___________________________________________________________ Demokratie und gesellschaftlicher Wandel in Afghanistan Empirische Untersuchung zur Akzeptanz demokratischer Werte in einer islamisch geprägten Gesellschaft Werner Prohl Felix Werdin ___________________________________________________________ GLIEDERUNG ZUSAMMENFASSUNG ................................................................................. 2 EINLEITUNG ............................................................................................ 3 DEMOKRATIE – MENSCHENRECHTE – RECHTSSTAAT ......................................... 3 Grundelemente der Demokratie ....................................................... 3 Gleichstellung von Mann und Frau Politische Parteien .................................................... 5 .......................................................................... 6 Wahlen, Partizipation ...................................................................... 7 DEMOKRATISCHE WERTE IN EINER ISLAMISCH GEPRÄGTEN GESELLSCHAFT ............ 8 AKZEPTANZ VON DEMOKRATIE FAZIT .................................................................. 11 .................................................................................................. 16 ANHANG 1: Allgemeine Tabellen zur Umfrage ANHANG 2: Profil einzelner Gruppen ............................................ 18 ........................................................ 20 ZUSAMMENFASSUNG Vom National Center for Policy Research der Universität Kabul wurde unmittelbar nach Inkrafttreten der neuen Verfassung eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanzierte empirische Untersuchung zu Fragen der Akzeptanz und Entwicklung der Demokratie in Afghanistan durchgeführt. Das Ergebnis zeigt sowohl Aufgeschlossenheit der Befragten gegenüber den politischen Veränderungen, welche der Aufbau der Demokratie mit sich bringt, als auch den Wunsch, diese Veränderungen mit islamischen Prinzipien in Einklang zu bringen. Damit spiegelt die öffentliche Meinung das wider, was bereits ein Anliegen der Loya Jirga (Große Ratsversammlung) war, die über die Verfassung entschied, nämlich Werte des Islam mit Demokratie nach westlichem Vorbild zu verbinden und so einen demokratischen, islamischen Rechtsstaat zu schaffen. Wo diese Vereinbarkeit von islamisch geprägter Kultur und Tradition einerseits und moderner Demokratie andererseits nicht oder nur schwer zu erreichen ist, werden die unterschiedlichen Meinungen der progressiven und verharrenden Kräfte in der Gesellschaft deutlich. Vor allem die in der neuen Verfassung erstmals explizit festgeschriebene Gleichstellung von Mann und Frau ist ein Aspekt, zu dem die Meinungen gespalten sind. Wird das aktive und passive Wahlrecht für Frauen noch mit großer Mehrheit – auch von den Männern – befürwortet, findet das generelle Prinzip der Gleichheit bei weitem nicht diesen Zuspruch. In dem Maße, in dem die neuen Werte und Prinzipien über bloße politische Reformen hinausgehen und - wie zum Beispiel im Falle der Gleichstellung von Männern und Frauen – einen Eingriff in die gesellschaftlichen Normen darstellen, steigert sich die Polarisierung der Meinungen. So überrascht es kaum, dass in Afghanistan die Frauen die 'besseren Demokraten' sind. Sie unterstützen den Reformprozess mit mehr Nachdruck, weil mit der Einführung der Demokratie auch ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess in Gang gesetzt wird, der vor allem ihre eigene Situation betrifft. In der Studie wird versucht, anhand sich aus der Befragung ergebender Kriterien Gruppen zu identifizieren, die sich nach dem Ausmaß der Akzeptanz oder Ablehnung demokratischer Werte unterscheiden: Knapp ein Viertel der Befragten (22 %) zeigt