Thermodynamische Grundlagen

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Magnetische Messungen
an unterkühlten Co-Basis Schmelzen
Dissertation
zur
Erlangung des Grades eines
Doktors der Naturwissenschaften
in der
Fakultät für Physik
und Astronomie
der Ruhr-Universität Bochum
von
Sven Reutzel
aus Hanau
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Institut für Raumsimulation
Köln 2002
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung..........................................................................................................
1
2
Magnetismus.......................................................................................................
5
2.1 Diamagnetismus............................................................................................
8
2.2 Paramagnetismus..........................................................................................
9
2.3 Kollektiver Magnetismus................................................................................ 14
2.3.1 Das Heisenbergmodell..................................................................... 16
2.3.2 Das Bändermodell............................................................................ 17
2.4 Flüssige Ferromagnete.................................................................................. 20
3
Unterkühlte Metallschmelzen.............................................................................. 23
3.1 Der Phasenübergang fest-flüssig........................................................ 23
3.2 Spezifische Wärme.............................................................................. 25
3.3 Homogene Keimbildung...................................................................... 28
3.4 Heterogene Keimbildung..................................................................... 33
4
Experimentelle Methoden.................................................................................... 35
4.1 Elektromagnetische Levitation............................................................. 35
4.2 Differenz-Thermoanalyse.................................................................... 37
4.3 Faraday-Waage................................................................................... 39
4.3.1 Messprinzip............................................................................... 39
4.3.2 Magnetfeld und Feldgradient.................................................... 40
4.3.3 Kraftmessung............................................................................ 45
4.3.4 Magnetschwebekupplung......................................................... 45
4.3.5 Ofen.......................................................................................... 47
4.3.6 Messsteuerung und Datenerfassung........................................ 48
4.3.7 Aufbau der Faraday-Waage..................................................... 50
4.4 Rasterelektronenmikroskopie (REM)................................................... 51
4.5 Probenherstellung................................................................................ 53
5 Probensysteme...................................................................................................
55
5.1 Reine Übergangsmetalle.....................................................................
55
5.1.1 Eisen.........................................................................................
55
5.1.2 Kobalt........................................................................................
57
5.2 Co-Basis Legierungen.........................................................................
58
5.2.1 Das Probensystem Co-Pd........................................................
58
5.2.2 Das Probensystem Co-Au........................................................
65
5.2.3 Das Probensystem Co-Cu........................................................
68
6 Ergebnisse und Diskussion.................................................................................
73
6.1 Magnetische Messungen an Eisen......................................................
73
6.2 Messungen an Kobalt..........................................................................
79
6.2.1 Kalorimetrische Untersuchung..................................................
79
6.2.2 Magnetische Untersuchung
..................................................
80
6.2.3 Strukturuntersuchung der unterkühlten Schmelze....................
87
6.3 Messungen an Co-Pd..........................................................................
91
6.3.1 Probengrößenabhängigkeit der Unterkühlung..........................
91
6.3.2 Magnetische Untersuchungen.................................................. 101
6.4 Magnetische Messungen an Co-Au..................................................... 107
6.5 Magnetische Messungen an Co-Cu.................................................... 110
7 Zusammenfassung.............................................................................................. 129
8 Literaturverzeichnis.............................................................................................. 133
Danksagung......................................................................................................... 141
Lebenslauf........................................................................................................... 143
Kapitel 1
Einleitung
Magnetismus ist ein vielfältiges Phänomen und auch nach langjährigen Untersuchungen immer noch im Blickpunkt aktueller Forschung. Besonders das Verhalten
von Stoffen, die auch ohne ein äußeres Magnetfeld anziehende oder abstoßende
Kräfte produzieren, wie das seit dem Altertum bekannte Magnetit, hat das Bild vom
Magnetismus geprägt und dient aufgrund seiner eisenreichen Zusammensetzung
als Namensgeber für die Stoffklasse der Ferromagnetika. Das Erscheinungsbild
dieser Stoffe ist allerdings weitaus vielfältiger als es allein die Eigenschaften von
Übergangsmetallen, wie z.B. Kobalt, Eisen oder Nickel vermuten lassen. Die Erscheinungsformen von Magnetismus fasst man unter dem Begriff der magnetischen
Ordnung zusammen und unterscheidet dabei zwischen Ferro-, Antiferro- und Ferrimagnetismus. Es existieren kristalline und amorphe, strukturell geordnete und ungeordnete Substanzen, die hart- oder weichmagnetische Eigenschaften aufweisen.
Die dabei auftretenden Kopplungsmechanismen und Spinstrukturen sind äußerst
vielfältig.
Magnetismus in metallischen Systemen ist nach bisher bekannter physikalischer Erkenntnis immer an den festen Zustand der Materie gebunden. Der strukturelle Zustand beeinflusst dabei zwar die magnetische Eigenschaften, kristalline
Ordnung ist aber keine notwendige Bedingung für das Auftreten langreichweitiger
magnetischer Ordnung. Selbst atomare Vibrationen in Schmelzen stellen prinzipiell
kein Hindernis für die Einstellung magnetischer Ordnung dar, da die magnetischen
Korrelationszeiten wesentlich kürzer sind als die atomaren Fluktuationen in der
Schmelze. Eine magnetische Ordnung kann sich einstellen, ohne dass die Struktur
der Materie betroffen ist. Die magnetischen Momente folgen einer strukturellen Änderung hingegen instantan. Bislang ist aber entgegen der Theorie nur eine einzige
einphasige Flüssigkeit gefunden worden, die magnetische Ordnung aufweist: die
A1-Phase von superfluidem 3He ordnet in einem externen Feld unterhalb von 2,6
mK [Leg77], [Paul78]. Dabei koppeln, ähnlich den Cooper-Paaren in Supraleitern, je
zwei 3He-Atome aufgrund ihrer Kernspins im äußeren Feld zu einem Bose-EinsteinKondensat. Albrecht et al. [Al97] berichten zwar von der Existenz einer ferromagne-
1 Einleitung
tischen Co-Pd Schmelze, jedoch konnte das einmalige Experiment seither nicht
reproduziert werden. Mehrphasige Systeme, bestehend aus kristalliner magnetischer Materie dispergiert in einer Trägerflüssigkeit, sogenannte Ferrofluide, sind
hingegen bereits seit längerem bekannt [Sti90], [Ro85] und finden immer häufiger
technische Anwendungen z.B. in Dichtungen, zur Dämpfung, in Antrieben sowie in
der Medizin- und Sensortechnik [Hä97].
Bei allen magnetischen Metallen und ihren Legierungen befindet sich die
Schmelztemperatur TL oberhalb der magnetischen Ordnungstemperatur, die bei
ferromagnetischen Metallen als Curie-Temperatur TC bezeichnet wird. Kobalt ist das
Element mit der höchsten relativen Curie-Temperatur TrC = TC / TL = 0.787, wobei
sich die Curie-Temperatur 376 K unterhalb des Schmelzpunktes befindet. Die geordnete Spinstruktur wird beim Aufheizen durch zunehmende thermische Unordnung zerstört, lange bevor das Material flüssig wird. Kühlt man eine Kobaltschmelze
wieder ab, so kristallisiert diese unter normalen Bedingungen ebenfalls lange bevor
sich eine magnetische Ordnung einstellen kann. Zieht man allerdings die Unterkühlbarkeit von Schmelzen in Betracht, ändert sich diese Überlegung. Bereits 1957
begann Nakagawa mit der Untersuchung verschiedener Eisen- und Kobaltverbindungen im flüssigen unterkühlten Zustand [Na57] auf der Suche nach ferromagnetischer Ordnung in der metastabilen Phase. Auch Urbain et al. untersuchte die magnetischen Eigenschaften unterkühlter Kobalt-Schmelzen [Ur67]. Beide Untersuchungen ergaben ein lineares Curie-Weiss-Verhalten im Temperaturbereich bis zu
200 K unterhalb der Schmelztemperatur, ein Unterkühlen in einen flüssigen ferromagnetischen Zustand gelang jedoch nicht. Letzte Messungen der Unterkühlbarkeit
von Co-Pd Legierungen auf der kobaltreichen Seite des Phasendiagramms geben
Hinweise auf eine mögliche Korrelation zwischen magnetischer Ordnung und maximaler Unterkühlbarkeit [He99].
Der Phasenübergang flüssig-fest ist ein Phasenübergang erster Ordnung
und wird über einen Keimbildungsprozess eingeleitet. Es bedarf einer thermischen
Aktivierung, um diese Keimbildungsschwelle zu überwinden. Durch die Unterkühlung der Schmelze wird eine treibende Kraft zur Keimbildung erzeugt, die mit wachsender Unterkühlung immer weiter ansteigt. Insbesondere Übergangsmetalle lassen sich aus der flüssigen Phase zum Teil einige hundert Kelvin unter ihre
Schmelztemperatur abkühlen, ohne dabei zu erstarren. Dieser Zustand wird als metastabiler Zustand der unterkühlten Schmelze bezeichnet und ist neben den Mes2
1 Einleitung
sungen am Festkörper und der stabilen Schmelze Hauptgegenstand der Untersuchungen, welche im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt werden.
Zielsetzung der Arbeit ist, im tief unterkühlten Zustand von Co-Basis Schmelzen
magnetische Messungen durchzuführen, um Aussagen über den Einfluss der sich
bildenden magnetischen Ordnung auf die Kristallkeimbildung treffen zu können.
Dabei steht zunächst der Aufbau einer Faraday-Waage im Vordergrund, welche
magnetisch hochauflösende Untersuchungen ermöglicht. Eine kritische Diskussion
der erzielten Ergebnisse im Rahmen der bestehenden Keimbildungstheorie und
erste Ansätze zu deren Weiterentwicklung schließen diese Arbeit ab.
3
1 Einleitung
4
Kapitel 2
Magnetismus
Ein magnetisches Feld H erzeugt in einem Festkörper eine Magnetisierung M, woraus sich die magnetische Induktion B berechnet:
B = µ0 ( H + M ).
(2.1)
Der Zusammenhang zwischen magnetischer Induktion B und magnetischer Feldstärke H wird durch
B = µ̂r µ0 H
mittels der relativen Permeabilität µ̂r beschrieben (µ0 = 1,25566·10
(2.2)
-6
Vs/Am). Im all-
gemeinen Fall ist µ̂r ein Tensor, der die Abweichungen der Richtungen von H und B
in einem Festkörper beschreibt und sich auch durch den Tensor der magnetischen
Suszeptibilität χ̂ mit
B = µ0 ( 1ˆ + χ̂ ) H
(2.3)
beschreiben lässt. Dabei bezeichnet
M = χ̂ · H
(2.4)
die Magnetisierung des Mediums durch den Einfluss des Magnetfeldes H. Die Magnetisierung kann sich sowohl parallel als auch antiparallel zu dem äußeren Magnetfeld ausrichten, wobei es die magnetische Induktion B im ersten Fall verstärkt und im
zweiten Fall abschwächt. Mit der durch Gleichung 2.4 definierten magnetischen Suszeptibilität
χ̂
r
dM
= r
dH
(2.5)
2 Magnetismus
lassen sich die Stoffe in Paramagnete (χ > 0) und Diamagnete (χ < 0) unterteilen.
χ̂ ist im Allgemeinen ein Tensor zweiter Stufe und kein reiner Proportionalitätsfaktor
zwischen M und H.
Die vielfältigen magnetischen Eigenschaften in Materie werden größtenteils
durch die elektronische Struktur bestimmt, wobei para- und diamagnetische Erscheinungsformen lediglich auf den unterschiedlichen Eigenschaften der Spin- und Bahnmomente der Elektronen in Festkörpern beruhen. Das permanente magnetische Dipolmoment eines Elektrons der Ladung e und Masse me wird als Bohrsches Magneton µB bezeichnet und stellt sich aufgrund seines Spins parallel zum äusseren Feld
ein:
µB =
eh
= 9,274·10 -24 J/T.
2 me
(2.6)
Führt ein Elektron z.B. als Rumpfelektron in einem Atomorbital eine zusätzliche
Bahnbewegung aus, so wird das resultierende magnetische Moment durch den
Bahndrehimpuls l des Elektrons bestimmt:
µl = µB ·l.
(2.7)
Die Bahnmomente werden bei Anlegen eines äusseren Feldes gemäß der Lenzschen Regel abgeschwächt, vergleichbar der Induktion bei makroskopischen Kreisströmen.
µl
µS
e¯
++
Abb. 2.1:
Spin- und Bahnbewegung eines Elektrons im Kraftfeld eines positiv geladenen Atomkerns. Das Dipolmoment µS der Spinbewegung ist parallel zur Rotationsachse, das
Dipolmoment µl der Bahnbewegung steht senkrecht auf der Elektronenbahn.
6
2 Magnetismus
In Abbildung 2.1 ist die Eigenrotation eines Elektrons um eine durch ein Magnetfeld
ausgezeichnete Achse und die Bahnbewegung um den positiv geladenen Atomkern
schematisch dargestellt. Das mit der Eigenrotation verknüpfte magnetische Spinmoment µs ist parallel zu der durch das externe Magnetfeld ausgezeichneten z-Richtung
quantisiert:
µ ZS =
eh
SZ .
m
(2.8)
SZ = ± ½ bezeichnet die Spinquantenzahl. Demgegenüber gilt für die magnetischen
Bahnmomente der Elektronen µl, hervorgerufen durch den Bahndrehimpuls
Lz = n ⋅ h , die Quantisierungsbedingung
µ Zl =
eh
n,
2m
(2.9)
wobei n eine ganze Zahl ist.
l=2
Sz
Lz
+½h
3
2
ml = 2 h
1h
0
-1 h
-2 h
h
-½ h
Abb. 2.2:
L
=
2( 2 + 1 ) h
L
Quantisierte Einstellmöglichkeiten von Spin S und Bahndrehimpulsen L
Allgemein ist der Zusammenhang zwischen magnetischen Momenten µ und mechanischen Drehimpulsen L gegeben durch
r
µ =g
µB r
h
L,
(2.10)
7
2 Magnetismus
mit dem gyromagnetischen Faktor g = 1 für Bahnbewegung (J = L)
g = 1+
J(J + 1) + S(S + 1) − L(L + 1)
.
2J(J + 1)
(2.11)
Für verschwindenden Bahndrehimpuls (L = 0) wird der Gesamtdrehimpuls allein
durch den Eigendrehimpuls der Elektronen bestimmt (J = S), und aus Gleichung 2.11
folgt der gyromagnetische Faktor g = 2.
In Ferromagnetika wie z.B. α-Eisen ist g ≈ 2, d.h. die magnetischen Eigenschaften werden im wesentlichen durch die Elektronenspins bestimmt. Im Falle von Isolatoren misst man hingegen Faktoren von g ≈ 1, so dass dort die Bahnmomente maßgeblich die magnetischen Eigenschaften bedingen. Bei Festkörpern kommt es nun zu
bestimmten Anordnungen von Spin- und Bahnmomenten, die unter Berücksichtigung
des Pauli-Prinzips Minima der freien Enthalpie entsprechen.
2.1 Diamagnetismus
Die Suszeptibilität diamagnetischer Stoffe wurde zuerst von Langevin unter Berücksichtigung des Larmor-Theorems beschrieben [La05],[Kr92]. Verschwindet der Gesamtdrehimpuls eines Elektronensystems, so sind auch keine permanenten magnetischen Momente vorhanden. Ein solches Verhalten findet man beispielsweise bei Molekülkristallen mit abgeschlossenen Elektronenschalen (Edelgase, Oxide, organische
Stoffe), bei Ionenbindungen, wo ebenfalls abgeschlossene Schalen gebildet werden
(Salze, Säuren) und bei homöopolaren Bindungen, die durch Spinabsättigung gekennzeichnet sind (einige Halbleiter). Alle Stoffe weisen aufgrund ihres atomaren
Aufbaus einen diamagnetischen Anteil auf, der allerdings oft durch paramagnetische
Erscheinungen überdeckt wird.
Diamagnetismus ist gekennzeichnet durch das Auftreten eines magnetischen
Momentes entgegengesetzt zum äusseren Magnetfeld. Dieses Verhalten folgt der
Lenzschen Regel für Induktionsströme. Das von diesen hervorgerufene Feld bewirkt,
dass diamagnetische Momente sich in einem äusseren Magnetfeld antiparallel zu
den Feldlinien des sie verursachenden Feldes einstellen, wodurch sich eine nahezu
temperaturunabhängige negative Suszeptibilität χ < 0 ergibt. Diamagnete werden
aus inhomogenen Magnetfeldern verdrängt.
8
2 Magnetismus
Diamagnetische Eigenschaften lassen sich zum einen auf die Drehimpulsquantelung
lokalisierter Rumpfelektronen zurückführen und zum anderen auf ein freies Elektronengas mit überwiegendem Bahnmomentanteil. Dabei werden die freien Elektronen
durch die Lorentzkraft unter dem Einfluß des äusseren Feldes auf Spiralbahnen gezwungen, wodurch es zum negativen Beitrag der Suszeptibilität kommt.
Ein Spezialfall des Diamagnetismus findet man bei den supraleitenden Werkstoffen. Diese besitzen die kleinstmögliche Suszeptibilität χ = -1 und stellen somit
ideale Diamagnete dar. Bei ihnen wird das Eindringen des äußeren Magnetfeldes in
den Festkörper verhindert; die magnetischen Flusslinien werden aus dem supraleitenden Körper herausgedrängt (Meissner-Ochsenfeld-Effekt).
2.2 Paramagnetismus
Paramagnetische Stoffe besitzen eine positive Suszeptibilität χ > 0. Die Magnetisierung richtet sich parallel zum äusseren Feld aus, was dazu führt, dass ein paramagnetischer Stoff in einem inhomogenen Magnetfeld eine attraktive Wechselwirkung
erfährt. Diese Eigenschaft tritt bei nicht abgeschlossener Elektronenkonfiguration auf
und beruht auf der Existenz ungepaarter freier Elektronenspins, wie man sie in nicht
abgeschlossenen Schalen in Atomorbitalen oder ebenfalls im freiem Elektronengas
findet. Die Suszeptibilität der paramagnetischen Elektronen muss dabei die diamagnetische Suszeptibilität der Bahnmomente überwiegen. Existiert kein freies Elektronengas, sind die Spins von Rumpfelektronen für paramagnetische Erscheinungsformen verantwortlich.
Die statistische Betrachtung eines Systems mit N frei drehbaren, von einander
unabhängigen Dipolen, die im Festkörper alle an einem festen Gitterplatz sitzen, ergibt die Energie des Systems
r r
E = − ∑ µi ⋅ H ,
N
(2.12)
i =1
mit dem totalen magnetischen Moment
µ=
N
r
∑µ
i =1
i
(2.13)
9
2 Magnetismus
aller N Atome der Substanz. Die temperaturabhängige statistische Bewegung der
Dipole wirkt dabei, dem Prinzip maximaler Entropie folgend, einer kompletten Ausrichtung aller Momente entgegen [Gr93]. Im Grenzfall hoher Temperaturen sind daher alle Dipole statistisch verteilt und das totale magnetische Moment µ verschwindet. Das magnetische Dipolmoment von Atomen ist eine quantenmechanische Größe
r̂
und lässt sich mit den beiden dimensionslosen Operatoren des Bahndrehimpulses l
r̂
und des Spins s als quantenmechanischer Operator darstellen:
r
ˆr =  g l ˆl + g s ŝr  ⋅ µ B .
µ


(2.14)
Die möglichen Energiewerte eines Dipols im Magnetfeld liegen nun quantisiert vor:
E = - µp·H = - g·µB·H·ji,z = - g·µB·H·m,
(2.15)
mit m = -j, -j +1, … ,+j als Komponente von j in Feldrichtung (z-Richtung). Für ein
System mit N Dipolen folgt die Zustandssumme
+j
Z(T,H,N) =
∑e
N
β g µ H∑
mi 

B
i =1


m1 ,m2 ,...,mN = -j
, mit β =
1
.
kBT
(2.16)
Es muss für alle N Dipole über alle möglichen Einstellungen mi summiert werden. Die
Zustandssumme für nicht wechselwirkende Systeme faktorisiert, also Z(T,H,N) =
Z(T,H,1)N mit
+j
Z(T,H,1) =
∑
e (βgµ
m = -j
B
H ⋅m )
= e (−βgµ
B
H⋅ j )
⋅
2j
∑ e (βgµ H ⋅m ) .
B
m =0
Diese geometrische Reihe lässt sich summieren und ausdrücken durch
10
(2.17)
2 Magnetismus
1 

sinh  βgµBH ⋅ (j + ) 
2 

Z(T,N,1) =
.
1


sinh  βgµBH 
2

(2.18)
Für die freie Energie folgt
F(T,H,N) = - kBT·ln Z(T,H,N)
= - N·kBT·ln Z(T,H,1)
1 

sinh  βgµ BH ⋅ (j + ) 
2 

= − NkBT ⋅ ln
1

sinh  βgµ B H 
2

Mit <µz> = −
(2.19)
∂
F(T, H, N) kann daraus das mittlere totale magnetische Moment be∂H
rechnet werden:

1
1
1


 1
< µ z > = N g µ B ( j + ) coth (j + ) ⋅ βgµB H  − coth βgµB H  .
2
2
2


 2

(2.20)
Führt man die Brillouin-Funktion Bj(x) gemäß
Bj(x) = ( 1 +

 x 
1
1  1
) coth  ( 1 + )x  − coth   ,
2j
2j  2j

2j 
(2.21)
mit der Substitution x = βgµB Hj ein, so folgt für das mittlere magnetische Moment
<µz> = N·g·µB·j·Bj(x).
(2.22)
Abb. 2.3 zeigt den Verlauf der Funktion Bj(x) für verschiedene j -Werte. Für den
Grenzfall j → ∞ besitzt ein quantenmechanischer Dipol quasi kontinuierlich viele Einstellungsmöglichkeiten und gleicht dem klassischen Fall eines beliebig orientierbaren
Dipols.
11
2 Magnetismus
Abb. 2.3:
Verlauf der Brillouin-Funktionen Bj (x) mit j = ½, 1, ..., ∞
Aus der Entwicklung der Brillouin-Funktion
1  1
1
Bj(x) ≈ 1 +  x −
3
j
45
  2j + 1  4  1  4  3
 −    x + L
 
  2 j   2 j  
(2.23)
folgt die Sättigungsmagnetisierung MS = N·µB für große Felder und tiefe Temperaturen ( x → ∞). Wird die Sättigungsmagnetisierung eines Materials erreicht, so sind
alle Momente in Feldrichtung ausgerichtet.
Für hohe Temperaturen und kleine Felder ( x → 0) ist die Entwicklung der Brillouin-Funktion linear, und es ergibt sich die Beziehung von totalem magnetischen
Moment und äußerem Feld
<µz> ≈ N ⋅
g²µB ²J(J + 1)
⋅H ,
3k BT
(2.24)
woraus sich das Curie-Weiss Gesetz ableitet:
χ =N⋅
12
g²µB ²J(J + 1) C
= .
3k BT
T
(2.25)
2 Magnetismus
Durch Messung der Curie-Konstanten C über die lineare Temperaturabhängigkeit der
inversen Suszeptibilität χ-1 lässt sich die Anzahl der effektiven Bohrschen Magnetonen pro Atom µeff = g ⋅ J ( J + 1 ) ⋅ µ B bestimmen:
χ =N⋅
µe2f f
3k BT
.
(2.26)
In SI-Einheiten und molaren Größen folgt daraus
χ = NA ⋅ µ0 ⋅
µe2f f
3k BT
.
(2.27)
Bei den Ionen der Seltenen Erden liegen die Orbitale der 4f-Elektronen im Innern der
Elektronenhülle, und es kommt zu einer Kopplung von Spin- und Bahndrehimpulsmomenten. Die magnetischen Eigenschaften werden durch den Gesamtdrehimpuls J
bestimmt. Bei den Elementen der Eisengruppe mit ihren 3d-Elektronen hingegen ergibt sich eine deutliche Abweichung zu dem vom Drehimpuls J geprägten Magnetismus. Man bezeichnet die in außenliegenden Orbitalen befindlichen 3d-Elektronen
aufgrund ihrer geringen Bandbreite von wenigen Elektronenvolt als itinerante Elektronen, da sie sich weder als frei noch als komplett lokalisiert beschreiben lassen.
Durch die Wirkung der elektrischen Felder der angrenzenden Atomorbitale ergibt sich
eine Verzerrung der 3d-Orbitale, welche sich direkt auf die magnetischen Eigenschaften auswirkt. Der Einfluss dieses sogenannten Kristallfeldes macht sich bei den
Ionen der Eisengruppe besonders stark bemerkbar: der Betrag des Bahndrehimpulses bleibt zwar erhalten, der quantentheoretische Erwartungswert des Bahndrehimpulses in Bezug auf eine Achse (das Magnetfeld) verschwindet allerdings und mit
ihm das verbundene magnetische Moment [Kr92]. Daher werden die magnetischen
Eigenschaften dieser Elemente überwiegend vom Spin der Elektronen bestimmt, und
die Zahl effektiver magnetischer Momente berechnet sich aus
µeff = 2 ⋅ S(S + 1) ⋅ µ B
(2.28)
13
2 Magnetismus
Neben der starken Temperaturabhängigkeit der lokalisierten bzw. itineranten Elektronen in Atomorbitalen existiert noch die temperaturunabhängige Pauli-Suszeptibilität
des freien Elektronengases. Durch Polarisation des Elektronengases in externen
Magnetfeldern werden dabei Übertritte einzelner Spins in andere Spinzustände energetisch ermöglicht. Zusätzliche paramagnetische Erscheinungsformen findet man im
van-Fleckschen Paramagnetismus, der sich durch Störungsrechnung 2. Ordnung
ergibt und besonders bei Molekülen durch deren nicht kugelsymmetrischem Aufbau
eine Rolle spielt, sowie bei Spingläsern, die hier jedoch nicht näher betrachtet werden sollen.
2.3 Kollektiver Magnetismus
Unter kollektivem Magnetismus versteht man das Auftreten einer spontanen Magnetisierung ohne den Einfluss eines äusseren Feldes. Dabei kommt es durch eine
Wechselwirkung
permanenter
magnetischer
Momente
zur
Ausbildung
einer
langreichweitigen Ordnung.
(a)
(b)
unmagnetisiert
magnetisiert
H
Abb. 2.4:
(a) Feldlinienverlauf eines Eindomänenteilchens
(b) Räumliche Orientierung makroskopischer Domänen eines Mehrdomänenteilchen
mit und ohne äußerem Magnetfeld H
14
2 Magnetismus
In der Regel besteht ein magnetisches Material aus vielen einzelnen Domänen unterschiedlicher Orientierung, die sich erst durch Anlegen eines äußeren Feldes H in
eine gemeinsame Vorzugsrichtung ausrichten. Durch das Bilden einer Domänenstruktur wie sie in Abbildung 2.4 dargestellt ist, reduziert sich die gespeicherte Feldenergie E = ½ µ0 ∫H²dV bei gleichzeitiger Erhöhung der Austauschenergie der zueinander verkippten Momente (Wandenergie). Die Summe von Austausch- und Feldenergie weist bei einer bestimmten mittleren Unterteilung ein Minimum auf, wobei
sich die Austauschenergie aus negativen Volumenbeiträgen im Innern und positiven
Wandenergien an den Domänengrenzen zusammensetzt. Eine solche Domänenstruktur ist stabil.
Während für Paramagnetika immer ein linearer Zusammenhang zwischen
Magnetisierung und magnetischer Feldstärke besteht, und damit die magnetische
Suszeptibilität feldstärkeunabhängig ist, trifft dies bei einer kollektiven Magnetisierung, wie man sie beim Ferromagnetismus findet, nicht mehr zu. Die Abhängigkeit
von Magnetisierung und Feldstärke für Temperaturen unterhalb der CurieTemperatur TC wird dabei durch eine materialspezifische Hysteresekurve dargestellt,
welche durch die remanente Magnetisierung MR, die Sättigungsmagnetisierung MS
und die Koerzitivfeldstärke HC gekennzeichnet ist. Anhand ihrer Hysteresekurven
werden magnetische Werkstoffe in hartmagnetisch (HC ≥ 500 A/cm) und weichmagnetisch (HC ≤ 2 A/cm) unterteilt.
(a)
(a)
Abb. 2.5:
(b)
(b)
Hysteresekurve eines ferromagnetischen Materials mit Sättigungsmagnetisierung MS,
Koerzitivfeldstärke HC und Remanenz MR für (a) eine Einzeldomäne und (b) ein Vieldomänenteilchen mit gestrichelt eingezeichneter Neumagnetisierungskurve
15
2 Magnetismus
Mit wachsender Feldstärke steigt die Magnetisierungskurve wie in Abbildung 2.5 zu
sehen deutlich an, und bei H → ∞ wird die maximale oder Sättigungsmagnetisierung
erreicht, bei der jedes Moment die größtmögliche Komponente in Feldrichtung hat.
Alle Momente sind in einer Richtung ausgerichtet und bewahren auch für H = 0 eine
remanente Magnetisierung MR. Für Mehrdomänenkörper ergibt sich aufgrund der
inneren Austauschenergien eine anfängliche Neukurve, die charakteristisch für die
innere Ordnung des jeweiligen Festköpers ist. Je größer der Energieaufwand zur
Ausrichtung der anfänglich unausgerichteten Domänen ist, desto träger verläuft der
Anstieg der Magnetisierungskurve M(H) bei steigender Feldstärke H.
Ferromagnetika erreichen bereits bei geringen Feldstärken eine große Magnetisierung, die bei wachsendem Feld nur noch sehr langsam ansteigt. Die Substanz
verhält sich so, als sei sie bereits durch eine innere Ursache, d.h. spontan, vormagnetisiert. Die auf H → 0 extrapolierte ferromagnetische Sättigungsmagnetisierung
wird als Spontanmagnetisierung bezeichnet. Sie steigt mit abnehmender Temperatur
weiter an, bis sie bei T = 0 K die maximale Magnetisierung erreicht, bei der alle magnetischen Momente in Feldrichtung ausgerichtet sind.
2.3.1
Heisenberg-Modell
Eine theoretische Grundlage für eine spontane Magnetisierung schuf Heisenberg mit
Hilfe der Quantenmechanik. Dabei betrachtet man permanente magnetische Momente lokalisierter Elektronen aus nicht vollbesetzten Energieniveaus. Durch einen Überlapp der Wellenfunktionen der betreffenden Elektronen kommt es zu einer Austauschwechselwirkung der Spins, welche durch einen Austauschoperator HA beschrieben werden kann:
Ĥ A = −2 ∑ J Aij Ŝi Ŝ j .
(2.29)
i ,j
Si und Sj sind dabei Spinoperatoren, und JAij stellt das abstandsabhängige Austauschintegral dieser Spins dar, welches somit den Überlapp der Wellenfunktionen
von Spin Si am Atom i mit Spin Sj am Atom j in definiertem Abstand repräsentiert. Ein
positives Austauschintegral JAij > 0 führt zu einer Parallelausrichtung benachbarter
Spins und bewirkt eine Energieabsenkung, während bei negativem Austauschintegral
J Aij < 0 eine antiparallele Spinausrichtung folgt. Eine spontane antiparallele Ausrich16
2 Magnetismus
tung benachbarter Spins führt zu Antiferromagnetismus. Diesen Zustand kann man
sich als Kombination zweier genau gleicher, aber entgegengesetzt magnetisierter
ferromagnetischer Untergitter vorstellen, die jedes N/2 Spins beinhaltet [Ne32]. Die
Gesamtmagnetisierung eines antiferromagnetischen Körpers verschwindet. Eine
nicht vollständige Kompensation der Magnetisierung verschiedener Untergitter im
Festkörper beobachtet man immer dann, wenn das Austauschintegral JAij für benachbarte Spins zwar negativ ist, aber die Untergitter aus unterschiedlich starken
magnetischen Momenten bestehen. Festkörper mit diesen Eigenschaften nennt man
Ferrimagnetika [Ne48].
Für Lanthanide oder Isolatoren wie den ferromagnetischen Salzen stellt das
Heisenberg-Modell eine hinreichende Beschreibung des Magnetismus dar. Die Betrachtung lokalisierter Elektronen trifft allerdings bei 3d-Übergangsmetallen wie Fe, Ni
und Co, bei denen die für den Magnetismus verantwortlichen Spins im freien Elektronengas delokalisiert vorliegen, formal nicht mehr zu. Die ursprünglich scharfen Energieniveaus der Elektronen spalten auf und sind zu Energiebändern verbreitert.
2.3.2
Das Bändermodell
Es kommt durch den energetisch günstigen Übergang von Elektronen zwischen
Spin-Up und Spin-Down Teilbändern in der Nähe der Fermikante zur Ausbildung einer ferromagnetischen Ordnung. Dazu muss der Energiegewinn durch die reduzierte
Coulombenergie aufgrund der Parallelstellung der Spins größer sein, als die Energie,
die zur Besetzung der höher gelegenen Niveaus benötigt wird. Gemäß der Fermistatistik werden am absoluten Nullpunkt alle Energieniveaus bis zur Fermienergie EF mit
jeweils zwei Elektronen entgegengesetzt gerichteter Spins besetzt. Dabei spalten die
3d-Bänder, wie in Abbildung 2.6 skizziert, durch die Austauschwechselwirkung in
zwei gegeneinander verschobene Teilbänder auf. Aus dem höheren Band treten Elektronen in das tiefere Band über und füllen dieses bis zur Fermienergie, wodurch
sich aufgrund der ungleichen Zahl von Elektronen mit Spin S = ± ½ die spontane
Magnetisierung ergibt.
17
2 Magnetismus
N(E)
(a)
3d
4s
N(E) 0
EF
E
up
(b)
EF
down
E
N(E)
up
(c)
down
Abb. 2.6:
E
Elektronische Zustandsdichte N(E) der Elektronen im 3d- und 4s-Orbital
(a) unmagnetischer Fall
(b) und (c) spontane Magnetisierung mit verschieden starker Austauschwechselwirkung [Mar67]
Bei den meisten Metallen ist der Aufwand an kinetischer Energie zum Wechsel von
Elektronen in ein höher gelegenes Energieband zur Spinmaximierung jedoch zu
groß, um eine magnetische Ordnung aufweisen zu können. Für die Ausbildung von
magnetischer Ordnung ist ausser dem Kopplungparameter J eine hohe Zustandsdichte N(EF) von Elektronen an der Fermikante und ein entsprechendes Atomvolumen Ω0 verantwortlich [Sto38]:
J · N(EF) · Ω0> 1.
(2.30)
Diese von Stoner und Wohlfahrt gefundene Bedingung verdeutlicht der Verlauf der in
Abbildung 2.7 dargestellten Bethe-Slaver Kurve, welche eine Bilanz zwischen magnetisch geordnetem und nicht magnetischem Zustand als Funktion des Atomabstandes darstellt. Der Atomabstand ist dabei normiert auf den Radius der nicht abgeschlossenen Schale [Sla30].
18
2 Magnetismus
Fe-Ni
(kfz)
Austauschenergie
+
Mn-Ni
(kfz)
.
.. .
Fe-Fe
(krz)
0
-
Abb. 2.7:
.
.
Fe-Fe
(kfz)
Co-Co
(hcp)
.
Ni-Ni
(kfz)
a/r
Mn-Mn
(kfz)
Energie-Bilanz zwischen nichtmagnetischem und spontan magnetisiertem Zustand als
Funktion des Atomabstandes a und dem Radius r der nichtabgeschlossenen Schale
nach Bethe-Slater.
Für das Auftreten einer spontanen Magnetisierung ist eine große Austauschwechselwirkung erforderlich. Bei gleichzeitig hoher Zustandsdichte von Elektronen an der
Fermikante ist der Übergang von Elektronen eines Spin-Teilbandes in ein höher gelegenes mit nur wenig Energieaufwand verbunden, so dass ein Zustand spontaner
Magnetisierung energetisch begünstigt wird. Diese Bedingungen sind für die Übergangsmetalle Eisen, Nickel und Kobalt erfüllt, da sie im Festkörper neben teilgefüllten
schmalen Energiebändern, die zu hohen Zustandsdichten N(EF) führen, einen günstigen Atomabstand aufweisen. Bei zu geringem Atomabstand kommt es zu einer antiferromagnetischen Kopplung, während bei den meisten Metallen mit deren zu grossem Abstand Paramagnetismus auftritt. Die Abhängigkeit der Niveauaufspaltung vom
Atomabstand wird in Abbildung 2.8 schematisch skizziert. Horizontale Striche stellen
dabei den Abstand der Energieniveaus an der Fermikante EF, vertikale Striche den
Abstand der Atome dar.
19
2 Magnetismus
geringer Atomabstand,
starke Niveauaufspaltung
hoher Energieaufwand zur
Neuverteilung der Elektronen:
Antiferromagnetismus
Abb. 2.8:
mittlerer Atomabstand,
grosser Atomabstand,
geringe Niveauaufspaltung, keine Kopplung:
wenig Energieaufwand zur
Paramagnetismus
Neuverteilung der Elektronen:
Ferromagnetismus
Zusammenhang Austauschwechselwirkung und Niveauaufspaltung nach Shockley
[Sho39] und Adler und Radeloff [Ad67]
2.4 Flüssige Ferromagnete
Die Schmelzpunkte aller bekannten ferromagnetischen Metalle befinden sich mehrere hundert Kelvin oberhalb der jeweiligen Curie-Temperatur, so dass bei Erwärmen
der entsprechenden Substanz deren magnetische Ordnung lange vor dem Aufschmelzen verloren geht. Die Theorie schließt jedoch auch in Flüssigkeiten die Möglichkeit der Existenz von kollektiver magnetischer Ordnung nicht aus, wenn man sich
die Korrelationszeiten der einzelnen Wechselwirkungsmechanismen betrachtet.
Kinetische Wechselwirkungen des Gitters im Festkörper sind vergleichsweise
träge gegenüber magnetischen Wechselwirkungen. Eine Abschätzung der kinetischen Wechselwirkungen im Festkörper ergibt sich aus der Frequenz der Schallausbreitung, der Debye-Frequenz ωD. Die innere Energie U eines Festkörpers bestimmt
sich dabei durch quantisierte Gitterschwingungen, sogenannte Phononen [Ge92]:
U = Σ h ωj (q)(njq+ ½),
(2.31)
mit der Bose-Einstein-Verteilung über die Summierung aller schwingenden Gitterbausteine j und Ausbreitungsvektoren q:
nj q =
20
1
 hω j
exp 
 k BT

