Pharmakotherapien und Kombinationstherapien bei Angststörungen 15:21 Gliederung 1. Neurologische Ursachen 2. Angststörungen und Psychopharmaka 3. Kombinationstherapien 15:21 Neuronale Ursachen Phobien: • psychophysiologische Übererregbarkeit (meist in Gegenwart des phobischen Objektes) • Befunde aus pharmakologischen Provokationstests: Überaktivität im noradrenergen System, Dopaminminderaktivität Panikstörung: • Während der Attacke noradrenerge Überaktivität, möglicherweise spontane Aktivität des Locus coeruleus (Gabe von Substanzen, die selektiv Locus coeruleus stimulieren, kann Panikattacken auslösen) • Evtl. Stimulation bestimmter Serotoninrezeptoren Generalisierte Angststörung: • Weniger aktives GABAerges System, evtl. durch Mangel bzw. geringere Empfindlichkeit der GABA- oder Benzodiazepin Rezeptoren • Diskutiert wird außerdem Dysregulation im serotonergen System 15:21 Angststörungen und Psychopharmaka Benzodiazepine Antidepressiva Buspiron 15:21 Anxiolytika: Benzodiazepine z.B. Tavor, Diazepam, Librium • Wirkung über ionotropen GABA-Rezeptor • steigern die Wirkung des Neurotransmitters GABA (GammaAminobuttersäure) im Gehirn • Übertragung elektrischer Impulse wird gehemmt 15:21 Anxiolytika: Benzodiazepine • • • Angstlösende, sedierende, antiaggressive, muskelrelaxierende, antikonvulsive Wirkung Wirkung schnell und zuverlässig Zielsyndrome: Angst, innere Unruhe, motorische Spannung, Hypervigilanz, Schlafstörungen Toleranzentwicklung: • • • gegenüber anxiolytischer Wirkung nicht bekannt, d.h. Dosissteigerung zur Wirkungserhaltung in der Regel nicht notwendig Gegenüber sedierender, muskelrelaxierender und antikonvulsiver Wirkung Toleranzenzentwicklung möglich Gesamtgabe sollte auf möglichst kurzen Zeitraum (4-6 Wochen) beschränkt werden 15:21 Anxiolytika: Indikation von Benzodiazepinen Panikstörung mit und ohne Agoraphobie • • Kupierung von akuten Panikattacken Bei Beginn der Behandlung einer schweren Panikstörung evtl. überlappende Therapie mit Benzodiazepinen und Antidepressiva Generalisierte Angststörung • • Akutbehandlung, Krisenintervention Hilfreich bei im Vordergrund stehenden vegetativen Beschwerden, die manchmal durch Antidepressiva verstärkt werden können Phobische Störungen Agoraphobie: bei Panikattacken Indikation für Benzodiazepine Soziale Phobie: Benzodiazepine scheinen wirksam 15:21 Benzodiazepine: Nebenwirkungen Abhängigkeitsentwicklung • Verabreichung hoher Dosen, Verabreichung über längeren Zeitraum • Bei plötzlichem Absetzen Entzugsproblematik: a) Reboundsymptome: Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit können akut ausgeprägt sein, verschwinden aber in der Regel innerhalb einiger Tage b) Rückfallsymptome: wiederkehrende Angstsymptomatik, abzugrenzen von Absetzsymptomatik c) Entzugssymptome: vor Verordnung der Medikation nicht vorhanden, treten ca. 2-10 Tage nach Absetzen der Medikation auf und dauern gewöhnlich 5-15 Tage 15:21 15:21 Benzodiazepine: Nebenwirkungen Abhängigkeitsentwicklung: • Verabreichung hoher Dosen, Verabreichung über längeren Zeitraum • Bei plötzlichem Absetzen Entzugsproblematik: a) Reboundsymptome: Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit können akut ausgeprägt sein, verschwinden aber in der Regel innerhalb einiger Tage b) Rückfallsymptome: wiederkehrende Angstsymptomatik, abzugrenzen von Absetzsymptomatik c) Entzugssymptome: vor Verordnung der Medikation nicht vorhanden, treten ca. 2-10 Tage nach Absetzen der Medikation auf und dauern gewöhnlich 5-15 Tage Vorbeugung von Benzodiazepinentzugssymptomen: Stufenweise Dosisreduktion, über Wochen, manchmal über Monate 15:21 Antidepressiva • Trizyklische Antidepressiva • Selektive-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) • Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) 15:21 Trizyklische Antidepressiva • Z.B. Saroten, Tofranil, Pertofran • Reuptake-Hemmung: TZA besetzen Monoaminbindungsstellen an den Carrier-Proteinen und verhindern Rückschleusung der Transmitter (Serotonin und Noradrenalin) in die präsynaptische Nervenzelle • Nebenwirkungen: vegetative Begleitsymptome wie Mundtrockenheit, Verstopfung, Gewichtszunahme, etc. • Indikation bei Panikstörung und generalisierter Angststörung Aufgrund der nicht selektiven Wirkung (Blockierung von Histaminrezeptoren, anticholinerge Wirkung) wird jedoch oft auf selektive Wiederaufnahmehemmende Substanzen zurück gegriffen. 15:21 Monoaminoxidase Hemmer • Hemmung des Enzyms Monoaminoxidase, verminderter Abbau der Monoamintransmitter in präsynaptischer Zelle, erhöhte Transmitterausschüttung in den synaptischen Spalt • Gelten als nebenwirkungsarm • Indikation bei sozialer Phobie, Panikstörung 15:21 Selektive-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) • • • Inhibition der Serotonin Wiederaufnahme durch Besetzung der Bindungsstellen an den Carrier Proteinen Wirkungsvollere Behandlung psychischer Störungen, die auf Veränderungen im serotonergen Haushalt basieren Keine Wirkung auf noradrenerges System, keine Blockierung von Histaminrezeptoren, sowie keine anticholinerge Wirkung Wegfallen diverser Kontraindikationen der TZA • • Dennoch Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Libido- oder Potenzstörungen, etc. Indikation bei Phobien, Panikstörungen Einsetzen der Wirkung von Antidepressiva in der Regel erst nach ca. 3 Wochen, sodass eine Initialbehandlung mit Benzodiazepinen zu erwägen ist. 15:21 Buspiron • Angstlösend, dabei nicht sedierend • Kaum Nebenwirkungen, kein Suchtpotential • Wirkt vermutlich an Serotoninrezeptoren verstärkend/ an Dopaminrezeptoren hemmend • Indikation bei generalisierter Angststörung, oft in Kombination mit SSRI • Wirkungseintritt nach 1 bis 2 Wochen 15:21 Kombinationstherapien Faktoren zur Entscheidung bzgl. einer Kombinationstherapie: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 15:21 Komorbidität Schweregrad der Angstsymptomatik Vorbestehende Medikation mit Antidepressiva Vorbestehende Medikation mit Benzodiazepinen Motivationslage Vorgehensweise bei der Medikation Komorbidität • Häufig Komorbidität mit anderen psychischen Störungen wie Depression oder Suchterkrankung höhere Therapieresistenz • Schwere komorbide Depressionen können Motivation sowie Belastbarkeit für Verhaltenstherapie reduzieren und erschweren • Generalisierung von einzelnen Therapieerfolgen kann aufgrund von depressiver Befindlichkeit unzureichend bleiben • Medikation sollte noch während der Therapie abgesetzt werden, sodass der Patient Erfolge bei der Angstbewältigung nicht ausschließlich auf das Medikament zurückführen kann 15:21 Schweregrad der Angstsymptomatik • bei leichter bis mittelschwerer Angstsymptomatik kann vorübergehende medikamentöse Therapie mit Antidepressiva ausreichend sein, sofern Patient motiviert und in der Lage ist, Belastungen zu vermindern bei Misserfolg Indikation für Verhaltenstherapie • Bei sehr ausgeprägter Angstsymptomatik Indikation für Kombinationstherapie, um durch Psychopharmaka Verhaltenstherapie überhaupt möglich zu machen Reduktion der Ängste durch Antidepressivum, um Expositionsübungen zu ermöglichen • Zeigen Expositionen Erfolge, sollten Antidepressiva stufenweise abgesetzt werden (besonders bei stationärer Behandlung ist zu berücksichtigen, inwieweit Entlassung mit zusätzlichen Belastungen verbunden ist evtl. Medikation als Rückfallprophylaxe) 15:21 Vorbestehende Medikation mit Antidepressiva • Bei