Psyche und Gehirn - Institut für systemische Studien

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GERHARD ROTH
PSYCHE UND GEHIRN
INSTITUT FÜR
HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT
BREMEN
 G. Roth, 2012
Sigmund Freud
(1856-1939)
S. Freud „Das Unbewusste“ (1915)
„Es ist ein unerschütterliches Resultat der Forschung, dass die
seelische Tätigkeit an die Funktion des Gehirns gebunden ist wie an
kein anderes Organ. …
Aber alle Versuche, von da aus eine Lokalisation der seelischen
Vorgänge zu erraten, alle Bemühungen, die Vorstellungen in
Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Erregungen auf
Nervenfasern wandern zu lassen, sind gründlich gescheitert.
Dasselbe Schicksal würde einer Lehre bevorstehen, die etwa den
anatomischen Ort des Systems Bw, der bewussten Seelentätigkeit, in
der Hirnrinde erkennen und die unbewussten Vorgänge in die
subkortikalen Hirnpartien versetzen wollte.
Es klafft hier eine Lücke, deren Ausfüllung derzeit nicht möglich ist,
auch nicht zu den Aufgaben der Psychologie gehört. “
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
Großhirnrinde
Kleinhirn
Längsschnitt
durch das
menschliche
Gehirn
Hypothalamus
(nach Spektrum der
Wissenschaft,
verändert)
Limbisches
System
Der Freud‘sche „Seelenapparat“ und die Schichten des Gehirns
Untere limbische Ebene
Gehirn: Hypothalamus – zentrale Amygdala –vegetative Zentren des
Hirnstamms
Ebene unbewusst wirkender angeborener Reaktionen und Antriebe:
Schlafen-Wachen, Nahrungsaufnahme, Sexualität, Aggression –
Verteidigung – Flucht, Dominanz, Wut usw.
Diese Ebene ist überwiegend genetisch oder durch
vorgeburtliche Einflüsse bedingt und macht unser
Temperament aus. Sie ist durch Erfahrung und
Erziehung kaum zu beeinflussen.
Hierzu gehören grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit-Verschlossenheit,
Selbstvertrauen, Kreativität, Vertrauen-Misstrauen, Umgang mit Risiken, Pünktlichkeit,
Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein.
Querschnitt durch das menschliche Gehirn auf Höhe des
Hypothalamus
Großhirnrinde
Basalganglien
Hypothalamus
Cortisolvermittelte
Stressreaktion
Hypothalamus
CRH
Hypophyse
ACTH
NebennierenRinde
Cortisol
STRESSREGULATION
Milder Stress („Herausforderung“) ist gut,
Dauerstress schädigt das
Gehirn.
Negative
Rückkopplung
Das normal entwickelte
Gehirn schützt sich vor
einer Überproduktion von
Cortisol durch eine
„negative Rückkopplung“,
die hemmend auf Zellen im
Hippocampus einwirkt.
Mittlere limbische Ebene
Gehirn: basolaterale Amygdala, mesolimbisches System
Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung: Anbindung elementarer Emotionen (Furcht, Freude, Glück, Verachtung,
Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung) an individuelle Lebensumstände.
Die Amygdala ist auch der Ort unbewusster Wahrnehmung
emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik,
Körperhaltung, Pheromone).
Diese Ebene macht zusammen mit der
ersten Ebene (Temperament) den Kern
unserer Persönlichkeit aus. Dieser Kern
entwickelt sich in den ersten Lebensjahren
und ist im Jugend- und Erwachsenenalter
nur über starke emotionale oder lang
anhaltende Einwirkungen veränderbar.
Amygdala:
Zentrum für
emotionale
Konditionierung
und das
Erkennen
emotionaler
Signale
Amygdala
(Mandelkern)
EREIGNIS
(Thalamus)
KONTEXT
(Hippocampus)
ANGENEHME/
UNANGENEHME
EMPFINDUNG
(limb. System)
Die Amygdala ist der Ort angeborener und erlernter vornehmlich negativer, überraschender, aber auch positiver Emotionen
und (zus. mit Hypothalamus) der Stressreaktionen.
In der Amygdala findet bereits vorgeburtlich und während des
ganzen Lebens die emotionale Konditionierung statt.
