Demokratie und gesellschaftlicher Wandel in Afghanistan

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Demokratie und gesellschaftlicher Wandel
in Afghanistan
Empirische Untersuchung zur Akzeptanz demokratischer
Werte in einer islamisch geprägten Gesellschaft
Werner Prohl
Felix Werdin
___________________________________________________________
GLIEDERUNG
ZUSAMMENFASSUNG ................................................................................. 2
EINLEITUNG ............................................................................................ 3
DEMOKRATIE – MENSCHENRECHTE – RECHTSSTAAT ......................................... 3
Grundelemente der Demokratie
....................................................... 3
Gleichstellung von Mann und Frau
Politische Parteien
.................................................... 5
.......................................................................... 6
Wahlen, Partizipation
...................................................................... 7
DEMOKRATISCHE WERTE IN EINER ISLAMISCH GEPRÄGTEN GESELLSCHAFT ............ 8
AKZEPTANZ VON DEMOKRATIE
FAZIT
.................................................................. 11
.................................................................................................. 16
ANHANG 1: Allgemeine Tabellen zur Umfrage
ANHANG 2: Profil einzelner Gruppen
............................................ 18
........................................................ 20
ZUSAMMENFASSUNG
Vom National Center for Policy Research der Universität Kabul wurde unmittelbar
nach Inkrafttreten der neuen Verfassung eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung
finanzierte empirische Untersuchung zu Fragen der Akzeptanz und Entwicklung der
Demokratie in Afghanistan durchgeführt. Das Ergebnis zeigt sowohl
Aufgeschlossenheit der Befragten gegenüber den politischen Veränderungen,
welche der Aufbau der Demokratie mit sich bringt, als auch den Wunsch, diese
Veränderungen mit islamischen Prinzipien in Einklang zu bringen. Damit spiegelt die
öffentliche Meinung das wider, was bereits ein Anliegen der Loya Jirga (Große
Ratsversammlung) war, die über die Verfassung entschied, nämlich Werte des
Islam mit Demokratie nach westlichem Vorbild zu verbinden und so einen
demokratischen, islamischen Rechtsstaat zu schaffen.
Wo diese Vereinbarkeit von islamisch geprägter Kultur und Tradition einerseits und
moderner Demokratie andererseits nicht oder nur schwer zu erreichen ist, werden
die unterschiedlichen Meinungen der progressiven und verharrenden Kräfte in der
Gesellschaft deutlich. Vor allem die in der neuen Verfassung erstmals explizit
festgeschriebene Gleichstellung von Mann und Frau ist ein Aspekt, zu dem die
Meinungen gespalten sind. Wird das aktive und passive Wahlrecht für Frauen noch
mit großer Mehrheit – auch von den Männern – befürwortet, findet das generelle
Prinzip der Gleichheit bei weitem nicht diesen Zuspruch.
In dem Maße, in dem die neuen Werte und Prinzipien über bloße politische
Reformen hinausgehen und - wie zum Beispiel im Falle der Gleichstellung von
Männern und Frauen – einen Eingriff in die gesellschaftlichen Normen darstellen,
steigert sich die Polarisierung der Meinungen. So überrascht es kaum, dass in
Afghanistan die Frauen die 'besseren Demokraten' sind. Sie unterstützen den
Reformprozess mit mehr Nachdruck, weil mit der Einführung der Demokratie auch
ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess in Gang gesetzt wird, der vor allem ihre
eigene Situation betrifft.
In der Studie wird versucht, anhand sich aus der Befragung ergebender Kriterien
Gruppen zu identifizieren, die sich nach dem Ausmaß der Akzeptanz oder
Ablehnung demokratischer Werte unterscheiden:
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Knapp ein Viertel der Befragten (22 %) zeigt eine progressive, demokratische
Reformen besonders befürwortende Einstellung;
weitere 32 Prozent haben eine als liberal einzuschätzende Haltung und sind
aufgeschlossen für demokratische Werte;
eine Gruppe von 34 Prozent der Befragten tendiert zu einer eher konservativen
Einstellung, in der islamische Werte Vorrang vor demokratischen Reformen
haben; und
nur 12 Prozent haben eine ausgesprochen wertkonservative Einstellung
islamischer Prägung und lehnen demokratische Reformen weitgehend ab.
Es stellt sich heraus, dass die Meinung der befragten Frauen innerhalb dieser
Gruppen immer wieder eine wesentliche Rolle spielt. Die Studie widmet sich diesem
Aspekt deshalb besonders und enthält im Anhang zusätzliche Erläuterungen zu den
Auswirkungen auf das Meinungsbild, die sich aus dem Anteil der weiblichen
Befragten in unterschiedlichen Altersgruppen und Ethnien ergeben.
2
EINLEITUNG
Mit der Verabschiedung der neuen afghanischen Verfassung im Januar 2004 wurde
der Grundstein für den Aufbau eines demokratischen Staates gelegt. Gleichzeitig
sind in dieser Verfassung auch Werte und Prinzipien verankert, die Einfluss auf die
Kultur und Traditionen der islamisch geprägten Gesellschaft haben werden und eine
erneute Modernisierungswelle einleiten.
In einer empirischen Untersuchung des National Center for Policy Research an der
Universität Kabul wurde kurz nach Inkrafttreten der neuen Verfassung der Frage
nachgegangen, inwieweit die in der Verfassung verankerten demokratischen Werte
und Prinzipien von der Bevölkerung akzeptiert werden.
Einige der hier untersuchten demokratischen Werte und Prinzipien sind für
Afghanistan nicht neu, sie waren bereits in der Verfassung von 1964 enthalten.
Allerdings wurde diese Verfassung mit dem Sturz der Monarchie im Jahr 1973 außer
Kraft gesetzt und die darauf folgenden Verfassungen, die von kommunistischer
Ideologie geprägt waren, leiteten den Prozess der Schaffung einer modernen,
freien, demokratischen Gesellschaft, der 1964 in Gang gesetzt worden war, in eine
andere Richtung. Die darauf folgenden Jahre des Bürgerkrieges und der Herrschaft
der Taliban ließen demokratische Grundsätze weiter in Vergessenheit geraten.
Während der Beratungen für die neue afghanische Verfassung waren es besonders
zwei Punkte, die bis zuletzt zu hitzigen Debatten führten: Die Ausstattung des
Amtes des Staatspräsidenten mit weitreichenden Kompetenzen und die
Festschreibung gleicher Rechte und Pflichten für Männer und Frauen.
Es ist besonderes der zweite Punkt, der in der vorliegenden Studie untersucht wird,
weil die von der rechtlichen Gleichstellung von Männern und Frauen ausgehenden
Wirkungen auf die von islamischer Kultur und Tradition geprägte Gesellschaft
stärker sind als die Auswirkungen anderer demokratischer Werte und Prinzipien.
Aber auch die gewählte Regierungsform mit einem starken Präsidenten an der
Spitze ist relevant für den gesellschaftlichen Konsens und wird hier angesprochen.
Generell wird darüber hinaus die Frage untersucht, inwieweit das Bemühen der
Verfassunggebenden Versammlung, Werte des Islam mit Demokratie nach
westlichem Vorbild zu verbinden und so einen demokratischen, islamischen
Rechtsstaat zu schaffen, von der Bevölkerung mitgetragen wird.
DEMOKRATIE – MENSCHENRECHTE – RECHTSSTAAT
Grundelemente der Demokratie
Der Begriff "Demokratie" wird heute in Afghanistan umgangsprachlich fast immer
als Beschreibung für das Regime der Kommunisten verwendet, das nach dem Sturz
der Monarchie in den 1970er Jahren entstand und von sich behauptete, dem Land
die Demokratie gebracht zu haben. Unter den Kommunisten wurde die von König
Zahir Schah begonnene allmähliche Modernisierung des Landes forciert und stärker
auf den kulturellen und gesellschaftlichen Bereich ausgedehnt. Mit der Verfassung
von 1976 wurde der Islam als Staatsreligion abgeschafft und der Staat entfremdete
sich der Kultur und Tradition des Volkes. Es ist deshalb heute kaum möglich,
3
Afghanen direkt nach ihrer Meinung über "Demokratie" zu befragen. Die Antworten
würden wenig Aufschluss darüber geben, ob die Befragten tatsächlich ein
demokratisches System, in dem Freiheit, Gleichheit, freie Wahlen und Pluralismus
wichtige Bestandteile sind, akzeptieren oder ablehnen.