 − 1

.
(2.32)
2 Magnetismus
Debye-Frequenzen für einen metallischen Festkörper wie von Silber ωD ~ 2,8 · 1013
Hz und einen ionischen Festkörper wie von Kaliumchlorid ωD ~ 3,0 · 1013 Hz geben
eine Abschätzung über die Geschwindigkeit kinetischer Wechselwirkungen. Damit
sind sie um drei Größenordnungen langsamer als magnetische Wechselwirkungen,
welche sich durch die Heisenbergsche Unschärferelation über die mittlere Verweildauer t0 der Elektronen von Übergangsmetallen im 3d-Band mit einer typischen
Bandbreite von W ~ 10 eV bestimmen lässt:
ω = 2π / t0 = W / h < 5· 1016 Hz
(2.33)
Magnetische Relaxationen der Spins sind demnach um drei Größenordnungen
schneller als strukturelle atomare Vibrationen. Festkörperanregungen sind quasi statisch gegenüber magnetischen Anregungen. Die Austauschkopplung der Elektronen
in einer Flüssigkeit sollte demnach auf die Bewegungen der Atome und damit den
magnetischen Ionen instantan folgen [Ma76]. Die unterschiedlichen Zeitskalen der
elektronischen Prozesse und der Atombewegungen brachte bereits 1969 Handrich
anhand eines einfachen Heisenbergmodells zu dem Schluss, dass ferromagnetische
Ordnung in Flüssigkeiten prinzipiell möglich sei [Han69].
Die paramagnetische Suszeptibilität von ferromagnetischen Übergangsmetallen in der flüssigen Phase und zum Teil auch in der unterkühlten Schmelze wurde
bereits von Urbain und Übelacker gemessen [Ur67]. Besonders bei reinem Kobalt
ändert sich die inverse Suszeptibiliät χ-1 beim Phasenübergang fest-flüssig nur wenig,
so dass für flüssiges und kristallines Kobalt die paramagnetische Curie-Temperatur
TC ≈ 1400 K extrapoliert wurde. Die Messungen erreichten allerdings aufgrund der
angewendeten Prozesstechnik nicht die nötigen Unterkühlungen, um im flüssigen
Zustand den ferromagnetischen Bereich zu erreichen und waren vergleichsweise
ungenau.
Die Suche nach einem flüssigen Ferromagneten an einer unterkühlten Co-AuLegierung führte Busch und Güntherodt durch das Auftreten fester Partikel zu einer
falschen Interpretation ihrer Messung [Bu68]. Da es bei der Unterkühlung eutektischer Systeme häufig zur primären Erstarrung von Randphasen und deren Einfluss
auf Magnetismus kommt, sind diese Systeme besonders kritisch zu analysieren.
Gleichzeitig bieten sie aber interessante physikalische Aspekte, die im Rahmen dieser Arbeit erörtert werden.
21
2 Magnetismus
Die Idee der späten 60er Jahre, 3d-Übergangsmetalle zu unterkühlen und gegebenenfalls bis in den ferromagnetischen Bereich der unterkühlten Schmelze abzukühlen
wird hier aufgegriffen und durch den Einsatz verbesserter Experimentiertechniken zur
Unterkühlung von Metallschmelzen und des in-situ Messens magnetischer Eigenschaften an diesen metastabilen Systemen gestärkt.
Mittels elektromagnetischer Leviation konnten Platzek et al. eine CoPdSchmelze bis nahe an die Curie-Temperatur unterkühlen und dabei die attraktive
Wechselwirkung eines Permanentmagneten auf die levitierende, unterkühlte
Co80Pd20-Probe messen [Pl94]. Abbildung 2.9 zeigt die Verschiebung der flüssigen
Probe aus der Symmetrieachse der Levitationsspule heraus, aufgrund der wachsenden magnetischen Wechselwirkung bei ansteigender Unterkühlung. Bei einer Unterkühlung von ∆T = 100 K befindet sich die Schmelze noch in der Mitte der Leviationsspule. Die Probe wird dann allerdings bei einer Unterkühlung von ∆T = 300 K
durch die Annäherung an den magnetischen Phasenübergang von dem CoSmPermanentmagneten erkennbar angezogen.
Abb. 2.9:
Levitierte, unterkühlte Co80Pd20-Schmelze bei einer Temperatur weit entfernt und in
näherer Umgebung von TC. Die wachsende attraktive Wechselwirkung zwischen Permanentmagnet und Probe führt zu einer Verschiebung der Probe aus der Symmetrieachse der Levitationsspule heraus [Pl94].
Die Messung verdeutlicht den wachsenden Magnetismus in der tief unterkühlten
Schmelze und motiviert eingehendere Analysen des Verhaltens ferromagnetischer
Probensysteme im unterkühlten Zustand.
22
Kapitel 3
Unterkühlte Metallschmelzen
Chemische Elemente sowie einige Legierungen und Verbindungen besitzen in der
Regel einen stoffspezifischen Schmelzpunkt TM, oberhalb dessen sie in den flüssigen
Zustand übergehen. Der Schmelzprozess ist ein Phasenübergang erster Ordnung
und zeichnet sich somit durch die zum Schmelzen notwendige latente Wärme oder
Schmelzwärme aus. Bei den meisten Legierungen existiert kein definierter Schmelzpunkt, sondern ein Schmelzintervall, in dem eine Koexistenz zwischen fester und
flüssiger Phase besteht. Dieses Zweiphasengebiet wird durch zwei charakteristische
Temperaturen definiert: Die Temperatur beim Einsetzen des Schmelzprozesses, unterhalb derer die Legierung noch fest ist, wird als Solidustemperatur TS bezeichnet,
während die Liquidustemperatur TL das Ende des Schmelzprozesses kennzeichnet,
und die Legierung von dort ab vollständig flüssig ist. Die Erstarrung einer Flüssigkeit
findet in der Regel nicht im Gleichgewicht, sondern bei einer Temperatur T < TL unterhalb der Schmelztemperatur im metastabilen, unterkühlten Zustand statt. Für Unterkühlungsexperimente an einem Legierungssystem ist die Liquidustemperatur die
relevante Temperatur, da diese den Beginn der flüssigen Phase des Gesamtsystems
markiert.
3.1 Der Phasenübergang fest-flüssig
Zustandsänderungen thermodynamischer Systeme lassen sich durch thermodynamische Potentiale beschreiben. In einem System bei konstantem Druck p und Temperatur T lässt sich beim fest-flüssig Phasenübergang die treibende Kraft zur Erstarrung auf die Differenz der freien Enthalpie zwischen flüssiger und fester Phase zurückführen. Abbildung 3.1 zeigt schematisch den Verlauf der freien Enthalpie von
fester und flüssiger Phase eines einkomponentigen Systems bei konstantem Druck in
Abhängigkeit der Temperatur. Die Linie mit der niedrigsten freien Enthalpie repräsentiert den jeweiligen Gleichgewichtszustand, der Schnittpunkt beider Kurven gibt die
Schmelztemperatur TL der festen Phase im thermodynamischen Gleichgewicht an,
bei der beide Phasen im Gleichgewicht koexistieren.
3 Unterkühlte Metallschmelzen
Bereich
Bereich der
der
unterkühlten
unterkühlten
Schmelze
Schmelze
Bereich
Bereich der
der
stabilen
stabilen
Schmelze
Schmelze
Freie Enthalpie G
GL
∆G
GS
GS
∆T
TN
Abb. 3.1:
GL
TL
Temperatur T
Schematische Darstellung der freien Enthalpie G für flüssige (L) und feste (S) Phase
als Funktion der Temperatur. TL bezeichnet die Schmelztemperatur, TN die Kristallisationstemperatur bei gegebener Unterkühlung ∆T. ∆G ist dabei die treibende Kraft zur
Kristallisation.
Kühlt man eine Flüssigkeit unter ihre Schmelz- bzw. Liquidustemperatur ab, so befindet sie sich in einem metastabilen Zustand, da eine Kristallisation in die energetisch
günstigere feste Phase mit einer Verringerung der freien Enthalpie G verbunden ist:
∆G = GS – GL < 0.
(3.1)
Für Temperaturen unterhalb des Schmelzpunktes T < TL gilt die Beziehung:
∆G(T) = ∆H(T) - T∆S(T).
(3.2)
Unter Berücksichtigung der Definition der Wärmekapazität bei konstantem Druck
24
∂S 
cp = T 
 ,bzw.
 ∂T  p
(3.3a)
∂H 
cp = 

 ∂T  p
(3.3b)
3 Unterkühlte Metallschmelzen
folgt für die Differenz der Enthalpien ∆H und Entropien ∆S zwischen fester und flüssiger Phase
∆H(T) = ∆Hf -
TL
∫ ∆c p (T) ⋅ dT
(3.4)
T
und
∆S(T) = ∆Sf -
TL
∫
T
∆c p (T)
T
⋅ dT ,
(3.5)
wobei ∆Hf die Schmelzenthalpie und ∆Sf die Schmelzentropie darstellt. ∆cp = cpS - cpL
ist die Differenz der spezifischen Wärme beider Phasen. Bei der Gleichgewichtsschmelztemperatur TL verschwindet die Differenz der freie Enthalpien ∆G, so dass
dort für die Schmelzenthalpie ∆Hf und die Schmelzentropie ∆Sf folgt:
∆Hf (TL) = TL ∆Sf (TL)
(3.6)
Im Temperaturbereich T < TL setzt die Kristallisation ein und der Energiebetrag der
Schmelzwärme ∆HL,S = HS - HL wird freigesetzt. Dies führt zum Aufheizen der unterkühlten Schmelze bis maximal zur Gleichgewichtsschmelztemperatur und wird als
Rekaleszenz bezeichnet.
3.2 Spezifische Wärme
Wie bereits in Gleichung 3.4 und 3.5 dargestellt, sind die thermodynamischen Größen Enthalpie H und Entropie S eines Systems Funktionen der spezifischen Wärme
c, so dass sich über die spezifische Wärme direkt Rückschlüsse auf den thermodynamischen Zustand des Systems ziehen lassen. Die spezifische Wärme setzt sich
aus verschiedenen Beiträgen zusammen. Bei konstantem Druck p gilt:
cp = cpvib + cpe + cpλ + cpxs,
(3.7)
mit einem Schwingungsanteil der Atome bzw. Moleküle cpvib, einem elektronischen
Anteil cpe, einem Anteil von Phasenübergängen 2. Ordnung cpλ und einem verblei25
3 Unterkühlte Metallschmelzen
benden Überschussanteil cpxs. Bei höheren Temperaturen überwiegt der Schwingungsanteil cpvib∼ T
3
zur spezifischen Wärme, während bei tiefen Temperaturen (T
→ 0) der elektronische Anteil cpe∼ T dominiert. Der Beitrag der λ-Übergänge besteht
hauptsächlich aus magnetischen oder atomaren Ordnungs-Unordnungsbeiträgen
cpmag und cpord und tritt lediglich in der Nähe der magnetischen bzw. strukturellen
Phasenübergangstemperaturen in Erscheinung. Der verbleibende Überschussanteil
cpxs ist in der Regel klein gegenüber den ersten drei Anteilen und entzieht sich einer
exakten Beschreibung.
Die Auswertung experimenteller Werte der spezifischen Wärme einer Substanz in der Nähe des magnetischen Phasenübergangs im festen und flüssigen Zustand ist für die Klärung der Frage eventueller magnetischer Beiträge zur Keimbildung von grundlegender Bedeutung. Es existiert bislang keine exakte mathematische
Beschreibung des magnetischen Anteils der spezifischen Wärme, jedoch wurden
aufgrund experimenteller Daten empirische Näherungen entwickelt [In76], [In81] und
umfangreiche numerische Analysen durchgeführt [Hi78], [Su85], [Chu85], [Er90],
[Da90]. Dabei bestimmt sich der magnetische Gesamtbeitrag der Entropie ∆Smag direkt aus dem magnetischen Anteil der spezifischen Wärme cpmag:
∆S
mag
∞
=∫
0
c pmag
T
dT = NAkB ln(<µ>+1),
(3.8)
mit der mittleren Anzahl magnetischer Momente <µ> in Einheiten Bohrscher Magnetonen. Am Phasenübergang zeigt der magnetische Beitrag zur spezifischen Wärme
einen sprunghaften Verlauf, der wie in Abbildung 3.2 gezeigt, einen λ–förmigen Anstieg in Abhängigkeit der Temperatur aufweist und deshalb auch als λ–Übergang
bezeichnet wird.
26
3 Unterkühlte Metallschmelzen
Abb. 3.2:
Magnetische spezifische Wärme von kristallinem fcc-Cobalt in linearer (links) und
logarithmischer Darstellung (rechts). Experimentelle Werte sind gepunktet [Br64],
durchgezogene Linien stellen Berechnungen dar [Hi78]
Unter der Annahme, dass in der Umgebung eines magnetischen Phasenübergangs
lediglich magnetische Beiträge die Differenz der spezifischen Wärme ∆cp zwischen
flüssiger und fester Phase bestimmen
cpmag= ∆cp = cpL - cpS,
folgt:
∆S
mag
∞
=∫
0
∆c p
T
dT
(3.9)
(3.10)
Über diese Folgerung ließe sich anhand experimenteller Daten der spezifischen
Wärme im kristallinen als auch im flüssigen, tief unterkühlten Zustand [Wi97] der Entropiebeitrag zur magnetischen Ordnung abschätzen und im Hinblick auf Beiträge zur
Keimbildung diskutieren. Allerdings ist für Temperaturen T < TC die experimentelle
Bestimmung der spezifischen Wärme einer unterkühlten Flüssigkeit cpL bislang nicht
gelungen und erlaubt somit lediglich eine Diskussion für T > TC.
27
3 Unterkühlte Metallschmelzen
3.3 Homogene Keimbildung
Das Auftreten der Unterkühlbarkeit von Schmelzen bis weit unter ihre Gleichgewichtsschmelztemperaturen kann allein durch makroskopische Aspekte der Thermodynamik nicht erklärt werden. Zum Verständnis der Vorgänge beim Erstarren ist es
notwendig, das Verhalten der Atome beim Übergang vom flüssigen in den festen Zustand auf mikroskopischer Ebene zu betrachten. Dabei wird unterschieden zwischen
der primären Keimbildung und dem anschließenden Kristallwachstum.
Erste Arbeiten zur klassischen Keimbildungstheorie stammen von Volmer und
Weber aus dem Jahr 1926 und beziehen sich auf die Kondensation von Tröpfchen
aus einer übersättigten Dampfphase [Vo26]. Diese wurden von Becker und Döring
erweitert [Be35] und von Turnbull und Fisher auf den fest-flüssig Phasenübergang
angewandt [Tu49]. Man unterscheidet prinzipiell zwischen homogener Keimbildung
einer einphasigen Substanz und der in der überwiegenden Anzahl der Experimente
auftretenden heterogenen Keimbildung mit Beteiligung von Fremdphasen wie z.B.
Tiegelwände, Oxide oder Verunreinigungen.
Die homogene Keimbildung stellt einen intrinsischen Prozeß dar, an dem nur
Keim und Schmelze teilnehmen. Durch strukturelle Fluktuationen werden in der flüssigen Phase ständig lokale Atomansammlungen verschiedener Größen, sogenannte
Cluster gebildet. Ist die Umwandlung eines Clusters mit einer Nahordnung, welche
der des Festkörper gleicht, mit einer Abnahme der freien Enthalpie verbunden,
kommt es zur Keimbildung der primär erstarrenden Phase. Die freie Enthalpie ∆G
eines Systems mit einem kugelförmigen Cluster setzt sich zusammen aus einem Volumenanteil
L
S
∆gV = G − G ,
Vmol
(3.11)
welcher die Verringerung der Enthalpie des Systems durch die Kristallisation beschreibt und einem Oberflächenanteil ∆gA(σ), der die Grenzflächenenergie σ zwischen Cluster und Schmelze berücksichtigt. Für einen kugelförmigen Cluster mit Radius r gilt:
∆G =
28
4
π r ³ ∆GV + 4 π r ² σ .
3
(3.12)
3 Unterkühlte Metallschmelzen
∆gA ∝ σ
∆gV ∝
G −G
L
S
= ∆G V
V
mol
r
Kristall
Schmelze
Abb. 3.3:
Sphärischer Keim mit Radius r in unterkühlter Schmelze;
∆gA freier Enthalpiebeitrag der Grenzfläche, ∆gV freier Enthalpiebeitrag des Volumens
Aus der Extremalbedingung
d ( ∆G )
= 0 ergibt sich ein kritischer Radius zur Bildung
dr
eines wachstumsfähigen Keims:
r* = −
2σ
.
∆GV
(3.13)
Cluster mit einem Radius r < r* sind instabil, da das Anlagern von Atomen an den
Keim einen größeren Aufwand an Grenzflächenenergie erfordert als durch die
Kristallisation des zusätzlichen Volumenanteils freigesetzt wird, während für r > r*
das Wachsen des Keims energetisch begünstigt wird. Die Aktivierungsenergie ∆G*,
die zur Bildung eines wachstumsfähigen Keims mit Radius r* erforderlich ist,
berechnet sich daraus zu
3
∆G∗ = 16 π σ 2 .
3
∆GV
(3.14)
Die Differenz der freien Enthalpien ∆GV von fester und flüssiger Phase kann in Abhängigkeit der Unterkühlung anhand des Modells von Dubey und Ramachandrarao
abgeschätzt werden [Ra87]:
∆GV = ∆Sf ∆T - ∆c p
∆T 2 
∆T 
1 −
.
2T  6T 
(3.15)
29
3 Unterkühlte Metallschmelzen
∆G
4π r ²· σ
Embryo
(Cluster)
Keim
∆G*
r
rr **
r0
4/3π r ³·∆ G V
Abb. 3.4:
Radiusabhängigkeit der freien Energie ∆G eines sphärischen Clusters bei einer Temperatur T < TL in der unterkühlten Schmelze (durchgezogene Linie). ∆G setzt sich zusammen aus einem Anteil proportional zur Grenzflächenenergie σ und einem Volumenanteil proportional der Differenz der freien Enthalpie ∆GV (gestrichelte Linien).
∆G* ist die Aktivierungsschwelle zur Bildung eines Keimes mit dem kritischen Radius
r*. Für Keimradien r > r* verringert der Cluster seine freie Energie durch weiteres
Wachstum, und für r > r0 werden die wachstumsfähigen Keime stabil.
In einem System mit NL Atomen stellt sich bei langsamer Prozessführung (T ~ const.)
ein quasistationäres Gleichgewicht der Clusterverteilung ein. Vollmer und Weber beschreiben die Zahl Nn der Cluster mit n Atomen dabei durch die Boltzmann-Statistik:
−
Nn = NL e
∆ G(n)
k BT
(3.16)
mit ∆G(n), der Enthalpieänderung während der Bildung eines Clusters der Größe n
und kB der Boltzmann-Konstante [Vo26]. Allerdings führt dieser Ansatz zu einem
physikalischen Widerspruch: Die Differenz der freien Enthalpie von fester und flüssiger Phase nimmt für große Radien r > r* wieder ab bzw. wird für r = r0 negativ und
die Gesamtzahl der Cluster Nn übersteigt nach Gleichung 3.16 die Zahl n der Atome
im System. Die Verteilungsfunktion muss bei r = r* abbrechen, womit physikalisch
30
3 Unterkühlte Metallschmelzen
betrachtet alle Cluster überkritischer Größe dem System entnommen und die fehlenden Atome durch neue ersetzt werden.
Nimmt man weiterhin an, dass es sich bei der Anlagerung eines Atoms aus
der flüssigen Phase an den Cluster um einen diffusionskontrollierten Prozess handelt
(Diffusion im Sinne von reinen Platzwechselvorgängen), bei dem die Kinetik der
Keimbildung durch die ständige Bildung und den Zerfall von Clustern charakterisiert
ist, lässt sich für die Keimbildungsrate im stationären Zustand folgender Ausdruck
herleiten:
ISShom =
NL D ΓZ
⋅e
a02
−
∆G ∗
kBT
.
(3.16)
a0 entspricht dabei einem inneratomaren Abstand, und der als Zeldovich-Faktor bezeichnete Ausdruck ΓZ = (∆G* /3π kB T)1/2 berücksichtigt in der Verteilungsfunktion,
dass auch wachstumsfähige Keime (Cluster mit r > r* ) wieder zerfallen können. Der
Diffusionskoeffizient D kann für Flüssigkeiten über die Einstein-Stokes-Beziehung
D=
kB T
3 π η (T ) a0
(3.17)
mit der Viskosität η verknüpft werden [Co59], deren Temperaturabhängigkeit sich
oberhalb der Glasübergangstemperatur TG durch die empirische Vogel-FulcherTammann-Gleichung beschreiben lässt [Tu69]:
η (T) = η0 e
A
T -T0
,
(3.18)
mit der Kauzmanntemperatur T0, sowie η0 und A als freien Parametern. Zwischen
Schmelztemperatur TL und Glasübergangstemperatur TG nimmt die Viskosität um
etwa 15 Größenordnungen zu und hat somit bei großen Unterkühlungen einen entscheidenden Einfluss auf die Keimbildungsrate ISShom.
Bei geringeren Unterkühlungen bestimmt dagegen die Aktivierungsenergie
∆G*, welche vom Quadrat der freien Enthalpiedifferenz ∆GV(T) und in dritter Potenz
31
3 Unterkühlte Metallschmelzen
von der Grenzflächenenergie σ(T) zwischen fester und flüssiger Phase abhängt das
Keimbildungsverhalten (siehe Gleichung 3.14). Die Grenzflächenenergie σ(T) lässt
sich experimentell allerdings nur ungenügend bestimmen. In der Modellvorstellung
geht man davon aus, dass sich die Grenzflächenenergie aus einem enthalpischen
und einem entropischen Anteil zusammensetzt: σ = σH + σS. Der enthalpische Beitrag σH berücksichtigt, dass Grenzflächenatome aufgrund nicht abgesättigter Bindungen eine höhere freie Enthalpie besitzen als Atome, die im Kristall allseits gebunden
sind. Der entropische Anteil σS beschreibt hingegen die Entropieabnahme durch die
Anlagerung von Atomen aus der Schmelze an die Grenzfläche des Clusters.
Das strukturabhängige Modell von Spaepen und Thompson et al. [Spa75],
[Tho79], [Ne89] basiert auf der Annahme nicht wechselwirkender harter Kugeln, wobei die entstehende Grenzschicht zwischen fester und flüssiger Phase so gewählt
wird, dass eine tetraedrische Nahordnung bevorzugt, eine oktaedrische Nahordnung
hingegen verboten ist. Dies führt zu einer maximalen Dichte innerhalb der Grenzschicht und einem geringen Defizit der Dichte an der Phasengrenze. Da die Enthalpie eines Systems in erster Näherung maßgeblich von seiner Dichte bestimmt wird,
kann der enthalpische Beitrag σH somit vernachlässigt werden. In diesem negentro-
pischen Modell beschreibt der entropische Anteil die Grenzflächenenergie:
σ=α ⋅
∆S(T) ⋅ T
2
( N A ⋅ Vmol
1
) 3
.
(3.19)
∆S(T) stellt dabei die temperaturabhängige Entropiedifferenz zwischen Schmelze
und Festkörper, Vmol das Molvolumen des Festkörpers und NA die Avogadrosche
Konstante dar. Die Strukturabhängigkeit der Grenzflächenenergie wird durch den
dimensionslosen Faktor α beschrieben, der die Struktur des sich bildenden Kristalls
berücksichtigt: α = 0,71 für kubisch raumzentrierte Strukturen (bcc) [Tho79] oder α =
0,86 für kubisch flächenzentrierte (fcc) sowie hexagonal dichteste Strukturen (hcp)
[Spa76].
32
3 Unterkühlte Metallschmelzen
3.4 Heterogene Keimbildung
Die heterogene Keimbildung stellt einen extrinsischen Prozess dar und kann durch
geeignete Experimentierbedingungen beeinflusst werden. Der Keimbildungsprozess
wird hierbei durch Fremdphasen wie z.B. Verunreinigungen in der Probe, hochschmelzende Metalloxide auf der Probenoberfläche oder durch Kontakt mit Tiegelwänden begünstigt. In der Praxis lässt sich der Einfluss von Fremdphasen auf den
Kristallisationsprozess nicht vernachlässigen, so dass der Kristallisationsprozess in
der Regel einsetzt, bevor es zur homogenen Keimbildung kommt. Durch den Kontakt
des Keims mit einem Substrat wird die Aktivierungsenergie ∆G* zur Bildung eines
kritischen Keimes herabgesetzt.
Betrachtet man wie in Abbildung 3.5 dargestellt einen kalottenförmigen Keim
[Volm29], so stabilisiert sich dieser durch das Gleichgewicht zwischen den Grenzflächenspannungen aller beteiligten Phasen: Schmelze (l), Keim (s) und Substrat (w).
Der Benetzungswinkel θ zwischen Keim und Substrat leitet sich dabei aus den
Grenzflächenspannungen aller beteiligten Phasen her:
σ l,w = σ s,w + σ l,s cos (θ).
(3.20)
Das Volumen des kritischen Keims wird dabei in Abhängigkeit von θ verkleinert. Die
Volumenreduktion bestimmt den katalytischen Faktor f(θ):
f ( θ) =
1
( 2 − 3 cos θ + cos 3 θ ) ,
4
(3.21)
mit 0 ≤ f (θ ) ≤ 1 für 0° ≤ θ ≤ 180° . Die Aktivierungsschwelle ∆G* für homogene Keim-
bildung wird in diesem Fall um den katalytischen Faktor f(θ) herabgesetzt:
∗
∆Ghet
= f ( θ ) ⋅ ∆G ∗
(3.22)
33
3 Unterkühlte Metallschmelzen
(l)
Schmelze (l)
Keim (s)
σl,s
f(θ) = 1
Nichtbenetzung
(w)
θ
r
σw,s
σl,w
Substrat (w)
Abb. 3.5:
(w)
(l)
f(θ) = 0
vollständige
Benetzung
Heterogener Keim (s) vom Radius r auf einem kristallinen Substrat (w) an der Grenze
zu einer unterkühlten Schmelze (l). θ ist der Benetzungswinkel zwischen Substrat,
Keim und Schmelze am Rand der gemeinsamen Grenzflächen. Je kleiner der Winkel
θ, desto besser die Benetzung; θ = 180° bedeutet Nichtbenetzung, θ = 0° entspricht
vollständiger Benetzung.
Überträgt man diesen Sachverhalt nun auf die Keimbildungsrate, die bereits bei der
homogenen Kristallisation angegeben wurde, so ist zu beachten, dass im heterogenen Fall nur solche Atome an der Keimbildung beteiligt sind, die sich an der Grenzfläche von Fremdphase und Schmelze befinden. Die Zahl Nn der Atome ist daher um
einen Faktor ζ < 1 geringer als die Gesamtzahl NL aller Atome der Schmelze: Nn =
ζNL. Damit ergibt sich die heterogene Keimbildungsrate:
−
het
ISS
=
∗
∆Ghet
k T
k B T Nn Γ Z
k T ζ NL Γ Z
B
e
⋅
= B
⋅e
3
3π η(T) a0
3π η(T) a03
− f( θ
)⋅
∆G ∗
k T
B
⋅
.
(3.23)
Der katalytische Faktor f(θ) ist von der Art der Prozessführung sowie dem jeweiligen
Probensystem abhängig und nimmt Werte zwischen 0 und 1 an (0° < θ <180°). Für
den Grenzfall homogener Keimbildung gilt θ = 180° (∆G*het = ∆G*) und somit liegt
Nichtbenetzung des Substrats vor. Die Fremdphase hat keine katalytische Wirkung.
Für θ = 0° hingegen herrscht vollständige Benetzung, und es wird keine Aktivierungsenergie zur Bildung eines kritischen Keims benötigt. Der Kristall wächst epitaktisch auf dem Substrat auf.
34
Kapitel 4
Experimentelle Methoden
4.1 Elektromagnetische Levitation
Eine berührungslose Prozessiertechnik metallischer Schmelzen stellt die elektromagnetische Levitation dar. Dabei wird heterogene Keimbildung durch den Kontakt
mit Tiegelmaterialien vermieden und der flüssige Zustand lässt sich selbst bei Temperaturen weit unterhalb der Schmelztemperatur aufrecht erhalten, siehe z.B. [He91].
Dieses bereits 1952 von Okress et al. beschriebene Levitationsverfahren ist allerdings auf elektrisch leitende Materialien beschränkt [Ok52].
Bei der elektromagnetischen Levitation prozessiert man die Probe in einer mit
hochfrequentem Wechselstrom durchflossenen Spule. Das innerhalb der Spule befindliche Wechselfeld induziert in elektrisch leitenden Materialien Wirbelströme und
somit ein elektrisches Dipolmoment, welches gemäß der Lenzschen Regel dem äußeren Feld entgegengesetzt gerichtet ist [He84]. Bei einem ausreichend großen
Strom wird die Gewichtskraft der Probe durch die auftretende Levitationskraft kompensiert. Durch eine geeignete Spulengeometrie ist die Probe im Innern der Spule
frei schwebend (siehe Abbildung 4.1) und für diagnostische Methoden wie z. B. Synchrotronstrahlung frei zugänglich.
Die von den induzierten Strömen übertragene elektrische Leistung, heizt die
levitierende Probe aufgrund deren spezifischen elektrischen Widerstands auf. Heizleistung und Levitationskraft sind miteinander gekoppelt, so dass die heiße Schmelze
durch forcierte Konvektion hochreiner Kühlgase abgekühlt wird.
4 Experimentelle Methoden
Abb. 4.1:
Skizze der Vakuumapparatur zur elektromagnetischen Levitation flüssiger Metallschmelzen. Vergrößert dargestellt die Aufnahme einer Levitationsspule mit schwebender Schmelze.
In Abbildung 4.2 wird das Temperatur-Zeit-Profil einer mittels elektromagnetischer
Levitationstechnik prozessierten Probe skizziert. Beim Aufheizen beginnt die Probe
bei der Solidustemperatur TS zu schmelzen und ist nach Überschreiten der Liquidustemperatur TL vollständig flüssig. Beim Abkühlen der flüssigen Probe (typische
Kühlrate 30 K/s), kann die Schmelze bis zu Temperaturen weit unter den Schmelzpunkt TL flüssig bleiben, wenn frühzeitige heterogene Keimbildung vermieden wird.
Setzt schließlich bei der Nukleationstemperatur TN die Erstarrung ein, so kristallisiert
ein Teil der Probe rasch, und die dabei freigesetzte Schmelzwärme heizt die Probe
auf Temperaturen nahe der Schmelztemperatur auf (Rekaleszenz). In der nachfolgenden Plateauzeit tpl kristallisiert die verbleibende Restschmelze unter Gleichgewichtsbedingungen.
36
4 Experimentelle Methoden
Abb. 4.2:
Temperatur-Zeit-Profil einer elektromagnetisch levitierten Probe. Die Temperaturmessung erfolgt mittels Pyrometrie. Die Probe wird zunächst aufgeheizt, durchläuft den
Schmelzbereich TS < T < TL und erstarrt teilweise unter Nichtgleichgewichtsbedingungen aus dem unterkühlten Zustand. Während der Plateauzeit tpl erstarrt die Restschmelze unter Gleichgewichtsbedingungen.
4.2 Differenz-Themoanalyse
Bei der experimentellen Bestimmung von Phasendiagrammen wird häufig die Differenz-Thermoanalyse (DTA) zur genauen Messung von Umwandlungstemperaturen
eingesetzt. Dabei befindet sich die zu untersuchende Probe innerhalb eines inerten
Tiegels gemeinsam mit einem meist leeren Referenztiegel in einem homogenen
Temperaturfeld. Durch zwei gegeneinander geschaltete Thermoelemente, welche
sich unmittelbar unterhalb der Tiegel befinden, wird die beim Aufheizen und Abkühlen auftretende Temperaturdifferenz zwischen den Tiegeln in Abhängigkeit der Absoluttemperatur als Thermospannung gemessen. Findet in der Probe eine Phasenumwandlung statt, so wird Schmelzwärme frei (exotherme Umwandlung) bzw. absorbiert
(endotherme
Umwandlung),
Referenztemperatur
erhöht
wodurch
bzw.
die
Probentemperatur
abgesenkt
wird.
Die
gegenüber
der
Auftragung
der
Differenztemperatur zwischen Probe und Referenz gegen die Referenztemperatur
liefert das DTA-Signal [Hem89].
Die im Rahmen dieser Arbeit eingesetzte DTA-Anlage (Netzsch DTA 404S)
lässt sich in einem Temperaturbereich von Raumtemperatur bis 1850 K einsetzen,
37
4 Experimentelle Methoden
wobei Heiz- bzw. Kühlraten von 2 bis 20 K/min verwendet wurden. Schmelztemperaturkalibrationen an den reinen Metallen Al, Ag, Au, Cu, Ni [Hu73] ergaben eine Genauigkeit der mittels Pt-Rh10/Pt Thermoelementen (Typ S) gemessenen Temperaturen von ± 1,5 K.
Probentiegel
Referenztiegel
Ofenregler
Ofentemperatur
Ofen
Temperaturdifferenz
Abb. 4.3:
38
Prinzipskizze einer Differenz-Themoanalyse (DTA)
4 Experimentelle Methoden
4.3 Faraday-Waage
Zur Messung magnetischer Eigenschaften hochschmelzender Materialien wurde im
Rahmen dieser Arbeit eine Faraday-Waage aufgebaut. Dabei wird die Messung der
magnetischen Suszeptibilität nach dem Faraday-Prinzip mit Hilfe einer elektronischen
Mikrowaage durchgeführt [Re01]. Die wesentlichen Bestandteile der Apparatur werden im folgenden beschrieben. Den prinzipiellen Aufbau zeigt Abbildung 4.4.
4.3.1 Messprinzip
Eine Möglichkeit zur Messung der Magnetisierung einer Probe ergibt sich aus der
Messung der Kraft, die ein magnetischer Dipol in einem homogenen Magnetfeld erfährt (Faraday-Methode). Die Kraft F auf ein magnetisches Moment µ im homogenen
Magnetfeld H ist gegeben durch
F = grad (µH).
(4.1)
Für den Fall einer homogen magnetisierten Probe mit Magnetisierung M reduziert
sich Gleichung 4.1 zu
F = (M grad) H.
(4.2)
Bei dem gewählten Aufbau setzt sich das Magnetfeld H aus einem starken homogenen Magnetfeld H0 = H0·ex und einem rotationssymmetrischen Gradientenfeld
dHz /dx = dHx /dz zusammen:
 H0 + H x 

