LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Somatopsychische Störungen Aspekte der Krankheitsbewältigung bei körperlichen Erkrankungen Dr. med. A. Keller-Pließnig Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Komm. Direktor: Prof. Dr. med. H.-C. Friederich Folie 1 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Überblick Somatopsychische Störungen Definitionen, Bedeutung, Entstehung Was bedeutet Krankheit für den Menschen? Aspekte der Krankheitsbewältigung Was beeinflusst den Krankheitsverlauf ? • Compliance/ Adhärenz aus psychosomatischer Sicht • Aspekte des Gesundheitsverhaltens, Prinzipien der Motivationsbildung • Thema Kommunikation Folie 2 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Begriffsklärungen: Folie 3 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Begriffsklärung: Was bedeutet Psychosomatik? • „Krankheitslehre, die psychische Einflüsse auf somatische Vorgänge und die Auswirkungen somatischer Erkrankungen auf psychische Prozesse berücksichtigt.“ (Pschyrembel) • „Lehre von der Wechselwirkung zwischen seelischen, psychosozialen und körperlichen Prozessen in Gesundheit und Krankheit.“ (Ermann) Folie 4 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Begriffsklärung: Was sind Psychosomatosen? Organische Erkrankungen mit fassbaren morphologischen Veränderungen, auf deren Entstehung und/ oder Verlauf psychische Faktoren einen wesentlichen Einfluss haben. Bsp.: Asthma bronchiale, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Neurodermitis u.a. Folie 5 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Zum heutigen Thema: Was sind somatopsychische Störungen? Folie 6 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Begriffsklärung: Was sind somatopsychische Störungen? Seelische Reaktionen auf körperliche Erkrankungen Primär liegt eine Erkrankung aus dem somatischen Bereich vor Sekundär wird mit einer psychischen Störung reagiert „misslungene Anpassung“ an eine Erkrankung Folie 7 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Prävalenz psychischer Störungen bei körperlich Erkrankten Bundesgesundheitssurvey 1998-99, (n=4.181) Folie 8 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Warum sind psychische Aspekte körperlicher Erkrankungen wichtig geworden? 1. durch die drastische Zunahme chronisch-degenerativer Erkrankungen, die die großen Infektionskrankheiten als Hauptursachen von Krankheit und Tod abgelöst haben 2. durch die Erkenntnis, dass psychische Prozesse die Entstehung und den Verlauf dieser Erkrankungen wesentlich beeinflussen können 3. durch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen Folie 9 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Welche somatopsychischen Störungen können auftreten? • Anpassungsstörungen • Depressionen • Angststörungen • Posttraumatische Belastungsstörungen Folie 10 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Anpassungsstörung ICD 10 F43.2 „ … Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder nach schwerer körperlicher Krankheit auftreten.“ Folie 11 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Anpassungsstörung ICD 10 F43.2 • Beginn: innerhalb von 1 Monat nach Ereignis • Dauer: etwa 6 Monate bzw. – Kurze depressive Reaktion (1 Monat) – Längere depressive Reaktion (max. 2 Jahre) – Angst und depressive Reaktion gemischt • Häufigste somatopsychische Diagnose z. B. im Bereich der Psychoonkologie Folie 12 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Typische Symptome der Depression (ICD 10 F32.0-3) bei körperlich Erkrankten nach Endicott Depressive Stimmung Wiederholte Beschäftigung mit Tod oder Selbstmord Psychomotorische Verlangsamung Antriebsarmut Ängstliches oder depressives Erscheinungsbild Appetitverlust, Gewichtsverlust, Schlafstörung