Perspektive: Gesund! Bildungsangebote der Volkshochschulen im

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Perspektive: Gesund!
Bildungsangebote der Volkshochschulen im Wandel.
Ein Vortrag im Rahmen der Auftaktveranstaltung zum Semesterthema „Gesundheit –
Verhalten und Verhältnisse“ der volkshochschule stuttgart, gehalten am 16.Oktober 2015
von Rebecca Milcke
1. Gesundheit – ein Begriff, viele Aspekte
Die Weltgesundheitsorganisation als Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen für das
internationale öffentliche Gesundheitswesen definiert Gesundheit wie folgt:
Gesundheit ist
„ein Zustand des vollständigen körperlichen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das
Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Diese Definition wurde mit der Gründung der WHO 1948 formuliert und im Jahr 2000
ergänzt. Die Ergänzung besagt, dass Gesundheit ein fundamentales Menschenrecht ist
und dass jeder Mensch ein Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit hat.
Um sich dem Begriff aus soziologischer Sicht zu nähern, möchte ich eine weitere
Definition des englischen Soziologen Talcott Parsons zitieren:
Gesundheit ist
„ein Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums, für die wirksame Erfüllung
der Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist.“
Diese Definition führe ich auf, um aufzuzeigen, dass die unterschiedlichen Perspektiven
der Wissenschaften, hier der Soziologie, eine immer wieder neue Begriffsdimension
eröffnen.
Als dritte und letzte Definition möchte ich den
Gesundheitswissenschaftlicher Klaus Hurrelmann zitieren:
deutschen
Bildungs-
und
Gesundheit ist:
„ein Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist,
wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer
Entwicklung im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den
jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet.
Folgende wichtigen Aspekte möchte ich aus den unterschiedlichen Definitionen der
Gesundheit herausgreifen:
–
–
–
Gesundheit ist ein wichtiger persönlicher und gesellschaftlicher Wert
Gesundheit ist ein mehrdimensionales Phänomen: Körperliches, geistiges und
soziales Wohlergehen spielen in den Zustand der Gesundheit.
Gesundheit kann als objektiver und als subjektiver Zustand verstanden werden, es
gibt also objektive Bewertungskriterien für die Gesundheit und subjektive, die sich
auf das eigene Empfinden, die eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen
beziehen.
Die Gesundheit, wie sie auch im Verständnis der Salutogenese verstanden wird, stellt
nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Anwesenheit von Lebensqualität dar.
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2. Wie gesund leben wir in Deutschland?
Subjektive Kriterien für Gesundheit kann nur jede und jeder einzelne für sich festlegen,
objektive Bewertungskriterien finden ihre Auswertung in der Regel in Statistiken und
Umfrage-Ergebnissen.
Einige Faktoren, welche unsere Gesundheit wesentlich beeinflussen, möchte ich
aufgreifen und damit auch aufzeigen, wo Bildungsangebote der Volkshochschulen
ansetzen.
Umweltfaktoren
Die allgemeinen Lebensbedingungen in Deutschland haben sich in den vergangenen
Jahren kontinuierlich verbessert. Gleichzeitig haben jedoch angesichts schwieriger,
wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit
Umgleichheit und Armutsrisiken tendenziell zugenommen.
Zu den Umweltfaktoren, die unsere Gesundheit beeinflussen ,gehört z.B. die
Feinstaubbelastung, deren seit 2005 geltenden Grenzwerte in vielen deutschen Städten,
auch in Stuttgart, nicht eingehalten werden können.
Zudem leidet ein Teil der Deutschen unter andauernden Lärmbelastungen und ein Fünftel
der Erwerbstätigen empfindet die eigenen Arbeitsbedingungen als stark bis sehr stark
gesundheitsgefährdend.