0
 , mit H0 » Hx , Hz.

 H
z


H = 
(4.3)
Dadurch ergibt sich mit M = µ0 ·V·χ ·H0 die magnetische Kraft in Messrichtung z:
Fz = µ0·m·χm·H0·dHx /dz ,
(4.4)
wobei µ0 die magnetische Feldkonstante, m die Masse und χm die magnetische Massensuszeptibilität der Probe ist. Die horizontale Kraftkomponente Fx führt bei gerin39
4 Experimentelle Methoden
gem Feldgradient dHz/dx nur zu einer geringen Auslenkung φ des Tiegels aus dem
Lot heraus (φ « 1) und kann anhand der Abschätzung sinφ = φ als magnetische Kraftkomponente vernachlässigt werden.
χ ist bei konstantem Feldprodukt H0·dHx/dz proportional zur gemessenen Kraft
und lässt sich in absoluten Einheiten bestimmen.
z
Mikrowaage
y
x
Magnetschwebekupplung
Pumpstand
Gradientenspule
Graphitrohr
Polschuh
Polschuh
Kontroll- &
Steuereinheit
Tiegel
Pumpstand
Probe
Thermoelement
Abb. 4.4:
Glasflussmittel
Prinzipieller Aufbau der Messapparatur, bestehend aus Mikrowaage, Elektromagnet,
Gradientenspulen, Magnetschwebekupplung, Ofen und PC-Steuereinheit. Vergrößert
dargestellt der Probentiegel mit in Glasflussmittel eingebetteter Probe (näheres siehe
Kapitel 4.5), welche durch das externe homogene Magnetfeld H0 eine homogene
Magnetisierung M = χ⋅H0 erhält.
4.3.2 Magnetfeld und Feldgradient
Das homogene Magnetfeld H0 wird durch einen Elektromagneten der Firma Bruker
Typ B-MN 155/45 mit konischen, im Abstand kontinuierlich verstellbaren Polschuhen
erzeugt. Um den Einbau der benötigten Gradientenspulen und des Ofens zu ermöglichen, wurde der Polschuhabstand auf 56 mm bei einer maximalen magnetischen
Induktion Bmax = 1,288 T (entspricht bei µr = 1 einem magnetischen Feld Hmax = 1025
kA/m) am Ort der Probe eingestellt. Die Homogenität des Feldes über einem Volumen von 1 cm³ ist, wie in Abbildung 4.5 dargestellt, höher als 10-4 und auch die
40
4 Experimentelle Methoden
Langzeitstabilität des Feldes, gemessen über mehrere Stunden, ist besser als 10-4.
Die Feldstärke wird mit einem Gaussmeter der Firma Lakeshore Model 450 und einer
hochsensitiven Hallsonde Typ MMT mit einer Auflösung von ± 10 µT bestimmt. Abbildung 4.6 stellt die Messwerte der magnetischen Induktion B0 zwischen den Polschuhen des Elektromagneten, in einem Volumen V(x,y,z) = 40 · 40 · 32 mm³ dar.
Bei einer Stromstärke I = 36,0000 A des Elektromagneten ergibt sich eine mittlere
magnetische Induktion B0 = (1,03035 ± 0,0006) T, welche in den Versuchen am häufigsten benutzt wurde. Die entsprechende Magnetfeldstärke beträgt H0 = (820 ± 0,5)
kA/m.
Magnetische Induktion B0
[T]
1,1
∆z = 32 mm
1,0
0,9-20
20
10
-10
x [m
Abb. 4.5:
0
0
m]
-10
10
20
-20
]
mm
[
y
Magnetische Induktion B0 des Elektromagneten Bruker B-MN 155/45 zwischen den
Polschuhen, gemessen mit dem Gaussmeter Lakeshore Modell 450 innerhalb eines
Volumens V(x,y,z) = 40 x 40 x 32 mm³ ohne zusätzlichen Feldgradienten. Bei einer
Stromstärke von I = 36,0000 A ergibt sich aus den Messwerten eine mittlere magnetische Induktion B0 = (1,03035 ± 6⋅10-4 )T und somit bei µr = 1 ein mittleres magnetische Feld H0 = (820 ± 0,5) kA/m.
Eine Korrektur des äußeren Feldes H0 tritt durch das Entmagnetisierungsfeld auf
[Ge92]: Wirkt ein äußeres Feld H0 auf eine Probe, so entsteht im Innern eine Magnetisierung, die an der Oberfläche freie Pole hervorruft. Diese erzeugen ihrerseits ein
41
4 Experimentelle Methoden
Feld, das im Innern des Materials der Magnetisierung entgegengerichtet ist. Es entsteht ein inneres Feld H int, welches sich aus der Differenz des äußeren Feldes und
dem selbsterzeugten entmagnetisierenden Feld berechnet [Ber81]:
H
int
r
Nˆ M
= H0 −
⋅ ,
µ0 V
(4.5)
wobei N̂ den Entmagnetisierungstensor, H0 das äußere Feld und M/V das magneti-
sche Moment pro Volumen darstellt. Die Suszeptibilität χ wird nun durch das innere
Feld definiert, da dieses das im Innern wirkende Feld darstellt. Unter der Annahme,
dass χ̂ ein symmetrischer Tensor ist, folgt
H0 = (1 + Nˆ ⋅ χ̂ )⋅H int
(4.6)
Fallen die Achsen des Ellipsoids mit den Hauptsuszeptibilitätsachsen zusammen, so
vereinfacht sich diese Gleichung für die drei Achsenrichtungen n = 1, 2, 3:
H0,n = (1 + Nn⋅ χn)⋅Hnint ,
(4.7)
mit N1 + N2 + N3 = 1. Für den Spezialfall einer kugelförmigen Probe gilt N1 = N2 = N3
= ⅓ und das innere Feld wird bestimmt durch
Hint =
H0
.
1+ 31 χ
(4.8)
Für die im Rahmen dieser Arbeit am häufigsten verwendete Feldstärke H0 = (820 ±
0,5) kA/m muss also bei einer kugelförmigen Probe die Korrektur des entmagnetisierenden Feldes beachtet werden. Die magnetische Suszeptibilität von kristallinem Kobalt oberhalb der Curie-Temperatur beträgt bei T = 1673 K etwa χ = 7,8 ⋅ 10-3 [Sm83],
woraus sich ein Korrekturfaktor
k=
42
1
1 + 31 χ
= 0,9974
(4.9)
4 Experimentelle Methoden
ergibt. Das innere Feld ist demnach bei den betrachteten Parametern geringfügig um
0,26% gegenüber dem äußeren Magnetfeld abgeschwächt.
Zum unabhängigen Einstellen des Feldgradienten dHx/dz vom Hauptfeld H0
wird ein zusätzliches Feld durch auf die Polschuhe aufgesetzte Gradientenspulen
erzeugt. Dieses Feld muss klein gegenüber dem Hauptfeld H0 und der Gradient über
das Probenvolumen konstant sein, damit auch das Feldprodukt H0·dHx/dz konstant
ist. Damit ist die gemessene Kraft gemäß Gleichung 4.4 proportional zur magnetischen Suszeptibilität der Probe. Eine geeignete Spulengeometrie wurde von Weiß
[We86] beschrieben und besteht aus vier halbzylindrischen Spulen, die entsprechend
Abbildung 4.6 angeordnet sind. Daraus ergibt sich dann der skizzierte Feldverlauf,
welcher die gestellten Anforderungen im Bereich der Probe erfüllt.
(a)
(b)
z
z
y
y
x
Hz(x)
Abb. 4.6:
(a) Anordnung der Gradientenspulen
(b) skizzierter Feldlinienverlauf
Durch die Gradientenspulen wird ein Gleichstrom geschickt, wodurch innerhalb des
vorgegebenen Polschuhabstands ein Feldgradient entsteht. Der erforderliche Strom
wird von einem Gleichstromnetzgerät der Firma HewlettPackard Typ E3634A mit einer Auflösung von ± 0,5 mA geliefert. Der im Vergleich mit anderen Methoden zur
Erzeugung von Feldgradienten geringe Wert von weniger als 300 kA/m² bietet den
Vorteil, dass der Gradient ohne eine größere Störung des Probensystems umgepolt
werden kann. Dadurch können konstante Kräfte (hervorgerufen durch Auftriebskräfte
aufgrund der Restgasatmosphäre oder Feldinhomogenitäten) sowie verglichen mit
der jeweiligen Messfrequenz langsam driftende Größen (beispielsweise Änderungen
43
4 Experimentelle Methoden
der Auftriebskraft), die sich als systematische Fehler auf die Untersuchung auswirken, durch Differenzbildung der Messungen in ± z-Richtung beseitigt werden.
Aus den in Abbildung 4.7 dargestellten Messdaten der magnetischen Induktion
B(x,y,z) lässt sich sowohl die Rotationssymmetrie des Gradientenfeldes um die yAchse (dBx/dz = dBz/dx) als auch die Invarianz dBx/dy = dBz/dy = 0 ablesen. Die Probe befindet sich bei exakter Justierung im Ursprung des gewählten Koordinatensystems, wo der Beitrag des magnetischen Feldes Hx = Hz = 0 verschwindet, und der
Feldgradient
r
r
∇B
∇ H=
(4.10)
µr µ0
maximal ist. Es ergibt sich bei einer gewählten Stromstärke von I = 1,000 A aus den
ermittelten Daten der Gradient der magnetischen Induktion dBx /dz = (0,345 ± 0,007)
T/m, woraus gemäß Gleichung 4.10 bei einer relativen Permeabilität µr = 1 der Gradient des Magnetfeldes dHx /dz = (275 ± 5) kA/m² folgt.
(b)
øProbe = 6 mm
100
Magnetische Induktion Bz
[ 10 -4 T ]
100
50
-4
[10 T ]
Magnetische Induktion Bx
(a)
0
-50
50
0
-50
30
-100
-30
-100
-15
-15
-10
-5
0
z [mm]
Abb. 4.7:
15
5
10
15
0
0
x [mm]
-15
15
30
y [mm]
-30
Magnetische Induktion B(x,y,z) zwischen den Gradientenspulen im näheren Bereich
der Probe bei einer Stromstärke von I = 1,000 A. Zur besseren Übersicht ist die Probe
jeweils im Koordinatenursprung (0,0,0) dimensionsgetreu skizziert. Es ergibt sich dabei
(a) ein vertikaler Feldgradient in z-Richtung dBx /dz = (0,345 ± 0,007) T/m und
(b) ein horizontaler Feldgradient in x-Richtung dBz /dx = (0,349 ± 0,01) T/m.
44
4 Experimentelle Methoden
4.3.3 Kraftmessung
Die Kraftmessung erfolgt durch eine elektronisch ortskompensierte Mikrowaage der
Firma MettlerToledo Typ AT20. Das Auflösungsvermögen der Waage beträgt 2 µg im
empfindlichsten Bereich bei einer maximalen Belastbarkeit von 20 g. Die Waage befindet sich über den Polschuhen des Magneten auf einem x,y,z-Justiertisch gelagert,
der es ermöglicht, die Probe in den Bereich des maximalen und konstanten Feldgradienten zu positionieren. Die Probe befindet sich in einem verschlossenen Tiegel unterhalb der Waage hängend an einem 0,2 mm starken Wolfram-Draht. Die Längenausdehnung des Wolfram-Drahtes aufgrund der thermischen Ausdehnung beträgt bei
einem linearen Ausdehnungskoeffizienten µ = 4,6⋅10-6 K-1 und einer Änderung der
Ofentemperatur von 500 K weniger als 2 mm und führt die Probe bei exakter Justierung nicht aus dem Bereich des konstanten Feldproduktes.
4.3.4 Magnetschwebekupplung
Beim Aufbau der Faraday-Waage wurde eine Magnetschwebekupplung der Firma
Rubotherm Präzisionsmesstechnik integriert, die den Messraum (Probenumgebung)
von der unter normalen atmosphärischen Bedingungen betriebenen Mikrowaage abkoppelt.
Abb. 4.8:
links herkömmlicher Aufbau der Ofeneinheit mit Waage, rechts Konzept mit
Magnetschwebekupplung
45
4 Experimentelle Methoden
Die Messlast befindet sich nicht mehr direkt an der Waage, sondern an einem
Schwebemagneten. Dieser Schwebemagnet besteht aus einer Messlastabkopplung,
einem Sensorkern und einem Permanentmagneten wie in Abbildung 4.9 dargestellt.
Über eine entsprechende PID-Regelung wird dieser Permanentmagnet von einem an
der Waage aufgehängten Elektromagnet in einem frei schwebenden Zustand gehalten und die zu messende Kraft über eine Sensorspule berührungslos auf die sich
außerhalb der Messraumatmosphäre befindende Mikrowaage übertragen. Turbulenzen bzw. konvektive Strömungen zwischen dem heißen Bereich des Ofens und dem
kalten Bereich der Mikrowaage aufgrund der Restgasatmosphäre im Rezipienten
führen in der Regel zu störenden Torsions- und Pendelschwingungen der Aufhängung. Durch die Magnetschwebekupplung gibt es eine Trennung dieser beiden Bereiche, so dass Konvektionsströmungen weitgehend reduziert werden.
Abb. 4.9:
Prinzipskizze einer Magnetschwebewaage
Ein in situ -Tarieren der Waage verhindert den thermischen Drift der Waage. Die
Messlast wird dazu in eine Nullpunktlage abgesetzt, und die Waage misst lediglich
die Masse des Elektromagneten, des Permanentmagneten und der Aufhängung. Die
46
4 Experimentelle Methoden
Messlast ist in dieser Lage von der Waage abgekoppelt. In der Nullpunktlage findet
ein automatisiertes Tarieren des Waage statt.
Weiterhin wird durch die elektronische Regelung der Magnetschwebekupplung
die Position der Probe im Magnetfeld nicht verändert, so dass an jedem Messpunkt
gleiche Umgebungsbedingungen vorliegen. Nähere Details der Magnetschwebetechnik werden von Lösch et al. beschrieben [Lö87],[Lö94].
4.3.5 Ofen
Das Heizen der Probe erfolgt in einem Widerstandsofen und basiert auf einem Konzept der Universität zu Köln [We86], wurde allerdings in entscheidenden Details hinsichtlich Regelungsstabilität, Vakuumtechnik und elektrischer Isolation optimiert. Abb.
4.10 skizziert den Ofenquerschnitt: ein zylindrisches Graphitrohr mit einem Innendurchmesser von Dinnen = 20 mm und einer Wandstärke von 2 mm wird von einem
Gleichstrom bis zu IHeiz = 580 A durchflossen und durch den vorhandenen Spannungsabfall auf einer Länge von l = 225 mm beheizt. Dabei lassen sich Heizraten
von bis zu 1000 K/min und Kühlraten von maximal 150 K/min erzielen, wobei die
Temperatur von einem Pt-PtRh-Thermoelement erfasst wird, welches von unten bis
auf einen Millimeter an den Tiegel heranreicht. Die Thermospannung wird über Ausgleichsleitungen an den Programmregler von Eurotherm Typ 2408 geleitet, welcher
über eine Steuerspannung 0V ≤ USt ≤ 5V das Ofennetzgerät der Firma Hewlett Packard Modell HP 6681A ansteuert. Die Kühlung des Ofens erfolgt über Wasserkühlung in aufgesetzten Kupferhalbschalen (siehe Abbildung 4.10). Achtzehn 0,05 mm
dünne Molybdänblech-Folien reduzieren die Strahlungsverluste nach außen, indem
sie die nach Außen emittierte Strahlung zum Teil reflektieren, wodurch die Temperaturstabilität des Heizrohrs erhöht wird. In der Mitte des insgesamt 270 mm langen
Heizrohres beträgt die Temperaturabweichung auf einer Länge von ± 10 mm bei
konstanter Heizleistung ± 2 K.
47
4 Experimentelle Methoden
Wasserkühlung
Kupferschale
20 mm
Graphit-Rohr
Mo-Strahlenschutzbleche
55 mm
Abb. 4.10:
Schematischer Ofenquerschnitt
Die Konstruktion des Ofens lässt sich bei einem Außendurchmesser von lediglich 55
mm bei einem Temperaturbereich von 300 K < T < 2000 K realisieren, wodurch ein
möglichst kleiner Polschuhabstand für ein größtmögliches, homogenes Magnetfeld
gegeben ist. Durch ein überarbeitetes Konzept der Vakuumdichtungen und der elektrischen Isolation wird das erreichbare Vakuum im Ofen von ca. 10-4 mbar auf bis zu
2·10-6 mbar gesteigert. Der Einbau einer Schiebedurchführung ermöglich nun das
1/10 mm genaue Verschieben des Thermoelements um bis zu 5 cm, wodurch der
Abstand zwischen Tiegelboden und Thermoelementspitze verändert werden kann.
Somit lässt sich zum einen die thermische Ausdehnung des Aufhängungsdrahts experimentell verifizieren, als auch der Versatz zwischen gemessener Temperatur und
wahrer Probentemperatur durch verringern des Abstands minimieren.
4.3.6 Messsteuerung und Datenerfassung
Der Messprozess wird durch den Programmregler EUROTHERM 2408 gesteuert und
die anfallenden Daten wie z.B. Temperatur, Gewicht und Zeit über einen PC von der
durch die Firma Rubotherm entwickelte Software MessPro erfasst. Das Auslesen der
Daten erfolgt bei kontinuierlicher Messung mit einer maximalen Rate von 12
min-1
und ist durch die notwendige Beruhigungszeit der Mikrowaage vorgegeben. Bei diskontinuierlichen Messungen mit Anfahren der Nullpunktslage ist es sinnvoll, eine
48
4 Experimentelle Methoden
niedrigere Abtastung von maximal 6 min-1 vorzunehmen, um Fehlmessungen aufgrund einer sich nicht im Gleichgewicht befindlichen Waage zu vermeiden. Bei Langzeitmessungen mit niedriger Heiz- und/oder Kühlrate wird in gegebenen Zeitabständen eine Kalibrierung der Waage durchgeführt, damit Fehler verursacht durch einen
thermischen Drift vermieden werden.
Eine Fehlerbetrachtung der Messgröße χm aus Gleichung 4.4 erfolgt mittels
Gaußscher Fehlerfortpflanzung aus den Einzelfehlern ∆F/g = ∆m = ± 2 µg, ∆H0 = ±
0,5 kA/m und ∆(gradH) = ± 5 kA/m² :
2
2
2
2
 ∂χ 
 ∂χ 
 ∂χ m 
 ∂χ 
2
 ∆ (gradH )
∆χ m =  m  ∆Fz 2 +  m  ∆m 2 +  m  ∆H0 2 + 
 ∂m 
 ∂ (gradH ) 
 ∂Fz 
 ∂H0 
 ∆F   ∆m   ∆H0   ∆ (gradH ) 
∆χ m
 + 

