 6.92Wegen der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6), und der Normierung des Erwartungswerts, vgl. (6.10). 6.93Wegen der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6). 6.94Aufgrund der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6). 6.95Vgl. (6.21). 25. Juli 2011 111 e = X − E[X] und Ye = Y − E[Y ] ergibt sich Beweis. Mit X Cov(X, Y )2 = 6.96 ≤ 6.99 e Ye )2 = Cov(X, 6.97 e Ye ]2 = E[X 6.98 e Ye i2 hX, e 2 kYe k2 = E[X e 2 ]E[Ye 2 ] = Var(X) Var(Y ). kXk 2 2 (d) Als Anwendung von (6.29) folgt 6.100 |Cov(X, Y )| p |ρX,Y | = p ≤ 1, Var(X) Var(Y ) (6.30) d.h., für alle Zufallsvariablen X, Y mit E[X 2 ], E[Y 2 ] < ∞ ist ρX,Y ∈ [−1, 1]. 6.5. Beispiele zum Erwartungswert und zur Varianz Beispiel 6.10 (Exponentialverteilung). Sei X eine exponentiell verteilte Zufallsvariable 6.101, d.h., für ein λ > 0 besitze PX die Dichte f (x) = I[0,∞) (x)λ exp(−λx), Dann gilt 6.102 : E[X] = 6.103 Z x ∈ R. ∞ dx x exp(−λx) ∞ Z ∞ + dx exp(−λx) −y exp(−λy) 0 y=0 {z } | {z } | = 1/λ =0 λ 0 2 = 6.104 = 1 , λ E[X ] = 6.105 λ Z ∞ dx x2 exp(−λx) 0 6.96Wegen (6.25). 6.97Da E[X] e = E[Ye ] = 0. 6.98 Hier wird mit dem Skalarprodukt h., .i in L2 (Ω, F, P) gearbeitet, vgl. Bemerkung 6.7(ii). k.k2 bezeichnet die Norm in dem Hilbertraum L2 (Ω, F, P). Hier findet die CauchySchwarzsche Ungleichung, d.h., 6.99 |hU, V i| ≤ kU k2 kV k2 , U, V ∈ L2 (Ω, F, P), Verwendung. Diese folgt aus s 2 s kV k2 kU k2 ±V 0 ≤ U kU k2 kV k2 2 s s s * s + kV k2 kU k2 kV k2 kU k2 ±V ,U ±V = U kU k2 kV k2 kU k2 kV k2 kV k2 kU k2 + kV k22 ± 2hU, V i kU k2 kV k2 = 2kU k2 kV k2 ± 2hU, V i. = kU k22 6.100 Die Korrelation ρX,Y zweier Zufallsvariablen X, Y ∈ L2 (Ω, F, P) ist in (6.24) definiert. 6.101Vgl. Abschnitt 2.6. Solche Zufallsvariablen können z.B. zur Modellierung des Zeitpunktes eines ersten Telefonanrufs verwendet werden. 6.102Als positive Zufallsvariable besitzt X auf jeden Fall einen Erwartungswert, der zunächst allerdings gleich ∞ sein könnte, vgl. die Erläuterungen am Ende von Abschnitt 6.3. 6.103Vgl. Beispiel 6.5. 6.104Mit Hilfe partieller Integration. 25. Juli 2011 112 = 6.106 = 2 . λ2 ∞ Z ∞ −y exp(−λy) +2 dx x exp(−λx) 0 y=0 {z } | {z } | 2 = E[X]/λ = 1/λ =0 2 Folglich ist Var(X) = E[X 2 ] − E[X]2 = Beispiel 6.11 (Cauchy-Verteilung X besitze für ein a > 0 die Dichte f (x) = Da Z 0 ∞ 1 . λ2 6.107 ). Die Verteilung PX einer Zufallsvariable a , π(a2 + x2 ) a dx xf (x) = π Z ∞ dx 0 x ∈ R. x = ∞, a2 + x2 ist 6.108 E[X+ ] = ∞. Ebenso ist E[X− ] = ∞. Folglich besitzt X keinen Erwartungswert 6.109. Zur Beschreibung eines typischen, mittleren Werts“ bietet sich für Cauchy” verteilte Zufallsvariablen der Median 6.110 m = 0 an. Beispiel 6.12 (Normalverteilung 6.111). Die Verteilung PX der Zufallsvariable X besitze die Dichte (x − µ)2 1 , x ∈ R, exp − f (x) = √ 2σ 2 2πσ 2 wobei µ ∈ R und σ 2 > 0. Existenz endlicher Momente. Für alle r ≥ 1 gilt: x2 xµ |x|r f (x) ≤ C|x|r exp − 2 exp 2 2σ | {zσ } 1 x2 + µ2 C1 exp 2 σ 4 x2 x2 ≤ C2 |x|r exp − 2 exp − 2 8σ {z 8σ } | ≤ 6.112 ≤ C3 , gleichmäßig in x ∈ R x2 ≤ C4 exp − 2 , x ∈ R, 8σ 6.105Nach Beispiel 6.6. Im hier betrachteten Fall wird H(x) = x2 benutzt. 6.106 Mit Hilfe partieller Integration. 6.107Vgl. Abschnitt 2.6. 6.108X = max{X, 0}, bzw. X = max{−X, 0}, ist der Positivteil, bzw. der Negativteil einer + − Zufallsvariablen X. Da X+ und X− nichtnegative Zufallsvariablen sind, sind E[X+ ] und E[X− ] wohldefiniert, vgl. die Erläuterungen am Ende von Abschnitt 6.3. 6.109Man beachte, daß X 2 als nichtnegative Zufallsvariable sehr wohl einen Erwartungswert besitzt. Allerdings ist E[X 2 ] = ∞. 6.110 Vgl. Abschnitt 3.3.4. Im vorliegenden Fall ist der Median m eindeutig durch Z m Z ∞ 1 dx f (x) = dx f (x) = . 2 −∞ m bestimmt. Wegen der Symmetrie von f gilt m = 0. 6.111Vgl. Abschnitt 2.6. 25. Juli 2011 113 wobei von r, µ und σ 2 abhängige, positive Konstanten sind. Da R ∞ C, C1 , . . . nur 6.113 2 r . −∞ dx exp(−βx ) < ∞ für alle β > 0, ist |X| für alle r ≥ 1 integrabel Insbesondere besitzt eine normalverteilte Zufallsvariable X für alle r ∈ N ein endliches r-tes Moment. Erwartungswert der Normalverteilung. Z ∞ (6.31) dx xf (x) E[X] = −∞ Z (x − µ)2 dx (x − µ) exp − 2σ 2 −∞ {z } | = 6.114 0 Z ∞ (x − µ)2 1 dx exp − +µ√ 2σ 2 2πσ 2 −∞ {z } | = 6.115 1 = µ. 1 = √ 2πσ 2 ∞ Varianz der Normalverteilung. (6.32) Var(X) = E (X − E[X])2 Z ∞ (x − µ)2 1 = 6.116 √ dx (x − µ)2 exp − 2σ 2 2πσ 2 −∞ Z ∞ z2 σ2 dz z 2 exp − = 6.117 √ 2 2π −∞ Z ∞ z2 2 2 ∞ σ y 1 2 6.118 √ = − √ y exp − dz exp − +σ 2 y=−∞ 2 2π 2π −∞ | {z } | {z } 6.119 =0 = 1 = σ2 . Die Parameter µ und σ 2 der Normalverteilung sind jetzt als Erwartungswert, bzw. Varianz identifiziert worden. 6.112Beachte die Abschätzung |ab| ≤ die aus der Beziehung 1 a2 + αb2 , 2 α a, b ∈ R, α > 0, 2 √ a2 |a| = + αb2 − 2|ab|, 0 ≤ √ − α|b| α α a, b ∈ R, α > 0, folgt. Hier wird a = x, b = µ und α = 2 benutzt. 6.113Als Konsequenz aus Beispiel 6.6 folgt die Integrabilität der Zufallsvariable |X|r aus dx |x|r f (x) < ∞. −∞ 6.114Da der Integrand antisymmetrisch bzgl. µ ist. 6.115 Hier wird eine Wahrscheinlichkeitsdichte über den ganzen Raum R integriert. 6.116Wegen (6.31) und Beispiel 6.6. Hier wird H mit H(x) = (x − µ)2 benutzt. √ 6.117 Mit der Substitution z = (x − µ)/ σ2 . 6.118 Mit partieller Integration Z b b Z b f ′ g = f g − f g′ . R∞ a a a Hier wird f (x) = − exp(−x2 /2) und g(x) = x benutzt. 6.119 Hier wird eine Wahrscheinlichkeitsdichte über den ganzen Raum integriert. 25. Juli 2011 114 Weiterhin ist nun das zweite Moment der Normalverteilung durch 6.120 E[X 2 ] = Var(X) + E[X]2 = σ 2 + µ2 gegeben. 6.6. Erwartungstreue Schätzer Sei (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) ein statistisches Modell 6.121, wobei Λ ⊆ R 6.122. Sei außerdem T : (X, G) → (R, B(R)) eine Statistik 6.123, die zur Schätzung von λ dient 6.124. Z 6.125 6.126 (6.33) Eλ [T ] −λ= Pλ (dx) T (x) − λ =: bλ (T ), λ ∈ Λ, X wird als Bias 6.127 des Schätzers T bezeichnet. T heißt erwartungstreu, wenn bλ (T ) = 0, λ ∈ Λ 6.128. Beispiel 6.13. Für N ∈ N 6.129 sei X = {0, 1, . . . , N } und G = Pot(X). Für q ∈ [0, 1] sei außerdem Pq die Binomialverteilung B(N, q) mit Parametern N und q 6.130. T : X → [0, 1] mit T (x) = x/N , x ∈ X, ist der Maximum-Likelihood-Schätzer für q 6.131. Da N X l N l q (1 − q)N −l = 6.132 q, q ∈ [0, 1], Eq [T ] = N l l=0 ist T erwartungstreu. Beispiel 6.14. Sei X = N und G = Pot(X). Für M ∈ N sei PM die Gleichverteilung auf {1, . . . , M } 6.133. Durch T : X → N mit T (x) = x, x ∈ X, ist der MaximumLikelihood-Schätzer für M bestimmt 6.134. Da M M M +1 1 X 1 X 1 M (M + 1) = , EM [T ] = T (l) = l= M M M 2 2 l=1 l=1 6.120Vgl. (6.20). 6.121Vgl. Abschnitt 4.1. 6.122Insbesondere liegt ein eindimensionales parametrisches statistisches Modell vor. 6.123Vgl. Abschnitt 4.1. 6.124T könnte z.B. ein Maximum-Likelihood-Schätzer, vgl. Abschnitt 4.2, sein. 6.125Für λ ∈ Λ bezeichnet E [T ] den Erwartungswert von T , falls auf (X, G) das Wahrscheinλ lichkeitsmaß Pλ zugrundegelegt wird. 6.126 Diese Notation wird in Bemerkung 6.4(iii) eingeführt. 6.127 Der Bias bλ (T ) ist der mittlere oder auch systematische Fehler des Schätzers T , wenn Pλ die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsverteilung ist. 6.128Für einen erwartungstreuen Schätzer T von λ verschwindet für alle möglichen Parameter λ der mittlere Fehler. 6.129N wird in diesem Beispiel als fest betrachtet. 6.130In diesem Beispiel wird daher mit dem statistischen Modell (X, G, (P ) q q∈[0,1] ) gearbeitet. 6.131Vgl. Beispiel 1.9. 6.132Vgl. Beispiel 1.5. 6.133Da {1, . . . , M } ⊆ X kann P M als ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (X, G) betrachtet werden. Dementsprechend wird in diesem Beispiel mit dem statistischen Modell (X, G, (PM )M ∈N ) gearbeitet. 6.134Wenn P M als ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf X betrachtet wird, ist ( 1/M, falls y = 1, . . . , M, PM [{y}] = 0, falls y = M + 1, M + 2, . . . . Die Likelihood-Funktion zum Beobachtungswert x ist daher ( 0, falls M = 1, . . . , x − 1, Lx (M ) = PM [{x}] = 1/M, falls M = x, x + 1, . . . . c für M zu gegebenem Beobachtungswert x durch Somit ist der Maximum-Likelihood-Schätzer M c = x gegeben. M 25. Juli 2011 115 ist T nicht erwartungstreu. Verwendet man andererseits T1 : X → N mit T1 (x) = 2x−1, x ∈ X, als Schätzer für M 6.135, so beobachtet man EM [T1 ] = M M 1 X 1 X 2 M (M + 1) − 1 = M. T1 (l) = (2l − 1) = M M M 2 l=1 l=1 T1 ist daher ein erwartungstreuer Schätzer für M . Beispiel 6.15. Nicht für alle Schätzprobleme existiert ein erwartungstreuer Schätzer. Gegeben sei beispielsweise das statistische Modell (X, G, (Pq )q∈[0,1] ), wobei 6.136 X = {0, 1, . . . , N }, G = Pot(X) und Pq die Binomialverteilung B(N, q) mit Parametern N und q ist. Dann Schätzer 6.137 T : X → R der Erwartungswert ist für jeden PN N l N −l Eq [T ] = l=0 T (l) l q (1 − q) ein Polynom in q ∈ [0, 1]. Da andererseits die p 6.138 Standardabweichung σq = N q(1 − q) von Pq kein Polynom in q ∈ [0, 1] ist, existiert für sie kein erwartungstreuer Schätzer 6.139. Beispiel 6.16 (Erwartungstreue Schätzung von Erwartungswert und Varianz von i.i.d. Zufallsvariablen). Eine zufällige reelle Größe G werde N mal unabhängig gemessen 6.140. Zu einer quantitativen Beurteilung von G ist es naheliegend, zunächst den Mittelwert“ und die Größe der Schwankungen“ der Messungen von G zu ” ” schätzen 6.141. In einer mathematisch präziseren Formulierung seien X1 , . . . , XN i.i.d. Zufallsvariablen mit Erwartungswert µ und Varianz σ 2 6.142. Die Verteilung der Zufallsvariablen X1 , . . . , XN sei unbekannt, zu schätzen seien µ und σ 2 6.143. 6.135Dieser Schätzer ergibt sich aus der Vermutung, daß im Fall der Beobachtung von x die Lücke“ x − 1 zum kleinsten Element 1 ähnlich groß ist, wie die Lücke“ M − x zum größten ” ” c = 2x − 1 Element M , d.h., daß x − 1 ≈ M − x. Damit ergibt sich M als Schätzer. 6.136N ∈ N sei fest. 6.137D.h., für jede Statistik. 6.138Vgl. Beispiel 1.6 und (6.22). p 6.139In diesem Beispiel wird nicht direkt der Parameter q sondern mit N q(1 − q) eine Funktion dieses Parameters geschätzt. Damit liegt eine Verallgemeinerung der bisher behandelten Schätzprobleme vor. 6.140In einer konkreten Anwendung könnte G die Lebensdauer eines speziellen Gebrauchsgegenstandes, z.B. eines Autoreifens oder einer Kinderschaukel, oder die Hitzebeständigkeit einer Keramik sein. 6.141Dieses umgangssprachlich beschriebene Ziel muß jetzt mathematisch formuliert werden. 6.142Insbesondere sei angenommen, daß E[X 2 ] < ∞. 1 6.143Als statistisches Modell könnte hier (RN , B(RN ), (P ) R λ λ∈Λ ) benutzt werden, wobei Λ die Menge aller Wahrscheinlichkeitsmaße λ auf (R, B(R)) mit R λ(dx) |x|2 < ∞ und Pλ die gemeinsame Verteilung von unabhängigen, reellwertigen, identisch verteilten Zufallsvariablen Y1 , . . . , YN mit PY1 = λ ist. Zu schätzen ist nicht, wie dies in den meisten bisher behandelten Schätzproblemen üblich war, der wahre Parameter“ λw und damit ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (R, B(R)). HinR ” gegen sind mit dem wahren Erwartungswert“ µ = Eλw = R λw (dx) x, bzw. der wahren Varianz“ R ” ” σ2 = Vλw = R λw (dx) (x−Eλw )2 zwei spezielle Funktionale von λw zu bestimmen. Eine einfachere Variante eines solchen verallgemeinerten Schätzproblems wird auch in Beispiel 6.15 diskutiert. Man vergleiche hierzu insbesondere auch Fußnote 6.139. Um die im vorangehenden Absatz angedeutete komplizierte Formulierung des Schätzproblems dieses Beispiels zu umgehen, wird einfach das Ziel verfolgt, als Schätzer von µ und σ2 geeignete Funktionen T = T (X1 , . . . , XN ) (der beobachteten Realisierungen) der Zufallsvariablen X1 , . . . , XN zu suchen, bzw. zu untersuchen. 25. Juli 2011 116 Als Schätzer von µ und σ 2 seien µ e := (6.34) definiert. Da 6.145 N 1 X Xk N k=1 Eµ,σ2 [e µ] = 6.146 6.144 f2 := und σ k=1 N N 1 X 1 X Eµ,σ2 [Xk ] = µ=µ N N k=1 und N 1 X (Xk − µ e)2 N −1 k=1 N 1 X Eµ,σ2 [Xk2 ] − 2Eµ,σ2 [Xk µ e] + Eµ,σ2 [e µ2 ] N −1 k=1 N σ2 σ2 X 1 6.147 = + µ2 + 6.149 + µ2 (σ 2 + µ2 ) − 6.148 2 N −1 N N f2 ] = Eµ,σ2 [σ 6.146 k=1 = N 1 2 1 X σ = σ2 , 1− N −1 N k=1 f2 erwartungstreue Schätzer sind µ e und σ 6.150 . 