Jahresgutachten 2013/14 Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik Jens Klose Referent für Geldpolitik Essen, 19.12.2013 Agenda Prolog: • Der Sachverständigenrat als unabhängiges Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung Aus dem Jahresgutachten 2013/14: • Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik Gründung des Sachverständigenrates • 1963 mit dem „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ • mit dem Ziel, – die Wirtschaftspolitik (mit quantitativen Modellen) zu unterstützten • bei der Erklärung von wirtschaftlichen Problemen • bei der Prognose zukünftiger Entwicklungen – Partikularinteressen zurückzudrängen • durch die umfassende Information der Öffentlichkeit Die fünf Ratsmitglieder Lars P. Feld Volker Wieland Claudia M. Buch Christoph M. Schmidt (Vors.) Peter Bofinger Der Sachverständigenrat und was noch dahinter steht Sachverständigenrat 5 Ratsmitglieder Lars P. Feld Wissenschaftlicher Stab Generalsekretär 10 wissenschaftl. Mitarbeiter Volker Wieland Claudia M. Buch Verbindungsstelle zum Statistischen Bundesamt Geschäftsführerin 8 Mitarbeiter/‐innen Christoph M. Schmidt (Vors.) Peter Bofinger Der wissenschaftliche Stab Die Jahresgutachten Wie entsteht ein Jahresgutachten? (1) • Themenfindung in der ersten Jahreshälfte – Diskussion relevanter Politikfelder in den monatlichen Ratssitzungen – Themenvorschläge vom und Arbeitsaufträge an den wissenschaftlichen Stab • meistens empirische oder institutionelle Analysen – Anhörung wichtiger Institutionen… • Ministerien, Bundesbank, Bundesagentur für Arbeit, u.a. – und wirtschaftspolitischer Akteure • Wirtschaftsverbände, BDA, Gewerkschaften Wie entsteht ein Jahresgutachten? (2) • bis September – – – – Ausführliche Gliederungen der einzelnen Kapitel erste Textteile Fertigstellung der Analysen des Stabes externe Expertisen, z.B. bei Notwendigkeit juristischer Gutachten Wie entsteht ein Jahresgutachten? (3) • „Kampagne“ – August/September bis November – Wöchentliche Sitzungen ab Mitte September • Diskussion und Findung einer (möglichst) gemeinsamen Ratsposition zu einzelnen Themenfeldern – Erstellung der Texte (üblicherweise 3 Fassungen) • Aktuelle Entwicklungen werden bis zur Druckfassung aufgenommen – Fertigstellung der Prognose etwa eine Woche vor Drucklegung Zum Schluss: Übergabe im Kanzleramt …und Bundespressekonferenz Themen des diesjährigen Jahresgutachtens • • • • • • • • • Konjunktur (International und Deutschland) Europa (Geld-/ Fiskalpolitik und Institutionen) Finanzmarkt Arbeitsmarkt Öffentliche Finanzen (Konsolidierung und Steuern) Sozialpolitik Energiepolitik Immobilienmarkt Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Themen des diesjährigen Jahresgutachtens • • • • • • • • • Konjunktur (International und Deutschland) Europa (Geld-/ Fiskalpolitik und Institutionen) Finanzmarkt Arbeitsmarkt Öffentliche Finanzen (Konsolidierung und Steuern) Sozialpolitik Energiepolitik Immobilienmarkt Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Geldpolitik und fiskalische Konsolidierung im Euro-Raum Basispunkte Basispunkte 2 500 5 000 750 Spanien Griechenland (linke Skala) 2 000 4 000 600 Italien 3 000 1 500 450 1 000 300 Portugal 2 000 Frankreich 1 000 500 150 0 0 Irland 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2008 2009 2010 2011 2012 Die OMT-Ankündigung hat zur Entspannung an den Staatsanleihe- und Interbankenmärkten beigetragen 2013 Wechselwirkungen zwischen Geld- und Fiskalpolitik • • Geldpolitik wirkt über Zinssetzung und Ankauf von Wertpapieren auf Staatsanleihezinsen Fiskalische Maßnahmen ändern die Kreditnachfrage und beeinflussen die Zinsentwicklung der