Nationalrat Conseil national Consiglio nazionale Cussegl naziunal 04.486 n Pa.Iv. Freysinger. Embryo­Adoption Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur vom 4. Juli 2006 Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 27. April 2006 die von Nationalrat Oskar Freysinger am 16. Dezember 2004 eingereichte parlamentarische Initiative gemäss den Artikeln 109 und 110 des Parlamentsgesetzes vorgeprüft. Die parlamentarische Initiative Freysinger verlangt, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, damit die Embryo­Adoption in der Schweiz zugelassen werden kann. Antrag der Kommission Die Kommission beantragt mit 18 zu 5 Stimmen, der Initiative Freysinger keine Folge zu geben. Eine Minderheit der Kommission (Füglistaller, Fattebert, Freysinger, Kunz, Pfister) beantragt, der Initiative Folge zu geben. Berichterstattung: Ruth Genner (d), Chiara Simoneschi Cortesi (f) Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Kathy Riklin 1. Text und Begründung 1. 1. Text 1. 2. Begründung 2. Stand der Vorprüfung 3. Erwägungen der Kommission 1. Text und Begründung 1. 1. Text Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein: Die notwendigen gesetzlichen Änderungen sind vorzunehmen, um in der Schweiz die Embryo­Adoption zuzulassen; d. h. analog der Adoption eines geborenen Kindes sollen überzählige Embryos, welche die biologischen Eltern nach einer In­vitro­Fertilisation nicht mehr zu Fortpflanzungszwecken verwenden können oder wollen, zur Implantation bei einer zur Adoption bereiten Frau freigegeben werden. Diese Frau muss neben den gesundheitlichen Voraussetzungen die gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen zur Adoption erfüllen. Insbesondere sind dabei folgende Grundsätze zu beachten: ­ Die Freigabe überzähliger Embryos zur Embryo­Adoption hat den Vorrang gegenüber einer Verwendung für Forschung, Gewebegewinnung zu Transplantationszwecken und Stammzellengewinnung. ­ Die Embryo­Adoption ist strikte von der Leihmutterschaft abzugrenzen. Leihmutterschaft soll weiterhin streng verboten bleiben. Die Adoptionsmutter wird sich also weder den Embryo noch seine biologischen Eltern "aussuchen" können. ­ Die Eltern werden bereits vor der IVF­Behandlung über die Möglichkeit der Embryo­Adoption informiert. ­ Embryos können jederzeit mit dem Einverständnis der biologischen Eltern zur Adoption freigegeben werden. ­ Die sogenannten "altrechtlichen" Embryos stehen bis 2005 für Fortpflanzungszwecke der biologischen Eltern und bis 2008 zur Embryo­Adoption zur Verfügung. ­ Das Recht des Kindes, welches als Embryo adoptiert wurde, auf Wissen um die eigene Herkunft ist bestmöglich zu gewährleisten. 1. 2. Begründung Nach Annahme des Stammzellenforschungsgesetzes (StFG) wird es ab März 2005 möglich sein, so genannte überzählige Embryos zu Forschungszwecken zu gebrauchen. Der Unterzeichner dieser parlamentarischen Initiative geht weiterhin davon aus, dass gemäss Verfassung und Fortpflanzungsmedizingesetz keine überzähligen Embryos entstehen dürften. Nach Annahme des StFG bestehen für die vorhandenen, überzähligen Embryos aus juristischer Sicht zurzeit lediglich die beiden Möglichkeiten, entweder abzusterben oder für die Forschung verbraucht zu werden. Der Staat hat aber primär die Aufgabe, alle Vorkehrungen zu treffen, um das Lebensrecht und die Menschenwürde der Embryos, auch der in vitro erzeugten, in grösstmöglichem Ausmass zu garantieren (gemäss Art. 7 und 10). Es besteht daher überhaupt kein Grund, den biologischen Eltern nicht ebenfalls die Möglichkeit offen zu lassen, ihre Embryos zur Adoption freizugeben. Der Bund hat lediglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, welche primär vom Kindeswohl ausgehen sollten, klar zu definieren. In zahlreichen Ländern ist die Embryo­Adoption bereits möglich: Italien, Spanien, Belgien, Griechenland, Grossbritannien, Finnland, USA. Auch in Deutschland bestünde rechtlich diese Möglichkeit, allerdings wird sie meines Wissens bis heute noch nicht praktiziert. Weltweit sind bereits Hunderte von Kindern auf diese Art geboren worden. Der Initiant machte in seiner mündlichen Begründung geltend, dass er mit seiner Forderung den als überzählig definierten Embryonen eine grösstmögliche Überlebenschance bieten und ihre Menschenwürde verteidigen will. Der Initiant steht der Forschung an embryonalen Stammzellen kritisch gegenüber und möchte daher der Embryo­Adoption den Vorzug geben. Zurzeit werde den überzähligen Embryonen ihre Überlebenschance von 20 bis 25 Prozent verweigert. Weiter beobachtet der Initiant, dass viele biologische Eltern ihren tiefgefrorenen Embryonen gegenüber relativ gleichgültig sind. Das sei mit dem Kindeswohl nicht vereinbar und daher müsse der Staat handeln. Der Gesetzgeber habe die In­Vitro­Fertilisation zugelassen und müsse nun für eine grösstmögliche Überlebenschance der überzähligen Embryos sorgen. 2. Stand der Vorprüfung Die Frage des Status der Embryonen und der Embryonenspende stand in den letzten Jahren in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder zur Diskussion: In den Jahren 1990 und 1991 behandelte das Parlament den bundesrätlichen Gegenvorschlag zur 1987 eingereichten Volksinitiative gegen Missbräuche der Fortpflanzungs­ und Gentechnologie beim Menschen" (Beobachter­Initiative), den damaligen Artikel 24novies der Bundesverfassung (heute Art. 119). 