6.6.1. Mittlerer quadratischer Fehler eines Schätzers. Ein statistisches Modell (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) mit Λ ⊆ R sei gegeben. Außerdem sei T : (X, G) → (R, B(R)) eine Statistik, die zur Schätzung von λ dient. Die Genauigkeit dieses Schätzers kann 6.144Als empirischer Mittelwert ist µ e ein naheliegender Schätzer für µ. Ebenso ist der Mittelwert der quadrierten Schwankungen der Zufallsvariablen X1 , . . . , XN um den geschätzten ErwarP P tungswert µ e ein erster Kandidat als Schätzer für σ2 . Da aber N µ) = N e = 0, k=1 (Xk −e k=1 Xk −N µ sind die Zufallsvariablen X1 − µ e, . . . , XN − µ e nicht linear unabhängig. Beispielsweise ist X1 − µ e PN 2 nur N − 1 eine Linearkombination von Xk − µ e, k = 2, . . . , N . Somit besitzt (X − µ e ) k k=1 Freiheitsgrade“. Dadurch wird die Normierung mit (N − 1)−1 anstelle von N −1 verständlich. ” 6.145Die Bezeichnung E µ,σ 2 [. . . ] deutet an, daß hier angenommen wird, daß die (unbekannte) Verteilung von X1 , . . . und XN den Erwartungswert µ und die Varianz σ2 hat. Bezüglich dieser Verteilung wird der Erwartungswert betrachtet. 6.146Wegen der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6). 6.147Da σ2 = Var 2 2 2 2 µ,σ 2 (Xk ) = Eµ,σ 2 [Xk ] − Eµ,σ 2 [Xk ] = Eµ,σ 2 [Xk ] − µ , k = 1, . . . , N . 6.148 Da Eµ,σ 2 [Xk µ e] = = N 1 X 1 1 E 2 [Xk Xl ] = E 2 [Xk2 ] + N l=1 µ,σ N µ,σ N X Eµ,σ 2 [Xk ]Eµ,σ 2 [Xl ] l=1,...,N l6=k 1 2 N −1 2 1 (Varµ,σ 2 (Xk ) + Eµ,σ 2 [Xk ]2 ) + µ = σ + µ2 , N N N k = 1, . . . , N, wobei die Überlegung in Fußnote 6.147 und die Unabhängigkeit der Zufallsvariablen X1 , . . . , XN benutzt werden. Insbesondere findet die Produktregel für unabhängige Zufallsvariablen, vgl. (6.9), Verwendung. 6.149Aus Fußnote 6.147 und mit der Unabhängigkeit der Zufallsvariablen X , . . . , X ergibt 1 N sich ! N N X X 1 X 1 2 2 Eµ,σ 2 [e µ ]= 2 Eµ,σ 2 [Xk ]Eµ,σ 2 [Xl ] E 2 [Xk Xl ] = 2 Eµ,σ 2 [Xk ] + N k,l=1 µ,σ N k,l=1,...,N k=1 l6=k 1 2 1 2 = σ + µ2 + (N − 1)µ2 = σ + µ2 . N N 6.150Durch die Überlegungen in diesem Beispiel werden letztendlich die Definitionen (A.1) und (A.2) von empirischem Mittelwert, bzw. empirischer Varianz reller Daten begründet. 25. Juli 2011 117 durch den mittleren quadratischen Fehler Z (6.35) Eλ (T − λ)2 = Pλ (dx) (T (x) − λ)2 =: s2λ (T ), X λ ∈ Λ, ausgedrückt werden. Offensichtlich sollte von zwei sonst gleichwertigen“ Schätzern ” derjenige mit dem kleineren mittleren quadratischen Fehler als der bessere bewertet werden 6.151. Da 2 (6.36) s2λ (T ) = Eλ (T − Eλ [T ]) + ( Eλ [T ] − λ ) | {z } = 6.152 bλ (T ) = Eλ (T − Eλ [T ])2 + 2bλ (T ) Eλ T − Eλ [T ] +bλ (T )2 | {z } = 6.153 0 = Varλ (T ) + bλ (T )2 , λ ∈ Λ, fallen für erwartungstreue Schätzer mittlerer quadratischer Fehler und Varianz zusammen 6.154. Beispiel 6.17 (Untere Abschätzung des mittleren quadratischen Fehlers bei erwartungstreuen Schätzern 6.155). Sei (X, G, (Pλ )λ∈Λ ) ein diskretes statistisches Modell 6.156. Weiterhin sei Λ ein Intervall in R und T : X → Λ ein erwartungstreuer Schätzer für λ, d.h., X Eλ [T ] = T (x)Pλ [{x}] = λ, λ ∈ Λ. x∈X Zum Beobachtungswert x ∈ X ist die Likelihood-Funktion Lx durch Λ ∋ λ → Pλ [{x}] = Lx (λ) und weiterhin die Log-Likelihood-Funktion 6.157 ℓx ( . ) = log Lx ( . ) gegeben 6.158. Betrachtet man nun für festes λ ∈ Λ die Log-Likelihood-Funktion ℓ = ℓ. (λ) und auch deren Ableitung ℓ′ = ℓ′. (λ) 6.159 als Funktionen von x ∈ X, so läßt sich mit X I(λ) = Eλ [ℓ′ (λ)2 ] = ℓ′x (λ)2 Pλ [{x}], λ ∈ Λ, x∈X die Fisher-Information einführen. Ist I(λ) ∈ (0, ∞), λ ∈ Λ, so gilt für jeden erwartungstreuen Schätzer T von λ die sog. Informationsungleichung 1 , λ ∈ Λ. (6.37) Varλ (T ) ≥ I(λ) 6.151Eine Anwendung dieser Überlegungen wird in Fußnote 4.58 vorgestellt. 6.152b (T ) ist der Bias des Schätzers T , vgl. (6.33). λ 6.153 Aufgrund der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6), und der Normierung des Erwartungswerts, vgl. (6.10). 6.154 Man beachte, daß erwartungstreue Schätzer T durch bλ (T ) = 0, λ ∈ Λ, charakterisiert sind. 6.155 In diesem Beispiel soll erläutert werden, wie gut“ ein erwartungstreuer Schätzer sein ” kann. M.a.W., es soll untersucht werden, wie klein der mittlere quadratische Fehler eines solchen Schätzers werden kann. Eine detailliertere Darstellung findet sich in [10], Abschnitt 4.5. 6.156Vgl. Abschnitt 4.1. Diese Annahme wird zur Vereinfachung der Notation gemacht. 6.157Damit ℓ ( . ) > −∞ sei P [{x}] = L (λ) > 0, x ∈ X, λ ∈ Λ, angenommen. x x λ 6.158Beim Bestimmen eines Maximum-Likelihood-Schätzers für λ betrachtet man L, bzw. ℓ zu einem festen x ∈ X als Funktion von λ ∈ Λ, vgl. Abschnitt 4.2. 6.159ℓ′ bezeichnet die Ableitung der Funktionen Λ ∋ λ → ℓ (λ), x ∈ X, nach λ. In den x folgenden Ausführungen werden ℓ und ℓ′ für festes λ als Funktionen von x ∈ X betrachtet. 25. Juli 2011 118 Die Varianz und damit der mittlere quadratische Fehler eines erwartungstreuen Schätzers 6.160 des Parameters λ kann daher niemals kleiner als das Inverse der Fisher-Information sein. Die Informationsungleichung ist optimal, d.h., es gibt es Fälle mit Gleichheit. I. allg. kann daher die Abschätzung (6.37) nicht durch die Angabe einer größeren rechten Seite präzisiert werden. 6.7. Elementare Ungleichungen in der Wahrscheinlichkeitstheorie Oft werden in wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen keine exakten Wahrscheinlichkeiten oder Erwartungswerte benötigt, sondern nur evtl. relativ einfach zu bestimmende Abschätzungen. Aus diesem Grund sind in der Wahrscheinlichkeitstheorie viele verschiedene Ungleichungen abgeleitet worden. Speziell werden in diesem Abschnitt mit der Markov-Ungleichung und der daraus folgenden Čebyšev-Ungleichung zwei einfache, aber nützliche Ungleichungen eingeführt 6.161. Satz 6.18. (a) Markov-Ungleichung. Sei X eine reellwertige Zufallsvariable und f : [0, ∞) → [0, ∞) eine monoton wachsende Funktion mit f (x) > 0 für x > 0. Dann gilt 6.162: (6.38) P[|X| ≥ ǫ] ≤ E[f (|X|)] , f (ǫ) ǫ > 0. (b) Čebyšev-Ungleichung. Für jede reellwertige Zufallsvariable X gilt: (6.39) P[|X| ≥ ǫ] ≤ E[X 2 ] , ǫ2 ǫ > 0. Beweis. Offensichtlich folgt (b) aus (a), wenn f mit f (x) = x2 , x ∈ [0, ∞), verwendet wird. (a) ergibt sich aus f (ǫ)P[|X| ≥ ǫ] = 6.163 = 6.164 ≤ 6.166 f (ǫ)E[I{|X|≥ǫ} ] E[ f (ǫ)I{|X|≥ǫ} ] {z } | ≤ 6.165 f (|X|), f.s. E[f (|X|)]. Für eine reellwertige Zufallsvariable X ∈ L2 (Ω, F, P) gibt es mit Var(X) , ǫ2 eine Variante der Čebyšev-Ungleichung 6.168. (6.40) P[|X − E[X]| ≥ ǫ] ≤ 6.167 ǫ > 0, 6.160Mit (6.36) wurde verdeutlicht, daß bei erwartungstreuen Schätzern Varianz und mittlerer quadratischer Fehler übereinstimmen. Für einen erwartungstreuen Schätzer T ist bλ (T ) = 0. 6.161Mit der Cauchyschen Ungleichung war eine weitere Ungleichung in (6.21), bzw. in (6.29) vorgestellt worden. 6.162Da f (|X|) ≥ 0, ist der Erwartungswert auf der rechten Seite von (6.38) immer definiert. Wenn allerdings E[f (|X|)] = ∞, ist diese Ungleichung nutzlos. 6.163Vgl. (6.3). 6.164Wegen der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.6). 6.165Da f eine monoton wachsende, positive Funktion ist. 6.166 Aufgrund der Monotonie des Erwartungswerts, vgl. (6.5). 6.167Zum Beweis ist (6.39) für die Zufallsvariable X−E[X] anzuwenden und E[(X−E[X])2 ] = Var(X), vgl. (6.20), zu beachten. 6.168Als wesentliches Hilfsmittel wird die Čebyšev-Ungleichung beim Beweis des schwachen Gesetzes der großen Zahlen, vgl. Beispiel 1.7 und Satz 7.1, und zur Bestimmung eines Konfidenzintervalls, vgl. Beispiel 4.8, angewandt. 25. Juli 2011 119 6.8. Konvergenzbegriffe in der Wahrscheinlichkeitstheorie In der Wahrscheinlichkeitstheorie werden etliche unterschiedlich starke“ Kon” vergenzbegriffe benutzt. In diesem Abschnitt 6.8 werden die wichtigsten beschrie6.169 ben . (a) Stochastische Konvergenz 6.170. Seien X und Xn , n ∈ N, reellwertige Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Die Folge Xn , n ∈ N, konvergiert stochastisch oder in Wahrscheinlichkeit gegen X, wenn (6.41) lim P[|Xn − X| > ǫ] = 0, n→∞ ǫ > 0. P Man schreibt dann auch 6.171 Xn → X. (b) Fast-sichere Konvergenz 6.172. Seien X und Xn , n ∈ N, reellwertige Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Die Folge Xn , n ∈ N, konvergiert fast sicher (f.s.) gegen X, wenn 6.173 hn oi h i (6.42) P ω ∈ Ω : lim Xn (ω) = X(ω) = P lim Xn = X = 1. n→∞ n→∞ f.s. Man schreibt dann auch Xn → X, f.s., oder Xn → X. Wie durch die beiden folgenden Resultate belegt wird, ist im Vergleich zum stochastischen der fast-sichere Konvergenzbegriff der stärkere 6.174. Beispiel 6.19. Sei (Ω, F, P) = ([0, 1), B([0, 1)), λ), wobei λ das Lebesguemaß auf [0, 1) bezeichnet. Für k ∈ N mit der eindeutigen Darstellung k = 2n + m, wobei n ∈ N0 und m = 0, 1, . . . , 2n −1, sei Xk (ω) = I[m2−n ,(m+1)2−n ) (ω), ω ∈ [0, 1). Der Graph dieser Zufallsvariablen ist eine Rechtecksfunktion“, die mit wachsendem n immer ” enger“ wird und mit steigendem m von 0 nach rechts“ gegen 1 wandert und dann ” ” wieder nach 0 zurückspringt. Die Folge Xk , k ∈ N, konvergiert stochastisch 6.175 6.176 aber nicht f.s. gegen 0, d.h. gegen die Zufallsvariable X mit X ≡ 0. Satz 6.20. 6.177 Eine f.s. gegen eine Zufallsvariable X konvergente Folge von Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, konvergiert auch stochastisch gegen X. Umgekehrt existiert zu einer stochastisch gegen eine Zufallsvariable X konvergierenden Folge Xn , n ∈ N, von Zufallsvariablen eine Teilfolge Xnr , r ∈ N, die f.s. gegen X konvergiert 6.178. 6.169Die vorgestellten Konvergenzbegriffe sind genau diejenigen, die im schwachen Gesetz der großen Zahlen, beim starken Gesetz der großen Zahlen, bzw. im Zentralen Grenzwertsatz verwendet werden. 6.170Dieser Konvergenzbegriff wird z.B. beim schwachen Gesetz der großen Zahlen verwendet, vgl. Beispiel 1.7 und Abschnitt 7.1. 6.171Diese Notation erinnert an die englische Bezeichnung Convergence in Probability“. ” 6.172Dieser Konvergenzbegriff tritt u.a. beim starken Gesetz der großen Zahlen in Erscheinung, vgl. Bemerkung 7.2. 6.173Es kann nachgewiesen werden, daß die Menge {ω ∈ Ω : lim n→∞ Xn (ω) = X(ω)} meßbar ist. Damit ist insbesondere P ω ∈ Ω : limn→∞ Xn (ω) = X(ω) wohldefiniert. 6.174Damit sind die Bezeichnungen schwaches, bzw. starkes Gesetz der großen Zahlen gerechtfertigt, vgl. Fußnoten 6.170 und 6.172. 6.175λ[{ω ∈ [0, 1) : |X (ω)| > ǫ}] = 2−n , falls k = 2n + m mit m = 0, 1, . . . , 2n − 1 und k ǫ ∈ (0, 1). 6.176 Zu jedem festen ω ∈ [0, 1) gibt es beliebig große k, so daß Xk (ω) = 1, nämlich k = 2n + ⌊ω2n ⌋, n ∈ N. Ebenso ist Xk (ω) = 0 für beliebig große k. Die Existenz von limk→∞ Xk bzgl. der fast-sicheren Konvergenz ist daher ausgeschlossen. 6.177Vgl. [9], Lemma 4.2. 6.178Für die in Beispiel 6.19 diskutierte Folge X , n ∈ N von Zufallsvariablen, erhält man n mit nr = 2r , r ∈ N, eine f.s. gegen X ≡ 0 konvergente Teilfolge Xnr = I[0,2−r ) , r ∈ N. 25. Juli 2011 120 (c) Konvergenz in Verteilung 6.179. Die in (a) und (b) vorgestellten Konvergenzbegriffe beziehen sich auf Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, die alle auf dem gleichen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) definiert sind. Wenn die Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, verschiedene Wahrscheinlichkeitsräume als Definitionsbereiche besitzen, ist das Konzept der Konvergenz in Verteilung nützlich. Für n ∈ N sei Xn eine reellwertige Zufallsvariable auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ωn , Fn , Pn ). Die Folge Xn , n ∈ N, konvergiert in Verteilung gegen eine Zufallsvariable X, wenn 6.180 6.181 (6.43) lim E[h(Xn )] = E[h(X)], n→∞ h ∈ Cb (R). d Man schreibt dann auch 6.182 Xn → X. Zur Verifizierung der Konvergenz in Verteilung kann in vielen Fällen der folgende Satz 6.21 verwendet werden. In jenem Resultat werden insbesondere auch charakteristische Funktionen benutzt, wobei für eine reellwertige Zufallsvariable Y deren charakteristische Funktion ψY : R → C durch 6.183 6.184 (6.44) definiert ist ψY (z) = E[exp(izY )], 6.185 z ∈ R, . Satz 6.21. 6.186 Für reellwertige Zufallsvariablen X, Xn , n ∈ N, sind die folgenden Aussagen äquivalent: d (1) Xn → X. (2) limn→∞ FXn (y) = FX (y), y ∈ R, FX stetig in y (3) limn→∞ ψXn (y) = ψX (y), y ∈ R. 6.187 . Das nächste Resultat verdeutlicht den Zusammenhang zwischen stochastischer Konvergenz und Konvergenz in Verteilung. Satz 6.22. 6.188. Eine stochastisch gegen eine Zufallsvariable X konvergente Folge von Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, konvergiert auch in Verteilung gegen X. 6.179 Dieser Konvergenzbegriff findet z.B. beim Zentralen Grenzwertsatz Verwendung, vgl. Beispiel 1.8 und Abschnitt 9.3. 6.180Mit C (R) wird der Raum der stetigen, beschränkten, reellwertigen Funktionen auf R b bezeichnet. Für eine nicht-stetige Funktion h braucht (6.43) nicht zu gelten. 6.181 Um anzudeuten, daß E[h(Xn )] einen Erwartungswert bzgl. des Wahrscheinlichkeitsmaßes Pn auf dem meßbaren Raum (Ωn , Fn ) bezeichnet, könnte auch die Notation En [h(Xn )] verwendet werden. 6.182Diese Notation erinnert an Convergence in Distribution“. 