Internationale Klassifikation und Leitlinien: Was verändert sich für die Suchtbehandlung? 27. Heidelberger Kongress des Fachverbandes Sucht e.V. 26. Juni 2014 Anil Batra, Tübingen Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Agenda Klassifikationssysteme: ● Von ICD 10 über DSM-5 zu ICD 11 Leitlinien ● Eckpunktepapier Verhaltenssucht der DGPPN ● Aktueller Stand der S3 Leitlinienentwicklung Fazit: Was ändert sich für die Suchttherapie? Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen DSM 5 Titel: („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 5“) Herausgeber: „American Psychiatric Association“ (APA) Entwicklungszeit: 14 Jahre (seit 1999) Erscheinungsdatum: 18. Mai 2013 Ziele: ● Erhöhung der klinischen Nutzbarkeit ● Hinzunahme neuer Diagnosen bzw. Zusammenlegung alter Diagnosen Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen DSM 5 - Neuerungen Umbenennung der Kategorie von „substanzbezogene Störungen“ (substance-related disorders) in „Sucht und verwandte Störungen“ (addiction and related disorders) Vereinigung der bisherigen Diagnosen „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ zur gemeinsamen Kategorie „Substance use disorder“ Kriterien: statt „Probleme mit dem Gesetz“ („empirisch unbrauchbar“) ist Craving neu aufgenommenes Kriterium Störungsdiagnose mit zwei Cutoffs: Einteilung in „mild“ (2-3), „moderat“ (4-5) und „severe“ (mind. 6 Kriterien erfüllt) Neu: Cannabis-Entzugssyndrom Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Kriterien 1. Wiederholter Substanzgebrauch, der zum Versagen bei wichtigen Verpflichtungen in der Schule, bei der Arbeit oder zu Hause führt. 2. Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann. 3. Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme 4. Toleranzentwicklung charakterisiert durch ausgeprägte Dosissteigerung oder verminderte Wirkung unter derselben Dosis 5. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Kriterien 5. Entzugssymptome oder deren Linderung bzw. Vermeidung durch Substanzkonsum 6. Einnahme der Substanz in größeren Mengen oder länger als geplant 7. Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren. 8. Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum der Substanz oder um sich von ihren Wirkungen zu erholen 9. Aufgabe oder Einschränkung wichtiger Aktivitäten aufgrund des Substanzkonsums 10. Fortgesetzter Konsum trotz körperlicher oder psychischer Probleme 11. Craving, das starke Verlangen nach der Substanz Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Dimensionale Sucht? Vorteile des dimensionalen Diagnosekonzepts für Substanzstörungen: a) entspricht empirischer Befundlage, dass die Kriterien für beide Störungen auf einem Schweregradkontinuum liegen; b) verhindert, dass Personen mit Substanzproblemen, die weder die Kriterien für Missbrauch noch für Abhängigkeit voll erfüllen, durch das diagnostische Raster fallen („diagnostic orphans“) Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Neue Suchtkategorie: Glücksspiel Aus “pathologischem Spielen” (DSM-IV, Impulskontrollstörung) wird “gestörtes Spielen“ („disordered gambling“) in DSM 5, Kategorie „addiction and related disorders“ 9 Diagnosekriterien mind. 5 Kriterien während der letzten 12 Monate DSM-5 Kriterien – – – – – Starke Eingenommenheit Steigerung der Einsätze Wiederholte erfolglose Versuche, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Spielen einzuschränken Spielen als Flucht vor Problemen oder dysphorischer Stimmung Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Glücksspiel - Diagnostik DSM-5 – Wiederaufnahme des Spielens nach Geldverlust – Lügen gegenüber Dritten, um das Ausmaß der Problematik zu vertuschen – Gefährdungen oder Verlust wichtiger Beziehungen, des Arbeitsplatzes oder von Zukunftschancen – Hoffnung auf Bereitstellung von Geld durch Dritte Reilly , C., & Smith, N. (2013). The Evolving Definition of Pathological Gambling in the DSM-5. National Center of Responsible Gaming, 1-6. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Nicht aufgenommen: Onlinespiel‐bezogene Störung (Internet Gaming Disorder) Section III: „conditions for further study“, Forschungskategorie: Die Symptome dieser Störung beziehen sich nur auf Onlinespiele, die kein Glücksspiel beinhalten. Die Internetnutzung für erforderliche Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens oder Berufs ist nicht eingeschlossen; und die Symptome der Störung beziehen sich auch nicht auf andere Freizeitnutzung des Internets oder sozialen Internetgebrauch. Gleichermaßen wird die Nutzung von Onlinepornographie ausgeschlossen. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen „Internet Gaming Disorder“ – Diagnosekriterien 9 Diagnosekriterien mind. 5 Kriterien während der letzten 12 Monate Andauernde Beschäftigung mit Internet- bzw. Online-Spielen. Psychologische Entzugssymptome bei verhinderter Nutzung der Online-Spiele (z. B. Gereiztheit, Ängstlichkeit, Aggressivität). Toleranzentwicklung mit dem Bedürfnis, zunehmend Zeit für Online-Spiele aufzubringen. Erfolglose Versuche, das Online-Spielen zu beenden oder zu begrenzen. American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen „Internet Gaming Disorder“ – Diagnosekriterien Verlust des Interesses an früheren Hobbies oder Aktivitäten als Folge des Online-Spielens. Andauerndes exzessives Online-Spielen trotz des Wissens um die psychosozialen Probleme. Täuschen von Familienmitgliedern oder Therapeuten in Bezug auf das wirkliche Ausmaß des OnlineSpielens. Gebrauch der Online-Spiele, um negativen Emotionen zu entfliehen oder um diese zu lindern. Gefährdung oder Verlust von wichtigen Beziehungen, Beruf, Ausbildung oder Karriere-Möglichkeiten wegen des Online-Spielens. American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Pros und Cons bzgl. der Änderung NIMH Mangel an Validität DGPPN Psychotherapeutenkammer NRW Allen Frances Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Bedenken und Kritik bzgl. der Änderung DGPPN Der Begriff „Sucht“ („Addiction“) wird trotz der – so früher empfundenen – Stigmatisierung wieder eingeführt Klassifizierungsprinzip entlang der verschiedenen psychotropen Substanzen verliert Gewicht, im Vordergrund stehen gemeinsame psychische und physische Phänomene Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Stellungnahme der DGPPN, 15.04.2013 Auszug: „Wann wird seelisches Leid zur Krankheit?“ Zur Diskussion um das angekündigte Diagnosesystem DSM-V hier: „Kulturabhängig wird Alkoholkonsum zur Krankheit“ Die neue Krankheitsdiagnose werde durch Hinzufügen „weicher“ Kriterien kulturabhängig erweitert. Z.B. wiederholter Alkoholkonsum, der zur Unterlassung von Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt; wiederholter Konsum trotz wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme; hoher Zeitaufwand für die Beschaffung der Substanz. Bereits bei Auftreten von zwei solchen Merkmalen innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums liege die „Substanzgebrauchsstörung“ vor. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Stellungnahme der DGPPN, Maier, 15.04.2013 „Kulturabhängig wird Alkoholkonsum zur Krankheit“ Kritisch sei einzuwenden, dass bspw. das wiederholte Bedürfnis, Alkohol in einem Land zu konsumieren, in dem dies nicht erlaubt ist, zur Diagnose einer Substanzgebrauchsstörung hinreichen kann: ● Kriterium wiederholter sozialer Probleme durch wiederholten Konsum erfüllt, da Alkoholkonsum in diesem Land generell verboten ist und zur Bestrafung führen kann; ● aufgrund des Verbots der Substanz kommt es zudem zu einem hohen Zeitaufwand für die Beschaffung der Substanz. ● Kommt noch ein anhaltender Wunsch nach Alkoholkonsum hinzu, dann sind die diagnostischen Kriterien schon erfüllt. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Stellungnahme der DGPPN, Maier, 15.04.2013 „Kulturabhängig wird Alkoholkonsum zur Krankheit“ Konsequenz der Absenkung der diagnostischen Schwellen: Grenze zwischen dem Auftreten sozialer Probleme im Umgang mit Substanzen wie Alkohol und einer eigentlichen Alkoholabhängigkeit wird verwischt Pro: Menschen mit problematischem Konsum finden leichter Zugang zum Hilfesystem Con: regionale Differenzen in der Stigmatisierung einzelner Substanzen führen zu unterschiedlicher Bewertung einer krankheitsrelevanten „Substanzgebrauchsstörung“. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Stellungnahme der DGPPN, Maier, 15.04.2013 „Kulturabhängig wird Alkoholkonsum zur Krankheit“ Die Einführung neuer Diagnosen psychischer Störungen und die Ausweitung der Grenzen von bereits bestehenden psychischen Störungen kann zu einer Medikalisierung von Problemen unserer Gesellschaft und damit in der Konsequenz auch zu einer Vernachlässigung der medizinischen Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Krankheiten führen. Die resultierenden Leistungsansprüche bei einer solchen Ausweitung gefährden eine gerechte Verteilung der ohnehin begrenzten Ressourcen und Behandlungsmöglichkeiten zu Ungunsten schwerst psychisch erkrankter Menschen. Eine (dann notwendige) Ausdehnung der finanziellen und personellen Ressourcen sei nämlich nicht zu erwarten. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Psychotherapeutenkammer NRW Anstieg der Prävalenzzahlen von suchtbezogenen Störungen in Folge des niederschwelligeren und erweiterten Suchtbegriffs wird erwartet (Substanz- und Verhaltenssüchte) Häufigere bzw. frühere Diagnosestellung Æ neue Interventionsformen? Gezielte Kurzinterventionen bei milder bis moderater Problematik Die Prävention schwerwiegender Ausprägung rückt in den Fokus, diese müsste sich für eine Kostenübernahme nicht bereits entwickelt haben Steigende Relevanz der Psychotherapie und ambulanten Motivationsbehandlung Kiszkenow, http://www.ptk-nrw.de/ Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Allen Frances Allen Frances (Leiter der AG DSM-IV) initiierte eine Petition gegen das Erscheinen von DSM 5, weil er fürchtete, dass das neue Standardwerk zur Hyperinflation psychischer Krankheiten führe, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Hauptkritikpunkte: ● inhaltlich-methodische Aspekte, ● Mangelnde Reliabilität und Validität und ● Störungen im Prozess der DSM-5-Entwicklung (z.B. wurden externe wissenschaftliche Reviews und die sogenannten Field Trials nicht wie geplant vollendet) ● Übermäßige „Psychiatrisierung“ beziehungsweise „Medikalisierung“ von „normalen Problemen“ (ADHS, Trauerreaktion) ● „Neue Diagnosen sind gefährlicher als Medikamente.“ Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Kommentar zur Sucht Wonderful News: DSM-5 Finally Begins Its Belated and Necessary Retreat Science, 05.04.2012 "Why combine substance abuse with substance dependence under the rubric of addictive disorders when this confuses their different treatment needs and creates unnecessary stigma for many young people who will never go on to "addiction"?" Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Wie positioniert sich ICD 11? Befindet sich in der ICD-11 Beta Phase Wird 2017 erwartet Zu Erwarten sind: - Glücksspielsucht - Sammelkategorie „weitere Verhaltenssüchte“ inkl. Internetgaming Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Zusammenfassung: Mögliche Nachteile eines dimensionalen Suchtbegriffes Stigmatisierung oder Entstigmatisierung? „Overinclusive“? Erweiterung der Störungskategorie auf Grenzfälle Verwässerung des neurobiologischen Konstruktes – Stärkung der psychischen Dimensionen Optimalere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten vs. Überforderung der gegebenen Ressourcen Diagnostische Öffnung = therapeutische Schwierigkeit oder der Weg zu einer differentiellen Therapieplanung? Muss die Forschung zur Sucht neu geschrieben werden? Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen II. Leitlinien Aktuelle Leitlinienentwicklung in Deutschland Eckpunktepapier Verhaltenssüchte der DGPPN v. 27.02.2013 S3 Leitlinie Alkohol 2014 S3 Leitlinie Tabak 2014 Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen „Verhaltenssüchte“ - Eckpunktepapier DGPPN Problematische Verhaltensweisen im Fokus der Sucht: ● pathologisches Glücksspiel ● Internetabhängigkeit / exzessiver Computergebrauch ● exzessives Kaufen ● zwanghafte sexuelle Aktivitäten ● Adipositas Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Eckpunktepapier DGPPN 02/2013 „Das Abhängigkeitspotential, die Gesundheitsrisiken, die schweren sozialen und beruflichen Folgen … stehen denen von substanzbezogenen Süchten in nichts nach.“ Pathologisches Kaufen, exzessives Sexualverhalten und Aspekte von Adipositas können in Einzelfällen Suchtcharakter annehmen, allerdings reichen die Forschungsbefunde noch nicht für eine Eingruppierung in die Verhaltenssüchte aus. Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Wachsende Bedeutung von Leitlinien Leitlinien sind eines der wichtigsten Instrumente des Qualitätsmanagements. Dabei ist die Integration von Leitlinien in Qualitätsmanagementprogramme die effektivste Leitlinien-Implementierungsmaßnahme. Die Berücksichtigung evidenzbasierter Leitlinien in vertragsärztlichen Versorgungsprogrammen (Disease Management und hausärztliche Versorgung) ist durch das SGB V gesetzlich vorgeschrieben. Ollenschläger et al., 2007 Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen 1. Historie: S2-Leitlinie „Substanzbezogener Störungen“ 2000 – 2006: Entwicklung der S2-Leitlinie „Diagnostik, Screening und Behandlung substanzbezogener Störungen“ im Rahmen der AWMF (Schmidt, Gastpar, Falkai & Gäbel, 2006). Federführung : Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und – therapie (DG-Sucht) und Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Experten und Inhalt: 41 Experten aus Wissenschaft und Praxis, 20 Fachgesellschaften, 9 Arbeitsgruppen: Alkohol, Tabak, Medikamente, Opioide, Cannabis, andere illegale Drogen. Schmidt, L.G., Gastpar, M., Falkai, P., Gäbel, W. (2006). Evidenzbasierte Suchtmedizin. Behandlungsleitlinie Substanzbezogene Störungen. Deutscher Ärzte Verlag 30 1. Historie: S2-Leitlinie „Substanzbezogener Störungen“ ¾Keine der S2-Leitlinien wurde innerhalb eines 5Jahres-Zeitraums aktualisiert. ¾Die Behandlungsempfehlungen haben aufgrund von mangelnder Aktualität ihre Gültigkeit verloren und wurden im Leitlinienregister der AWMF gelöscht. ¾Derzeit existiert keine gültige AWMF-Leitlinie zum Screening, der Diagnostik und der Therapie von tabak-, alkohol- und anderen substanzbezogenen Störungen. 31 2. Ziele – die S3 Leitlinie • Aktualisierung der Behandlungsempfehlungen zu alkohol- und tabakbezogenen Störungen („Update“). • Verbesserung der Methodik von Qualitätsstufe 2 (S2) auf Qualitätsstufe 3 (S3) („Upgrade“). 32 3. Wer verwaltet die Leitlinien? www.leitlinien.net Gesamtzahl Leitlinien (03/2009): (gemeinsame LL mehrerer Fachgesellschaften werden nur 1 mal gezählt) S1 S2 S3 476 111 60 Gesamtzahl Leitlinien (03/2014): 3.1 Standards: Stufenklassifikation der AWMF Stufenklassifikation der AWMF Für den Anwenderkreis repräsentative Entwicklergruppe Systematische Evidenzbasierung (Recherche, Auswahl, Bewertung der Literatur) Strukturierte Konsensusfindung (Formale Technik) nein nein nein ja nein ja nein ja nein ja ja ja S1 Handlungsempfehlungen von Expertengruppen S2k Konsensbasierte Leitlinie