eine progressive, demokratische Reformen besonders befürwortende Einstellung; weitere 32 Prozent haben eine als liberal einzuschätzende Haltung und sind aufgeschlossen für demokratische Werte; eine Gruppe von 34 Prozent der Befragten tendiert zu einer eher konservativen Einstellung, in der islamische Werte Vorrang vor demokratischen Reformen haben; und nur 12 Prozent haben eine ausgesprochen wertkonservative Einstellung islamischer Prägung und lehnen demokratische Reformen weitgehend ab. Es stellt sich heraus, dass die Meinung der befragten Frauen innerhalb dieser Gruppen immer wieder eine wesentliche Rolle spielt. Die Studie widmet sich diesem Aspekt deshalb besonders und enthält im Anhang zusätzliche Erläuterungen zu den Auswirkungen auf das Meinungsbild, die sich aus dem Anteil der weiblichen Befragten in unterschiedlichen Altersgruppen und Ethnien ergeben. 2 EINLEITUNG Mit der Verabschiedung der neuen afghanischen Verfassung im Januar 2004 wurde der Grundstein für den Aufbau eines demokratischen Staates gelegt. Gleichzeitig sind in dieser Verfassung auch Werte und Prinzipien verankert, die Einfluss auf die Kultur und Traditionen der islamisch geprägten Gesellschaft haben werden und eine erneute Modernisierungswelle einleiten. In einer empirischen Untersuchung des National Center for Policy Research an der Universität Kabul wurde kurz nach Inkrafttreten der neuen Verfassung der Frage nachgegangen, inwieweit die in der Verfassung verankerten demokratischen Werte und Prinzipien von der Bevölkerung akzeptiert werden. Einige der hier untersuchten demokratischen Werte und Prinzipien sind für Afghanistan nicht neu, sie waren bereits in der Verfassung von 1964 enthalten. Allerdings wurde diese Verfassung mit dem Sturz der Monarchie im Jahr 1973 außer Kraft gesetzt und die darauf folgenden Verfassungen, die von kommunistischer Ideologie geprägt waren, leiteten den Prozess der Schaffung einer modernen, freien, demokratischen Gesellschaft, der 1964 in Gang gesetzt worden war, in eine andere Richtung. Die darauf folgenden Jahre des Bürgerkrieges und der Herrschaft der Taliban ließen demokratische Grundsätze weiter in Vergessenheit geraten. Während der Beratungen für die neue afghanische Verfassung waren es besonders zwei Punkte, die bis zuletzt zu hitzigen Debatten führten: Die Ausstattung des Amtes des Staatspräsidenten mit weitreichenden Kompetenzen und die Festschreibung gleicher Rechte und Pflichten für Männer und Frauen. Es ist besonderes der zweite Punkt, der in der vorliegenden Studie untersucht wird, weil die von der rechtlichen Gleichstellung von Männern und Frauen ausgehenden Wirkungen auf die von islamischer Kultur und Tradition geprägte Gesellschaft stärker sind als die Auswirkungen anderer demokratischer Werte und Prinzipien. Aber auch die gewählte Regierungsform mit einem starken Präsidenten an der Spitze ist relevant für den gesellschaftlichen Konsens und wird hier angesprochen. Generell wird darüber hinaus die Frage untersucht, inwieweit das Bemühen der Verfassunggebenden Versammlung, Werte des Islam mit Demokratie nach westlichem Vorbild zu verbinden und so einen demokratischen, islamischen Rechtsstaat zu schaffen, von der Bevölkerung mitgetragen wird. DEMOKRATIE – MENSCHENRECHTE – RECHTSSTAAT Grundelemente der Demokratie Der Begriff "Demokratie" wird heute in Afghanistan umgangsprachlich fast immer als Beschreibung für das Regime der Kommunisten verwendet, das nach dem Sturz der Monarchie in den 1970er Jahren entstand und von sich behauptete, dem Land die Demokratie gebracht zu haben. Unter den Kommunisten wurde die von König Zahir Schah begonnene allmähliche Modernisierung des Landes forciert und stärker auf den kulturellen und gesellschaftlichen