LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen Dominique Zehnpfennig Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie LVR-Klinikum Essen Leitung Prof. Dr. Friederich LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Übersicht • Definition • Klassifikation • Ätiologische Modelle • Handlungsempfehlungen/The rapie LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Psychosomatische Differentialdiagnose Körpersymptom Körperliche Erkrankung Psychische Erkrankung ... mit adäquater Krankheitsbewältigung ... mit inadäquater Krankheitsbewältigung Körperliche Erkrankung und psychische Erkrankung Psychische Erkrankung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Psychosomatische Differentialdiagnose Körpersymptom Körperliche Erkrankung ... mit adäquater Krankheitsbewältigung ... mit inadäquater Krankheitsbewältigung Psychische Erkrankung • Somatoforme Störungen • • • • • Angst, Depression PTSD Neurasthenie (Zoenästhetische Psychose Hypochondrischer Wahn) Körperliche Erkrankung und psychische Erkrankung Psychische Erkrankung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Körperbeschwerden in der Ambulanz Häufigkeit körpl. Beschwerden Rückenschmerzen Schmerzen im Bauch Druckgefühl Müdigkeit Kopfschmerzen Patientengrp. Allg. Bevölk. Übelkeit Völlegefühl Schweiß ausbrüche Herzrasen Sex. Gleichgültigkeit 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen • 25% aller Patienten in der Primärversorgung • In der ambulanten Fachversorgung z.B. • < 5% (z.B. Dermatologie) • > 30% (z.B.Neurologie) • bis zu 50% (z.B. Gastroenterologie) LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was sind somatoforme Störungen? LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoformen Störungen • Manifestation psychogener Störungen in Form von Körpersymptomen und Befindensstörungen • Missempfindungen und Funktionsstörungen in path.-anatomisch intakten Organen • Häufig! 10% der Bevölkerung • Fließende Übergänge zu psychischen Störungen, v.a. Depressionen und Angststörungen • Häufigste Symptome: Erschöpfung, Schmerzen, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf, Magen-Darm LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen „typische“ Patienten mit somatoformen Störungen…… präsentieren körperliche statt psychische Probleme • …berichten von organisch unerklärten Körperbeschwerden • …haben multiple Beschwerden und eine hartnäckige organische Ursachenüberzeugung • …nehmen vermehrt das Gesundheitssystem in Anspruch LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Charakteristika somatoformer Störungen • Anhaltende oder wiederholte Klage über körperliche Beschwerden • Symptomatik ist verbunden mit oft hartnäckigen Forderungen nach weiterer medizinischer Diagnostik trotz wiederholter Versicherungen der Ärzte, dass die Beschwerden nicht ausreichend medizinisch begründbar seien • Beginn und Fortdauer der Symptomatik weisen eine enge Beziehung zu belastenden Lebensereignissen / Konflikten auf LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen • In den somatischen Fachdisziplinen parallele, am organbezogenen Leitsymptom orientierte Klassifikationsmöglichkeit: • „funktionelle Syndrome“ • z.B. Reizdarmsyndrom, Fibromyalgie, Schwindelsyndrom, Spannunskopfschmerz, Rückenschmerzen • Vorteil: fehlende Stigmatisierung als „Psychokrankheit“ • Nachteil: diagnostischer Scheuklappenblick LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation ICD-10 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Somatisierungsstörung (F45.0) •multiple Symptome (≥6 ) jedweder Art/Lokalisation aus ≥2 Bereichen („buntes Bild“) •wiederholt auftretend und häufig wechselnd •mindestens 2 Jahre bestehend; chronisch fluktuierend •ausgeprägte Beeinträchtigung sozialer Funktionen •in „Reinform“ eher selten (Prävalenz in Bevölkerung ca. 1%) LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1) •viel häufigere „kleine Schwester“ •Zahlreiche, hartnäckige und unterschiedliche körperliche Beschwerden •Das typische klinische Vollbild einer Somatisierungsstörung ist aber nicht erfüllt (z.B. keine 2 Jahre, weniger Beschwerden u.a.) •Häufig (Prävalenz in der Bevölkerung >10%) LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3) •Symptome bezüglich eines Organs oder Systems, das weitgehend vegetativ innerviert und kontrolliert ist •2 Symptomgruppen, beide nicht auf eine körperliche Krankheit des betreffenden Organs/Systems hinweisend Objektivierbare Symptome der vegetativen Stimulation als Ausdruck der Angst Subjektive, unspezifische, wechselnde Symptome F45.30 kardiovaskuläres System („Herzneurose“) F45.31 oberer Gastrointestinaltrakt (z.B. funktionelle Dyspepsie, Reizmagen) F45.32 unterer Gastrointestinaltrakt (z.B. Reizdarmsyndrom) F45.33 respiratorisches System (z.B. psychogene Hyperventilation) F45.34 urogenitales System (z.B. Dysurie) F45.38 sonstige LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) •andauernder, schwerer, quälender Schmerz •Mindestdauer 6 Monate •durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht oder nicht vollständig erklärbar •Auftreten in Verbindung mit emotionalem Konflikt oder psychosozialer Belastung •Meist beträchtlich gesteigerte persönliche oder medizinische Hilfe/Unterstützung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) •andauernde Schmerzen ≥6 Monate •Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder körperlicher Störung •Psychische Probleme wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation, Aufrechterhaltung aber NICHT ursächlich für Beginn der Schmerzen •Leiden und Beeinträchtigung in wichtigen sozialen Funktionsbereichen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Hypochondrische Störung (F45.20) •Anhaltende Überzeugung vom Vorhandensein wenigstens einer ernsthaften körperlichen Krankheit als Ursache für vorhandene körperliche Symptome •Angststörung? Dysmorphophobie (F45.21) •Anhaltende Beschäftigung mit einer vermuteten Entstellung / Befürchtung eine gestörte Gestalt zu haben Selbstbeobachtung aus Sorge um den Körper im Vordergrund. •Angststörung? LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatoforme Störungen: Klassifikation Sonstige somatoforme Störungen F45.8 •Störungen der Wahrnehmung, der Körperfunktion und des Krankheitsverhaltens, die nicht durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden •Auf spezifische Teile oder Systeme des Körpers begrenzt •Verbindung zu belastenden Ereignissen und Problemen •z.B. Globus hystericus, psychogener Pruritus, psychogene Dysmenorrhoe, Zähneknirschen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Verwandte Störungen Dissoziative Störungen der Willkürmotorik, Sinnesorgane und Sensorik (F44.4-7) •Große Ähnlichkeit mit fast jeder Form der Ataxie, Apraxie, Akinesie, Aphonie, Dysarthrie, Dyskinesie, Anfällen oder Lähmungen Pseudoneurologische Symptomatik (Konversionsstörungen) •Am häufigsten Lähmungen • folgen oft „subjektiver Anatomie“ •auslösender Konflikt muss erkennbar sein und drückt sich im Symptom im Sinne einer Kompromisslösung aus •in der amerikanischen Klassifikation DSM Teil der somatoformen Störungen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Verwandte Störungen Neurasthenie (F48.0) •gesteigerte Ermüdbarkeit/Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung •weitere Körperbeschwerden (Schwindel, Schmerzen) •Unfähigkeit zu entspannen •entspricht weitgehend dem „Chronic Fatigue Syndrom“ LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen DSM V „Somatic Symptom Disorders“ •soll alle bisherigen Unterformen somatoformer Störungen ersetzen •gegenüber somatoformen Störungen zwei wesentliche Veränderungen: 1. Kriterium der organischen Unerklärbarkeit entfällt 2. psychobehaviorale Merkmale als verbindliche diagnostische Positivkriterien anhaltende Überzeugung von medizinischer Ernsthaftigkeit starke Beschäftigung mit den Beschwerden hohe Gesundheitsangst wegen der Beschwerden LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Störungsbild