Soziale Lage und Bildungsniveau
Privilegierte Schichten sind in Deutschland eindeutig gesünder und haben eine längere
Lebenserwartung als Menschen, die über geringere Bildung, Einkommen und Berufsstatus
verfügen. Die Gründe dafür liegen u.a. in folgenden Unterschieden:
In den
gesundheitlichen Belastungen (z.B. am Arbeitsplatz), in den Bewältigungsressourcen (z.B.
der sozialen Unterstützung) und in der gesundheitlichen Versorgung (Stichwort: ArztPatient-Kommunikation). Diese Faktoren führen wiederum zu Unterschieden beim
Gesundheits- und Krankheitsverhalten und verstärken dadurch die Ungleichheit.
Individueller Lebensstil
Eine positive Entwicklung ist, dass der Anteil der Sporttreibenden im letzten Jahrzehnt
gestiegen ist. Trotzdem erfüllen nur 18% der Frauen und 23% der Männer die Empfehlung
sich an 5-7 Tagen der Woche mind. 30 Min. mäßig anstrengend zu bewegen.
Auch in Bezug auf die Ernährung haben sich in mancher Hinsicht die Essgewohnheiten
der Deutschen verbessert: So werden mehr Obst und Gemüse, mehr ballaststoffreiche
Kost und mehr nichtalkoholische Getränke konsumiert als Ende der 80er Jahre. Frauen
ernähren sich dabei im Schnitt etwas gesünder als Männer. Dennoch liegt z.B. der Obstund Gemüsekonsum immer noch deutlich unter den Empfehlungen der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung. Gemüse kommt z.B. bei 51% der Frauen, aber nur bei 36%
der Männer täglich auf den Tisch.
Neben den Einflussgrößen Ernährung und Bewegung spielen Rauchen und
Alkoholkonsum eine entscheidende Rolle für die individuelle Gesundheit:
Immer noch rauchen 31% der Frauen und 24% der Männer in Deutschland täglich (die
Werte sind dabei bei Männern sinkend und bei Frauen steigend). Ein Fünftel der Frauen
und ein Drittel der Männer konsumieren alkoholische Getränke in Mengen, die bereits mit
einem erhöhten Erkrankungsrisiko einhergehen.
In engem Zusammenhang mit dem Lebensstil stehen Risikofaktoren wie Übergewicht,
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Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. In Deutschland sind etwa ein Drittel der
Frauen und die Hälfte der Männer übergewichtig.
Vor allem die Einflussfaktoren des individuellen Lebensstils bietet zahlreiche
Anknüpfungspunkte für Prävention und Gesundheitsförderung.
Alter/ Erbgut
Selbstverständlich gehören zu den Faktoren, die unsere Gesundheit beeinflussen, auch
das individuelle Alter und Erbgut.
Region
Des weiteren geht aus den aktuellen Gesundheitsreporten der Krankenkassen hervor,
dass innerhalb Deutschlands große regionale Unterschiede in Bezug auf die Gesundheit
bestehen. Menschen in Baden-Württemberg und Bayern sind im Durchschnitt gesünder
als in anderen Bundesländern.
3. Gesundheitsbildung an Volkshochschulen
Gesundheitsbildung an Volkshochschulen basiert auf der Gesundheitsorientierung, in
Abgrenzung zur Krankheitsorientierung und einem Krankheitsverständnis, welches nach
gesundheitserhaltenden Faktoren und nicht nicht nach krankmachenden Faktoren fragt.
Der Sichtweise der Salutogenese, die der israelische Medizinsoziologe Antonovsky prägte,
stellt somit die zentrale Frage: Was erhält uns gesund?
Ausserdem wird die Gesundheit in der Sichtweise der Salutogenese als Prozess und nicht
als Zustand betrachtet.
Die Gesundheitsbildung im Kontext von Volkshochschulen stellt ein Fundament der
Gesundheitsförderung dar (im Umkehrschluss: Ohne Zugang zu Information und Bildung
keine Gesundheitsförderung). Als dieses gehört die Gesundheitsbildung untrennbar zum
umfassenden Bildungsauftrag der Volkshochschulen und richtet sich an alle Bürgerinnen
und Bürger.