6.183Offensichtlich ist exp(izY ) ”= cos(zY ) + i sin(zY ) eine beschränkte, C-wertige Zufallsvariable. Für eine beliebige integrable, C-wertige Zufallsvariable Z = Z1 + iZ2 mit dem Realteil Z1 und dem Imaginärteil Z2 definiert man unter Verwendung der Linearität des Erwartungswerts E[Z] := E[Z1 ] + iE[Z2 ]. 6.184 Wenn die Verteilung PY der Zufallsvariable Y eine Dichte f bzgl. des Lebesguemaßes besitzt, so folgt aus Beispiel 6.6 die Darstellung Z dx exp(izx)f (x), z ∈ R, ψY (z) = R von ψY . Die charakteristische Funktion der Zufallsvariable Y entspricht somit der Fouriertransformierten der Dichte ihrer Verteilung. 6.185In Abschnitt 9.3 werden charakteristische Funktionen als wesentliches Hilfsmittel beim Beweis des Zentralen Grenzwertsatzes in Erscheinung treten. Insbesondere wird die Äquivalenz zwischen (1) und (3) in Satz 6.21 verwendet werden. 6.186Vgl. [9], Theorem 4.25, und [6], Section 5.9, Theorem (5). 6.187F ist die Verteilungsfunktion der Zufallsvariable Y , vgl. Abschnitt 3.3. Die hier beY schriebene Konvergenz muß nur in den Stetigkeitspunkten von FX gelten. 6.188Vgl. [9], Lemma 4.7. 25. Juli 2011 121 Satz 6.20 und Satz 6.22 lassen sich zusammenfassen in (6.45) f.s. Xn → X =⇒ P Xn → X 25. Juli 2011 =⇒ d Xn → X. KAPITEL 7 Gesetz der großen Zahlen Ein Hauptthema der Wahrscheinlichkeitstheorie ist die zusammenfassende Beschreibung einer großen Menge von Zufallsvariablen 7.1. In diesem Zusammenhang wird in diesem Kapitel mit einem schwachen Gesetz der großen Zahlen ein erstes Resultat vorgestellt 7.2. 7.1. Ein schwaches Gesetz der großen Zahlen Unter dem Begriff schwaches Gesetz der großen Zahlen“ kann man eine ganze ” Klasse von Resultaten zusammenfassen. In diesen Resultaten wird für eine Folge Xn , n ∈ N, von Zufallsvariablen die Asymptotik der empirischen Mittelwerte PN (1/N ) k=1 Xk bzgl. der stochastischen Konvergenz 7.3 bei N → ∞ untersucht. Daher sollte das nun vorgestellte Resultat nur als eine Variante des schwachen Gesetzes der großen Zahlen verstanden werden 7.4. Satz 7.1. 7.5 Seien X1 , X2 , . . . reellwertige, paarweise unkorrelierte 7.6 Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) mit E[Xk2 ] < ∞, k ∈ N. Sei 7.7 v := sup Var(Xn ) < ∞. (7.1) n∈N Dann gilt (7.2) 7.8 : # " N 1 X v Xk − E[Xk ] ≥ ǫ ≤ P N N ǫ2 k=1 N →∞ → 0, ǫ > 0. Wenn E[Xk ] = µ, k ∈ N, für ein µ ∈ R, so folgt insbesondere 7.9: " # N 1 X v N →∞ (7.3) P → 0, ǫ > 0. X k − µ ≥ ǫ ≤ N N ǫ2 k=1 7.1Das Ziel ist die Komprimierung von Informationen und damit auch die Herausarbeitung der wesentlichen Details. 7.2Vgl. Satz 7.1. Weitere Beiträge sind z.B. das starke Gesetz der großen Zahlen, vgl. (7.4), und der Zentrale Grenzwertsatz, vgl. Satz 9.3. 7.3Vgl. Abschnitt 6.8(a). 7.4Schon in Beispiel 1.7 wurde für i.i.d., {0, 1}-wertige Zufallsvariablen, d.h., in einem Spezialfall, das schwache Gesetz der großen Zahlen hergeleitet. Die dort angedeutete, auf der ČebyševUngleichung, vgl. Satz 6.18 und (6.40), basierende Methode eines Beweises ist auch in allgemeineren Fällen wie dem nun folgenden Satz 7.1 anwendbar. 7.5 Vgl. [5], Satz (5.6). 7.6Vgl. Abschnitt 6.4. Es wird gefordert, daß Cov(X , X ) = 0 für k, l ∈ N mit k 6= l. k l 7.7Da E[X 2 ] < ∞, k ∈ N, ist Var(X ) < ∞, k ∈ N. In (7.1) wird zusätzlich gefordert, daß k k die Varianzen der Zufallsvariablen Xk , k ∈ N, gleichmäßig beschränkt sind. 7.8(7.2) besagt, daß die Zufallsvariablen (1/N ) PN (X − E[X ]) bei N → ∞ stochastisch k k k=1 gegen 0 konvergieren. 7.9(7.3) besagt, daß die Zufallsvariablen (1/N ) PN X bei N → ∞ stochastisch gegen µ k=1 k konvergieren. 123 124 PN Beweis. Sei ZN = (1/N ) k=1 (Xk − E[Xk ]), N ∈ N. Offenbar ist L2 (Ω, F, P), N ∈ N, mit 7.11 E[ZN ] = 0, N ∈ N, und X N 1 2 Xk E[ZN ] = Var(ZN ) = 7.12 2 Var N 7.10 ZN ∈ k=1 = 7.13 1 N2 N X k=1 Var(Xk ) ≤ 7.14 v . N (7.2) folgt nun durch eine Anwendung der Čebyšev-Ungleichung (6.39) auf die Zufallsvariablen ZN , N ∈ N. Bemerkung 7.2. Unter den Voraussetzungen von Satz 7.1 gilt sogar das starke Gesetz der großen Zahlen, d.h., 7.15 N 1 X Xk − E[Xk ] = 0, f.s. N →∞ N (7.4) lim k=1 7.2. Anwendungen des schwachen Gesetzes der großen Zahlen In diesem Abschnitt werden zwei Anwendungen des Gesetzes der großen Zahlen beschrieben. Es wird mit der Berechnung des Integrals einer meßbaren Funktion ein Problem der Numerik und mit der Approximation einer stetigen Funktion durch Polynome ein Problem der Analysis mit Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie, genauer dem schwachen Gesetz der großen Zahlen, gelöst. Beide Probleme haben primär nichts mit Stochastik zu tun, d.h., der Zufall“ wird als ein mathematisches ” Hilfsmittel benutzt. 7.2.1. Monte-Carlo-Integration. Für eine meßbare Funktion 7.16 h : ([0, 1], B([0, 1])) → ([−c, c], B([−c, c])), wobei c ∈ (0, ∞) eine Konstante ist, soll 7.17 R1 dx h(x) berechnet werden. 0 Hierzu seien Xk , k ∈ N, unabhängige, auf [0, 1] gleichverteilte Zufallsvariablen. In diesem Fall sind die Zufallsvariablen h(Xk ), k ∈ N, unabhängig und identisch verteilt 7.18 mit 7.19 Z 1 E[h(X1 )] = 7.20 (7.5) dx h(x) := µh , 0 Var(h(X1 )) = E[(h(X1 ) − µh )2 ] = E[h(X1 )2 ] − µ2h Z 1 2 Z 1 2 7.20 = dx h(x) − dx h(x) ≤ c2 . 0 0 7.10Weil E[X 2 ] < ∞, k ∈ N. k 7.11Aufgrund von (6.6) und (6.10). 7.12Wegen (6.26). 7.13Wegen (6.28). Man beachte, daß die Zufallsvariablen X , k ∈ N, unkorreliert sind. k 7.14 Aufgrund der Annahme (7.1). 7.15Vgl. [5], Satz (5.15). Die fast-sichere Konvergenz wird in Abschnitt 6.8(b) erläutert. Da die fast-sichere Konvergenz stärker“ als die stochastische Konvergenz ist, folgt (7.4) nicht aus ” Satz 7.1. 7.16Die Meßbarkeit einer Funktion wird in (3.1) definiert. 7.17R 1 dx h(x) ist als Lebesgue-Integral aufzufassen, vgl. Fußnote 2.113. Die Annahme, daß 0 h beschränkt ist, könnte abgeschwächt werden. Ebenso könnte auch mit einem allgemeineren Integrationsbereich gearbeitet werden. 7.18I. allg. ist die Verteilung der Zufallsvariablen h(X ), k ∈ N, natürlich keine Gleichverk teilung. 7.19 Da die Zufallsvariablen h(Xk ), k ∈ N, identisch verteilt sind, reicht es, E[h(X1 )] und Var(h(X1 )) zu untersuchen. 25. Juli 2011 125 Somit sind für die Zufallsvariablen h(Xk ), k ∈ N, die Voraussetzungen von Satz 7.1 erfüllt und es folgt 7.21: # " Z 1 N 1 X c2 N →∞ → 0, ǫ > 0. h(Xk ) − dx h(x) ≥ ǫ ≤ (7.6) P N N ǫ2 0 k=1 Die zu (7.6) führenden Überlegungen können in einem Verfahren zur numeriR1 schen Bestimmung des Integrals 0 dx h(x) mit Hilfe von Simulationen zusammengefaßt werden. Dieses Verfahren wird als Monte-Carlo-Integration 7.22 bezeichnet. (1) Bestimmung einer Folge x1 , x2 , . . . unabhängiger, in [0, 1] gleichverteil” 7.23 ter“ Pseudozufallszahlen . R1 PN (2) Approximation von 0 dx h(x) durch (1/N ) k=1 h(xk ) mit einem hin” reichend großen“ N ∈ N 7.24. Bemerkungen 7.3 (zur Qualität der Monte-Carlo-Integration). (i) Das MonteCarlo-Verfahren ist besser als es (7.6) erkennen läßt. Da unter den Voraussetzungen von Satz 7.1 auch das starke Gesetz der großen Zahlen gilt 7.25, ergibt sich sogar Z 1 N 1 X h(Xk ) = dx h(x), f.s. (7.7) lim N →∞ N 0 k=1 (ii) Die Konvergenzgeschwindigkeit kann mit Hilfe des Zentralen Grenzwertsatzes bestimmt werden 7.26. Es gilt: Z 1 N 1 X (7.8) h(Xk ) − dx h(x) = O(N −1/2 ), N → ∞. N 0 k=1 (iii) Das Monte-Carlo-Verfahren zur Integration ist sinnvoll, wenn h keine Regularitätseigenschaften besitzt und wenn Wert auf einfache Programmierbarkeit gelegt wird. Für reguläre (d.h., stetige, differenzierbare, . . . ) Integranden h stellt R1 die Numerik wesentlich bessere Methoden zur Bestimmung von 0 dx h(x) bereit. Insbesondere sind dann höhere Konvergenzgeschwindigkeiten als in (7.8) erreichbar 7.27. 7.2.2. (∗) Bernstein-Polynome und Approximationssatz von Weierstraß. 7.28 Eine stetige Funktion f : [0, 1] → R ist durch Polynome gleichmäßig in 7.20Vgl. Beispiel 6.6. Es ist zu beachten, daß die Gleichverteilung auf [0, 1] die Dichte f = I [0,1] besitzt. 7.21(7.6) ist eine Konsequenz von (7.3). 7.22Dieser Name verweist auf Monte Carlo mit seinem Casino. Dort werden am Roulette- Tisch insbesondere auch Zufallszahlen erzeugt. 7.23Vgl. Fußnote 3.52. 7.24Zur Wahl von N in einer konkreten Anwendung muß die Konvergenzgeschwindigkeit der Monte-Carlo-Integration bestimmt werden. Für eine vorgegebene Approximationsgenauigkeit kann dann N bestimmt werden. Vgl. hierzu (7.8). 7.25 Vgl. Bemerkung 7.2. 7.26Vgl. Beispiel 9.7. 7.27Die Theorie hinter diesen Methoden aus der Numerik ist allerdings ebenso wie der Programmieraufwand zu ihrer Implementierung i. allg. wesentlich aufwendiger. 7.28Der Weierstraß’sche Approximationssatz sichert zu jeder stetigen Funktion f : [0, 1] → R und jeder vorgegebenen Approximationsgenauigkeit ǫ > 0 die Existenz eines Polynoms fP,ǫ , so daß sup |f (x) − fP,ǫ (x)| ≤ ǫ. x∈[0,1] 25. Juli 2011 126 [0, 1] zu approximieren 7.29. Hierzu werden Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie und insbesondere das schwache Gesetz der großen Zahlen angewandt. 7.2.2.1. Ein wahrscheinlichkeitstheoretischer Rahmen. 7.30 Sei Ω = {0, 1}N 7.31 und sei außerdem Xn , n ∈ N, mit Xn (ω) = ωn , ω = (ωk )k∈N ∈ Ω, n ∈ N, die Familie der Projektionen von Ω auf die einzelnen Komponenten {0, 1}. Die übliche σ-Algebra F in Ω wird durch die Funktionen Xn , n ∈ N, erzeugt. Dies bedeutet, daß F die kleinste σ-Algebra ist, die die Mengen 7.32 e ∗ = {ω ∈ Ω : Xk (ω) = ηk , . . . , Xk (ω) = ηk } : F n n 1 1 k1 , . . . , kn ∈ N, 1 ≤ k1 < . . . < kn , ηk1 , . . . , ηkn ∈ {0, 1}, n ∈ N enthält. Insbesondere sind die Projektionen Xn , n ∈ N, meßbare, {0, 1}-wertige Funktionen auf (Ω, F). Auf dem meßbaren Raum (Ω, F) ist für jedes p ∈ [0, 1] ein Wahrscheinlichkeitsmaß Pp definiert, so daß der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, Pp ) den ∞-fachen, unabhängigen Wurf einer Münze mit Erfolgswahrscheinlichkeit“ p beschreibt 7.33. ” Die Funktionen Xn , n ∈ N, auf Ω sind von p unabhängig. Werden sie hingegen als Zufallsvariablen auf den Wahrscheinlichkeitsräumen (Ω, F, Pp ), p ∈ [0, 1], betrachtet, so hängt ihre Verteilung natürlich von p ab. Sie modellieren dann jeweils für die Erfolgswahrscheinlichkeit p die Ergebnisse der einzelnen Würfe der Münze 7.34. Im folgenden sei ein bzgl. des Wahrscheinlichkeitsmaßes Pp definierter Erwartungswert mit Ep [ . ] bezeichnet. 7.2.2.2. Anmerkungen zur Funktion f und Einführung der Bernstein-Polynome. Wenn der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, Pp ) zugrundegelegt wird, besitzt die ZuP 7.35 fallsvariable N . Insbesondere ist n=1 Xn die Binomialverteilung B(N, p) X N N k N X 1 (7.9) pk (1 − p)N −k = f Xn Ep f N n=1 N k k=0 = : fN (p), p ∈ [0, 1], N ∈ N. Die Funktionen [0, 1] ∋ p → fN (p), N ∈ N, sind Polynome. Man bezeichnet sie als Bernstein-Polynome 7.36. 7.29Da diese Polynome explizit angegeben werden, wird im folgenden sogar eine konstruktive Version des Weierstraß’schen Satzes behandelt. 7.30Zunächst werden für die spätere Arbeit in diesem Abschnitt 7.2.2 Wahrscheinlichkeitsräume (Ω, F, Pp ), p ∈ [0, 1], und Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, vorgestellt. Die Wahrscheinlichkeitsräume wurden bereits in Abschnitt 2.4.2 betrachtet, um den ∞-fachen, unabhängigen Münzwurf zu beschreiben. Die Zufallsvariablen wurden hierzu passend in Beispiel 3.3 eingeführt, um die Ergebnisse der einzelnen Würfe der Münze zu modellieren. 7.31{0, 1}N = {(ω ) k k∈N : ωk ∈ {0, 1}, k ∈ N} ist die Menge der {0, 1}-wertigen Folgen. 7.32F e ∗ und das in (2.16) eingeführte Mengensystem F∗ sind identisch. 7.33Die Wahrscheinlichkeitsmaße P , p ∈ [0, 1], werden in Abschnitt 2.4.2 eingeführt. Sie sind p e ∗ = F∗ , vgl. (2.17), eindeutig charakterisert. durch ihre Einschränkung auf Ereignisse in F 7.34Vgl. Beispiel 3.3. 7.35Vgl. Abschnitt 1.1.2, insbesondere (1.5). Die dort bestimmte Verteilung der Anzahl defekter Produktionsstücke ist gleich der Verteilung der Anzahl der Erfolge in der hier betrachteten Situation. 7.36Die Definition (7.9) von f läßt schon jetzt für jedes feste p ∈ [0, 1] die Konvergenz von N fN (p) gegen f (p) bei N → ∞ vermuten: P N→∞ • (1/N ) N n=1 Xn −−−−→ Ep [X1 ] = p aufgrund des Gesetzes der großen Zahlen (bzgl. (Ω, F, Pp )) und daher P N→∞ • fN (p) = Ep [f ((1/N ) N ∼ Ep [f (p)] = f (p). n=1 Xn )] Im folgenden werden diese formalen Argumente präzisiert. 25. Juli 2011 127 Auf dem kompakten Intervall [0, 1] ist die stetige Funktion f sogar gleichmäßig stetig, d.h., zu ǫ > 0 gibt ein δ > 0, so daß |f (x) − f (y)| ≤ ǫ, (7.10) Daher gilt: falls |x − y| ≤ δ. 7.37 7.38 N X f 1 Xn − f (p) ≤ ǫ + 2kf k∞I{|(1/N ) PN Xn −p|≥δ} . N n=1 (7.11) n=1 7.2.2.3. Anwendung des schwachen Gesetzes der großen Zahlen. Nun kann die gleichmäßige Konvergenz der Polynome fN gegen die Funktion f bei N → ∞, d.h., (7.12) lim sup |fN (p) − f (p)| = 0 N →∞ p∈[0,1] nachgewiesen werden. Hierzu ergibt sich zunächst |fN (p) − f (p)| = (7.13) = ≤ ≤ N X Ep f 1 − f (p) Xn N n=1 X N Ep f 1 Xn − f (p) N n=1 X N 1 7.40 Ep f Xn − f (p) N n=1 i h 7.41 ǫ + 2kf k∞ Ep I{|(1/N ) PN Xn −p|≥δ} n=1 | {z } X 1 N = Pp Xn − p ≥ δ N n=1 7.39 1 ǫ + 2kf k∞ Varp (X1 ) | {z } N δ 2 = p(1 − p) ≤ 1/4 kf k∞ ≤ ǫ+ , p ∈ [0, 1]. 