Bereich ausgedehnt. Mit der Verfassung von 1976 wurde der Islam als Staatsreligion abgeschafft und der Staat entfremdete sich der Kultur und Tradition des Volkes. Es ist deshalb heute kaum möglich, 3 Afghanen direkt nach ihrer Meinung über "Demokratie" zu befragen. Die Antworten würden wenig Aufschluss darüber geben, ob die Befragten tatsächlich ein demokratisches System, in dem Freiheit, Gleichheit, freie Wahlen und Pluralismus wichtige Bestandteile sind, akzeptieren oder ablehnen. Für die im Januar 2004 durchgeführte empirische Untersuchung1 wurde deshalb ein Katalog von Grundelementen der Demokratie zusammengestellt, der folgende Einzelpunkte enthielt: Freiheit (individuelle) Freiheit Meinungsfreiheit Vereinigungsfreiheit Gleichheit Gleichstellung von Mann und Frau aktives Wahlrecht für Frauen passives Wahlrecht für Frauen freie Wahlen freie Wahlen Bürgerbeteiligung direkte Stimmabgabe von Frauen Pluralismus Parteienpluralismus (allgemein) Mehrparteiensystem demokratische Praktiken Gewaltenteilung Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluss Ebenfalls aufgenommen wurden Kriterien wie Einhaltung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit. Aus der Beantwortung der Frage, welche dieser demokratischen Werte und Prinzipien für "wichtig" erachtet werden, ergab sich folgende Rangordnung: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Rechtsstaatlichkeit freie Wahlen Gerechtigkeit Meinungsfreiheit (individuelle) Freiheit Bürgerbeteiligung 7. 8. 9. 10. 11. 12. Entscheidung durch Mehrheit Gleichstellung von Mann und Frau Parteienpluralismus Vereinigungsfreiheit Menschenrechte Gewaltenteilung Vor dem Hintergrund von 25 Jahren Krieg, Gesetzlosigkeit und Gewaltherrschaft ist leicht erklärbar, dass Rechtsstaatlichkeit, freie Wahlen und Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert haben. Dies sind aber auch – und darauf wird an späterer Stelle noch eingegangen – demokratische Prinzipien, die sich vollständig oder weitgehend mit der Lehre des Islam decken. Auffallend nachrangig wird die Bedeutung der Menschenrechte eingestuft. Dies wird aber zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass einzelne Bestandteile des Menschenrechtskatalogs in der Befragung separat aufgeführt werden und jeweils einen höheren Rang einnehmen als die allgemeine Formulierung. 1 Zwischen dem 13. und 30.1.2004 wurden insgesamt 1.386 Personen in sechs Provinzen befragt. Es werden hier nur ausgewählte Aspekte aus der Umfrage behandelt. Eine vollständige Analyse ist in Vorbereitung und wird vom National Center for Policy Research in den Landessprachen Dari und Paschtu veröffentlicht werden. 4 Die für das Funktionieren demokratischer Systeme notwendigen Prinzipien wie Gewaltenteilung oder Entscheidungsfindung durch Mehrheitsbeschluss werden von anderen, als wichtiger empfundenen Kriterien in die zweite Hälfte der Rangliste verdrängt. Damit wird im wesentlichen umrissen, welche Erwartungen der neue demokratische Staat vorrangig zu erfüllen hat, um das Vertrauen seiner Bürger zu erlangen und seine Legitimation zu erhalten. Gleichstellung von Mann und Frau Die in der obigen Aufzählung nur auf dem achten Rang auftauchende Gleichstellung von Mann und Frau ist derjenige Aspekt, bei dem wie kaum anders zu erwarten, die Meinungen von Männern (15 % halten die Gleichstellung für wichtig) und Frauen (42 %) stark von einander abweichen. Aber auch für die befragten Frauen hat die Gleichstellung der Geschlechter hinsichtlich ihrer verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten keine absolute Priorität. Wichtiger noch sind ihnen freie Wahlen (65 %), Meinungsfreiheit (60 %), Rechtsstaatlichkeit (57 %) und Gerechtigkeit (49 %).2 Auch hier ist jedoch zu