Herz-Kreislauf-Erkrankungen Seminar: „Psychologische Mechanismen bei körperlichen Krankheiten“ Universität Mannheim Herbstsemester 2008 Prof. Dr. Claus Bischoff Referent: Markus Lofink 1. Physiologie des kardiovaskulären Systems 1.1 Anatomie Anatomie des Herzens beim gesunden Patienten: Kontraktion der Vorhöfe: Entspannungsphase und Füllung der Kammern Kontraktion der Kammern: Unterdruck im Bereich der Vorhöfe und Einströmen von Blut aus Hohlvenen oder Lungenvenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2 1. Physiologie des kardiovaskulären Systems 1.1 Anatomie Anatomie des Herzens beim kranken Patienten: Vergrößerung der Muskelmasse der linken Kammer bei extremer körperlicher Leistung arterieller Hypertonie Versorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff unterbrochen Herzinfarkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen 3 1. Physiologie des kardiovaskulären Systems 1.2 Elektrische Aktivität des Herzens Stationen der Erregungsleitung: Primärer Schrittmacher: Sinusknoten im rechten Vorhof Ruheherzfrequenz 60-70 Herzschläge/Minute Sekundärer Schrittmacher: Atrioventrikulärer (AV) Knoten Sinusknoten AV-Knoten His-Bündel rechter Schenkel linker Schenkel Ruheherzfrequenz 40-50 Herzschläge/Minute Verzögerung der Erregungsleitung Über His-Bündel und Schenkel in die Kammern Herz-Kreislauf-Erkrankungen 4 1. Physiologie des kardiovaskulären Systems 1.2 Elektrische Aktivität des Herzens Bradykardie: Frequenzen unter 60 Herzschläge/Minute Tachykardie Sinusknoten AV-Knoten His-Bündel Frequenzen über 100 Herzschläge/Minute rechter Schenkel linker Schenkel AV-Block fehlende Erregungsüberleitung von Sinus- auf AV-Knoten Asystolie: gänzlich ausbleibende Erregung Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5 1. Physiologie des kardiovaskulären Systems 1.3 Hämodynamik und Blutdruck Hämodynamik = rhythmische Kontraktion des Herzens, durch die Blut in den kapillaren Bereich der Gewebe transportiert wird systolischer Blutdruck = nach der Kontraktion auftretender Spitzenblutdruck diastolischer Blutdruck = kurz vor der nächsten Kontraktion auftretender Minimalwert Herz-Kreislauf-Erkrankungen 6 2. Kardiovaskuläre Psychophysiologie kardiovaskuläre Psychophysiologie befasst sich mit Veränderungen der Herzrate bei Reizverarbeitung und Aktivierung Hinwenden der Aufmerksamkeit auf neue Reize (Orientierungsreaktion) kurzfristiges Absenken von Herzrate und Blutdruck mentale Aktivierung und Defensiv- oder Stressreaktionen Anstieg von Herzrate und Blutdruck Herz-Kreislauf-Erkrankungen 7 2. Kardiovaskuläre Psychophysiologie 2.1 Hämodynamische Aktivierung Hämodynamische Aktivierung durch Stress leichter Stress und Möglichkeit zur Bewältigung der Stressoren: vorwiegend Senkung des diastolischen Blutdrucks starker Stress ohne Kontrollmöglichkeit (sowie genetische Disposition für Bluthochdruck) häufig Anstieg des diastolischen Blutdrucks Herz-Kreislauf-Erkrankungen 8 2. Kardiovaskuläre Psychophysiologie 2.2 Kardiozeption Physiologie der Herzwahrnehmung (Kardiozeption) Merkmale von Herzschmerzen: sehr variabel (z.B. Brennen, Engegefühl, Druck) erstrecken sich potentiell über ein großes Gebiet (z.B. über Rachen, Kiefer, Genick, Rücken) Intensität der Wahrnehmung variiert stark (bis hin zu Todesangst) sympathische Afferenzen: v.a. für Schmerzen in Brust und Arm (typische Angina-pectoris-Beschwerden) verantwortlich parasympathische Afferenzen: v.a. für Schmerzen in Genick