Für die im Januar 2004 durchgeführte empirische Untersuchung1 wurde deshalb ein
Katalog von Grundelementen der Demokratie zusammengestellt, der folgende
Einzelpunkte enthielt:
Freiheit
(individuelle) Freiheit
Meinungsfreiheit
Vereinigungsfreiheit
Gleichheit
Gleichstellung von Mann und Frau
aktives Wahlrecht für Frauen
passives Wahlrecht für Frauen
freie Wahlen
freie Wahlen
Bürgerbeteiligung
direkte Stimmabgabe von Frauen
Pluralismus
Parteienpluralismus (allgemein)
Mehrparteiensystem
demokratische Praktiken
Gewaltenteilung
Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluss
Ebenfalls aufgenommen wurden Kriterien wie Einhaltung der Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit.
Aus der Beantwortung der Frage, welche dieser demokratischen Werte und
Prinzipien für "wichtig" erachtet werden, ergab sich folgende Rangordnung:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Rechtsstaatlichkeit
freie Wahlen
Gerechtigkeit
Meinungsfreiheit
(individuelle) Freiheit
Bürgerbeteiligung
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Entscheidung durch Mehrheit
Gleichstellung von Mann und Frau
Parteienpluralismus
Vereinigungsfreiheit
Menschenrechte
Gewaltenteilung
Vor dem Hintergrund von 25 Jahren Krieg, Gesetzlosigkeit und Gewaltherrschaft ist
leicht erklärbar, dass Rechtsstaatlichkeit, freie Wahlen und Gerechtigkeit einen
hohen Stellenwert haben. Dies sind aber auch – und darauf wird an späterer Stelle
noch eingegangen – demokratische Prinzipien, die sich vollständig oder weitgehend
mit der Lehre des Islam decken.
Auffallend nachrangig wird die Bedeutung der Menschenrechte eingestuft. Dies wird
aber zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass einzelne Bestandteile
des Menschenrechtskatalogs in der Befragung separat aufgeführt werden und
jeweils einen höheren Rang einnehmen als die allgemeine Formulierung.
1
Zwischen dem 13. und 30.1.2004 wurden insgesamt 1.386 Personen in sechs Provinzen
befragt. Es werden hier nur ausgewählte Aspekte aus der Umfrage behandelt. Eine vollständige
Analyse ist in Vorbereitung und wird vom National Center for Policy Research in den
Landessprachen Dari und Paschtu veröffentlicht werden.
4
Die für das Funktionieren demokratischer Systeme notwendigen Prinzipien wie
Gewaltenteilung oder Entscheidungsfindung durch Mehrheitsbeschluss werden von
anderen, als wichtiger empfundenen Kriterien in die zweite Hälfte der Rangliste
verdrängt. Damit wird im wesentlichen umrissen, welche Erwartungen der neue
demokratische Staat vorrangig zu erfüllen hat, um das Vertrauen seiner Bürger zu
erlangen und seine Legitimation zu erhalten.
Gleichstellung von Mann und Frau
Die in der obigen Aufzählung nur auf dem achten Rang auftauchende Gleichstellung
von Mann und Frau ist derjenige Aspekt, bei dem wie kaum anders zu erwarten, die
Meinungen von Männern (15 % halten die Gleichstellung für wichtig) und Frauen
(42 %) stark von einander abweichen. Aber auch für die befragten Frauen hat die
Gleichstellung der Geschlechter hinsichtlich ihrer verfassungsmäßigen Rechte und
Pflichten keine absolute Priorität. Wichtiger noch sind ihnen freie Wahlen (65 %),
Meinungsfreiheit (60 %), Rechtsstaatlichkeit (57 %) und Gerechtigkeit (49 %).2
Auch hier ist jedoch zu vermuten, dass die Auswahl dieser Kriterien von den
Befragten stark in Zusammenhang mit ihrer eigenen Situation gebracht wird. Dass
freie Wahlen als besonders wichtig eingeschätzt werden, bedeutet sicher auch, dass
die befragten Frauen ihre eigene Beteiligung an den Wahlen für wichtig halten.
Ebenso dürfte es bei den anderen genannten Punkten sein, bei denen man die
ihnen zugemessene hohe Bedeutung darauf zurückführen kann, dass Frauen in
diesen Bereichen für eine Verringerung von bestehenden Benachteiligungen
votieren – letztlich also wieder für eine Gleichstellung.
An anderer Stelle des Fragebogens wurde gezielt nach dem aktiven und passiven
Wahlrecht für Frauen gefragt. Hier sprach sich eine deutliche Mehrheit aller
Befragten – Männer sowohl als auch Frauen – dafür aus, dass Frauen in diesem
konkreten Punkt die gleichen Rechte haben sollen wie Männer.
89
6
5
100
ja
nein
weiß nicht / keine Antw.
Gesamt
von
Frauen
82
12
6
100
von
Männern
84
10
6
100
"Sollen Frauen das
passive Wahlrecht
haben?"
Antworten in %
von allen
Befragten
ja
nein
weiß nicht / keine Antw.
Gesamt
Tabelle 2
Frage:
von
Frauen
"Sollen Frauen das
aktive Wahlrecht
haben?"
von
Männern
Frage:
Antworten in %
von allen
Befragten
Tabelle 1
76
16
8
100
74
19
7
100
84
10
6
100
Die Diskrepanz zwischen der großen Zustimmung zum aktiven und passiven
Wahlrecht der Frau auf der einen Seite und der andererseits relativ geringen
Bedeutung, die der generellen Gleichstellung der Frau zugemessen wird, weist
darauf hin, dass hier auch andere Aspekte eine Rolle spielen, die über die
Beteiligung von Frauen am politischen Prozess hinausgehen.
2
Weitere Einzelheiten hierzu finden sich in Tabelle 5.
5
Wahlrecht für Frauen besteht bereits seit 1964. Die Rolle der Frau in der
afghanischen Gesellschaft wird aber ungeachtet dessen immer noch stark von
traditionellen, kulturellen und religiösen Einflüssen geprägt, die außerhalb des
Einflusses einer Gesetzgebung im Sinne demokratischer Gleichberechtigung zur
politischen Partizipation liegen.
Die Ende der 1960er Jahre einsetzende Modernisierung Afghanistans brachte auch
einen Wandel in der Rolle der Frau mit sich. Dieser Wandel vollzog sich jedoch vor
allem in der Hauptstadt Kabul, die sich dadurch erheblich vom Rest des Landes
unterschied. Während der Herrschaft der Mujaheddin und des darauf folgenden
Regimes der Taliban war wieder eine rückläufige Entwicklung zu verzeichnen, die
die Frauen in ihre traditionelle Rolle zurückzwang.
Die jetzt wieder einsetzende Demokratisierung beendet die jahrelange
Unterdrückung der Frauen in Afghanistan und verschafft ihnen wieder Zugang zu
Bildung und Arbeitsmarkt. Vermutlich deshalb betonen Frauen demokratische
Grundwerte stärker als Männer. Mit wenigen Ausnahmen setzen Frauen bei den im
obigen Kriterienkatalog enthaltenen Elementen der Demokratie stärkere Akzente
als Männer (vgl. Tab. 5).
Politische Parteien
Parteienpluralismus hat bei den Befragten nur einen geringen Stellenwert unter den
demokratischen Prinzipien, die in der obigen Liste zur Wahl standen (19 %). Eine
Überprüfung dieses Aspektes durch eine direkte Frage relativiert diese Aussage
jedoch:
Nur "eine Partei" wollen 16 Prozent in dem neuen Staat haben,
für "einige Parteien" sprechen sich 30 Prozent aus,
und "viele Parteien" sähen 23 Prozent am liebsten.
(an 100 fehlende Prozentpunkte = "keine Parteien", "weiß nicht" oder keine Angaben)
Aber auch mit 53 Prozent findet ein demokratisches Mehrparteiensystem keine
überwältigende Zustimmung. Generell scheint Zurückhaltung gegenüber politischen
Parteien zu bestehen, in einigen Fällen sogar Misstrauen, wie manche Antworten in
Tabelle 3 zeigen.
Zwar haben 61 Prozent der Befragten eine positive Meinung hinsichtlich der
Wirkung, die von Parteien ausgeht. Dies mag aber darauf zurückzuführen sein, dass
in dem Fragebogen mehr positive als negative Merkmale zur Auswahl standen und
Mehrfachnennungen möglich waren. Es ist für Parteien typisch, dass sie in
Konkurrenz zu einander stehen. Vielleicht ist dies in einer Gesellschaft, die stärker
auf Konsens als auf 'Kampfabstimmungen' ausgerichtet ist, nicht so akzeptabel wie
in westlichen Demokratien.3
3
Ob der in der Tabelle als eine positive Wirkung der Parteien eingestufte politische Wettbewerb
tatsächlich von den Befragten als etwas Positives empfunden wird, ist deshalb nicht wirklich
sicher.