vermuten, dass die Auswahl dieser Kriterien von den Befragten stark in Zusammenhang mit ihrer eigenen Situation gebracht wird. Dass freie Wahlen als besonders wichtig eingeschätzt werden, bedeutet sicher auch, dass die befragten Frauen ihre eigene Beteiligung an den Wahlen für wichtig halten. Ebenso dürfte es bei den anderen genannten Punkten sein, bei denen man die ihnen zugemessene hohe Bedeutung darauf zurückführen kann, dass Frauen in diesen Bereichen für eine Verringerung von bestehenden Benachteiligungen votieren – letztlich also wieder für eine Gleichstellung. An anderer Stelle des Fragebogens wurde gezielt nach dem aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen gefragt. Hier sprach sich eine deutliche Mehrheit aller Befragten – Männer sowohl als auch Frauen – dafür aus, dass Frauen in diesem konkreten Punkt die gleichen Rechte haben sollen wie Männer. 89 6 5 100 ja nein weiß nicht / keine Antw. Gesamt von Frauen 82 12 6 100 von Männern 84 10 6 100 "Sollen Frauen das passive Wahlrecht haben?" Antworten in % von allen Befragten ja nein weiß nicht / keine Antw. Gesamt Tabelle 2 Frage: von Frauen "Sollen Frauen das aktive Wahlrecht haben?" von Männern Frage: Antworten in % von allen Befragten Tabelle 1 76 16 8 100 74 19 7 100 84 10 6 100 Die Diskrepanz zwischen der großen Zustimmung zum aktiven und passiven Wahlrecht der Frau auf der einen Seite und der andererseits relativ geringen Bedeutung, die der generellen Gleichstellung der Frau zugemessen wird, weist darauf hin, dass hier auch andere Aspekte eine Rolle spielen, die über die Beteiligung von Frauen am politischen Prozess hinausgehen. 2 Weitere Einzelheiten hierzu finden sich in Tabelle 5. 5 Wahlrecht für Frauen besteht bereits seit 1964. Die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft wird aber ungeachtet dessen immer noch stark von traditionellen, kulturellen und religiösen Einflüssen geprägt, die außerhalb des Einflusses einer Gesetzgebung im Sinne demokratischer Gleichberechtigung zur politischen Partizipation liegen. Die Ende der 1960er Jahre einsetzende Modernisierung Afghanistans brachte auch einen Wandel in der Rolle der Frau mit sich. Dieser Wandel vollzog sich jedoch vor allem in der Hauptstadt Kabul, die sich dadurch erheblich vom Rest des Landes unterschied. Während der Herrschaft der Mujaheddin und des darauf folgenden Regimes der Taliban war wieder eine rückläufige Entwicklung zu verzeichnen, die die Frauen in ihre traditionelle Rolle zurückzwang. Die jetzt wieder einsetzende Demokratisierung beendet die jahrelange Unterdrückung der Frauen in Afghanistan und verschafft ihnen wieder Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. Vermutlich deshalb betonen Frauen demokratische Grundwerte stärker als Männer. Mit wenigen Ausnahmen setzen Frauen bei den im obigen Kriterienkatalog enthaltenen Elementen der Demokratie stärkere Akzente als Männer (vgl. Tab. 5). Politische Parteien Parteienpluralismus hat bei den Befragten nur einen geringen Stellenwert unter den demokratischen Prinzipien, die in der obigen Liste zur Wahl standen (19 %). Eine Überprüfung dieses Aspektes durch eine direkte Frage relativiert diese Aussage jedoch: Nur "eine Partei" wollen 16 Prozent in dem neuen Staat haben, für "einige Parteien" sprechen sich 30 Prozent aus, und "viele Parteien" sähen 23 Prozent am liebsten. (an 100 fehlende Prozentpunkte = "keine Parteien", "weiß nicht" oder keine Angaben) Aber auch mit 53 Prozent findet ein demokratisches Mehrparteiensystem keine überwältigende Zustimmung. Generell scheint Zurückhaltung gegenüber politischen Parteien zu bestehen, in einigen Fällen sogar Misstrauen, wie manche Antworten in Tabelle 3 zeigen. Zwar haben 61 Prozent der Befragten eine