S2e Evidenzbasierte Leitlinie S3 Evidenz- und konsensbasierte Leitlinie Kopp, Encke & Lorenz (2002) 34 3.1 Standards: Für Anwenderkreis repräsentative Entwicklergruppe 35 3.1 Standards: Interaktionsregeln Unabhängiger Moderator Methodisches Wissen Spezifische klinische Frage Patient Patient Forschung (wiss. Evidenz) Therapeut Therapeut gegensätzliche Standpunkte klären Angehöriger Angehöriger Praxis (Klinisches Werturteil) Nutzen und Schaden der Intervention abwägen 36 3.2 Zusammensetzung der Leitliniengruppe Konsensusgruppe Steuergruppe 60 Fachgesellschaften, Patientenvertretungen, Experten und 9 Fachgesellschaften andere Delegierte Mitwirkende Alkohol: 7 Arbeitsgruppen Tabak: 6 Arbeitsgruppen ‐> 70 Wissenschaftler, Kliniker und Betroffenenvertreter Hoch, Batra & Mann (2012) 37 Koordinationsteam und Steuergruppe Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Therapie (DG-Sucht) (K. Mann) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (A. Batra) Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) (R. Thomasius) Bundesdirektorenkonferenz (BDK) Verband leitender Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (G. Reymann) Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPS) (G. Bühringer) Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGSM) (J. Reimer) Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (DGSPS) (M. Klein) Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Leitlinienprojekt „Suchterkrankungen“ Fachgesellschaften Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen 2.1 development process (2010-2014) 3.2.2S3-Guidelines Arbeitsgruppen Alkoholleitlinie 1. Diagnose und Dokumentation (Wurst) Tabakleitlinie 1. Diagnose und Dokumentation (Batra) 2. Kurzinterventionen (Rumpf) 2. Motivation, Kurzinterventionen und harm reduction (Kröger) 3. Pharmakotherapie (Schäfer, 3. Psychotherapie (Batra) Wodarz) 4. Pharmakotherapie (Batra) 4. Komorbidität (Beutel, Preuss) 5. Spezielle Populationen (Thomasius) 5. Alter, Geschlecht, Komorbidität (Mühlig) 6. Post-akut Interventionen (Missel, 6. Setting (Ratje) Koch) 7. Setting (Weissinger, Günthner) 40 3.3 Systematischer Reviewprozess Klinische Fragestellungen (Alkohol: n=22; Tabak: n=29) Delphi Prozess Ja Systematische Reviews (Alkohol: n=28; Tabak: n=55) SIGN Checkliste SR, Meta-Analysen, RCTs (Alkohol: n=2213; Tabak: n=3650) Methodologische Checkliste Behandlungsempfehlungen (Alkohol: n=120; Tabak: n=81) Level of Evidence (LoE), Empfehlungsstärke (A, B, O) 5. Publikationen Verfügbarkeit: vorauss. Ende 2014! Hoch, Batra & Mann (2012) 5. Geplante Publikationen der S3-Leitlinie ● Langversion der Leitlinien ● Kurzversion der Leitlinien ● Englische Version der Kurzversion ● Methodenreport ● Version für Patienten und Angehörige ● „Kitteltaschenversion“ für Behandelnde 43 Problem der Leitlinie Orientierung an ICD 10 Keine Anpassung an DSM-5 ICD 11 noch im Dunkel der Entstehung Datenbasis umfasst Studien mit Suchtbegriff aus DSM IV und ICD 10 Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Die Arbeit ist damit nicht getan! Leitlinien müssen in Qualitätsmanagementprogramme einfließen „Die „Wirksamkeit“ einer Leitlinie ist entscheidend davon abhängig, dass die Anwender sich deren Empfehlungen zu eigen machen, diese für die eigenen Bedürfnisse adaptieren und in internes Qualitätsmanagement integrieren.“ Ollenschläger et al., 2007 Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen Mögliche Auswirkungen der Leitlinien Transparente Empfehlungen für Patienten Ausrichtung an aktuellen fachlichen Standards Standardisierung der Routine in der ärztlichen und psychologischen Unterstützung Kostenersparnis Verbesserung der Qualität Definition von Qualitätsindikatoren? Prof. Dr. A. Batra, Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung – Universitätsklinik Tübingen