Erlebnisse und Erfahrungen werden nach „gut / lustvoll /
vorteilhaft“ bzw. „schlecht / unangenehm / nachteilig“ bewertet,
und diese Bewertung wird in der Amygdala gespeichert.
Diese Bewertung kann völlig unbewusst ablaufen.
Menschen unterscheiden sich deutlich voneinander in ihren
emotionalen Reaktionen, vor allem in ihrem Furcht- und
Angstverhalten und der Art, wie sie mit Stress umgehen.
Erkennen emotionalkommunikativer
Signale
(Mimik, Gestik,
Körperhaltung,
Pheromone)
Mesolimbisches
System:
Nucleus
accumbens
Reaktion auf neuartige,
überraschende Reize
Antrieb durch
Versprechen von
Belohung (Dopamin)
Belohnungssystem
(hirneigene Opiate)
Ventrales
Tegmentales
Areal
Nucleus
caudatus
(motorisch)
Nucleus
accumbens
(limbisch)
Aktivierung des mesolimbischen
Systems (VTA-Nucleus accumens) bei
Gewinn-Erwartung
Knutson B. et al. (2003) Neuroimage, 18:263-272.
Ausschüttung hirneigener Opiate
durch Blickkontakt
Kampe K.K.W. et al. (2001) Nature, 413:589.
Das mesolimbische System ist der Entstehungsort der hirneigenen „Belohnungsstoffe“ und der positiv-emotionalen
Konditionierung.
Hier wird registriert, ob und in welchem Maße sich Belohnungserwartungen erfüllt haben. Dies wird im Belohnungsgedächtnis
abgespeichert, das über die Ausschüttung von Dopamin zur
Grundlage der Motivation wird.
Die Großhirnrinde registriert parallel dazu bewusst die genaueren
Umstände der Belohnung und der Belohnungserwartung. Dies
alles legt die individuelle Belohnungserwartung, die Leistungsmotivation und den Ehrgeiz fest, auch die Abhängigkeit von Lob
und Anerkennung.
Obere limbische Ebene
Gehirn: Prä- und orbitofrontaler, cingulärer und insulärer Cortex.
Ebene des bewussten emotional-sozialen Lernens: Gewinn- und
Erfolgsstreben, Anerkennung–Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale
Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral, Ethik.
Sie entwickelt sich in später Kindheit und Jugend. Sie wird wesentlich
durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Sie ist entsprechend
nur sozial-emotional veränderbar.
Hier werden zusammen mit den unteren
Ebenen grundlegende sozial relevante
Persönlichkeitsmerkmale festgelegt wie
Machtstreben, Dominanz, Empathie,
Verfolgung von Zielen und Kommunikationsbereitschaft.
Nieuwenhuys
et al., 1988
OPERCULUM
INSULÄRER
CORTEX
INSULÄRER CORTEX
• Verarbeitung gustatorischer und viszeraler Reize
• Erkennen des emotionalen Ausdrucks und des Sinngehalts im Verhalten anderer (Empathie/Theory of Mind)
• Verarbeitung der affektiven und emotionalen Komponente der Schmerzwahrnehmung
• Schmerz-Lernen und Schmerzantizipation
Instruierte bzw. antizipatorische Furcht (Phelps
et al. Nature Neuroscience 4, 2001)
Vergleich der Aktivierungen bei einem Stimulus „Bedrohung“
mit einem Stimulus „sicher“. Die Bedingung „Bedrohung“
beinhaltete die Instruktion, dass einem Hinweisreiz ein
aversiver Reiz folgen würde, der jedoch niemals eintrat.
Bei allen Probanden trat auf den Hinweisreiz eine starke, aber
sich schnell abschwächende Aktivierungen der linken oder
beidseitigen Amygdala auf.
Persistierende Aktivierung im linken insulären Cortex, im
Striatum, im PFC, im ACC und im prämotorischen Cortex. Bes.
der insuläre Cortex scheint mit Schmerzerwartung und
Schmerzinterpretation zu tun zu haben.