positive Meinung hinsichtlich der Wirkung, die von Parteien ausgeht. Dies mag aber darauf zurückzuführen sein, dass in dem Fragebogen mehr positive als negative Merkmale zur Auswahl standen und Mehrfachnennungen möglich waren. Es ist für Parteien typisch, dass sie in Konkurrenz zu einander stehen. Vielleicht ist dies in einer Gesellschaft, die stärker auf Konsens als auf 'Kampfabstimmungen' ausgerichtet ist, nicht so akzeptabel wie in westlichen Demokratien.3 3 Ob der in der Tabelle als eine positive Wirkung der Parteien eingestufte politische Wettbewerb tatsächlich von den Befragten als etwas Positives empfunden wird, ist deshalb nicht wirklich sicher. 6 Table 3: Meinungen über politische Parteien Frage: "Was ist Ihrer Meinung nach die von politischen Parteien ausgehende Wirkung?" Parteien … verhindern Anarchie … stärken die Demokratie …stärken die nationale Einheit … fördern den Wettbewerb … schaffen politische Stabilität … führen zu positiver politischer Kultur … fördern Partizipation positive Auswirkungen 6% 6% 8% 15% 6% 10% 6% 8% Parteien … schaffen Anarchie … schwächen die Demokratie …schwächen die nationale Einheit 12% 8% 61% 8% 7% … schädigen Afghanistan … haben versteckte Motive 39% negative Auswirkungen Die in der Tabelle nicht widergegebenen Unterschiede in der Meinung von Männern und Frauen sind bei den Antworten zu dieser Frage nicht gravierend, Frauen neigen allerdings zu einer leicht positiveren Beurteilung. (alle Zahlen in Prozent der gegebenen Antworten) Auch die Antworten auf die Frage, welchen Einfluss politische Parteien in der Zukunft haben sollten, zeugen von einem eher geringen Vertrauen in Parteien. Insgesamt wünschen sich nur 42 Prozent, dass Parteien künftig einen großen oder sehr großen Einfluss haben sollten: Einen "sehr großen" Einfluss der Parteien wünschen sich 11 Prozent, einen "großen" Einfluss 31 Prozent, "es ist egal" sagten 19 Prozent, "keinen" Einfluss der Parteien wollen 15 Prozent und "überhaupt keinen" Einfluss wünschen sich 9 Prozent. (an 100 fehlende Prozentpunkte = "weiß nicht" oder keine Angaben) Wahlen, Partizipation Trotz der beschriebenen Skepsis gegenüber politischen Parteien sind freie Wahlen für etwa zwei Drittel der Befragten wichtig und haben damit nach dem Rechtsstaat in der oben gezeigten Liste den zweithöchsten Stellenwert im Vergleich zu anderen demokratischen Grundprinzipien. Groß ist auch das zum Ausdruck gebrachte Vertrauen der Befragten darin, dass ihre bei den Wahlen abgegebene Stimme eine Wirkung hat: 57 Prozent sind "überzeugt" und 27 Prozent "denken" immerhin noch, dass sie mit ihrer Stimme Einfluss nehmen. Im Widerspruch dazu steht jedoch, dass die Bedeutung, die der Beteiligung der Bürger beigemessen wird, innerhalb der Liste der demokratischen Grundsätze mit nur 29 Prozent deutlich niedriger ausfällt. Diese Zurückhaltung bei der Bürgerbeteiligung zeigt sich auch in der Beantwortung einer anderen Frage, in der es darum ging, welche Basis sich die Befragten für den gerade entstehenden Staat wünschen. Trotz der Möglichkeit von Mehrfachnennungen, die keine EntwederOder-Entscheidung verlangte, sprachen sich nur 30 Prozent für eine "breite Bürgerbeteiligung" in dem zukünftigen Staat aus, 60 Prozent wählten 7 "Rechtsstaatlichkeit", und 68 Prozent sahen "islamische Prinzipien" als geeignete Basis für den Staat an. Wesentlich größeres Interesse hingegen zeigt sich bei einer gezielten Frage nach Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene: "Interesse zu haben", gaben 65 Prozent an, "in manchen Fällen Interesse zu haben", nannten 24 Prozent, und "kein Interesse" zeigten nur 3 Prozent. (an 100 fehlende Prozentpunkte = "weiß nicht" oder keine Angaben) Während sich die Beteiligungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene im wesentlichen auf die Teilnahme an Wahlen beschränken, gibt es traditionell in den Dörfern und Gemeinden in Afghanistan lokale Räte (shuras), die sich mit den Angelegenheiten der Kommune befassen. Diese shuras sind nicht unbedingt demokratisch gewählte Vertretungsorgane sondern eher eine Art von Ältestenrat, der sich aus lokalen Führungspersönlichkeiten zusammensetzt und über lokale Belange entscheidet. Möglicherweise können sich die Befragten unter dem Begriff Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene etwas Konkretes vorstellen, während für sie die "Teilnahme an Wahlen" gleichbedeutend mit dem Begriff "freie Wahlen" ist. Wie an manchen anderen Stellen auch, wird mit diesen vielleicht nicht allgemein verständlichen Differenzierungen der Umfrage deutlich, dass für den Aufbau eines demokratischen Staates und die Verinnerlichung demokratischer Werte politische Aufklärung notwendig ist, die in Afghanistan in der Vergangenheit nicht geleistet wurde und auch in der relativ kurzen Zeit seit dem Fall des Taliban-Regimes nicht nachgeholt werden konnte. DEMOKRATISCHE WERTE IN EINER ISLAMISCH GEPRÄGTEN GESELLSCHAFT Islamische Werte und Grundsätze sowie eine stark vom Islam geprägte Kultur und die Traditionen der Afghanen sind zusammengenommen ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz oder Ablehnung demokratischer Werte und Prinzipen. Für die in ihrer traditionell dominierenden Rolle verhafteten Männer sind demokratische Werte wie Gleichheit der Rechte von Mann und Frau der Beginn von gesellschaftlichen Veränderungen, die sie teilweise nur schwer akzeptieren können. Auf der anderen Seite sehen Frauen in der Verwirklichung demokratischer Grundsätze wie der Gleichberechtigung eine Möglichkeit, sich der von Kultur und Tradition auferlegten Fesseln zu entledigen. Beiden geht es dabei wahrscheinlich aber nicht vorrangig um Demokratie an sich oder das politische System überhaupt sondern um Einflüsse, die verändernd auf die traditionell geprägte Gesellschaft wirken – von den Männern weitgehend eher als negativ empfunden, von den Frauen als positiv. Sicher lässt sich solch eine grobe Verallgemeinerung der Einstellung von Männern und Frauen nur schwer aufrechterhalten. Dies soll hier auch nicht versucht werden. An zahlreichen Beispielen zeigt sich jedoch, dass die Meinungen von Männern und Frauen immer dann besonders stark voneinander abweichen, wenn demokratische Wertvorstellungen die Rolle der Geschlechter betreffen oder andere kulturell sensible Fragen betroffen sind. Bereits bei der Bedeutung, die unterschiedlichen 8 demokratischen Grundelementen zugemessen wird, flacht das allgemeine Interesse ab, wenn es zum Beispiel um demokratische Praktiken der Meinungsbildung oder Entscheidungsfindung geht. Hohe Bedeutung wird den Fragen beigemessen, bei denen die demokratischen Grundsätze in Bereiche eingreifen, die das kulturelle Gefüge der Gesellschaft betreffen. So zeigt sich denn auch, dass die Akzeptanz einzelner demokratischer Werte und Prinzipien stark davon abhängt, ob diese sich mit islamischen Werten und Grundsätzen und mit der Kultur des Landes vereinbaren lassen. Und wenn in diesem Anschnitt im weiteren der Begriff "Islam" verwendet wird, ist damit nicht – oder in einigen Fällen nicht ausschließlich – die Religion gemeint sondern der Begriff schließt auch die vom Islam geprägte Kultur und die Traditionen der Gesellschaft ein. In der nachfolgenden Tabelle 4 finden sich die eingangs bereits aufgezählten demokratischen Werte und Prinzipien wieder, diesmal zusammen mit anderen Punkten und sortiert nach "demokratisch/undemokratisch" bzw. "mit dem Islam, der Kultur und den Traditionen vereinbar/nicht