und Kiefer verantwortlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen 9 2. Kardiovaskuläre Psychophysiologie 2.2 Kardiozeption Physiologie der Herzwahrnehmung (Kardiozeption) häufigste kardiale Wahrnehmungen sind Angina pectoris Palpitationen = kardiale Missempfindungen wie Herzklopfen, Herzstolpern und Herzrasen Herkunft nicht vollständig geklärt Symptomatik gleicht der Verstärkung der sympathischen Wirkung von akutem Stress, großen Mengen an Koffein und der Schilddrüsenüberfunktion Herz-Kreislauf-Erkrankungen 10 3. Arteriosklerose Definition: „chronischer Umbauvorgang des arteriellen Gefäßbereichs, der zu einem Elastizitätsverlust der Gefäße und zu einer Einengung des Gefäßvolumens führt“ Systemerkrankung der Arterien, die zu Ablagerung von Blutfetten, Thromben, Bindegewebe und Kalk in den Gefäßwänden führt Man unterscheidet 3 Formen nach Schweregrad 1. Frühschädigung 2. Fortgeschrittene Läsion 3. Gefäßschädigung mit komplexen Folgeerscheinungen (z.B. Herzinfarkt oder Schlaganfall) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 11 3. Arteriosklerose oft erst bei Minderdurchblutung oder irreversiblen Schädigungen offensichtlich 3 besonders bedeutsame Komplikationen: 1. Arteriosklerose der Herzkranzarterien (koronare Herzkrankheit) führt zu Herzinfarkt oder Angina pectoris 2. Arteriosklerose der Gehirnarterien führt zu Schlaganfall 3. Arteriosklerose der peripheren Gefäße „Schaufensterkrankheit“ führende Position der Todesursachenstatistik Hälfte aller Menschen stirbt an den Komplikationen arteriosklerotischer Gefäßerkrankungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 12 3. Arteriosklerose 3.1 Etablierte Risikofaktoren Rauchen Herzinfarktrisiko vor dem 50. Geburtstag 5mal so hoch als bei Nichtrauchern Nikotinverzicht reduziert Herzinfarktrisiko um 50% Hyperlipoproteinämie (erhöhte Konzentration des Cholesterins) Senkung des Gesamtcholesterins um 1% bewirkt eine Senkung der Herzinfarktrate um 2% förderlich ist körperliches Ausdauertraining und Alkohol in geringer Konzentration (10-20 g pro Tag) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 13 3. Arteriosklerose 3.1 Etablierte Risikofaktoren Arterielle Hypertonie (Blutdruckerhöhung mit Werten über 160 mmHg systolisch / 95 mmHg diastolisch über 3 Monate) Förderliche Methoden: Entspannungsverfahren (autogenes Training, progressive Muskelrelaxation), Stressbewältigungstraining, Psychoedukation, Biofeedback, Verbesserung der Patienten-Compliance in Kombination mit medikamentöser Behandlung Gewichtnormalisierung, gesunde Ernährung, Einschränkung von Alkohol-, Nikotin- und Kochsalzgenuss Diabetes mellitus Männliches Geschlecht Höheres Alter Familiäre Belastung (Arteriosklerose bei nahen Verwandten) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 14 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Epidemiologie: 0,5% Todesfälle auf Grund von KHK in der Gesamtpopulation im Jahr 40-50% aller Todesfälle durch KHK große Unterschiede zwischen den Ländern Pathophysiologie: Herzinfarkt: kompletter Verschluss einer Koronararterie stabile Angina pectoris: Einengung einer Koronararterie unter Belastungsbedingungen instabile Angina pectoris: Einengung einer Koronararterie unter Ruhebedingungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 15 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychosoziale Faktoren: unvorteilhafte sozioökonomische Bedingungen mangelnde soziale Unterstützung hohe Zahl