=  z  + 
 + 
χm
 Fz   m   H0   gradH 
2
⇒
2
2
2
Daraus ergibt sich der relative Fehler der magnetischen Suszeptibilität ∆χ m χ m = ± 2
%, wobei der Messfehler dominiert wird durch den größten relativen Einzelfehler, den
des Gradientenfeldes ∆(gradH).
Die Messgenauigkeit der Temperaturmessung der Faraday-Waage ist aufgrund der indirekten, berührungslosen Messung mittels Thermoelement durch eine
systematische Messunsicherheit auf ca. ± 5 K beschränkt. Die absoluten Temperaturen der Messungen mittels Faraday-Waage müssen aus diesem Grund jeweils mit
parallel durchgeführten DTA-Messungen verglichen werden. Die durch Messungen
der Faraday-Waage mittels linearer Regression ermittelten Curie-Temperaturen besitzen statistisch betrachtet allerdings eine Genauigkeit von bis zu ± 1 K, was die statistische Genauigkeit der abgeleiteten Temperaturen hervorhebt.
49
4 Experimentelle Methoden
4.3.7 Aufbau der Faraday-Waage
Abbildung 4.11 zeigt den experimentellen Aufbau der konstruierten Faraday-Waage
mit
Elektromagnet,
Mikrowaage,
Magnetschwebekupplung
und
19-Zoll-
Einbauschrank mit Regel- und Steuereinheiten. Der Vakuumpumpstand mitsamt
Vorpumpe und Turbomolekularpumpe befindet sich verdeckt hinter dem Elektromagneten.
Mikrowaage
Magnetschwebekupplung
Regelung
und Steuerung
Magnet
Ofen, Thermoelement und Gradientenspulen
Abb. 4.11:
Gesamtübersicht der konstruierten Faraday-Waage inklusive Elektromagnet, Mikrowaage und 19’’-Rack für Regel- und Steuereinheiten.
50
4 Experimentelle Methoden
4.4 Rasterelektronenmikroskopie (REM)
Die prozessierten Proben wurden im Rasterelektronenmikroskop (REM) des Typs
Cambridge Stereoscan 360 auf ihre Mikrostruktur hin untersucht und ihre Legierungszusammensetzung anhand energiedispersiver Röntgenanalyse mittels eines
EDX-Detektors (Energy dispersive X-ray analysis) der Firma Link bestimmt.
Der schematische Aufbau eines REM’s ist in Abbildung 4.12 dargestellt. Das
magnetische Linsensystem dient dazu, den Elektronenstrahl auf die Probe zu fokussieren. Mit einer Ablenkeinheit wird der Elektronenstrahl zeilenweise über die Probe
geführt, das gerasterte Signal von einem Detektor aufgezeichnet und als Funktion
der Strahlposition aufgetragen, wodurch ein gerastertes Abbild der Probe entsteht.
Der auftreffende Elektronenstrahl erzeugt Sekundärelektronen und Röntgenstrahlung, und zusätzlich wird ein Teil der auftreffenden Elektronen zurückgestreut. Die
Sekundärelektronen und Rückstreuelektronen werden von zwei unterschiedlichen
Detektoren registriert und deren Signal elektronisch verstärkt auf einem Bildschirm
dargestellt. Somit wird jeder abgerasterte Punkt auf der Probe vergrößert, und die
Summe aller Bildpunkte ergibt das zweidimensionale Abbild der Probenoberfläche.
Der Sekundärelektronendetektor ist asymmetrisch über der Probe angebracht,
wodurch die registrierte Intensität sensitiv vom Winkel zwischen Detektor und Probenfläche beeinflusst wird. Auf diese Weise lassen sich Oberflächenstrukturen der
Probe mit hoher Auflösung darstellen.
Die Intensität der rückgestreuten Elektronen hängt maßgeblich von der Ordnungszahl der rückstreuenden Atome ab. Dadurch lassen sich mit dem Rückstreudetektor Bereiche unterschiedlicher chemischer Zusammensetzungen auf dem Bildschirm darstellen [Hei70].
51
4 Experimentelle Methoden
Bildröhre
Elektronenkanone
1. Kondensorlinse
Stigmator
Ablenkspulen
(scanning)
Strahlablenkung
2. Kondensorlinse
Signalverstärker
Elektronenkollektor und –detektor
(Szintillationszähler)
Probe
Abb. 4.12:
Sekundärelektronen
Schematische Darstellung eines Rasterelektronenmikroskops nach [Hei70]
Die beim Auftreffen der Elektronen auf die Probe entstehende charakteristische
Röntgenstrahlung dient dazu, über das Moseleysche Gesetz die chemische Zusammensetzung der Probe zu analysieren [Bet90]. Dabei kann zur Bestimmung der nominellen Zusammensetzung sowohl über die gesamte Probenoberfläche, als auch
zur Konzentrationsbestimmung einzelner Phasen selektiv an einzelnen Punkten der
Probenoberfläche gemessen werden.
Für rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen sollten die Proben elektrisch leitfähig sein, um elektrostatische Aufladungen zu vermeiden, die den Elektronenstrahl beeinflussen und zu einer drastischen Verschlechterung der Abbildungsqualität führen können. Außerdem sollte die Probenoberfläche zur Gefügeanalyse
möglichst glatt sein. Die Proben werden dafür zunächst mit einer Diamantfadensäge
zerteilt und mit Hilfe einer Warmeinbettpresse der Firma Struers in eine elektrisch
leitfähige Einbettmasse auf Acrylbasis eingebettet. Anschließend wird die Oberfläche
mit SiC-Schleifpapier plangeschliffen und abschließend mit Diamantschleifmittel einer
Körnigkeit von 1 µm poliert.
Im Verlauf der Arbeit konnte ein Rasterelektronenmikroskop der Firma LEO
Electron Microscopy Ltd vom Typ Leo 1530 VP mit Feldemissionskathode eingesetzt
werden. Dieses REM bietet neben dem herkömmlichen Sekundärelektronen- (SE)
und Rückstreuelektronendetektor (BSE) einen ‚Inlens’-Sekundärelektronendetektor,
der die Sekundärelektronen innerhalb der Strahlfokussierungseinheit aufzeichnet
[Ja96]. Der Inlens-Detektor ermöglicht aufgrund einer Energieselektion der Sekun52
4 Experimentelle Methoden
därelektronen gegenüber dem herkömmlichen SE-Detektor eine höhere Auflösung
der Probenoberfläche. Weiterhin besitzt der EDX-Detektor des Leo 1530 VP im Vergleich zum Cambridge Stereoscan 360 auch die Auflösung leichterer Elemente wie
Sauerstoff oder Kohlenstoff und erlaubt, über die Auswertung der Röntgenlinien die
Zusammensetzung der Probe mit einer Genauigkeit von ± 0,5 at.% zu bestimmen.
4.5 Probenherstellung
Zur Herstellung der Legierungen werden verschieden Reinstmetalle verwendet, deren Reinheit und Herstellerfirmen in Tabelle 4.1 aufgelistet sind.
Tab. 4.1:
Material
Reinheit [%]
Hersteller
Fe
99,995
AlfaAesar/Johnson Matthey
Co
99,998
AlfaAesar/Johnson Matthey
Pd
99,95
ChemPur/Heraeus
Cu
99,999
ChemPur/Heraeus
Au
99,9999
AlfaAesar/Johnson Matthey
Reinheit und Hersteller der Komponenten der in dieser Arbeit untersuchten Legierungen.
Die Ausgangsmaterialien werden zunächst gemäß der benötigten Stöchiometrie abgewogen, in einem Ultraschallbad unter Ethanol gereinigt und in einem Lichtbogenofen
auf
einer
wassergekühlten
Kupferplatte
unter
einer
Argon-
Schutzgasatmosphäre vorlegiert. Anschließend wird durch erneutes Abwiegen der
dabei eventuell auftretende Massenverlust der Proben ermittelt. Im Rahmen dieser
Arbeit finden nur Proben Verwendung, deren Masse sich im Vergleich zur Einwaage
der Ausgangskomponenten um maximal 0,2 at% geändert hat. Im weiteren Verlauf
werden die Proben mitsamt einem keramischen Innentiegel und Duranglas als Einbettmaterial in einen Tantal- bzw. Molybdäntiegel eingefügt. Der keramische Innentiegel ist notwendig, um den Kontakt von metallischer Probe und metallischem Tiegel
zu verhindern, was bei hohen Temperaturen zu einer Legierungsbildung führen kann.
Außentiegel und Tiegeldeckel werden anschließend unter einer Atmosphäre p < 10-4
mbar mit Hilfe eines Elektronenstrahls verschweißt. Damit wird einerseits ein Abdampfen des Probenmaterials und des Glases bei hohen Temperaturen verhindert
53
4 Experimentelle Methoden
und andererseits ein Verschmutzen der Probe durch Unreinheiten der Restgasatmosphäre im Rezipienten vermieden. Ein Schnittbild eines prozessierten Tiegels zeigt
Abbildung 4.13.
Abb. 4.13:
Querschnitt eines Tantal-Tiegels mit Keramik-Innentiegel, Glasflussmittel und Probe.
Durch die Verwendung eines geschlossenen Tiegels bleibt das Kraftsignal der Gewichtskraft FG des Gesamtsystems Probe + Glas + Tiegel konstant und eine Kraftänderung lässt sich auf das von außen angelegte Magnetfeld H und somit auf eine
magnetische Kraft Fmag gemäß Gleichung 4.2 zurückführen. Die Messung der Magnetisierung M der Probe beruht somit auf einer absoluten Kraftmessung.
54
Kapitel 5
Probensysteme
5.1 Reine Übergangsmetalle
Für die 3d-Übergangsmetalle Eisen und Kobalt dient, wie in Kapitel 2.3.2 geschildert, das Bändermodell als geeigneteste Form der Beschreibung elektronischer
Wechselwirkungen, da die ursprünglich scharfen Energieniveaus der Elektronen im
Festkörperverbund aufspalten und zu Bändern verbreitert sind. Während bei Legierungen die chemische Ordnung der Atome einen Einfluss auf die magnetischen Eigenschaften besitzen kann, bieten sich elementare Schmelzen zum grundsätzlichen
Studium der magnetischen Eigenschaften eines Elements an.
5.1.1
Eisen
Eisen dient im Rahmen dieser Arbeit aufgrund seiner zahlreichen Phasenübergange als Referenzsubstanz zur Temperatureichung. Das bei tiefen Temperaturen ferromagnetische α-Eisen durchläuft bei der Curie-Temperatur TC = 1043 K einen
magnetischen Phasenübergang hin zu paramagnetischem Verhalten. Bei der Temperatur Tα→γ = 1184 K ändert sich die Struktur des Festkörpers von kubisch raumzentriertem α-Eisen (krz) zu kubisch flächenzentriertem γ-Eisen (kfz), welche wiederum bei Tγ→δ = 1667 K zu kubisch raumzentriertem δ-Eisen (krz) übergeht. Die
atomare Nahordnung ändert sich dabei jeweils, da bei einer kubisch raumzentrierten Struktur acht nächste Nachbaratome vorhanden sind, während bei kubisch flächenzentrierter Struktur zwölf nächste Nachbaratome auftreten. Die Schmelztemperatur von Eisen beträgt TL = 1809 K. Abbildung 5.1 zeigt Literaturdaten der inversen
Suszeptibilität von reinem Eisen als Funktion der Temperatur von Nakagawa und
Urbain et al. [Na56], [Na57], [Ur67].
TL = 1809 K
5
γ (fcc)
4
-1
-4
Inverse Suzeptibilität χ [10 cgs emu]
5 Systeme
flüssig
3
δ (bcc)
2
1
0
1000
α (bcc)
1200
1400
1600
1800
2000
Temperatur [K]
Abb. 5.1:
Eisen-Suszeptibilitätsdaten von Nakagawa (∆) [Na56], [Na57] und Urbain et al. (●)
[Ur67]
Einen qualitativen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen struktureller Nahordnung und magnetischer Ordnung erkennt man an dem Verlauf der magnetischen
Suszeptibilität von Eisen in Abhängigkeit der Temperatur in Abbildung 5.1. Aus der
Steigung der inversen Suszeptibilität als Funktion der Temperatur lässt sich gemäß
Gleichung 2.25 die Curie-Konstante C der einzelnen Phasen bestimmen. Es ist ersichtlich, dass aus annähernd gleichen Steigungen ähnliche Curie-Konstanten und
magnetische Momente folgen. Die Curie-Konstante der flüssigen Phase ist vergleichbar mit der Curie-Konstanten der kubisch flächenzentrierten γ-Phase, während hingegen die kubisch raumzentrierte α-Phase und die ebenfalls kubisch raumzentrierte δ-Phase eine identische, davon abweichende Curie-Konstante besitzen.
Ein Erstarrungsvorgang von reinem Eisen im Gleichgewicht bei der LiquidusTemperatur TL = 1809 K ist demnach mit einer Änderung der strukturellen Nahordnung verbunden. Diese Strukturänderungen haben auch direkte Auswirkungen auf
die magnetische Ordnung. Das bei Temperaturen T ≥ T α→γ in kubisch flächenzentrierter Struktur vorliegende γ-Eisen ist unmagnetisch, während die kubisch raumzentrierte α−Phase bei Temperaturen unterhalb der Curie-Temperatur T ≤ TC ferromagnetische Ordnung aufweist.
56
5 Systeme
TC
α
T
α→γ
α
T
γ
γ→δ
δ
TL
flüssig
Temperatur
ferroferromagnetisch
magnetisch
Abb. 5.2:
paraparamagnetisch
magnetisch
ununmagnetisch
magnetisch
paraparamagnetisch
magnetisch
Übersicht struktureller und magnetischer Phasenübergänge an reinem Fe
Abbildung 5.2 gibt eine Übersicht der strukturellen und magnetischen Phasenübergänge von reinem Eisen in Abhängigkeit der Temperatur.
5.1.2
Kobalt
Kobalt weist in seiner ε-Phase bis zu einer Temperatur von Tε→α = 695 K eine hexagonale Struktur auf und besitzt ferromagnetische Eigenschaften. Bei Tε→α erfolgt
eine strukturelle Umwandlung hin zu kubisch flächenzentriertem α-Kobalt, welches
bei einer Curie-Temperatur von TC = 1394 K paramagnetisch wird. Sowohl die hexagonale ε- als auch die kubisch flächenzentrierte α-Phase weisen zwölf nächste
Nachbaratome auf. Die Koordinationszahl Z = 12, welche die Anzahl nächster
Nachbarn repräsentiert, bleibt trotz der strukturellen Phasenumwandlung erhalten.
Der Schmelzpunkt von Kobalt wird bei einer Temperatur TL = 1768 K erreicht, wobei die Koordinationszahl der Schmelze und deren Nahordnung anhand von Röntgenbeugungsexperimenten im Rahmen dieser Arbeit ermittelt wird [Ho02]. Der Bezug der Beugungsexperimente zu magnetischer Ordnung wird in Kapitel 6.2.1 näher erläutert.
57
5 Systeme
T
ε
ε→α
TC T C
α
TL
α
flüssig
Temperatur
ferroferromagnetisch
magnetisch
Abb. 5.3:
paraparamagnetisch
magnetisch
Übersicht struktureller und magnetischer Phasenübergänge an reinem Kobalt
5.2 Co-Basis Legierungen
5.2.1
Das Probensystem Co-Pd
Das System Co-Pd weist bei der Legierungszusammensetzung Co82Pd18 die höchste relative Curie-Temperatur TrC = TC / TL = 0,791 aller bekannten binären CoLegierungen aus, was in absoluten Einheiten einer Temperaturdifferenz ∆T = TL –
TC = 340 K entspricht. Weiterhin ist das System vollständig mischbar, so dass ein
Einfluss auf den Magnetismus durch die primäre Erstarrung etwaiger Randphasen,
wie sie, wie bereits geschildert, in eutektischen Systemen auftreten können, ausgeschlossen werden kann [Gl85], [Ka88].
Abb. 5.4:
58
Gleichgewichtsphasendiagramm Co-Pd nach Massalski [Ma90]
5 Systeme
Das Gleichgewichtsphasendiagramm des Legierungssystems nach [Ma90] ist in
Abbildung 5.4 dargestellt. Abbildung 5.5 zeigt einen Ausschnitt des Phasendiagramms Co100-xPdx mit Curie-Temperaturen TC und Nukleationstemperaturen TN,
die unter Verwendung verschiedener Unterkühlungstechniken gemessen wurden.
Die Analyse der Erstarrungstemperaturen im Rahmen des klassischen Keimbildungsmodells für Legierungen mit Kobaltkonzentrationen x < 75 at.% deutet auf
heterogene Keimbildung mit einem einheitlichen katalytischen Faktor f(θ) = 0,34
[He99] hin. Werden die Nukleationstemperaturen unter der Annahme eines konstanten katalytischen Faktors f(θ) berechnet, so skalieren diese herkömmlich über
den gesamten Konzentrationsbereich mit der Liquidustemperatur, wie experimentell
für das vollständig mischbare System Ni-Cu [Ce51],[Wil88] und das eutektische
System Sn-Bi [Pe80] nachgewiesen werden konnte. Für das mischbare System CoPd gilt dies jedoch nur in dem Konzentrationsbereich, in dem die Curie-Temperatur
TC deutlich unterhalb der Nukleationstemperatur TN liegt. Die nach dem Modell der
klassischen
Kristallkeimbildung
berechneten
Nukleationstemperaturen
TNcalc(f(θ)=0.34) liegen in dem Konzentrationsbereich x > 75 at.% Kobalt um etwa
20 K unterhalb den experimentell erzielten Nukleationstemperaturen. Sobald die
Unterkühlungen sich in diesem Konzentrationsbereich der Curie-Temperatur TC annähern, erstarren die Proben und die Kurve der Nukleationstemperaturen TN(x)
schmiegt sich der Kurve der Curie-Temperaturen TC(x) an: TN(x) ≈ TC(x).
59
5 Systeme
TN ≈ TC
Co-Pd
1800
TL
1700
Temperature [K]
1600
TS
1500
1400
1300
TNcalc (f(Θ)=0.28)
1200
1100
TNcalc (f(Θ)=0.34)
TC(s)
1000
50
Abb. 5.5:
55
60
65
70
75
80
85
Co concentration [at%]
: TL
: TS
: TC(s)
: TNlev
: TNflux (borosilicate)
: TNflux (Duran; 1 g)
: TNflux (Duran; 50 µg)
90
95
100
Co-reiche Seite des Phasendiagramms von Co-Pd. Die oberen Kurven entsprechen
Liquidus- (*) und Solidus-Temperaturen (x) gemessen mittels Differentieller Thermoanalyse (DTA) nach [Wi97]. Die untere Linie repräsentiert die Konzentrationsabhängigkeit der Curie-Temperatur der festen Phase (+) und wurde ebenfalls mittels DTA
bestimmt. Offene Quadrate ( ) geben die durch elektromagnetische Levitation gemessenen maximalen Unterkühlungen als Funktion der Konzentration an, während
geschlossene Quadrate (■), Punkte (•) und Rauten (♦) maximale Unterkühlungen
aus Glaseinlagerungsexperimenten darstellen. Die mit der Liquiduslinie skalierenden
Linien entsprechen den im Rahmen der klassischen Keimbildungstheorie vorhergesagten Nukleationstemperaturen für heterogene Keimbildung mit katalytischen Faktoren f(θ) = 0,28 bzw. f(θ) = 0,34 [He99].
Mittels einer modifizierten Faraday-Waage wurde an levitationsprozessierten CoPd-Proben die paramagnetische Suszeptibilität sowohl für die feste als auch für die
flüssige Legierung in relativen Einheiten gemessen und daraus die CurieTemperatur TCL für die flüssige Phase extrapoliert [Res95], welche im gesamten
Konzentrationsbereich 15-35 at.% Pd jeweils um etwa 20 K niedriger liegt als die
Curie-Temperatur TCS der entsprechenden festen Phase [Pl96]. Abbildung 5.6 zeigt
die Temperaturabhängigkeit der Magnetisierung und der inversen Suszeptibilität
von festem und tief unterkühlt flüssigem Co80Pd20.
60
5 Systeme
Abb. 5.6:
Messungen der inversen Suszeptibilität von festem (x) und unterkühltem flüssigen
(•) Co80Pd20 abgeleitet aus Messungen der Magnetisierung (▲) [Res95].
Mit der Technik der Myonen-Spin-Rotation Spektroskopie (µSR) als mikroskopische
Messsonde wurden von Herlach et al. die lokalen magnetischen Felder im paramagnetischen Bereich von Co-Pd-Schmelzen untersucht [Her86]. Dabei deutet sich
sowohl ein Anstieg des Magnetfeldes am Myonen-Ort knapp oberhalb der CurieTemperatur TCL der flüssigen Phase, als auch eine starke Spinfluktuation an. Aus
diesen Daten konnte im Rahmen eines einfachen Modells die Suszeptibilität und
damit auch TCL bestimmt werden. Die gewonnenen Werte stimmen mit denen aus
magnetischen Messungen überein [Her98].
Messungen des elektrischen Widerstands von Co-Pd-Schmelzen während
der NASA Spacelab Mission MSL1 weisen auf eine sich ändernde magnetische
Ordnung im unterkühlten Zustand hin. Der Widerstand von Co-Pd-Schmelzen steigt
im unterkühlten Zustand bei Annäherung an die Curie-Temperatur stark an, was auf
ein vermehrtes Streuen der Leitungselektronen an umklappenden Spins (spin-flip
scattering) zurückgeführt wird [Lo98].
Einen weiteren Hinweis für magnetische Beiträge zur Kristallkeimbildung im
System Co-Pd liefert die statistische Analyse von jeweils 100 Erstarrungsereignissen verschiedener mittels elektromagnetischer Levitationstechnik prozessierter Legierungen von Schenk et al. [Sche00]. Abbildung 5.7 zeigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung Ω(∆T/TL) der erzielten Erstarrungsereignisse als Funktion der relativen
61
5 Systeme
Unterkühlung ∆T/TL. Deutlich zu erkennen ist dabei die abnehmende Halbwertsbreite der Verteilungsfunktion bei zunehmender Annäherung an die relative CurieTemperatur TrC = TC/TL mit zunehmender Kobaltkonzentration.
Der klassischen Keimbildungstheorie nach Turnbull [Tu69] folgend, ergibt
sich für die Keimbildungsrate gemäß Gleichung 3.22:

∆G* 
ISS = KV ⋅ exp− f (θ ) ⋅
,
k
T
B


(5.5)
mit KV, dem Vorfaktor der Verteilungsfunktion, welcher proportional zu Nn, der Anzahl wachstumsfähiger Keime in der unterkühlten Schmelze ist. Aus dem Verlauf
der Verteilungsfunktion Ω(∆T/TL) lässt sich der Vorfaktor KV bestimmen und gegen
die Konzentration gemäß Abbildung 5.8 auftragen. Es leitet sich ein sprunghafter
Anstieg des Vorfaktors in Abhängigkeit der Legierungszusammensetzung um bis zu
neun Größenordnungen ab, der gleichbedeutend wäre mit einem drastischen Anstieg der Anzahl wachstumsfähiger Keime in der unterkühlten Schmelze. Da die
Proben aus dem gleichen Material hergestellt und auf gleiche Weise prozessiert
wurden, erscheint dies nicht plausibel. Verunreinigungen können einen dermaßen
drastischen Anstieg von KV in Abhängigkeit der Konzentration nicht erklären, denn
die Anzahl Nn der Keimstellen kann nur linear mit der Kobaltkonzentration skalieren.
Für andere vollständig mischbare Systeme, wie z.B. Cu-Ni [Ce51], [Wil88] wurde
keine Konzentrationsabhängigkeit der Keimbildungsrate festgestellt. Schenk et al.
zeigen, dass der konzentrationsabhängige Anstieg für das vollständig mischbare
System Co-Pd im Konzentrationsbereich 70 < x < 75 at.% Co einen Übergang zwischen zwei verschiedenen Nukleationsverhalten andeutet [Sche02a]. Im Bereich
hoher Kobaltkonzentrationen scheint die Kristallisation der Schmelze durch die sich
bildende magnetische Ordnung in der Schmelze bei Annäherung an die CurieTemperatur stimuliert zu werden.
62
5 Systeme
Ω
TC/TL=0,38
Co50Pd50
TC/TL =0,24
Co70Pd30
Co75Pd25
TC/TL
Co82Pd18
TC/TL
∆Tr = ∆T/TL [%]
Abb. 5.7:
Verteilungsfunktion
der
relativen
Unterkühlung
∆T/TL
und
der
Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion von ∆T/TL (blaue Linien), berechnet nach einem
Modell von Skripov [Sk77] für Co50Pd50, Co70Pd30, Co75Pd25 und Co82Pd18 nach
Schenk et al. [Sche00]
TN ≈ TC
TN > TC
log10 KV [m³/s]
35
30
25
20
50
60
70
80
90
100
at% Co
Abb. 5.8:
Aus der statistischen Analyse der Keimbildung von Co-Pd-Schmelzen ermittelte
Abhängigkeit des Vorfaktors KV der Verteilungsfunktion der Keimbildungsrate ISS von
der Co-Konzentration [Sche00]
63
5 Systeme
Einen weiteren Hinweis auf magnetische Beiträge zur Keimbildung liefern DTAExperimente von Wilde an verschiedenen Co-Pd Legierungen [Wi97]. In Abbildung
5.9 erkennt man, dass die spezifische Wärme aller untersuchten Schmelzen bis zu
tiefen Unterkühlung nur schwach temperaturabhängig sind. Erst ab einer Unterkühlung ∆T > 300 K beginnt für kobaltreiche Schmelzen ein deutlicher Anstieg mit abnehmender Temperatur bei Annäherung an die Curie-Temperatur der entsprechenden kristallinen Phase. Bei allen Untersuchungen erfolgte eine Kristallisation der
Schmelze vor Erreichen der Curie-Temperatur. Die dargestellten Kurvenverläufe
sind reproduzierbar: weder eine Wärmebehandlung bei hoher Temperatur von bis
zu 1720 K noch eine Änderung der Kühlrate zwischen 10 K/min bis 40 K/min änderten den Verlauf oder die maximale Unterkühlung. Das Auftreten von Co-Aggregaten
in der Schmelze wie in eutektischem Co-Au beobachtet [Bu68] kann daher ausgeschlossen werden.
1,0
Co82Pd18
spezifische Wärme Cp [J/gK]
Co80Pd20
0,8
Co75Pd25
0,6
Co50Pd50
0,4
0,2
0,0
1000
1100
1200
1300
1400
1500
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 5.9:
Spezifische Wärme CpL von flüssigen (rot) und CpS von kristallinen (schwarz) Co-PdLegierungen. Die CpL-Kurven zeigen einen deutlichen, auf ein enges Temperaturintervall begrenzten Anstieg bei Annäherung an die entsprechende Curie-Temperatur
TCS des Kristalls, welche durch das Maximum der jeweiligen CpS-Kurve gekennzeichnet ist [Wi96a].
Für Co50Pd50 lässt sich im flüssigen Zustand die Curie-Temperatur durch Unterkühlen nicht erreichen, und es findet sich im untersuchten Temperaturbereich kein Anstieg des Messsignals. Der deutlich erkennbare Anstieg der spezifischen Wärme im
Bereich der tief unterkühlten Schmelze beschränkt sich auf Co-Pd-Legierungen mit
hoher relativer Curie-Temperatur TrC = TC / TL und ist ein Indiz für die sich ausbildende magnetische Ordnung.
64
5 Systeme
5.2.2
Das Probensystem Co-Au
Das binäre Legierungsystem Co-Au weist ein Eutektikum mit ferromagnetischer
Randphase auf und bietet sich als weiteres System zur Studie magnetischer Einflüsse auf die Keimbildung an. Abbildung 5.10 zeigt das Gleichgewichtsphasendiagramm des Systems.
Abb. 5.10:
Gleichgewichtsphasendiagramm von Co-Au nach [Ma90]
Im Konzentrationsbereich der ferromagnetischen Randphase 24,8 ≤ x ≤ 98,1 at.%
Kobalt kommt es zu einer Phasentrennung mit konzentrationsunabhängiger CurieTemperatur, wie im Fall des Systems Co-Cu. Die Curie-Temperatur TCS des entstehenden Mischkristalls entspricht dabei derjenigen der Randphase bei x = 98,1 at.%
Co. Verläuft die Curie-Temperatur TCL der unterkühlten Schmelze allerdings wie in
Abbildung 5.11 skizziert parallel zu TCS des Mischkristalls im Löslichkeits- und im
übersättigten Bereich, so sollte bei hinreichender Unterkühlung im eutektischen Bereich der magnetische Phasenübergang in der homogenen, unterkühlten Schmelze
nachweisbar sein.
65
5 Systeme
Temperatur
TL
TC der
Randphase
TCA
hypothetisches TC des
übersättigten Mischkristalls
A
Abb. 5.11:
Atomprozent B [at%]
Schematisches Phasendiagramm eines binären Eutektikums mit ferromagnetischer
Randphase. Die gestrichelte Linie stellt die hypothetische Curie-Temperatur eines
übersättigten Mischkristalls dar.
Diese Extrapolation ist rein graphisch, allerdings deuten Messungen der spezifischen Wärme tief unterkühlter CoxAu100-x Legierungen von Wilde auf eine Anomalie
magnetischen Ursprungs oberhalb der eutektischen Temperatur TEut hin. Im Konzentrationsbereich x > 85,5 at.% kommt es zu einem auf ein schmales Temperaturintervall begrenzten Anstieg der Cp(T)-Kurven der tief unterkühlten Schmelze. Der
Anstieg ist ausgeprägter und beginnt bei höheren Temperaturen je höher der CoAnteil der Legierung ist [Wi97]. Ein Einfluss unterschiedlicher Haltezeiten im flüssigen Zustand oder eine Kühlratenabhängigkeit, wie in [Bu68] festgestellt, wurde
nicht beobachtet. Weiterhin spricht die Konzentrationsabhängigkeit des Beginns
des Anstiegs gegen eine Assoziierung in der Schmelze.
In Tabelle 5.1 sind die mittels DTA-Messungen ermittelten LiquidusTemperaturen TL und die maximal erreichten Unterkühlungen ∆T zusammengestellt.
66
5 Systeme
Tab. 5.1:
Co [at%]
TN [K]
TL [K]
∆T [K]
∆T/TL
80
1283
1623
340
0,20949
81,6
1289
1638
349
0,21306
85,5
1320
1665
345
0,20721
87,3
1323
1681
358
0,21297
88,8
1332
1695
363
0,21416
90,2
1339
1708
369
0,21604
Mittels DTA-Messungen in Glasflussmittel ermittelte Liquidustemperaturen und erzielte Unterkühlungen von Co-Au-Legierungen im Konzentrationsbereich von 80 –
90 at% Co nach [Wi97].
Temperatur [K]
1700
TL
1500
TCS
1300
TEut
100
90
80
70
Co [at%]
Abb. 5.12:
Ausschnitt aus dem Phasendiagramm von Co-Au nach [Ha58]. Dreiecke repräsentieren die im Experiment erzielten Nukleationstemperaturen (siehe Tabelle 5.4), die
gestrichelte Linie stellt die Curie-Temperatur der festen Phase dar und die gepunktete Linie die extrapolierte Kurve der Erstarrungstemperaturen TN (x).
Abbildung 5.12 zeigt den Ausschnitt des Phasendiagramms von Co-Au mit den erreichten Nukleationstemperaturen TN. Die Übereinstimmung der extrapolierten Erstarrungstemperaturen TN(x) mit dem Verlauf der Curie-Temperatur TCS im Löslichkeitsbereich der Randphase legt einen magnetischen Einfluss auf die Keimbildung
nahe. Messungen magnetischer Eigenschaften unterkühlter Schmelzen sind somit
67
5 Systeme
zur Klärung der Fragestellung magnetischer Beiträge zur Kristallkeimbildung im
System Co-Au von Bedeutung.
5.2.3
Das Probensystem Co-Cu
Das Phasendiagramm des peritektischen Legierungssystems Co-Cu ist in Abbildung 5.13 dargestellt. Wie die Kupferbasis-Legierungen Fe-Cu, Nb-Cu und Ta-Cu
hat es im Bereich der unterkühlten Schmelze eine metastabile Mischungslücke
[Ni84]. Bei hinreichend großer Unterkühlung der Schmelze unter die Liquidustemperatur unterschreitet man die Binodale und die Schmelze zerfällt in eine kobaltreiche
und eine kupferreiche Phase.
Abb. 5.13:
Gleichgewichtsphasendiagramm Co-Cu nach [Ma90] mit metastabiler Mischungslücke (-·-·-) nach [Ca01].
Über die Kinetik der Phasenseparation und die Morphologie der erstarrten Schmelze ist im Fall der Systeme mit metastabiler Mischungslücke noch wenig bekannt.
Die bisherigen Untersuchungen zeigen große Unterschiede in der Lage des metastabilen Bereiches [Na58], [Mu92], [Mu96], [Rob99], [Ya98].
Legierungsproben im Konzentrationsbereich von 16.0 - 89.3 at% Cu von Cao
et al. [Ca02] untersucht mittels Differential-Thermoanalyse liefern nähere Erkennt68
5 Systeme
nisse hinsichtlich der binodalen Entmischung im metastabilen Bereich der unterkühlten Schmelze. Tabelle 5.2 gibt eine Übersicht der gemessenen Temperaturen
in Abhängigkeit der Zusammensetzung.
Tab. 5.2:
Zusammensetzung
Liquidustemperatur TL
Binodaltemperatur TSep
[at.% Cu]
[K]
[K]
16.0
1715
1415
18.8
1708
1444
30.0
1682
1521
38.2
1670
1538
48.1
1662
1546
55.1
1663
1547
58.2
1662
1547
70.0
1637
1536
78.8
1623
1507
84.0
1583
1467
87.2
1567
1433
89.3
1547
keine Entmischung
Mittels DTA bestimmte Liquidus- und Binodaltemperaturen im System Cu-Co [Ca02].
Beim Abkühlen werden neben dem Entmischungssignal zwei weitere charakteristische exotherme Signale im DTA-Experiment beobachtet: Das nach der Entmischung zunächst auftretende Signal lässt sich der Erstarrung der Co-reichen Phase, das später folgende der Erstarrung der verbleibenden Cu-reichen Phase zuordnen. Letzteres Signal wird für alle untersuchten Zusammensetzungen stets im Bereich 1376 - 1378 K der peritektischen Temperatur beobachtet. Die Erstarrung der
Co-reichen Phase findet dagegen jeweils bei verschiedenen Temperaturen statt.
Das der Entmischung zugeordnete Signal ist für die Legierungen mit 38.2 - 87.2
at.% Cu deutlich schärfer als bei geringerem Cu-Gehalt. Daraus lässt sich schließen, dass die Phasenseparation für die Cu-reichen Legierungen schneller als für
die Co-reichen vonstatten geht [Ko01].
Eine Bestimmung der Binodalen lässt sich auch durch Konzentrationsanalyse der erstarrten Legierungsproben vornehmen. Eine Probe mit gegebener Zusammensetzung separiert bei der Unterkühlung TSep in eine Co-reiche und eine Cureiche Phase wobei die jeweiligen Zusammensetzungen zwei Punkte auf der Binodalen definieren, die zur Erstarrungstemperatur TN gehören. Abbildung 5.14 zeigt
69
5 Systeme
die Mikrostruktur einer typischen Probe, wie sie nach der Prozessierung in der DTA
vorliegt. Die Aufnahme ist mit einem Raster-Elektronenmikroskop (REM) unter Verwendung des Detektors für Rückstreuelektronen (BSD) erstellt worden. Die Coreiche Phase (L1) wird dunkel dargestellt, die Cu-reiche Phase (L2) hell.
500 µm
Abb. 5.14 :
Querschnitt einer DTA-prozessierten, entmischten und bei ∆T = 161 K erstarrten
Co30Cu70-Probe. Schwarze Bereiche stellen Poren dar. Die zwei Flüssigkeiten sind
deutlich separiert, und durch den Einfluss der Schwerkraft sedimentiert die schwerere Co-reiche Flüssigkeit [Le01].
In beiden Phasen ist eine Substruktur zu erkennen, die folgendermaßen interpretiert
wird: Während der Unterkühlung der Legierung kommt es bei Unterschreitung der
Binodalen zunächst zur Separation in eine Co-reiche und eine Cu-reiche Phase. Es
bilden sich räumlich weit ausgedehnte Bereiche der beiden Phasen, wodurch auf
diese Weise die Grenzflächenenergie zwischen der flüssigen Cu-reichen und der
Co-reichen Phase verringert wird. Bei der Temperatur TN beginnt in der Co-reichen
Phase die Keimbildung und Erstarrung einer noch Co-reicheren festen Co-Phase, in
den Zwischenräumen bleibt eine Cu-reiche Schmelze übrig. Auf ähnliche Weise
zerfällt auch die ursprünglich Cu-reiche Schmelze im Verlauf der Erstarrung. Die
Zusammensetzungen der ursprünglichen Cu-reichen und Co-reichen Schmelzen
bei der Temperatur TN erhält man durch Mittelung über die mit L1 und L2 bezeichneten Bereiche. Die Konzentrationen wurden an einigen erstarrten Proben mit EDXAnalyse bestimmt (Tabelle 5.3). Die Messfläche beträgt jeweils einige 100 x 100
µm2. Die ermittelten Zusammensetzungen von L1 und L2 ergeben in Abhängigkeit
der Unterkühlung eine gute Übereinstimmung zu der direkten Bestimmung der Bi70
5 Systeme
nodalen. Lediglich bei der Legierung 18.8 at.% Cu findet sich bei einer Nukleationstemperatur TN = 1408 K in der L2-Phase eine Abweichung der bestimmten Konzentration zur Binodalen. Es lässt sich generell eine Aussage über die Kinetik der
Entmischung aus diesem Verhalten ableiten: Bei der Kühlrate von 20 K/min, wie sie
in der DTA verwendet wird, ist offensichtlich genug Zeit vorhanden, um der jeweiligen Unterkühlung entsprechende Konzentrationen der Phasen L1 und L2 zu bilden.
Zusammensetzung der
Nukleations-
Co-reiche Phase
Cu-reiche Phase
Legierung [at% Cu]
temperatur TN [K]
L1 [at% Cu]
L2 [at% Cu]
18.8
1408
14.3
74.4
38.2
1407
14.6
88.0
48,1
1404
15,4
89,3
55.1
1516
31.2
76.4
58.2
1471
19.1
82.4
84.0
1441
16.3
86.6
87.2
1400
14.9
89.7
Tab. 5.3:
Zusammensetzungen der separierten Phasen L1 und L2 in Abhängigkeit von Ausgangszusammensetzung und Unterkühlung [Ca02].
Abbildung 5.15 zeigt das Phasendiagramm von Co-Cu mit DTA-Messwerten der
metastabilen Binodalen von Cao et al. [Ca01]. Zusätzlich eingetragen sind die durch
DTA-Messungen unterkühlten Zusammensetzungen und deren durch EDX-Analyse
bestimmte Randkonzentrationen. Diese stimmen mit der direkt bestimmten Binodalen weitgehend überein.
71
5 Systeme
1800
Flüssigkeit
Temperatur [K]
1700
αCo
1600
αCo + Flüssigkeit
1500
metastabiler Bereich
1400
magnetischer Übergang
1300
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
at% Cu
Abb. 5.15:
Phasendiagramm des Legierungssystems Co-Cu mit metastabiler Mischungslücke.
Kreise repräsentieren die mittels DTA bestimmten Liquidus- (•) und Entmischungstemperaturen (•) nach [Ca01]. Die geschlossenen Dreiecke (▲ ) markieren die
Nukleationstemperatur einzelner Proben und die offene Dreiecke (∆) die mittels
EDX-Analyse gemittelten Konzentrationen der separierten Randphasen nach
[Ko01].
Das System Co-Cu erscheint aufgrund seiner metastabilen Mischungslücke zum
Erforschen magnetischer Beiträge zur Kristallkeimbildung besonders geeignet. Die
Cu-reiche, schwach magnetische Flüssigkeit L2 benetzt im entmischten Zustand die
Co-reiche, stark magnetische Flüssigkeit und wirkt somit als Kristallkeimreduzierendes Flussmittel. Die Co-reiche Flüssigkeit L1 sollte sich demnach unter
diesen Bedingungen tief unter ihre Gleichgewichtsschmelztemperatur unterkühlen
lassen und magnetische Messungen der entmischten unterkühlten Schmelze ermöglichen.
72
Kapitel 6
Ergebnisse und Diskussion
6.1 Magnetische Messungen an Eisen
Messungen an Eisen sind wie bereits in Kapitel 5.1.1 geschildert aufgrund seiner vielfältigen magnetischen und strukturellen Phasenübergänge von besonderem Interesse. Den Zusammenhang zwischen struktureller und magnetischer Ordnung gilt es,
näher zu betrachten.
0,2
α
TC = (1057 + 16) K
TL = 1811 K
2,5
2,0
3
0,0
1040
1060
-1
1080
α→γ
T
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
0,1
1800
1100
T
= 1174 K
γ→δ
1850
= 1650 K
2
1
∆T = 30 K
0
800
1000
1200
1400
1600
1800
2000
Temperatur [K]
Abb. 6.1:
Suszeptibilitätsmessung von Eisen ohne Glasflusseinbettung. Rote Punkte geben den
Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 5 K/min wieder. Während der
Messung wurde eine Unterkühlung von ∆T = 30 K erreicht.
Abbildung 6.1 gibt einen Überblick über die magnetische Suszeptibilität reinen Eisens
im Temperaturbereich von 900 K < T < 2000 K bei einer Kühlrate von 5 K/min. Vergrößert dargestellt ist der Bereich des magnetischen Phasenübergangs von α-Eisen
bei einer gemessenen Curie-Temperatur TCα = (1057 ± 16) K, sowie der Bereich des
6 Ergebnisse und Diskussion
Schmelzpunkts bei TL = 1811 K. Aufgrund des nah gelegenen strukturellen Phasenübergangs von α- zu γ-Eisen bei Tα→γ = 1174 K gehen vergleichbar wenig Messdaten
in die Bestimmung der Curie-Temperatur TCα mittels linearer Regressionsanalyse ein,
was den statistischen Fehler von ± 16 K erklärt. Die Messung erzielte eine Unterkühlung von ∆T = 30 K und die Probe erstarrt in der kubisch raumzentrierten Struktur, was
anhand des Abfalls der inversen Suszeptibilität auf den entsprechenden Wert von δEisen während des Aufheizvorgangs erkennbar ist.
In Abbildung 6.2 ist die Suszeptibilitätsmessung einer Eisen-Probe mit einer
Heiz- und Kühlrate von 10 K/min dargestellt. Die aus der Aufheizkurve gewonnene
Curie-Temperatur von α-Eisen TCα = (1046 ± 5) K und die Temperatur des strukturellen Übergangs Tα→γ = 1187 K stimmen mit den Literaturwerten überein [Ma90].
1,0
α
TC = (1046 + 5) K
3
0,0
1000
T
γ→δ
= 1578 K
TL = 1768 K
1050
1100
T
1150
α→γ
= 1187 K
TN = 1479 K
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
0,5
2
1
∆T = 289 K
0
1000
1200
1400
1600
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.2:
Suszeptibilitätsmessung von Eisen in Glasflusseinbettung. Rote Punkte geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 10 K/min wieder. Die Messung
erzielte eine Unterkühlung von ∆T = 289 K.
74
6 Ergebnisse und Diskussion
Der statistische Messfehler der Curie-Temperatur ist im Vergleich zur vorherigen Messung geringer geworden, da nun wesentlich mehr Messwerte in die Berechnung eingehen als zuvor und die Streuung der Daten geringer ist. Bei weiterem Aufheizen und
anschließendem Überschreiten der Liquidustemperatur ergeben sich allerdings Abweichungen zu den Literaturangaben. Die gemessenen Temperaturen für den strukturellen Wechsel Tγ→δ = 1578 K und die Schmelztemperatur TL = 1768 K sind im Vergleich zu den Literaturwerten TLit.γ →δ = 1667 K und TLLit. = 1811 K zu deutlich niedrigeren Temperaturen verschoben, was sich nur durch eine auftretende chemische Reaktion erklären lässt. Beim Abkühlen unterkühlt die Flüssigkeit um ∆T = 289 K erstarrt in
die dort eigentlich metastabile δ-Phase, bevor der Übergang in die stabile γ-Phase
erfolgt. Der strukturelle Wechsel von γ- zu α-Eisen ist im Vergleich zum Aufheizvorgang über ein breites Temperaturintervall ausgedehnt. Es lässt sich aus dem Verlauf
T
3
γ→δ
= 1515 K
TL = 1773
TN = 1478 K
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
der Suszeptibilität keine Curie-Temperatur TCα bestimmen.
2
1
α
TC = (1041 + 2) K
∆T = 295 K
0
1000
1200
1400
1600
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.3:
Erneute inverse Suszeptibilitätsmessung der Eisen-Probe aus Abb. 6.2. Rote Punkte
geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 10 K/min wieder.
Die Messung erzielte eine Unterkühlung von ∆T = 295 K.
Bei einem erneuten Aufheizen der Probe ist, wie Abbildung 6.3 zu entnehmen, die
Übergangstemperatur des strukturellen Phasenübergangs von γ- zu δ-Eisen noch wei75
6 Ergebnisse und Diskussion
ter auf Tγ→δ = 1515 K reduziert. Die Schmelztemperatur TL = 1773 K ist im Rahmen
der Messgenauigkeit mit der vorherigen Messung identisch. Die Probe unterkühlt anschließend um ∆T = 295 K und erstarrt direkt in die α-Phase. Die γ-Phase von Eisen
wird nicht beobachtet. Die anhand linearer Regression ermittelte Curie-Temperatur
TCα = (1041 ± 2) K der α-Phase ist im Vergleich zu vorherigen Messungen geringfügig
niedriger.
Nach den magnetischen Untersuchungen wird der Probentiegel mittels einer
Diamantfadensäge mechanisch durchtrennt und nach anschließendem Schleifen und
Polieren der Schnittfläche im Rasterelektronenmikroskop analysiert. Abbildung 6.4
stellt einen Bereich der Innenseite des Tantal-Tiegels dar, der teilweise mit einer festen, schaumartigen Struktur besetzt ist.
Abb. 6.4:
REM-Aufnahme des beim Prozessieren verwendeten Tantal-Tiegels. Deutlich erkennbar
wird die chemische Reaktion an der Tiegelinnenseite anhand der dunkelgrauen Bereiche. Die EDX-Analyse dieses Bereichs ergibt eine Zusammensetzung von 75 at.% Si,
24 at.% Ta und 1 at.% Fe.
76
6 Ergebnisse und Diskussion
Eine EDX-Analyse der verschiedenen Bereiche liefert eine Interpretation für die aufgetretenen Temperaturverschiebungen und für das Verschwinden der γ-Phase:
An Teilen der Tiegelwand findet bei den hohen Temperaturen eine chemische
Reaktion statt, bei der als stabiles Reaktionsprodukt Tantaloxid Ta2O5 entsteht
[Ma90]. Tantal ist bei hohen Temperaturen und niedrigen Sauerstoffpartialdrücken in
der Lage, die SiO2-Bindungen aufzuspalten und das Silizium zu reduzieren, wodurch
dieses in elementarer Form vorliegt: 4Ta + 5SiO2 → 2Ta2O5 + 5Si. Das für diese Reaktion benötigte Siliziumdioxid wird aus dem Duran®-Glas geliefert, was in seiner Zusammensetzung gemäß der Herstellerangabe einen SiO2-Anteil von 81 Gewichtsprozent aufweist. Das entstehende elementare Silizium reagiert wie aus Abbildung 6.5
ersichtlich in einer eutektischen Reaktion bei 1400 °C mit Tantal (L ↔ Si + TaSi2) und
erklärt die gemessene Siliziumkonzentration im Tantal-Tiegelmaterial.
Abb. 6.5:
Ta-Si-Phasendiagramm nach [Ma90]
Das überschüssige Silizium diffundiert in die Eisen-Probe und erklärt somit anhand
der Änderung der chemischen Zusammensetzung die zwangsläufig einhergehende
Änderung der magnetischen Beiträge. Wie aus dem Ta-Si-Phasendiagramm in Abbildung 6.5 ersichtlich wird der Existenzbereich des γ-Eisens bis zu einer Silizium77
6 Ergebnisse und Diskussion
Konzentration x ≤ 3,8 at.% immer weiter eingeengt und verschwindet für x > 3,8 at.%
völlig. Dies erklärt den gemessenen stetigen Abfall der Phasenübergangstemperatur
Tγ↔δ zwischen γ- und δ-Eisen, sowie das Verschwinden der γ-Phase nach mehrmaligem Prozessieren. Ein Abfall der Curie-Temperatur TCα der α-Phase aufgrund der
Silizium-Anreicherung nach Massalski [Ma90] kann ebenfalls bestätigt werden. Dieser
fällt jedoch schwächer aus als die angegebenen 20 K und beschränkt sich auf etwa 5
K.
Abb. 6.6:
Phasendiagramm von Fe-Si nach [Ma90]. Die rotgestrichelte Linie markiert die Konzentration Fe96Si4. Liquidus-Temperatur und Curie-Temperatur sind im Vergleich zu reinem
Eisen um jeweils 20 K zu niedrigeren Temperaturen verschoben.
Die Messungen an Eisen bestätigen neben der hohen magnetischen Auflösung auch
die gute Temperaturauflösung der Faraday-Waage hinsichtlich der statistischen Auswertung der Temperaturmessung an unterkühlten Metallschmelzen. Der bei hohen
Temperaturen auftretende Reaktionsprozess des Duran®-Glases mit dem Tiegelmaterial Tantal und die damit verbundene Verunreinigung der Reineisenproben mit Silizium
findet zwar lediglich im Bereich weniger Atomprozente statt, lässt sich aber durch die
hohe magnetische Auflösung und die vorhandene Temperaturauflösung der Messapparatur detektieren, trotz des systematischen Messfehlers von ± 5 K aufgrund der
78
6 Ergebnisse und Diskussion
kontaktlosen Messung. Elektronenmikroskopische Analysen bestätigen im Anschluss
an die magnetischen Messungen die vermuteten chemischen Legierungseffekte.
Als Konsequenz dieser Messungen an Eisen wurde Tantal als Tiegelmaterial ausgewechselt und durch Molybdän ersetzt. Gemäß dem Richardson-EllinghamDiagramm für Metall-Metalloxid-Reaktionen besitzt Molybdän bei hohen Temperaturen
und niedrigen Sauerstoffpartialdrücken, anders als Tantal keine Affinität Sauerstoff zu
binden. Somit besteht keine treibende Kraft zur Reduktion von SiO2 [Fro94], und es
zeigen sich bei nachfolgenden Untersuchungen keine chemischen Reaktionen des
Tiegelmaterials Molybdän mit dem Einbettmaterial Duran®.
6.2 Messungen an Kobalt
Das Element Kobalt dient zunächst als Referenzsubstanz zur Eichung der FaradayWaage anhand bereits vorhandener umfangreicher magnetischer Literaturwerte von
flüssigem und festen Kobalt [Sto38], [Te69], [Wij91]. Begleitende DTA-Messungen
werden für jedes Probensystem durchgeführt und dienen der präzisen Bestimmung
von Phasenübergangstemperaturen.
6.2.1 Kalorimetrische Untersuchung
Eine differentielle Thermoanalyse von Kobalt liefert nach mehrmaligem Prozessieren
im Glasflussmittel die Referenztemperaturen des Schmelzpunktes TL = 1495 K und
der Curie-Temperatur TC = 1394 K, gemäß Abbildung 6.7. Es zeigt sich, dass die
gemessenen Phasenübergangstemperaturen von Kobalt innerhalb einer absoluten
Messgenauigkeit ∆T = ± 1,5 K den jeweiligen Literaturwerten entsprechen.
79
6 Ergebnisse und Diskussion
S
TC = 1394 K
15
DTA-Signal [µV]
10
5
0
-5
1200
1300
1400
1500
Temperatur [K]
Abb. 6.7:
DTA-Aufheizen und –Abkühlen einer kristallinen Co-Probe im Bereich der CurieTemperatur TC = 1394 K mit ± 20 K/min. Die unteren Linien stellen Aufheizvorgänge,
S
die oberen Abkühlvorgänge dar.
Bereits eine geringe Verunreinigung mit Sauerstoff von 0,84 at.% ist ausreichend, um
den Schmelzpunkt von Kobalt auf TL = 1451 K zu senken [Ma90]. Die verwendeten
Co-Proben besitzen laut Herstellerangabe eine Reinheit von 99,998%, welche sich
jedoch lediglich auf metallische Verunreinigungen, nicht jedoch auf Sauerstoff bezieht.
Anfängliche DTA-Messungen ergeben Abweichungen zu der bekannten Schmelztemperatur von bis zu 15 K, was gemäß des binären Co-O-Phasendiagramms einer Verunreinigung von 0,4 at.% Sauerstoff entspricht. Durch die Verwendung des auf Kobaltproben reinigend wirkenden Glasflussmittels Duran® gelingt es, die geschmolzene
Probe durch mehrere Aufheizvorgänge von oxidischen und anderen Verunreinigungen
zu befreien und somit die Reinheit der Proben weiter zu erhöhen.
6.2.2 Magnetische Untersuchung
Abbildung 6.8 zeigt den Temperaturverlauf der Magnetisierung von Kobalt als Funktion der Temperatur anhand eigener Messungen und ausgewählter Literaturwerte.
Strukturelle Phasenübergänge wie der Übergang vom hexagonal dicht gepackten εKobalt (hdp) zu kubisch flächenzentriertem α-Kobalt (kfz) im ferromagnetischen Bereich oder der fest-flüssig Phasenübergang im paramagnetischen Bereich lassen sich
80
6 Ergebnisse und Diskussion
in der Magnetisierungskurve auflösen und identifizieren. Vergrößert man die Auflösung im paramagnetischen Bereich, so lässt sich ein Abknicken der Magnetisierung
erkennen (siehe Nebenbild in Abbildung 6.8) und die entsprechende Temperatur der
Schmelztemperatur TL = 1768 K zuordnen. Somit erhält man einen ersten Kalibrationspunkt im oberen Temperaturbereich der Faraday-Waage.
T
1500
ε −α
= 695 K
TL = 1768 K
Spontane Magnetisierung [kA/m]
15,0
1250
12,5
1000
10,0
1740
1760
1780
1800
750
hdp-Co
500
kfz-Co
flüssig
250
0
0
500
1000
1500
2000
Temperatur [K]
Abb. 6.8:
Magnetisierungskurve von Kobalt mit Daten von Crangle (▲) [Cr55], Pauthenet (●)
[Pa82], Myers et al. (∆) [My51], sowie eigener Messungen (○). Vergrößert dargestellt der
Bereich um den Schmelzpunkt TL = 1768 K.
Abbildung 6.9 vergleicht eine Messung der spontanen Magnetisierung von Kobalt mit
Berechnungen mittels der Molekularfeldnäherung
M(T) = M0(T,H0+λM(T)),
mit
λ = TC ⋅
3kB
Ng µB J(J + 1)
2
2
.
(6.1)
(6.2)
81
6 Ergebnisse und Diskussion
Die Messdaten reproduzieren dabei die Berechnung anhand der Literaturdaten J = S
