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19.06.2013
Affektive Störungen
Psychopathologie, Verlauf, Epidemiologie
PD Dr. med. R. Christian Wolf
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Klinik für Allgemeine Psychiatrie
Affektive Störungen
Überblick
- Definition und Einteilung
- Geschichte
- die depressive Episode
- die hypomanische/manische Episode
- die bipolare Störung
- Verlauf und Prognose affektiver Störungen
- Epidemiologie affektiver Störungen
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19.06.2013
Affektive Störungen
Definition
Affektive Störungen sind Krankheiten, die wesentlich durch eine Veränderung der
Stimmung (Affektivität) und des Aktivitätsniveaus (Antrieb) charakterisiert sind.
Möller, Laux, Deister, Psychiatrie, Hyppokratesverlag, 1996
Das Spektrum affektiver Störungen
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19.06.2013
Das Spektrum affektiver Störungen
Kontinuum?
Das Spektrum affektiver Störungen
eigenständige Krankheitsentitäten?
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Geschichtliches
Die „Melancholie“
griechisch: μελαγχολια (μελας, melas = "schwarz" + χολη, cholé = "Galle")
• „Schwarzgalligkeit“ (Corpus hippokraticum,
5 Jh. v. Chr.):
 trauriger Geistes- oder Gemütszustand körperlicher Ursache
• Philosophie der Affekte (Vorsokratiker)
 "Alle Bewegungen der Seele die von Lust oder Schmerz begleitet sind"
 Die Melancholie erfuhr eine „Aufwertung“  Außergewöhnliches, Genialität
• Galenus (129-199):
 melancholischer Auslenkung und „manische“ Zustände zusammengehörend
• somatische Ursache wird im Mittelalter aufgegeben:  dämonische Interpretation
• Im 19. Jahrhundert Beginn der Ursachenforschung:
 „Somatiker“ (z.B. Nase, 1778-1851) vs. „Psychiker“ (z. B. Heinroth, 1773-1843)
 Griesinger (1810-1865): Konsolidation beider Strömungen
• Jean-Pierre Falret (1794-1870) „zirkuläres Irresein (folie circulaire)“, Jules Baillarger “folie a double forme“
Geschichtliches
Die „Depression“
"deprimere" = herunter-/niederdrücken, anfänglich unspezifisch: Allgemeine Minderung und
Beeinträchtigung psychischer Funktionen
1913, E. Kraepelin (1856-1926): Die Arten der Melancholie in "das manisch-depressive Irre sein": "depressiv"
umfassend für "melancholische oder depressive Zustände mit trauriger oder ängstlicher Verstimmung sowie
Erschwerung des Denkens und Handelns“
1918, K. Jaspers (1883-1969): "tiefe Traurigkeit" und "Hemmung allen seelischen Geschehens"
1916, Bleulers Trias (1857-1939): "depressive Verstimmung", "Hemmung des Gedankenganges" und
"Hemmung der zentrifugalen Funktionen"
K. Schneider (1987-1967): Begriff der Zyklotymie
Mit Einführung der neuen operationalisierten Diagnose- und Klassifikationssysteme ICD-9 und DSM-III
(1987-1991) wurde das traditionelle ätiopathogenetisch („triadisch“) orientierte Einteilungssystem
(organisch, endogen, psychogen) aufgegeben.
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19.06.2013
Symptome der Depression
Häufige subjektive Beschwerden
- Ich bin ständig traurig und denke öfters an den Tod.
- Ich habe keine Energie, kann mich zu nichts aufraffen...
- ... krieg„ im Alltag nichts mehr hin.
- Mir ist alles egal.
- Ich bekomme mein Leben nicht mehr in den Griff, bin entscheidungsunfähig.
- Ich denke den ganzen Tag nach....und es ist immer das Gleiche.
- Ich kann mich nicht konzentrieren, nicht mehr denken.
- Ich schlafe schlecht ein, wache früh auf, kann dann nicht mehr schlafen.
- Ich habe kaum Appetit, habe in den letzten Wochen an Gewicht verloren.
-
Diese Symptome können im Kontext einer Depression auftreten, nicht selten sind sie
aber Ausdruck einer anderen („somatischen“) Erkrankung.
Symptome der Depression
• Vegetative Symptome
 Appetitlosigkeit / vermehrter Appetit
 Obstipationen / Diarrhoen
 Libidomangel, -verlust
 Unruhiger, unerholsamer Schlaf
• Vitalstörungen
 Druckgefühl (Hals, Brust, Bauch, Extremitäten)
 Körperliche Erschöpfung, Energiedefizit
• Seltener