2N δ 2 ≤ 7.42 7.37kf k 7.38 ∞ = sup{|f (x)| : x ∈ [0, 1]}. Die Beziehung (7.11) ist eine abgekürzte Version von N X f 1 Xn (ω) − f (p) ≤ ǫ + 2kf k∞ I{ω ′ ∈Ω:|(1/N) PN Xn (ω ′ )−p|≥δ} (ω), n=1 N n=1 ω ∈ Ω. P P Für jedes ω ∈ Ω ist entweder |(1/N ) N − p| < δ oder |(1/N ) N n=1 Xn (ω) n=1 Xn (ω) − p| ≥ δ. PN Aufgrund von (7.10) gilt im ersten Fall |f ((1/N ) n=1 Xn (ω)) − f (p)| ≤ ǫ, während im zweiten P Fall |f ((1/N ) N n=1 Xn (ω)) − f (p)| ≤ 2kf k∞ ist. 25. Juli 2011 128 Zu einer vorgegebenen Approximationsgenauigkeit η > 0 in (7.12) ist nun zuerst • ǫ = η/2 zu definieren, dann zu diesem ǫ ein • δ > 0 so zu bestimmen, daß (7.10) gilt, und letztendlich ein • N ≥ kf k∞ /(ηδ 2 ) zu wählen. Dann führt (7.13) zu |fN (p) − f (p)| ≤ η, p ∈ [0, 1]. Damit ist der Approximationssatz von Weierstraß bewiesen. (∗) 7.39Wegen (7.9). 7.40Für eine Zufallsvariable Z in L1 (Ω, F, P), d.h. mit E[|Z|] < ∞, gilt: |E[Z]| ≤ E[|Z|]. Beweis. Da Z ≤ |Z| und −Z ≤ |Z|, folgen aus der Monotonie und der Linearität des Erwartungswerts, vgl. (6.5), (6.6) und die Bemerkung 6.4(i), die Beziehungen E[Z] ≤ E[|Z|] und −E[Z] = E[−Z] ≤ E[|Z|]. Damit ist (∗) bewiesen. Bemerkung. Wie die Cauchysche Ungleichung (6.21) ist (∗) ein Spezialfall der Jensenschen Ungleichung, die besagt, daß ϕ(E[X]) ≤ E[ϕ(X)], falls ϕ : R → R konvex und X eine reellwertige, integrable Zufallsvariable mit E[|ϕ(X)|] < ∞ ist. 7.41 Wegen (7.11) und der Monotonie, der Linearität und der Normierung des Erwartungswerts, vgl. (6.5), (6.6) und (6.10). 7.42 Wegen des schwachen Gesetzes der großen Zahlen, vgl. (7.3). Beachte, daß auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, Pp ) die Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, unabhängig und identisch verteilt mit Ep [X1 ] = p und Varp (X1 ) = p(1 − p) sind. 25. Juli 2011 KAPITEL 8 Bedingte Wahrscheinlichkeiten I. allg. muß die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A neu bewertet werden, wenn bekannt wird, daß ein anderes Ereignis B eingetreten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Abhängigkeit zwischen A und B besteht 8.1. Man bezeichnet mit P[A|B] die Wahrscheinlichkeit für A unter der Bedingung, daß B eingetreten ist 8.2. Beispiel 8.1. Für k = 1, . . . , N beschreibe die {0, 1}-wertige Zufallsvariable Xk das Ergebnis des k-ten Wurfs einer fairen Münze, wobei die einzelnen Würfe unabhängig sind. Sei 8.3 A = {X1 + · · · + XN = N } und 8.4 B = {X1 = 0}. Es gilt 8.5 P[A] = 2−N , aber 8.6 P[A|B] = 0 8.7. Beispiel 8.2. 8.8 Den Überlegungen in Abschnitt 2.1 folgend wird zur Modellierung des 2-maligen, unabhängen Wurfs eines fairen Würfels mit dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), wobei Ω = {1, . . . , 6}2 , F = Pot(Ω) und P die Gleichverteilung auf (Ω, F) ist, gearbeitet. (Ω, F, P) ist ein Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum, d.h., (8.1) P[C] = |C| |C| = , |Ω| 36 C ∈ F. Sei A = {ω = (ω1 , ω2 ) ∈ Ω : ω1 + ω2 = 6} und B = {ω ∈ Ω : ω1 = 3}. In diesem Beispiel soll speziell P[A|B] und allgemeiner P[C|B], C ∈ F, bestimmt werden. Wenn der 1. Wurf durchgeführt worden ist und 3 ergeben hat, d.h., wenn B eingetreten ist, müssen, wenn die dann gewonnene Information nicht ignoriert werden soll, die Wahrscheinlichkeiten der Ereignisse in F neu bestimmt werden. Es ergibt sich ein Wahrscheinlichkeitsmaß PB = P[ . |B] auf dem meßbaren Raum (Ω, F) 8.9. Intuitiv wird beispielsweise erwartet, daß (i) PB [{ω ∈ Ω : ω1 6= 3}] = PB [Ω \ B] = 0 8.10, (ii) PB [{ω ∈ Ω : ω1 = 3}] = PB [B] = 1 8.11 und (iii) PB [{ω ∈ Ω : ω2 = k}] = 1/6, k = 1, . . . , 6 8.12. Als Präzisierung von (i) - (iii) kann (8.2) PB [{ω ∈ Ω : ω1 = l, ω2 = k}] = PB [{(l, k)}] 8.1D.h., wenn A und B nicht stochastisch unabhängig sind, vgl. Abschnitt 3.2.3. 8.2Ein erstes Problem ist die Bestimmung von P[A|B], d.h. die Angabe einer Formel“. ” 8.3A , es wird N mal Zahl“ geworfen“. ” ” beim ersten Wurf wird Kopf“ geworfen“. ” ” (2.3). 8.6Wenn X = 0, kann niemals X + · · · + X = N sein. 1 1 N 8.7Beispiel 8.1 verdeutlicht somit, daß i. allg. P[A] und P[A|B] verschieden sind. 8.8 Mit diesem Beispiel soll die allgemeine Formel (8.4) zur Berechnung bedingter Wahrscheinlichkeiten motiviert werden. 8.9Man betrachtet hier die bedingten Wahrscheinlichkeiten P[C|B] simultan für alle C ∈ F. 8.10Die bedingte Wahrscheinlichkeit, daß B nicht eintritt unter der Bedingung, daß B eingetreten ist, sollte 0 sein. 8.11P ist daher auf B konzentriert. B 8.12Da die beiden Würfe unabhängig sind. 8.4B , 8.5Vgl. 129 130 = ( 0, falls l 6= 3, k = 1, . . . , 6, 1/6, falls l = 3, festgehalten werden. Aus (8.2) folgt zunächst " [ P[A|B] = PB [A] = PB k,l=1,...,6; l+k=6 X = k,l=1,...,6 l+k=6 {ω ∈ Ω : ω1 = l, ω2 = k} # PB [{ω ∈ Ω : ω1 = l, ω2 = k}] = PB [{ω ∈ Ω : ω1 = 3 = ω2 }] = 1 5 6= = 6 36 8.13 P[A] . Weiterhin bedeutet (8.2), daß die • ω∈B • ω∈ 6 B 8.14 8.15 unter PB gleichwahrscheinlich sind, und die unter PB die Wahrscheinlichkeit 0 besitzen. Somit gilt (8.3) P[C|B] = PB [C] = 8.16 = 8.17 |C ∩ B|/|Ω| |C ∩ B| = |B| |B|/|Ω| P[C ∩ B] , C ∈ F, P[B] für die bedingte Wahrscheinlichkeit von C ∈ F unter der Bedingung B 8.18 . 8.1. Bestimmung bedingter Wahrscheinlichkeiten 8.19 Sei (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Allgemein ist für ein B ∈ F mit P[B] > 0 8.20 die unter B bedingte Wahrscheinlichkeit P[ . |B] ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem meßbaren Raum (Ω, F) 8.21. Für dieses Wahrscheinlichkeitsmaß P[ . |B] sind außerdem folgende Eigenschaften zu erwarten: (i) P[B|B] = 1 8.22 . 8.13Vgl. (8.1). Es ist zu beachten, daß |A| = 5. 8.14Ein ω ∈ B zeichnet sich durch ω = 3 aus. 1 8.15Ein ω 6∈ B zeichnet sich durch ω 6= 3 aus. 1 8.16Nur die ω ∈ B besitzen unter P eine positive Wahrscheinlichkeit. Diese ist 1/|B|, da B unter PB alle solchen ω’s gleichwahrscheinlich sind. Man beachte hier auch, daß genau |C ∩ B| Elemente von C auch in B enthalten sind. 8.17 Vgl. (8.1). 8.18Im nächsten Abschnitt 8.1 wird demonstriert, daß die Darstellung (8.3) der bedingten Wahrscheinlichkeit allgemeingültig ist. 8.19In diesem Abschnitt werden die Überlegungen aus Beispiel 8.2 in einem allgemeinen Rahmen wiederholt. Insbesondere wird die Allgemeingültigkeit von (8.3) nachgewiesen. 8.20Die Notwendigkeit dieser Bedingung ergibt sich aus der letztendlich P[ . |B] charakterisierenden Beziehung (8.4). Darüberhinaus scheint die Bestimmung von unter einem Ereignis B bedingten Wahrscheinlichkeiten nicht notwendig zu sein, falls B mit Wahrscheinlichkeit 1 nicht eintritt. 8.21Insbesondere erfüllt P[ . |B] die Beziehungen (2.2). 8.22Wenn B eingetreten ist, ist B ein sicheres Ereignis. 25. Juli 2011 131 (ii) Es gibt eine Konstante cB > 0, so daß P[A|B] = cB P[A], falls A ∈ F, A ⊆ B 8.23 8.24. Aus (i) und (ii) für A = B folgt 1 = P[B|B] = cB P[B], d.h., cB = 1/P[B]. Damit ergibt sich (8.4) 8.25 P[A ∩ B|B] + P[A ∩ (Ω \ B)|B] {z } | = 8.26 0 = cB P[A ∩ B] P[A|B] = = P[A ∩ B] , P[B] A ∈ F. Diese Überlegungen zeigen, daß für B ∈ F mit P[B] > 0 durch (i) und (ii) ein eindeutiges Wahrscheinlichkeitsmaß P[ . |B] auf (Ω, F) bestimmt wird. Dieses Wahrscheinlichkeitsmaß genügt der Beziehung (8.4). Es wird die unter B bedingte Wahrscheinlichkeit genannt 8.27. Beispiel 8.3 (Gedächtnislose Wartezeiten). Gewisse regelmäßig wiederkehrende Ereignisse können jederzeit eintreten, unabhängig davon, welche Zeitspanne seit ihrem letzten Auftreten schon verstrichen ist 8.28. Somit ist die verbleibende Wartezeit T bis zum nächsten Eintreten eines derartigen Ereignisses gedächtnislos. Diese Gedächtnislosigkeit bedeutet, daß P[T > t + s|T > t] = P[T > s], 0 < s, t < ∞, und folglich P[T > t + s] = 8.29 P[T > t]P[T > t + s|T > t] = P[T > t]P[T > s], 0 < s, t < ∞. 8.23Mit dem Beobachten, daß B eingetreten ist, sind keine weiteren Erkenntnisse über tiefergehende Details, d.h. Ereignisse A ⊆ B, verbunden. Für A, A′ ∈ F mit A, A′ ⊆ B sollte folglich das Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten vor und nach dem Gewinn des Wissens um das Eintreten von B gleich sein, d.h., P[A|B] P[A] = , P[A′ ] P[A′ |B] A, A′ ∈ F, A, A′ ⊆ B, P[A′ ] > 0. Diese Relation ist gleichbedeutend mit (ii), wobei cB = P[A′ |B]/P[A′ ] für ein beliebiges, fest gewähltes A′ ⊆ B mit P[A′ ] > 0. 8.24 Im Rahmen des Beispiel 8.2 sind die dortigen vor (8.3) aufgeführten Eigenschaften äquivalent zu (i) und (ii). . 8.25Wegen der Additivität des Wahrscheinlichkeitsmaßes P[ . |B] und weil A = (A ∩ B) ∪ (A ∩ (Ω \ B)). 8.26 Wegen (i) ist die gesamte Masse“ des Wahrscheinlichkeitsmaßes P[ . |B] auf B konzen” triert, d.h., P[C|B] = 0, falls C ⊆ Ω \ B. 8.27Gelegentlich wird auch einfach (8.4) als Definition der unter B bedingten Wahrscheinlichkeit P[ . |B] benutzt. 8.28 Beispiele wären Telefonanrufe, Zerfälle in einem radioaktiven Präparat, Meteoriteneinschläge, . . . 25. Juli 2011 132 Daher ist die durch w(t) = P[T > t], t > 0, definierte Funktion w : (0, ∞) → [0, 1] eine rechtsstetige 8.30 und monoton fallende 8.31 Lösung der Funktionalgleichung (8.5) 0 < s, t < ∞. w(t + s) = w(t)w(s), w hat daher notwendigerweise die Darstellung (8.6) 8.32 w(t) = exp(−λt), t > 0, für ein λ > 0. Als Konsequenz hat die Verteilungsfunktion FT von T die Gestalt FT (t) = P[T ≤ t] = 1 − P[T > t] = 1 − exp(−λt), d.h., T ist exponentiell verteilt mit Parameter λ t > 0, 8.33 . 8.29Vgl. (8.4). Man beachte, daß {T > t + s} ⊆ {T > t} und damit P[T > t + s|T > t] = P[T > t + s] P[{T > t + s} ∩ {T > t}] = . P[T > t] P[T > t] 8.30Da w(t) = P[T > t] = 1 − P[T ≤ t] = 1 − FT (t), t > 0, mit der Verteilungsfunktion FT von T , ist die Rechtsstetigkeit von w eine Konsequenz der Rechtsstetigkeit beliebiger Verteilungsfunktionen, vgl. Abschnitt 3.3.1(iv). 8.31 Offensichtlich ist w(t1 ) = P[T > t1 ] ≥ P[T > t2 ] = w(t2 ), 0 < t1 ≤ t2 < ∞. 8.32Für eine Lösung w von (8.5) führt zunächst eine Iteration zu (∗1 ) Insbesondere ist w(p/q) = w(1/q) · · · w(1/q) = w(1/q)p , | {z } p mal w(1) = w(q/q) = w(1/q)q , d.h., w(1/q) = w(1)1/q , (∗2 ) p, q ∈ N. q ∈ N, q ∈ N. Aus (∗1 ) ergibt sich ebenso (∗3 ) w(p) = w(1)p , p ∈ N. Ist w(1) = 0, bzw. w(1) = 1, so kann aus (∗2 ), bzw. (∗3 ), und der Rechtsstetigkeit und der Monotonie von w gefolgert werden, daß w(s) = 0, s > 0, bzw. w(s) = 1, s > 0. Wenn w(s) = P[T > s] = 0, s > 0, ergibt sich aus der Rechtsstetigkeit der Verteilungsfunktion FT von T , vgl. Abschnitt 3.3.1(iv), weiterhin (∗4 ) P[T = 0] = P[T ≤ 0] = FT (0) = lim FT (s) = lim (1 − P[T > s]) = 1. sց0 sց0 Andererseits, wenn w(s) = P[T > s] = 1, s > 0, wird aufgrund der σ-Subadditivität von P, vgl. (2.14), deutlich, daß " ∞ # [ (∗5 ) P[T = ∞] = 1 − P[T < ∞] = 1 − P {T ≤ n} n=1 ≥ 1− ∞ X n=1 P[T ≤ n] = 1 − ∞ X n=1 (1 − P[T > n]) = 1. In real interessierenden Anwendungen trifft (∗4 ), bzw. (∗5 ), nicht zu. Somit ist w(1) ∈ (0, 1), d.h. λ := − log w(1) ∈ (0, ∞). Nun folgt w(p/q) = w(1)p/q = exp(−λ)p/q = exp(−λp/q), p, q ∈ N, aus (∗1 ) und (∗2 ). Somit ist (8.6) für t ∈ Q ∩ (0, ∞) nachgewiesen. Die Gültigkeit dieser Beziehung für alle t > 0 ist dann eine Konsequenz der Rechtsstetigkeit von w. 8.33Man beachte, daß F in (0, ∞) stetig differenzierbar mit F ′ (t) = λ exp(−λt), t > 0, ist, T T und berücksichtige Abschnitt 3.3.1(vi). 25. Juli 2011 133 8.1.1. Rechenregeln für bedingte Wahrscheinlichkeiten. Beim konkreten Arbeiten mit bedingten Wahrscheinlichkeiten kann häufig auf die im folgenden Satz zusammengefaßten Rechenregeln zurückgegriffen werden 8.34. • S Satz 8.4. Sei (Ω, F, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und Ω = i∈I Bi eine höchstens abzählbare Zerlegung von Ω in disjunkte Ereignisse Bi ∈ F mit P[Bi ] > 0, i ∈ I. Dann gilt die Fallunterscheidungsformel, d.h. 8.35, X (8.7) P[A] = P[Bi ]P[A|Bi ], A ∈ F, i∈I und die Formel von Bayes (1763), d.h., (8.8) P[Bk ]P[A|Bk ] P[A] P[Bk ]P[A|Bk ] = P , i∈I P[Bi ]P[A|Bi ] P[Bk |A] = 8.36 k ∈ I, A ∈ F, P[A] > 0. Beweis. (8.7) folgt aus X X P[A ∩ Bi ] P[Bi ] P[A|Bi ] = | {z } i∈I i∈I P[A ∩ Bi ] = 8.37 P[Bi ] " • # [ 8.38 = P (A ∩ Bi ) = | i∈I {z } [ • =A∩ Bi 8.39 P[A]. i∈I Die erste Beziehung in (8.8) ist eine Konsequenz aus P[Bk |A] = 8.40 P[Bk ∩ A] P[Bk ∩ A] P[Bk ] = . · P[A] P[Bk ] P[A] | {z } = 8.40 P[A|Bk ] Die zweite Identität in (8.8) ergibt sich nun mit (8.7). Beispiel 8.5 (Verwendung eines medizinischen Diagnoseverfahrens). 