Im Unterschied zu anderen Anbietern der Gesundheitsbildung, ist die Volkshochschule
weder ideologischen noch kommerziellen Interessen unterworfen. Zudem bieten
Volkshochschulen Angebote der Gesundheitsbildung, die nicht nur auf ein Lernfeld der
Gesundheit nach der WHO festgelegt sind, sondern die Zusammenhänge zwischen
verschiedenen Feldern abbilden. Dazu gehören auch die Psyche, der soziale Aspekt der
Gesundheitsbildung und die Umweltbildung.
Flächendecken, wohnortnahe Angebote sind eine weitere Stärke des Angebots der
Volkshochschulen.
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Auf dieser Karte lässt sich die Flächendeckung der Angebote der vhs stuttgart im
Stadtgebiet der Landeshauptstadt sehr gut sehen.
Die vhs stuttgart bietet im Semester ca. 500 Kurse aus dem Programmbereich Gesundheit
an und erreicht damit ca. 5000 Teilnehmer/innen.
Auf der rechten Seite ist mit der Aufzählung der unterschiedlichen Lerngebiete gut
ersichtlich, in welcher Ganzheitlichkeit die Volkshochschule ihren Auftrag der Gesundheitsbildung abbildet.
Gesundheitsbildung im Rückblick (20.Jh.)
Gesundheitsbildung wird meist als neuer Bereich der Erwachsenenbildung betrachtet. Ihr
kontinuierlicher Wachstum der letzten 30 Jahre wird mit der Entwicklung des
Gesundheitsbewusstseins der Bevölkerung begründet.
Diese Sichtweise lässt sich auch anders wahrnehmen: Gesundheitsbildung an
Volkshochschulen war – unter anderem Namen – bereits in den Volkshochschulen der
ersten Stunde, in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ein beachtetes
Phänomen.
Die Entwicklungsgeschichte der Gesundheitsbildung wäre ein Thema für sich - in
Anbetracht des heutigen Zeitfensters möchte ich jedoch nur einige Eckdaten ausführen,
die insbesondere verdeutlichen sollen, wie sich die Bildungsangebote im Zuge des
gesellschaftlichen Wandels entwickelt haben:
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Anfang des 20. Jahrhunderts wurden an Volkshochschulen Kurse in Körperarbeit, Tanz
und Psychotherapie angeboten, dazu gehörten z.B. bereits Feldenkraiskurse und
Atemarbeit.
Neue Formen der Körperlichkeit erweiterten den Umgang mit sich selbst und der Umwelt.
Gesundheitsbildung war damit ein Ausdruck sozialen und freiheitlichen Denkens.
Im dritten Reich konnten nur die Bildungsinstitutionen Lehrangebote anbieten, welche ihre
Angebote regimetreu ausrichteten. Durchgesetzt haben sich damals Kurse, die Angriffslust
wecken sollten, z.B. Boxen.
In den 50 und 60er Jahre kamen erste Angebote in Yoga und Autogenem Training auf.
Ausserdem gab es vereinzelt Vorträge von Ärzten über Gesundheitserziehung und
-aufklärung, die sich vorwiegend an Frauen richteten, da die Sorge um die Gesundheit der
Familie in der traditionellen Rollenverteilung die Angelegenheit der Frau war.
Gekennzeichnet war die Gesundheitserziehung in der Regel von Fremdbestimmung, d.h.
es ging z.B. um die „richtige“ Art zu Atmen, die andere Möglichkeiten ausschloss.
In den 70er Jahren kam es zur sogenannten Professionalisierungsphase an
Volkshochschulen, auch in der Gesundheitsbildung.
Der Schwerpunkt der vhs-Arbeit lag in dieser Zeit auf der politischen Bildung,
Gesundheitsbildung galt häufig als zu unpolitisch. Im Zuge der Protestbewegungen, z.B.
der Frauenbewegung, nahm jedoch die Bedeutung der Selbsterfahrung und des
Gruppenerlebnis' zu. „Psychoboom“, „Indienboom“, Selbstentdeckung und die Verbreitung
fernöstlicher Bewegungsmeditationen folgten in den 80er Jahren.
Hinzu kam in den 80er und 90er Jahren die Entwicklung des Schönheitsideal für Frauen
und Männer, welches körperliche Fitness, Körpergestaltung (heute Bodyshaping) und mit
Gelenkigkeit und Kraft verbundenes sportliches Aussehen bevorzugte.
Grundlage der heutigen Volkshochschulprogramme im Bereich Gesundheit ist der
„Rahmenplan Gesundheitsbildung an Volkshochschulen“, welcher in den 80er Jahren,
orientiert am WHO Ansatz, entwickelt wurde.
Das qualitätsvolle Angebot der Volkshochschulen hat sich in den letzten 30 Jahren
kontinuierlich quantitativ gesteigert und ist in diesem Kontext zu einem Mittler zwischen
dem formellen und dem informellen Sektor des Gesundheitswesens geworden.
Zukunftsorientierte Herausforderungen der Gesundheitsbildung
Ich möchte zum Abschluss den Blick nach vorn richten und drei Herausforderungen der
Bildungsangebote in Gegenwart und Zukunft herausgreifen.
1. Die gesellschaftliche Aufgabe, allen Zugang zur Gesundheitsbildung zu verschaffen. Ich
denke dabei im aktuellen Kontext besonders an die vielen Flüchtlinge, die als
Neubürgerinnen und -bürger in unsere Städte kommen und ein Recht auf Zugang zur
Gesundheitsbildung haben.
2. Die damit zusammenhängende und in meinen Augen unverzichtbare Vernetzung der
Gesundheitsakteure, die ich gerne auch in unserer anschließenden Podiumsdiskussion
mit den heute eingeladenen Experten aufgreifen möchte.
3. Gesundheit und Digitalisierung
Vielleicht haben auch Sie den heutigen Artikel in der Stuttgarter Zeitung gelesen, dass die
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Uniklinik Tübingen ein virtuelles Behandlungszimmer, in dem sich behandelnde Ärzte,
Patienten und Angehörige zum Online-Austausch treffen, eingerichtet hat.
Die digitalen Geschäfte rund um das Thema Gesundheit wachsen mit mehr als 12 Prozent
stärker als alle weltweit online basierten Geschäftsmodelle.
Ende 2014 haben bereits 45 % der Deutschen ihre privaten Endgeräte (Smartphones und
Tablets) für digitale Gesundheitsangebote genutzt. Dazu zählen vor allem
Gesundheitsportale, Apps, Fitness-Tools, Mess- und Assistenzsysteme und das
Vitaldaten-Monitoring.
Dieser Trend muss sinnvoll mit den erfolgreichen, traditionellen Angeboten eines
Volkshochschulprogramms verknüpft werden.
Das Angebot von Volkshochschulen erfindet sich aufgrund gesellschaftlicher
Veränderungen und Impulse immer wieder neu und bietet somit für jede und jeden den
Schlüssel zum lebenslangen Lernen.
Mit diesem Resümee möchte ich schließen und Sie einladen, die spannenden Angebote
des Semesterprogramms „Gesundheit - Verhalten und Verhältnisse“ der vhs stuttgart
wahrzunehmen.
Quellen
- Berichte des Statistisches Bundesamtes (2014)
- Gesundheitsreporte der Krankenkassen: DAK, BKK, TKK, Barmer GEK (2014)
- Blättner, Beate (1998): Gesundheit lässt sich nicht lehren.
- Oehler, Regina (Hrsg.) (2013): Gesundheit neu denken.
- Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V.(Hrsg.):
Planungshandbuch Gesundheitsbildung an Volkshochschulen.
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