Zentralbank Risiken bei Unterordnung der Geldpolitik • • • Inflation Nachlassender Konsolidierungsdruck auf die Staaten Übertreibungen auf den Immobilien- und Finanzmärkten Die neue Welt der OMT • • • • Schuldentilgungspakt als proaktives Instrument – Präventive Reform- und Konsolidierungsauflagen – Schuldentilgungsfonds OMT hat die Situation verändert – Druck auf Mitgliedstaaten ist zurückgegangen – Verhandlungen über Pakt daher unwahrscheinlich Initiative liegt bei der EZB (Befreiung aus der fiskalpolitischen Inanspruchnahme) Schuldentilgungspakt ist eine Alternative zu den OMT, aber keinesfalls dessen Ergänzung Das Zinssetzungsverhalten der EZB hat sich auch in der Krise nicht entscheidend verändert Niveau % 8 Quartalsveränderung % 1,0 Taylor-Regel HVPI3) Änderungsregel2) 7 0,5 Taylor-Regel BIP-Deflator3) 6 5 0 4 -0,5 3 Leitzins1) 2 -1,0 2) Änderungsregel 1 Leitzins1) -1,5 0 -1 -2,0 1999 01 03 05 07 Änderungsregel: ∆ 09 11 , 2013 1999 01 ∗ 03 , 05 ∆ 07 09 ∆ 11 ∗ 2013 Forward Guidance: „Längerer Zeitraum“ der EZB Prognosezeitraum Stand mit Leitzinssenkung vom 7. November 2013 Stand August 2013 % % 2,00 2,00 1,75 1,75 1,50 1,50 1,25 1,25 Leitzins1) Leitzins1) 1,00 1,00 0,75 0,75 Änderungsregel2) Änderungsregel2) 0,50 0,50 0,25 0,25 0 0 2010 2011 2012 2013 2014 2010 2011 Zinserhöhung auf 0,5 % im zweiten Quartal 2014 erwartet. 2012 2013 2014 Weitere Maßnahmen der EZB • Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen – Information der Öffentlichkeit – Bessere Prognosemöglichkeit der Zentralbankentscheidung durch die Öffentlichkeit – Unabhängigkeit der Ratsmitglieder gefährdet? Namentliche Zurechnung der Argumente vermeiden Abstimmung im europäischen Sinne stärkt Vertrauen in die EZB – Spätere Veröffentlichung der Sitzungsmitschnitte wünschenswert • Notfallliquiditätshilfen (ELA): – ELA erheblich zurückgegangen (von 150 Mrd Euro zu Beginn des Jahres auf rund 25 Mrd Euro) – Grund: Wiederzulassung von griechischen Aktiva in EZB-Geschäften Umwandlung in langlaufende Staatsanleihen in Irland (vermutlich monetäre Staatsfinanzierung) Aggregierte Konsolidierung im Euro-Raum % Einnahmeseitig Ausgabenseitig 3,0 Konsolidierung 2012 Zusätzliche Konsolidierung 2013 Zusätzliche Konsolidierung 2014 % 3,0 2,5 2,5 2,0 2,0 1,5 1,5 1,0 1,0 0,5 0,5 0 0 2012 2013 2014 Geplante Konsolidierung im Jahr 2012 vornehmlich einnahmeseitig In den Jahren 2013 und 2014 vornehmlich ausgabeseitig Konsolidierungsbeitrag und -zusammensetzung variiert zwischen den Ländern 1,0 1,0 Ausgabenseitig Einnahmeseitig 0,9 0,9 0,8 0,8 0,7 0,7 0,6 0,6 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3 0,3 0,2 0,2 0,1 0,1 0 0 AT BE DE ES FI FR GR IE IT LU NL PT 1) AT-Österreich, BE-Belgien, DE-Deutschland, ES-Spanien, FI-Finnland, FR-Frankreich, GR-Griechenland, IE-Irland, IT-Italien, LU-Luxemburg, NL-Niederlande, PT-Portugal. Die größten Beiträge kommen aus Frankreich, Spanien und Italien. Deutsche Konsolidierung sehr gering. Griechenland, Irland und Portugal haben die ambitioniertesten Konsolidierungsprogramme im Verhältnis zum nationalen BIP. Konsoldierungsarten und ihre Wirkung auf das Wirtschaftswachstum (Anordnung in absteigender Reihenfolge der Wirkung auf das BIP) • • • • • Transfers (kurz- und langfristig steigendes BIP) Konsumsteuern (langfristig steigendes BIP) Staatskonsum (langfristig steigendes BIP) Arbeitseinkommenssteuern (langfristig steigendes BIP) Kapitalertragsteuern (langfristig fallendes BIP) • Generell scheint der im Euro-Raum gewählte Konsolidierungsmix geeignet zu sein, die Schuldenstandsquoten nachhaltig zu senken – Kurzfristig fällt das BIP rund 1 % niedriger aus, steigt langfristig aber um 1 % Immobilienmarkt: Kein Grund für Aktionismus Wirtschaftspolitische Relevanz • Seit dem Jahr 2009 ist ein deutlicher Anstieg der Immobilienpreise und Mieten zu beobachten • Befürchtung von makroökonomischen Fehlentwicklungen • Steigende Mieten in Ballungszentren • Sozialpolitische Debatte über „neue Wohnungsnot“ Preisentwicklung hat an Fahrt gewonnen, aber ist im internationalen Vergleich noch moderat Immobilienpreisentwicklung Nominale Häuserpreisindizes Preisentwicklung deutscher Wohnimmobilien 1995 = 100 2010 = 100 500 115 Irland 400 110 BulwienGesa1) Vereinigtes Königreich Spanien 300 105 Statistisches Bundesamt2) Frankreich Italien 100 95 Vereinigte Staaten Deutschland RWI3) Verband deutscher Pfandbriefbanken2) 200 100 Japan 0 90 1995 98 01 04 07 10 2012 1995 98 01 04 07 10 2012 1) BulwienGesa AG; Preisindex für Reihenhäuser und Eigentumswohnungen, 125 Städte.– 2) Häuserpreisindex.– 3) Häuserpreisindex, Mittelwert aus Neubau und Bestand auf Basis Immoscout24-Daten. Quellen: Deutsche Bundesbank, OECD Keine Ausweitung der Privaten Verschuldung zur Immobilienfinanzierung Entwicklung der ausstehenden Kredite für den Wohnungsbau und Schuldenstandsquoten ausgewählter Mitgliedstaaten des Euro-Raums Ausstehende Kredite für den Wohnungsbau Schuldenstandsquoten der privaten Haushalte1) Januar 2003 = 100 2003 = 100 180 310 Irland Irland Italien 280 Italien 250 160 Spanien Spanien 140 220 Frankreich 190 120 Frankreich 160 100 130 Deutschland Deutschland 80 100 70 60 2003 04 05 06 07 08 09 10 11 12 2013 2003 04 05 06 07 08 09 10 11 2012 1) Einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck, in Relation zum verfügbaren Einkommen. Quelle: EZB Erklärung der jüngsten Entwicklung durch Fundamentalfaktoren • Günstige Entwicklung der Einkommen und Beschäftigung • Niedrige Zinsen • Immobilien als „inflationssichere“ und „risikolose“ Anlage • Demografische Einflüsse • Regional sehr unterschiedlich, große Zuwanderung in Ballungszentren Durchschnittliche Entwicklung der Wohnungspreise und Einwohnerzahl in ausgewählten Großstädten1) Durchschnittliche jährliche Veränderung der Preise zwischen Januar 2007 und Dezember 2012 in % 8 München Freiburg i. Br. Hamburg 6 Berlin Düsseldorf Augsburg Nürnberg 4 Aachen Kiel Frankfurt Stuttgart Karlsruhe Dresden Münster Wiesbaden 2 Lübeck Halle (Saale) Bielefeld Bremen Köln Bonn Hannover Magdeburg Leipzig Mannheim Bochum 0 Duisburg Wuppertal -2 Dortmund Essen Krefeld Chemnitz -4 -0,6 -0,4 -0,2 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 Durchschnittliche jährliche Veränderung der Einwohnerzahl zwischen 2007 und 2012 in % 1) Regressionsgerade. Quellen: Berechnungen des RWI auf Basis von Immobilienscout24-Daten, Bauer et al. (2013) „Neue Wohnungsnot“ • Starker Mietanstieg in Ballungszentren • Vor allem Bezieher niedriger Einkommen werden durch die Mieterhöhungen getroffen • Folgende Bereiche wurden in den Wahlprogrammen der Parteien diskutiert: 1. Mietpreisbremse 2. Stärkere steuerliche Förderung 3. Öffentlicher Wohnungsbau 4. Wohngeld Mietpreisbremse • Eingriffe in den Preismechanismus führen zu geringeren Investitionsanreizen Entstehung von Ausweichmechanismen: persönliche Beziehungen, hohe Ablösesummen usw. • Standpunkt des Sachverständigenrates: • • Keine Eingriffe in die Mietpreise bei Neuvermietungen Mietpreisbremse bei bestehenden Mietverhältnissen (Kappungsgrenze) sollte beibehalten werden Konjunktur Für die Weltwirtschaft zeichnet sich ein moderater Aufschwung ab Jahresdurchschnitte2) Bruttoinlandsprodukt1) (linke Skala) Vereinigte Staaten Industrieländer ohne Vereinigte Staaten und ohne Euro-Raum Prognosezeitraum3) Schwellenländer ohne China China Euro-Raum Prozentpunkte 1. Quartal 2011 = 100 112 2,0 3,0 % 109 1,5 2,2 % 106 1,0 3,0 % 2,4 % 103 0,5 100 0 Wachstumsbeiträge4) (rechte Skala) 97 -0,5 1) 94 -1,0 2011 2012 2013 2014 1) Reale Bruttoinlandsprodukte von 48 Ländern, gewichtet mit dem nominalen Bruttoinlandsprodukt in US-Dollar des Vorjahres.