1.9 Genetische Variabilität und natürliche Auslese 1 Genetische Variabilität bei Schnirkelschnecken 2 Einige Varianten des Zweipunkt-Marienkäfers Alle Schnecken in der Abbildung 1 wurden in demselben Gebiet eingesammelt; sie gehören zur gleichen Population. Darunter versteht man eine Gruppe von Individuen derselben Art, die in einem bestimmten Gebiet zusammenleben und sich untereinander fortpflanzen können. Die Individuen einer Population sehen nicht alle gleich aus, sondern sie unterscheiden sich in bestimmten Merkmalen voneinander. Wenn diese Unterschiede auf Erbinformationen zurückzuführen sind, spricht man von genetischer Vielfalt oder genetischer Variabilität. Genetische Variabilität hat zwei verschiedene Ursachen: Neukombination der Erbinformationen und Mutation. Merkmalen. Man spricht von einer natürlichen Auslese oder Selektion. Unter Neukombination versteht man das Vermischen der elterlichen Erbinformation während der Bildung der Geschlechtszellen und bei der Befruchtung. Neue Merkmale entstehen dabei nicht, aber vorhandene Merkmale der Eltern werden in den Nachkommen neu kombiniert. Mutationen sind nicht zielgerichtete Veränderungen der Erbinformation, die zur Ausbildung neuer Merkmale führen können. Oft sind Mutationen nachteilig für das betreffende Lebewesen. Manchmal können Mutationen aber auch vorteilhaft sein. Man nennt die Merkmale und Verhaltensweisen, die in der Auseinandersetzung mit der Umwelt vorteilhaft sind, Angepasstheiten. Lebewesen mit vorteilhaften Merkmalen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich fortzupflanzen und ihre Erbinformationen an die Nachkommen weiterzugeben als Lebewesen mit weniger vorteilhaften 30 Ein Beispiel für das Zusammenwirken von genetischer Variabilität und natürlicher Auslese ist der Zweipunkt-Marienkäfer. Von ihm gibt es über 80 genetisch bedingte Varianten mit roter Grundfarbe und dunklen Punkten auf den Flügeldecken und mit schwarzer Grundfarbe und roten Punkten (Abb. 2). Wie alle Insekten sind diese Käfer wechselwarm. Allerdings kann Lichtabsorption ihre Körpertemperatur beeinflussen, weil dabei Licht zum Teil in Wärme umgewandelt wird. In Versuchen mit 18 Grad Celsius Umgebungstemperatur stieg durch Beleuchtung die Körpertemperatur der schwarzen Käfer auf 23,5 Grad Celsius, die der roten Käfer nur auf 21 Grad Celsius. Da mit erhöhter Körpertemperatur die Stoffwechselaktivität steigt, benötigen schwarze Zweipunkt-Marienkäfer mehr Nahrung. Während der Winterstarre nimmt die Körpertemperatur ab und die Käfer zehren von ihren Fettreserven. Wegen ihrer etwas erhöhten Stoffwechselaktivität, drohen die schwarzen Käfer eher zu verhungern als die roten. Daher findet man im Frühjahr überwiegend rote Zweipunkt-Marienkäfer (Abb. 3). Aufgrund ihrer höheren Stoffwechselaktivität haben die schwarzen Käfer bei sommerlicher Wärme eine höhere Fortpflanzungsrate (Abb. 4). Durch natürliche Auslese werden im Winter die roten Käfer begünstigt, im Sommer die schwarzen. Über ein Jahr betrachtet ist dadurch der Fortpflanzungserfolg größer, als wenn es nur schwarze oder nur rote Zweipunkt-Marienkäfer gäbe. Variabilität+Angepasstheit, Geschichte+Verwandtschaft, Reproduktion Grundwissen 2 Kohlzüchtung. Abbildung 5 zeigt Kohlsorten die der Mensch durch künstliche Auslese gezüchtet hat. Vergleiche die künstliche Auslese mit der natürlichen Auslese. 3 Modellversuch zur Selektion. Schneidet 50 rote und 50 grüne Trinkhalme jeweils in drei etwa gleich lange Stücke. Diese Stücke stellen „Insekten“ dar. Mehrere Schüler sind Fressfeinde der Insekten, zum Beispiel Singvögel. Verteilt auf einer etwa 15 x15 m großen Rasenfläche je 100 rote und grüne Trinkhalmstückchen. Fünf „Singvögel“ sollen innerhalb von 30 Sekunden möglichst viele „Insekten“ aufsammeln. Zählt die gesammelten Stücke nach Rot und Grün getrennt aus. Bewertet das Ergebnis. Welche Entsprechungen gibt es zwischen Modellversuch und natürlicher Auslese in der Natur? Welche Bedingungen sind im Modellversuch vereinfacht worden? Plant eine Verbesserung des Versuchs, bei dem auch die Fortpflanzung der unterschiedlich angepassten „Insekten“ eine Rolle spielt. rote Variante 1. Jahr Okt. Apr. 2. Jahr Okt. Apr. 3. Jahr Okt. Apr. 4. Jahr Okt. Apr. 5. Jahr Okt. Apr. Mittelwert Okt. Apr. schwarze Variante 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 relative Häufigkeit [%] 3 Häufigkeit der roten und schwarzen Varianten im Frühjahr und Herbst beide Varianten Häufigkeit der Käfer 1 Natürliche Auslese beim Zweipunkt-Marienkäfer. a) Erläutere die Abbildung 3. Benutze dabei die Angaben in Abbildung 4 und im Grundwissen-Text. b) Begründe unter Bezug auf Abbildung 4, dass der gesamte jährliche Fortpflanzungserfolg von schwarzen und roten Varianten zusammen größer ist als wenn es nur schwarze oder nur rote Varianten gäbe. c) Überprüfe, ob die folgende Aussage richtig oder falsch ist: „Ohne die roten ZweipunktMarienkäfer mit der niedrigeren Stoffwechselaktivität wäre diese Art vom Aussterben bedroht“. rote Variante schwarze Variante Temperatur kälter wärmer 4 Fortpflanzungserfolg der roten und schwarzen Varianten bei verschiedenen Temperaturen Wildkohl Kohlrabi Blumenkohl Rosenkohl Wirsing Weißkohl 5 Züchtung verschiedener Kohlsorten durch künstliche Auslese 31 Arbeitsmaterial