Derealisationsphänomene

Depersonalisation

Psychotische Symptome (Verarmung /
Versündigung)
zu beobachten:
- sozialer Rückzug
- Selbstvernachlässigung
- ernster Gesichtsausdruck
- erstarrte Mimik und Gestik
- leise, zögernde Stimme
oder
- ängstlich/angetrieben
- „unproduktiv/hektisch“
Typische Symptome und Verlauf:
- nur bei einem Teil der Pat.
- andere können “normal” wirken
(deshalb immer nach oben
genannten Symptomen fragen)
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Die depressive Episode
(ICD-10)
Hauptsymptome
=2
=2
=3
•
•
•
+
+
+
=2
= 3-4
4
gedrückte, depressive Stimmung
Interessenverlust, Freudlosigkeit
Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome
•
•
•
verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
vermindertes Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen
Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
•
•
negative/pessimistische Kognitionen
Suizidgedanken/-handlungen
•
•
Schlafstörungen
verminderter Appetit
&
&
&
Symptome > 2 Wochen
Schweregrad
leicht
mittel
schwer
depressive Episode
Verlauf
monophasisch
rezidivierend
bipolar (I/II)
Klinische Subtypen
Subytp
- gehemmt (Verlangsamung, Antrieblosigkeit, Adynamie…)
- agitiert (unproduktiv, hektisch, unruhig)
- psychotisch (häufig synthymer Wahn wie Verschuldung, Versündigung,
hypochondrisch)
- „Pseudodemenz“ (schlechte Konzentration, Auffassung, Gedächtnis)
- „Spätdepression“ (nach dem 45 Lebensjahr)
- „Altersdepression“ (nach dem 65 Lebensjahr)
- Wochenbettdepression
- „larviert“ (somatisiert mit vegetativen und körperlichen Symptomen)
Endogen:
kein Auslöser, umweltstabil, Genetik, Wahn, Gefühl der Gefühllosigkeit
Psychogen:
Psychodynamik und Konfliktfelder, Stimmungswechsel, Ablenkbarkeit
Reaktiv:
umschrieben Auslöser „katastrophenartigen Ausmaßes“ u. a. geeignete
Auslöser
keine hinreichende ätiopathogenetische Differenzierung!
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Krankheiten mit depressionsähnlicher
Symptomatik
• Stoffwechselerkrankungen
•
körperliche Exploration (internistisch,
• Elektrolytstörungen
•
Labor
neurologisch)
BB und diff-BB, E„lyte, Leber-, Nierenwerte,
Gerinnung, Glukose, Vitamine, U„status, etc…
• Exsikkose
• Infektionskrankheiten
• Herz-Kreislauferkrankungen
• Krebserkrankungen
•
Blutung? Tumor? Atrophien? Sturzfolgen z. B.
Subduralhämatom?....
•
EKG
•
Thoraxröntgen
• neurologische Erkrankungen
• Vitaminmangelzustände
• andere psychiatrische Störungen
Zerebrale Bildgebung (CT, MRT)
Kardiomegalie? Pneumonie? Tumor?
•
EEG
Krampfneigung? Hirnaktivitätsänderung?
•
Abdomensonographie
Lebervergrösserung? Pankreas? Tumor?
• Substanzkonsum
Affektive Störungen
Definition
Affektive Störungen sind Krankheiten, die wesentlich durch eine Veränderung der
Stimmung (Affektivität) und des Aktivitätsniveaus (Antrieb) charakterisiert sind.
Möller, Laux, Deister, Psychiatrie, Hyppokratesverlag, 1996
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Die Hypomanie (ICD-10)
≥ 4 Tage
Hauptsymptom
•
anhaltend gehobene oder gereizte Stimmung
+
≥3
Zusatzsymptome
•
•
•
gesteigerte Aktivität oder motorische Ruhelosigkeit
gesteigerte Gesprächigkeit
Konzentrationsschwierigkeiten oder Ablenkbarkeit
•
verringertes Schlafbedürfnis
•
gesteigerte Libido
•
Übertriebene Geldausgaben oder andere Arten
leichtsinnigen Verhaltens
gesteigerte Geselligkeit oder übermäßige
Vertraulichkeit
•
+
 Halluzinationen oder Wahn
+

