1 10.4 Die Vorteile internationalen Handels In diesem Abschnitt werden wir mit Hilfe der allgemeinen Gleichgewichtstheorie einige Aspekte internationalen Handels besprechen. Wir werden dies anhand eines sehr einfachen Beispiels tun. Folglich kann in diesem Modell natürlich nicht alles, was mit internationalem Handel zusammenhängt, angesprochen werden. Die Diskussion knüpft auch an diejenige in Kapitel 4 an. Dort haben wir gesehen, daß in einer Welt ohne Produktion Handel gegenüber dem status quo (jeder behält seine Sammelerfolge) die Konsumenten besser stellt. Wir haben allerdings gesehen, daß internationaler Handel Konsumenten schlechter stellen kann, die vorher ihr Verhandlungsgeschick in einem größeren Umfang ausnützen können als bei Handel. Wir haben dort darauf verwiesen, daß die effiziente Gestaltung der Produktion, die durch Handel möglich wird, Gestaltungsspielräume schafft, die auch solche Konsumenten besser zu stellen imstande ist. Es ist in der Tat zentrales Ziel dieses Abschnitts, den Vorteil internationalen Handels herauszuarbeiten. "Die Konsumenten" werden von dem Handel in aller Regel profitieren. Der Vorteil wird auch ausreichen, um kleinere "Nachteile", die durch die Einbuße von Verhandlungsmacht entstehen, überzukompensieren. Da wir internatio-nalen Handel in einem Modell des allgemeinen Gleichgewichts thematisieren, gehen wir implizit schon davon aus, daß in jedem Land viele Konsumenten und Produzenten tätig sind. Daher sind die Möglichkeiten, Verhandlungsgeschick auszunutzen, schon weitgehend ausgeräumt, so daß die "Nachteile" durch Handel sehr klein ausfallen werden. Wir werden sie in der Tat vernachlässigen. Wir werden zwei Länder betrachten, deren Volkswirtschaften jeweils durch ein Modell beschrieben werden, wie wir es am Anfang des vorangegangenen Abschnitts kennengelernt haben. Es gibt zwei Produktionsfaktoren, zwei produzierte Güter und einen Konsumenten. Wir werden jedoch darüber hinaus eine Annahme über die Produktionsstruktur treffen, die es ermöglicht, die relevanten Phänomene möglichst transparent zu beschreiben. Wir werden nämlich annehmen, daß das Land A mit der Produktionsfunktion y1A = f 1A ( L1A , K1A ) = L1A + K1A das erste Gut und mit der Produktionsfunktion y 2A = f 2A ( L2A , K 2A ) = 0,5( L2A + K 2A ) das zweite Gut produzieren kann. Arbeit und Kapital sind in beiden Sektoren also perfekte Substitute. Darüber hinaus sind die technischen Raten der Substitution in beiden Sektoren 2 konstant gleich 1. Daher ist jeder Einsatz der Faktoren effizient, der den Gesamtbestand der beiden Faktoren LA , K A ausnutzt. Dies ermöglicht es, die Transformationskurve des Landes A besonders einfach herzuleiten: y 2A = 0,5( L A + K A ) − 0,5 y1A Es ist leicht zu überprüfen, daß folgendes Preissystem in Land A ein Gleichgewichtssystem ist: ( p1A , p2A , w1A , w2A ) = (1, 2, 1, 1) Bei diesen Preisen ist der maximale Gewinn der beiden Unternehmen gleich Null. Das Einkommen des Konsumenten ist daher LA + K A , woraus für seine Budgetrestriktion x1A + 2 x 2A = L A + K A folgt. Löst man nach x 2A auf, so sieht man unmittelbar, daß die Budgetgerade mit der Transformationskurve übereinstimmt. Das Niveau der Produktion in den beiden Sektoren wird in diesem Fall ausschließlich durch die Nachfrage des Konsumenten bestimmt: Gut 2 Transformationskurve = Budgetgerade x 2A x1A Gut 1 Dies kann man als Beschreibung der Situation ansehen, bevor internationaler Handel mit einem anderen Land B möglich ist. Um die Vorteile von Handel zu illustrieren, werden wir 3 in zwei Schritten vorgehen. Im ersten Schritt werden wir uns fragen, was geschieht, wenn sich durch den Handel die Preise der Güter in einer bestimmten Art und Weise ändern. Im zweiten Schritt werden wir dann erläutern, warum sich die Preise in dieser Art und Weise ändern. Wir werden davon ausgehen, daß die Preise für das zweite Gut durch den Handel auf ein Niveau unter 2 sinken. Dies bedeutet, daß das zweite Gut nicht mehr produziert wird, weil dies nur noch Verluste bringen würde. Bedenken Sie, daß der Gewinn des zweiten Unternehmens bei einem Preis von 2 gerade Null ist. Wenn der Preis sinkt, können die Kosten nicht mehr gedeckt werden. Folglich wird in diesem Sektor Arbeit und Kapital freigesetzt. Diese Faktoren können nun in dem Sektor für Gut 1 eingesetzt werden. Die Produktion wird sich in der Volkwirtschaft vollkommen spezialisieren. Das Einkommen des Konsumenten ändert sich nicht. Zusammen mit der Tatsache, daß das Gut 2 billiger geworden ist, wird die Budgetmenge größer. Daher kann ein höheres Nutzenniveau erreicht werden. Gut 2 mit Handel z 2A ohne Handel z1A Gut 1 Die Lösung mit Handel ist hier durch z gekennzeichnet. Offenbar kann dieser Konsum nicht alleine mit den Möglichkeiten des Landes A befriedigt werden. Die produzierte Menge von Gut 1 ist nun L A + K A . Das Konsumbündel ( z1A , z2A ) läßt sich nur durch internationalen Handel erreichen. Land A exportiert L A + K A − z1A in ein Land B und importiert dafür aus diesem Land z2A von Gut 2. Die Vorteilhaftigkeit eines solchen Handels hängt demnach von folgenden Faktoren ab: Die Preise für Gut 2 fallen; im Ausland fragen die Konsumenten die exportierte Menge nach; im Ausland wird die importierte Menge angeboten; die relativen Preise im Inland und Ausland sind gleich. In dem zweiten Schritt werden wir nun sehen, warum dies geschieht. 4 Dazu werden wir von folgender Produktionsstruktur für das zweite Land B ausgehen: y1B = f 1B ( L1B , K1B ) = L1B + K1B y 2B = f 2B ( L2B , K2B ) = 2( L2B + K 2B ) Völlig analog zu dem obigen Vorgehen, kann man auch für dieses Land ein Gleichgewichtspreissystem bestimmen. Man kann nachprüfen, daß ( p1B , p2B , w1B , w2B ) = (2, 1, 2, 2) ein Gleichgewicht in Land B ist, wenn es keinen Handel mit Land A treibt (autark bleibt). Bevor wir nun überlegen, was bei der Öffnung der Handelsmöglichkeiten zwischen beiden Ländern geschieht, wollen wir kurz die beiden Produktionsstrukturen vergleichen. Es ist unmittelbar klar, daß das Land A einen Vorteil bei der Herstellung des ersten Gutes hat. Dort ist die relative Produktivität beider Faktoren im Sektor des Gutes 1 doppelt so groß wie im Sektor des Gutes 2. Wenn man von dem zweiten Gut eine Einheit weniger produziert, kann man zwei Einheiten vom ersten Gut mehr produzieren. Im Land B liegen die Verhältnisse genau umgekehrt. Hier ist die relative Produktivität beider Faktoren im Sektor des Gutes 2 doppelt so groß wie im Sektor des Gutes 1. Wenn man in diesem Land von dem zweiten Gut eine Einheit weniger produziert, kann man nur eine halbe Einheit von Gut 1 mehr produzieren. Man kann daher die relative Position der beiden Länder wie folgt zusammenfassen: Land A hat einen komparativen Vorteil bei der Produktion des Gutes 1 und Land B hat einen komparativen Vorteil bei der Produktion des Gutes 2. Drücken wir dies nochmals anders aus: In Land A muß man weniger von Gut 2 aufgeben, um eine zusätzliche Einheit von Gut 1 zu produzieren (nämlich eine halbe Einheit), als in Land B (nämlich 2 Einheiten). Die relativen Kosten bei der Produktion des ersten Gutes sind also in Land A niedriger als in Land B. Dies macht den komparativen Vorteil des Landes A bei der Produktion des Gutes 1 aus. Den komparativen Vorteil des Landes B bei der Produktion des Gutes 2 kann man völlig analog ausdrücken. Sieht man sich an, wie sich dieser komparative Vorteil in der obigen Graphik ausdrückt, dann geschieht dies dadurch, daß die Transformationskurve des Landes A eine andere Steigung hat (nämlich 1/2) als das Land B (nämlich 2). Es ist naheliegend zu vermuten, daß es im gegenseitigen Interesse beider Länder ist, jeweils die Produktion desjenigen Gutes auszudehnen, bei dem ein Land einen komparativen Vorteil hat. Dies ist auch in der Tat der Fall. Wir werden dies dadurch erläutern, daß wir ein Gleichgewichtspreissystem bei Handel vorschlagen. Zu dem Vorschlag gehört, daß sich 5 das Land A vollständig auf die Produktion des Gutes 1 spezialisiert und das Land B auf die Produktion des Gutes 2. Es wird dann insgesamt L A + K A von Gut 1 in Land A produziert. Und es wird in Land B 2( LB + K B ) von Gut 2 produziert. Diese Güter können nun auf die Konsumenten der beiden Länder verteilt werden. Wie sie verteilt werden, werden wir anhand einer Edgeworth-Box erläutern. Gut 2 l z 2A z1A Gut 1 Die obere Ecke dieser Edgeworth-Box entspricht den beiden eben beschriebenen Gesamtangeboten der beiden Güter in beiden Ländern zusammen. Wir finden in der Edgeworth-Box weiterhin ein Paar von Indifferenzlinien der beiden Konsumenten mit der Eigenschaft, daß die gemeinsame Tangente durch den linken unteren Begrenzungspunkt geht. Interpretieren wir die Steigung als den relativen Preis des ersten Gutes in beiden Ländern: Steigung der Tangente = p1A p2A = p1B p2B Wir können jeweils einen Preis in den beiden Verhältnissen beliebig wählen. Sei p1A = 1, p2B = 1 . Die Preise der bei Handel produzierten Güter sollen also dieselben Preise sein wie in der Autarkiesituation. Man sieht dann unmittelbar, daß der Preis für das zweite Gut in Land A sinken muß (unter das bisherige Niveau 2). Dasselbe gilt für das Gut 1 in Land B. Betrachten wir nun folgende Preissysteme für beide Länder ( p1A , p2A , w1A , w2A ) = ( 1, p2A , 1, 1) ( p1B , p2B , w1B , w2B ) = ( p1B , 1, 2, 2) . Wir werden nun begründen, warum dies ein Gleichgewichtspreissystem bei internationalem Handel ist. Zunächst beachten Sie, daß wegen der gesunkenen Preise das zweite Gut in Land A und das erste Gut in Land B aus gewinnmaximierendem Kalkül nicht 6 mehr angeboten werden wird. Die Faktoren werden jeweils vollständig in die Produktion des anderen Gutes gelenkt. Daher ist das Angebot an Gütern auf dem Weltmarkt tatsächlich auf dem Niveau, das oben angegeben wurde. Dabei entstehen in beiden Ländern keine Gewinne, so daß sich an der Einkommenssituation der Konsumenten in beiden Ländern nichts ändert. In Land A hat der Konsument das Einkommen LA + K A . In Land B hat der Konsument das Einkommen 2( LB + K B ) . Bei den angegebenen Preisen werden die Konsumenten gerade so viel nachfragen, wie angeboten wird. Damit steht fest, daß das obige Preissystem tatsächlich ein Gleichgewichtspreissystem ist. Die Durchführung der notwendigen Transaktionen kann man sich wie folgt vorstellen: Das Unternehmen in Land A verkauft z1A an die Konsumenten im eigenen Land und L A + K A − z1A an ein Import/Export-Unternehmen. Dafür muß es L A + K A − z1A zahlen. Diese Menge verkauft dieses Unternehmen an die Konsumenten in Land B. Es erhält dafür p1B ( L A + K A − z1A ) . Von dem produzierenden Unternehmen in Land B kauft das Unternehmen z2A . Damit sind Ausaben in Land B in derselben Höhe verbunden. Nun ist, wie man der Edgeworth-Box unmittelbar entnehmen kann, z2A = 2( LB + K B ) − z 2B Aus der Budgetgleichung der Konsumenten in Land B folgt z2B = 2( LB + K B ) − p1B z1B . Daher sind die Ausgaben des Import/Export-Unternehmens für das zweite Gut gleich 7 ( ) z2A = p1B z1B = p1B ( L A + K A ) − z1A , wobei man die letzte Gleichung wieder aus der Edgeworth-Box entnehmen kann. Dies bedeutet, daß die Einnahmen aus dem Verkauf des ersten Gutes gerade den Ausgaben für den Kauf des zweiten Gutes in Land B entsprechen. Schließlich verkauft das Import/Export-Unternehmen die Menge z2A an die Konsumenten in Land A. Völlig analog zu den obigen Begründungen kann man dann überprüfen, daß die damit erzielten Einnahmen den ursprünglichen Ausgaben für die von Gut 1 exportierte Menge entsprechen. Es ist schließlich zu klären, warum sich die Preise in beiden Ländern so einspielen sollten, daß die relativen Preise gleich sind. Stellen wir uns beispielsweise vor, daß der relative Preis für das Gut 1 in Land A höher ist als in Land B. Dann könnte ein Import/ExportUnternehmen einen sogenannten "Arbitragegewinn" erzielen. (Wir führen den Nachweis hier nicht. Sie sollten aber in der Lage sein, ihn entlang der obigen Argumentation zu führen). Dies würde weitere Import/Export-Unternehmen in diesen Markt locken. Der Wettbewerb unter diesen Unternehmen würde dafür sorgen, daß der Preis des ersten Gutes in Land A sinkt. Erst wenn beide relativen Preise gleich sind, gibt es den Anreiz, in den Import/Export-Markt einzutreten, nicht mehr. Damit haben wir unser Ziel erreicht und alle Voraussetzungen in dem ersten Schritt begründet. Die Vorteilhaftigkeit des internationalen Handels beruht also auf den komparativen Vorteilen der einzelnen Länder. Solange solche Vorteile vorliegen, werden sich die Konsumenten mit internationalem Handel immer besser stehen als ohne Handel. Solche Vorteile können - wie in unserem Beispiel - in verschiedenen technologischen Kenntnissen beruhen. Sie können aber auch darauf beruhen, daß manche Länder von gewissen Faktoren relativ mehr besitzen. Diesen Punkt werden wir hier jedoch nicht ausführen. Er ist einer von vielen Gesichtspunkten, die in der Theorie des internationalen Handels besprochen werden.