Kurzcharakterisierung Somatisierungsstörung F45.0 Seltene Extremform; „buntes Bild“; multiple Körperbeschwerden; Dauer >2 Jahre; Prävalenz 1% Undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.1 Viel häufigere Minusvariante; weniger Beschwerden, kürzere Dauer; Prävalenz >10% Hypochondrische Störung F45.2 Organische Ursachenüberzeugung dominiert, nicht Beschwerden selbst Somatoforme autonome Funktionsstörung F45.3 Nach vegetativ innervierten Organen unterteilt. Zeichen der vegetativen Stimulation und organische Ursachenüberzeugung Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.4 Anhaltender schwerer Schmerz dominiert Dissoziative Störungen der Bewegung /Empfindungen F44.4-F44.7 „pseudoneurologische“ Störung der Willkürmotorik und Sensorik; !) Auslösender Konflikt muss erkennbar sein Neurasthenie F48.0 Leitsymptom erhöhte Erschöpfbarkeit LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen Zahl und Dauer organisch nicht ausreichend erklärter Körperbeschwerden • Zahl der ätiologisch unklaren Beschwerden als Schweregradindikator • Zeitverlauf, Chronifizierung, Beschwerdewechsel als Schweregradindikator LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen Ursachenüberzeugung/Krankheitsbefürchtung • Grad der Überzeugung an organischer Erkrankung zu leiden. Ursachenüberzeugung sollte aktiv erfragt werden („was glauben Sie, ist die Ursache Ihrer Beschwerden?“, „spielen auch Stress oder die Nerven eine Rolle?“) • ängstliche Beschäftigung mit Krankheitsmöglichkeit • bei Überwiegen dieser Dimension gegenüber Beschwerdeerleben: hypochondrische Störung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen Emotionaler Distress • • • Ausmaß, in dem negative Affekte in Zusammenhang mit den entsprechenden Auslösern erlebt und ausgedrückt werden Bei somatoformen Störungen häufig komorbid Angst und Depression Belastende Lebensereignisse werden häufig negiert oder ohne emotionales Belastungserleben berichtet (Ausblenden emotionaler Belastung) • Screening: nach Niedergeschlagenheit, Freundlosigkeit, Interessenverlust, Antriebsminderung, Nervosität und Angst fragen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen • Krankheitsverhalten • Oft quantitativ gesteigertes und qualitativ dysfunktionales Krankheitsverhalten: • Patienten wenden sich wiederholt mit großer Hoffnung an neue Behandler, sind enttäuscht, wenn keine „Heilung“ erfolgt • „doctor hopping“ m. vermehrter Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (oft mit selbstdestruktivem Ausmaß), vermehrten Therapieabbrüchen, inkompatiblen Parallelbehandlungen • Patient und Arzt erleben sich als ohnmächtig, hilflos, enttäuscht „Beziehungsstörung im Gesundheitswesen“ LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Beschreibungsdimensionen • Physiologische Normabweichung Auch bei Patienten mit somatoformen Störungen Oft initial wichtige Rolle bei der Auslösung somatoformer Beschwerden bestärkt Pat. in organischer Ursachenüberzeugung Bewährte Haltung: „Sowohl als auch“ LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Ätiopathogenetische Konzepte LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen •Wie verstehen? Verschiedene Modelle LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Ätiopathogenetische Konzepte •Entstehung somatoformer Störungen komplexer multifaktorieller Prozess •Bio-psycho-soziales Modell: Psychodynamische, lerntheoretische, familiendynamische, systemische, soziologische, psychophysiologische, neurobiologische und genetische Aspekte greifen ineinander LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Ätiopathogenetische Konzepte •Anhand von vier basalen Krankheitskonzepten lässt sich die Vielfalt psychosomatischer Erkrankungen sowie deren Ätiopathogenese psychodynamisch verstehen und einordnen: •Konversionsstörung •Somatisierungsstörung •Somato-Psychosomatose •Somatopsychische Erkrankung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Psychosomatosen • • • Organische