Humangenetik für Biologen 13. Stunde: Imprinting / Genetische Prägung Epigenetik und menschliche Erkrankungen Prader-Willi-Syndrom Angelman-Syndrom Beckwith-Wiedemann Syndrom Silver-Russell-Syndrom Epigenetik und Krebs Ernährung, Epigenetik und Gesundheit Was ist Epigenetik? (gr.) „außerhalb der konventionellen Genetik“ Heute: stabile Veränderungen in der Regulation der Genexpression, die während der Entwicklung und Zellproliferation entstehen und festgeschrieben werden Weitergabe über die Mitosen hinweg: zelluläres Gedächtnis; Weitergabe über Meiosen hinweg: Erblichkeit epigenetischer Veränderungen Waddington (1942): Bereich der Biologie/Genetik, der sich mit der kausalen Analyse der Embryonalentwicklung beschäftigt (heute „Entwicklungsgenetik“) Epigenetische Mechanismen DNA Methyltransferasen Histon-Deacetylasen, Histon-Acetyltransferasen Histon-Methyltransferasen Nukleosom-Remodellierungsfaktor Costa, 2008 Epigenetische Mechanismen Erblichkeit erworbener Fähigkeiten??? Costa, 2008 Epigenetische Mechanismen - Theorie Begriffe: Allel: verschiedene Formen eines Gens (Polymorphismen, Mutationen) Epi-Allel: Verschiedene Formen eines epigenetischen Zustandes eines Gens; die DNA-Sequenz ist nicht verändert! Wirkung in trans: Regulator (i.d.R. Transkriptionsfaktor, aber auch RNA) und Zielgen liegen auf verschiedenen Chromosomen Wirkung in cis: Regulator (i.d.R. Transkriptionsfaktor, aber auch RNA) und Zielgen liegen auf demselben Chromosomen (cis/trans-Definition ist allgemeingültig und unabhängig von Epigenetik) Epigenetische Mechanismen - Theorie Bonasio et al., 2010 Signal wird bei der Replikation weitergegeben Epigenetische Mechanismen - Theorie Methylierung: Histon-assoziierte Signale Bindung von EED an H3K27me3 (Flag) stimuliert Histonmethylase Chromatin-Domänen Bonasio et al., 2010 Synthese von sRNA während der S-Phase zur Aufrechterhaltung des Heterochromatins sRNA Epigenetische Mechanismen – Theorie Verschiedene Möglichkeiten der Wirkung von sRNA RBP: RNA-bindendes Protein RNAPII: RNA-Polymerase II A: hypothetisches Adaptor Molekül Bonasio et al., 2010 CMC: Chromatin-modifizierender Komplex 1. Stabile Methylierung bei der DNA-Replikation Schwarz: methylierte CpG-Dinukleotide Weiß: nicht-methylierte CpG-Dinukleotide DNMT1: DNA-Methyltransferase 1: methyliert die CpG-Dinukleotide, die im Gegenstrang methyliert sind (hemimethylierte Stellen) Inaktive DNMT1 führt zu „passiver Demethylierung“ -> Gewebespezifität! Waterland & Michels, 2007 DNA-Methylierung 1. Aufrechterhalten der Methylierung über Mitosen hinweg Passarge 2008 DNA-Methylierung 2. de-novo Methylierung Nachweis der Methylierung Passarge 2008 Ursprung der Methylierung ? Schwarz: methylierte CpG-Dinukleotide Weiß: nicht-methylierte CpG-Dinukleotide Embryo: DNMT3A, DNMT3L: Gametenspezifische Methylierung von DMRs Waterland & Michels, 2007 Und Ernährung…: Nahrungseinschränkung bei trächtigen Ratten induziert Hypomethylierung des Promotors des Glucocorticoid-RezeptorGens 2. Histon-Modifikation Passarge, 2008 Chromatin-Remodeling als Konsequenz der HistonModifikation Passarge, 2008 Histon-Modifikationen (z.B. H3) Ausgangspunkt: DNA-Methylierung HDAC: Histon-Deacetylasen Delage & Dashwood, 2008 Zusammenwirkung: Stabile Hemmung der Genexpression durch DNA-Methylierung und Histon-Deacetylierung DNMT: DNA-Methyltransferase 1 Ziel: Cytosin (Pos. 5); bes. in CpGInseln oder CNG-Repearts Histon 3: Lys 9 MBP: Methyl-binding domain protein Muster bleibt über die Zellteilung erhalten! Lande-Diner & Cedar, NRG 6, 2005, 648-654; Box 2 Histon-Modifikationen Aktivierung von Genen durch Histon-Modifikationen HAT: Histon-AcetylTransferase