Wertlosigkeitsgefühle oder exzessive oder unpassende Schuldgefühle Sozialer Rückzug oder verminderte Kommunikation Sichtbar verminderter Interessenverlust bezüglich der meisten Aktivitäten Grübeln, Selbstmitleid oder Pessimismus Folie 13 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Depression/ depressive Episode ICD 10 F32.0 – 32.3 Kardinalsymptome: • Gedrückte Stimmungslage • Interessenverlust, Freudlosigkeit • Verminderung des Antriebs • Verminderng der Konzentration, Aufmerksamkeit • Vermindertes Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen • Schuldgefühle, Gefühle vn Wertlosigkeit • Negative Zukunftsperspektive • Schlafstörungen • Sozialer Rückzug Folie 14 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Begleitdepression – Prävalenz • 18% Major Depression bei koronarer Herzerkrankung Carney et al (1987) 60:1273-1275 • 18% Major Depression bzw. 27% Minor Depression nach akutem Herzinfarkt Schleifer et al (1989) 149:1785-1789 • 30% Major Depression bei terminaler Niereninsuffizienz Hong et al (1987) 17:185-190 • 51% Major Depression bei Morbus Parkinson Sano et al (1989) 46:1284-1286 • 15-20% Major Depression bei Diabetes mellitus Gavard et al (1993) 16:11671178 • 30-45% Major Depression bei chronischen Schmerzen Masand et al (2001) (personal communication) • 25% depressive Störungen bei Krebspatienten Masand, Spiegel u.a. (2001) Folie 15 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Angststörungen Panikstörung ICD 10 F41.0 = Episodisch paroxysmale Angst • Wiederkehrende schwere Angstattacken, die sich nicht auf eine spezifische Situation beschränken und daher nicht vorhersehbar sind • Plötzlicher Beginn mit starker körperlicher (vegetativer) Reaktion Spezifische Phobien ICD 10 F 40.2 • Angstreaktion (psychisch und/ oder vegetativ) ist auf eine spezifische Situation beschränkt • Die phobische Situation wird vermieden Folie 16 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Posttraumatische Belastungsstörung ICD 10 F43.1 „ ... Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, die bei nahezu jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“ Folie 17 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Posttraumatische Belastungsstörung nach medizinischen Eingriffen Wie werden hoch technologisierte Maßnahmen von Patienten erlebt? Folie 18 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Bei annähernd 5% der Patienten tauchen nach folgenden medizinischen Interventionen posttraumatische Belastungsstörungen auf • Nach Herztransplantation (Dew et al.2001, Stukas et al 1999) • Nach Lebertransplantation (Rothenhäusler et al.2004) • Nach Herzkatheteruntersuchung • Nach Überbrückung mit „Kunstherz“ (Bunzel et al. 2005,2007) • Nach Herzstillstand und Reanimation, Herzoperationen • Nach längerer Behandlung auf der Intensivstation • Nach Behandlung von Verbrennungen • Nach Krebserkrankungen Folie 19 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Posttraumatische Belastungsstörung und intensivpflichtige Ereignisse • 27,5 % nach akutem respiratorischem Distress Syndrom • 11,9 % nach Herzchirurgischen Eingriffen Folie 20 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Posttraumatische Belastungsstörung nach Lebertransplantation Traumaereignisse, die zur PTSD führen Trauma bzw. schlimmstes Ereignis 5 30 25 4 Diagnose Atemnot LTX 3x transplantiert Hilflosigkeit Diagnose 20 Intensiv 29% 15 10 17% Zeit vor LTX 27% 3 2 Angst vor Organmangel 11% 9% 5 Durchgangssyndrom Häufigkeit LTX % Psychotherapeuten 6% 4% Erkrankung 5% 0 N=106 4% 3% 1 Sonstiges 0 Trauma • Häufigstes traumatisches Erlebnis die Diagnosemitteilung • Bei 7% der Patienten PTSD nach Traumakriterien des DSM-IV und Erfüllung des Schwellenwerts nach ETI • PTSD – Symptomatik nach Lebertransplantation verglichen mit einer gesunden Stichprobe höher, mit Patienten nach HTX niedriger Folie 21 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Posttraumatische Belastungsstörung Symptom-Trias Symptome auf der Ebene des Erlebens: • Intrusionen, d.h. überflutendes Wiedererinnern (Bilder, Sinneswahrnehmungen), Albträume Symptome auf der Ebene des Verhaltens: • Vermeidung von möglichen Erinnerungsauslösern (innen u. außen), von Aktivitäten wegen Wiederholungsangst, von Gefühlen (Affektabflachung) Symptome auf körperlicher Ebene: • Übererregung (Hyperarousal), Angst u. Nervosität, innere Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen ... Folie 22 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Wann und wie entstehen somatopsychische Störungen? Ursachen Folie 23 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell Krankheiten werden von einem Wechselspiel zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren verursacht. Grundannahmen des bio-psycho-sozialen Modells: Im Verlauf von Krankheiten sind psychische Faktoren (Emotionen und Kognitionen), zwischenmenschliche, soziokulturelle bzw. sozialgesellschaftliche Faktoren beteiligt. Damit wurde im 20. Jahrhundert das alte biomedizinische Modell abgelöst. Folie 24 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Wann entstehen somatopsychische Störungen? Vulnerabilitätsfaktoren Kohärenzgefühl Krankheitsbewältigung Protektive Faktoren Soziale Unterstützung Junges Alter Geringer Bildungsstand Prämorbide psychische Störung Psychosoziale Bel.-Faktoren Somatopsychische Störungen Krankheitsstress Depressive Störungen Angststörungen Anpassungs- und Posttraumatische Belastungsstörungen Non-Adhärenz Folie 25 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Wann entstehen somatopsychische Störungen? Somatopsychische Störungen entstehen, wenn die psychische Kraft für die Krankheitsbewältigung nicht ausreicht. Folie 26 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Differenzialdiagnostische Überlegungen bei komorbiden psychischen Störungen Biologische Ursachen • Bsp.Hepatitis C-Virus Infektion • Bsp. Schilddrüsenerkrankungen-> Unterfunktion der Schilddrüse • Bsp. Hypercortisolismus bei endokrinen Erkrankungen mit vermehrter -> -> Beteiligung des Zentralen Nervensystems Auschüttung von Stresshormonen Medikamenteninduzierte Ursachen • Interferon-α, Corticosteroide, β-Blocker, Gonadotropin-Releasing Hormon- Agonisten, Tamoxifen u.a. Multifaktorielle Ursachen • Mehrere ätiologische Faktoren bestehen nebeneinander Psychogene Ursachen • Psychische Reaktion auf eine somatische Erkrankung und ihre Behandlung Folie 27 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was bedeutet Krankheit für den Menschen? Die Realität einer schweren körperlichen Krankheit (Krebs, Transplantation, Schlaganfall etc.) führt in menschliche Extremsituationen, die von den Kranken, ihren Familien und ihrem psychosozialen Umfeld bewältigt werden müssen. Folie 28 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was bedeutet Krankheit für den Menschen? Was Krankheit für jeden einzelnen Menschen genau bedeutet, hängt maßgeblich von persönlichen Vorerfahrungen, Kenntnissen, familiären und soziokulturellen Werthaltungen, Bedeutungen und Umgangsformen ab. Folie 29 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was bedeutet Krankheit für den Menschen? Die subjektive Krankheitstheorie • Individuelle Vorstellung des Betroffenen über Krankheitsursachen, Funktion und Bedeutung. • Kann im Widerspruch zum medizinischen Krankheitsverständnis, aber auch zum rationalen Wissen des Betroffenen stehen. • Ist teils bewusst, oft unbewusst Die subjektive Krankheitstheorie hat einen bedeutenden Einfluß auf die Krankheitsbewältigung. Folie 30 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Warum bedeutet Krankheit = Stress oder Welche Aufgaben müssen bewältigt werden? • Emotionale Bewältigung einer ggfs. existenziellen Bedrohung, Kontroll-, Autonomieverlust, Verlust der Unversehrtheit • Selbstkonzept in Frage gestellt: Verlust der körperlichen Integrität, verändertes Körperschema und Selbstbild • Verunsicherung hinsichtlich der sozialen Rollen und Aufgaben (Wer bin ich mit dieser Erkrankung?) • Medizinische Anpassungsforderung: veränderte Umgebung, Beziehungen mit unvertrauten Medizinalpersonen, Konfrontation mit neuen Verhaltensregeln, Fachsprache • Eine neue Perspektive mit evtl. ungewisser Zukunft hinsichtlich des Krankheitsverlaufes muss erarbeitet werden. Misslingt die Bewältigung dieser Aufgaben, entstehen somatopsychische Störungen Folie 31 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was bedeutet Krankheitsbewältigung und was hilft bei der Krankheitsbewältigung? Folie 32 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was ist Krankheitsbewältigung? Unter Krankheitsbewältigung verstehen wir alle bewussten und unbewussten Mechanismen, die ein Betroffener einsetzt, um die Einschränkungen und die Belastungen, die durch eine körperliche Erkrankung und / oder deren Behandlung entstehen, zu überwinden. Folie 33 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was hilft bei der Krankheitsbewältigung? • Protektive Faktoren (vs. individuelle Vulnerabilität) • Bewältigungsstrategien (vs. individuelle Belastung) Folie 34 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was hilft bei der Krankheitsbewältigung? Protektive Faktoren (vs. Vulnerabilität) In zahlreichen Studien und für unterschiedliche Krankheitsbilder wurden als protektive Faktoren belegt: • Resilienz (=innere Ressourcen) • Soziale Unterstützung (=äußere Ressourcen) Folie 35 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Resilienz als protektiver Faktor (innere Ressource) Resilienz = „Widerstandsfähigkeit“ gegenüber Belastungen also „Fähigkeit“ selbst in Extremsituationen unbeschädigt zu bleiben und ggfs. aus diesen Belastungen sogar Anstöße für die Persönlichkeitsentwicklung zu gewinnen. Resilienz = die gelungene Anpassung unter schwierigen Bedingungen Folie 36 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Resilienz als protektiver Faktor: Das Kohärenzgefühl (innere Ressource) Antonovsky¹ prägte den Begriff des Kohärenzgefühls. Es handelt sich dabei um ein beständiges Grundvertrauen, 1. dass internale und externale Reize strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit) 2. über Ressourcen zur Bewältigung stressreicher Situationen zu verfügen (Handhabbarkeit) und 3. dass Anforderungen aus der Umwelt Herausforderungen darstellen, die es wert sind, sich ihnen zu stellen (Sinnhaftigkeit).² ¹ Antonovsky 1979 ² Antonovsky 1987 Folie 37 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was hilft bei der Krankheitsbewältigung? Selbstwirksamkeit (innere Ressource) • Selbstwirksamkeit ist die Einschätzung der eigenen Kompetenz einer Person, ein Verhalten auch in schwierigen Situationen ausführen zu können. • Personen, die sich als selbstwirksam erleben, setzen sich höhere Ziele und initiieren Handlungen schneller, geben auch angesichts von Schwierigkeiten und Barrieren nicht so schnell auf. Bandura 1997 Folie 38 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was hilft bei der Krankheitsbewältigung? Bewältigungsstrategien (innere Ressourcen) Das Copingkonzept Engl. to cope = umgehen mit, bewältigen = das Bemühen, die durch Krankheit aufgetretenen Belastungen emotional, kognitiv und durch Handeln zu bewältigen Copingstrategien = Bewältigungsstrategien Folie 39 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Positive Coping-Strategien • Zupacken • Aktive Informationssuche • Problemanalyse • Positive Phantasien über Möglichkeiten entwickeln • Soziale Unterstützung suchen • Emotionale Entlastung • Sinngebung (religiös) = aktive Strategien Folie 40 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Negative Coping-Strategien • Verleugnung • Gefühlsisolation: Nichtwahrnehmen von Gefühlen • Dissimulieren von Krankheitserscheinungen • Schuldzuweisungen an andere • Sozialer Rückzug und Isolation = passive Strategien Folie 41 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Soziale Unterstützung als protektiver Faktor (äussere Ressourcen) Beziehen Patienten in erster Linie durch ihre nächsten Angehörigen Instrumentellen Unterstützung: z. B. Hilfe bei zu erledigenden Arbeiten, Besorgung von Gütern, Bereitstellung finanzieller Ressourcen. (Schulz und Schwarzer 2003) Emotionale Unterstützung: Die Mitteilung von Wärme, Trost oder Mitleid. Informationelle Unterstützung: Z. B. Liefern von relevanten Informationen und Ratschläge durch Unterstützungsquellen Bewertungsunterstützung: Hier geht es um die Übereinstimmung oder die Angemessenheit von Werten oder Standpunkten Soziale Unterstützung spielt eine große Rolle in der Bewältigung belastender Ereignisse / Krankheiten Folie 42 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Was beeinflusst den Krankheitsverlauf? Folie 43 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Compliance • Compliance ist die Fähigkeit des Patienten, ärztliche Empfehlungen zu akzeptieren und umzusetzen. • Beeinflusst wesentlich den Krankheitsverlauf • Einschätzung der Compliance bekommt bei den Krankheitsbildern eine besondere Bedeutung, bei denen die Umsetzung medizinischer Maßnahmen überlebensrelevant ist (z. B. Transplantationsmedizin). Folie 44 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Compliance oder Adherence? WHO 2003: Adhärenz ist das Maß, mit dem Patienten Therapieempfehlungen umsetzen. ¹² ¹ Haynes 1979 ² WHO 2003 Folie 45 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Compliance oder Adherence? • Der Begriff Adherence (Adhärenz) betont die Tatsache, dass auch die Einstellung des Arztes zum Patienten die Kooperation des Patienten bei seiner Behandlung beeinflusst. • Hier wird mehr auf die Passung von ärztlicher Empfehlung und Akzeptanz / Umsetzung durch den Patienten fokussiert. Folie 46 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Merkmale der Adhärenz in der Medizin Behandlungsadhärenz bei körperlich Erkrankten äußert sich v. a. durch • • • • • • • Einnahmezuverlässigkeit Terminzuverlässigkeit Diäteinhaltung Durchführung von Laborkontrollen, körperliche Betätigung Selbstkontrollen von körperlichen Zeichen (Blutdruck etc.) Fernbleiben von UV Licht Verzicht auf Nikotin-, Alkohol- oder Drogenkonsum Folie 47 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Wie können wir Adhärenz messen? Direkte Methoden • Direkte Beobachtung • Messung von Arzneistoffkonzentrationen in Körperflüssigkeiten • Messung von Markersubstanzen im Blut oder Urin (z.B. Äthylglukuronid) Indirekte Methoden • Arzneimittelschwund-messung (Pill count) • Rezeptwiederholungen (Daten der Krankenkassen) • Patiententagebücher • Patientenbefragung (MESI, Self Report) Folie 48 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Haben somatopsychische Störungen Einfluss auf die Adhärenz und damit auf den Krankheitsverlauf? Depression Adhärenz Krankheitsverlauf und Outcome (Morbidität und Mortalität) Gibt es Evidenz für dieses Bedingungsgefüge? Folie 49 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Auswirkungen komorbider Depressivität auf den Verlauf körperlicher Erkrankungen Nach MYOKARDINFARKT Bei HERZINSUFFIZIENZ • Frasure-Smith et al 1993 4-fach erhöhte Mortalität • • ENRICHD Studie Carney et al. 2003 (358 depressive und 408 nicht depressive Patienten) mehr als 2- fach erhöhte Mortalität in den ersten 6 Monaten nach dem Myokardinfarkt Bei HEPATITIS – C – INFEKTION • Frasure-Smith et al 1999 erhöhte Depressionswerte (BDI) sind ein signifikanter Prädiktor der Mortalität (896 Patienten) im ersten Jahr nach einem akuten Myokardinfarkt • MIND-IT Studie Van Melle et al. 2005 Linksventrikuläre Dysfunktion nach einem Myokardinfarkt korreliert mit der Prävalenz und Ausprägung der Depression • FINE Studie Finland, Italy and Netherlands Elderly bei älteren Männern mit Herzinsuffizienz sind Depressionen ein signifikanter Risikofaktor der Mortalität Kamphuis et al. 2006 • Kostam et al. 2005, Parissis et al. 2005 höhere Hospitalisierungs- und Mortalitätsraten • Whooley et al. 2003 The Heart and Soul Study: Depressive Symptome bestimmen die Lebensqualität der Patienten mit einer KHK. • Angermann et al. MOOD- HF Studie (Wirkung von Escitalopram) Die Interferon induzierte Depression ist bei HCVPatienten häufig (10-40%; Dieperink et al. 2000, Schäfer et al. 2006) und kann eine Dosisreduktion (27-32%) oder vorzeitige Beendigung (11%) der Behandlung notwendig machen (Fried 2002). Folie 50 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Auswirkungen komorbider Depressivität auf den Verlauf körperlicher Erkrankungen Therapiestudien bei Diabetes Mellitus HBA1 – C • Lustmann et al.1998 kognitiv behaviorale Psychotherapie bei Diabetes Mellitus -> HBA1-C Spiegel und Depressivität besser • Williams et al.2004 Problemlösetraining -> Depression besser, aber HBA1-C unbeeinflusst • Goodnick et al.1997 Antidepressiva -> Depressivität und HBA1-C Spiegel besser. Hämodilution mit Acetylsalysilsäure nach Myokardinfarkt • Rieckmann et al. 2006 Aspirin Einnahmeadhärenz nach Myokardinfarkt korrelierte signifikant mit der Depressivität (BDI) Folie 51 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Non-Adhärenz nach Transplantation führt zur Organabstoßung Kidney or kidney/pancreas % Non-Compliance Heart Liver * Beinhaltet nur Non-Adhärenz, welche mit Transplantatverlust assoziiert war. Folie 52 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Grundprinzipien der psychotherapeutischen Intervention für körperlich Erkrankte Allgemeine Therapieziele: Stabilisierung, Unterstützung und Motivationsaufbau • • • • • • • • • Stabilisierung bei Belastungen im Rahmen der Erkrankung Unterstützung des Patienten bei der Bewältigung der Erkrankungs- und Behandlungsfolgen Erarbeitung und Vertiefung von Copingstrategien Förderung von Ressourcen Vermittlung von z. B. Entspannungs-, Imaginationstechniken Vermittlung von Informationen, Psychoedukation Einbeziehung der „somatischen“ Behandler in das Psychotherapiesetting Verbesserung der Kommunikation zwischen Patient und Behandlern u.v.m. Folie 53 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Abgestufte Versorgungsstruktur für körperlich erkrankte Patienten Störungsspezifische Gruppentherapien Symptomverständnis- und Entspannungsgruppen (körperlich Erkrankte mit komorbider psychischer Störung) Krisenintervention Präventive Interventionen vor Beginn einer belastenden Therapie (z. B.Interferonbehandlung bei HCV und Melanompatienten) Screening/ Diagnostik Folie 54 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Welche somatischen Patienten aus dem Klinikum werden regelmäßig psychosomatisch untersucht? • Patienten vor einer Leber-, Nieren-, Herz- und Lungentransplantation Psychosomatische Evaluation mit Gutachtencharakter vor Transplantation: -Liegen somatopsychische Störungen vor, -wie ist die Compliance/ Adhärenz, -wie ist das Gesundheitsverhalten, -über welche Copingstrategien verfügt der Patient, -wie ist die soziale Unterstützung, die Lebenssituation