Erkrankungen mit fassbaren morphologischen Veränderungen, auf deren Entstehung und/ oder Verlauf psychische Faktoren einen starken Einfluss haben. Bsp.: Asthma bronchiale, chronisch entzündliche Darmerkrankungen u.a. LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen somatopsychische Störungen • Seelische Reaktionen auf körperliche Erkrankungen • Primär liegt eine Erkrankung aus dem somatischen Bereich vor • Sekundär wird mit einer psychischen Störung reagiert LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Sprung vom Seelischen ins Körperliche • Prozess der Verkörperlichung seelischer Belastungen und Konflikte • Psychodynamische Konzepte: Konversion Somatisierung Alexithymie Analytische Begriffe / Modelle Beim Gesunden: Affektives Erleben körperliche Wahrnehmungen begleiten die emotionale Wahrnehmung =Affektkorrelate Somatisierung: Wahrnehmung des Körpersymptoms steht im Vordergrund oder ersetzt Affekt = somatisches Affektäquivalent (Überführung von Affekten in Körperbeschwerden/ Störung der Affektwahrnehmung) Analytische Begriffe / Modelle • Konversion: • Umwandlung eines unbewussten Konfliktes in ein Körpersymptom mit Ausdruckscharakter • Funktionen der Sensorik / Motorik beeinträchtigt • „Symbolisierung“ • Der Konfliktinhalt wird „in Körpersprache übersetzt“ • = Körpersprachlicher Ausdruck • (Bsp.: Wunsch aus Beziehung zu fliehen – bedrohlich – Gangstörung) Gestörte Affektwahrnehmung Modell der De- und Resomatisierung • Frühe Entwicklungsstadien: Affekte kommen körperlich (als somatische Affektäquivalente) zum Ausdruck. Einheit psychischer und körperlicher Vorgänge • Gesunde Entwicklung: fortlaufender Prozess der Differenzierung psychischer und körperlicher Zustände = Desomatisierung • Unter krisenhaften Belastungen kann es zu einer Resomatisierung von Affekten kommen • Verschiebung des Erlebens von Affekten hin zu ausschließlich körperlichem Erleben von Affekten •Beeinträchtigung der Affektwahrnehmung zentrale Komponente der Somatisierung •Patienten nehmen Affekte weniger wahr als Vergleichsgruppen Gestörte Affektwahrnehmung Modell der De- und Resomatisierung „Ausreichend gute“ frühe Beziehungserfahrungen führen zu... .... Erfahrungen des Verstandenwerdens / Sich-verstehen-könnens .... Erfahrungen des Beruhigt-werdens / Sich-beruhigen-könnens bezüglich körperlicher und emotionaler Abläufe, für die es • Erklärungen, Worte (= Narrative) Mentalisierung • geeignete Maßnahmen (Selbstwirksamkeit) gibt Gestörte Affektwahrnehmung Modell der De- und Resomatisierung Folgen gestörter früher Beziehungserfahrungen: Körperliche/emotionale Abläufe... - können nicht in der Wahrnehmung differenziert werden: (Was ist primär körperliche Missempfindung? Was ist primär affektiver Spannungszustand?) Desomatisierung nicht möglich - können nicht durch eigenes adäquates Handeln bewältigt / beruhigt werden ( Hilflosigkeit) Multifaktorielle ätiologische Konzepte: • • Physiologische Faktoren: erhöhte physiologische Reaktionsbereitschaft/ individuelle psychovegetative Reaktionsmuster • Genetische/ biographische Faktoren: Krankheiten von Fam.-Mitgliedern, eigene körperliche Vorschädigungen / Erkrankungen (Bahnung), Erfahrungen im Umgang mit Erkrankungen in der Familie Multifaktorielle ätiologische Konzepte: • Kognitive Faktoren: Fokussierung der Aufmerksamkeit auf körperliche Vorgänge, verstärkte Wahrnehmung von Körpermissempfindungen (interozeptive Wahrnehmung), Fehlbewertungen körperl. Wahrnehmungen (Katastrophisieren), fehlerhafte Grundannahmen: Gesundsein bedeutet völlige Abwesenheit von körperlichen Missempfindungen, negative Denkschemata, negatives Selbstbild (schwach, anfällig sein) • Traumatisierungen (körperlich gespeicherte negative Erfahrungen)) Multifaktorielle ätiologische Konzepte Iatrogene Faktoren • Fehlinterpretation von Bagatell- und Zufallsbefunden • Vorschnelle Mitteilung neuer organischer Verdachtsdiagnosen • ausschließlich negative Erklärung der Beschwerden („Sie haben nichts“) bzw. Verwechslung