vereinbar" dargestellt.4 Table 4: Demokratische Werte und Prinzipien und ihre Vereinbarkeit mit dem Islam Undemokratische Werte oder Regierungsformen Demokratische Werte und Prinzipen Kategorie 1 demokratische Werte und Prinzipen die nicht oder nur teilweise mit islamischen Werten vereinbar sind Kategorie 2 demokratische Werte und Prinzipien, die ganz oder zum größten Teil mit islamischen Werten vereinbar sind Kategorie 3 demokratische Werte und Prinzipien, die sich mit islamischen Werten decken oder diesen nicht widersprechen 14% Parteienpluralismus 3% 12% (individuelle) Freiheit 6% Rechtsstaatlichkeit Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluß 4% Gewaltenteilung 3% freie Wahlen Beachtung der Menschenrechte 3% Bürgerbeteiligung 6% Vereinigungsfreiheit 4% Gerechtigkeit 11% Meinungsfreiheit 17% Summe für diese Kategorie 34% Summe für diese Kategorie Gleichstellung von Mann und Frau Summe für diese Kategorie Kategorie 4 undemokratische Prinzipien oder Regierungsformen, die dem Islam entsprechen oder von diesem toleriert werden "wohlwollender 10% Diktator" (starker Herrscher) religiöses Regime 3% 4% strikte Anwendung islamischen Rechts 7% 9% Militärregime 1% 28% Summe für diese Kategorie 21% Gesamtsumme 100 % Die Prozentzahlen in Tabelle 4 beziehen sich auf die Zahl der Nennungen für jeden einzelnen aufgeführten Aspekt im Verhältnis zu allen Nennungen (Mehrfachnennungen waren möglich). Insofern unterscheiden sie sich von vorher bereits genannten Prozenten, die sich jeweils auf die Zahl der Befragten bezogen, welche den jeweiligen Punkt nannten. Der Vergleich zeigt, dass demokratische Werte, die sich nicht oder nur teilweise mit islamischen Werten und Grundsätzen vereinbaren lassen, in ihrer Summe nur bei 17 Prozent der Befragten Zuspruch finden. Fast ebenso gering ist mit 21 Prozent die Gruppe derjenigen Befragten, die undemokratische Prinzipien oder Regierungsformen befürworten, auch wenn diese dem Islam entsprechen oder von ihm toleriert werden. Den deutlich größten Zuspruch finden solche Werte und 4 Die Kategorisierung der einzelnen Punkte nach ihrer Vereinbarkeit von Demokratie und Islam wurde von den an der empirischen Untersuchungen beteiligten Wissenschaftlern der Universitäten Kabul und Kapisa vorgenommen. 9 Prinzipien, die ganz oder überwiegend sowohl demokratisch als auch mit dem Islam vereinbar sind. Tabelle 5: Rangfolge der als wichtig betrachteten Werte und Prinzipien Antworten in % von Frauen Rechtsstaatlichkeit freie Wahlen Gerechtigkeit "wohlwollender Diktator" Meinungsfreiheit strikte Anw. islam. Rechts (individuelle) Freiheit Bürgerbeteiligung Entscheidung durch Mehrheit Gleichstellung von Mann und Frau Parteienpluralismus Vereinigungsfreiheit Menschenrechte religiöses Regime Gewaltenteilung Militärregime Zuordnung zu den in Tabelle 4 erläuterten Kategorien von Männern "Welche der hier genannten Werte und Prinzipien halten Sie für wichtig?" von allen Befragten Frage: 75 64 61 56 50 40 32 29 82 63 65 58 45 44 27 28 57 65 49 51 60 30 40 30 23 22 24 X 23 15 42 X 19 19 19 16 15 6 18 17 18 17 17 5 22 22 22 12 9 9 1 2 3 4 X X X X X X X X X X X X X X Die Tabelle zeigt die gleiche Rangfolge, die bereits im Abschnitt über die Grundelemente der Demokratie genannt wurde, in die hier aber ergänzend die als undemokratisch eingestuften Werte bzw. Regierungsformen (schattiert dargestellt) entsprechend der Häufigkeit ihrer Nennung eingefügt wurden. Die Tabelle verdeutlicht noch einmal die bereits angesprochene Tendenz der weiblichen Befragten, sich stärker für demokratische Werte auszusprechen. Hier zeigt sich jetzt auch, dass dem entsprechend die Zustimmung von Frauen zu den als undemokratisch eingestuften Punkten geringer ausfällt als bei