u.a. • Onkologische Patienten (WTZ) • Brustkrebspatientinnen nach der Initialbehandlung • HCV und Melanompatienten jeweils vor dem Beginn einer Interferonbehandlung, wenn sie psychisch nicht ausreichend stabil erscheinen • Auf konsiliarische Nachfrage alle Patienten, die ein Anliegen haben oder die durch somatische Kollegen vorgestellt werden Folie 55 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Aufdeckung komorbider psychischer Störungen durch die Ärzte • Geringe Aufdeckung komorbider psychischer Störungen 1,2,3 • Diagnostische Fähigkeit der Ärzte bei 50%, folglich im Bereich des Zufalls Fazit: Verbesserung der Kenntnisse und der kommunikativen Fähigkeiten der Behandler notwendig 1 Söllner et al. 2001 2 Passik et al. 1998 3 Fallowfield et al. 2001 Folie 56 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Eine aus Sicht der Patienten gute Kommunikation mit dem Arzt bildet die Grundlage für eine vertrauensvolle Beziehung, eine gelungene Informationsvermittlung trägt zu einer guten Compliance und auch zum Erfolg der Behandlung insgesamt bei. Arora NK. Interacting with cancer patients: the significance of physicians` communication behaviour. Soc Sci Med 2003; 57: 791-806. Girgis A, Sanson-Fisher RW. Breaking bad news: Consensus guidelines for medical practitioners. J Clin Psychol 1995; 13: 2449-245. Folie 57 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Eine unklare Kommunikation stellt einen maßgeblichen Prädiktor für eine schlechtere Lebensqualität der PatientInnen sowohl kurz nach Diagnosestellung und Behandlung als auch mehrere Jahre danach dar. Engel J et al. Predictors of quality of life of breast cancer patients. Acta Oncol 2003; 42: 710-8. Kerr J et al. Communication, quality of life and age: results of a 5-year prospective study in breast cancer patients. Ann Oncol 2003; 14: 421-7. Folie 58 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Nicht nur eine Nachricht selbst beeinträchtigt das psychische Befinden der Patienten stark, die Art und Weise der ärztlichen Vermittlung hat entscheidenden Einfluss auf das Ausmaß der Belastung. Spiegel D. Psychosocial aspects of breast cancer treatment. Semin Oncol 1997; 24: 36-47. Gordon GH. Care not cure: dialogues at the transition. Patient Educ Couns 2003; 50: 95-8. Burke MA, Lowrance W, Perczek R. Emotional and cognitive burden of prostate cancer. Urol Clin North Am 2003; 30: 295-304. Jakel P. Patient communication and strategies for managing fatigue. Oncology (Williston Park) 2002; 16:141-5. Ellis PM, Tattersall MH. How should doctors communicate the diagnosis of cancer to patients? Ann Med 1999; 31: 336-41. . Folie 59 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Kommunikation Kommunikation ist unabdingbarer Bestandteil des medizinischen Krisenmanagements und will geübt sein! Folie 60 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Kommunikationsstrategien SPIKES-Gesprächsrahmen (Buckman, Baile, 2001) S Setting und aktives Zuhören P Patienten-Wahrnehmung: Situation und Sorgen I Informationswünsche des Patienten K Kenntnisse: vorhandene, fehlende, falsche E Exploration der emotionalen Reaktion in empath. Weise S Strategie, Zusammenfassung, Rückversicherung Folie 61 LVR-Klinikum Essen Kliniken und Institut der Universität Duisburg-Essen Lernziele für Sie: Was ist wichtig? • Was sind somatopsychische Störungen (Anpassungsstörungen, Depression, PTSD)? • Was hilft bei der Krankheitsbewältigung (protektive Faktoren, wie soziale Unterstützung, Resilienz; Coping)? • Was beeinflusst im weiteren den Krankheitsverlauf (Compliance /Adhärenz, Non-Adhärenz)? • Was sind basale Therapieprinzipien in der Behandlung körperlich Erkrankter? • Warum ist gute Kommunikation wichtig? • Basale Kommunikationsstrategien (SPIKES) Folie 62