mit Simulation oder Aggravation • Fortsetzung der Diagnostik zur Beruhigung des Pat. • Verschreibung von Medikation trotz zweifelhafter Diagnose • mangelnde Kommunikation mit anderen Behandlern LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Multifaktorielle ätiologische Konzepte Kognitive Fehlbewertung •Somatische Beschwerdeattribution •Fehlbewertung körperlicher Empfindungen •Unrealistischer Gesundheitsbegriff mit geringer Toleranz für normale Beschwerden •Übertriebene Erwartungen an die medizinische Behandlung LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Multifaktorielle ätiologische Konzepte Erhöhte physiologische Reaktionsbereitschaft und somatosensorische Amplifizierung •Erhöhte physiologische Reaktionsbereitschaft körperliches Substrat der Symptombildung •Fehlbewertung körperlicher Signale somatosensorische Amplifizierung •Durch interozeptive Wahrnehmung werden normale körperliche Empfindungen intensiver wahrgenommen und als Symptome einer Krankheit fehlinterpretiert •Vor allem bei somatoformen autonomen Störungen LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Multifaktorielle ätiologische Konzepte Biographische Vulnerabilität •V.a. bei somatoformen Schmerzsyndromen häufig Kindheitsbelastungsfaktoren •Misshandlung, sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung •unsicher vermeidendes Bindungsverhalten, gestörte Affektwahrnehmung •chronische Krankheit der Eltern oder Geschwister beeinflussen modellhaft Symptomwahl LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Multifaktorielle ätiologische Konzepte Bahnung durch körperliche Vorschädigung •Kortikale Engrammierung früherer Erfahrungen •Für Schmerz belegt •Klinische Erfahrung sprechen dafür, dass auch andere somatoforme Symptome durch körperliche Vorschädigung im entsprechenden Organsystem gebahnt werden können LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Multifaktorielle ätiologische Konzepte Soziale und gesellschaftliche Faktoren •Körperliche Erkrankung führt zu Änderung sozialer Rollen •Oft Entlastung von sozialen Anforderungen •Möglichkeit, Anspruch auf soziale Entlastung zu erheben sekundärer Krankheitsgewinn •„Zielkonflikt“ limitierender Faktor einer Psychotherapie LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Komorbidität •Häufig komorbid affektive Störungen (Depression !) •Gleichartigkeit der zugrundeliegenden psychodynamischen Entstehungsprozesse: überkompensatorische Selbstüberforderung zur Abwehr von Gefühlen der Leere und des Verlustes LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Komorbide Störungen eher die Regel als die Ausnahme Major Depression 47% Dysthymie 40% Alkoholabusus 20% Panikstörung 13% Agoraphobie 17% Zwangsstörung 10% LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Therapie Therapieleitlinien in der Primärversorgung • Ausschluß organischer Ursachen! • aber ….. • Vermeiden nicht streng indizierter apparativer und invasiver Prozeduren • kritische Bewertung von Zufallsbefunden • zeitkontingente statt beschwerdekontingente Termine LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Behandlungsschritte in Primärmedizin •Erfragen der Krankheitsvorstellungen des Patienten •Aufgreifen von Hinweisen auf emotionale Belastungen •Induzieren realistischer Behandlungserwartungen initial Enttäuschung aushalten ermöglicht oft stabilere Arbeitsbeziehung •Organmedizinische Diagnostik zur Abklärung geplant, zeitlich gerafft und nicht redundant •Bagatell- und Zufallsbefunde kritisch bewerten LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Behandlungsschritte in Primärmedizin •Bei V.a. somatoforme Störung frühzeitig über das Leitsymptom hinaus erweitern: psychische Beeinträchtigung, psychosoziale Belastungen, bisheriger Verlauf der Beschwerden, Auslösesituation, bisheriger Behandlungsverlauf etc. •Erfragen psychosozialer Zusammenhänge wird besser akzeptiert, wenn es nicht erst am Ende einer langen Kette organischer Abklärungen steht LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Behandlungsschritte in Primärmedizin •Ärztliche Haltung: Entgegennahme der Klage signalisiert dem Patienten, dass er ernst genommen wird •Regelmäßige Einbestellung entlastend, da Patient keine Steigerung der Beschwerdeintensität als Grund für Arztbesuch „braucht“ •Vermittlung eines interaktives Erklärungsmodells der Beschwerden •Frühzeitige Konfrontation „Sie haben nichts, alles psychisch“ ungünstig. LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Behandlungsschritte in Primärmedizin •Gestufte Aktivierung •Überweisung an Fachpsychotherapie vorund nachbereiten •Medikamentöse Therapie im Einzelfall sinnvoll: trizyklische Antidepressiva in analgetischer Indikation •Kontraindiziert: Tranquilizer und Neuroleptika LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Kriterien für Überweisung in Fachpsychohtherapie • Keine Besserung der Beschwerden über 3 Monate • Krankschreibung > 4 Wochen • Psychische Komorbidität • Hinweise auf schwere psychische Belastungsfaktoren • Psychotherapeutischer Behandlungswunsch des Patienten LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Therapeutische Ansätze LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Ausgangssituation in der Psychotherapie Das körperliche Symptom ... • steht in Zusammenhang mit einer psychischen Belastungssituation • hat in diesem Zusammenhang kommunikative Bedeutung (nach „innen“ und „außen“) • ist Ausdruck einer gestörten Affektregulation, die auf eine (früh entstandene) Beziehungsproblematik zurückzuführen ist LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Therapeutische Haltung • Rahmenbedingungen schaffen, in denen der Patient sich und seine Beschwerden verbal und non-verbal darstellen kann (Setting, Beziehungsgestaltung) • Geduldig-interessiert, begleitend-unterstützend, nicht psychologisierend • • • hohe Ansprüche relativieren (z.B. rasche und völlige Symptombeseitigung) kleine Schritte propagieren aktiv Informationen geben über psychosomatische Zusammenhänge LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Erarbeiten eines plausiblen Störungsmodells • Normalerweise sucht der Patient eine Erklärung, die auf eine körperliche Erkrankung hindeutet • Aufgabe des Therapeuten ist es, mit ihm gemeinsam alternative Erklärungsmöglichkeiten zu suchen. Aber: nicht zu früh mit psychologischen Erklärungsmöglichkeiten konfrontieren! • „Sowohl als auch“- Haltung • Das Störungsmodell sollte prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Bedingungen mitbeinhalten. Hilfreich sind Informationen aus dem Symptomtagebuch Therapeutische Arbeit an Selbst- u. Affektwahrnehmung Unklare Affektlage: - mit Affekten in Kontakt kommen - Affektdifferenzierung üben - Bedürftigkeit kennen lernen Erloschene Körperlichkeit: - Körpererleben lebendig werden lassen Unklare Selbstwahrnehmung: - sich mit Selbstreflexion vertraut machen - Aspekte des Selbstbildes kennen lernen - Kontinuität und Kohärenz der eigenen Person auffinden Übungen zur Selbststeuerung: Affektregulation und innere Sicherheit Erregungsspannung reduzieren - Entspannungstechniken - Meditative Techniken Körperwahrnehmung - Übungen zum Körperbewußtsein - Innere Achtsamkeit Gefühl von Sicherheit herstellen - Imaginative Übungen (z.B. der sichere Ort) Arbeit an Beziehungen Die schwer verstehbaren, - die Objekte realistisch sehen lernen enttäuschenden, bedrohlichen Anderen - sich über die eigenen Erwartungen gegenüber den Objekten klar werden (Nähebedürfnisse, Autonomieansprüche, Versorgungswünsche...) - den eigenen Anteil an der Interaktion sehen lernen - die emotionalen Mitteilungen der Objekte klären und verstehen lernen Therapieverlauf Motivationsarbeit Symptomwahrnehmung Introspektion Selbstkonfrontation Therapieverlauf Motivationsarbeit Symptomwahrnehmung Introspektion Selbstkonfrontation Psychosomatisches subjektives Erklärungsmodell „Desomatisierung“ Verändertes Krankheitsverhalten LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit