T hema d es M onats Innovative Marketingstrategien japanischer Unternehmen Japans Konsumenten werden wieder kauffreudiger, entwickeln aber ein individuelleres Kaufverhalten. Um neu entstehende Konsumentengruppen ansprechen zu können, experimentieren japanische Unternehmen mit alternativen Marketingkonzepten. Von Dr. Parissa Haghirian A m japanischen Markt macht sich nach der Wirtschaftskrise neuer Optimismus breit. Japanische Konsumenten werden wieder kauffreudiger und entwickeln gleichzeitig individuellere Wertvorstellungen. Diese Veränderungen sind für Unternehmen von Relevanz, denn sie bewirken neue Trends im japanischen Konsumentenverhalten und führen zur Entwicklung neuer Konsumentengruppen. Nach den vielen Jahren, in denen japanische Konsumenten vor allem als homogene Gruppe gesehen wurden, führen diese Veränderungen zu neuen Geschäfts- und Marketingmöglichkeiten J A PA N M A R K T august 2007 für in Japan ansässige Unternehmen. Japanische Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung mit einer Reihe interessanter Marketingideen. Japans neue Konsumentengruppen Massive Einstellungsänderungen japanischer Konsumenten sind die Hauptursache für die neuen Entwicklungen. Insbesondere Lebensqualität und Individualität sind Themen, mit denen sich mehr und mehr Japaner beschäftigen. Ein weiteres Phänomen ist die Bildung neuer Konsumentengruppen, von denen drei Gruppen derzeit besonders in den japanischen Medien diskutiert werden. Die erste von ihnen sind die Babyboomer, also Japaner, die während der Nachkriegsjahre 1947 bis 1949 zur Welt kamen und das Rückgrat des wirtschaftlichen Erfolgs der Nachkriegsjahre bilden. Ein Medienthema sind sie nicht nur wegen ihrer hohen Kaufkraft, sondern auch, weil sie seit April 2007 nach und nach in den Ruhestand gehen. Japans Wirtschaft fürchtet nun, dass dabei auch viel Know-how und jahrelange Berufserfahrung verloren gehen. Positiv für japanische Unternehmen ist jedoch, dass die meisten Babyboomer auch über sehr hohe Vermögenswerte, teils durch ihre Abfindungen, teils durch ihr „klassisch japanisches“ Sparverhalten verfügen. Aus diesem Grund werden sie in vielen Industrien als lukrative Zielgruppe diskutiert. Eine weitere finanzstarke Gruppe mit großem Medieninteresse sind berufstätige Frauen. Japans Frauen waren zwar schon immer im Visier der Marketingmanager, da sie in vielen Fällen Vollzeithausfrauen und daher Finanzmanagerinnen in ihren Familien sind. Auch die Zahl berufstätiger Frauen stieg in den vergangenen Jahren stark an. Von Gleichberechtigung kann man zwar noch nicht sprechen, denn der Prozentsatz der Frauen, der in schlechtbezahlten Teilzeitjobs arbeitet, ist noch immer sehr hoch. Dennoch sind immer mehr japanische Frauen in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren, was sich in ihrem Kaufverhalten widerspiegelt. Wurden Frauen bisher vermehrt mit familienorientierten Produkten angesprochen, werden sie immer mehr zur Zielgruppe für Lifestyleprodukte. Besonders unverheiratete Frauen, die im Berufsleben stehen, werden verstärkt als Absatzmarkt für diese Produkte gesehen. Die Transformation der japanischen Gesellschaft von einer Mittelstands- in eine Klassengesellschaft hinterließ auch im Konsumverhalten ihre Spuren, denn sie produzierte eine neue Konsumentengruppe: Japans neue Upper Class (fuyusō auf Japanisch). Laut dem Forschungsinstitut Nomura Research können die fuyusō in drei Gruppen unterteilt werden: Die erste Gruppe sind die Langzeitreichen oder ōrudo richi (Old Rich). Das Vermögen der Langzeitreichen wurde durch die Nachkriegsgeneration aufgebaut, also durch die Großeltern oder Eltern der heutigen Langzeitreichen. Die zweite Gruppe sind die „steadily working rich“. Typische Beispiele in dieser Kategorie sind Anwälte, Steuerberater oder Ärzte, die durch ihre erfolgreiche Arbeit ein hohes Privatvermögen ansammeln konnten. Meist besitzen diese eigene Unternehmen, die allerdings nicht an der Börse notiert sind. Die letzte Gruppe sind die „Plötzlich Reichen“. Diese Gruppe bezeichnet Menschen, die zum Beispiel durch eine Erbschaft, den Erhalt ihrer Pensionsabfindung, den Börsengang des eigenen Unternehmens oder durch Erfolg am Aktienmarkt sehr plötzlich wohlhabend wurden. Innovative Marketingkonzepte Diese neuen Entwicklungen am japanischen Markt kommen für die Unternehmen genau zum richtigen Zeitpunkt. Da die Nachfrage am Markt wächst, können sich Nippons Unternehmen endlich wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnen: der gezielten Konsumentenansprache und der Entwicklung von Produktadaptionen. Diese Entwicklung lenkt auch etwas von den Marketingschwächen, wie beispielsweise dem geringen Ausmaß von radikalen Innovationen bei japanischen Konsumprodukten, ab. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt der Fokus vieler Unternehmen auf der Segmentierung der neuen Konsumentengruppen, sowie darauf Marketingkonzepte für sie zu entwickeln. Im vergangenen Jahr ist daher eine Vielzahl von Büchern zu den neuen Zielgruppen erschienen, die einen Überblick über deren Eigenarten und Vorlieben geben wollen. Zwei Trends im japanischen Konsumentenverhalten sind derzeit besonders deutlich. Der erste ist der verstärkte Wunsch japanischer Konsumenten nach Kontakten mit anderen gleichgesinnten (Konsumenten). Im Gegensatz zu europäischen Konsumenten erwarten Japaner von Unternehmen weniger Aktivitäten im Umweltbereich, sondern verstärktes Engagement in gesellschaftlichen Fragen. Laut einer Untersuchung der Werbeagentur Hakuhodo, in der japanische Konsumenten über ihre Einstellung gegenüber Unternehmen befragt wurden, sollen sich Unternehmen vor allem bei der Interakti- on zwischen Mitgliedern der Gesellschaft (68 Prozent) und bei der Unterstützung von Familien (66,8 Prozent) engagieren. Unternehmen werden also verstärkt mit sozialen Erwartungen ihrer Konsumenten konfrontiert. Ein weiteres Phänomen, das am japanischen Markt sehr präsent ist, sind „overwhelmed consumers“ oder überforderte Konsumenten. So werden Käufer bezeichnet, die entweder wenig Zeit haben oder es aufgrund der Werbe- und Informationsflut, der sie ausgesetzt sind, schwierig finden, zufrieden stellende Kaufentscheidungen zu treffen. Auch die Vielzahl der angebotenen Produkte scheint Konsumenten eher zu verwirren als zu beglücken und Käufe zu verhindern. Hier sind Unternehmen vor die Aufgabe gestellt, Konsumenten die Kaufentscheidung zu erleichtern oder ganz abzunehmen. Um diesen neuen Entwicklungen gerecht zu werden, verfolgen japanische Unternehmen in erster Linie zwei neue Marketingaspekte: „Social Network Marketing“ und „Marketing for Overwhelmed Consumers“. Social Network Marketing In allen besprochenen Konsumentengruppen steigt die Anzahl der Ein-PersonenHaushalte sowie die Anzahl der Haushalte ohne Kinder. Konsumenten suchen aus diesem Grund vermehrt soziale Kontakte. Unternehmen, die diese erleichtern, verbessern nicht nur ihr Image, sondern können damit auch ihre Verkaufszahlen steigern. Vor allem bei größeren Anschaf- 5 Werbeplakat in Tokyo: Verbraucher werden immer individueller august 2007 J A PA N M A R K T T hema d es M onats fungen kann „Social Networking Marketing“ Kaufentscheidungen zugunsten des Unternehmens begünstigen. Japanische Bauunternehmen, die sich auf Ein-Personen-Apartments spezialisiert haben, bieten beispielsweise auch eine Reihe von Seminaren zum Wohnungskauf für berufstätige Frauen und gleichzeitig – von den Konsumenten hochgeschätzte – Networking-Möglichkeiten. Interessierte Käuferinnen können sich so mit Gleichgesinnten beraten, Freundschaften schließen und Informationen austauschen. Das wirkt sich auch positiv auf ihre Kaufentscheidungen aus. Das Unternehmen offeriert also nicht nur Produkte, sondern auch soziale Kontakte und kann so langfristige Kundenbindung aufbauen. Aber nicht nur der Single-Markt wünscht sich eine stärkere soziale Rolle der Unternehmen. Konsumenten der „New Upper Class“ oder Babyboomer dabei zu unterstützen sich mit Gleichgesinnten in Verbindung zu setzen, ist das Ziel von Social Networking Services (SNS). SNS funktionieren ähnlich wie die in Japan enorm beliebte Community-Plattform Mixi. Basis ist eine Internet Community mit ähnlichen Zielen, wie beispielsweise die der Absolventen der Tokyo Universität. Diese können durch die Plattform aber nicht nur Kontakte knüpfen, sondern werden durch sie auch über spezielle, der Zielgruppe angepasste Produktangebote informiert. Social Network Systems promoten so nicht nur Produkte, sondern gestalten ganze Lebenskonzepte. Der Social Networking Service „Seven Hills“ des Unternehmens e-Marketing beispielsweise unterstützt seine Kunden darin, einen Upper Class Lifestyle zu entwickeln, in dem es nicht nur Produkte anbietet, sondern auch bei Geldanlagen oder Urlaubszielen berät und informiert, wo man dem wohlhabenden Nachwuchs die passende Erziehung angedeihen lassen kann. Für Unternehmen haben Social Networks einige Vorteile. Eine große Zahl von Konsumenten sind direkt anzusprechen und entwickeln aufgrund der Networkingfunktion des Unternehmens eine positivere Einstellung gegenüber den Produkten. Marktforschungsaktivitäten sind leicht durchzuführen. Darüber hinaus haben SNSs eine sehr starke Cross-Marketingfunktion. Mehrere unterschiedliche Produkte können zusammen beworben werden. Der Nachteil ist allerdings die zurzeit noch sehr starke Internetabhän10 J A PA N M A R K T august 2007 1 Innovatives Geschäftskonzept: Experimentierfreude lohnt sich gigkeit des Konzepts. Viele Konsumenten, vor allem ein großer Teil der Babyboomer, die noch nicht so mit dem Internet vertraut sind, können nicht erreicht werden. Marketing für überforderte Verbraucher „Overwhelmed consumers“ oder überforderte Konsumenten sind in allen drei oben beschriebenen Zielgruppen zu finden. Auch für diese lassen sich neue Marketingkonzepte entwickeln. Ein interessantes Beispiel ist die Marketingstrategie des Unternehmens ranking/ranqueen, das zur Tokyu Unternehmensgruppe gehört. Um Konsumenten die Produktwahl zu erleichtern, bietet das Unternehmen in unterschiedlichsten Produktkategorien (wie Digitalkameras, Shampoo oder Kaugummi) ein Ranking der pro Woche am meisten verkauften Artikel jeder Kategorie an. Das Ranking basiert auf den Verkaufsdaten der Tokyu Unternehmensgruppe. Der Konsument kann sich, indem er das erfolgreichste Produkt je Produktsparte kauft, die Kaufentscheidung erleichtern. Das Unternehmen ist mit dieser neuen Marketingidee außerordentlich erfolgreich und hat in Japan schon einige Filialen eröffnet. Überforderte Konsumenten bewirken außerdem ein Revival klassischer Marketingmethoden. So werden vermehrt Push-Marketing-Methoden eingesetzt. Waren die vergangenen Jahre vor allem von der Idee des Pull-Marketing dominiert, also von der Idee, dass sich Konsumenten die für sie passenden Produkte suchen und Unternehmen in erster Linie reagieren sollten, gewinnt die Idee von Push-Marketing, also der direkten Einflussnahme auf den Konsumenten immer mehr Anhänger. Vor allem bei den „Plötzlich Reichen“ und den Babyboomern zeigen diese Marketingansätze Erfolge. Meist werden Konsumenten zuerst mit Direktmarketingaktionen kontaktiert und dann von Kundenbetreuern mit den Produkten vertraut gemacht. Vor allem Banken und Finanzinstitute finden Push-Marketing-Ansätze bei der Neuakquisition der „Plötzlich Reichen“ sehr effizient. Zusammenfassung Aufgrund der großen Veränderungen am japanischen Konsumentenmarkt, zeigen sich Japans Unternehmen experimentierfreudig im Entwickeln von innovativen Marketingkonzepten. Im Fokus stehen Ideen, die auch für europäische Unternehmen interessant sind. Denn nicht nur in Japan entwickeln sich neue Zielgruppen. Babyboomer, wohlhabende und alleinstehende Konsumenten, gewinnen auch in westlichen Märkten verstärkt an Bedeutung. Die Ideen japanischer Unternehmen könnten daher sehr viele zukünftige westliche Marketingtrends vorwegnehmen und auch dort den Konsumentenmärkten neue Impulse geben. K O N TA K T Dr. ParissaHaghirian Haghirian Dr. Parissa studierteJapanologie Japanologieund studierte und Internationales Internationales Management in Management in WienProfessor an Wien und ist Assistant und ist Assistant der Sophia Universität in Tokyo. Ihre Professor an der Forschungsinteressen beinhalten Sophia Universität in Tokyo. in interkulturelle Kommunikation Ihre Forschungsinteressen euro-japanischen Unternehmen, beinhaltenKonsumentenverhalten interkulturelle japanisches Kommunikation inManagement euro-japa- in sowie strategisches nischen Unternehmen, japaasiatischen Unternehmen. nisches Konsumentenverhalten Email: [email protected] sowie strategisches Management in asiatischen Unternehmen. Email: [email protected]