6
Table 3:
Meinungen über politische Parteien
Frage: "Was ist Ihrer Meinung nach die von politischen Parteien ausgehende Wirkung?"
Parteien … verhindern Anarchie
… stärken die Demokratie
…stärken die nationale Einheit
… fördern den Wettbewerb
… schaffen politische Stabilität
… führen zu positiver politischer
Kultur
… fördern Partizipation
positive Auswirkungen
6%
6%
8%
15%
6%
10%
6%
8%
Parteien … schaffen Anarchie
… schwächen die Demokratie
…schwächen die nationale Einheit
12%
8%
61%
8%
7%
… schädigen Afghanistan
… haben versteckte Motive
39%
negative Auswirkungen
Die in der Tabelle nicht widergegebenen Unterschiede in der Meinung von Männern und
Frauen sind bei den Antworten zu dieser Frage nicht gravierend, Frauen neigen
allerdings zu einer leicht positiveren Beurteilung.
(alle Zahlen in Prozent der gegebenen Antworten)
Auch die Antworten auf die Frage, welchen Einfluss politische Parteien in der
Zukunft haben sollten, zeugen von einem eher geringen Vertrauen in Parteien.
Insgesamt wünschen sich nur 42 Prozent, dass Parteien künftig einen großen oder
sehr großen Einfluss haben sollten:
Einen "sehr großen" Einfluss der Parteien wünschen sich 11 Prozent,
einen "großen" Einfluss 31 Prozent,
"es ist egal" sagten 19 Prozent,
"keinen" Einfluss der Parteien wollen 15 Prozent und
"überhaupt keinen" Einfluss wünschen sich 9 Prozent.
(an 100 fehlende Prozentpunkte = "weiß nicht" oder keine Angaben)
Wahlen, Partizipation
Trotz der beschriebenen Skepsis gegenüber politischen Parteien sind freie Wahlen
für etwa zwei Drittel der Befragten wichtig und haben damit nach dem Rechtsstaat
in der oben gezeigten Liste den zweithöchsten Stellenwert im Vergleich zu anderen
demokratischen Grundprinzipien.
Groß ist auch das zum Ausdruck gebrachte Vertrauen der Befragten darin, dass ihre
bei den Wahlen abgegebene Stimme eine Wirkung hat: 57 Prozent sind "überzeugt"
und 27 Prozent "denken" immerhin noch, dass sie mit ihrer Stimme Einfluss
nehmen.
Im Widerspruch dazu steht jedoch, dass die Bedeutung, die der Beteiligung der
Bürger beigemessen wird, innerhalb der Liste der demokratischen Grundsätze mit
nur 29 Prozent deutlich niedriger ausfällt. Diese Zurückhaltung bei der
Bürgerbeteiligung zeigt sich auch in der Beantwortung einer anderen Frage, in der
es darum ging, welche Basis sich die Befragten für den gerade entstehenden Staat
wünschen. Trotz der Möglichkeit von Mehrfachnennungen, die keine EntwederOder-Entscheidung verlangte, sprachen sich nur 30 Prozent für eine "breite
Bürgerbeteiligung" in dem zukünftigen Staat aus, 60 Prozent wählten
7
"Rechtsstaatlichkeit", und 68 Prozent sahen "islamische Prinzipien" als geeignete
Basis für den Staat an.
Wesentlich größeres Interesse hingegen zeigt sich bei einer gezielten Frage nach
Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene:
"Interesse zu haben", gaben 65 Prozent an,
"in manchen Fällen Interesse zu haben", nannten 24 Prozent, und
"kein Interesse" zeigten nur 3 Prozent.
(an 100 fehlende Prozentpunkte = "weiß nicht" oder keine Angaben)
Während sich die Beteiligungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene im wesentlichen
auf die Teilnahme an Wahlen beschränken, gibt es traditionell in den Dörfern und
Gemeinden in Afghanistan lokale Räte (shuras), die sich mit den Angelegenheiten
der Kommune befassen. Diese shuras sind nicht unbedingt demokratisch gewählte
Vertretungsorgane sondern eher eine Art von Ältestenrat, der sich aus lokalen
Führungspersönlichkeiten zusammensetzt und über lokale Belange entscheidet.
Möglicherweise können sich die Befragten unter dem Begriff Bürgerbeteiligung auf
lokaler Ebene etwas Konkretes vorstellen, während für sie die "Teilnahme an
Wahlen" gleichbedeutend mit dem Begriff "freie Wahlen" ist. Wie an manchen
anderen Stellen auch, wird mit diesen vielleicht nicht allgemein verständlichen
Differenzierungen der Umfrage deutlich, dass für den Aufbau eines demokratischen
Staates und die Verinnerlichung demokratischer Werte politische Aufklärung
notwendig ist, die in Afghanistan in der Vergangenheit nicht geleistet wurde und
auch in der relativ kurzen Zeit seit dem Fall des Taliban-Regimes nicht nachgeholt
werden konnte.
DEMOKRATISCHE WERTE IN EINER ISLAMISCH
GEPRÄGTEN GESELLSCHAFT
Islamische Werte und Grundsätze sowie eine stark vom Islam geprägte Kultur und
die Traditionen der Afghanen sind zusammengenommen ein entscheidender Faktor
für die Akzeptanz oder Ablehnung demokratischer Werte und Prinzipen. Für die in
ihrer traditionell dominierenden Rolle verhafteten Männer sind demokratische Werte
wie Gleichheit der Rechte von Mann und Frau der Beginn von gesellschaftlichen
Veränderungen, die sie teilweise nur schwer akzeptieren können. Auf der anderen
Seite sehen Frauen in der Verwirklichung demokratischer Grundsätze wie der
Gleichberechtigung eine Möglichkeit, sich der von Kultur und Tradition auferlegten
Fesseln zu entledigen. Beiden geht es dabei wahrscheinlich aber nicht vorrangig um
Demokratie an sich oder das politische System überhaupt sondern um Einflüsse, die
verändernd auf die traditionell geprägte Gesellschaft wirken – von den Männern
weitgehend eher als negativ empfunden, von den Frauen als positiv.
Sicher lässt sich solch eine grobe Verallgemeinerung der Einstellung von Männern
und Frauen nur schwer aufrechterhalten. Dies soll hier auch nicht versucht werden.
An zahlreichen Beispielen zeigt sich jedoch, dass die Meinungen von Männern und
Frauen immer dann besonders stark voneinander abweichen, wenn demokratische
Wertvorstellungen die Rolle der Geschlechter betreffen oder andere kulturell
sensible Fragen betroffen sind. Bereits bei der Bedeutung, die unterschiedlichen
8
demokratischen Grundelementen zugemessen wird, flacht das allgemeine Interesse
ab, wenn es zum Beispiel um demokratische Praktiken der Meinungsbildung oder
Entscheidungsfindung geht. Hohe Bedeutung wird den Fragen beigemessen, bei
denen die demokratischen Grundsätze in Bereiche eingreifen, die das kulturelle
Gefüge der Gesellschaft betreffen.