8.41 Eine spezielle Krankheit trete bei 4% der Bevölkerung auf. Ein auf diese Krankheit zugeschnittenes Diagnoseverfahren ergebe bei 90% (20%) der Erkrankten (Gesunden) ein positives Ergebnis. Wichtige Fragen zu diesem Verfahren sind beispielsweise: 8.34 In Beispiel 8.5 werden diese Regeln benutzt werden, um aus gegebenen bedingten Wahrscheinlichkeiten andere zunächst unbekannte, nützliche Informationen liefernde bedingte Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. 8.35Man beachte, daß genau ein B eintreten muß, wenn das Ereignis A geschieht. Daher i ergibt sich P[A] durch Summation über alle i ∈ I der Wahrscheinlichkeiten P[Bi ] für das Eintreten von Bi jeweils multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit P[A|Bi ] für A unter der Bedingung, daß Bi schonPeingetreten ist. M.a.W., da jeder Weg nach A genau durch ein Bi führt, ist P[A] die ” Summe i∈I P[Bi ]P[A|Bi ] der Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen möglichen Wege“. 8.36Hier wird ein Zusammenhang zwischen P[B |A] und P[A|B ] dargelegt. k k 8.37Vgl. (8.4). 8.38Da die Ereignisse B , i ∈ I, und daher auch A ∩ B , i ∈ I, disjunkt sind und aufgrund i i der σ-Additivität von P. • S 8.39 Da i∈I Bi = Ω. 8.40Vgl. (8.4). 8.41Das hier vorgestellte Beispiel ist eine etwas ausführlichere Version von Beispiel (3.4) in [5]. 25. Juli 2011 134 • Was ist die Bedeutung eines positiven (negativen) Befundes für einen Patienten? 8.42 • Was kann das Diagnoseverfahren in der Praxis leisten? Zu einer wissenschaftlich fundierten Beantwortung dieser Fragen werden die vorliegenden Kenntnisse zunächst in ein mathematisches, d.h. wahrscheinlichkeitstheoretisches Modell übersetzt. Anschließend werden die Fragen im Rahmen dieses Modells beantwortet. Wenn bei der Modellbildung Einfachheit“ 8.43 angestrebt wird, bietet es sich ” an, ein Laplacesches Modell mit der Gesamtbevölkerung als Stichprobenraum Ω zu verwenden. In diesem Rahmen werden Personen ω ∈ Ω gemäß der Gleichverteilung auf Ω ausgewählt und getestet. In Ω können die Ereignisse 8.44 Tk = 8.45 Tg = 8.46 T+ = 8.47 {ω ∈ Ω : ω krank}, {ω ∈ Ω : ω gesund} und {ω ∈ Ω : ω mit positivem Befund} beschrieben werden. Aufgrund der vorliegenden Informationen sind hierzu zunächst die folgenden bedingten, bzw. unbedingten Wahrscheinlichkeiten bekannt: P[Tk ] = 0.04, P[T+ |Tk ] = 0.9, P[Tg ] = 0.96, P[T+ |Tg ] = 0.2. Als Konsequenzen können darüberhinaus folgende Schlüsse gezogen werden 8.48: (8.9) P[Tk |T+ ] 8.49 P[Tk |Ω \ T+ ] 8.51 P[Tk ]P[T+ |Tk ] P[Tk ]P[T+ |Tk ] + P[Tg ]P[T+ |Tg ] 0.04 · 0.9 = 0.04 · 0.9 + 0.96 · 0.2 ≈ 0.158, = 8.50 P[Tk ]P[Ω \ T+ |Tk ] P[Tk ]P[Ω \ T+ |Tk ] + P[Tg ]P[Ω \ T+ |Tg ] 0.04 · 0.1 = 0.04 · 0.1 + 0.96 · 0.8 ≈ 0.0052. = 8.42Ein Arzt will wissen, was er einem Patienten bei einem positiven, bzw. einem negativen Befund mitteilen soll. Einerseits sollte er diesen Patienten beim Vorliegen einer Erkrankung aufklären, aber andererseits sollte er ihn auch nicht unnötig verunsichern. 8.43Bei der mathematischen Modellierung realer Vorgänge sollte man immer zuerst versuchen, mit möglichst elementaren Modellen zu arbeiten. Dadurch bleiben alle mathematischen Überlegungen und Berechnungen übersichtlicher“ und einfacher zu überprüfen. Insbesondere ” wird es dann auch leichter, einem Anwender“ die Ergebnisse der Modellierung zu vermitteln. ” Erst wenn ein elementares Modell nicht mehr mit der Realität in Einklang gebracht werden kann, sollten komplexere Modelle in Betracht gezogen werden. 8.44Man beachte, daß wie üblich Ereignisse mit Teilmengen des Stichprobenraums identifiziert werden. 8.45T ist das Ereignis, daß eine zufällig ausgewählte Person krank ist. k 8.46 Tg ist das Ereignis, daß eine zufällig ausgewählte Person gesund ist. 8.47 T+ ist das Ereignis, daß eine zufällig ausgewählte Person einen positiven Befund hat. 8.48Die nun berechneten bedingten Wahrscheinlichkeiten ergeben sich durch Anwendung der Formel von Bayes, vgl. (8.8). 25. Juli 2011 135 Bei der Untersuchung beliebiger, zufällig ausgewählter Patienten bedeutet dies, daß • ein positiver Befund nur mit geringer Wahrscheinlichkeit 0.158 auf eine Erkrankung hindeutet 8.52, während • bei einem negativen Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit 0.9948 = 1 − 0.0052 eine Erkrankung ausgeschlossen werden kann. Folglich eignet sich das vorliegende Diagnoseverfahren, um • bei einem negativen Befund eine Erkrankung auszuschließen, während • bei einem positiven Befund eine weitere Beobachtung des Patienten zu empfehlen ist. 8.2. Markovketten Ein stochastischer Prozeß 8.53 X = (Xt )0≤t<∞ wird Markovprozeß genannt, wenn in jedem Zeitpunkt s ≥ 0 die zukünftige Entwicklung, d.h., Xu , u > s, bei gegebenem gegenwärtigen Zustand Xs nicht von der Vergangenheit Xu , u < s, abhängt. Die elementarsten Beispiele für solche Prozesse sind Markovketten, d.h. Markovprozesse in diskreter Zeit mit Werten in einem diskreten, d.h., höchstens abzählbaren Raum. Ein stochastischer Prozeß 8.54 X = (Xn )n∈N0 in diskreter Zeit 8.55 mit Werten in einem höchstens abzählbaren Zustandsraum 8.56 S heißt Markovkette, falls 8.57 (8.10) P Xn+k = s′ | X0 = s0 , . . . , Xn−1 = sn−1 , Xn = sn {z } | {z } | {z } | Gegenwart Zukunft Vergangenheit ′ = P Xn+k = s |Xn = sn , n ∈ N0 , k ∈ N, s0 , s1 , . . . , sn , s′ ∈ S. Zur Charakterisierung der zukünftigen Entwicklung einer Markovkette reicht also die Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes aus. Die Kenntnis der zeitlichen Entwicklung in der Vergangenheit bringt in diesem Fall keinen Informationsgewinn. Die Größen 8.58 (8.11) Pn (s1 , s2 ) = P Xn+1 = s2 |Xn = s1 , s1 , s2 ∈ S, n ∈ N0 , 8.49Dies ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Erkrankung, falls sich ein positiver Befund ergeben hat. 8.50Setze hierzu B = T , B = T und A = T in (8.8). g 1 2 + k 8.51 Dies ist die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung, falls ein negativer Befund vorliegt. 8.52Die Ursache für diese vielleicht überraschende Eigenschaft des Diagnoseverfahrens ist die Tatsache, daß ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung gesund ist und daß bei diesen Gesunden mit einer nicht vernachlässigbaren Wahrscheinlichkeit sich ein positiver Befund ergibt, vgl. (8.9). Ein positiver Befund hat somit bei diesem Diagnoseverfahrens nur eine geringe Aussagekraft. 8.53Vgl. Abschnitt 3.4. 8.54Die Zufallsvariablen X , n ∈ N , seien auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) n 0 definiert. 8.55Als Menge aller Zeitpunkte kommt oft auch N oder Z vor. 8.56 Als abzählbare Menge wird S natürlich mit der σ-Algebra Pot(S) versehen. 8.57Stillschweigend sei darüberhinweggesehen, daß aufgrund von (8.4) die linke Seite von (8.10) nur wohldefiniert ist, wenn P[X0 = s0 , . . . , Xn−1 = sn−1 , Xn = sn ] > 0. In diesem Fall ist auch die rechte Seite von (8.10) wohldefiniert und stimmt mit der linken Seite überein, wenn X eine Markovkette ist. 8.58P (s , s ) gibt die bedingte Wahrscheinlichkeit an, mit der sich der Prozeß X zum Zeitn 1 2 punkt n + 1 im Zustand s2 befindet, falls er im vorangegangenen Zeitpunkt n die Position s1 eingenommen hat. M.a.W., Pn (s1 , s2 ) ist die Wahrscheinlichkeit, mit der X zum Zeitpunkt n ” von s1 nach s2 springt“. 25. Juli 2011 136 heißen (1-Schritt-)Übergangswahrscheinlichkeiten. Sie werden zu den (1-Schritt-) Übergangsmatrizen Pn = (Pn (s, s′ ))s,s′ ∈S , n ∈ N0 , zusammengefaßt. Eine Markovkette besitzt stationäre Übergangswahrscheinlichkeiten, falls Pn = P unabhängig von n ist 8.59 8.60. Im folgenden werden nur Markovketten mit stationären Übergangswahrscheinlichkeiten betrachtet werden. Beispiel 8.6. Zum Parameter p ∈ (0, 1) seien Yn , n ∈ N, unabhängige, Bernoulliverteilte Zufallsvariablen in {−1, 1}, d.h. mit P[Yn = 1] = 1 − P[Yn = −1] = p, n ∈ N. Der Bernoulli-Prozeß 8.61 Y = (Yn )n∈N (mit Parameter p) ist eine Markovkette mit Werten in S = {−1, 1}. Es gilt P (a, 1) = p, P (a, −1) = 1 − p, a ∈ S 8.62. Pn Beispiel 8.7. Die Irrfahrt 8.63 X = (Xn )n∈N0 , wobei Xn = Xn−1 + Yn = k=1 Yk , n ∈ N0 , für die Zufallsvariablen Yn , n ∈ N, aus Beispiel 8.6, ist eine Markovkette mit Werten in S = Z. Es gilt 8.64 falls k ∈ S, l = k + 1, p, P (k, l) = 1 − p, falls k ∈ S, l = k − 1, 0, sonst. Beispiel 8.8 (Verallgemeinerte Irrfahrt). Sei ζn , n ∈ N, eine Folge von unabhängigen, identisch verteilten Zufallsvariablen mit Werten in Z, wobei P[ζ1 = k] = ak , k ∈ Z. Weiterhin sei X = (Xn )n∈N0 durch X0 = 0, Xk = Xk−1 + ζk = k X ζl , k = 1, 2, . . . , l=1 definiert. X ist offensichtlich eine Verallgemeinerung der in Beispiel 8.7 beschriebenen Irrfahrt 8.65. Insbesondere ist X eine Markovkette mit dem Zustandsraum Z 8.59In diesem Fall besitzt die Markovkette X eine zeitlich homogene Dynamik. 8.60 Man beachte, daß eine Markovkette mit stationären Übergangswahrscheinlichkeiten kein stationärer stochastischer Prozeß, vgl. Abschnitt 3.4.1, zu sein braucht. Für die in Beispiel 3.21 und dem folgenden Beispiel 8.7 beschriebene Irrfahrt in Z wird dies in Beispiel 3.23 demonstriert. 8.61Vgl. Beispiel 3.20. 8.62Offensichtlich sind, wenn die anschauliche Beschreibung von Markovprozessen am Anfang dieses Abschnitts 8.2 zugrundegelegt wird, auch die in Fußnote 3.233 erwähnten verallgemeinerten Bernoulli-Prozesse markovsch. In diesen Fällen braucht weder die Menge der Zeitpunkte noch der Zustandsraum diskret zu sein. 8.63Vgl. Beispiel 3.21. 8.64Die Irrfahrt springt in ihrem Zustandsraum Z in jedem Zeitpunkt jeweils mit Wahrscheinlichkeit p um 1 nach rechts, bzw. mit Wahrscheinlichkeit 1 − p um 1 nach links. Andere Sprünge sind nicht möglich. 8.65Wie bei der Irrfahrt ergibt sich in jedem Zeitpunkt n ∈ N der zukünftige Zustand X 0 n+1 aus dem gegenwärtigen Zustand Xn durch Addieren eines Zuwachses ζn+1 , wobei diese Zuwächse unabhängige, identisch verteilte Zufallsvariablen sind. 25. Juli 2011 137 und der Übergangsmatrix 8.66 .. .. .. . . . .. . a0 a1 P = . . . a−1 a0 . . . . . . . . . a−1 . . . . . . . . . . . . . . . ............. a2 a1 a0 a−1 .................... ....... a2 . . . . a1 . . . a0 . . . .. .. . . Die Verteilung PX einer Markovkette 8.67 X = (Xn )n∈N0 ist durch ihre Übergangsmatrix und ihre Anfangsverteilung PX0 eindeutig bestimmt. Es gilt (8.12) P X0 = s0 , X1 = s1 , . . . , Xn−1 = sn−1 , Xn = sn = PX0 [{s0 }]P (s0 , s1 ) · · · P (sn−1 , sn ), Diese Beziehung ergibt sich aus s0 , s1 , . . . , sn ∈ S, n ∈ N0 . 8.68 P X0 = s0 , X1 = s1 , . . . , Xn−1 = sn−1 , Xn = sn = P X0 = s0 , . . . , Xn−1 = sn−1 P Xn = sn |X0 = s0 , . . . , Xn−1 = sn−1 = P X0 = s0 , . . . , Xn−2 = sn−2 P Xn−1 = sn−1 |X0 = s0 , . . . , Xn−2 = sn−2 P Xn = sn |Xn−1 = sn−1 = ... = P[X0 = s0 ]P X1 = s1 |X0 = s0 · · · P (sn−1 , sn ) = PX0 [{s0 }]P (s0 , s1 ) · · · P (sn−1 , sn ), s0 , s1 , . . . , sn ∈ S, n ∈ N0 . Als Verallgemeinerung der (1-Schritt-)Übergangswahrscheinlichkeiten werden die n-Schritt-Übergangswahrscheinlichkeiten durch 8.69 (8.13) P n (s1 , s2 ) = P[Xn+m = s2 |Xm = s1 ], m, n ∈ N0 , s1 , s2 ∈ S, 8.66Da P (k, k + l) = P[X n+1 = k + l|Xn = k] = P[ζn+1 = l] = P[Xn+1 = k + 1 + l|Xn = k + 1] = P (k + 1, k + l + 1), n ∈ N0 , k, l ∈ Z, entsteht die (k + 1)-te Zeile in der Matrix P aus der k-ten Zeile durch eine Verschiebung um 1 nach rechts“. ” 8.67Mit der Verteilung PX einer Markovkette oder allgemeiner der Verteilung eines stochastischen Prozesses X = (Xn )n∈N0 ist die gemeinsame Verteilung der Zufallsvariablen {Xn : n ∈ N0 }, vgl. (3.7), gemeint. Für ein festes n ∈ N0 beschreiben die Größen auf der linken Seite von (8.12) die gemeinsame Verteilung von X0 , X1 , . . . , Xn . Diese gemeinsamen Verteilungen werden als endlichdimensionale Verteilungen von X bezeichnet. Sie bestimmen eindeutig die Verteilung PX des stochastischen Prozesses X. 8.68Hier wird insbesondere mehrmals die bedingte Wahrscheinlichkeiten charakterisierende Relation (8.4) und die Markoveigenschaft (8.10) benutzt. 8.69Da hier nur Markovketten mit stationären Übergangswahrscheinlichkeiten betrachtet werden, ist die rechte Seite von (8.13) von m unabhängig. 25. Juli 2011 138 definiert. Für n = 0 setzt man hierbei 8.70 P 0 (s1 , s2 ) = δs1 ,s2 , s1 , s2 ∈ S. Die n-Schritt-Übergangswahrscheinlichkeiten genügen der Chapman-Kolmogorov-Gleichung, d.h., 8.71 X (8.14) P k+l (s1 , s2 ) = P k (s1 , s)P l (s, s2 ), k, l ∈ N0 , s1 , s2 ∈ S. s∈S Bemerkungen 8.9. (i) Die Übergangsmatrix P = (P (s, s′ ))s,s′ ∈S einer S-wertigen Markovkette X = (Xn )n∈N0 ist eine stochastische Matrix, d.h., es gilt 8.72 ′ ′ (a) P P(s, s ) ≥ 0, ′s, s ∈ S, (b) s′ ∈S P (s, s ) = 1, s ∈ S 8.73 . n (ii) Für n ∈ N ist die Matrix P der n-Schritt-Übergangswahrscheinlichkeiten das n-fache Matrixprodukt der 1-Schritt-Übergangsmatrix P 8.74. (iii) Das zeitliche Verhalten einer S-wertigen Markovkette X = (Xn )n∈N0 wird durch die algebraischen Eigenschaften ihrer Übergangsmatrix P = (P (s, s′ ))s,s′ ∈S bestimmt. Sei beispielsweise µ = (µs )s∈S ein linker Eigenvektor von P mit Eigenwert 1, d.h. mit X (8.15) µs′ P (s′ , s) = µs , s ∈ S, s′ ∈S wobei außerdem 8.75 µs ≥ 0, s ∈ S, (8.16) X und µs = 1 s∈S gelte. Dann beschreibt µ eine invariante Verteilung von X, d.h., PX0 [{s}] = P[X0 = s] = µs , s ∈ S, impliziert 8.76 s ∈ S, n ∈ N0 . PXn [{s}] = P[Xn = s] = µs , (8.17) 8.70δ .,. bezeichnet das Kronecker-Symbol, d.h., ( 1, falls s = s′ , δs,s′ = 0, sonst. 