– 2) Veränderung gegenüber dem Vorjahr.– 3) Prognose des Sachverständigenrates.– 4) Zur Veränderung der Weltproduktion gegenüber dem Vorquartal. Deutschland: Indikatoren signalisieren aktuell ein verhalten optimistisches Bild Voraussichtliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland verkettete Volumenwerte1) Jahresdurchschnitte2) Prognosezeitraum3) % Mrd Euro 660 3,0 2,5 640 1,6 % 0,7 % 620 600 2,0 0,4 % 3,3 % 1,5 1,0 4,0 % 0,5 580 0 560 Veränderung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala) -0,5 540 -1,0 2010 2011 2012 2013 2014 1) Verkettete Volumenwerte (Referenzjahr 2005), saison- und kalenderbereinigt (linke Skala).– 2) Veränderung gegenüber dem Vorjahr.– 3) Prognose des Sachverständigenrates. Nachfrage aus den Schwellenländer hat in den letzten Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen Industrieländer Schwellenländer Ausfuhr 2000 sonstige osteuropäische EU-Mitgliedsländer2) 7% sonstige Länder 16 % Brasilien, Indien und Russland 2% Asien ohne China, Indien und Japan 6% China 2% Japan 2 % Vereinigte Staaten 10 % Euro-Raum 3) 45 % 2012 sonstige osteuropäische EU-Mitgliedsländer2) 10 % sonstige Länder 18 % 597,4 Mrd Euro Euro-Raum 3) 37 % 1 095,8 Mrd Euro Brasilien, Indien und Russland 5% Vereinigtes Königreich 8% Asien ohne China, Indien und Japan 8% China 6 % Japan 2% Vereinigte Staaten 8% Vereinigtes Königreich 7% Wirtschaftliche Eckdaten für Deutschland Wirtschaftliche Eckdaten für Deutschland Einheit 2011 2012 20131) 20141) Bruttoinlandsprodukt2) …………….................................... % 3,3 0,7 0,4 1,6 Konsumausgaben ....................................................... Private Konsumausgaben3) …................................. % 2,0 0,8 1,0 1,3 % 2,3 0,8 1,0 1,4 Konsumausgaben des Staates ............................. % 1,0 1,0 0,9 1,1 Ausrüstungsinvestitionen ............................................ % 5,8 – 4,0 – 2,6 6,2 Bauinvestitionen .......................................................... % 7,8 – 1,4 – 0,2 4,1 Inländische Verwendung ............................................. % 2,8 – 0,3 0,8 2,0 0,7 0,9 – 0,3 – 0,2 Außenbeitrag (Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten) Exporte .................................................................. % 8,0 3,2 0,2 5,2 Importe .................................................................. % 7,4 1,4 1,0 6,3 Tausend 41 152 41 608 41 860 42 109 Tausend 2 976 2 897 2 954 2 950 Tausend 28 440 28 991 29 367 29 679 % 7,1 6,8 6,9 6,8 % 2,1 2,0 1,5 1,9 % – 0,8 0,1 0,1 0,0 Erwerbstätige .................................................................. 4) Registriert Arbeitslose .................................................... 4) Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ...................... 4)5) Arbeitslosenquote ……………...................................... 6) Verbraucherpreise ………..….........................………….… 7) Finanzierungssaldo des Staates ……….......................... Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung • außenwirtschaftliches Umfeld – neuerliche krisenhafte Zuspitzung kann Erholung im Euro-Raum zurückwerfen – schwächerer Welthandel • geopolitische Unwägbarkeiten • Protektionismus • nationale Wirtschaftspolitik kann Investitionen bremsen und zwar beispielsweise durch – Steuerpolitik – Mietpreisbremse – Energiepreise