= ½, g = 2.17, N = 1.46 und TC = 1394 K nach [Te69]. Bei Temperaturen unterhalb der
Curie-Temperatur nimmt die Magnetisierung der Probe um mehrere Größenordnungen zu, so dass die einwirkenden Horizontalkräfte, verursacht durch den Feldgradienten dHz/dx, zu einer Störung des Messsignals in vertikaler Richtung führen. Zur
rauschärmeren Messung magnetischer Eigenschaften im ferromagnetischen Zustand,
muss die Probenmasse von ca. 1 g reduziert werden, um die wirkenden Kräfte zu minimieren. Qualitativ lässt sich aber auch selbst für die verwendeten Probenmassen
mCo ≈ 1 g im Bereich niedriger Temperaturen T < TC die gute Übereinstimmung der
Messung mit den Literaturangaben verdeutlichen.
600
TC = 1394 K
Spontane Magnetisierung [kA/m]
400
1400
200
TN
1200
TC = 1394 K
1000
0
1400
800
1600
1800
600
400
200
0
400
600
800
1000
1200
1400
1600
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.9:
Messung der spontanen Magnetisierung von Kobalt. Punkte (●) stellen Messwerte im
Vergleich zu gestrichelten Linien (- - -) der berechneten Molekularfeldnäherung mit H =
0, bzw. H = 1 T bei S = ½ , g = 2,17, TC = 1394 K, N = 1,46 dar [Te69]. Der spontane
Abfall der Magnetisierung während der Nukleation bei TN kennzeichnet das Freisetzen
der latenten Wärme.
82
6 Ergebnisse und Diskussion
Die Temperaturabhängigkeit der inversen magnetischen Suszeptibilität χ-1(T) von Kobalt ist in Abbildung 6.10 dargestellt.
TL = 1768 K
1,6
1,2
1725
2,0
-1
1750
1775
1800
1825
TN = 1719 K
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,4
1,5
1,0
S
TC = 1393 K
L
TC = 1390 K
0,5
∆T = 49 K
0,0
1400
1500
1600
1700
1800
1900
2000
Temperatur [K]
Abb. 6.10:
Suszeptibilitätsmessung an Kobalt in Zirkonoxidtiegel ohne Glasseinbettung. Rote Punkte geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 2,5 K/min wieder. In der Messung wird eine Unterkühlung von ∆T = 49 K erzielt [Re02].
Erste Messungen erfolgen als Referenz zunächst ohne Glassflusseinbettung in einem
ZrO2-Tiegel mit einer minimalen Heiz- und Kühlrate von 2,5 K/min. Rote Punkte stellen Messwerte eines Heizzyklus, schwarze Punkte Messwerte aus einem Abkühlzyklus dar. Bei niedrigen Temperaturen ist die Probe ferromagnetisch, so dass die Werte
der inversen Suszeptibilität χ -1 nahe Null sind. Bei weiterem Aufheizen wird die magnetische Ordnung durch die wachsende thermische Energie immer weiter gestört, so
dass eine kollektive Ausrichtung der magnetischen Momente nur noch durch das äußere Magnetfeld erzielt wird. Die inverse Suszeptibilität χ -1 steigt in diesem paramagnetischen Bereich gemäß dem Curie-Weiss-Gesetz linear mit der Temperatur an.
Beim Abkühlen zeigt sich zunächst bis zur Liquidustemperatur keine Differenz zum
Messsignal des Aufheizvorgangs. Erstarrt die Probe aus dem unterkühlten Zustand
heraus, so wird dabei die gesamte Schmelzwärme freigesetzt, und die Probe heizt
83
6 Ergebnisse und Diskussion
sich bis zur Schmelztemperatur auf. Dadurch fällt die Suszeptibilität instantan ab, was
sich im Peak des Messsignals bei TN = 1719 K bemerkbar macht. Aufgrund der reinen
Umgebungsbedingungen und der Reinheit des Probenmaterials gelingt eine Unterkühlung von ∆T = 49 K auch ohne den benetzenden Effekt eines Glassflussmittels.
Im paramagnetischen Bereich folgt Kobalt dem in Kapitel 2 beschriebenen Curie-Weiss-Gesetz, und die inverse Suszeptibilität weist eine lineare Temperaturabhängigkeit auf. Extrapoliert man aus dem linearen Verhalten von kristallinem Kobalt den
Schnittpunkt mit der Temperaturachse, so erhält man die paramagnetische CurieS
Temperatur TC = 1393 K, welche als unterer Kalibrationspunkt der Temperaturmessung dient. Vergleiche mit kalorimetrisch ermittelten Phasenumwandlungstemperatu(DTA)
ren anhand von DTA-Messungen TL
(DTA)
= 1768 K und TC
= 1394 K bestätigen die
Reproduzierbarkeit der Temperaturmessung der Faraday-Waage.
1,6
TL = 1763 K
1,2
2,0
1,0
1725
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,4
0,6
1750
1775
1800
1825
TN = 1486 K
1,5
0,4
0,2
1450
1,0
1475
1500
1525
1550
0,5
∆T = 277 K
0,0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
Temperatur [K]
Abb. 6.11:
Suszeptibilitätsmessung an Kobalt mit Glasflussmittel. Rote Punkte geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 5 K/min wieder. In der Messung wird
eine Unterkühlung von ∆T = 277 K erzielt.
84
6 Ergebnisse und Diskussion
Die Verwendung von Duran® als Flussmittel verhindert den direkten Kontakt der
Schmelze mit der Tiegelwand und ermöglicht trotz des Prozessierens im Tiegel ein
tiefes Unterkühlen der Probe. Abbildung 6.11 zeigt eine Messung an Kobalt unter
Verwendung von Glasflussmittel, wobei eine Unterkühlung von ∆T = 277 K erreicht
S
wird. Anhand der Messung ergeben sich nahezu identische Curie-Temperaturen TC =
L
1400 K und TC = 1394 K. Aus der Steigung der inversen Suszeptibilität lässt sich gemäß Gleichung 2.22 die Curie-Konstante C bestimmen, wobei sich ein geringer Unterschied zwischen der Curie-Konstanten der festen CS = (285,7 ± 0,4) • 10-6 m³K/kg
-6
und der flüssigen Phase CL = (275,5 ± 0,3) • 10 m³K/kg, sowie der effektiven magne-
tischen Momente beider Phasen µeff = (3,27 ± 0,01) µB und µeff = (3,22 ± 0,01) µB
S
L
ergibt.
Die Oxidation der Kobaltprobe führt zu der bereits beschriebenen Schmelzpunkterniedrigung, wie aus dem Co-O-Phasendiagramm in Abbildung 6.12 ersichtlich
wird. Bei TEut = 1724 K und einem Anteil von 0,84 at.% Sauerstoff liegt ein Eutektikum
vor und führt zu einer Schmelzpunktabsenkung von 44 K. Beim Aufheizen findet ab
der eutektischen Temperatur die Phasentrennung α-Co + CoO → α-Co + L statt, und
die Probe durchläuft das Zweiphasengebiet α-Co + L, wobei der Anteil an α-Co bis
zum Erreichen der Liquidustemperatur TL = 1768 K stetig abnimmt.
Abb. 6.12:
Ausschnitt aus dem eutektischen Phasendiagramm Co-O [Ma90]
85
6 Ergebnisse und Diskussion
Oxidische Verunreinigungen im Probenmaterial wirken sich negativ auf die Unterkühlbarkeit der Probe aus, da sie eine katalysierende Wirkung auf die Keimbildung besitzen. Das verwendete Glasflussmittel Duran® ist gemäß Herstellerangabe in der Lage,
Metalloxide in gelöster Form aufzunehmen, ohne seinen glasartigen Charakter zu verlieren [Scho00], was sich in den Experimenten bestätigt. Je stärker die Probe oxidiert
®
ist, desto bläulicher färbt sich das ursprünglich farblose Duran bis hin zu einer tief-
blauen Färbung (‚Kobaltblau’), was auf die Aufnahme von Kobaltoxid zurückzuführen
ist. Die Reinheit der Probe wird durch das Glasflussmittel gesteigert, und bei mehrmaligem Prozessieren erhöhen sich die erreichten Unterkühlungen.
TL = 1768 K
TEut = 1724 K
2
1,0
1700
1750
1800
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,5
T N = 1473 K
1
∆T = 295 K
0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
Temperatur [K]
Abb. 6.13:
Suszeptibilitätsmessung an Kobalt mit Glasflussmittel. Rote Punkte geben den ersten
Aufheizprozess, schwarze Punkte einen mehrere Zyklen später folgenden Abkühlvorgang der Probe mit 10 K/min wieder. In der Messung wird eine maximale Unterkühlung
von ∆T = 295 K erzielt.
Den reinigenden Effekt des Glases auf die Probenoberfläche veranschaulicht Abbildung 6.13. Eine zuvor in Alkohol gesäuberte Co-Probe zeigt beim ersten Aufheizen im
Suszeptibilitätssignal ein stark verbreitertes Aufschmelzverhalten, vergleichbar dem
einer inkongruent schmelzenden Legierung. Ein lineares Ansteigen der inversen Sus86
6 Ergebnisse und Diskussion
zeptibilität tritt nach Beginn des Schmelzprozesses der geringfügig oxidierten Probe
bei TEut = 1724 K erst wieder ab dem Erreichen der Liquidustemperatur von Kobalt TL
= 1768 K auf. Während der ersten Abkühlzyklen lassen sich lediglich geringe Unterkühlungen erreichen. Nach mehreren Aufschmelzvorgängen und anschließenden Haltephasen bei Temperaturen T > TL ist eine wachsende Unterkühlbarkeit der Probe zu
beobachten, und das jeweilige Aufschmelzen gleicht dem Schmelzverhalten aus Abbildung 6.11. Die zuvor nur schwach unterkühlende Probe erstarrt letztlich bei einer
maximalen Unterkühlung von ∆T= 295 K.
r̂
r̂
Zwischen der magnetischen Ordnung zweier Spins Si und S j und der Anzahl nächster
Nachbaratome Z, besteht gemäß des Heisenbergmodells nach Gleichung 2.29 über
das Austauschintergral JAij ein direkter Zusammenhang [Ber81]:
J Aij =
3 ⋅ kB ⋅ TC
.
2 ⋅ Z ⋅ S ⋅ (S + 1)
(6.3)
Für einen kubisch flächenzentrierten Festkörper wie α-Kobalt lässt sich die Koordinationszahl Z = 12 durch die vorgegebene Struktur berechen, während bisher für die
Schmelze keine Literaturangaben über die atomare Nahordnung vorlagen. Der leichte
Unterschied in den magnetischen Eigenschaften von Kobaltschmelze und Festkörper
wie z.B. den Curie-Temperaturen TCS ≈ TCL ist jedoch bereits als Hinweis für die lediglich geringen Unterschiede der Koordinationszahlen von Flüssigkeit und Festkörper zu
deuten. Für die experimentelle Bestimmung der Koordinationszahl einer Kobaltschmelze wurden zusätzliche Röntgenbeugungsexperimente an elektromagnetisch
levitierten Proben durchgeführt.
6.3.1 Strukturuntersuchung der unterkühlten Schmelze
Bereits 1952 postulierte Frank, dass in unterkühlten metallischen Schmelzen eine ikosaedrische Nahordnung die energetisch günstigste sei [Fr52]. Bei reinen Metallen und
einigen metallischen Verbindungen ist die Annahme radialsymmetrischer Wechselwirkungspotentiale zwischen den einzelnen Atomen gerechtfertigt, wie sie z.B. durch
Lennard-Jones Potentiale beschrieben werden. Cluster mit ikosaedrischer Struktur
haben dabei eine ca. 8,4% niedrigere Energie als Cluster mit dicht gepackter Struktur,
wie kfz oder hdp, bei gleicher Anzahl Z = 12 an nächsten Nachbaratomen. Die An87
6 Ergebnisse und Diskussion
nahme einer ikosaedrischen Nahordnung wird weiterhin gestützt durch molekulardynamische Rechnungen an Lennard-Jones Flüssigkeiten, welche einen wachsenden
Grad an ikosaedrischer Nahordnung bei steigender Unterkühlung aufzeigen [St84],
[No86]. Direkte experimentelle Untersuchungen der Nahordnung in unterkühlten
Schmelzen und eine Bestätigung dieser Theorie standen bisher allerdings aus. Mit
energiedispersiver Röntgenbeugung (energy dispersive x-ray diffraction: EDXD) an
unterkühlten Kobalt-Schmelzen wird im Rahmen dieser Arbeit die Struktur von stabilen und unterkühlten Co-Schmelzen untersucht [Ho02].
Zum tiefen Unterkühlen der Metallschmelze muss heterogene Keimbildung, verursacht durch Fremdphasen wie Tiegelwände oder Verunreinigungen, vermieden werden. Dies wird mittels tiegelfreiem Prozessieren der Schmelze unter hochreinen Bedingungen durch die Verwendung einer elektromagnetischen Levitationsanlage erreicht [He91]. Die elektromagnetische Levitationstechnik wird kombiniert mit EDXD,
um den Strukturfaktor S(Q) der stabilen und der unterkühlten Kobalt-Schmelze zu
bestimmen. Die Experimente wurden mit weißer Synchrotronstrahlung im Bereich von
20 keV < E < 200 keV an der Beamline ID 15A der European Synchrotron Radiation
Facility (ESRF) in Grenoble, Frankreich durchgeführt. Den experimentellen Aufbau
beschreiben Notthoff et al. [Not00] und Kimura et al. [Ki01], die Auswertung der Beugungsexperimente erfolgt mittels eines Monte Carlo Verfahrens gemäß Funakoshi et
al. [Fu02].
Intensität S(Q)
4
3
T = 1800 K
2
T = 1670 K
1
0
2
4
6
8
10
-1
Q [Å ]
Abb.6.14:
Strukturfaktor S(Q) von Kobalt oberhalb und unterhalb der Schmelztemperatur TL =
1768 K. Zur besseren Übersicht ist die Kurve der stabilen Schmelze um einen konstanten S(Q)-Wert verschoben.
88
6 Ergebnisse und Diskussion
Abbildung 6.14 zeigt den aus den EDXD-Messungen gewonnenen Strukturfaktor S(Q)
von flüssigem Kobalt bei T = 1800 K (30 K oberhalb TL) und bei T = 1670 K (100 K
Unterkühlung), wobei drei Oszillationen im untersuchten Wellenvektor-Bereich zu erkennen sind. Aus dem Strukturfaktor S(Q) im reziproken Raum der Wellenvektoren Q
wird durch eine Fouriertransformation die Paarkorrelationsfunktion g(R) im Ortsraum
berechnet, welche in Abbildung 6.15 dargestellt ist.
g(R)
3
T = 1800 K
2
T = 1670 K
1
0
2
4
6
8
10
R [Å]
Abb.6.15:
Paarkorrelationsfunktion g(R) von Kobalt oberhalb und unterhalb der Schmelztemperatur TL = 1768 K. Zur besseren Übersicht ist die Kurve der stabilen Schmelze um einen
konstanten g(R)-Wert verschoben.
Die Wellenvektoren Q1 und Q2 der ersten beiden Maxima von S(Q) sowie die nächsten und übernächsten Nachbar-Abstände R1 und R2 der Maxima von g(R) sind zusammen mit Literaturdaten von Waseda in Tabelle 6.1 zusammengestellt.
Zur Berechnung der Anzahl nächster Nachbaratome Z , der sogenannten Koordinationszahl, wird gewöhnlich die gesamte Fläche unter dem ersten Maximum von
4πρR²g(R), mit der Atomdichte ρ bestimmt. Der absolute Wert von Z ist deshalb sehr
empfindlich von der Definition der Peakfläche 4πρR²g(R) abhängig [Wa80]. Weiterhin
gibt ein bestimmter Z-Wert noch keinen spezifischen Hinweis auf eine spezielle Nahordnung, da eine Koordinationszahl Z ≈ 12 sowohl kompatibel mit ikosaedrischer, ku89
6 Ergebnisse und Diskussion
bisch flächenzentrierter (kfz) als auch hexagonaler Nahordnung (hdp) ist. Trotz dieser
Einschränkung kann die Berechnung der Koordinationszahlen wertvolle Informationen
über die Nahordnung von Schmelzen liefern.
S(Q)
T [K]
-1
G(R)
-1
Z
Referenz
4,6
12,5 ± 0,5
[Ho02]
2,51
4,5
12,1 ± 0,5
[Ho02]
2,56
4,7
11,4
[Wa80]
Q1 [Å ]
Q2 [Å ]
R1 [Å]
R2 [Å]
1670
3,00
5,3
2,53
1800
3,01
5,3
1823
3,02
5,6
Tab.6.1:
Aus EDXD-Untersuchung abgeleitete Daten von behälterfrei prozessierten KobaltSchmelzen bei T = 1670 K und T = 1800 K, zusammen mit Literaturwerten von Waseda
[Wa80]
Zur Bestimmung der Z-Werte aus den gemessenen Daten wird die Integration der
Fläche zwischen dem ersten und zweiten Minimum der radialen Verteilungsfunktion
durchgeführt, welche die erste Oszillation von 4πρR²g(R) beschränkt. Diese Definition
bietet den Vorteil, dass sie ausschließlich von den charakteristischen Eigenschaften
der experimentell bestimmten g(R)-Werte abhängt, und keine Annahmen zur Symmetrie des ersten Maximums nötig sind. Es ergibt sich für die Kobaltschmelze bei den
zwei untersuchten Temperaturen wie in Tabelle 6.1 aufgeführt eine Koordinationszahl
Z ≈ 12, die bei abnehmender Temperatur leicht zunimmt. Damit wird die aus den magnetischen Messungen abgeleiteten Erwartung vergleichbarer Koordinationszahlen
aufgrund der Verknüpfung von Koordination und magnetischer Wechselwirkung im
Heisenbergmodell bestätigt.
Koordinationszahlen von Z ≈ 12 wurden bereits für eine große Anzahl an geschmolzenen Metallen wie Nickel und Eisen [Ho02a], [Wa80], [Sche02a] sowie Kupfer
[Wa80] bestimmt und können als typisch für metallische Flüssigleiten betrachtet werden. Die Ableitung einer speziellen Nahordnung aus dieser Koordinationszahl ist allerdings, wie bereits geschildert, nicht ohne weiteres möglich.
Um gezieltere Informationen über die Nahordnung in flüssigem Kobalt zu erhalten, wird der Strukturfaktor S(Q) gemäß [Si98], [Si02] simuliert und mit den experimentellen Daten verglichen. Dabei wird die Flüssigkeit als Ansammlung fest verbundener Cluster unterschiedlicher Struktur betrachtet: hdp, kfz, ikosaedrisch oder dodekaedrisch. Wie in Referenz [Ho02] erläutert, beschreibt die Simulation mit ikosaedri90
6 Ergebnisse und Diskussion
scher Nahordnung den experimentellen S(Q)-Verlauf am besten. Dies gilt sowohl für
den Zustand der stabilen als auch der unterkühlten Schmelze und dient somit der experimentellen Bestätigung einer ikosaedrischen Nahordnung der unterkühlten KobaltSchmelze, gemäß der Voraussage von Frank [Fr52].
6.3 Messungen an Co-Pd
Erstes Ziel am System Co-Pd ist die Analyse der Probengrößenabhängigkeit der Unterkühlung im Rahmen des bestehenden klassischen Modells der Kristallkeimbildung.
6.3.1 Probengrößenabhängigkeit der Unterkühlung
Im Laufe der DTA-Experimente von Wilde an kleinen Co80Pd20-Tröpfchen (Einzelmasse mi < 20 mg) konnte, wie in Abbildung 6.16 dargestellt, an einzelnen Proben eine
Unterkühlung bis in unmittelbare Nähe der Curie-Temperatur TCS = 1264 K der festen
Phase erzielt werden, bevor die Erstarrung ausgelöst wurde.
DTA-Spannung [µV]
20
15
1264 K < TN < 1278 K
10
20
10
5
0
0
-5
1100
1240
1200
1300
1280
1400
1500
1320
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 6.16:
DTA-Messung von sechs Co80Pd20-Partikeln einer Gesamtmasse von m = 100 mg mit
einer Kühlrate von 20 K/min. In der Vergrößerung dargestellt die Erstarrungsereignisse
der einzelnen Proben im Bereich 1264 K < TN < 1278 K. Die Curie-Temperatur der fesS
ten Co80Pd20-Phase liegt bei TC = 1260 K [Wi97].
91
6 Ergebnisse und Diskussion
Co-Pd-Verbindungen weisen eine geringe Schmelzwärme auf [Wi96], und die
Schmelzen zeichnen sich zudem durch eine sehr gute Unterkühlbarkeit aus. Dies
führt bei Unterschreiten einer gewissen Temperatur dazu, dass das Freisetzen der
Schmelzwärme während der Erstarrung aus dem unterkühlten Zustand nicht ausreicht, um die gesamte Probe bis zur Liquidustemperatur TL aufzuheizen. Die Kristallisation aus dem Zustand der unterkühlten Schmelze ist in der Regel ein Prozess, in
dem ein Teil der Probe während der Rekaleszenz unter Nichtgleichgewichtsbedingungen erstarrt, und die dabei freigesetzte Schmelzwärme die Probe bis zur Liquidustemperatur aufheizt. Bei kongruent schmelzenden Verbindungen erfolgt die Kristallisation
der Restschmelze unter Gleichgewichtsbedingungen am Schmelzpunkt TM, bei nicht
kongruent schmelzenden Verbindungen tritt die Kristallisation der Restschmelze im
Temperaturintervall zwischen Liquidus- und Solidustemperatur TS < T < TL auf. Aus
dem Phasendiagramm in Abbildung 5.4 geht hervor, dass Co-Pd-Legierungen mit
Ausnahme von Co50Pd50 ein nicht kongruent schmelzendes Verhalten aufweisen, so
dass bei dem Erstarrungsprozess zwangsläufig Seigerungseffekte auftreten.
(a)
(b)
Temperatur T
restliche
Erstarrung
TM
∆T
Tpl < TM
Rekaleszenz
TN
∆T
Thyp
TN
Zeit t
Abb. 6.17:
Temperatur-Zeit-Profil von Unterkühlungsexperimenten einer kongruent schmelzenden
Probe für
(a) eine Erstarrung oberhalb der Hypercoolingtemperatur Thyp und
(b) eine Erstarrung aus dem Hypercooling-Bereich heraus mit Tpl < TM.
92
6 Ergebnisse und Diskussion
Unterschreitet man die Hypercooling-Temperatur Thyp heizt sich die gesamte Probe
während der Rekaleszenz aufgrund der geringen Schmelzwärme lediglich zur Temperatur Tpl < TL auf (siehe Abbildung 6.17) und erstarrt, wobei ein Aufschmelzen einer
primär erstarrten Phase oder Seigerungseffekte nicht stattfinden. Der aus dem Hypercooling-Bereich erstarrende Festkörper ist homogen, was von entscheidender Bedeutung für die Betrachtung der Probengrößenabhängigkeit der Unterkühlung ist. Das
Erstarren von Co-Pd-Schmelzen unter Nichtgleichgewichtsbedingungen aus dem Hypercooling-Bereich wird von Volkmann et al. ausführlich diskutiert [Vo98].
Ausgangspunkt der DTA-Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit ist eine elektromagnetisch levitierte Co82Pd18-Probe, die aufgrund ihrer hohen Reinheit tiefe Unterkühlungen erreicht und reproduzierbar aus dem Hypercooling-Bereich homogen erstarrt. Das Beispiel einer inhomogen erstarrten Co82Pd18-Probe ist am Gefügebild in
Abbildung 6.18 zu erkennen. Die Unterkühlung erreicht nicht die HypercoolingGrenze, wodurch die Probe deutlich erkennbar Seigerungseffekte aufweist.
Abb. 6.18:
REM-Aufnahme der Querschnittsfläche einer Co82Pd18-Probe in Rückstreuelektronendarstellung. Die Probe unterkühlte in Schmelzflusseinbettung nicht bis in den Hypercooling-Bereich, sondern erstarrte zuvor bei einer Unterkühlung von ∆T = 270 K. Hellgraue
(Pd-reich) und dunkelgraue Bereiche (Co-reich) zeigen den Seigerungseffekt der nicht
kongruent schmelzenden Verbindung an.
93
6 Ergebnisse und Diskussion
Dieser Effekt muss im Verlauf der Untersuchung vermieden werden, da sonst beim
mechanischen Zerteilen der Probe Stöchiometrieverschiebungen entstehen können
und somit die Aussagen der Untersuchung verfälschen.
Eine Betrachtung der freien Enthalpiebilanz einer unterkühlten Schmelze macht
deutlich, dass die Aktivierungsenergie ∆G* zur Bildung eines wachstumsfähigen
Keims gemäß Gleichung 3.14 bei zunehmender Unterkühlung ∆T immer geringer
wird, da der kritische Radius r* der sich bildenden Cluster bei steigender Unterkühlung
immer kleiner wird, bis letztlich ein wachstumsfähiger Keim die Erstarrung auslöst. Um
tiefe Unterkühlungen zu erreichen, muss die Anzahl heterogener Keimstellen möglichst reduziert werden. Bei einer statistischen Verteilung der heterogenen Keimstellen
innerhalb einer Substanz vermindert sich bei abnehmender Probenmasse deren Anzahl und führt somit bei konstantem katalytischen Faktor f(θ) zu einer steigenden Unterkühlung ∆T.
Die Masse der untersuchten homogenen Probe wird im Verlauf der Messungen
durch Zersägen mittels Diamantfadensäge und Abschleifen mit SiC-Schleifpapier um
mehr als zwei Größenordnungen reduziert. Man kann davon ausgehen, dass die Probe im Verlauf der Messungen keine weiteren Keimstellen dazugewinnt, da das Glasflussmittel, wie bereits in Kapitel 6.2 beschrieben, einen reduzierenden und reinigenden Effekt auf die Probenoberfläche aufweist. Abbildung 6.19 zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme der dendritischen Oberflächenstruktur der aus tiefer Unerkühlung erstarrten Probe und bestätigt deren homogene Zusammensetzung.
Abb.6.19:
REM-Aufnahme Aufnahme der Oberfläche einer Co82Pd18-Probe in Sekundärelektronendarstellung (SED); die Probe erstarrte zuvor in Glasflusseinbettung bei einer
Unterkühlung von ∆T = 374 K aus dem Hypercooling-Bereich.
94
6 Ergebnisse und Diskussion
Die elektronenmikroskopischen Untersuchungen von Oberfläche und Schnittfläche
der geteilten Probe aus Abbildung 6.19 und 6.21 bestätigen im Rahmen der Messgenauigkeit der EDX-Analyse von ± 0,5 at.%, dass keine Konzentrationsänderung während des mehrmaligen Prozessierens und Teilens der Probe auftritt. Es ergibt sich
eine Zusammensetzung von 82,5 at.% Co und 17,5 at.% Pd und bestätigt damit die
Zusammensetzung der Einwaage. In Abbildung 6.20 ist ein typisches Spektrum der
charakteristischen Röntgenstrahlung der kristallinen Co82Pd18-Probe dargestellt. Die
Analyse der charakteristischen Röntgenstrahlung weisen die Reinheit der prozessierten Substanz nach. Oxidische Verunreinigungen oder sonstige Einschlüsse mit katalytischer Wirkung werden nicht detektiert.
Pd-Lα
6000
Co-Kα
Pd-Lβ
9000
3000
Intensität [counts]
0
2,5
3,0
3,5
6000
Co-Lα
3000
Co-Kβ
0
2
4
6
8
Energie [keV]
Abb.6.20:
Charakteristisches Röntgenspektrum der kristallinen Co82Pd18-Probe mit Co-Kα-, -Kβund -Lα- sowie Pd-Lα- und -Lβ-Linien.
Eine exakte, auch nach mehrmaligem Prozessieren konstante Zusammensetzung der
Co82Pd18-Probe ist von entscheidender Bedeutung für die folgende Überlegung zur
Analyse der Keimbildung.
95
6 Ergebnisse und Diskussion
Abb.6.21:
REM-Aufnahme der Querschnittfläche der Co82Pd18-Probe aus Abb. 6.15 in Rückstreuelektronendarstellung (BSD). Die Probe ist vollständig einphasig erstarrt und zeigt keine
Kontrastunterschiede, so dass Seigerungseffekte ausgeschlossen werden. Die dunklen
Löcher stellen Lunker dar.
Es gelingt im Lauf der Untersuchung lediglich, die eingebettete Co82Pd18-Probe bis zur
Curie-Temperatur der festen Phase der Ausgangskonzentration TCS = 1284 K zu unterkühlen. Die sich in der unterkühlten Schmelze bildenden Keime besitzen jedoch
aufgrund des Verlaufs von Liquidus- und Solidustemperatur im Phasendiagramms
eine kobaltreichere Zusammensetzung als die Restschmelze. Folglich besitzt ein sich
bildender Keim aufgrund seiner höheren Co-Konzentration eine höhere Magnetisierung und eine höhere Curie-Temperatur als die Schmelze. Da die Unterkühlung der
Probe nicht die nach dem klassischen Keimbildungsmodell berechneten Werte erreicht, müssen zusätzliche Effekte eine Rolle spielen. Die Keimbildung kann dabei
durch das Einsetzen magnetischer Ordnung die thermodynamischen Parameter ∆GV
und σ beeinflussen, welches im klassischen Modell bislang keine Berücksichtigung
findet.
Alle Ergebnisse der Unterkühlungsexperimente wurden zunächst im Rahmen
der klassischen Keimbildungstheorie analysiert und die Keimbildungsrate ISS als Funktion der Unterkühlung unter der Annahme stationärer Bedingungen berechnet. Als
96
6 Ergebnisse und Diskussion
Beispiel einer solchen Rechnung zeigt Abbildung 6.22 die Keimbildungsrate einer
Co80Pd20–Legierung als Funktion der Temperatur.
f(θ) = 1
-3 -1
Keimbuldungsrate ISS [m s ]
1E30
1 s, 1 µg,
d = 60 µm
f(θ) = 0,28
1E20
Tl = 1610 K
s
TC = 1260 K
1E10
100 s, 1 g,
d = 6 mm
100 s, 10 mg,
d = 1,5 mm
∆T = 335 K
∆T = 474 K
1
800
1000
1200
1400
1600
Temperatur [K]
Abb. 6.22:
Homogene (f(θ)=1) und heterogene (f(θ)=0,28) Keimbildungsrate ISS von Co80Pd20 als
Funktion der Temperatur. Der weiße Punkt (o) repräsentiert das Ergebnis eines Experiments an einer 6 mm großen Probe, die durch Levitation unterkühlt wurde [Sch97], der
schwarze Punkt (•) stellt die hypothetisch erreichbare Unterkühlung dieser Probe bei
homogener Keimbildung dar. Weiße Quadrate sind berechnete Unterkühlungen mit gleichem katalytischen Faktor f(θ)=0,28 bei unterschiedlicher Prozessdauer und Probenmasse.
Die Wachstumsgeschwindigkeit tief unterkühlter Co-Pd-Schmelzen erreicht Werte bis
zu 30 m/s [Vo98], so dass vorausgesetzt werden kann, dass ein Keimbildungsereignis
ausreicht, um die Kristallisation der unterkühlten Schmelze einzuleiten. Dies bedeutet,
dass
ISS·V·t = 1,
(6.4)
mit der Keimbildungsrate ISS, dem Volumen V und der Experimentierzeit t. Die Experimentierzeit t = ∆T / T&
ergibt sich aus Kühlrate T& und Unterkühlung ∆T und kann
direkt den Temperatur-Zeit-Profilen entnommen werden. Die Gleichung ISS·V·t = 1
97
6 Ergebnisse und Diskussion
lässt sich als eine horizontale Gerade in Abbildung 6.22 darstellen. Ihr Schnittpunkt
mit der Keimbildungskurve definiert die maximalen Unterkühlungen. Für den Fall einer
6 mm großen Probe und t = 100 s resultiert ∆T = 474 K unter der Annahme homogener Keimbildung, markiert durch den schwarzen Punkt. Der weiße Punkt gibt den realen Unterkühlungswert des Experiments wieder. Die Curie-Temperatur der festen
Co80Pd20-Phase TCs konnte in diesem Experiment nicht erreicht werden. Unter Berücksichtigung der Größe der Probe und der Experimentierzeit wird das experimentelle Resultat beschrieben, wenn heterogene Keimbildung mit einem katalytische Faktor
f(θ) = 0,28 angenommen wird. Es wird auch ersichtlich, dass bei sonst gleichen Randbedingungen eine Verkleinerung der Probengröße von 6 mm auf 1,5 mm eine Ausdehnung der maximalen Unterkühlung um maximal 10 K erwarten lässt. Bei Verkleinerung der Probengröße auf 60 µm bei gleichzeitiger Reduzierung der Experimentierzeit
auf t = 1 s (durch schnelle Abkühlung) wird eine Ausdehnung der Unterkühlung um bis
zu 100 K abgeschätzt. Eine in-situ Messung physikalischer Größen (wie z.B. Magnetisierung, spezifische Wärme, etc.) an der unterkühlten Schmelze wird durch deutliche
Verkleinerung der Probengröße bzw. Verkürzung der Experimentierzeit allerdings erschwert, wenn nicht sogar unmöglich.
Eine Reduzierung der Probenmasse um zwei Größenordnungen von m = 1 g
auf m = 10 mg bei gleichbleibender Experimentierzeit t = 100 s lässt eine Steigerung
der Unterkühlbarkeit von Co82Pd18 um 10 K erwarten, was sich in unserem DTAExperiment bestätigt. Die Ausgangsprobe besitzt eine Masse m1 = 0,768590 g und
wird mehrmals bis zu ihrer maximal erreichbaren Erstarrungstemperatur TN unterkühlt.
Nach anschließendem mechanischem Zerkleinern wird die Probe erneut mittels differentieller Thermoanalyse prozessiert und mehrmals bis zur Erstarrungstemperatur
unterkühlt. Die kleinste untersuchte Probenmasse beträgt dabei m5 = 5,306 mg, was
bei einer Abnahme der Ausgangsmasse auf etwa 0,7 % zu einer Steigerung der absoluten Unterkühlbarkeit um 16 K führt: TN(m1) = 1300 K, TN(m5) = 1284 K. Die Probe
kühlt dabei bis in den Bereich der Curie-Temperaturen von fester und flüssiger Phase
ab (TCL < T < TCS). Eine Übersicht der erzielten Erstarrungstemperaturen TN in Abhängigkeit der Probenmasse m gibt Abbildung 6.23 wieder. Dabei fällt auf, dass die
Nukleationstemperaturen bei abnehmender Probenmasse zwar stetig abnehmen, die
Steigung der Erstarrungskurve TN(m) sich allerdings ab einer Probenmasse m < 0,1 g
unerwartet ändert.
98
Erstarrungstemperatur TN [K]
6 Ergebnisse und Diskussion
1300
1290
1280
0,01
0,1
1
Masse [g]
Abb. 6.23:
Experimentelle Nukleationstemperaturen TN (•) und berechnete Nukleationstemperaturen (∆)anhand eines um magnetische Beiträge erweiterten Kristallkeimbildungsmodells
nach Holland-Moritz et al. [Ho02a]. Die Fehlerbalken geben die Messgenauigkeit der
DTA-Apparatur von ± 1,5 K an.
Dieser mittels DTA-Messungen im Rahmen der Messgenauigkeit eindeutig auflösbare
Effekt lässt sich anhand thermodynamischer Berechnungen von Holland-Moritz et al.
auf den im Temperaturintervall TCL ≤ T ≤ TCS bei abnehmender Temperatur stark ansteigenden magnetischen Beitrag der thermodynamischen Parameter ∆GV und σ. Die
Aktivierungsenergie ∆G* zur Kristallkeimbildung gemäß Gleichung 3.14 muss dazu um
magnetische Beiträge ∆GV,mag und σmag erweitert werden [Ho02a]:
∆G∗ =
(σ klass. + σ mag )3
16
π⋅
3
( ∆G V,klass. + GV,mag )2
(6.5)
Betrachtet man zunächst die Grenzfläche zwischen einem sich bildendem Cluster in
der (111)-Ebene der kubisch flächenzentrierten Kristallstruktur mit Koordination Z = 12
und der Schmelze, so ergibt sich aus dem ‚broken-bond’-Modell, dass im Vergleich
zum Volumen drei nächste Nachbaratome an der fest-flüssig Grenzfläche fehlen. Dadurch reduziert sich der magnetische Beitrag der Grenzflächenenergie zu
99
6 Ergebnisse und Diskussion
σ mag = −
Vol.
3 ⋅ ∆Hmag
12 ⋅
(
N AVm2
)
1
3
.
(6.6)
Dies entspricht gemäß Berechnungen von Holland-Moritz et al. lediglich etwa 1 % des
Beitrags des klassischen Modells der Kristallkeimbildung gemäß Gleichung 3.19 und
kann vernachlässigt werden [Ho02a].
Für den magnetischen Energiebeitrag des Volumens von Cluster und Schmelze
ergibt sich folgende Abschätzung: Die freie Energie eines Festkörpers bzw. einer
Flüssigkeit ist gleich der freien Enthalpie, so dass aus der Differenz der temperaturabhängigen Enthalpie und Entropie von fester und flüssiger Phase über
∆Fmag = ∆HL,S - T∆SL,S = ∆GV,mag
(6.7)
der magnetische Beitrag der freien Enthalpie des Volumens ∆GV,mag folgt. Die magnetischen Messungen an Co-Pd-Legierungen im Bereich x < 20 at.% Pd zeigen, dass
die Curie-Temperaturen TCL von flüssiger und TCS von fester Phase mit zunehmender
Palladium-Konzentration immer weiter voneinander abweichen. Dadurch ergibt sich in
diesem Konzentrationsbereich für eine unterkühlte Schmelze nach Unterschreiten der
Curie-Temperatur TCS der festen Phase ein wie in Abbildung 6.24 skizzierter steigender magnetischer Beitrag ∆Fmag, der bei Erreichen der Curie-Temperatur TCL der Flüssigkeit sein Maximum erreicht und bei weiter abnehmender Temperatur nahezu konstant bleibt.
∆HL,S
∆Fmag
∆SL,S
Temperatur
Abb. 6.24:
TCL TCS
Skizzierter Verlauf der Differenz der Entropie ∆S
L,S
(rot) und Enthalpie ∆H
L,S
(blau) von
fester und flüssiger Phase sowie der freien Energie ∆Fmag (schwarz) in Abhängigkeit der
Temperatur unterhalb der Curie-Temperatur der festen Phase T ≤ TC
100
S
6 Ergebnisse und Diskussion
Der zusätzliche Energiebeitrag ∆Fmag beträgt etwa 15% der Aktivierungsenergie zur
Keimbildung ∆GV(TN) des klassischen Keimbildungsmodells [Ho02a]. Dieser Beitrag
erscheint vergleichsweise gering, bei relativen Unterkühlungen von ∆T/TL ≥ 0,2 sind
jedoch bereits geringe zusätzliche Energiebeiträge ausreichend, um ein Kristallisationsereignis hervorzurufen.
Die Steigungsänderung der Messdatenkurve TN(m) gemäß Abbildung 6.23 lässt
sich anhand dieser Berechnungen durch den anwachsenden magnetischen Energiebeitrag beschreiben: Erreicht die Unterkühlung der Schmelze die Curie-Temperatur
TCS des Co-reichen Clusters, so ergeben sich zusätzliche magnetische Beiträge zur
Keimbildung. Gelingt aufgrund der Probengrößenverkleinerung ein Unterkühlen der
Schmelze unter die Curie-Temperatur TCL des Clusters, so stagniert dessen magnetische Beitrag, und der Keimbildungsprozess wird erneut durch strukturelle Effekte dominiert. Die Steigungsänderung in Abbildung 6.23 beschreibt demnach den Unterschied zwischen magnetisch getriebener und, bei abnehmender Probenmasse, strukturell bedingter Keimbildung der Co82Pd18-Probe.
Die kalorimetrischen Messungen der Probengrößenabhängigkeit der Unterkühlung
geben erneut einen deutlichen Hinweis auf zusätzliche magnetische Beiträge zur Kristallkeimbildung im System Co-Pd. Zur Formulierung des Modell einer magnetisch getriebenen Keimbildung ist jedoch die genaue Kenntnis magnetischer Eigenschaften
notwendig, die bisher im Bereich der unterkühlten Schmelze nicht vorlagen.
6.3.2 Magnetische Untersuchungen
Magnetische Messungen an unterkühlten Co-Pd-Schmelzen sind aufgrund des geringen Abstands zwischen Liquidus- und Curie-Temperatur in diesem Probensystem von
besonderem Interesse. Bereits mit Unterkühlungen von ∆T = 341 K lässt sich die Curie-Temperatur der festen Phase von Co82Pd18 erreichen und somit magnetische Eigenschaften der tief unterkühlten Schmelze studieren. Eine Übersicht der Umwandlungstemperaturen für verschiedene Co-Pd-Zusammensetzungen aus DTA-Analysen
in Tabelle 6.2 angegebenen.
101
6 Ergebnisse und Diskussion
Co
Co90Pd10
Co82Pd18
Co80Pd20
TL [K]
1768 ± 1,5 1730 ± 1,5 1690 ± 1,5 1625 ± 1,5 1610 ± 1,5
TS [K]
1768 ± 1,5 1710 ± 1,5 1650 ± 1,5 1577 ± 1,5 1565 ± 1,5
S
TC [K]
Tab. 6.2:
Co95Pd5
1394 ± 1,5 1372 ± 1,5 1340 ± 1,5 1284 ± 1,5 1260 ± 1,5
Thermoanalytisch bestimmte Liquidus-, Solidus- und Curie-Temperatur untersuchter CoPd-Zusammensetzungen und von reinem Co.
Ergebnisse magnetischer Messungen an einzelnen Co-Pd-Legierungen sind in Abbildung 6.25 bis Abbildung 6.28 dargestellt. Die Temperaturen der verschiedenen Phasenübergänge lassen sich mit den mittels DTA-Messungen analysierten Umwandlungstemperaturen aus Tabelle 6.2 im Rahmen der Messgenauigkeit der FaradayWaage identifizieren.
Abbildung 6.25 zeigt die Suszeptibilitätsmessung von Co95Pd5 mit einer Heizbzw. Kühlrate von 5 K/min. Die maximal erreichte Unterkühlung beträgt ∆T = 255 K.
Das Aufschmelzen lässt sich anhand der Aufheizheizkurve charakterisieren woraus
sich Solidustemperatur TS = 1690 K sowie Liquidustemperatur TL = 1730 K ableiten
lassen. Die Curie-Temperaturen von fester TCS = (1381 ± 5) K und flüssiger Phase
TCL = (1380 ± 1) K sind im Rahmen der Auflösung identisch, übereinstimmend zur
Messung an reinem Kobalt, während die Curie-Konstanten beider Phasen voneinander abweichen, wie Tabelle 6.3 zu entnehmen ist.
Wie anhand Abbildung 6.26 ersichtlich, unterkühlt die prozessierte Co90Pd10Probe bei einer Kühlrate von 5 K/min um ∆T = 246 K. Es ergibt sich eine Differenz
zwischen der Curie-Temperatur von Festkörper TCS = (1368 ± 1) K und derjenigen der
Flüssigkeit TCL = (1361 ± 2) K von etwa 7 K, bei erneut unterschiedlichen CurieKonstanten CS und CL (siehe Tabelle 6.3).
102
6 Ergebnisse und Diskussion
TL = 1730 K
1,50
TS = 1690 K
1,0
2,0
TN = 1475 K
1,00
1650
1700
1750
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,25
0,5
1,5
1425
T
1,0
1450
S
C
L
1475
1500
= (1381 + 5) K
TC = (1380 + 1) K
0,5
∆T = 255 K
0,0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
Temperatur [K]
Abb. 6.25:
Suszeptibilitätsmessung von Co95Pd5 mit einer Kühl- bzw. Heizrate von 5 K/min
1,5
TS = 1631 K
1,0
TN = 1432 K
0,6
2,0
1600
1650
1700
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
2,5
TL = 1678 K
0,4
1,5
0,2
1400
1,0
1425
1450
1475
S
TC = (1368 + 1) K
L
TC = (1361 + 2) K
0,5
∆T = 246 K
0,0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.26:
Suszeptibilitätsmessung von Co90Pd10 mit einer Kühl- bzw. Heizrate von 5 K/min
103
6 Ergebnisse und Diskussion
In Abbildung 6.27 ist die inverse Suszeptibilität von Co82Pd18 in Abhängigkeit der
Temperatur bei einer Heiz- und Kühlrate von 3 K/min dargestellt. Die Probe unterkühlte in Glaseinbettung um ∆T = 218 K. Die Curie-Temperaturen von fester TCS = (1259 ±
1) K und flüssiger Phase TCL = (1297 ± 9) K unterscheiden sich nun in Folge der gestiegenen Palladiumkonzentration um ca. 38 K.
Wie die Messung aus Abbildung 6.28 zeigt, ist für Co82Pd18 auch ohne Glasflussmittel in einem Al2O3-Tiegel eine Unterkühlung ∆T > 100 K möglich. Beim Aufheizen ist das Temperaturintervall des Schmelzprozesses deutlich erkennbar durch das
Abknicken der χ-1(T)-Kurve bei TS = 1565 K und bei TL = 1620 K. Die ermittelten Temperaturen sind dabei in guter Übereinstimmung mit den kaloriemetrisch bestimmten
Temperaturen aus Tabelle 6.2. Die Differenz zwischen Curie-Temperatur TCS = (1296
± 2) K von fester und flüssiger Phase TCL = (1261 ± 1) K beträgt auch bei der Messung ohne Glasflussmittel 35 K.
2,0
TL = 1620 K
1600
1620
1640
2
-1
6
Inverse Suzeptibilität χ [10 kg/m³]
1,5
TN = 1402 K
1
S
TC = 1297 K
L
TC = 1259 K
∆T = 218 K
0
1200
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.27:
104
Suszeptibilitätsmessung von Co82Pd18 mit einer Kühl- bzw. Heizrate von 3 K/min
6 Ergebnisse und Diskussion
TL = 1620 K
TS = 1565 K
1,0
2
1520
1560
1600
1640
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,5
TN = 1511 K
1
S
TC = (1296 + 2) K
L
TC = (1261 + 1) K
∆T = 109 K
0
1200
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.28:
Suszeptibilitätsmessung von Co82Pd18 ohne Glasflussmittel mit einer Kühl- bzw. Heizrate
von 5 K/min. Rote Punkte stellen den Aufheizvorgang, schwarze Punkte den Abkühlvorgang dar.
Eine Übersicht der ermittelten magnetischen Daten von in Glaseinbettung prozessiertem Kobalt und Co-Pd-Legierungen vermittelt Tabelle 6.3. Die bisher angeführten
Fehler ergeben sich aus der statistischen Analyse der linearen Regression der jeweiligen Einzelmessungen. Bei den angegebenen Temperaturen muss dabei zusätzlich
ein systematischer Fehler aufgrund des berührungslosen Messverfahrens mittels
Thermoelement von ± 5 K berücksichtigt werden. Für verschiedene Proben wurde die
Magnetfeldstärke 410 kA/m < H0 < 1025 kA/m sowie der Temperaturgradient der
Heiz- bzw. Kühlrate 2,5 K/min < T& < 50 K/min variiert. Ein Einfluss der Magnetfeldstärke auf die Messergebnisse konnte dabei nicht festgestellt werden. Aufgrund der
berührungslosen Temperaturmessung hängt allerdings die absolute Temperaturdifferenz zwischen Probe und detektierter Ofentemperatur vom Temperaturprofil der Messung ab: Bei langsamen Raten bis zu T& = ±10 K/min entstehen nur geringe Differenzen der gemessenen Ofentemperatur zur eigentlichen Probentemperatur, während
105
6 Ergebnisse und Diskussion
bei schnelleren Raten T& ≥ 20 K/min höhere Temperaturabweichungen entstehen und
in Betracht zu ziehen sind. Der Strahlungsaustausch bei Temperaturen T > 1300 K
gewährleistet bei moderaten Kühlraten einen zügigen Temperaturausgleich zwischen
Probe und Ofen, so dass nur marginale Temperaturabweichungen im Vergleich zur
kaloriemetrischen Analyse entstehen.
T& [K/min]
Co95Pd5
Co90Pd10
Co82Pd18
± 12
±5
±5
±3
TC
kristallin
1400 ± 3 ± 5
1381 ± 5 ± 5
1368 ± 1 ± 5
1297 ± 1 ± 5
[K]
flüssig
1394 ± 2 ± 5
1380 ± 1 ± 5
1361 ± 2 ± 5
1259 ± 9 ± 5
C
kristallin
285,7 ± 0,4
278,6 ± 0,6
242,1 ± 0,1
236,4 ± 0,4
[10 m³K/kg]
flüssig
275,5 ± 0,3
255,7 ± 0,1
227,8 ± 0,2
216,0 ± 0,1
µ
kristallin
3,27 ± 0,01
3,23 ± 0,01
3,01 ± 0,01
2,98 ± 0,01
[µB]
flüssig
3,22 ± 0,01
3,10 ± 0,01
2,92 ± 0,01
2,85 ± 0,01
-6
Tab. 6.3:
Co
Verwendete Kühl- bzw. Heizrate T& , sowie ermittelte Curie-Temperatur TC, CurieKonstante C und magnetisches Moment µ von reinem Kobalt und der untersuchten CoPd-Legierungen. Die Fehler ergeben sich aus den statistischen Schwankungen der
Messwerte sowie einem zusätzlichen systematischen Messfehler der Probentemperatur
aufgrund der berührungslosen Messmethode von ± 5 K.
Die magnetischen Daten der untersuchten Co-Pd-Legierungen offenbaren, dass bei
steigender Palladiumkonzentration die magnetischen Eigenschaften von Festkörper
und Schmelze immer weiter voneinander abweichen. Beschränkt sich dieser Effekt bei
Co95Pd5 zunächst noch auf die Curie-Konstanten und magnetischen Momente von
fester und flüssiger Phase, so zeigt sich bereits bei Co90Pd10 auch ein Unterschied in
den Curie-Temperaturen TCS und TCL. Für Co82Pd18, der Verbindung mit dem geringsten Abstand δT = TL - TC zwischen Liquidus- und Curie-Temperatur im gesamten Phasendiagramm, ist die Differenz zwischen Curie-Temperatur von fester und flüssiger
Phase für alle untersuchten Co100-xPdx-Zusammensetzungen, mit x ≤ 18 am größten.
Palladiumreichere Zusammensetzungen wurden nicht untersucht, da dort die CurieTemperaturen bereits so stark absinken, dass relative Unterkühlungen ∆T/TL ≈ 0,2
nicht ausreichen, um magnetische Effekte auf die Keimbildung untersuchen zu können.
106
6 Ergebnisse und Diskussion
Im Verlauf der Untersuchung ist es gelungen, Co-Pd-Proben in Schmelzflusseinbettung bis an die Curie-Temperatur der festen Phase zu unterkühlen. Eine ferromagnetische flüssige Phase konnte dabei jedoch nicht gefunden werden, da die Keimbildung
bereits im paramagnetischen Bereich der tief unterkühlten Schmelze einsetzte. Das
Einsetzen magnetischer Ordnung könnte die thermodynamischen Parameter ∆GV und
σ in der Aktivierungsenergie beeinflussen. Solche Effekte sind in dem klassischen
Modell der Kristallkeimbildung bislang nicht berücksichtigt. Gelingt es, in der Aktivierungsenergie ∆G* aus Gleichung 3.14 den magnetische Beitrag zur Entropie- und
Enthalpieänderung des Phasenübergangs zu berücksichtigen, so ließe sich möglicherweise das Erstarrungsverhalten der Co-Pd-Schmelzen auch im Bereich hoher
Kobaltkonzentrationen erklären, in dem die Nukleation durch das Einsetzen magnetischer Ordnung stimuliert zu werden scheint. Die magnetischen Messungen an tief
unterkühlten Co-Pd-Schmelzen liefern zur Entwicklung eines erweiterten Modells der
Kristallkeimbildung somit wichtige Parameter.
Auch am eutektischen Probensystemen Co-Au gelingt es, Messungen an tief
unterkühlten Schmelzen durchzuführen, die wichtige Rückschlüsse auf das vorliegende Keimbildungsverhalten zulassen.
6.4
Magnetische Messung an Co-Au
Das eutektische System Co-Au liefert wertvolle Aufschlüsse hinsichtlich magnetischer
Einflüsse auf die Kristallkeimbildung. Die Untersuchung der inversen Suszeptibilität
von Co90Au10 erfolgt unter anderem zur Verifizierung der von Wilde bei thermoanalytischen Messungen berichteten Koinzidenz von Nukleationstemperatur und extrapolierter Curie-Temperatur TCS des Löslichkeitsbereich der Randphase, von der bereits in
Kapitel 5.2.2 berichtet wurde.
In Abbildung 6.29 ist die inversen Suszeptibilität einer Co90Au10-Probe im festen
und flüssigen Zustand in Abhängigkeit der Temperatur dargestellt. Es gelingt im Verlauf der Messung eine Unterkühlung von ∆T = 250 K zu erreichen. Die aus dem linearen Verlauf der inversen Suszeptibilität während des Aufheizvorgangs abgeleitete Curie-Temperatur TCs = 1392 K ist im Rahmen der Messgenauigkeit mit der Temperatur
des magnetischen Phasenübergangs von kristallinem Kobalt identisch. Das Zulegieren von 10 at.% Gold wirkt sich nicht auf die magnetische Übergangstemperatur der
festen Probe aus, während die Curie-Temperatur der flüssigen Phase TCL = (1334 ± 1)
K deutlich unter dem Wert von flüssigem Kobalt liegt. Die Übereinstimmung der Curie107
6 Ergebnisse und Diskussion
Temperatur von kristalliner Co-Au-Mischphase und kristallinem Kobalt wird durch den
geringen Löslichkeitsbereich von Gold in α-Kobalt von maximal 2,5 at.% verständlich.
TL = 1665 K
1,2
1600
2
0,8
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
1,6
1650
1700
TN = 1415 K
0,4
0,0
1380
1400
1420
1440
s
1
TC = (1392 + 4) K
L
TC = (1334 + 1) K
∆T = 250 K
0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.29:
Suszeptibilitätsmessung an Co90Au10. Rote Punkte geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 5 K/min. Im Lauf der Messung wird eine Unterkühlung
von ∆T = 250 K erzielt.
Die magnetischen Eigenschaften der stabilen und der unterkühlten Schmelze unterscheiden sich nicht voneinander, so dass die inverse Suszeptibilität der Probe auch im
tief unterkühlten Zustand dem Curie-Weiss-Gesetz der stabilen Schmelze folgt. Die
Curie-Konstante der einphasigen Flüssigkeit CL = (213 ± 0,1) • 10-6 m³K/kg ist durch
die zulegierten nichtmagnetischen Goldatome erwartungsgemäß niedriger als die der
reinen Kobaltschmelze, was sich auch auf die Zahl effektiver magnetischer Momente
auswirkt (siehe Tabelle 6.4).
108
6 Ergebnisse und Diskussion
TC
[K]
CL
-6
[10 m³K/kg]
L
eff
µ
[µB]
Tab. 6.4:
Co
Co90Au10
1394 ± 2 ± 5
1334 ± 1 ± 5
275,5 ± 0,3
213,2 ± 0,1
3,22 ± 0,01
3,14 ± 0,01
L
Curie-Temperatur, Curie-Konstante und effektives magnetisches Moment von reinem
flüssigem Kobalt und von flüssigem Co90Au10. Die Temperaturdaten berücksichtigen den
aus der jeweiligen Statistik folgenden Fehler und einen systematischen Fehler von ± 5 K.
Temperatur [K]
1700
TL
1500
TCS
1300
TEut
100
90
80
70
Co [at%]
Abb. 6.30:
Ausschnitt aus dem Phasendiagramm von Co-Au nach [Hu73]. Braune Dreiecke (▲)
kennzeichnen die von Wilde mittels DTA erreichten maximalen Unterkühlungen [Wi97].
Die blauen Rauten (♦) geben die mittels Faraday-Waage bestimmte Curie-Temperatur
von kristallinem Kobalt und der kristallinen Mischphase von Co90Au10 wieder, die offenen
Punkte (o) die ermittelte Curie-Temperatur der flüssigen Phasen von Kobalt und
Co90Au10. Die Messfehler sind kleiner als die jeweilige Symbolgröße.
Im Ausschnitt des Co-Au-Phasendiagramms in Abbildung 6.30 sind die nach [Wi97]
maximal erreichten Unterkühlungen prozessierter Co-Au-Legierungen eingezeichnet.
Weiterhin sind die durch Messungen mittels Faraday-Waage ermittelten Curie109
6 Ergebnisse und Diskussion
Temperaturen von Kobalt und Co90Au10 eingetragen. Die gepunktete Linie stellt eine
Extrapolation der Curie-Temperatur TCL(x) der unterkühlten Schmelze in Abhängigkeit
der Konzentration x dar und verläuft durch die experimentell bestimmten CurieTemperaturen der flüssigen Phasen von Kobalt und Co90Au10. Die Curie-Temperatur
TCL(x) der durchmischten, unterkühlten Schmelze verläuft demnach deckungsgleich
mit der extrapolierten Linie TN(x) der erzielten Nukleationstemperaturen.
Zusammen mit den in Messungen der spezifischen Wärme gefundenen Anomalien [Wi97] ergibt sich somit auch am Probensystem Co-Au ein gewichtiger Hinweis
auf den Einfluss der sich im tief unterkühlten Zustand ausprägenden magnetischen
Ordnung auf die Kristallkeimbildung.
6.5 Magnetische Messungen an Co-Cu
Das peritektische System Co-Cu besitzt im Bereich der unterkühlten Schmelze eine
metastabile Mischungslücke. Für hinreichend hohe Unterkühlungen wird die Binodale,
welche die Grenze für vollständig mischbare und entmischende Flüssigkeit darstellt
unterschritten, und die einphasige Co-Cu-Schmelze separiert in eine kobaltreiche (L1)
und eine kupferreiche Flüssigkeit (L2).
Dieser Prozess wurde, wie bereits in Kapitel 5.2.3 beschrieben, mittels elektromagnetischer Levitation und DTA-Messungen detailliert studiert [Ni84], [Mu92],
[Mu96], [Ko01], [Ca02]. Die vorlegierten Proben werden bei den im Rahmen dieser
Arbeit durchgeführten DTA-Messungen bei Temperaturen zwischen 1700 - 1800 K in
Al2O3-Tiegeln eingebettet in Duran®-Glas aufgeschmolzen. Es werden jeweils mehrere Heiz- und Kühlzyklen mit +10 K/min und -20 K/min durchgeführt. Ein typisches
DTA-Signal einer Co70Cu30-Probe ist in Abbildung 6.34 dargestellt. In der Abkühlkurve
wird die Entmischung der Flüssigkeiten durch die mit TSep bezeichnete Stufe identifiziert. Deutlich sichtbar neben dieser chemischen Entmischung bei der Separationstemperatur sind die beiden Erstarrungssignale von kobaltreicher Phase (L1) bei TN
und kupferreicher Restschmelze (L2 ’) bei der peritektischen Temperatur TPer.
Abbildung 6.31 zeigt das Gefügebild einer aus tiefer Unterkühlung erstarrten
Co30Cu70-Probe. Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der entmischten Probe verdeutlicht, dass die Mikrostruktur durch die spontane Nichtgleichgewichtserstarrung eingefroren wurde. Die höhere Dichte von flüssigem Kobalt im Vergleich zu flüssigem Kupfer bewirkt, dass die kobaltreiche Flüssigkeit im Verlauf der Messung sedimentiert. In beiden voneinander separierten Bereichen sind weitere Ausscheidungen
110
6 Ergebnisse und Diskussion
deutlich erkennbar, die Rückschlüsse auf den Erstarrungsvorgang erlauben. Aus den
in Tabelle 6.5 aufgeführten, mittels EDX-Analyse ermittelten chemischen Zusammensetzungen, sowie anhand durchgeführter DTA- und magnetischer Messungen bestimmten Entmischungstemperaturen lässt sich der Entstehungsprozess der Probe,
wie in Abbildung 6.32 skizziert, beschreiben:
Nach dem ersten Entmischungsvorgang in zwei separate Flüssigkeiten ändern
beide Phasen L1 und L2 gemäß der Phasengrenze der metastabilen Binodalen mit
zunehmender Unterkühlung immer weiter ihre Zusammensetzung, bis in der Flüssigkeit L1 eine kobaltreiche Phase S1 erstarrt. Durch diese Kristallisation wird eine kupferreiche Restschmelze L1’ eingeschlossen und erstarrt in einer Folgereaktion zu S1’.
In der kupferreichen L2-Phase wachsen zunächst Kobaltdendriten S2. In der teilflüssigen Restschmelze koexistieren festes α-Co und eine Flüssigkeit L2’, die kupferreicher ist als die ursprüngliche L2-Phase. Die L2’-Flüssigkeit erstarrt bei weiterem Abkühlen in einer peritektischen Reaktion unter Gleichgewichtsbedingungen zu S2’.
Co-Konzentration
[at.%]
Cu-Konzentration
[at.%]
Tabelle 6.5:
L1
L2
83,0 ± 0,5
13,6 ± 0,5
17,0 ± 0,5
86,4 ± 0,5
EDX-Analyse der Co30Cu70-Probe aus Abbildung 6.31. Die Konzentrationen sind gemittelt über Flächen von 400 x 400 µm² (L1) bzw. 200 x 200 µm² (L2) und stellen somit Mittelungen der Mischphasen in L1 und L2 dar.
111
6 Ergebnisse und Diskussion
g
Abb. 6.31:
REM-Aufnahme einer Co30Cu70-Probe in Rückstreuelektronendarstellung; die Probe
erstarrte zuvor in Glasflusseinbettung bei einer Unterkühlung ∆T = 220 K (130 K unterhalb der Mischungslücke). Oben dunkel abgebildet ist das Phasengemisch der ursprünglichen kobaltreichen Phase L1 ummantelt von dem hell dargestellten Phasengemisch der ehemaligen kupferreichen Phase L2. Der Pfeil gibt die Richtung der Gravitation wieder. Vergrößert dargestellt sind Ausschnitte aus den Bereichen L1 und L2 mit ihren primär erstarrten kobaltreichen Phasen S1 und S2 (jeweils dunkel dargestellt), sowie
den kupferreichen Restphasen (hell). Schwarze Flecken stellen Lunker dar.
112
6 Ergebnisse und Diskussion
Temperatur
L
L1
S1
L2
L1 ,
S1
S2
L2
,
,
S2,
Kobaltkonzentration
Abb.6.32:
Schematischer Verlauf der Entmischung einer homogenen Co-Cu-Schmelze L, die in
zwei Teilflüssigkeiten L1 und L2 separiert, die ihrerseits jeweils aus dem teilflüssigen
Zustand (S1+L1’) bzw. (S2+L2’) in einer Folgereaktion zu S1’ sowie S2’ erstarren.
Abbildung 6.33 stellt schematisch die inverse Suszeptibilität einer Co-Cu-Probe in Abhängigkeit der Temperatur dar und zeigt exemplarisch die vielfältigen magnetischen
Eigenschaften der verschiedenen Zustände. Unterschieden werden muss zwischen
der kristallinen Co-Cu-Mischphase, der homogenen Schmelze und der separierten
Schmelze. Beim Aufheizen durchläuft die Probe zunächst eine peritektische Umwandlung bei der Temperatur TPer, bevor sie nach Passieren der Liquidustemperatur TL
vollständig flüssig ist. Da es sich bei beiden Übergängen um Phasenumwandlungen 1.
Ordnung handelt, bewirkt die latente Wärme auch bei langsamen Heiz- und Kühlraten
einen Temperaturversatz zwischen Proben- und Ofentemperatur, was sich im Signal
der inversen Suszeptibilität jeweils durch eine Steigungsänderung wiederspiegelt.
Beim Abkühlen entmischt die homogene Schmelze bei Erreichen der Separationstemperatur TSep in die beiden flüssigen Phasen L1 und L2, was sich im Signal der inversen Suszeptibilität aufgrund der unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften
durch ein plötzliches Abknicken der Messkurve bemerkbar macht. Der spontane Anstieg der inversen Suszeptibilität bei der Nukleationstemperatur TN kennzeichnet die
Erwärmung der Probe durch die freigesetzte latente Wärme. Die auftretende Differenz
der Temperatur der nachfolgenden peritektischen Umwandlung im Vergleich zum
Heizvorgang ist als Hinweis für die verzögerte Reaktion anzusehen. Größere Hystere113
6 Ergebnisse und Diskussion
se-Effekte zwischen Ofen- und Probentemperatur sind bei den niedrigen Kühlraten
von ± 5 K/min und Temperaturen T > 1200 K aufgrund des raschen Wärmeaus-
Inverse Suszeptibilität
tauschs über Wärmestrahlung auszuschließen.
TSep
TN
TL
TCL
Temperatur
peritektischer Bereich
Abb. 6.33:
Schematische Darstellung einer Messung der inversen Suszeptibilität χ (T) einer Co-1
Cu-Probe. Rot dargestellt der Aufheizvorgang mit dem Plateau der einsetzenden
peritektischen Umwandlung sowie der Liquidustemperatur TL. Die schwarze
Kurve
repräsentiert den Abkühlzyklus einer unterkühlenden Probe mit erkennbarem Abknicken
an der Separationstemperatur TSep und dem spontanen Anstieg der inversen
Suszeptibilität bei der Nukleationstemperatur TN aufgrund der Erwärmung der Probe
durch die freigesetzte latente Wärme. Aus dem linearen Verlauf der flüssigen
L
homogenen Phase lässt sich die Curie-Temperatur TC ableiten.
Im Experiment unterscheidet sich die Steigung der inversen Suszeptibilität beim Unterschreiten der Liquidustemperatur TL zunächst nicht von derjenigen der stabilen
Schmelze, wie die Messung an Co70Cu30 in Abbildung 6.35 verdeutlicht. Sobald die
Entmischungstemperatur TSep = 1520 K erreicht wird, ändert sich die Steigung allerdings diskontinuierlich. Von dieser Temperatur ab liegen, wie zuvor beschrieben, mehrere Mischphasen vor, die sich im Signal der inversen Suszeptibilität nicht voneinander separieren lassen. Trotz des Auftretens mehrerer Phasen lässt sich das Verhalten
der Probe im entmischten Zustand nahezu durch ein lineares Curie-Weiss-Verhalten,