Phelps et al., Nature Neuroscience, 2001
Selbst empfundener Schmerz und empathischer Schmerz
Singer et al., 2004
OFC
CINGULÄRER CORTEX
KOGNITIV
EMOTIONAL
ANTERIORER CINGULÄRER CORTEX
• Aufmerksamkeitssteuerung
• Fehlererkennung und Fehlerkontrolle
• Verarbeitung der affektiven und emotionalen Komponenten
der Schmerzwahrnehmung
• Emotionale Erwartungshaltung und Risikoabschätzung
• Registrierung von Belohnung und Bestrafung
• Erkennen des emotionalen Gehalts von Wahrnehmungen
(insbes. sozialer Signale wie Stimme, Mimik, Gestik)
• Kontrolle und Abruf emotionaler Gedächtnisinhalte
Ventralansicht des menschliches Gehirns mit dem
orbitofrontalen Cortex (OFC)
OFC
VMC
OFC
MC = motorischer Cortex; OFC = orbitofrontaler Cortex; prae-SMA = praesupplementär-motorisches Areal; PFC = präfrontaler Cortex; PPC =
posteriorer parietaler Cortex; SMA = supplementär-motorisches Areal; SSC =
somatosensorischer Cortex, VMC =.ventromedialer präfrontaler Cortex.
ORBITOFRONTALER UND
VENTROMEDIALER CORTEX
• Handlungsantriebe und –motive
• Impulskontrolle (Hemmung subcorticaler limbischer
Zentren, insbes. der Amygdala und des Hypothalamus)
• Erkennen des emotionalen Ausdrucks und des Sinngehalts im Verhalten anderer (Empathie/Theorie of
Mind)
• Lernen und Steuerung sozial adäquaten Verhaltens
• Abschätzen der Konsequenzen eigenen Verhaltens
und individueller und sozialer Risiken
CORTICO-LIMBISCHES IMPULSHEMMUNGSSYSTEM
(Glutamat, GABA)
Erziehung und Erfahrung:
Hemmende corticale Verbindungen, bes. vom orbitofrontalen, anterioren cingulären,
temporalen und entorhinalen
Cortex zur Amygdala
Primär:
Erregende Verbindungen der
Amygdala zum Cortex, bes. zum
präfrontalen, prämotorischen,
insulären und entorhinalen Cortex
Kognitiv-sprachliche Ebene
Gehirn: Linke Großhirnrinde, bes. Sprachzentren und präfrontaler
Cortex.
Ebene der bewussten sprachlich-rationalen Kommunikation:
Bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung
des eigenen Verhaltens vor sich selbst und anderen.
Sie entsteht relativ spät und verändert sich ein
Leben lang. Sie verändert sich im Wesentlichen
aufgrund sprachlicher Interaktion.
Hier lernen wir, wie wir uns darstellen sollen,
um voran zu kommen. Abweichungen zwischen
dieser Ebene und den anderen Ebenen führen
zur Diplomatie, zum Opportunismus oder zur
Lüge.
Funktionale Gliederung der Großhirnrinde
BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN
MOTORIK
ANALYSE
PLANUNG
ENTSCHEIDUNG
SOMATOSENSORIK
KÖRPER
RAUM
SYMBOLE
SEHEN
SPRACHE
BEWERTUNG
AUTOBIOGRAPHIE
OBJEKTE
HÖREN GESICHTER
SPRACHE SZENEN
VIER-EBENEN-MODELL DER PERSÖNLICHKEIT
-
Veränderbarkeit und Verhaltensrelevanz
der vier Ebenen
Die untere limbische Ebene (Temperament) hat den stärksten
Einfluss auf unser Verhalten, ist aber am wenigsten veränderbar.
Die mittlere limbische Ebene hat einen ebenfalls großen Einfluss
auf unser Verhalten. Veränderungen auf dieser Ebene sind jedoch
nur schwer zu erreichen, und zwar durch das Ansprechen individuell-emotionaler Motive und langes Einüben.
Die obere limbische, d.h. sozial-emotionale Ebene hat einen
geringeren Verhaltenseinfluss. Sie ist im wesentlichen durch
soziale Interaktion und Kommunikation veränderbar.
Die kognitiv-sprachlich-rationale Ebene hat von sich aus keinen
Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Verbindung mit
den anderen Ebenen.
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