lebensverändernder Ereignisse (life events) hohe berufliche Beanspruchung bei geringer Belohnung psychische Aspekte: Angst, Feindseligkeit, inadäquater Ärger Herz-Kreislauf-Erkrankungen 16 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychosoziale Faktoren: (Typ A-Verhalten) schnelle, laute Sprechweise, Ungeduld, Feindseligkeit, Wettbewerb mit anderen, hohe Zielorientierung nicht als eigenständiges Risiko erwiesen (chronischer Stress) negative Wirkung auf die Koronargefäße keine unzweifelhaften Belege aus prospektiven Studien (Depression) erhöht das Risiko für KHK Korrelation von Depressivität und Ausmaß der Krankheitssymptome sowie Häufigkeit von Arztbesuchen niedrigere Patienten-Compliance fehlen von großen Interventionsstudien Herz-Kreislauf-Erkrankungen 17 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychotherapeutische Aspekte Akutintervention (aktive Krankheitsphase - Stunden bis Tage nach einem Herzinfarkt) in der Regel keine standardisierte psychologische Interventionen nötig, aber… Schuldgefühle Insuffizienzängste Stützung, Wertschätzung und Vermittlung von Sicherheit Statistische Überkorrektheit bei der individuellen Risikobeurteilung Optimismus, persönliches Engagement und Beruhigung Herz-Kreislauf-Erkrankungen 18 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychotherapeutische Aspekte Rehabilitation Psychologische Intervention Erhöhung der Patienten-Compliance durch Aufklärungs- und Schulungsprogramme Soziale Unterstützung Entspannungstraining Kognitives Stressmanagementtrainung Konfrontative Therapieelemente Kombination der Techniken Herz-Kreislauf-Erkrankungen 19 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychotherapeutische Aspekte Beispiel für die Kombination von Techniken (Ornish et al., 1998) 2 Patientengruppen Gruppe 1: Standardbedingungen Gruppe 2: 3 ½ -wöchiges Programm zur Modifikation alter Lebensgewohnheiten Erhöhung der kardialen und physischen Belastbarkeit Reduktion des Cholesterinspiegels um ca. 20% Reduktion der Angina pectoris um 80-90% Reduktion der Stenosen (Verengung der Blutgefäße) bei 80% der Teilnehmer Stabilität der Effekte über 5 Jahre Herz-Kreislauf-Erkrankungen 20 3. Arteriosklerose 3.2 Koronare Herzkrankheit Psychotherapeutische Aspekte Individuelle, patientenzentrierte Strategien am wirksamsten Empowerment (Anderson, 1996) Model of Change (Prochaska et al., 1992) Patient leitet eigenständig die nötigen Schritte zur Therapie ein Modell des Verhaltenstherapeuten Therapeut dient als Vorbild für den Patienten Herz-Kreislauf-Erkrankungen 21 4. Beispiel: Praktische Strategie zur Förderung der Medikamenten-Compliance Wichtig sind einige Sätze der Anerkennung, wie z.B.: „Ich finde es außergewöhnlich positiv, das Sie diese Tablettenbehandlung so regelmäßig und diszipliniert durchführen. Könnten Sie mir bitte mitteilen, wie Sie das schaffen? Dies ist für mich sehr wichtig, denn ich kann Ihre Erfahrungen an andere Patienten weitergeben, die mit der Regelmäßigkeit der Tabletteneinnahme öfters größere Schwierigkeiten haben und sich gerne beraten lassen wollen.“ Verhaltensmediziner zeigt Interesse Günstige Verhaltensweisen werden verstärkt Verfehlungen werden nicht „verteufelt“ Herz-Kreislauf-Erkrankungen 22 5. Literatur Schächinger, H. (2003). Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In U. Ehlert (Hrsg.), Verhaltensmedizin (225-264). Berlin; Heidelberg [u.a.]: Springer-Verlag. Herz-Kreislauf-Erkrankungen 23