HP: Histon-Bindeprotein Delage & Dashwood, 2008 Genetische Prägung/Imprinting: Histon-Modifikationen Enzyme zur De-Methylierung von Histonen Enzym Spezifität LSD1 H3K4me2, me1, H3K9me2 Lid /Drosophila) H3K4me3 JARID1A, -IB, -IC H3K4me3, me2 UTX, JMJD3 H3K27me3, me2 JHDM1 H3K36me2, me1 JHDM2 H3K9me2, me1 JHDM3 H3K9 and K36me2, me1 Bhaumik et al., 2007 Zusammenfassung Su et al., 2010 MBD: Methyl-bindendes Protein Was ist genetische Prägung (imprinting)? Eine geringe Anzahl von Genen (in der Maus ~84) wird in Abhängigkeit von der elterlichen Herkunft unterschiedlich exprimiert. Ergebnis: Ungleichgewicht zweier Allele und Verletzung der Mendel‘schen Regeln Mechanismus: Methylierung der DNA Histonmodifikation anti-sense Transkripte menschliche Erkrankungen http://www.har.mrc.ac.uk/research/genomic_imprinting/gen-map.html Genetische Prägung/Imprinting: Balance nötig Entfernung des weiblichen Vorkerns: Entfernung des männlichen Vorkerns: Passarge 2008 Genetische Prägung/Imprinting: Lebenszyklus PGCs: primordial germ cells Sha, 2008 Vorläuferkeimzellen Genomische Prägung: Löschen und geschlechtspezifisch neu etablieren Abb. 10.25 Genetische Prägung/Imprinting: Reprogrammierung Passarge 2008 Genetische Prägung/Imprinting: Reprogrammierung In Vorläuferkeimzellen: Methylierung hoch Im Embryo: niedrig (vor der Implantation) Väterliches Genom aktiv demethyliert, Methylierte Imprinting-Gene werden nicht demethyliert !!! (------) nicht methylierte ImprintingGene werden nicht methyliert Methylierung hoch mütterliches Genom passiv demethyliert (DNA-Replikation) niedrig Reik et al, 2001 Genetische Prägung/Imprinting Wichtige Phasen epigenetischer Modifikationen 1. Entwicklung der Keimzellen 2. Präimplantationsphase des Embryos Morula HAT: Histon-AcetylTransferase HP: Histon-Bindeprotein Delage & Dashwood, 2008 Evolution genetischer Prägung Hore et al., 2007 Genetische Prägung/Imprinting: “Kampf der Geschlechter im Genom” ? Funktion von Igfr2: Expression in der Plazenta, Hemmung des embryonalen Wachstums Evolution von Igfr2: Ursprünglich Mannose-6-Phosphat-Rezeptor, bei Beuteltieren und Säugern mit Plazenta: Bindung von Igf (nicht bei Vögeln, Fröschen und Kloakentieren) Mögliche Erklärung: Schutz der Mutter vor zu starker Nutzung der Ressourcen durch den Embryo Bedeutung der genomischen Prägung Maternales Gen methyliert = still, nur paternales Gen aktiv Maternale Expression einer anti-sense RNA -> Hemmung paternaler Expression Ähnlich: Wirkung auf mehrere Gene Reik et al, 2001 Genetische Prägung/Imprinting: Beispiel Igf2/H19-Genort DMR: differentially methylated region; ICR: imprinting control region Maternal (unmethyliert): Transkriptionsfaktor CTCF bindet an Insulator und die Enhancer-Wirkung (enh) wird von Igf2 auf H19 „umgeleitet“ (Igf2 wird nicht aktiviert) Paternal (methyliert): Transkriptionsfaktor CTCF kann nicht binden, der Enhancer (enh) aktiviert Igf2 und H19 bleibt abgeschaltet Sha, 2008 H19: nicht-codierende RNA Exkurs: Rolle von Insulatoren Insulatoren trennen bzw. verbinden benachbarte DNA-Bereiche. Insulatoren können auf der Basis der DNABindung reguliert werden. Die verschiedenen Modifikationen können positive oder negative Wirkungen haben. Die Modifikationen können gewebespezifisch erfolgen. Transgene Insulatoren bewirken Imprinting Bushey et al., 2008 in den Regionen der Insertion. Genetische Prägung/Imprinting: Mutationen in Imprinting-Regionen Wildtyp: Expression des paternalen Igf2-Alleles und des maternalen H19 Allels H1913: Biallele Expression von Igf2 (bei maternalem Erbgang) Phänotyp: Größenzunahme Pfeifer, 2000 Deletion von DMR: Biallele Expression von H19 (bei paternalem