Economic Research Allianz Group Dresdner Bank Working Paper Nr.: 8, 7.4.2004 Autor: Jutta Kayser-Tilosen _________________________________________________________________ Privatsektor in Spanien: Konsolidierungsdruck nimmt zu Die jüngsten Daten deuten darauf hin, dass die spanische Wirtschaft weiterhin ungebremst expandiert. Das seit einer Dekade andauernde spanische Wachstum hat kaum eine Verschnaufpause eingelegt und war zeitweise einseitig von den Bauinvestitionen und dem Privaten Konsum getragen. Es stellt sich die Frage, ob man die Entwicklung einfach so fortschreiben kann oder ob die sich aufbauenden Ungleichgewichte die Expansion ins Stocken bringen werden. Ein entscheidender Faktor ist aus unserer Sicht, ob die finanzielle Situation der privaten Haushalte und der Unternehmen noch gut genug ist, um anhaltendes Wachstum zu gewährleisten. Geringe Überschüsse bei den privaten Haushalten In den Expansionsphasen sind die Volkswirtschaften üblicherweise von einer Verminderung der Finanzierungsüberschüsse gekennzeichnet, während Schwächephasen mit einer Konsolidierung im Privatsektor einhergehen. Dies sollte auch für Spanien gelten, wo uns entsprechende Daten allerdings erst ab 1995 vorliegen. Die privaten Haushalte, die hier immer die Organisationen ohne Erwerbscharakter einschließen, sind traditionell der Hauptüberschusssektor, der den anderen Sektoren finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Ihr Überschuss ist gemessen am BIP bis zum Jahr 2000 stark gefallen. Die 2002 zum Teil erkennbare Besserungstendenz wird durch die jüngsten Quartalswerte nicht bestätigt. Zwischen Juli und September 2003 erreichte der Überschuss bei den privaten Haushalten mit 0,8 % des BIP kumuliert über die letzten 12 Monate einen niedrigen Wert. 1 Spanien: Finanzierungssalden im Privatsektor in % des BIP 8 6 4 2 0 -2 -4 -6 1995 1996 1997 1998 1999 nicht-fin. Kapitalgesellschaften 2000 2001 private Haushalte 2002 2003 Privatsektor 2003: Jan-Sep Aufgrund kräftig steigenden Konsums war die Sparquote in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre deutlich gefallen. Seit 2002 ist eine Stabilisierung erkennbar. Allerdings fordert der kräftig gestiegene Schuldenberg in Spanien Tribut. Zieht man von den Ersparnissen die geschätzten Tilgungszahlungen ab, so belaufen Erstere sich – trotz einer Erholung seit Mitte 2001 – nur auf knapp 2 % des Bruttohaushaltseinkommens. Spanien: Sparquote der privaten Haushalte Ersparnisse in % des verf. Einkom m ens 15 14 13 12 11 10 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Die kräftige Ausgabenexpansion bei den privaten Haushalten wurde – angetrieben von den immer weiter sinkenden Zinsen - durch eine lebhaft zunehmende Kreditnachfrage finanziert. Das Kreditwachstum bei inländischen Instituten hat sich zwar inzwischen verlangsamt, lag aber im dritten Quartal 2003 immer noch bei 12,8% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der ganz überwiegende Teil der Kredite an private Haushalte dient dem Erwerb von Wohneigentum. Die steuerlich subventionierten Investitionen in selbstgenutzten Wohnraum waren in den vergangenen Jahren eine wich2 tige Triebfeder des Wirtschaftswachstums. Dabei verstärkten die stark steigenden Hauspreise diese Entwicklung noch, weil sie über höhere Beleihungswerte mehr Kreditaufnahme ermöglichten. Um 17 % legten die Preise für Wohnhäuser im Jahr 2003 zu. Spanien: Verschuldung der privaten Haushalte in % des verfügbaren Einkommens 100 95 90 85 80 75 70 65 60 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Die über Jahre andauernde kräftige Kreditexpansion ließ die Schuldenquoten des Sektors deutlich steigen. Die gesamten Verbindlichkeiten der privaten Haushalte liegen gemessen am BIP inzwischen höher als im EWU-Durchschnitt und haben 2003 das verfügbare Einkommen der Spanier schätzungsweise überstiegen. Nimmt man an, dass die Zunahme der Verbindlichkeiten gemessen am verfügbaren Einkommen bei etwa 12 % bleibt und dass die Einkommenszuwächse so hoch liegen wie durchschnittlich seit 1995, so werden die Schulden im Jahr 2006 fast 125 % des verfügbaren Einkommens erreichen. Hinzu kommt, dass das Netto-Finanzvermögen des Sektors seit dem Jahr 2000 spürbar abnahm. Allerdings zeichnet sich hier durch die Kursgewinne an den Aktienmärkten 2003 eine gewisse Erholung ab. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Finanzaktiva nur einen kleinen Teil des Vermögens der spanischen Verbraucher ausmachen. Der größere Teil des Eigentums besteht aus Immobilien, deren reale Bewertung sich deutlich verbessert hat. Betrachtet man die Schulden der spanischen Haushalte relativ zu deren Finanzvermögen, so steht Spanien ähnlich wie Deutschland mit einer Quote von gut 40 % deutlich schlechter da als andere große EWU-Länder und die USA. 3 Finanzielle Nettoverbindlichkeiten/Nettoforderungen der privaten Haushalte, 2002 in % 50 40 30 20 10 0 Deutschland Spanien Frankreich Italien USA Quelle: Eurostat, Federal Reserve Trotz gestiegener Schulden hat sich der Schuldendienst (Tilgungen und Zinszahlungen) aufgrund des gesunkenen Zinsniveaus bisher nicht erhöht. Er liegt bei rund 13 % des verfügbaren Einkommens. Weil eine weitere Verbilligung der Kreditkosten vom derzeitigen Niveau aus unwahrscheinlich ist, dürfte der Schuldendienst in den nächsten ein bis zwei Jahren zu einer stärkeren Belastung für die Konsumenten werden. Bisher hat sich jedenfalls die Rate zweifelhafter Hypothekenkredite noch nicht erhöht. Im 3. Quartal 2003 lag die Rate bei 0,4 %, verglichen mit über 8 % auf dem Höhepunkt des letzten Hauspreiszyklus 1991. Alles in allem hat sich die finanzielle Lage der privaten Haushalte verschlechtert, auch wenn sie nicht als unmittelbar bedrohlich anzusehen ist. Die hohen akkumulierten Schulden sowie die niedrigen, nach Tilgungszahlungen verbleibenden Ersparnisse machen den Sektor ohne Zweifel anfällig gegenüber abrupten Veränderungen des Einkommens, des Vermögens oder der Zinsen. Nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften mit steigenden Fehlbeträgen Hand in Hand mit der über Jahre andauernden wirtschaftlichen Expansion weitete sich der Finanzierungsbedarf des Unternehmenssektors in Spanien immer weiter aus. Der enorme Investitionsbedarf im Zusammenhang mit der Liberalisierung der spanischen Märkte und der Globalisierung sowie die sich ständig bessernden Finanzierungsbedingungen sorgten dafür, dass die Neigung spanischer Unternehmen zunahm, externe Finanzmittel aufzunehmen. 4 Spanien investiert überdurchschnittlich Ausrüstungsinvestitionen J/J in % 15 10 5 0 -5 -10 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Euro-Raum Spanien Im Unterschied zu anderen EWU-Partnerländern, deren Konjunkturentwicklung seit 1995 deutlich schwächer war, hat sich die Finanzierungsposition der spanischen nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften in den letzten Jahren nicht verbessert (siehe Grafik 1). Seit 2001 liegt das Defizit bei 4 ½ % des BIP und erreichte im dritten Vierteljahr 2003 kumuliert über die letzten 12 Monate 4,8 % des BIP. Insofern ist im spanischen Unternehmenssektor eine Konsolidierung bisher ausgeblieben. Spanien: Nettoaufnahme an verzinslichen Verbindlichkeiten durch Kapitalgesellschaften in Relation zu den Ausrüstungsinvestitionen in % 50 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 bis Q3 2003; ohne Finanzsektor Beruhigend stimmt, dass der Bestand an Fremdmitteln (Kredite und Anleihen) inzwischen verlangsamt wächst. So lagen die Fremdmittel der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften von Januar bis September letzten Jahres um knapp 14 % höher als im Vorjahreszeitraum, im Jahr 2000 waren es noch fast 20 % Zuwachs. Solange die Wirtschaft weiter wächst, ist das Ausfallrisiko für die Kreditinstitute im historischen Vergleich gering. Nach Angaben der Bank von Spanien ging die Quote 5 zweifelhafter Forderungen von Banken und Sparkassen zuletzt noch weiter zurück. Gleichzeitig haben sich die Aktivität der Unternehmen und ihre Gewinnentwicklung verbessert. Sowohl die Wertschöpfung als auch das Betriebsergebnis und der Reingewinn wuchsen in den ersten drei Quartalen 2003 schneller als im Jahr 2002. Dies lässt erwarten, dass den nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften mehr eigene Mittel zur Verfügung stehen, um anstehende Investitionen zu finanzieren. Spanien: Verschuldung der Kapitalgesellschaften ohne Finanzsektor, in % des BIP 85 75 65 55 45 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 bis Q3 2003; Wertpapiere (ohne Aktien) und Kredite Bedenklich ist, dass durch die anhaltende Aufnahme neuer Kredite und Anleihen die Schuldenquote der Gesellschaften – gleich in welcher Abgrenzung – weiter zunimmt. So stiegen etwa die Schulden gemessen am Betriebsergebnis (plus Finanzergebnis) zwischen Dezember 2002 und Juni 2003 um 13 Prozentpunkte auf 381,9 %. Zwar gingen wegen der sinkenden Zinsen die Finanzierungskosten noch zurück. Doch macht der hohe Schuldenstand die Unternehmen in ihren Investitions- und Personalentscheidungen anfällig gegenüber Zinsschwankungen. Fazit: Druck auf die Binnennachfrage Die finanzielle Situation der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften sowie der privaten Haushalte ist zwar angespannt, insgesamt aber noch nicht als bedrohlich zu bezeichnen. In unserem gesamtwirtschaftlichen Ausblick (Basisszenario) – fortgesetzte Konjunkturerholung im Euro-Raum und moderat anziehende Geld- und Kapitalmarktzinsen – dürfte der private Sektor die Investitionsnachfrage und den Verbrauch weiterhin ausweiten, aber mit gedrosseltem Tempo. Der aufgestaute Konsolidierungsdruck wird also die Expansion der Binnennachfrage spürbar dämpfen. 6 Spanien ist anfällig für Risiken Basisszenario in % Reales BIP, J/J Verbraucherpreise, J/J Dreimonatsgeldsatz 10-j. Euro-Benchmarkrendite 2003 2,4 3,1 2,3 4,1 2004 2,8 2,7 2,2 4,5 2005 2,5 2,6 3,0 5,1 2006 2,7 2,4 3,6 5,3 2007-10 2,2 2,0 3,8 5,4 Risikoszenario (global reflation) in % Reales BIP, J/J Verbraucherpreise, J/J Dreimonatsgeldsatz 10-j. Euro-Benchmarkrendite 2003 2,4 3,1 2,3 4,1 2004 2,8 3 2,3 4,7 2005 3 3,4 3,2 5,4 2006 2,8 3,8 4,5 5,9 2007-10 1,6 2,5 4,7 6 Die Exportnachfrage wird dies wegen der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit des Landes wohl nicht kompensieren können. In der Summe erwarten wir in unserem Basisszenario im Verlauf des Jahrzehnts erstmals ein Nachlassen der Wachstumskräfte in Spanien entgegen dem Trend im EuroRaum. Dabei gehen die Inflationsraten in Spanien allmählich zurück und verringern langfristig ihren Abstand zum Durchschnitt des Euro-Raums deutlich. Ohne eine Wachstumsverlangsamung kann die Finanzierungslücke im Privatsektor sich nur schließen, wenn der Staat seinen Finanzierungssaldo verschlechtert oder wenn das Leistungsbilanzdefizit abnimmt. Die Passivierung der Leistungsbilanz umzukehren dürfte Spanien bei anhaltender realer Aufwertung gegenüber dem Euro-Raum schwer fallen. Spanien verliert an Wettbewerbsfähigkeit HVPI, Jan. 1992=100 150 145 140 135 130 125 120 115 110 105 100 Spanien Euro-Raum 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 Die Kosten- und Preissteigerungen, die seit jeher höher sind als in den meisten EWUPartnerländern, sind mitverantwortlich für das tendenziell zunehmende Defizit im globalen Warenaustausch. So stiegen die Lohnstückkosten in der Privatwirtschaft 2002 und 2003 durchschnittlich 7 um knapp 3 %, das ist etwa ein Prozentpunkt mehr als im gesamten Euro-Raum. Die Lohnerhöhungen bleiben trotz der hohen Arbeitslosigkeit recht kräftig und lassen zusammen mit den geringen Produktivitätszuwächsen auf absehbare Zeit keine spürbare Verbesserung der Wettbewerbsposition erwarten. Der öffentliche Sektor, der die formalen Fiskalkriterien des Maastricht Vertrages seit einigen Jahren erfüllt, hätte rechnerisch Spielraum für eine Stimulierung der Nachfrage. Doch ist die spanische Regierung zu Recht darauf bedacht, durch ihre Null-Defizit-Politik das Vertrauen der Marktteilnehmer zu festigen. Spanien wird anfälliger für exogene Schocks Die Risiken für die spanische Wirtschaft nehmen zu, solange die Geld- und Kapitalmarktzinsen derart niedrig bleiben, die Kreditexpansion sich nur wenig verlangsamt und die Immobilienpreise weiter kräftig steigen. Solange die Wirtschaft nicht konsolidiert und die Finanzierungsdefizite des Privatsektors größer werden, nimmt die Anfälligkeit für abrupte Veränderungen noch zu. Ein Risikofall wäre das weltweite Aufflammen der Inflation (global reflation), etwa ausgelöst durch kräftig steigende Lohnstückkosten oder durch einen Angebotsschock. In diesem Fall kämen die hoch verschuldeten nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften durch die sprunghaft anziehenden Zinsen in Bedrängnis, was die Investitionsnachfrage bremsen würde. Da auch die Zinssensitivität der privaten Haushalte zugenommen hat, würde der Konsum sich tendenziell abschwächen und die Nachfrage nach Wohnimmobilien würde sinken. Das Zusammenwirken von schrumpfender Nachfrage und dem hohen Bestand an Häusern triebe die Preise nach unten. Somit würde das Sachvermögen der Schuldner sinken, was über geringere Beleihungswerte die Nachfrage weiter dämpfen und den Preisrückgang verstärken würde. Die Investitionen im Baubereich würden deutlich nachlassen, Überkapazitäten des Sektors würden die Aktivität auf Jahre belasten. Die öffentliche Hand könnte die Nachfrageausfälle durch Bauaufträge zwar noch eine Weile abfedern, doch steht ab 2007 aus den EU-Fonds, die derzeit knapp 1 % des BIP ausmachen, immer weniger Geld für Infrastrukturprojekte in Spanien zur Verfügung. Spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts würde das Wachstum der spanischen Wirtschaft kräftig zurückgehen und vermutlich unter das des Euro-Raums fallen. Dies würde bedeuten, dass der Aufholprozess Spaniens, das 2003 knapp 86 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der EWU erreichte, ins Stocken geriete. 8