2 Gemäss diesem Artikel, der am 17. Mai 1992 in der Volksabstimmung angenommen wurde, ist eine Embryonenspende unzulässig. ­ 1994 folgte die Volksinitiative für menschenwürdige Fortpflanzung". Als indirekten Gegenvorschlag dazu legte der Bundesrat dem Parlament 1996 den Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) vor. In diesem Gesetz, das auf den 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt werden konnte, wird das Verbot erneut verankert. ­ Wiederum zur Diskussion stand der Status der Embryonen bei der Beratung des Stammzellenforschungsgesetzes im Jahre 2003. 3. Erwägungen der Kommission Die Kommission hält fest, dass die Verfassung eindeutig und klar ist: "Die Embryonenspende und alle Arten der Leihmutterschaft sind unzulässig" (Art. 119 Abs. 2 Bst. d). Zudem dürfen gemäss Bst. c. des gleichen Artikels nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden, als ihr sofort eingepflanzt werden können". Nach Meinung der Kommission würde eine Lockerung des Verbotes der Embryonenspende viele Fragen aufwerfen und neue Probleme schaffen. Der Weg wäre für weiter gehende Forderungen, so nach Eispende und Leihmutterschaft, geebnet. Dies wiederum würde zu sozialen und juristischen Problemen führen: Kann eine biologische Mutter ihr Kind zurückfordern? Hätten diese Kinder das Recht, ihre genetischen Eltern zu kennen? Mit der Embryonenspende verlieren wir die Gewissheit, wer die Mutter eines Kindes ist. Die Trennung von genetischer, biologischer und sozialer Elternschaft hat für die heranwachsenden Kinder negative Folgen und ist mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Als weiteres Argument gegen die Initiative wurde geltend gemacht, dass Embryonen keinen absoluten Schutz geniessen können. Embryonen sind noch keine Personen und können daher auch nicht adoptiert werden. Zudem würde die Einführung der Embryonen­Adoption dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Die Zustimmung zur Initiative Freysinger könnte auch das Recht auf straflosen Schwangerschaftsabbruch infrage stellen. Hingewiesen wurde auch auf mögliche unerwünschte Nebenfolgen der Embryonenspende: Besteht nicht die Gefahr, dass es zu einem kommerziellen Handel mit überzähligen Embryonen kommen könnte? Paare mit hohen Einkommen hätten dann einen leichteren Zugang zu überzähligen Embryonen als Paare mit mittleren und kleinen Einkommen. Dies würde zu einer nicht akzeptablen sozialen Ungleichheit in der Fortpflanzungsmedizin führen. Nicht auszuschliessen ist die Gefahr, dass absichtlich überzählige Embryonen hergestellt werden, um der Nachfrage entsprechen zu können. Insgesamt ist die Kommission zum Schluss gekommen, dass die Büchse der Pandora" nicht weiter geöffnet, d. h. die Embryo­Adoption nicht erlaubt werden sollte. Die strikten verfassungsmässigen und gesetzlichen Bestimmungen sollen weiterhin gültig sein und bleiben. Für die Minderheit der Kommission, welche der Initiative Freysinger Folge geben möchte, ist die Würde des Embryos das Ausschlaggebende. Es wird immer überzählige Embryonen geben. Daher müssen diese geschützt und gerettet werden. Die Hürden zu einer Adoption sollten jedoch sehr hoch angesetzt werden. Man stelle einen hohen Anspruch und dürfe es sich daher nicht einfach machen, auch wenn die gesetzliche Umsetzung schwierig werden dürfte. Diese Schwierigkeiten zeichnen sich bereits ab: So will ein Teil der Minderheit die Anonymität der Spender sicherstellen, während der andere das Recht des Kindes auf das Wissen um seine genetische Herkunft gewährleisten will. Verhindert werden müssten finanzielle und eugenische Missbräuche. Auf den Einwand, es bestehe jederzeit die Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren, reagierte die Minderheit mit dem Argument, dass es für eine Frau einen entscheidenden Unterschied bedeute, ob sie ein Kind adoptiere oder einen Embryo austrage. 3 An der gleichen Sitzung stand auch eine von Martine Brunschwig Graf eingereichte parlamentarische Initiative (05.457) zur Diskussion, die eine Änderung von Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe d der Bundesverfassung verlangt, um die Embryonenspende für Fortpflanzungs­ und Forschungszwecke zu ermöglichen. Die Diskussion zu den beiden Initiativen ging teilweise ineinander über. Werthaltung und Ziele der Initiative Brunschwig Graf unterscheiden sich jedoch deutlich von jenen der Initiative Freysinger. Gegenüber der Initiative Brunschwig Graf wurde vor allem geltend gemacht, das Verbot der Embryonenspende sei im Jahr 2000, im Abstimmungskampf zur Volksinitiative zum Schutze des Menschen vor Manipulationen in der Fortpflanzungstechnologie", ein wesentliches Argument zu deren Bekämpfung gewesen. Nach gewalteter Diskussion zog Nationalrätin Brunschwig Graf ihre Initiative zurück, um eine Konfusion mit der Initiative Freysinger zu vermeiden. Die grosse Mehrheit der Kommission war nicht bereit, erneut über die Embryonenspende zu diskutieren. 4