So zeigt sich denn auch, dass die Akzeptanz einzelner demokratischer Werte und
Prinzipien stark davon abhängt, ob diese sich mit islamischen Werten und
Grundsätzen und mit der Kultur des Landes vereinbaren lassen. Und wenn in
diesem Anschnitt im weiteren der Begriff "Islam" verwendet wird, ist damit nicht –
oder in einigen Fällen nicht ausschließlich – die Religion gemeint sondern der Begriff
schließt auch die vom Islam geprägte Kultur und die Traditionen der Gesellschaft
ein. In der nachfolgenden Tabelle 4 finden sich die eingangs bereits aufgezählten
demokratischen Werte und Prinzipien wieder, diesmal zusammen mit anderen
Punkten und sortiert nach "demokratisch/undemokratisch" bzw. "mit dem Islam,
der Kultur und den Traditionen vereinbar/nicht vereinbar" dargestellt.4
Table 4:
Demokratische Werte und Prinzipien und
ihre Vereinbarkeit mit dem Islam
Undemokratische
Werte oder
Regierungsformen
Demokratische Werte und Prinzipen
Kategorie 1
demokratische Werte
und Prinzipen die nicht
oder nur teilweise mit
islamischen Werten
vereinbar sind
Kategorie 2
demokratische Werte
und Prinzipien, die ganz
oder zum größten Teil
mit islamischen Werten
vereinbar sind
Kategorie 3
demokratische Werte
und Prinzipien, die sich
mit islamischen Werten
decken oder diesen
nicht widersprechen
14%
Parteienpluralismus
3%
12%
(individuelle)
Freiheit
6%
Rechtsstaatlichkeit
Entscheidungen
durch Mehrheitsbeschluß
4%
Gewaltenteilung
3%
freie Wahlen
Beachtung der
Menschenrechte
3%
Bürgerbeteiligung
6%
Vereinigungsfreiheit
4%
Gerechtigkeit
11%
Meinungsfreiheit
17%
Summe für
diese
Kategorie
34%
Summe für
diese
Kategorie
Gleichstellung
von Mann und
Frau
Summe für
diese
Kategorie
Kategorie 4
undemokratische Prinzipien oder Regierungsformen, die dem Islam
entsprechen oder von
diesem toleriert werden
"wohlwollender
10%
Diktator" (starker Herrscher)
religiöses
Regime
3%
4%
strikte Anwendung islamischen Rechts
7%
9%
Militärregime
1%
28%
Summe für
diese
Kategorie
21%
Gesamtsumme 100 %
Die Prozentzahlen in Tabelle 4 beziehen sich auf die Zahl der Nennungen für jeden einzelnen
aufgeführten Aspekt im Verhältnis zu allen Nennungen (Mehrfachnennungen waren
möglich). Insofern unterscheiden sie sich von vorher bereits genannten Prozenten, die sich
jeweils auf die Zahl der Befragten bezogen, welche den jeweiligen Punkt nannten.
Der Vergleich zeigt, dass demokratische Werte, die sich nicht oder nur teilweise mit
islamischen Werten und Grundsätzen vereinbaren lassen, in ihrer Summe nur bei
17 Prozent der Befragten Zuspruch finden. Fast ebenso gering ist mit 21 Prozent
die Gruppe derjenigen Befragten, die undemokratische Prinzipien oder
Regierungsformen befürworten, auch wenn diese dem Islam entsprechen oder von
ihm toleriert werden. Den deutlich größten Zuspruch finden solche Werte und
4
Die Kategorisierung der einzelnen Punkte nach ihrer Vereinbarkeit von Demokratie und Islam
wurde von den an der empirischen Untersuchungen beteiligten Wissenschaftlern der
Universitäten Kabul und Kapisa vorgenommen.
9
Prinzipien, die ganz oder überwiegend sowohl demokratisch als auch mit dem Islam
vereinbar sind.
Tabelle 5: Rangfolge der als wichtig betrachteten Werte und
Prinzipien
Antworten in %
von
Frauen
Rechtsstaatlichkeit
freie Wahlen
Gerechtigkeit
"wohlwollender Diktator"
Meinungsfreiheit
strikte Anw. islam. Rechts
(individuelle) Freiheit
Bürgerbeteiligung
Entscheidung durch
Mehrheit
Gleichstellung von Mann
und Frau
Parteienpluralismus
Vereinigungsfreiheit
Menschenrechte
religiöses Regime
Gewaltenteilung
Militärregime
Zuordnung zu den in
Tabelle 4 erläuterten
Kategorien
von
Männern
"Welche der hier
genannten Werte und
Prinzipien halten Sie für
wichtig?"
von allen
Befragten
Frage:
75
64
61
56
50
40
32
29
82
63
65
58
45
44
27
28
57
65
49
51
60
30
40
30
23
22
24
X
23
15
42
X
19
19
19
16
15
6
18
17
18
17
17
5
22
22
22
12
9
9
1
2
3
4
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Die Tabelle zeigt die gleiche Rangfolge, die bereits im
Abschnitt über die Grundelemente der Demokratie genannt
wurde, in die hier aber ergänzend die als undemokratisch
eingestuften Werte bzw. Regierungsformen (schattiert
dargestellt) entsprechend der Häufigkeit ihrer Nennung
eingefügt wurden.
Die Tabelle verdeutlicht noch einmal die bereits angesprochene Tendenz der
weiblichen Befragten, sich stärker für demokratische Werte auszusprechen. Hier
zeigt sich jetzt auch, dass dem entsprechend die Zustimmung von Frauen zu den
als undemokratisch eingestuften Punkten geringer ausfällt als bei Männern.
Überraschend ist, dass 30 Prozent der Frauen eine strikte Anwendung islamischen
Rechts für wichtig halten. Es scheint sich nur schwer erklären zu lassen, dass eine
besonders im Familienrecht die Frauen stark benachteiligende Rechtsordnung von
knapp einem Drittel der Frauen als wichtiges Grundprinzip angesehen wird,
Rechtsstaatlichkeit nach westlichem Vorbild hingegen nur unterdurchschnittlichen
Zuspruch erhält. Es sind vor allem jüngere Frauen (36 % sind unter 25, weitere 38
% zwischen 25 und 34 Jahre alt) und solche mit einer mittleren bis höheren
Schulbildung (zus. 56 %), die eine strikte Anwendung der Scharia als wichtig
bezeichnen.
Gerade für einen aus einem anderen Kulturkreis stammende Betrachter passt
dieser Punkt nicht ganz in das sich aus den übrigen Aspekten ergebende Bild. Ein
religiöses Regime allerdings – und das passt nun wieder ins Bild – wollen die
weiblichen Befragten nicht, auch wenn, wie an früherer Stelle bereits zitiert,
10
islamische Werte die Basis für den neuen Staat bilden sollen.5 Nach den Gründen
für diese Diskrepanz befragt führen afghanische Soziologen Nachwirken der
Herrschaft der Taliban zur Erklärung an. Bei den jüngeren Afghaninnen, die
seinerzeit nicht aus dem Land geflohen waren und sich in das System fügen
mussten, entwickelte sich ein (meist allerdings nur oberflächlicher) islamistischer
Fundamentalismus, der in den Antworten zu der vorliegenden Umfrage zum
Ausdruck kommt. Aus der Befragung lassen sich keine weiteren Erkenntnisse zu
diesem Punkt ableiten. Ein starker Widerstand gegen Demokratie scheint sich
jedoch durch die Befürwortung der Scharia nicht zu entwickeln.
Für alle Befragten ist ein starker Herrscher ("wohlwollender Diktator") eine
durchaus akzeptable Alternative zu einer auf demokratischer Basis legitimierten
Regierung. Hierin kann unter Umständen zum Ausdruck kommen, dass nach den
Jahren der Zerrissenheit des Landes und der immer noch nicht vollständigen
Kontrolle der Zentralregierung über die von lokalen Kommandanten kontrollierten
Provinzen die 'starke Hand' gesucht wird, die die Einheit des Landes wieder
herstellt.
An der neuen Verfassung ist vielfach kritisiert worden, dass sie dem Präsidenten
eine zu große Macht einräumt, da sich seine Kompetenzen auf die Exekutive,
Legislative und Justiz erstrecken (Artikel 60). So berechtigt eine solche Kritik vom
Standpunkt der Demokratietheorie her auch sein mag, der Meinung der
Bevölkerung entspricht sie nicht. Auch hat die in Demokratien nach westlichem
Vorbild als unabdingbar angesehene Trennung der Gewalten in der politischen
Theorie des Islam keine so große Bedeutung. Lediglich die Unabhängigkeit der
Justiz ist unverzichtbar, zwischen Legislative und Exekutive gibt es keine scharfe
Trennung. Bereits die Untersuchung verschiedener demokratischer Prinzipien im
ersten Abschnitt zeigte, dass Gewaltenteilung als am wenigsten wichtig angesehen
wird.
AKZEPTANZ VON DEMOKRATIE
Wie bereits ausgeführt, bedeutet Akzeptanz von Demokratie in Afghanistan mehr
als die Zustimmung zu einem politischen System. Demokratische Grundwerte zu
akzeptieren heißt gleichzeitig, aufgeschlossen zu sein für eine Entwicklung, die zum
Teil tief in die traditionelle und kulturelle Identität der Gesellschaft eingreifen kann.
Im Design der Befragung war dieser Aspekt, dessen Bedeutung sich erst bei der
Auswertung der Antworten herausstellte, nicht vorgesehen.
