Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Hysterie, Konversion, Dissoziation Klinische Aspekte (Ausgewählte Folien zur Vorlesung) [email protected] Einführung des Begriffs der Konversion von Sigmund Freud »Bei der Hysterie erfolgt die Unschädlichmachung der unverträglichen Vorstellung dadurch, dass deren Erregungssumme ins Körperliche umgesetzt wird, wofür ich den Namen der Konversion vorschlagen möchte.« (Freud, 1894, S.63). Die aktuellen „Nachfolgediagnosen“ von Hysterie und Konversionsneurose •Somatoforme Störungen •Konversionsstörungen •Dissoziative Störungen •Histrionische Persönlichkeitsstörung Somatoforme Störungen • Körperliche Beschwerden, die nicht oder nicht hinreichend auf eine organische Ursache zurückzuführen sind. • Dabei stehen Allgemeinsymptome (Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzsymptome an erster Stelle, gefolgt von Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Beschwerden, sexuellen und pseudoneurologischen Symptomen. Konversionsstörungen mit Symbol- und Ausdrucksgehalt • Emotionen und Affekte wie Angst, Aggression, Wut, Ärger, Schuld, sexueller Triebwünsche usw. werden in organische Beschwerden konvertiert. • Symptome wie z. B. Erektionsstörungen, Erröten, Ohnmacht, Kopfschmerzen, Migräne, MagenDarmstörungen verweisen oft symbolisch auf einen zugrundliegenden Konflikt. • Die den Körperbeschwerden zugrundeliegenden unerträglichen psychischen Vorstellungen und Zustände werden verdrängt. Dissoziation • Unterbrechung integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung. • Störung der mentalen Integration, bei der mentale Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden. Dissoziation Verlust von psychischen Funktionen (Ich-Funktionen) • • • • • Realitätswahrnehmung Wahrnehmung der eigenen Person Erinnerungsvermögen Wahrnehmung eigener Gefühl Wahrnehmung anderer Menschen und der Umgebung • Veränderung des Identitätsgefühls • Wahrnehmung von Empfindungen wie Schmerz, Angst, Hunger, Durst, …) • Kontrolle von Körperbewegungen Konzepte der Ich-Psychologie • Mangel an verlässlicher, kontinuierlicher Unterstützung des Kindes. • Keine hinreichende Unterstützung bei der Regulierung seiner Triebimpulse und Affekte. • Kein gemeinsames Fokussieren der Aufmerksamkeit auf bestimmte Situationen. • Mangelhafte verbalisierende Verarbeitung von Erlebtem, auch von Affekten. • Resultat: Die Entwicklung guter, stabiler IchFunktionen ist gestört. Wichtige Ich-Funktionen • Realitätssinn und Realitätsprüfung • Emotionale Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung • Regulation von Trieben und Affekten • Impulskontrolle • Kontrolle über die motorischen Funktionen • Denken, Konzentration, Aufmerksamkeit • Sekundärprozesshaftes Denken • Innen-Außen-Differenzierung • Nähe-Distanz-Regulierung • Autonomie • Frustrationstoleranz • Phantasiefähigkeit • Abwehr Objektbeziehungstheorien • Objektsuche von Anfang an als wichtiges Motivationssystem. • Erlebte Affekte helfen bei der Klassifikation der Erfahrungen (gut/schlecht usw.). • Internalisierungsprozesse sind zentral für die Ausbildung psychischer Strukturen und konstituieren das unverwechselbare Subjekt. Häufige pathogene Konfliktmuster Autonomie - Abhängigkeit Herrschen – Beherrscht werden Versorgt werden - Autarkie Selbsteinschätzung - Objekteinschätzung Egoistischen Tendenzen – Schuldgefühle Konflikt um ödipale Versuchung Identitätskonflikte Definition: Dissoziation Die Dissoziation ist ein komplexer psychophysiologischer Prozess, der durch Desintegration psychischer Funktionen, wie Erinnerung, Identitätsbewusstsein, Selbst- und Objektwahrnehmung und der Empfindung gekennzeichnet ist. Klinik der Dissoziation • • • • Verlust der normalen Integration von Erinnerungen und bewusster Kontrolle kommen. Diese Störungen wurden früher als verschiedene Formen der Hysterie und Konversion klassifiziert. Pathogenetisch können diesen Störungen krankhafte Vorstellungen zugrunde liegen, aber auch schwere reale Traumatisierungen. Diese Störungen können auch in Verbindung mit unerträglichen Konflikten und gestörten Beziehungen auftreten Dissoziative Amnesie Erinnerungsverlust, vor allem bei traumatischen Ereignissen „Ich kann mich an meine Kindheit nicht mehr erinnern!