Erbgang) Phänotyp? Wie Wildtyp? ((weitere Beispiele bei Pfeifer, 2000)) Beispiele für geprägte menschliche Gene Gen und Lokalisation exprimiertes Allel stammt Unterschiede im Expressionsmuster IGF-2 (insulinartiger Wachstumsfaktor Typ 2; 11p15) vom Vater in vielen Geweben geprägt; in der Leber biallele Expression PEG1/MEST vom Vater geprägt im embryonalen Gewebe, beide Allele im Blut von Erwachsenen UBE3A (UbiquitinProteingliase 3) von der Mutter geprägt nur im Gehirn, sonst biallelische Expression KCNQT1 (Kaliumkanal) von der Mutter geprägt in verschiedenen Geweben; Expression von beiden Allelen im Herz WT1 (Wilms-Tumor) von der Mutter biallele Expression in der Niere, in Placenta- und Hirngewebe geprägt Strachan & Read (3), Tab. 10.7 Genomische Prägung (Genetic imprinting) Erbkrankheiten als Folge möglicher genomischer Prägung Prader-Willi-Syndrom mentale Retardierung, Fettsucht,Wachstumsstörung beide Chromosomen 15 maternalen Ursprungs Angelman-Syndrom mentale & motorische Retardierung, puppenartige Bewegung, exzessives Lachen, auffäll. EEG Deletionen einiger Sequenzen auf dem maternalen Chromosom 15 Rhabdosarkom, Osteosarkom, Wilms-Tumor Krebserkrankungen Inaktivierung von Genen durch Prägung des einen und Mutation des anderen Alleles Beckwith-Wiedemann-Syndrom Riesenwuchs, Riesenzunge, Krebsdisposition. Inaktivierung des nichtbetroffenen mütterlichen Allels durch Genprägung führt zu frühzeitiger Expression des defekten väterlichen Allels Kaufmann, Tab. 4.10 Beispiel: Prader-Willi/Angelman Syndrom Prader-Willi: Muskelhypotonie, Minderwuchs, geistige Retardierung ~6 MB-Deletion auf Chr. 15 mit väterlichem Erbgang Angelman: geistige Retardierung, Sprachentwicklungsstörung, Gesichtsdysmorphologie große Deletionen Chr. 15 mit maternalem Erbgang Passarge 321a Modell für genomische Prägung: Prader-Willi/Angelman Syndrom gesund Beide Chromosomen(abschnitte) vom gleichen Elternteil Ursache: Deletionen während der Oogenese und anschließende “Fehlreparatur” Passarge 321e Prader-Willi/Angelman Syndrom: Genregion Chr. 15q11-q13 Horsthemke & Wagstaff, 2008 Prader-Willi/Angelman Syndrom: Deletionen in Genregion Chr. 15q11-q13 SRO: shortest region of overlap Horsthemke & Wagstaff, 2008 Löschen und Etablieren der genetischen Prägung der PWS/AS – Region Modell: Nur maternal methyliert Struktur anfällig für Deletion? Horsthemke & Wagstaff, 2008 Modell zur Wirkung des Prägungs-Zentrums in der PWS-AS-Region Paternal: aktives, unmethyliertes PWS-SRO Aktiviert downstream Gene und hemmt UBE3A Maternal: Inaktiver Zustand der Gene als „Standardeinstellung“ SRO: Paternales Fehlen -> keine Aktivierung Maternales Fehlen: Horsthemke & Wagstaff, 2008 Aktivierung durch PWSSRO, keine Hemmung durch AS-SRO Mögliche Fehler bei genetischer Prägungs (in der PWS-AS-Region) Horsthemke & Wagstaff, 2008 2. Beckwith-Wiedemann-Syndrom vs. Silver-Russel Syndrom Beckwith-Wiedemann-Syndrom Silver-Russel-Syndrom Riesenwuchs, Riesenzunge, neonatale Hypoglykämie proportionierter Minderwuchs (alle Körperregionen gleichmäßig kleiner) Krebsdisposition. Kleines, dreieckiges Gesicht Geistige Entwicklung oft unauffällig Mentale Retardierung Häufigkeit: sporadisch (aber durch neue Tests öfter erkannt: 1:13.700) Häufigkeit: selten 10-15% autosomal-dominant Mütterliche Transmission Chr. 11p15 Achtung Künstliche Befruchtung scheint das Risiko für BWS zu erhöhen ! (Weksberg et al., 2005) Schaaf & Zschocke, 2008 Erbgang: dominant, manchmal rezessiv Chromosomale Lokalisierung lange unklar (Chr. 7, 11, 17) Jetzt: Chr. 11p15 2. Beckwith-Wiedemann-Syndrom: Molekulare Untergruppen DMR: differentially regulated region Molekulare Heterogenität reflektiert klinische Heterogenität Weksberg et al., 2005 Beckwith-Wiedemann-Syndrom: Imprinting an Chr. 11p15 (1) KCNQ1: K+-Kanal KCNQ10T1: anti-sense RNA dazu CDKN1C: p57KIP2 DMR: differentially methylated region Weksberg et al., 2005 Beckwith-Wiedemann-Syndrom: Imprinting an Chr. 11p15 (2) Wildtyp: DMR2 mat-met Weksberg et al., 2005 DMR1 pat-met 2. Beckwith-Wiedemann-Syndrom vs. Silver-Russel Syndrom Beckwith Wiedemann SRS: keine Methylierung in DMR1/ICR1 Eggermann et al., 2008 2. Silver-Russel Syndrom: Wechselwirkung zw. Chr. 7, 11, 15 Beckwith Wiedemann IGF2 Expression in SRS stillgelegt Bindeproteine (BP) frei Konsequenzen für Signalketten über IGF-Rezeptoren 1 und 2 Und über das Protein 10, gebunden an Wachstumsfaktor-Rezeptoren (GRB10) Hinweis auf frühere Probleme mit chromosomaler Lokalisation ? Genetische Heterogenität? Eggermann et al., 2008 3.Epigenetik Epigenetikund undKrebs Krebs Krebs: Veränderungen in Methylierungsmuster häufig: 1. CpG-Inseln in Promotoren und 1. Exons von Tumorsuppressor-Genen häufig hypermethyliert 2. Verlust der regulatorischen Funktion in Zellzyklus, DNAReparatur, Hemmung der Gefäßbildung und MetastaseUnterdrückung 3.Epigenetik Epigenetikund undKrebs Krebs Esteller, 2008 3.Epigenetik Epigenetikund undKrebs Krebs Wirkungen auf Chromatin-Strukturen Esteller, 2008 Krebs 3. Epigenetik Epigenetik und Krebs:und Mendel’scher Erbgang methyliert methyliert Formal: 2 Gene !!! Fleming et al., 2008 Epigenetik und Krebs 3. Epigenetik und Krebs: Nicht-Mendel’scher Erbgang Hypothetisch ! Paramutation: Experimentelle Hinweise in Pflanzen Wechselwirkung zweier homologer Allele; stabile Veränderung der Genexpression in der nächsten Generation In Mäusen: metastabile Alele als Ergebnis von Transposon-Insertionen Bei Menschen jetzt auch bekannt (Waterland et al., Dez. 2010) Abschwächung möglich Fleming et al., 2008 Epigenetik und Krebs Beispiel einer Paramutation Phänotyp: weißer Schwanz und weiße Pfoten Ursache: Anomale RNA in den Testes, die offensichtlich in die Zygote übertragen wird ! Verbindung zu RNAi ? Legende: P Paramutagenes Allel p Wildtyp-Allel p* paramutiertes Allel Ashe & Whitelaw, 2006 Epigenetik und Krebs Ausblick: Epigenetische Erblichkeit von Reaktionen auf die Umwelt? Behandlung der Mutter mit Diethylstilböstrol Fleming et al., 2008 Epigenetik und Krebs Ausblick: Epigenetische Erblichkeit von Reaktionen auf die Umwelt? Vorsicht vor Artefakten !!! Einige Mausstämme zeigen im Alter graue Haare; das Merkmal wird von Müttern auf die Nachkommen übertragen – aber nicht bei einem Kaiserschnitt! Ursache: ein Virus !! Whitelaw & Whitelaw., 2008 Genetische Prägung/Imprinting: Einfluss der Ernährung auf Genexpression bei Mäusen: der agouti-Locus Nahrungsergänzung vor der Verpaarung, während der Trächtigkeit und der Stillzeit mit Methyl-Donatoren wie Folsäure, Cholin, Vitamin B12, Betain Konsequenz: IAP-Promotor stärker methyliert -> agouti Expression vermindert -> Verschiebung der Fellfarbe von gelb nach braun (IAP: Intracisternal A particle = Transposon) Änderung des Phänotyps ohne Änderung des Genotyps Jirtle & Skinner, 2007 Genetische Prägung/Imprinting: Biochemie der Methyl-Donatoren Delage & Dashwood, 2008 BHMT: Betain-Homocystein CS: Cystathionin-Synthase MAT: Methionin-SAdenosyltransferase MS: Methionin Synthase SAAH: S-Adenosyl-L-Homocystein-Hydrolase Genetische Prägung/Imprinting: Umwelteinfluss: Regenzeit (veränderte Ernährung; erhöhte Methylierung bei Nachkommen) Erster derartiger Effekt bei Menschen! Unabhängig von Jahreszeit: an diesen Genorten können monozygote Zwillinge unterschiedlich sein! BHMT: Betain-Homocystein Waterland et al., 2010