Die vorhandene Datenbasis ist deshalb mangels gezielter Fragen in diese Richtung
nicht ausreichend, um eine einigermaßen verlässliche Darstellung der sozialen
Differenzierung vorzunehmen, die in den unterschiedlichen Graden der Akzeptanz
demokratischer Werte bzw. der Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel
verborgen sein mag.
Es kann hier nur versucht werden, sich diesem Thema anzunähern, indem ein auf
den vorhandenen Daten basierendes Profil grob definierter Gruppen erstellt wird,
5
In der Umfrage wurde unterschieden zwischen einem "religiösem Regime" als einem Staat in
dem die religiösen Führer die Macht haben und einer säkularen "islamischen Republik".
11
die mehr oder weniger fließend in einander übergehen. Wesentliche Grundlage für
diese Einteilung war der bereits zitierte Katalog von Werten und Prinzipien, die als
demokratisch oder undemokratisch bzw. in unterschiedlichem Ausmaß als mit dem
Islam vereinbar angesehen werden.
Auf einer Skala, die von einer vorbehaltlosen Befürwortung demokratischer Werte
ohne Rücksicht auf deren Vereinbarkeit mit dem Islam bis zu einer stark
islamischen Orientierung, die wenig Bereitschaft für die Akzeptanz demokratischer
Werte und Prinzipen aufweist, können aufgrund der gegebenen Antworten in ihrer
jeweiligen Kombination unterschiedliche Gruppen identifiziert werden.
Abb. 1:
Unterschiedliches Ausmaß von Demokratieakzeptanz
Orientierung an islamischen
Werten, wobei es kaum oder
gar nicht darauf ankommt, ob
diese auch demokratisch sind
Orientierung an demokratischen
Werten, wobei es kaum oder gar
nicht auf deren Vereinbarkeit mit
dem Islam ankommt
Gruppe
A
Gruppe
B
Gruppe
C
Gruppe
D
Deutliche
Befürworter
demokratischer
Werte und
Prinzipien
Befürworter
demokratischer Werte
und Prinzipien, für
welche eine
Vereinbarkeit dieser
Werte mit dem Islam
eine erkennbare
Bedeutung hat
Auf Konsens fokussierte
Befürworter solcher
demokratischen Werte,
die mit dem Islam im
Einklang sind
Befürworter
islamischer
Werte mit
wenig Aufgeschlossenheit für
Demokratie
22 %
32 %
34 %
12 %
Während die beiden sich deutlich von einander unterscheidenden Gruppen an den
Enden der Skala relativ klein sind, strebt das Gros der Befragten (66 %) eine
Vereinbarkeit islamischer und demokratischer Werte an.
Eine charakterisierende Beschreibung der einzelnen Gruppen wird nachfolgend
gegeben:
GRUPPE A
(22 %)
Deutliche Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien
Diese Gruppe befürwortet deutlich demokratische Werte und Prinzipien auch in den
Fällen, wo sich diese nicht oder nur schwer mit den traditionellen und/oder vom
Islam geprägten kulturellen Wertvorstellungen vereinbaren lassen. Damit spricht
sich die Gruppe nicht nur für die Demokratie als gewünschte Staats- und
Regierungsform aus sondern zeigt auch eine besonders große Aufgeschlossenheit
für gesellschaftlichen Wandel. Ein religiöses Regime (Herrschaft der Mullahs) oder
eine strikte Anwendung islamischen Rechts kommen für die Befragten in dieser
Gruppe nicht in Frage, sie halten auch nichts von einem "wohlwollenden Diktator".
12
Charakterisierende Merkmale:6
ƒ ALTER: Junge Leute (18-24) sind die stärkste Altersgruppe, sie tendieren aber
nicht überwiegend hierhin.
ƒ BILDUNG: Die Gruppe enthält überdurchschnittlich viele Befragte mit mittlerer
Schulbildung (12. Klasse abgeschlossen), bei den Befragten mit höherer Bildung
liegt sie unter dem Durchschnitt.
ƒ BERUF: Arbeitslose und Staatsangestellte sind überproportional vertreten. Hierzu
sei noch angemerkt, dass in der Stichprobe Staatsangestellte mit einer mittleren
Schulbildung stark zur Gruppe A tendieren während Staatsangestellte mit einer
höheren Schulbildung auffallend häufig zur Gruppe D gehören.
ƒ GENDER: Frauen sind hier stärker vertreten (50 %) als in den Gruppen B bis D.
ƒ REGIONAL: Die Gruppe ist in Kabul prozentual stärker als in anderen
untersuchten Provinzen; Dari sprechende Bevölkerungsgruppen sind stärker
vertreten als andere, aber auch sie tendieren nicht überwiegend hierhin.
Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen:
ƒ folgende Grundelemente der Demokratie werden häufiger genannt als in allen
anderen Gruppen:
-
Freiheit
Gleichstellung von Mann und Frau
Menschenrechte
Parteienpluralismus
ƒ die Meinung zu politischen Parteien ist weder ausgesprochen positiv noch negativ
ƒ Rechtsstaatlichkeit hat nicht den großen Vorrang wie in anderen Gruppen7
GRUPPE B (32 %)
Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien, für welche eine
Vereinbarkeit dieser Werte mit dem Islam eine erkennbare Bedeutung hat
Diese Gruppe hält seltener als Gruppe A solche demokratischen Werte für wichtig,
die sich nicht oder nur schwer mit islamischen Werten vereinbaren lassen.
Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit sind dieser Gruppe bei einer demokratischen
Grundeinstellung wichtiger als individuelle Freiheit. Die Gruppe lehnt ein religiöses
Regime und die strikte Anwendung der Scharia ab, jedoch etwa die Hälfte halten
die Herrschaft eines "wohlwollenden Diktators" für eine geeignete Regierungsform.
Charakterisierende Merkmale:
ƒ ALTER: Die verschiedenen Altersgruppen sind gleichmäßig vertreten.
ƒ BILDUNG: Es gibt einen hohen Anteil an Befragten mit mittlerer und höherer
Bildung (zusammen ähnlich wie Gruppe A, aber höherer Bildungsdurchschnitt als
die Gruppen C und D).
6
Die zur Charakterisierung der Gruppen herangezogenen Faktoren Alter, Bildung, Beruf, Gender
und Regionen bzw. Ethnien, die auf Unterschiede zwischen den Gruppen bzw. bestehende
Gemeinsamkeiten hinweisen, sind in tabellarischer Form im Anhang 2 zusammengestellt und
weiter erläutert.
7
Bei einer Betrachtung im Kontext mit anderen Aspekten ist zu vermuten, dass von den
Befragten unter "Rechtsstaatlichkeit" nicht der demokratisch verfasste Rechtsstaat verstanden
wird sondern eine "Law-and-order"-Politik.
13
ƒ BERUF: Ebenfalls wie in Gruppe A ein relativ hoher Anteil an Staatsangestellten
mit mittlerer Schulbildung.
ƒ GENDER: Die Gruppe setzt sich zu 80 Prozent aus Männern zusammen.
ƒ REGIONAL: Überdurchschnittlich stark ist diese Gruppe in den Provinzen Bamyan
(60 %) und Jalalabad (44 %), während der Durchschnitt bei 22 Prozent liegt.
Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen:
ƒ Die Gruppe fällt kaum dadurch auf, dass sie bestimmte Werte oder Prinzipien
stärker hervorhebt als andere Gruppen. Häufig werden genannt:
- Rechtsstaatlichkeit
- Meinungsfreiheit (nur diesen einen Punkt betont Gruppe B stärker als alle
anderen Gruppen)
- Gerechtigkeit
ƒ Befragte in dieser Gruppe haben die positivste Meinung von politischen Parteien
im Vergleich zu den anderen Gruppen und wünschen sich in der Zukunft einen
starken oder sehr starken Einfluss der Parteien (zus. 56 %)
GRUPPE C (34 %)
Auf Konsens fokussierte Befürworter solcher demokratischen Werte, die
mit dem Islam im Einklang sind
Wie auch in Gruppe B stehen bei dieser Gruppe Rechtsstaatlichkeit und
Gerechtigkeit stark im Vordergrund. Gleichzeitig halten hier jedoch 75 Prozent
einen "wohlwollenden Diktator" für wichtig, und 68 Prozent sprechen sich für eine
strikte Anwendung islamischen Rechts aus. Demokratische Werte, die sich nicht
oder nur teilweise mit islamischen Werten decken, wie individuelle Freiheit,
Menschenrechte und die Gleichstellung von Mann und Frau treten gegenüber den
bisher genannten Gruppen in den Hintergrund.
Charakterisierende Merkmale:
ƒ ALTER: Die Verteilung der Altersgruppen entspricht weitgehend dem
Durchschnitt.
ƒ BILDUNG: Der Anteil von Befragten mit einer mittleren Schulbildung nimmt
gegenüber den vorher genannten Gruppen deutlich ab, dafür steigen die Anteile
derer, die gar keine Schulbildung haben und gleichzeitig derer mit einer höheren
Bildung (ein Trend, der sich in Gruppe D noch stärker fortsetzt).
ƒ BERUF: Der Anteil an Staatsangestellten ist geringer als in allen anderen
Gruppen, relativ stark vertreten sind Bauern, Arbeiter und Handwerker;
Mujaheddin und Angehörige des Militärs tauchen in dieser Gruppe vermehrt auf.
ƒ GENDER: Frauen sind mit 23 Prozent auch in dieser Gruppe nur schwach
vertreten.
ƒ REGIONAL: In der Provinz Kandahar (zu 75 % paschtunische Bevölkerung,
ehemals Zentrum der Taliban) ist diese Gruppe besonders stark.
Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen:
ƒ Häufig genannt werden Punkte, die überwiegend nicht demokratischen Werten
entsprechen:
- Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit
- "wohlwollender Diktator"
14
- strikte Anwendung islamischen Rechts
ƒ die Einstellung zu politischen Parteien ist weitgehend durchschnittlich mit einer
leichten Tendenz zu negativer Beurteilung;
ƒ zwar findet sich noch eine Mehrheit für Parteienvielfalt, die dem Durchschnitt
entspricht (zus. 54 % sind für "einige" oder "viele" Parteien), aber
Parteienpluralismus generell hat eine geringe Bedeutung als in den vorher
genannten Gruppen.
GRUPPE D (12 %)
Befürworter islamischer Werte mit wenig Aufgeschlossenheit für
Demokratie
Diese Gruppe favorisiert sehr deutlich islamische Werte, kann aber keinesfalls als
insgesamt extremistisch angesehen werden. Mit 12 Prozent aller Befragten ist dies
bereits die kleinste Gruppe, der Anteil wirklich extrem gesinnter, der Demokratie
ausgesprochen feindlich gegenüber stehender Kräfte innerhalb dieser Gruppe dürfte
jedoch noch einmal erheblich geringer ausfallen.
Charakterisierende Merkmale:
ƒ ALTER: Leicht überdurchschnittlich vertreten sind die Altersgruppen der 2534jährigen und der 35-44jährigen, unterdurchschnittlich dagegen die unter
25jährige.
ƒ BILDUNG: Stärker als in allen anderen Gruppen sind Befragte ohne Schulbildung
in dieser Gruppe vertreten, gleichzeitig aber auch diejenigen mit höherer Bildung.
ƒ BERUF: Bauern, Arbeiter und Handwerker sind auch in dieser Gruppe
überdurchschnittlich stark vertreten; ebenfalls haben Staatsbedienstete mit einer
höheren Ausbildung einen relativ hohen Anteil; die Gruppe hat den höchsten
Anteil an Mujaheddin und Soldaten.
ƒ GENDER: Mit nur 10 Prozent sind Frauen in dieser Gruppe am schwächsten
vertreten.
ƒ REGIONAL: Regional sind keine Abweichungen vom Durchschnitt zu bemerken.
Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen:
ƒ Mit jeweils mehr als 90 Prozent spricht sich diese Gruppe für Rechtsstaatlichkeit,
Gerechtigkeit und die strikte Anwendung islamischen Rechts aus; mehr als die
Hälfte (55 %) stimmen für ein religiöses Regime;
ƒ am geringsten (jeweils unter 10 %) sind in dieser Gruppe die Befürworter von
Werten wie Freiheit, Menschenrechte, Parteienpluralismus und
Entscheidungsfindung durch Mehrheitsbeschluss; die Gleichstellung von Männern
und Frauen sehen nur zwei Prozent als wichtig an;
ƒ die Einstellung zu politischen Parteien ist tendenziell negativer als bei anderen
Gruppen, trotzdem wird auch hier von mehr als der Hälfte ein starker oder sehr
starker Einfluss der Parteien in der Zukunft gewünscht.
15
FAZIT
Die Erfahrungen, die Afghanistan bisher nur ansatzweise mit demokratisch
legitimierten Regierungen hatte, konnten nicht dazu führen, dass demokratische
Werte und Prinzipien fest in der Gesellschaft verankert sind. Hinzu kommt, dass die
Werte aus der eigenen Kultur, Tradition und Religion in manchen Punkten nicht in
vollem Umfang mit denen eines modernen, demokratischen Staates vereinbar sind.
In der neuen Verfassung wurde der Versuch unternommen, die Kultur und Tradition
des Landes und vor allem die Religion des Islam mit demokratischen Normen zu
vereinen, um einen modernen, demokratischen Rechtsstaat zu schaffen.
Die in der Umfrage zum Ausdruck kommende Meinung der Bevölkerung scheint mit
diesem Anliegen der Verfassung überein zu stimmen. Rund zwei Drittel der
Befragten befürworten solche Werte und Prinzipien, mit denen sich sowohl
Demokratie als auch Islam identifizieren können. Je stärker diese Vereinbarkeit ist,
je größer ist die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Daneben bestehen aber auch solche Gruppen in der Gesellschaft, denen Werte wie
(persönliche) Freiheit und Gleichheit (z. B. der Rechte von Männern und Frauen)
wichtiger sind als überkommene Traditionen, die mit kulturellen Einschränkungen
der persönlichen Entfaltung verbunden sind. Ihre Befürwortung der Demokratie ist
wohl kaum eine Ablehnung des Islam als Religion sondern eine Ablehnung der von
der islamisch geprägten Kultur errichteten Schranken für diese freie persönliche
Entfaltung. Sie sind aufgeschlossen für Demokratie, weil sie sich davon – in ihrem
Sinne positive – Auswirkungen auf die Gesellschaft erhoffen. Vermutlich hat für sie
nicht Demokratie als politisches System Vorrang, sondern Demokratie als
Wegbereiter für gesellschaftlichen Wandel.
Auf der anderen Seite zeigt sich, dass ein – wenn auch kleiner, aber dennoch zu
berücksichtigender – Teil der Bevölkerung demokratischen Entwicklungen skeptisch
bis ablehnend gegenübersteht. Für sie trifft wahrscheinlich das Gegenteil der
letztgenannten Gruppe zu. Auch sie sehen die selben Wirkungen, welche von
demokratischen Werten ausgehen und zu einem Wandel in der Gesellschaft führen
– aber sie lehnen diesen Wandel ab.
Die Gruppe der Konsens Suchenden ist mit 66 Prozent die stärkste Kraft und man
findet in dieser Gruppe wahrscheinlich ausreichend Akzeptanz und Unterstützung,
um den Aufbau eines demokratischen Staates zu realisieren. Allerdings wird bei
jedem Schritt, mit dem die Verfassung umgesetzt wird, Transparenz, Aufklärungsund Überzeugungsarbeit notwendig sein, um die mehr oder weniger
aufgeschlossene Grundeinstellung zu erhalten.
Bei den 22 Prozent als progressiv einzuschätzenden Befürwortern von Demokratie
und gesellschaftlichem Wandel ist zwar weniger Überzeugungsarbeit zu leisten,
aber um den Enthusiasmus mit dem sie die demokratischen Reformen unterstützen,
zu erhalten, muss man ihnen wohl beweisen, dass die Bestimmungen der
Verfassung mehr sind als bloße Absichtserklärungen. Die dort festgeschriebenen
Rechte und Pflichten müssen auch umgesetzt und eingehalten werden.
Mit diesen beiden Gruppen, die zusammen fast 90 Prozent der Bevölkerung
ausmachen, dürfte Afghanistan eine gute Ausgangsposition für den Aufbau eines
demokratischen Staates haben. Die manchmal geäußerten Bedenken, dass die
afghanische Gesellschaft aufgrund ihrer tribalistischen Strukturen und kulturellen
16
Einschränkungen für die Schaffung eines demokratischen Staates nicht die
erforderlichen Voraussetzungen mitbringe, lassen sich durch das Ergebnis der
Befragung nicht bestätigen.
Gewiss gibt es günstigere Startbedingungen beim Aufbau eines Staates, wie z. B.
Wohlstand und Homogenität der Bevölkerung – zwei Dinge die Afghanistan nicht
aufzuweisen hat. Nach mehr als zwanzig Jahren Krieg und Unterdrückung haben die
Afghanen aber offensichtlich den Wunsch nach einer verantwortungsbewussten,
demokratisch legitimierten Regierung, die den Zustand der Gesetzlosigkeit beendet
und für die Bevölkerung die Rahmenbedingungen schafft, sich auf die Entwicklung
der Persönlichkeit und der Gesellschaft sowie den Wiederaufbau der wirtschaftlichen
Basis zu konzentrieren.
Die im Januar 2004 durchgeführt Untersuchung vermittelt erste Einblicke, die
Anlass für einen relativ optimistischen Ausblick geben, lässt jedoch noch viele
Fragen offen. Eine Reihe von angesprochenen Punkten hinsichtlich der Motivation,
die zu Akzeptanz oder Ablehnung demokratischer Werte führt, bewegt sich noch im
Bereich der Spekulation. Zumindest hat die Befragung jedoch aufgezeigt, wo diese
Lücken sind, so dass sich weitere Untersuchungen auf diese Punkte konzentrieren
können.
Kabul, April 2004
17
ANHANG 1
Allgemeine Tabellen zur Umfrage
Berufe
Provinzen
und Sprachgruppen
Anzahl der Befragten
Anz.
%
Berufe der Befragten
Anz.
%
Kabul
Jalalabad
Kandahar
Herat
Mazar-i Sharif
Bamyan
keine Angaben
492
199
149
145
201
199
1
1.386
36
14
11
11
14
14
0
100
arbeitslos
Bauer
Arbeiter, Handwerker
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid (Freiheitskämpfer)
Soldat
sonstiges oder keine Angaben
Gesamt
118
81
157
146
467
55
39
323
1.386
9
6
11
10
34
4
3
23
100
Sprachgruppen
Anz.
%
Dari
Paschtu
Usbekisch
sonstige oder keine Angaben
Gesamt
738
386
25
237
1.386
53
28
2
17
100
Zusammengefasste
Berufsgruppen für die
statistische Auswertung
Anz.
%
arbeitslos
Bauer, Arbeiter, Handwerker
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid/Soldat
sonstiges
Gesamt *
118
238
146
467
94
94
1.157
10
21
13
40
8
8
100
Anz.
%
985
362
39
1.386
71
26
3
100
Alter
Anz.
%
18 – 24 Jahre
25 – 34 Jahre
35 – 44 Jahre
45 Jahre oder älter
keine Angaben
333
372
297
290
94
1.386
24
27
21
21
7
100
Schulbildung
Anz.
%
keine Ausbildung
weniger als 12 Klassen
12. Klasse abgeschlossen
höhere Bildung
keine Angaben
Gesamt
151
319
345
441
130
1.386
11
23
25
32
9
100
Gesamt
Gender
Männer
Frauen
keine Angaben
Gesamt
* Fragebögen, in denen diese Frage
nicht beantwortet ist, werden bei
der entsprechenden Auswertung nicht
berücksichtig
Altersgruppen
und Schulbildung
Sprachgruppe
und Gender
Gender
Männer
Frauen
18
sonstige
Usbek.
Paschtu
Sprache
Dari
Gesamt
Korrelationen der Daten
für die Analyse der Umfrage
%
69
31
%
79
21
%
88
12
%
80
20
100
100
100
100
100
100
%
20
22
30
28
100
100
100
100
%
0
20
20
60
100
100
100
100
Beruf
arbeitslos
Bauer, Arb., Handw.
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid, Soldat
sonstiges
Sprache
45 Jahre
oder älter
%
41
17
17
25
Alter
35 – 44
Jahre
%
10
20
26
44
%
15
18
14
25
7
21
%
11
19
15
41
8
6
%
10
18
16
44
8
4
%
8
29
8
42
10
3
100
100
100
100
Schulbildung
und Gender
100
100
18 – 24
Jahre
24 – 34
Jahre
35 – 44
Jahre
45 Jahre
oder älter
%
73
27
%
74
26
%
88
12
100
100
100
100
%
65
35
%
71
29
%
79
21
100
100
100
100
Schulbildung
und Beruf
Alter
%
58
42
höhere
Bildung
100
%
80
20
Beruf
arbeitslos
Bauer, Arb., Handw.
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid, Soldat
sonstiges
19
Schulbildung
höhere
Bildung
100
Gender
Männer
Frauen
12. Klasse
abgeschl.
%
0
0
0
100
0
0
12. Klasse
abgeschl.
%
5
43
19
29
4
0
weniger
als 12 Kl.
%
7
21
8
42
10
12
weniger
als 12 Kl.
%
13
20
17
37
8
5
Schulbildung
keine
Ausbildung
sonstige
Usbek.
%
14
23
34
29
24 – 34
Jahre
%
13
29
28
30
Paschtu
%
12
24
24
40
18 – 24
Jahre
sonstige
Usbek.
Paschtu
Dari
%
6
35
24
35
Alter und Beruf
Sprache
Dari
45 Jahre
oder älter
100
35 – 44
Jahre
100
Schulbildung
keine Ausbildung
weniger als 12 Kl.
12. Kl. abgeschl.
höhere Bildung
24 – 34
Jahre
%
0
25
25
50
Alter
18 – 24
Jahre
%
9
31
30
30
Alter und
Gender
Gender
Männer
Frauen
sonstige
%
26
27
21
26
Sprachgruppe
und Beruf
Beruf
arbeitslos
Bauer, Arb., Handw.
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid, Soldat
sonstiges
Usbek.
%
27
30
25
18
Sprachgruppe
und
Schulbildung
Schulbildung
keine Ausbildung
weniger als 12 Kl.
12. Kl. abgeschl.
höhere Bildung
Paschtu
Dari
Alter
18 – 24 Jahre
25 – 34 Jahre
35 – 44 Jahre
45 Jahre o. älter
Alter und
Schulbildung
Sprache
keine
Ausbildung
Sprachgruppe
und Alter
%
14
56
20
1
5
4
%
17
30
17
11
12
13
%
10
18
13
49
8
2
%
4
3
6
69
6
12
100
100
100
100
ANHANG 2
Profil einzelner Gruppen in der Gesellschaft hinsichtlich
ihrer Befürwortung von Demokratie
Altersgruppen / Gender
Die jüngeren Befragten (18 bis 24 Jahre) zeigen mit 29 Prozent in der Gruppe "A"
eine deutlich stärkere Neigung zu demokratischen Werten als alle anderen
Altersgruppen, von der sich durchschnittlich nur 20 Prozent hierfür entscheiden.
Nicht so gravierend hingegen sind die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren
Befragten, die eine klare Präferenz für islamische Werte zum Ausdruck bringen
(zwischen 9 und 14 Prozent).
Gleichzeitig sprechen sich Frauen in der Umfrage deutlich stärker für demokratische
Werte aus als Männer. Von allen befragten Frauen sind 41 Prozent der Gruppe "A"
zuzurechnen, die eine deutliche Präferenz für demokratische Werte zeigt. Bei den
Männern fallen nur 15 Prozent in diese Kategorie. Am anderen Ende der Skala, in
der Gruppe D, die den islamischen Werten deutlich den Vorzug gibt, findet man nur
5 Prozent der befragten Frauen, aber 14 Prozent der befragten Männer.
Der hohe Anteil junger Befürworter der Demokratie liegt unzweifelhaft daran, dass
innerhalb der Stichprobe in dieser Altersgruppe der höchste Anteil weiblicher
Befragter zu finden ist: 42 Prozent aller Befragten im Alter zwischen 18 und 24
Jahren waren weiblich. Damit kommt die Stichprobe der tatsächlichen
Zusammensetzung der Bevölkerung von 48,5 Prozent Frauen und 51,5 Prozent
Männern (Schätzung lt. Central Statistics Office, Kabul, für 2003/2004) sehr nahe.
In der Altersgruppe 45 oder mehr Jahre sind Frauen in der Stichprobe nur mit 12
Prozent vertreten.
Betrachtet man die Antworten der befragten Männer und Frauen separat, ergeben
sich zwischen den Altersgruppen kaum noch gravierende Unterschiede:
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
MÄNNER
Alter
18 – 24 J.
25 – 34 J.
35 – 44 J.
45 J. oder >
Gesamt
Ges
A
B
C
D
%
19
13
12
16
15
%
33
33
43
34
36
%
38
36
27
38
35
%
10
18
18
12
14
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
FRAUEN
%
100
100
100
100
100
Alter
18 – 24 J.
25 – 34 J.
35 – 44 J.