“ Dissoziative Fugue (Flucht) Zielgerichtete Ortsveränderung mit dissoziativer Amnesie (Literarisches Beispiel: Cees Nooteboom, Die folgende Geschichte) Dissoziativer Stupor (Starrezustand) Fehlen oder Reduktion willkürlicher Bewegungen und normaler Reaktionen auf äußere Reize Trance und Besessenheitszustände Zeitweiliger Verlust der Identität und Wahrnehmung. Der Patient verhält sich in manchen Fällen so, als ob er von einer fremden Kraft oder einem Geist beherrscht wäre. Dissoziative Bewegungsstörungen Lähmungen Koordinationsstörungen Bizarrer Gang Tremor Zur Häufigkeit • Dissoziative (psychogene) Bewegungsstörungen machen bis zu 25% der Bewegungsstörungen in neurologischen Abteilungen aus. Davon wiederum fallen 33 % auf den psychogenen Tremor, 25% auf die psychogene Dystonie, 25% auf den psychogenen Myoklonus, 11 % auf die psychogene Gangstörung, 6. % auf psychogenen Parkinsonismus (vgl. Miyasaki, 2003) Dissoziative Krampfanfälle Langsamer Beginn, regelloser Bewegungsablauf, meist ohne Zungenbiss, ohne Verletzungen, mit geschossenen Augen, ohne Urin- oder Stuhlabgang, mehrere Minuten oder länger dauernd, normale Pupillenreaktion (C. von Braun. Nicht ich. Logik, Lüge, Libido. 3. Aufl., Frankfurt/Main 1990, S. 35) (C. von Braun. Nicht ich. Logik, Lüge, Libido. 3. Aufl., Frankfurt/Main 1990, S. 41) (C. von Braun. Nicht ich. Logik, Lüge, Libido. 3. Aufl., Frankfurt/Main 1990, S. 442) Dissoziative Sensibilitätsstörungen Anästhetische Hautareale, Parästhesien, Sehstörungen, Hörstörungen Ganser-Syndrom • Pseudodemenz • Vorbeiantworten • Oft begleitet von anderen dissoziativen Symptomen • Bewusstes oder unbewusstes Interesse, für verrückt, dumm oder krank gehalten zu werden Multiple Persönlichkeit Dissoziative Identitätsstörung. Mindestens zwei Persönlichkeiten mit eigener Geschichte, zwischen denen gewechselt wird. Dissoziative Störungen Zusammenfassung (1) • Dissoziative Störungen wurden früher größtenteils unter den Begriff der Hysterie gefasst. • Der Begriff der Konversion umfasst vor allem dissoziative Störungen auf der körperlichen Ebene. Dissoziative Störungen Zusammenfassung (2) • Dissoziative Störungen wurden (und werden zum Teil immer noch) vor dem Hintergrund dämonologischer Auffassungen interpretiert. • Die große Mehrzahl der Mediziner lehnt solche Erklärungmodelle ab. Dissoziative Störungen Zusammenfassung (3) • Dissoziative Störungen ähneln psychischen bzw. psychiatrischen Erkrankungen oder auch körperlich begründbaren Erkrankungen und sind gegen diese sorgfältig differentialdiagnostisch abzugrenzen. Dissoziative Störungen Zusammenfassung (4) • Ätiologische Einflüsse bei dissoziativen Störungen sind vielgestaltig (Persönlichkeit, traumatische Erlebnisse, Konflikte, pathogene und pathologische Vorstellungen) • Es findet eine Desintegration psychischer und psychophysiologischer Funktionen statt (unter den o.g. prädisponierenden und belastenden Einflüssen. Wegbereitung zur Therapie (1) • Verständnis für den Patienten zeigen und ihn in seinem Leiden akzeptieren und respektieren. • Einflüsse von Belastungen erfragen. • Psychoedukative Elemente. • Supportive therapeutische Einstellung. • Analyse der subjektiven Krankheitstheorie. • Herstellung von Vertrauen und einer stabilen ArztPatient-Beziehung. Wegbereitung zur Therapie (2) • Symptomorientierte Behandlungsansätze zur Wiedererlangung normaler Funktionen. • Rückzug von den Symptomen ohne Gesichtsverlust ermöglichen. • Differentielle Indikationsstellung zu einer verhaltenstherapeutischen, tiefenpsychologisch fundierten oder analytischen Psychotherapie. Psychotherapie (1) • Pragmatisches, handlungsorientiertes Vorgehen • Dem Patienten einen Rückzug aus der Symptomatik ermöglichen • Entlarvung, Beschämung oder Gesichtsverlust des Patienten vermeiden Psychotherapie (2) •Klassisch analytisch: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten •Biogr. und aktueller Konflikthintergrund erhellen •Psychodynamische Aspekte der psychischen Erkrankung •Diagnostik komorbider psychopathologischer Störungen •Verarbeitung traumatischer Erfahrungen •Stabilisierende, supportive Therapie-Elemente bei strukturellen Störungen Der kommunikative Aspekt des hysterischen Appells • Unbewusste Wünsche und Phantasien werden in der Körpersprache symbolisch verschlüsselt zum Ausdruck gebracht (»Ausdruckskrankheit«). • Oft verbunden mit einem Hilferuf, ein Appell an Mitmenschen, mit deren Hilfe die unerträgliche Situation überwunden werden soll. Hysterie und Subjektivität Hysterie als Wegbereiterin der Wahrnehmung der Subjektivität des Menschen in der Medizin Israel: Die unerhörte Botschaft der Hysterie »Die Hysterie ist revolutionär. Sie stand am Anfang der psychoanalytischen Revolution, aber sie hat bei weitem noch nicht alle ihre Früchte hervorgebracht. So könnte man die Hysterie eingewoben in vielen Protest- und Befreiungsbewegungen wiederentdecken, wie auch in den von repressiven, unterdrückenden Systemen offengelassenen Freiräumen«.