8.71Der Übergang von s nach s in k + l Schritten führt durch einen Zwischenzustand s ∈ S 1 2 nach k Schritten. Wegen der Markoveigenschaft (8.10), bzw. wegen (8.12) hat für alle m ∈ N0 k Schritte l Schritte bedingt unter Xm = s1 der Weg s1 −−−−−−−→ s −−−−−−→ s2 für ein festes s die Wahrscheinlichkeit P[Xm+k = s, Xm+k+l = s2 |Xm = s1 ] = P[Xm+k = s|Xm = s1 ] · P[Xm+k+l = s2 |Xm+k = s] = P k (s1 , s)P l (s, s2 ). Die Übergänge durch verschiedene Zwischenzustände s entsprechen disjunkten Ereignissen, d.h., ihre jeweiligen Wahrscheinlichkeiten addieren sich zur Gesamtwahrscheinlichkeit P k+l (s1 , s2 ). 8.72Die Komponenten von P sind nichtnegativ und ihre Zeilen addieren sich zu 1. P 8.73Weil P ′ ′ s′ ∈S P (s, s ) = s′ ∈S P[Xn+1 = s |Xn = s] = P[Xn+1 ∈ S|Xn = s] = 1 für alle s ∈ S und n ∈ N0 . 8.74Dies folgt durch vollständige Induktion aus (8.14). Offensichtlich zeigt (8.14), daß die Matrix P k+l das Produkt der Matrizen P k und P l ist. 8.75µ entspricht damit einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf S. 8.76(8.17) folgt zunächst für n = 1 aus X PX1 [{s}] = P[X1 = s] = P[X0 ∈ S, X1 = s] = P[X0 = s′ , X1 = s] = X s′ ∈S ′ ′ PX0 [{s }]P (s , s) = X s′ ∈S s′ ∈S µs′ P (s′ , s) = µs , s ∈ S, wobei u.a. (8.12) Verwendung findet. Durch Iteration dieser Argumente ergibt sich (8.17) schließlich für alle weiteren n = 2, 3, . . . . 25. Juli 2011 139 8.3. Modellbildung mit Markovketten Anhand von drei Beispielen wird gezeigt, wie sich Markovketten bei der Bildung einfacher Modelle für zufällige, sich zeitlich entwickelnde Phänomene anwenden lassen. Beispiel 8.10 (Ehrenfestsches Modell für die Diffusion durch eine Membran). Es seien zwei durch eine durchlässige B2 B1 Membran getrennte Behälter, die zusammen 2N Teilchen (Moleküle) enthalten, gegeben. Diese Teilchen können zwischen den Boxen hin und her wechseln. Zur Modellierung der Dynamik der Teilchenzahlen in B1 und B2 kann als Zustandsraum 8.77 S = {−N, −N + 1, . . . , 0, 1, . . . , N − 1, N } gewählt werden. k ∈ S beschreibt die Situation, in der N + k Teilchen in B1 enthalten sind 8.78. Eine einfache Dynamik kann folgendermaßen definiert werden: Zu jedem Zeitpunkt wird aus der Menge aller Teilchen gemäß der Gleichverteilung ein Teilchen zufällig ausgewählt. Dieses Teilchen wird in den jeweils anderen Behälter gebracht 8.79. Durch diese Beschreibung wird eine Markovkette X = (Xn )n∈N0 für die Anzahl der Teilchen in B1 charakterisiert. Deren Übergangswahrscheinlichkeiten sind: N +i , falls i = −N + 1, . . . , N, j = i − 1 8.80, 2N P[Xn+1 = j|Xn = i] = N − i , falls i = −N, . . . , N − 1, j = i + 1 8.81, 2N 0, sonst. Fragen 8.82. Stellt sich für große Zeiten ein Gleichgewicht ein? Was ist überhaupt ein Gleichgewicht“? 8.83 Konvergiert die Verteilung PXn von Xn bei n → ” ∞ gegen eine Grenzverteilung? Ist diese Grenzverteilung invariant 8.84 unter der Dynamik? Gibt es weitere invariante Verteilungen? Gibt es einen Zeitpunkt, in dem sich alle Teilchen in dem Behälter B1 befinden 8.85 ? Beispiel 8.11 (Ein Warteschlangenmodell). Es sei angenommen, daß an einem Servicepunkt (Postschalter, Internetserver, Telefon-Hotline, . . . ) - pro Zeiteinheit ein Kunde bedient werden kann und daß weiterhin 8.77Da die Gesamtzahl 2N aller Teilchen fest ist, genügt es, die zeitliche Entwicklung der (Anzahl der Teilchen in B1 ) - N zu beschreiben. 8.78In diesem Fall ist die Anzahl der Teilchen in B gleich 2N − (N + k) = N − k. 2 8.79 Die räumliche Bewegung innerhalb der Behälter wird nicht modelliert. 8.80Ein Teilchen wird von B nach B gebracht. 1 2 8.81 Ein Teilchen wird von B2 nach B1 gebracht. 8.82 Für die Beispiele dieses Abschnitts 8.3 werden jeweils Fragen formuliert, die mit Hilfe der in weiterführenden Veranstaltungen zu entwickelnden allgemeinen Resultate zur Theorie der Markovketten beantwortet werden können. 8.83 Offensichtlich kann dies kein fester, deterministischer Zustand sein. Vielmehr muß Gleich” gewicht“ in einem stochastischen Sinn definiert werden, d.h., zufällige Fluktuationen sollten möglich sein. 8.84Vgl. Bemerkung 8.9(iii). 8.85Offensichtlich ist in einem solchen Zeitpunkt das System weit entfernt von einem stabi” len“ oder invarianten“ Zustand. ” 25. Juli 2011 140 - ständig neue Kunden ankommen, wobei ζn die Anzahl der neuen Kunden im Zeitintervall (n, n + 1] sei. ζn , n ∈ N0 , seien i.i.d. Zufallsvariablen 8.86. Sei nun Xn die Größe der Warteschlange zum Zeitpunkt n, n ∈ N0 . Offensichtlich gilt 8.87 8.88: (8.18) Xn+1 = (Xn − 1)+ + ζn , n ∈ N0 . Diese Beziehung verdeutlicht, daß X = (Xn )n∈N0 eine Markovkette mit dem Zustandsraum S = N0 ist. Falls P[ζ1 = l] = al , l ∈ N0 , ergibt sich aus (8.18) für die Übergangswahrscheinlichkeiten: ( al+1 8.89, falls k = 1, 2, . . . , l ∈ N0 ∪ {−1}, P[Xn+1 = k + l|Xn = k] = al , falls k = 0, l ∈ N0 . Fragen. Unter welchen Bedingungen wird die Warteschlange im Verlauf der Zeit immer länger? Mit anderen Worten, wann gilt limn→∞ Xn = ∞? Gilt diese Konvergenz f.s. oder nur mit positiver Wahrscheinlichkeit? In welchen Situationen stellt sich ein Gleichgewicht“ ein? Gibt es Zeitpunkte, in denen die Warteschlange ” leer ist? Beispiel 8.12 (Ein Verzweigungsprozeß). Zur Modellierung der zeitlichen Entwicklung einer Population sei angenommen, daß • die Menge der Zeitpunkte diskret ist, daß es • keine Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen gibt 8.90, daß • die Individuen voneinander unabhängig sind und daß • die Lebensdauer gleich 1 ist 8.91. Diese Annahmen werden mathematisch dadurch realisiert, daß angenommen wird, daß zu jedem Zeitpunkt n ∈ N0 jedes dann lebende Individuum unabhängig von den anderen eine zufällige Anzahl von Nachkommen hat und dann stirbt. Die Anzahl der Nachkommen eines Individuums habe die Verteilung b = (bk )k∈N0 . Sei nun Xn die Größe der Population zum Zeitpunkt n ∈ N0 , und sei 8.92 ζnl , n ∈ N0 , l ∈ N, eine Familie von i.i.d. Zufallsvariablen mit der Verteilung b, d.h., 8.86Insbesondere im Bereich der Informationstechnologie gibt es etliche Anwendungen für Warteschlangenmodelle. Das hier vorgestellte Modell beschreibt z.B. eine Warteschlange an einem Drucker, für den die Druckaufträge alle etwa gleich groß sind. Andere Modelle sind beispielsweise für solche FTP- oder HTTP-Server notwendig, die nur eine beschränkte Anzahl gleichzeitiger Zugriffe zulassen und darüberhinausgehende Anfragen abweisen. 8.87Beachte: Wenn kein Kunde wartet, d.h., wenn X = 0, wird auch keiner bedient. Aus n diesem Grund taucht der Beitrag (. . . )+ in (8.18) auf. 8.88 (8.18) kann in der Form Xn+1 − Xn = −I{1,2,... } (Xn ) + ζn , n ∈ N0 , geschrieben werden, d.h., (8.18) ist als eine stochastische Differenzengleichung eine zeitlich diskretisierte Version einer stochastischen Differentialgleichung. 8.89Wenn die Länge der Warteschlange k = 1, 2, . . . beträgt, wird in der nächsten Zeiteinheit ein Kunde bedient. Dieser scheidet anschließend aus der Warteschlange aus. Damit in dem betrachteten Zeitraum die Länge der Warteschlange um l anwächst, müssen daher l + 1 Neukunden hinzukommen. 8.90Insbesondere gibt es nur ein Geschlecht. 8.91Der auf diesen Modellannahmen basierende, hier vorgestellte einfache Verzweigungsprozeß läßt sich auf Bemühungen im 18. und 19. Jahrhundert zurückführen, das Anwachsen und Aussterben von Adelsfamilien zu beschreiben. In einem solchen Zusammenhang entspricht eine Zeiteinheit einer Generation. 8.92Für n ∈ N und l ∈ N soll ζ l die Größe der Nachkommenschaft des l-ten der zur Zeit 0 n n lebenden Individuen modellieren. Da die Größe Xn der Population zum Zeitpunkt n a priori l für alle l ∈ N eingeführt. jeden Wert in N0 annehmen kann, werden die Zufallsvariablen ζn 25. Juli 2011 141 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 0 20 60 40 80 100 Abbildung 8.1. 20 Simulationen eines Verzweigungsprozesses mit b0 = 0.25, b1 = 0.5, b2 = 0.2, b3 = 0.05 und X0 = 1. In 4 Fällen überlebt die Population bis zum Zeitpunkt 100 und scheint exponentiell zu wachsen. P[ζnl = m] = bm , n, m ∈ N0 , l ∈ N. Der stochastische Prozeß X = (Xn )n∈N0 , dessen Dynamik durch die Beziehung 8.93 (8.19) Xn+1 = Xn X ζnl , l=1 n ∈ N, repräsentiert werden kann, ist eine Markovkette mit Zustandsraum S = N0 und den Übergangswahrscheinlichkeiten (8.20) P[Xn+1 = k|Xn = j] = P[ζn1 + · · · + ζnj = k] X 8.94 bl1 · · · blj , j ∈ N, n, k ∈ N0 , l1 ,...,lj =0,1,...,k = l1 +···+lj =k 8.95 δ , j = 0, n, k ∈ N0 . k,0 Das durch (8.19) oder (8.20) zusammengefaßte Modell wird auch Galton-Watson-Prozeß genannt. 8.93(8.19) verdeutlicht, daß die Größe X n+1 der Bevölkerung zum Zeitpunkt n+1 die Summe l , l = 1, . . . , X , der zum Zeitpunkt n lebenden Individuen der Größen der Nachkommenschaften ζn n ist. Insbesondere treten die zum Zeitpunkt n lebenden Individuen zum Zeitpunkt n+1 selbst nicht mehr in Erscheinung. 8.94Die Wahrscheinlichkeit, daß das 1. Individuum l Nachkommen, das 2. Individuum l 1 2 Nachkommen, . . . und das j-te Individuum lj Nachkommen hat, ist aufgrund der Unabhängigkeit der Individuen gleich bl1 bl2 · · · blj . Die hier betrachteten Ereignisse sind für unterschiedliche Sequenzen l1 , l2 , . . . , lj disjunkt, so daß sich ihre jeweiligen Einzelwahrscheinlichkeiten addieren. 8.95 Wenn Xn = 0, so ist die Population zum Zeitpunkt n ausgestorben, d.h., es gilt insbesondere auch 0 = Xn+1 = Xn+2 = . . . . 25. Juli 2011 142 Fragen. Unter welchen Bedingungen stirbt die Population f.s. aus, bzw., wann stirbt sie mit positiver Wahrscheinlichkeit nicht aus? 8.96 Wie sieht unter der Bedingung, daß die Population nicht ausstirbt, das asymptotische Verhalten von Xn bei n → ∞ aus 8.97 ? 8.96 Falls b0 > 0, hat eine vorgegebene Anzahl N von Individuen mit Wahrscheinlichkeit bN 0 > 0 keine Nachkommen. In diesem Fall stirbt die Population somit mit positiver Wahrscheinlichkeit aus. 8.97Abbildung 8.1 läßt im Fall des Nichtaussterbens der Population exponentielles“ Wachs” tum vermuten. 25. Juli 2011 KAPITEL 9 Zentraler Grenzwertsatz Ein Ziel dieses Kapitels ist die Präzisierung der im Gesetz der großen Zahlen formulierten Konvergenz. Insbesondere wird für i.i.d., reellwertige, quadratintegra√ ble Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, gezeigt, daß der mit N multiplizierte Abstand P 9.1 zwischen dem empirischen Mittelwert (1/N ) N E[X1 ] k=1 Xk und dem Grenzwert 9.2 asymptotisch bei N → ∞ normalverteilt ist . 9.1. (∗) Konvergenzgeschwindigkeit beim Gesetz der großen Zahlen 9.3 Sei Xn , n ∈ N, eine Folge unabhängiger, {0, 1}-wertiger Zufallsvariablen mit Bernoulli-Verteilung zum Parameter 1/2. Damit gilt insbesondere 9.4 1 1 (9.1) E[Xn ] = , Var(Xn ) = , n ∈ N. 2 4 In diesem Fall ist nach dem schwachen Gesetz der großen Zahlen 9.5 " # N 1 X 1 lim P Xn − ≥ ǫ = 0, ǫ > 0. n→∞ N 2 n=1 Eine erste Antwort zur Frage nach der Geschwindigkeit der Konvergenz von (1/N ) PN n=1 Xn gegen 1/2 gibt das folgende Resultat. Satz 9.1. 9.6 Sei αN , N ∈ N, eine Folge reeller Zahlen mit αN > 0, N ∈ N, und limN →∞ αN = 0. Dann gilt: # ( " √ N 1 X 1, falls 9.7 αN N → ∞, 1 N →∞ √ → (9.2) P Xn − ≤ αN N 2 0, falls αN N → 0 9.8. n=1 Bemerkung 9.2. Als Konsequenz aus (9.2) scheint es zur genaueren Untersuchung PN der Fluktuationen von (1/N ) n=1 Xn um den Grenzwert 1/2 bei N → ∞ sinnvoll √ PN zu sein, die Asymptotik von N (1/N ) n=1 Xn − (1/2) zu betrachten 9.9. 9.1E[X ] wird im Gesetz der großen Zahlen als Grenzwert von (1/N ) PN X bei N → ∞ 1 k=1 k identifiziert, vgl. Satz 7.1. 9.2Vgl. Satz 9.3. Somit wird nachgewiesen, daß für i.i.d., reellwertige, quadratintegrable ZuP fallsvariablen Xn , n ∈ N, die Differenz zwischen dem empirischen Mittelwert (1/N ) N k=1 Xk und √ E[X1 ] bei N → ∞ wie 1/ N klein wird. √ 9.3In diesem Abschnitt soll u.a. die Wahl von N zur Skalierung von (1/N ) PN X −E[X ] 1 k=1 k beim Zentralen Grenzwertsatz motiviert werden. 9.4Vgl. Fußnoten 1.49(c) und 1.51(c). 9.5Vgl. Satz 7.1. 9.6Vgl. [5], Bemerkung (5.18). √ 9.7Hier wird angenommen, daß α bei N → ∞ langsamer als 1/ N gegen 0 strebt. N PN 9.8 Wegen (9.2) kann P (1/N ) n=1 Xn − (1/2) ≤ αN nur dann einen nichttrivialen Limes √ √ in (0, 1) bei N → ∞ haben, wenn αN N = O(1), d.h., wenn αN = O(1/ N ). 