Patienten mit Angststörungen vor Verhaltenstherapie oft bereits psychopharmakologische Behandlung • Oei et al., 1997: von Patienten, die Medikamente absetzten, nur ca. 38 % ohne Rückfall • Zusätzliche Verhaltenstherapie : erhöht Wahrscheinlichkeit, bei Absetzen von Antidepressiva frei von Rückfall zu sein • Vergleich von Patientengruppen, die vor Verhaltenstherapie Antidepressiva nahmen, und jenen, die ohne Medikation in Verhaltenstherapie gingen: tendenziell kein Unterschied im Behandlungserfolg • Aber: fast die Hälfte der Patienten nach Beendigung der Verhaltenstherapie medikamentenfrei • Verhaltenstherapie scheint Erfolgsquote bei Absetzen von Antidepressiva zu erhöhen 15:21 Vorbestehende Medikation mit Benzodiazepinen • Negativer Effekt auf verhaltenstherapeutische Expositionen • Medikation sollte vor Behandlung grundsätzlich stufenweise abgesetzt werden • Benzodiazepin als Amulettfunktion: Patient trägt Tablette als Art „Amulett“ bei sich, nimmt diese aber selten oder gar nicht ein. • Förderung der Expositionsmotivation, im Laufe der Therapie wird der Patient ermutigt, das Medikament immer seltener bei sich zu tragen 15:21 Motivationslage • Behandlungsplan in Abstimmung mit den Wünschen des Patienten • Bei ausdrücklichem Wunsch nach Pharmakotherapie sollte diese nicht verwehrt werden, sondern evtl. Alternativen mit dem Patienten diskutiert werden • Durch initiale Pharmakotherapie kann über die Verbesserung der Therapeut- Patient- Beziehung sukzessive die Motivation für eine Verhaltenstherapie erhöht werden • Gilt nicht für Benzodiazepine (Suchtgefahr) 15:21 Vorgehensweise bei der Medikation • • • • • • • • 15:21 Aufklärung bzgl. Zweck einer kombinierten Therapie sowie möglichen medikamentösen Nebenwirkungen Antidepressiva sind Benzodiazepinen vorzuziehen, Ausnahme sind „AngstNotfälle“ oder „Amulettfunktionen“ (max. 4 Wochen) Patienten sollten über viel eigenständige Kontrolle bzgl. Zeitpunkt evtl. Dosiserhöhungen sowie Einnahmezeiten verfügen Erhöht Compliance, vermindert Wahrscheinlichkeit eines Abbruches aufgrund von Nebenwirkungen Dauer der medikamentösen Behandlung richtet sich nach Erfolgen in der Verhaltenstherapie Absetzen meist dann möglich, wenn Patient sich zutraut, Strategien zur Angstbewältigung umzusetzen Stufenweises Absetzen, Überprüfen der Stabilität der Behandlungserfolge im Rahmen der Verhaltenstherapie Abhängigkeit von Belastungen im Alltag und Ausprägung komorbider Störungen Allgemein • • • • Aus publizierten Studien kann für keine der versch. Angststörungen eine generelle Überlegenheit der parallelen Kombinationstherapie belegt werden Jedoch scheint bei Kombinationstherapie sowie alleiniger Verhaltenstherapie das Rückfallrisiko geringer zu sein als bei medikamentöser Monotherapie Pharmakologische Behandlung kann die Verhaltenstherapie unterstützen und unter Umständen überhaupt erst möglich machen Grundsätzlich ist Entscheidung für oder gegen Kombinationstherapie in Abhängigkeit der individuellen Krankheitssymptomatik des Patienten zu treffen 15:21 Literatur Berking, M., Grawe, K. (2005). Angststörungen aus einer „neurotherapeutischen“ Perspektive. Psychotherapie im Dialog, 4; 408-413. Köhler, T. (2003). Erregungsbildung in Neuronen; synaptische Übertragung und ihre Beeinflussung; Grundlagen der Psychopharmakatherapie. In Köhler, T. , Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten (pp. 70-123). Schattauer Verlag. Krauß, H. (2005). Angststörungen und Psychopharmaka. Psychotherapie im Dialog, 4; 414-418. Rufer, M., Hand, I., Peter, H. (2001). Kombinationstherapie bei Angststörungen: Aktuelle Datenlage und Empfehlungen für den klinischen Alltag. Verhaltenstherapie, 11; 160-172. 15:21 15:21