ähnlich dem einer einphasigen Substanz beschreiben. Die Curie-Temperatur TCL1+L2 =
1360 K der separierten Flüssigkeiten L1 und L2 ist dabei in guter Übereinstimmung
114
6 Ergebnisse und Diskussion
mit der Curie-Temperatur TCS+L = 1339 K der teilflüssigen Mischphase des Aufheizvorgangs. Die Curie-Temperatur TCL = 1285 K der homogenen Flüssigkeit liegt hingegen deutlich tiefer wie Tabelle 6.5 zeigt. Bei einer Unterkühlung von ∆T = 230 K erstarrt ein Teil S1 der kobaltreichen Flüssigkeit L1, und die Restschmelze kristallisiert
in der nachfolgenden peritektischen Reaktion.
Die kalorimetrische Messung einer Co30Cu70-Probe ist in Abbildung 6.36 zu sehen, wobei die Entmischung der Schmelze der Stufe im Signal des Abkühlvorgangs
bei TSep = 1536 K zugeordnet werden kann. Die magnetische Messung einer
Co30Cu70-Probe ist in Abbildung 6.37 dargestellt. Die Separation der unterkühlten
Flüssigkeit zeigt sich im magnetischen Messsignal wiederum an dem Abknicken der
inversen magnetischen Suszeptibilität bei der Temperatur TSep = 1544 K und stimmt in
Anbetracht des in Kapitel 4.3.6 beschriebenen Messfehlers mit der kalorimetrisch bestimmten Entmischungstemperatur TSep = 1536 K überein. Die Curie-Temperatur TCL
= 744 K der homogenen Flüssigkeit ist durch den hohen Kupferanteil stark abgesunken, während die Curie-Temperaturen TCL1+L2 = 1305 K der separierten Flüssigkeiten
L1 und L2 sowie TCS+L = 1293 K der teilflüssigen Mischphase nur vergleichsweise
schwach abgefallen und abermals nahezu identisch sind.
115
6 Ergebnisse und Diskussion
TN = 1447 K
TPer = 1376 K
DTA-Spannung [µV]
50
0
-50
75
TSep = 1517 K
70
-100
65
60
1480
-150
1500
1520
1540
-200
1300
1400
1500
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 6.34:
DTA-Messung einer in Glasflussmittel eingebetteten Co70Cu30-Probe bei einer Kühlrate
von -20 K/min
2,5
TSep = 1520 K
-1
TL = 1682 K
1,5
1480
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
2,0
4
1520
1560
3
TN = 1452 K
2
TC
TC
1
L1+L2
S+L
= 1360 K
= 1339 K
L
TC = 1285 K
∆T = 230 K
0
1200
1400
1600
Temperatur [K]
Abb. 6.35:
Suszeptibilitätsmessung an Co70Cu30. Rote Punkte geben den Aufheizprozess mit +5
K/min wieder, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit –5 K/min. Bei der Messung wird
eine Unterkühlung von ∆T = 230 K erzielt.
116
6 Ergebnisse und Diskussion
(a)
(b)
TPer = 1379 K
TN = 1483 K
60
60
DTA-Spannung [µV]
50
40
40
TL = 1637 K
30
20
TPer = 1381 K
20
55
0
50
TSep = 1536 K
10
45
1500
-20
0
1525
1550
1575
-40
-10
1200
1300
1400
1500
1600
1700
1200
1300
1400
Temperatur [K]
Abb. 6.36:
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
DTA-Messung einer Co30Cu70-Probe
(a) Aufheizvorgang bei +10 K/min mit Schmelzbeginn des Mischkristalls bei der peritektischen Temperatur TPer und komplettem Aufschmelzen bei der Liquidustemperatur TL
(b) Abkühlvorgang bei -20 K/min mit Separations-, Nukleations- und peritektischer Temperatur TSep, TN und TPer.
6
TSep = 1544 K
4
1500
1550
TL = 1637 K
1600
6
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
5
TN = 1417 K
4
2
∆T = 220 K
0
1200
1300
1400
1500
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 6.37:
Suszeptibilitätsmessung an Co30Cu70. Rote Punkte geben den Aufheizprozess, schwarze Punkte den Abkühlvorgang mit 20 K/min wieder. Bei der Messung wird eine Unterkühlung von ∆T = 220 K erzielt.
117
6 Ergebnisse und Diskussion
Ein Vergleich zwischen kalorimetrischer und magnetischer Untersuchung der Zusammensetzung Co70Cu30 anhand der Abbildungen 6.34 und 6.35 sowie Abbildung 6.36
und 6.37 zeigt, dass der Entmischungsvorgang bei beiden Verfahren nahezu bei derselben Temperatur eintritt. Die Vermutung, dass die Diskrepanz der Entmischungstemperaturen von Nakagawa [Na58], dessen Separationstemperaturen um etwa 30 K
höher liegen, auf die Messung der magnetischen Suszeptibilität zurückzuführen sein
könnte, welche empfindlicher als die DTA auf langreichweitige Fluktuationen in der
Nähe der Binodalen reagiert, kann anhand der erzielten Messergebnisse ausgeschlossen werden.
Abbildung 6.38 zeigt eine Messung der inversen magnetischen Suszeptibilität
von Co15Cu85, in der keine ausreichende Unterkühlung erzielt wurde, um eine Entmischung hervorzurufen. Die Probe erstarrt oberhalb der Separationstemperatur bei einer Unterkühlung von ∆T = 58 K teilweise zu α-Kobalt, und die Restschmelze wird
immer kobaltärmer, bis sie in einer peritektischen Reaktion bei TPer = 1375 K kristallisiert. Auch hier tritt wieder das Phänomen auf, dass die abkühlende teilflüssige Probe
einem linearen Curie-Weiss-Gesetz zu folgen scheint, obwohl sich die Zusammensetzung des Phasengemischs von festem α-Kobalt und Restschmelze temperaturabhängig ändert.
TN = 1514 K
20
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
TL = 1572 K
-1
15
TPer = 1375 K
10
5
∆T = 58 K
0
1300
1400
1500
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 6.38:
Suszeptibilitätsmessung an Co15Cu85. Offene Punkte geben den Aufheizprozess, volle
Punkte den Abkühlvorgang mit 20 K/min wieder. In der Messung wird lediglich eine geringe Unterkühlung von ∆T = 58 K erzielt, womit keine Entmischung erreicht werden
konnte.
118
6 Ergebnisse und Diskussion
Eine Zusammenstellung der magnetischen Daten der flüssigen homogenen Phase
verschiedener Co-Cu-Legierungen findet sich in Tabelle 6.6.
TC
Co30Cu70
Co25Cu75
1285 ± 3 ± 5
1197 ± 2 ± 5
744 ± 4 ± 5
501 ± 12 ± 5
1339 ± 4 ± 5
1343 ± 10 ± 5
1305 ± 6 ± 5 1284 ± 24 ± 5
128,4 ± 0,2
102,9 ± 0,1
154,3 ± 0,4
108,9 ± 0,6
2,22 ± 0,01
2,00 ± 0,01
2,47 ± 0,01
2,08 ± 0,01
L1+L2
[K]
CL
-6
[10 m³K/kg]
L
eff
µ
[µB]
Tab. 6.6:
Co50Cu50
L
[K]
TC
Co70Cu30
Curie-Temperaturen von homogener flüssiger Phase (L) und entmischter Flüssigkeit
(L1+L2) mit statistischem und systematischem Fehler, sowie Curie-Konstante und effektives magnetisches Moment der homogenen flüssigen Phase ausgewählter Co-CuLegierungen
Abbildung 6.39 stellt die effektiven magnetischen Momente der flüssigen homogenen
Phase verschiedener Co-Cu-Legierungen und von Kobalt dar. Deutlich erkennbar ist
der im Vergleich zum Wert µeff = 3,22 µB von flüssigem Kobalt deutliche Abfall des
magnetischen Moments der flüssigen homogenen Phase bei abnehmender Kobaltkonzentration, welcher jedoch im Konzentrationsbereich 70 ≤ x ≤ 25 at.% Kobalt nahezu stagniert. In diesem Bereich beträgt der mittlere Wert des effektiven magneti-
4
Effektives magnetisches Moment µ
L
eff
µB.
[µB]
schen Moment pro Atom unabhängig von der Kobaltkonzentration µeff = (2,19 ± 0,2)
3
2
1
L
µ eff = (2,19 + 0,2) µB
0
0
20
40
60
80
100
Co-Konzentration [at.%]
Abb. 6.39:
Effektives magnetisches Moment pro Atom der flüssigen homogenen Co-Cu-Proben in
Abhängigkeit der Co-Konzentration.
119
6 Ergebnisse und Diskussion
Aus den magnetischen Messungen in Abbildungen 6.35 und 6.37 lässt sich erkennen,
dass die Umordnung innerhalb der Probe beim Entmischungsvorgang einen großen
Einfluss auf die magnetischen Eigenschaften des Systems hat, während die Folgeseparationen innerhalb der Randphasen L1 und L2 keine signifikanten Auswirkungen
auf die magnetischen Eigenschaften des Systems aufweisen, obwohl sich die Zusammensetzungen der sich bildenden Phasen stetig ändert. Zum näheren Verständnis dieses Sachverhalts ist eine eingehende Betrachtung erforderlich:
Die Nahordnung der magnetischen Momente µL1Co von Kobalt in der L1-Phase
wird dominiert von anderen Kobaltatomen, während sich deren Momente µL2Co in der
L2-Phase hauptsächlich in einer Kupferumgebung befinden. In zahlreichen Arbeiten
an dünnen Co-Cu-Schichten oder Co-Cu-Clustern wie z.B. der von Stepanyuk et al.
[Ste01] zeigt sich, dass das magnetische Moment von Kobalt-Clustern durch das Beschichten mit Kupferatomen abgeschwächt wird. Daraus folgt als erste Annahme,
dass das effektive magnetische Moment der Kobaltatome in der kobaltreichen L1Phase höher ist als in der kupferreichen L2-Phase: µL1Co > µL2Co. Das effektive magnetische Moment der entmischten Probe µeff ergibt sich zu
Co
Cu
Co
Cu
µeff (T) = mL1(T)⋅ cL1
(T) ⋅ µL1 + mL1(T)⋅ cL1
(T) ⋅ µL1
Co
Cu
Co
Cu
+ mL2(T)⋅ cL2
(T) ⋅ µL2 + mL2(T)⋅ cL2
(T) ⋅ µL2 ,
(6.8)
Co
Cu
(T) und cL2
(T) den Temperaturverlauf der Konzentrationen von Kobalt und
wobei cL1
Kupfer der Phasen L1 bzw. L2 beschreiben, die sich aus dem Verlauf der Binodalen
des Phasendiagramms in Abbildung 5.13 ergeben. mL1(T) und mL2(T) stellen die Gewichtungsfaktoren der Phasen L1 sowie L2 dar und ergeben sich aus dem Hebelgesetz:
mL1(T) =
mL2(T) =
Co
(T ) − c
cL2
Co
cL2
(T )
0
Co
− cL1 (T )
Co
(T )
c − cL1
0
Co
Co
cL2 (T ) − cL1
(T )
(6.9a)
,
(6.9b)
mit c0 der Ausgangskonzentration von Kobalt in Atomprozent. Kupfer besitzt lediglich
geringe magnetische Beiträge, wobei die Bahnmomente der Kupferelektronen einen
schwachen diamagnetischen Beitrag aufweisen. Die Suszeptibilität von kristallinem
120
6 Ergebnisse und Diskussion
Kupfer bei T = 293 K beträgt χm = -1,1 ⋅ 10-9 m³/kg [Sm83], was vom Betrag lediglich
0,2 % der gemessenen Suszeptibilität von flüssigem Kobalt bei T = 1900 K entspricht
und somit vernachlässigt werden kann. Der Kobaltanteil dominiert das effektive magnetische Moment der Co-Cu-Probe:
Co
Co
Co
Cu
µeff (T) = mL1(T) ⋅ cL1
(T) ⋅ µL1 + mL2(T) ⋅ [1 - cL2
(T) ] ⋅ µL2
(6.10)
Betrachtet man den Konzentrationsverlauf der metastabilen Binodalen anhand der
Co
Co
Daten von Cao et al. [Ca02], so lassen sich für die Kobaltanteile cL1
(T) und cL2
(T)
der beiden separierten Phasen L1 und L2 folgende Temperaturabhängigkeiten anpassen:
Co
cL1
(T)
Co
cL2
(T)
T -1445 K
27 K
= 82.59 - 0.359 ⋅ e
= 13.64 + 0.635 ⋅ e
T -1445 K
22 K
(6.11a)
(6.11b)
Aus Gleichungen (6.9a), (6.9b), (6.11a) sowie Gleichung (6.11b) lassen sich nun die
gewichteten Konzentrationsverläufe von Kobalt und Kupfer in den separierenden Phasen L1 und L2 beschreiben. Abbildung 6.40 stellt die temperaturabhängigen mit den
Massenanteilen gewichteten Konzentrationsverläufe der einzelnen Komponenten für
eine Ausgangskonzentration von Co70Cu30 graphisch dar. Es zeigt sich, dass die mit
Co
mL1 gewichteten Kobaltkonzentration cL1
der Majoritätsphase L1 nur schwach tempe-
raturabhängig ist und im Temperaturintervall 1500 K > T > 1450 K zwischen Entmischen und Erstarren der Schmelze lediglich um etwa 1 at.% ansteigt, während die mit
mL2 gewichtete Kobaltkonzentration in der Minoritätsphase L2 im gleichen
Temperaturintervall um etwa 4 at.% abfällt, wie in den vergrößerten Einsätzen in Abbildung 6.40 dargestellt.
121
6 Ergebnisse und Diskussion
68
(L1)
25
67
66
68
1460
1480
1500
Co
mL1 cL1 (T)
20
66
64
15
Cu
62
mL1 cL1 (T)
Cu-Konzentration [at.%]
Co-Konzentration [at.%]
70
Co
mL1 cL1 (T)
10
60
1400
1450
1500
Temperatur [K]
16
Co
(L2)
25
14
mL2 cL2 (T)
70
10
20
1460
1480
1500
68
Cu
mL2 cL2 (T)
15
66
Co
mL2 cL2 (T)
10
1400
1420
1440
1460
1480
1500
Cu-Konzentration [at.%]
Co-Konzentration [at.%]
12
1520
Temperatur [K]
Abb. 6.40:
Berechnete Konzentrationsverläufe der Randphasen L1 und L2 einer Co70Cu30-Probe
unterhalb der Entmischungstemperatur TSep = 1520 K mit Gewichtungsfaktoren mL1 und
mL2 des Hebelgesetzes gemäß des experimentell bestimmten Binodalverlaufs nach
[Ca02].
Schwarze
Co
mL1cL1 (T)
verläufe
122
und
Linien
Co
mL2cL2 (T),
Cu
mL1cL1 (T)
präsentieren
die
gewichteten
Kobaltkonzentrationen
während die roten Linien berechnete KupferkonzentrationsCu
und mL2cL2 (T) darstellen.
6 Ergebnisse und Diskussion
Für kobaltreiche Zusammensetzungen ist der Gewichtungsfaktor der separierenden
Co
Co
(T) » cL2
(T) , wodurch das effektiPhasen mL1(T) > mL2(T) und die Konzentration cL1
ve magnetische Moment der entmischten Schmelze durch die kobaltreiche L1-Phase
dominiert wird.
Für kupferreiche Legierungen gilt zwar ein anderes Gewichtungsverhältnis
mL2(T) > mL1(T), aber wiederum ist die Kobaltkonzentration in der L1-Phase wesentlich
Co
Co
Co
Co
(T) » cL2
(T) . Zieht man nun die Annahme µL1 > µL2
höher als in der L2-Phase: cL1
in Betracht, so lässt sich auch für kupferreiche Zusammensetzungen die Schlussfolgerung ziehen, dass das effektive magnetische Moment der Probe durch die kobaltreiche L1-Phase geprägt wird, die in diesem Konzentrationsbereich die MinoritätsphaCo
(T) in der
se darstellt. Die schwache Temperaturabhängigkeit der Konzentration cL1
kobaltreichen Phase erklärt, dass ein lineares Curie-Weiss-Verhalten auch im Temperaturbereich TSep> T > TN gefunden wird, obwohl dort noch Umordnungsvorgänge in
beiden unterkühlten flüssigen Phasen L1 und L2 stattfinden.
Die Umordnungsvorgänge finden durch den gegebenen Verlauf der Binodalen
hauptsächlich im ersten Entmischungsvorgang statt, und die Folgeseparationen in den
Randphasen L1 und L2 verändern die Zusammensetzung nur noch geringfügig, wie
die berechneten Abschätzungen anhand des Binodalverlaufs nach [Ca02] und eines
einfachen Hebelgesetzes zeigen. Die Messungen der inversen Suszeptibilität bestätigen diese Abschätzung aufgrund des nahezu linearen Verlaufs der inversen Suszeptibilität im Bereich der entmischten Co-Cu-Schmelzen.
123
6 Ergebnisse und Diskussion
Im Lauf der Untersuchungen an Co-Cu tritt ein erneuter Legierungseffekt zu tage. Die
mittels DTA-Untersuchung gemessene Entmischungstemperatur der Zusammensetzung Co50Cu50 beträgt gemäß der kalorimetrischen Untersuchung aus Abbildung 6.41
TSep = 1546 K und bestätigt die in magnetische Messungen dieser Zusammensetzung
gefundene Temperatur TSep = 1549 K.
TPer = 1377 K
TN = 1404 K
DAT-Spannung [µV]
50
0
50
-50
TSep = 1546 K
45
-100
40
1525
-150
1550
1575
1600
-200
1200
1300
1400
1500
1600
1700
Temperatur [K]
Abb. 6.41:
DTA-Abkühlvorgang einer Co50Cu50-Probe mit -20 K/min.
Die in Abbildung 6.42 dargestellte magnetische Messung einer Co46Cu54-Probe mit
vergleichbarer Stöchiometrie ergibt jedoch eine wesentlich höhere Entmischungstemperatur TSep = 1590 K, die sich auch durch mehrmaliges Prozessieren nicht verändert.
Dass es sich dabei nicht um einen grundsätzlichen Effekt der magnetischen Messmethode handelt, zeigt die kalorimetrische Nachuntersuchung derselben Probe mittels
differentieller Thermoanalyse. Die Schmelze separiert auch dort bei der zuvor in der
magnetischen Messung ermittelten Temperatur TSep = 1590 K. Die kobaltreiche Flüssigkeit L1 erstarrt beim letztmaligen Prozessieren der Probe bei TN = 1413 K, was
einer Unterkühlung von ∆T = 250 K entspricht.
124
6 Ergebnisse und Diskussion
2
4
TSep = 1590 K
1560
1600
1640
-1
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
4
3
2
TN = 1413 K
TL = 1663 K
1
∆T = 250 K
0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.42:
Suszeptibilitätsmessung an Co46Cu54. Offene Punkte geben den Aufheizprozess, volle
Punkte den Abkühlvorgang mit 20 K/min wieder. Die Messung erzielt eine Unterkühlung
von ∆T = 250 K
Eine Untersuchung der Probe mittels EDX ergibt, dass sich in der primären kobaltreichen L1-Phase etwa 1 at.% Molybdän befindet, welches in der kupferreichen L2Phase nicht vorhanden ist (siehe Tabelle 6.7).
Abbildung 6.43 präsentiert das elementspezifische Mapping einer ca. 600 x 400
µm² großen Schnittfläche der Co46Cu54-Probe. Dabei wird die, durch die auf die Probe
auftreffenden Elektronen verursachte charakteristische Röntgenstrahlung analysiert
und denen sie verursachenden Elementen zugeordnet. Abbildung 6.43 (b) bis (d) zeigt
die einzelnen Intensitätsverteilungen der charakteristischen Röntgenstrahlung von
Kobalt (Kα), Molybdän (Lα) und Kupfer (Kα). Der Röntgendetektor zeichnet jedes charakteristische Röntgenquant auf, was in der Darstellung als heller Punkt veranschaulicht wird. Deutlich zu erkennen ist die Anreicherung von Molybdän in den Bereichen
der kobaltreichen Phase in Abbildung 6.43 (c).
125
6 Ergebnisse und Diskussion
Abb. 6.43:
(a) Rückstreuelektronenaufnahme 600x400 µm² der Schnittfläche der Co46Cu54-Probe,
(b) Elementverteilungsbild (EVB) von Kobalt,
(c) Elementverteilungsbild (EVB) von Molybdän,
(d) Elementverteilungsbild (EVB) von Kupfer.
Tab. 6.7:
Co46Cu54
Co [at%]
Cu [at%]
Mo [at%]
L1
84,99
13,86
1,15
L2
12,1
87,9
-
EDX-Analyse der separierten Bereiche L1 und L2 der Co46Cu54-Probe
Auch an einer Co25Cu75-Probe kann eine erhöhte Entmischungstemperatur gemessen
werden. Eine Unterkühlung von ∆T = 70 K der in Abbildung 6.44 präsentierten Messung der Co25Cu75-Probe ist bereits ausreichend, um eine Entmischung bei der Temperatur TSep = 1585 K hervorzurufen, welche somit um über 50 K über dem kalorimetrisch bestimmten Referenzwert von Cao et al. liegt [Ca02].
126
6 Ergebnisse und Diskussion
TSep = 1585 K
10 T = 1555 K
N
-1
TL = 1625 K
8
10
6
Inverse Suszeptibilität χ [10 kg/m³]
12
6
1550
1575
1600
8
6
TPer = 1383 K
4
2
∆T = 70 K
0
1300
1400
1500
1600
1700
1800
Temperatur [K]
Abb. 6.44:
Suszeptibilitätsmessung an Co25Cu75. Offene Punkte geben den Aufheizprozess, volle
Punkte den Abkühlvorgang mit 5 K/min wieder. Die Messung erzielte eine geringe Unterkühlung von ∆T = 70 K, die Entmischung konnte damit aber erreicht werden.
Zur Klärung der Ursache der bei beiden Proben auftretenden erhöhten Entmischungstemperatur werden die Probentiegel zerteilt und analysiert. Durch die beim Elektronenstrahlschweißen des Molybdän-Tiegels benötigten hohen Strahlströme kommt es
zum Abdampfen geringer Mengen an Molybdän, die sich auf der Probe, dem Glas
oder dem keramischen Innentiegel niederschlagen, wie die Rückstreuelektronenaufnahme des in Abbildung 6.45 dargestellten Keramiktiegels verdeutlicht.
127
6 Ergebnisse und Diskussion
Abb. 6.45:
Rückstreuelektronenaufnahme eines Keramiktiegels, der sich beim Elektronenstrahlschweißen in einem Mo-Tiegel befand; hellgrau dargestellt der Bereich der Al2O3Keramik. Weiße Flecken am oberen Rand des Tiegels sind reine Mo-Ansammlungen.
Die Verunreinigung zweier Co-Cu-Proben mit dem Tiegelmaterial Molybdän ist kein
Effekt, der durch das Prozessieren der Proben bei hohen Temperaturen im Glasflussmittel Duran® hervorgerufen wird. Vielmehr handelt es sich um eine herstellungstechnisch verursachte Verunreinigung einzelner Proben, die im Lauf der Arbeiten behoben werden kann. Der Effekt auf das Entmischungsverhalten der unterkühlten CoCu-Schmelze wird nur an einzelnen Proben gefunden. Zur Vermeidung der Verunreinigung durch das Elektronenstrahlschweißen des Molybdäntiegels wird der keramische Innentiegel mit einem Deckel versehen, so dass sich eventuell abdampfendes
Molybdän auf der Keramik niederschlägt und nicht mit der Probe in Berührung kommt.
Die Erhöhung der Entmischungstemperatur im System Co-Cu durch Zulegieren
von Molybdän ist ein physikalisch beachtenswerter Effekt. Die Frage, ob es möglich
ist, die metastabile Entmischung durch erhöhten Zusatz von Molybdän in eine Entmischung im Gleichgewicht zu überführen, ist von grundsätzlichem Interesse und ließe
sich durch weitere Untersuchungen beantworten.
128
Kapitel 7
Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine Faraday-Waage aufgebaut mit deren Hilfe
Messungen der Magnetisierung und der magnetischen Suszeptibilität unterkühlter
Metallschmelzen im Temperaturbereich von 300 - 2000 K durchgeführt werden können [Re01]. Anhand der Temperaturverläufe der inversen Suszeptibilitäten lassen
sich Curie-Temperaturen TC und effektive magnetische Momente µeff einzelner kristalliner sowie flüssiger Phasen bestimmen. Die Messungen der ferromagnetischen
Schmelzen oberhalb der Curie-Temperatur zeigen bei Annäherung an den magnetischen Phasenübergang den ansteigenden Magnetismus und liefern bei hohen
Temperaturen präzise Messdaten der metastabilen, unterkühlten Proben [Re02]. Im
Verlauf der Untersuchungen sind Unterkühlungen an Kobalt- und Co-BasisSchmelzen von bis zu 300 K gelungen, wobei im unterkühlten Zustand keine Änderung zum beobachteten Curie-Weiss-Verhalten der entsprechenden stabilen
Schmelze festgestellt wurde.
Unterkühlungen bis an die Temperatur des magnetischen Phasenübergangs
konnten am vollständig mischbaren System Co-Pd für eine in Glaseinbettung prozessierte Co82Pd18-Probe erzielt werden. Das Keimbildungsverhalten wurde dabei
in Abhängigkeit der Probengröße studiert und lässt Rückschlüsse auf den magnetischen Einfluss auf die Keimbildung im Bereich der Curie-Temperatur der flüssigen
Phase zu. Das Nukleationsverhalten von Co-Pd-Schmelzen ist im Bereich hoher
Kobaltkonzentrationen für ein vollständig mischbares Legierungssystem ungewöhnlich und scheint durch die einsetzende magnetische Ordnung bei Annäherung an
die Curie-Temperatur TCL der Schmelze stimuliert zu werden [Sche00], [Sche02a].
Dies könnte durch das Einsetzen magnetischer Ordnung die thermodynamischen
Parameter ∆GV und σ in der Aktivierungsenergie der Keimbildung beeinflussen.
Diese Effekte werden durch das klassische Modell der Kristallkeimbildung bislang
nicht berücksichtigt, sind jedoch Gegenstand der aktuellen Forschung [Ho02a].
Am eutektischen Legierungsystem Co-Au wurden weitere Untersuchungen
hinsichtlich magnetischer Einflüsse auf die Kristallkeimbildung durchgeführt. Die
Bestimmung der Curie-Temperaturen von fester und flüssiger Phase von Co90Au10
dient dabei der Einordnung der kalorimetrischen Messungen an Co-Au von Wilde
7 Zusammenfassung
im Konzentrationsbereich x < 15,5 at.% Au [Wi97]. Während die ermittelte CurieTemperatur von festen Co90Au10 mit der von reinem α-Kobalt nahezu übereinstimmt, ist die Temperatur des magnetischen Phasenübergangs der flüssigen
Co90Au10-Phase um über 50 K niedriger als die der Kobaltschmelze. Die von Wilde
maximal
erreichten
Erstarrungstemperaturen
befinden
sich
im
Co-Au-
Phasendiagramm alle auf der extrapolierten Verbindung zwischen den CurieTemperaturen TCL der Schmelzen von reinem Kobalt und Co90Au10. Wie am vollständig mischbaren Legierungssystem Co-Pd findet sich demnach auch am eutektischen System Co-Au ein Erstarrungsverhalten, welches von der sich bildenden
magnetischen Ordnung in der Nähe der Curie-Temperatur der flüssigen Phase stimuliert zu sein scheint.
Magnetische Messungen am peritektischen System Co-Cu geben einen interessanten Einblick in die physikalischen Vorgänge eines im unterkühlten Zustand
entmischenden Systems. Bei Unterschreiten der Temperatur der metastabilen Binodale separiert die homogene Co-Cu-Schmelze in eine starkmagnetische, Coreiche Phase und eine schwachmagnetische, Cu-reiche Phase, welche ihrerseits
bei abnehmender Temperatur weiter entmischen. Die Folgeentmischung innerhalb
der separierten Randphasen hat jedoch keine merklichen Auswirkungen auf das
Messsignal der Faraday-Waage, da die Konzentrationen innerhalb der Mischphasen nur noch geringe Veränderungen aufweisen. Durch den über einen weiten
Konzentrationsbereich flachen Verlauf der metastabilen Binodalen ändert sich die
chemische Zusammensetzung der separierenden Randphasen nach der primären
Entmischung der homogenen Co-Cu-Probe nur noch marginal. Elektronenmikroskopische Analysen lassen die Folgeseparationen in der erstarrten Proben erkennen und den Entstehungsprozess weiterer Phasen nachvollziehen.
Neben den magnetischen Messungen an Co-Basis-Schmelzen fanden Röntgenbeugungsexperimente an flüssigem Kobalt statt. Durch den ermittelten Strukturfaktor konnte anhand der berechneten Paarkorrelationsfunktion die Koordinationszahl für die stabile und die unterkühlte Schmelze bestimmt werden. Mit abnehmender Temperatur wurde dabei eine leichte Zunahme der Koordination Z ≈ 12 beobachtet [Ho02]. Diese Koordinationszahl ist kompatibel mit der Anzahl nächste
Nachbarn Z = 12 von kristallinem α-Kobalt. Da die Anzahl nächster Nachbarn im
Heisenbergmodell direkt in das Austauschintegral eingeht und damit auf die magnetische Wechselwirkungen der Spins Einfluss hat, lässt sich aus der nahezu identi130
7 Zusammenfassung
schen Koordination von festem und flüssigem Kobalt auf eine annähernde Übereinstimmung der magnetische Wechselwirkung der verschiedenen Zustände schließen, da sich auch die Dichten beider Phasen am Schmelzpunkt um lediglich 1 %
voneinander unterscheiden. Die Röntgenbeugungsexperimente bestätigen somit
die geringen Unterschiede der magnetischen Eigenschaften von kristallinem und
flüssigem Kobalt, die in den Messungen der Faraday-Waage gefunden wurden und
verdeutlichen den qualitativen Zusammenhang zwischen atomarer Koordination
und magnetischer Wechselwirkung.
131
7 Zusammenfassung
132
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Danksagung
Abschließend möchte ich allen Personen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, meinen Dank aussprechen.
Speziell danken möchte ich
Herrn Prof. Dr. D.M. Herlach für die Anregung zu dieser Arbeit, die ständige Diskussionsbereitschaft und die engagierte Betreuung,
Prof. Dr. K. Westerholt für die Übernahme des Korreferats,
Prof. Dr. B. Feuerbacher für freundliche Unterstützung und die Möglichkeit, die Arbeit im Institut für Raumsimulation anzufertigen.
Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei den Herren Dr. W. Bender, Dr. D. Holland-Moritz, Dr. M. Kolbe und Dr. T. Volkmann für zahlreiche fruchtbare Diskussionen und ihre tatkräftige Unterstützung, die maßgeblich zum Gelingen der Arbeit
beigetragen hat.
Weiter gilt mein Dank
Dr. G.P. Görler für die Durchführung von DTA-Messungen,
Dipl.-Ing. H. Grill und Dipl.-Ing. H. Baden für ihren technischen Einsatz,
allen Mitarbeitern der Mechanik- und Elektronikwerkstatt für ihre Hilfsbereitschaft
und die Unterstützung beim Aufbau der Faraday-Waage,
I. Parpart, C. Müller und A. Herrmann für ihre Unterstützung bei allen administrativen Angelegenheiten
und allen Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppen ‚Unterkühlung von Materialien’ und ‚Thermophysik’ für das angenehme Arbeitsklima, welches maßgeblich dafür gesorgt hat, dass mir meine Tätigkeit im Institut für Raumsimulation sehr viel
Freude bereitet hat.
Ganz besonderer Dank gilt meiner Familie, die mir durch ihre permanente moralische und finanzielle Unterstützung meine Ausbildung ermöglicht hat.
Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des
Schwerpunktprogramms ‚Unterkühlte Metallschmelzen’ gefördert.
Lebenslauf
11.08.1972
geboren in Hanau/Main
1978-1982
Grundschule Hammersbach
1982-1984
Georg-Büchner Gesamtschule Erlensee
1984-1991
Hohe Landesschule Hanau
06/1991
Allgemeine Hochschulreife
1991-1992
Grundwehrdienst
1992-1997
Studium der Physik an der
Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main
1996-1997
Diplomarbeit am I. Physikalischen Institut
im Kristall- und Materialentwicklungslabor
Titel: Einkristallzüchtung und Charakterisierung
von CePd2Si2 und CeCu2Ge2
09/1997
Diplom der Physik
03/1998
Beginn der Promotionsarbeit bei Prof. Dr. D.M. Herlach,
Institut für Experimentalphysik IV, Fakultät für Physik
und Astronomie, Ruhr-Universität Bochum &
Institut für Raumsimulation, Deutsches Zentrum für
Luft- und Raumfahrt, Köln
Seit 05/2002
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Experimentalphysik IV, Fakultät für Physik und Astronomie,
Ruhr-Universität Bochum
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