Abbruch der Berufstätigkeit

soziale Ablehnung
Hypomanie
Verlauf
monophasisch (?)
bipolar (II)
Die manische Episode
≥ 1 Woche
Hauptsymptom
•
(ICD-10)
abnorme, anhaltend gehobene, reizbare oder
expansive Stimmung
+
Zusatzsymptome
≥3
•
•
•
•
•
gesteigerte Aktivität oder motorische Ruhelosigkeit
gesteigerte Gesprächigkeit (Rededrang)
Ideenflucht odersubjektives Gedankenrasen
Verlust sozialer Hemmungen; gesteigerte Libido
verringertes Schlafbedürfnis
•
•
•
überhöhte Selbsteinschätzung bis Größenwahn
leichtsinniges, tollkühnes Verhalten
Ablenkbarkeit; Wechsel von Aktivitäten/Plänen
Schweregrad
&
Halluzinationen oder Wahn
+
-
mit psychot. Symptomen
ohne psychot. Symptome
manische Episode
Verlauf
monophasisch (?)
bipolar (I)
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Uni- oder bipolare Depression?
unipolare Störung
bipolare Störung
• Einschlafstörungen/Früherwachen
Symptome
• Appetitlosigkeit/Gewichtsabnahme
•  2 atypische depressive
Symptome
• psychotische Symptome
• somatische Beschwerden
• hypomane Symptome
Verlauf
Fam.anamnese
• später Beginn (>25. Lj.)
• früher Beginn (< 25. Lj.)
• lange Episodendauer (> 6 Monate)
• > 5 Episoden in der Vorgeschichte
• langsamer Episodenbeginn
(> 1 Monat)
• rascher Episodenbeginn
(< 1 Woche)
• negative Familienanamnese für
bipolare Störungen
• positive Familienanamnese für
bipolare Störungen
Seemüller et al. 2010
Einteilung der bipolaren Störungen
Bipolar nach DSM-IV
Bipolar II nach DSM-IV
Bipolar I nach DSM-IV
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Epidemiologie: Unipolare Störung
 Lebenszeitprävalenz (unipolare Depression): 8-20%
 Punktprävalenz (unipolare Depression): 3-7%
 Durchschnittsalter (unipolare Depression): = 30-45J
 Frauen häufiger als Männer betroffen (2:1)
 50% konsultieren keinen Arzt
 Vorkommen in Allgemeinarztpraxen: 10-20%
 ca. 50% der Patienten erhalten keine
qualifizierte Behandlung
 „Altersdepression“: häufigste psychische
Erkrankung bei über 65-jährigen (10%)
 ca. 10-15% der Depressiven versterben
durch Suizid
Möller, Laux, Deister, Psychiatrie, Hyppokratesverlag, 1996
Epidemiologie: Bipolare Störung
 Lebenszeitprävalenz (bipolare Störung): 2-6%
 Punktprävalenz (bipolare Störung): 0,8-1,6%
 Durchschnittsalter (bipolare Störung): 15-25 Jahre
 Frauen und Männer gleich häufig betroffen
 Diagnoseverzug bei Bipolar I ca. 6 Jahre
 Behandlungsverzug ca. 15 Jahre
 ca. 50% der Fälle bekommen
qualifizierte Behandlung
keine
 Frühberentung ca. 30%
 ca. 15-25% versterben durch Suizid
Möller, Laux, Deister, Psychiatrie, Hyppokratesverlag, 1996
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Epidemiologie: Uni- vs. Bipolar
Klinischer Verlauf der depressiven Episode
- depressive Episoden beginnen langsam, selten „über Nacht“, b. ~10-25% zunächst geringer
ausgeprägte Symptome vor Auftreten einer depressiven Episode
- Mehrzahl der depressiven Episoden in Vollremission; ~5-10% chronisch; ~20-30% „residual“
- im Verlauf kürzere symptomfreie Intervalle, längere Episodendauer
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Verlauf und Prognose affektiver Störungen
Verlauf
• Beginn schleichend, selten plötzlich (sine Manie)
- einphasig ca. 25%
- rezidivierend ca. 75%
• ca. 4-6 Episoden im Leben; bipolare Störung häufiger
• Dauer der Episoden unbehandelt 4-12 Monate
• in der Regel Vollremission, wenn adäquat behandelt (eher b.
Bipolaren Strg.)
• in 5-20% der Fälle „chronische“ Entwicklung
• „double-depression“ ( + Dysthymia) möglich
Möller, Laux, Deister, Psychiatrie, Hyppokratesverlag, 1996
Prognose (ungünstige Faktoren)
- Ältere Patienten (eher unipol. depressive Verläufe)
- früher Krankheitsbeginn
- gemischte Symptomatik / häufige Episoden
- familiäre/genetische Belastung
- chronische familiäre/berufliche Konfliktsituation
- Komorbidität
Zusammenfassung (1)
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19.06.2013
Zusammenfassung (2)
affektive Störungen
- sind häufig
- sind rezidivierend
- können unter einer adäquaten Behandlung vollständig
remittieren
- können auch chronisch verlaufen
- haben eine gute Prognose im Vergleich zu anderen primär oder
sekundär chronischen seelischen Erkrankungen
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