45 J. oder >
Gesamt
Ges
A
B
C
D
%
43
38
43
36
41
%
26
21
21
32
24
%
26
37
32
29
30
%
7
4
3
3
5
%
100
100
100
100
100
Schulbildung und Beruf
Bauern, Arbeiter und Handwerker, die überwiegend keine schulische Ausbildung
haben (siehe Tabellen im Anhang 1) tendieren zu einer Einstellung, die sich weniger
an demokratischen als an islamischen Werten orientiert (Gruppen "C" und "D").
20
Ebenso verhalten sich Mujaheddin und Angehörige des Militärs (von denen manche
selbst früher zu den Mujaheddin gehörten) die allgemein einen höheren
Bildungsstand haben. Allerdings ist die Orientierung dieser beiden Berufsgruppen
nicht besonders verwunderlich weil die Einstellung der Bevölkerung auf dem Lande
eher zurückhaltend gegenüber Veränderungen ist und die Mujaheddin ohnehin zu
islamischen Werten neigen.
Berufe der
Befragten
Beruf
arbeitslos
Bauer, Arb., Handw.
"self-employed"
Staatsangestellter
Mujahid, Soldat
sonstiges
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
Schulbildung der
Befragten
A
B
C
D
%
15
14
11
48
5
7
%
10
15
16
45
7
7
%
8
23
12
33
11
13
%
11
22
10
37
14
6
100
100
100
100
Schulbildung
keine Ausbildung
weniger als 12 Kl.
12. Kl. abgeschl.
höhere Bildung
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
A
B
C
D
%
7
23
37
34
%
6
26
34
35
%
13
24
24
38
%
14
29
16
42
100
100
100
100
Auffallend ist weiter, dass die Staatsbediensteten in allen vier Gruppen den größten
Anteil stellt. Dies liegt fraglos daran, dass diese Gruppe innerhalb der Stichprobe
überproportional vertreten ist. Parallel dazu sind in den stärker demokratisch
orientierten Gruppen "A" und "B" jeweils die Befragten mit einer mittleren bis
höheren Schulbildung stark vertreten, in den eher zu islamischen Werten neigenden
Gruppen "C" und "D" sind hingegen diejenigen, die eine höhere Schulbildung
haben, eindeutig die jeweils stärksten Gruppen. In all diesen Segmenten sind die
Staatsbediensteten außerdem etwas stärker vertreten, als es ihrem Anteil an der
Stichprobe entspricht.
Ausschlaggebend dafür, dass bei den Staatsbediensteten mit mittlerer Schulbildung
die Befürwortung demokratischer Werte stärker zum Ausdruck kommt, als in der
vergleichbaren Gruppe mit höherer Bildung, ist wieder der größere Frauenanteil in
dem Segment der Staatsbediensteten mit mittlerer Schulbildung. Die Altersstruktur
innerhalb der Gruppe der Staatsbediensteten hingegen spielt keine signifikante
Rolle hinsichtlich der Befürwortung demokratischer oder islamischer Werte.
Regionen und Ethnien
In den sechs Provinzen, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, zeigte sich ein
unterschiedliches Bild der Demokratieakzeptanz:
Gruppen von
Demokratiebefürwortern
Provinz
Kabul
Jalalabad
Kandahar
Herat
Mazar-i-Sharif
Bamyan
Gesamt
A
B
C
D
%
29
10
23
20
23
10
22
%
25
44
21
28
26
60
32
%
33
35
51
36
37
22
34
%
13
11
5
16
14
8
12
21
Ges.
%
100
100
100
100
100
100
100
Im wesentlichen dürfte in den kulturellen Unterschiede zwischen den in den
jeweiligen Provinzen dominierenden ethnischen Gruppen der Grund für die mehr
oder weniger große Aufgeschlossenheit gegenüber demokratischen Werten zu
finden sein.
Bei der Erhebung der Daten wurde jedoch nicht die Zugehörigkeit zu einer
ethnischen Gruppe erfragt sondern die Muttersprache der Befragten. Dies schränkt
die Analyse ein, weil verschiedene ethische Gruppen Dari sprechen und deshalb
nicht klar voneinander zu trennen sind. Eine Ausnahme bilden die Dari sprechenden
Hazara in der Provinz Bamyan, die sich innerhalb der Stichprobe mit einiger
Sicherheit identifizieren lassen. Darüber hinaus waren einige in der Stichprobe
enthaltenen Sprachgruppen zu klein, um eine Analyse zu ermöglichen.
Die Untersuchung von Unterschieden zwischen den ethnischen Gruppen hinsichtlich
ihrer Akzeptanz demokratischer Werte und ihrer Aufgeschlossenheit für
gesellschaftlichen Wandel beschränkt sich deshalb auf die grobe Unterscheidung
zwischen Dari und Paschtu Sprechenden und führt die Befragten aus der Provinz
Bamyan gesondert auf.
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
Sprachgruppen
bzw. Provinz
der Befragten
Sprache/
Provinz
Dari Sprechende
ohne die Provinz
Bamyan
Dari Sprechende
in der Provinz
Bamyan (Hazara)
Paschtu
Sprechende in
allen Provinzen
Gesamt
Ges
Anteil
der
weiblichen
Befragten
A
B
C
D
%
%
%
%
%
%
29
25
31
15
100
35
10
60
22
8
100
17
14
31
44
11
100
21
22
32
34
12
100
26
Die aus der nebenstehenden
Tabelle anzulesenden
Unterschiede zwischen den
einzelnen ethnischen
Gruppen sind zum Teil
durchaus signifikant (siehe
Markierung).
Es liegt nahe, auch hier zu
vermuten, dass der
unterschiedlich hohe Anteil
weiblicher Befragter innerhalb
der jeweiligen ethnischen
Gruppe einen Einfluss auf
dieses Ergebnis hat.
Tatsächlich ist es jedoch so, dass es sowohl bei den Frauen als auch bei den
Männern erhebliche Unterschiede der Meinungen zwischen den Ethnien gibt, wie der
Vergleich in den nachfolgenden Tabellen zeigt:
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
MÄNNER
A
Sprache/
Provinz
Dari Sprechende
ohne die Provinz
Bamyan
Dari Sprechende
in der Provinz
Bamyan (Hazara)
Paschtu
Sprechende in
allen Provinzen
Gesamt
B
C
Ges
D
%
%
%
%
%
18
30
32
20
100
4
64
23
9
100
12
32
45
11
100
15
36
35
14
100
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
FRAUEN
Sprache/
Provinz
Dari Sprechende
ohne die Provinz
Bamyan
Dari Sprechende
in der Provinz
Bamyan (Hazara)
Paschtu
Sprechende in
allen Provinzen
Gesamt
22
Ges
A
B
C
D
%
%
%
%
%
49
18
29
4
100
30
50
17
3
100
25
31
38
6
100
41
24
30
5
100
Einen Einfluss hat auch, dass ein großer Teil der Befragten (36 %) in Kabul lebt, wo
man eine größere Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel erwarten kann
als in den übrigen Provinzen. Aber auch unter der Bevölkerung von Kabul spielt die
Grundeinstellung der ethischen Gruppe, der die Befragten angehören, eine
wesentliche Rolle.
Zwar gibt es generell eine Tendenz zu größerer Akzeptanz demokratischer Werte
unter den Befragten der Hauptstadt, aber die in den beiden obigen Tabellen
erkennbaren Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen sind auch in Kabul
deutlich.
in Kabul
Ges
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
MÄNNER
A
B
C
D
Ges
Gruppen von
DemokratieBefürwortern
befragte
FRAUEN
A
B
C
D
Sprache
%
%
%
%
%
Sprache
%
%
%
%
%
Dari
25
27
30
18
100
Dari
46
18
30
6
100
Paschtu
16
31
40
13
100
Paschtu
25
25
40
10
100
22
28
34
16
100
40
20
33
7
100
Gesamt
Gesamt
Bemerkenswert ist, dass sich bei den Dari sowohl als auch bei den Paschtu
sprechenden Männern in Kabul eine stärkere Aufgeschlossenheit für demokratische
Werte zeigt als es in der jeweiligen ethnischen Gruppe im Durchschnitt der Fall ist.
Bei den Frauen in Kabul hingegen ist die Aufgeschlossenheit geringer als im
Durchschnitt ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe.8
______________________
8
Die Analyse für Kabul ist lediglich als Indikator zu verstehen; die Gesamtzahl der
berücksichtigten Befragten (218 Männer und 139 Frauen) ist zu klein, um daraus verlässliche
Schlüsse zu ziehen.
23
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