9.9Aufgrund von (9.2) kann erwartet werden, daß ! # " ! " # N N √ 1 X 1 X 1 1 u N Xn − ≤u =P Xn − ≤ √ P N n=1 2 N n=1 2 N 143 144 Beweis. Nach (9.1) und dem schwachen Gesetz der großen Zahlen # " N 1 X 1 1 Xn − > αN ≤ P 2 N, N 2 4α N n=1 d.h., " N 1 X P Xn − N n=1 # 1 1 ≤ αN ≥ 1 − 2 2 4αN N N →∞ → 1, 9.10 gilt: √ falls αN N → ∞. Damit ist der erste Teil von (9.2) bewiesen 9.11. P Weil die Zufallsvariable N n=1 Xn binomialverteilt mit den Parametern N und 1/2 9.12 ist, folgt: # " N " # N X 1 X 1 N P Xn − ≤ αN = P Xn − ≤ αN N N 2 2 n=1 n=1 X N 1 N = 9.13 2 k {k:|k−(N/2)|≤N αN } N 1 N ≤ 9.14 (2N αN + 1) ⌊N/2⌋ 2 r r r √ 2 2 2 N →∞ 9.15 =2 αN N + ∼ (2N αN + 1) πN π πN √ N →∞ → 0, falls αN N → 0. Damit ist auch der zweite Teil von (9.2) verifiziert. bei N → ∞ für alle u ∈ (−∞, ∞) einen Grenzwert in (0, 1) besitzt. 9.10 Vgl. insbesondere (7.3). 9.11Offensichtlich gilt, falls 1/2 durch E[X ] ersetzt wird, dieser Teil von (9.2) für beliebige 1 i.i.d., reellwertige, quadratintegrable Zufallsvariablen Xn , n ∈ N. Sie brauchen keine BernoulliVerteilung zu besitzen. 9.12Vgl. Abschnitt 1.1.2, insbesondere (1.5). 9.13Diese Summe enthält höchstens 2N α + 1 Summanden. N 9.14 Weil N N , k = 0, 1, . . . , N. ≤ (∗) ⌊N/2⌋ k Die Abschätzung (∗) ist eine Konsequenz aus der Symmetrie der Binomialkoeffizienten um N/2, d.h., N N , α ∈ R mit (N/2) ± α ∈ N0 , = (N/2) − α (N/2) + α und der Tatsache, daß {0, 1, . . . , ⌊n/2⌋} ∋ k → n für alle n ∈ N monoton steigend ist. Diese k Behauptung folgt aus n jnk (k + 1)!(n − k − 1)! k+1 n! k − 1. · = ≤ 1, k = 0, 1, . . . , n = k!(n − k)! n! n − k 2 k+1 9.15 Wegen der Stirling Formel lim n→∞ Insbesondere beachte man, daß N N gerade N! = ((N/2)!)2 ⌊N/2⌋ n n 1√ = 1. 2πn n! e N→∞ ∼ √ √ 2πN (N/e)N 2 N 2 , = √ p πN ( 2πN/2(N/(2e))N/2 )2 und daß für ungerade N analoge Überlegungen durchgeführt werden können. 25. Juli 2011 145 9.2. Eigenschaften charakteristischer Funktionen In diesem Abschnitt werden einige Eigenschaften von charakteristischen Funktionen 9.16 vorgestellt, die im folgenden Abschnitt 9.3 beim Beweis des Zentralen Grenzwertsatzes für i.i.d., reellwertige, quadratintegrable Zufallsvariablen mit positiver Varianz benötigt werden. (i) Seien X und Y unabhängige, reellwertige Zufallsvariablen auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Dann gilt 9.17 (9.3) ψX+Y (z) = ψX (z)ψY (z), z ∈ R. Beweis. (9.3) folgt aus ψX+Y (z) = E[exp(iz(X + Y ))] = E[exp(izX) exp(izY )] = 9.18 E[exp(izX)]E[exp(izY )] = ψX (z)ψY (z), z ∈ R. (ii) Sei X eine reellwertige Zufallsvariable mit E[|X|2 ] < ∞. Dann ist ψX ∈ und es gilt insbesondere Cb2 (R) ψX (z) = 1 + izE[X] − (9.4) z2 E[X 2 ] + o(|z|2 ), 2 bei |z| → 0. Begründung. Nach einem formalen Vertauschen von Differentiation und Erwartungswert folgt 9.19 ′ ′′ ψX (z) = iE[X exp(izX)], ψX (z) = −E[X 2 exp(izX)], z ∈ R, d.h., ′ ′′ ψX (0) = 1, ψX (0) = iE[X], ψX (0) = −E[X 2 ]. (9.4) ist damit die Taylorentwicklung der Ordnung 2 von ψX in 0. (iii) Sei X eine reellwertige Zufallsvariable. Weiterhin sei Y = aX + b für a, b ∈ R. Dann ist (9.5) ψY (z) = exp(izb)ψX (az), z ∈ R. Beweis. ψY (z) = E[exp(iz(aX + b))] = E[exp(izb) exp(izaX)] = exp(izb)E[exp(izaX)] = exp(izb)ψX (az), z ∈ R. 9.16 Charakteristische Funktionen wurden in (6.44) eingeführt. Insbesondere zeigt Satz 6.21, daß die Konvergenz in Verteilung reellwertiger Zufallsvariablen mit Hilfe der Konvergenz ihrer charakteristischen Funktionen nachgewiesen werden kann. 9.17(9.3) besagt, daß die charakteristische Funktion einer Summe unabhängiger Zufallsvariablen faktorisiert. 9.18Wegen der Unabhängigkeit von X und Y , vgl. (6.9) und Bemerkung 6.4(i). Man beachte, daß für jedes feste z ∈ R mit X und Y auch die Zufallsvariablen exp(izX) und exp(izY ) unabhängig sind. 9.19Bei einem rigorosen Beweis kann der Satz von der dominierten Konvergenz, vgl. [3], Appendix A.5, Theorem (5.6), herangezogen werden. Insbesondere können die Resultate in [3], Appendix A.9, zum Vertauschen von Differentiation und Integration angewandt werden. 25. Juli 2011 146 (iv) Eine reellwertige Zufallsvariable X sei gemäß der standard Normalverteilung N(0, 1) verteilt. Dann gilt 9.20 ψX (z) = exp(−z 2 /2), (9.6) Begründung. z ∈ R. 9.21 1 √ 2π Z ∞ dx exp(izx) exp(−x2 /2) | {z } 2 = exp(izx − x /2) = exp((−(x − iz)2 − z 2 )/2) Z ∞ 1 dx exp(−(x − iz)2 /2) . = exp(−z 2 /2) √ 2π −∞ | {z } Z ∞−iz 1 = 9.23 √ dy exp(−y 2 /2) 2π −∞−iz | {z } Z ∞ 1 dy exp(−y 2 /2) = 1 = 9.24 √ 2π −∞ ψX (z) = 9.22 −∞ (v) Durch die charakteristische Funktion ψX ist die Verteilung PX einer reellwertigen Zufallsvariable X eindeutig bestimmt. Begründung. Schreibt man (9.7) ψX (z) = E[exp(izX)] Z = 9.25 PX (dx) exp(izx), R z ∈ R, so wird deutlich, daß die charakteristische Funktion ψX einer Zufallsvariable X der Fouriertransformierten ihrer Verteilung PX entspricht. Die Behauptung (v) folgt daher aus der Tatsache, daß ein endliches Maß auf (R, B(R)) durch seine Fouriertransformierte eindeutig charakterisiert ist. Details zu den obigen Überlegungen und weitere Eigenschaften charakteristischer Funktionen finden sich beispielsweise in [6], Abschnitte 5.7 - 5.9. 9.20Wegen (9.6) haben für die standard Normalverteilung die Dichte und die charakteristische Funktion die gleiche Struktur. Aufgrund von (9.5) gilt dies auch für andere Normalverteilungen. Mit der hyperbolischen Cosinusverteilung wird in [4], Chapter XV, Section 2, ein weiteres Wahrscheinlichkeitsmaß mit dieser Eigenschaft angegeben. Es besitzt die Dichte R ∋ x → (π cosh(x))−1 und die charakteristische Funktion R ∋ z → (cosh(πz/2))−1 mit cosh(x) = (exp(x) + exp(−x))/2, x ∈ R. 9.21Ein mathematisch vollständiger Beweis von (9.6) ergibt sich z.B. aus [3], Section 2.3, Example 3.3, und Appendix A.9, Example 9.1. 9.22Diese Darstellung von ψ ergibt sich aus Beispiel 6.6. Vgl. dazu auch Fußnote 6.184. X 9.23 Mit der Variablentransformation y = x − iz. Nach dieser Transformation ist der Integrationsbereich die Gerade {ζ = η − iz : η ∈ R} in C. R ∞−iz 9.24 dy exp(−y 2 /2) von z ∈ R kann mit dem Die Unabhängigkeit des Integrals −∞−iz Cauchyschen Integralsatz, vgl. z.B. [1], Chapter 4, Section 1.4, bewiesen werden. 9.25Auf der rechten Seite von (9.7) ist der Erwartungswert E[W ] der Zufallsvariable W = exp(izX) als ein Integral bzgl. des Wahrscheinlichkeitsmaßes PX dargestellt. Diese Darstellung ergibt sich aus einer Verallgemeinerung von Beispiel 6.6. Falls PX eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes besitzt, so ist (9.7) äquivalent zu der in Fußnote 6.184 angegebenen Darstellung von ψX . 25. Juli 2011 147 9.3. Zentraler Grenzwertsatz für i.i.d. Zufallsvariablen Das am Anfang dieses Kapitels 9 angekündigte Resultat wird nun präzisiert. Satz 9.3. Seien Xn , n ∈ N, unabhängige, identisch verteilte, reellwertige Zufallsvariablen mit E[X1 ] = µ und Var(X1 ) = σ 2 ∈ (0, ∞). Sei weiter ZN = PN (1/N ) k=1 Xk , N ∈ N. Dann gilt r N (ZN − µ) = X in Verteilung, wobei PX = N(0, 1). (9.8) lim N →∞ σ2 Beweis. Im folgenden werden insbesondere verschiedene Eigenschaften von charakteristischen Funktionen 9.26 verwendet. Sei Yn = (Xn − µ)/σ, n ∈ N. Die Zufallsvariablen Yn , n ∈ N, sind i.i.d. und quadratintegrabel mit E[Y1 ] = 0 und Var(Y1 ) = 1. Weiterhin gilt 9.27 ! r r N N N 1 X N 1 X √ Yk = (9.9) (ZN − µ), N ∈ N, (Xk − µ) = 2 2 σ N σ N k=1 k=1 und (9.10) ψ(1/√N ) PN k=1 Yk (z) = 9.28 = 9.29 ψPN k=1 N Y Yk (z/ √ N) √ ψYk (z/ N ) k=1 |z|2 N z2 = 9.30 1 − +o 2N N N 2 z N →∞ 9.31 1− ∼ 2N N →∞ 9.32 → exp(−z 2 /2), z ∈ R. p Mit (9.9) und (9.10) ist gezeigt, daß die charakteristische Funktion von N/σ 2 (ZN −µ) bei N → ∞ gegen die charakteristische Funktion einer gemäß N(0, 1) verteilten Zufallsvariablen X konvergiert 9.33, d.h., Satz 9.3 ist nun bewiesen 9.34. 9.26Die hier benutzten Eigenschaften von charakteristischen Funktionen werden in Satz 6.21 und in Abschnitt 9.2 erläutert. √ 9.27Zum Beweis von (9.8) muß somit die Asymptotik von (1/ N ) PN Y bei N → ∞ k=1 k untersucht werden. √ 9.28Hier wird (9.5) mit X = PN Y , a = 1/ N und b = 0 angewandt. k=1 k 9.29 Da ebenso wie Xn , n ∈ N, auch die Zufallsvariablen Yn , n ∈ N, unabhängig sind, vgl. (9.3). 9.30 Aufgrund von (9.4). Hier ist zu beachten, daß E[Yn ] = 0, n ∈ N, und E[Yn2 ] = Var(Yn ) = 1, n ∈ N. 9.31 Man beachte, daß für festes z ∈ R und ǫ ∈ (0, 1) für hinreichend großes N ∈ N die Abschätzungen |z|2 z 2 (1 − ǫ) z2 z 2 (1 + ǫ) ≤1− ≤1− +o 1− 2N 2N N 2N gelten. Wenn außerdem mit x N (∗) lim 1 + = exp(x), x ∈ R, N→∞ N eine der möglichen Definitionen der Exponentialfunktion berücksichtigt wird, wird deutlich, daß für jedes feste z der Term o(|z|2 /N ) bei N → ∞ vernachlässigt werden kann. 9.32 Vgl. (∗) in Fußnote 9.31. 9.33Vgl. (9.6) und Abschnitt 9.2(v). 9.34Vgl. Satz 6.21. 25. Juli 2011 148 Bemerkungen 9.4. (i) Für eine Folge Xn , n ∈ N, paarweise unabhängiger 9.35, identisch verteilter, reellwertiger Zufallsvariablen braucht der Zentrale Grenzwertsatz, d.h. die Beziehung (9.8), nicht zu gelten 9.36. Andererseits gibt es unzählige Verallgemeinerungen von Satz 9.3. In jenen Resultaten werden gewisse Zufallsvariablen ζN , N ∈ N, die darstellbar sind als Summen vieler kleiner Beiträge, die hinreichend wenig voneinander abhängig sind, betrachtet. Unter geeigneten Bedingungen konvergieren diese Zufallsvariablen bei N → ∞ in Verteilung gegen eine normalverteilte Zufallsvariable ζ 9.37. (ii) Der Zentrale Grenzwertsatz ist ein herausragendes Resultat in der Mathematik. • Ausgehend von recht allgemeinen Annahmen 9.38 wird mit der in (9.8) festgehaltenen Konvergenz gegen eine standard normalverteilte Zufallvariable eine bemerkenswerte Konsequenz nachgewiesen 9.39. • Nachdem eine geeignete Methode feststeht 9.40, kann in überraschend wenigen, einfachen Schritten der Beweis abgeschlossen werden 9.41. • Der Zentrale Grenzwertsatz besitzt vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in zahlreichen Bereichen der menschlichen Erfahrung 9.42. (iii) Die Konvergenz in Verteilung kann auf unterschiedliche Weise formuliert werden 9.43. Insbesondere besagt (9.8), daß 9.44 9.45 # "r Z a 1 N √ (Z − µ) ≤ a = dx exp(−x2 /2), a ∈ R, (9.11) lim P N N →∞ σ2 2π −∞ 9.35Eine Folge Y , n ∈ N, von Zufallsvariablen heißt paarweise unabhängig, wenn Y und n k Yl für alle k, l ∈ N mit k 6= l (stochastisch) unabhängig sind. Der Begriff der paarweisen Unabhängigkeit von Ereignissen wurde in Beispiel 3.9 eingeführt. 9.36 Ein Gegenbeispiel wird in [3], Section 2.4, Example 4.5, angegeben. Es sei daran erinnert, daß für paarweise unkorrelierte, d.h., insbesondere für paarweise unabhängige, identisch verteilte, quadratintegrable Zufallsvariablen das starke Gesetz der großen Zahlen gilt, vgl. Bemerkung 7.2. 9.37Vgl. z.B. [3], Section 2.4, Theorem (4.5). In komplexeren Verallgemeinerungen des hier vorgestellten Zentralen Grenzwertsatzes nehmen die Zufallsvariablen ζN , N ∈ N, und ζ Werte in hochdimensionalen Räumen wie z.B. in Funktionenräumen an, vgl. z.B. [3], Section 7.6, Theorem (6.6) oder [3], Section 7.7, Theorem (7.8). 9.38Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine beliebige Folge X , n ∈ N, von i.i.d., n quadratintegrablen Zufallsvariablen mit positiver Varianz. 9.39 In der im Limes N → ∞ in Erscheinung tretenden Normalverteilung spielen Details der Verteilung der Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, keine Rolle mehr. 9.40Damit ist die Verwendung von charakteristischen Funktionen gemeint. 9.41Natürlich gibt es auch viele andere Beweise des Zentralen Grenzwertsatzes, vgl. z.B. [10], Abschnitt 12.3, oder den Beweis von Satz (5.28) in [5]. 9.42Wenn eine zufällige reellwertige Größe G die Summe vieler kleiner, wenig voneinander abhängiger Beiträge ist, können ihre Schwankungen um ihren mittleren Wert durch eine normalverteilte Zufallsvariable modelliert werden. Beispielsweise ist es gerechtfertigt, – die Schwankungen vieler quantitativer Merkmale der Mitglieder der Bevölkerung eines Landes (Körpergröße, -gewicht, . . . von Männern, bzw. Frauen einer bestimmten Altersklasse), – die Fluktuationen der Meßwerte von Temperatur, Luftdruck, . . . an einer Wetterstation (in einem nicht zu großen Zeitraum des Kalenderjahres) oder auch – die Schwankungen des Kurses einer Aktie (in einem Zeitraum ohne Börsencrash, bzw. ohne gravierende wirtschaftliche Probleme des Unternehmens) durch normalverteilte Zufallsvariablen zu modellieren. 9.43 Vgl. Satz 6.21. 9.44 Bei von Satz 6.21 beachte man, daß die Verteilungsfunktion R ∋ y → R y der Anwendung dx exp(−x2 /2) der standard Normalverteilung in ganz R stetig ist. (2π)−1/2 −∞ 9.45 Die Formulierung (9.11), bzw. (9.12) des Zentralen Grenzwertsatzes wurde auch schon in Beispiel 1.8 gewählt. 25. Juli 2011 149 bzw. 9.46 "r (9.12) P # Z b 1 N N →∞ √ dx exp(−x2 /2), (Z −µ) ∈ (a, b) ∼ N σ2 2π a −∞ < a < b < ∞. 9.4. (∗) Lokale Normalapproximation 9.47 In vielen Fällen gilt eine lokale Variante des Zentralen Grenzwertsatzes. Insbesondere bleibt√dann (9.12) auch gültig, wenn die Länge des Intervalls (a, b) bei N → ∞ wie 1/ N klein wird. Satz 9.5. 9.48 Seien Xn , n ∈ N, unabhängige, identisch verteilte, reellwertige Zufallsvariablen mit E[X1 ] = µ, Var(X1 ) = σ 2 ∈ (0, ∞) und 9.49 9.50 |ψX1 (λ)| < 1, (9.13) falls λ 6= 0. PN Sei weiter ZN = (1/N ) k=1 Xk , N ∈ N. Dann gilt "r # √ α β N (ZN − µ) ∈ x + √ , x + √ lim N P (9.14) N →∞ σ2 N N β−α exp(−x2 /2), = √ 2π x ∈ R, −∞ < α < β < ∞. Insbesondere kann (9.14) in der an (9.12) erinnernden Form "r # α β N P (ZN − µ) ∈ x + √ , x + √ (9.15) σ2 N N N →∞ ∼ präsentiert werden β−α 1 √ √ exp(−x2 /2), 2π N 9.51 9.52 x ∈ R, −∞ < α < β < ∞, 9.53 . 9.46Wie in Abschnitt 9.4 erläutert wird, gilt (9.12) auch für Intervalle (a, b) = (a , b ), deren N N √ Längen bei N → ∞ wie 1/ N immer kleiner werden. 9.47Das in diesem Abschnitt vorgestellte Resultat wird auch als Lokaler Zentraler Grenzwertsatz bezeichnet. 9.48Vgl. [3], Section 2.5, Theorem (5.4). 9.49ψ mit ψ (λ) = E[exp(iλY )], λ ∈ R, ist die charakteristische Funktion einer reellwerY Y tigen Zufallsvariable Y , vgl. (6.44) und insbesondere Abschnitt 9.2. Es sei daran erinnert, daß in Abschnitt 9.3 charakteristische Funktionen das wesentliche Hilfsmittel beim Beweis des Zentralen Grenzwertsatzes waren. 9.50 Nach Theorem (5.1) in [3], Section 2.5, besagt die Bedingung (9.13), daß die Zufallsvariable X1 nicht f.s. konstant ist und auch nicht auf einem Gitter in R konzentriert ist, d.h., es gibt kein b ∈ R und kein h > 0, so daß P[X1 ∈ {b + hk : k ∈ Z}] = 1. 9.51(9.14) zeigt, daß der Quotient der beiden Seiten von (9.15) bei N → ∞ gegen 1 konvergiert. √ √ 9.52 Wenn in (9.12) das Intervall (a, b) durch (x + (α/ N ), x + (β/ N )) ersetzt und die 2 Stetigkeit von R ∋ x → exp(−x /2) mit der Konsequenz Z x+(β/√N) 1 N→∞ β − α 1 √ √ √ exp(−x2 /2) dy exp(−y 2 /2) ∼ √ 2π x+(α/ N ) 2π N berücksichtigt wird, ergibt sich (9.15) auf eine formale Weise. 9.53Wenn (9.13) nicht gilt und wenn X nicht f.s. konstant ist, gibt es ein Gitter G 1 b,h = {b + hk : k ∈ Z} ⊂ R mit b ∈ R und h > 0, so daß P[X1 ∈ Gb,h ] = 1, vgl. [3], Section 2.5, Theorem (5.1). Auch in diesem Fall gilt ein (9.14) entsprechendes Resultat, vgl. [3], Section 2.5, Theorem (5.2). Der Fall von i.i.d. Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, die eine Bernoulli-Verteilung besitzen, wird auch in [5], Satz (5.19), betrachtet. 25. Juli 2011 150 9.5. Bestimmung von Konfidenzintervallen In diesem Abschnitt werden Anwendungen des Zentralen Grenzwertsatzes in der Statistik vorgestellt. Insbesondere werden in zwei Beispielen Situationen betrachtet, wo eine zufällige Größe N mal unabhängig gemessen und ein Parameter durch den empirischen Mittelwert dieser N Messungen geschätzt wird. Aufgrund √ des Zentralen Grenzwertsatzes sind die mit N reskalierten Fluktuationen jenes empirischen Mittelwerts für N → ∞ normalverteilt. Als Konsequenz können in diesem Grenzfall Konfidenzintervalle mit Hilfe der standard Normalverteilung bestimmt werden 9.54 9.55. Beispiel 9.6 (Konfidenzintervalle für den Erwartungswert von i.i.d. Zufallsvariablen). Eine zufällige reelle Größe werde wiederholt unabhängig gemessen. Die Meßwerte seien durch durch i.i.d. Zufallsvariablen X1 , X2 , . . . mit E[X1 ] = µ ∈ R und Var(X1 ) = σ 2 ∈ (0, ∞) modelliert. σ 2 sei bekannt 9.56, während µ durch Angabe eines Konfidenzintervalls zu schätzen sei. PN Nach N Messungen ist µ eN = (1/N ) k=1 Xk ein erwartungstreuer Schätzer für µ 9.57. Nun soll zu α ∈ (0, 1) für große N ein Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α für µ 9.58 bestimmt werden. Aus dem Zentralen Grenzwertsatz 9.59 folgt: # "r N (9.16) (e µN − µ) ∈ (a, b) P σ2 Z b 1 N →∞ dx exp(−x2 /2), −∞ < a < b < ∞. ∼ √ 2π a Wählt man zu α ∈ (0, 1) nun U (α) mit 9.60 Z U(α) 1 √ dx exp(−x2 /2) = 1 − α, (9.17) 2π −U(α) 9.54Konfidenzbereiche wurden in Beispiel 1.10 erstmals vorgestellt und dann in Abschnitt 4.3 detaillierter betrachtet. 9.55Die Überlegungen in den folgenden Beispielen 9.6 und 9.7 ähneln jenen in Beispiel 4.8. Nun wird allerdings der Zentrale Grenzwertsatz und nicht die Čebyšev’sche Ungleichung als Basis benutzt. Als Konsequenz ergeben sich kleinere“ Konfidenzintervalle, d.h., die statistischen ” Aussagen werden präziser. 9.56Dies ist eine in vielen Fällen unrealistische Annahme, die jedoch die Überlegungen in diesem Beispiel wesentlich vereinfacht. In Fußnote 9.65 finden sich Hinweise zur Verallgemeinerung dieses Beispiels auf den Fall eines unbekannten Parameters σ2 . 9.57Vgl. Beispiel 6.16. 9.58Zur Erläuterung vgl. (4.9). Ein statistisches Modell, mit dem in diesem Beispiel 9.6 gearbeitet werden könnte, wird in Fußnote 6.143 beschrieben. Zur Vereinfachung der Argumentation wird allerdings wie schon in Beispiel 6.16 auch im folgenden ein derartiges statistisches Modell stillschweigend umgangen. 9.59Vgl. insbesondere (9.12). 9.60U (α) kann statistischen Tabellen entnommen, bzw. mit Hilfe von Statistik-Software ermittelt werden. Ra dx exp(−x2 /2), a ∈ R, der standard Oft ist die Verteilungsfunktion φ(a) = (2π)−1/2 −∞ Normalverteilung tabelliert, vgl. z.B. [10], Tabelle II. Da Z U 1 dx exp(−x2 /2) = φ(U ) − φ(−U ) = 2φ(U ) − 1, U > 0, √ | {z } 2π −U = 1 − φ(U ) (Symmetrie von x → exp(−x2 /2)) ist U (α) so zu bestimmen, daß α , 2 gilt. Aus [10], Tabelle II, kann nun beispielsweise U (0.05) ≈ 1.96 geschlossen werden. 1 − α = 2φ(U (α)) − 1, d.h., 25. Juli 2011 φ(U (α)) = 1 − 151 und definiert dann (9.18) r r σ2 σ2 , ,µ eN + U (α) CN (e µN ) = µ eN − U (α) N N N ∈ N, so ergibt sich µN ) 6∋ µ] (9.19) P[CN (e r r σ2 σ2 = P µ≤µ eN −U (α) oder µ ≥ µ eN +U (α) N N r r 2 2 σ σ , U (α) =P µ eN − µ 6∈ −U (α) N N r N =P (e µN − µ) 6∈ (−U (α), U (α)) σ2 Z U(α) 1 N →∞ 9.62 dx exp(−x2 /2) ∼ 1− √ 2π −U(α) 9.61 = 9.63 α. Für große N ist somit CN (e µN ) ein Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α für µ. Da in jeder Relation in (9.19) zumindest für N → ∞ Gleichheit gilt, ist CN (e µN ) sogar ein optimales Konfidenzintervall 9.64 9.65. Beispiel 9.7 (Konfidenzintervalle für die Monte-Carlo-Integration). In diesem Beispiel wird die Approximationsgenauigkeit des in Abschnitt 7.2.1 vorgestellten Monte-Carlo-Verfahrens zur numerischen Integration untersucht 9.66. Sei h : [0, 1] → R eine meßbare, beschränkte Funktion und Xn , n ∈ N, eine Folge unabhängiger, in [0, 1] gleichverteilter Zufallsvariablen. Die Zufallsvariablen 9.61Eigentlich könnte hier eine Notation wie P [ . ] benutzt werden, um anzudeuten, daß µ µ als wahrer“ Parameter zugrunde gelegt wird. ” 9.62 Vgl. (9.16). 9.63 Vgl. (9.17). 9.64Insbesondere kann C (e N µN ) nicht durch einen kleineren Konfidenzbereich ersetzt werden. Man vergleiche hierzu den letzten Abschnitt in Beispiel 4.7. 9.65 Für den Fall von i.i.d., normalverteilten Zufallsvariablen X1 , . . . , XN , wobei neben µ = E[X1 ] auch σ2 = Var(X1 ) unbekannt ist, wird in [5], Beispiel (8.4) und Satz (8.5), ein Konfidenzintervall für µ angegeben. Hierbei findet insbesondere auch der in Beispiel 6.16 eingeführte erwartungstreue Schätzer für die Varianz eine Anwendung. Wenn nun für allgemeinere, i.i.d., quadratintegrable Zufallsvariablen X1 , . . . , XN sowohl µ = E[X1 ] als auch σ2 = Var(X1 ) unbekannt sind, bleiben jene Überlegungen in [5] zur Bestimmung eines Konfidenzintervalls für µ zumindest bei N → ∞ anwendbar. Zur Begründung kann wie in diesem Beispiel 9.6 der Zentrale Grenzwertsatz herangezogen werden. Im folgenden Beispiel 9.7 wird außerdem erläutert, wie bei einer bekannten oberen Schranke für σ2 Konfidenzintervalle für µ, die i. allg. suboptimal sind, bestimmt werden können. Hierbei wird ein Konfidenzbereich als suboptimal bezeichnet, wenn er bei genauerer Kenntnis von σ2 verkleinert werden könnte. 9.66 In Abschnitt 7.2.1 wurde mit Hilfe des schwachen Gesetzes der großen Zahlen nachgewiesen, daß (∗) Z 1 N 1 X P dx h(x) h(Xk ) → N k=1 0 bei N → ∞, falls h : [0, 1] → R eine meßbare, beschränkte Funktion und Xn , n ∈ N, eine Folge unabhängiger, in [0, 1] gleichverteilter Zufallsvariablen ist. Im folgenden wird insbesondere als Anwendung der Überlegungen in Beispiel 9.6, d.h. durch Angabe von Konfidenzintervallen, die mit Hilfe des Zentralen Grenzwertsatzes bestimmt werden, √ die Geschwindigkeit der Konvergenz in (∗) durch C/ N abgeschätzt. 25. Juli 2011 152 h(Xn ), n ∈ N, sind dann i.i.d. mit 9.67 Z 1 (9.20) E[h(X1 )] = dx h(x) = µh , Var(h(X1 )) = Z 0 1 dx h(x)2 − 0 Z 0 1 2 dx h(x) = σh2 ≤ 9.68 khk2∞ . R1 Genau wie in Beispiel 6.16 kann µh = 0 dx h(x) erwartungstreu durch µ eh,N = PN (1/N ) k=1 h(Xk ) geschätzt werden. Bei der Bestimmung eines Konfidenzintervalls zum Irrtumsniveau α ∈ (0, 1) für µh können allerdings die Überlegungen aus Beispiel 9.6 nicht direkt angewandt werden, da neben µh auch σh2 als unbekannt zu betrachten ist 9.69. Andererseits ist für σh2 die obere Schranke khk2∞ bekannt 9.70. Es gilt somit 9.71 9.72: khk∞ khk∞ (9.21) P µ 6∋ µh eh,N + U (α) √ eh,N − U (α) √ , µ N N khk∞ khk∞ oder µh ≥ µ eh,N + U (α) √ = P µh ≤ µ eh,N − U (α) √ N N khk∞ khk∞ =P µ eh,N − µh ∈ / −U (α) √ , U (α) √ N N " r # r 2 σ σh2 h , U (α) ≤ 9.73 P µ eh,N − µh ∈ / −U (α) N N "s # N =P (e µh,N − µh ) ∈ / (−U (α), U (α)) σh2 Z U(α) 1 N →∞ 9.74 √ dx exp(−x2 /2) = 9.75 α. ∼ 1− 2π −U(α) Für N → ∞ kann daher CN (e µh,N ) = µ eh,N khk∞ khk∞ − U (α) √ , µ eh,N + U (α) √ N N als Konfidenzintervall zum Irrtumsniveau α für µh gewählt werden 9.76 . Bemerkungen 9.8. (i) Die Überlegungen dieses Beispiels deuten an, daß das Monte-Carlo-Verfahren zur numerischen Integration eine recht langsame Konvergenzgeschwindigkeit besitzt, da√der Approximationsfehler, d.h. die Länge des Konfidenzintervalls sich wie khk∞ / N verhält. Um den Approximationsfehler zu halbieren, muß daher der Stichprobenumfang N vervierfacht werden. Im Gegensatz 9.67Vgl. (7.5). 9.68khk = sup ∞ x∈[0,1] |h(x)|. 9.69Wenn µ = R 1 dx h(x) nicht direkt berechnet werden kann, so kann offensichtlich auch h R0 R 2 = σh 1 0 dx h(x)2 − 1 0 dx h(x) 2 nicht exakt bestimmt werden. 9.70Vgl. (9.20). khk2 wird in den Überlegungen dieses Beispiels als bekannt vorausgesetzt. ∞ 9.71 Für α ∈ (0, 1) ist U (α) durch (9.17) definiert. In (9.21) bezeichnet P das Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Wahrscheinlichkeitsraum, auf welchem die Zufallsvariablen Xn , n ∈ N, definiert sind. 9.73Da σ2 ≤ khk2 , vgl. (9.20), und wegen der Monotonie von P, vgl. (2.13). ∞ h 9.74 Aufgrund des Zentralen Grenzwertsatzes für die Zufallsvariablen h(Xn ), n ∈ N, vgl. (9.12) und (9.20). 9.75 Wegen (9.17). 9.76Dieses Konfidenzintervall ist asymptotisch bei N → ∞ i. allg. größer als notwendig, d.h. suboptimal, weil in der dritten Zeile von (9.21) “ nicht auszuschließen ist. ” 9.72 25. Juli 2011 153 dazu ist bei anderen klassischen“ numerischen Integrationsverfahren der Appro” ximationsfehler ≃ kh(m) k∞ N −k für geeignete m = 1, 2, . . . und k ≥ 1 9.77. Solche Verfahren konvergieren schnell für glatte Integranden h, sind aber ungeeignet, wenn h irregulär wird. (ii) Um bessere, d.h., kleinere Konfidenzintervalle zu erhalten, kann auch die unbekannte Varianz σh2 geschätzt werden 9.78. 9.77Vgl. z.B. [12], Kapitel 3. Im Zusammenhang mit jenen numerischen Verfahren entspricht N der Größe ∆−1 , wobei ∆ die jeweilige Schrittweite ist. 9.78Ein erwartungstreuer Schätzer für σ2 wurde in Beispiel 6.16 vorgestellt. Hinweise zur h 2 Vorgehensweise bei der Bestimmung von Konfidenzintervallen für µh bei unbekannter Varianz σh finden sich in Fußnote 9.65. 25. Juli 2011 Literaturverzeichnis [1] L.V. Ahlfors. Complex Analysis, 2nd Edition. McGraw-Hill, 1966. [2] H. Bauer. Wahrscheinlichkeitstheorie und Grundzüge der Maßtheorie, 2. Auflage. De Gruyter, 1974. [3] R. Durrett. Probability: Theory and Examples, 2nd Edition. Duxbury Press, 1995. [4] W. Feller. An Introduction to Probability Theory and its Applications, Volume II, 2nd Edition. Wiley, 1971. [5] H.-O. Georgii. Stochastik. De Gruyter, 2002. [6] G. Grimmett, D. Stirzaker. Probability and Random Processes, 3rd Edition. Oxford University Press, 2003. [7] C. Hesse. Angewandte Wahrscheinlichkeitstheorie. Vieweg 2003. [8] E. Hewitt, K. Stromberg. Real and Abstract Analysis, Springer Verlag, 1965. [9] O. Kallenberg. Foundations of Modern Probability, 2nd Edition. Springer, 2002. [10] U. Krengel. 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