Männern. Überraschend ist, dass 30 Prozent der Frauen eine strikte Anwendung islamischen Rechts für wichtig halten. Es scheint sich nur schwer erklären zu lassen, dass eine besonders im Familienrecht die Frauen stark benachteiligende Rechtsordnung von knapp einem Drittel der Frauen als wichtiges Grundprinzip angesehen wird, Rechtsstaatlichkeit nach westlichem Vorbild hingegen nur unterdurchschnittlichen Zuspruch erhält. Es sind vor allem jüngere Frauen (36 % sind unter 25, weitere 38 % zwischen 25 und 34 Jahre alt) und solche mit einer mittleren bis höheren Schulbildung (zus. 56 %), die eine strikte Anwendung der Scharia als wichtig bezeichnen. Gerade für einen aus einem anderen Kulturkreis stammende Betrachter passt dieser Punkt nicht ganz in das sich aus den übrigen Aspekten ergebende Bild. Ein religiöses Regime allerdings – und das passt nun wieder ins Bild – wollen die weiblichen Befragten nicht, auch wenn, wie an früherer Stelle bereits zitiert, 10 islamische Werte die Basis für den neuen Staat bilden sollen.5 Nach den Gründen für diese Diskrepanz befragt führen afghanische Soziologen Nachwirken der Herrschaft der Taliban zur Erklärung an. Bei den jüngeren Afghaninnen, die seinerzeit nicht aus dem Land geflohen waren und sich in das System fügen mussten, entwickelte sich ein (meist allerdings nur oberflächlicher) islamistischer Fundamentalismus, der in den Antworten zu der vorliegenden Umfrage zum Ausdruck kommt. Aus der Befragung lassen sich keine weiteren Erkenntnisse zu diesem Punkt ableiten. Ein starker Widerstand gegen Demokratie scheint sich jedoch durch die Befürwortung der Scharia nicht zu entwickeln. Für alle Befragten ist ein starker Herrscher ("wohlwollender Diktator") eine durchaus akzeptable Alternative zu einer auf demokratischer Basis legitimierten Regierung. Hierin kann unter Umständen zum Ausdruck kommen, dass nach den Jahren der Zerrissenheit des Landes und der immer noch nicht vollständigen Kontrolle der Zentralregierung über die von lokalen Kommandanten kontrollierten Provinzen die 'starke Hand' gesucht wird, die die Einheit des Landes wieder herstellt. An der neuen Verfassung ist vielfach kritisiert worden, dass sie dem Präsidenten eine zu große Macht einräumt, da sich seine Kompetenzen auf die Exekutive, Legislative und Justiz erstrecken (Artikel 60). So berechtigt eine solche Kritik vom Standpunkt der Demokratietheorie her auch sein mag, der Meinung der Bevölkerung entspricht sie nicht. Auch hat die in Demokratien nach westlichem Vorbild als unabdingbar angesehene Trennung der Gewalten in der politischen Theorie des Islam keine so große Bedeutung. Lediglich die Unabhängigkeit der Justiz ist unverzichtbar, zwischen Legislative und Exekutive gibt es keine scharfe Trennung. Bereits die Untersuchung verschiedener demokratischer Prinzipien im ersten Abschnitt zeigte, dass Gewaltenteilung als am wenigsten wichtig angesehen wird. AKZEPTANZ VON DEMOKRATIE Wie bereits ausgeführt, bedeutet Akzeptanz von Demokratie in Afghanistan mehr als die Zustimmung zu einem politischen System. Demokratische Grundwerte zu akzeptieren heißt gleichzeitig, aufgeschlossen zu sein für eine Entwicklung, die zum Teil tief in die traditionelle und kulturelle Identität der Gesellschaft eingreifen kann. Im Design der Befragung war dieser Aspekt, dessen Bedeutung sich erst bei der Auswertung der Antworten herausstellte, nicht vorgesehen. Die vorhandene Datenbasis ist deshalb mangels gezielter Fragen in diese Richtung nicht ausreichend, um eine einigermaßen verlässliche Darstellung der sozialen Differenzierung vorzunehmen, die in den unterschiedlichen Graden der Akzeptanz demokratischer Werte bzw. der Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel verborgen sein mag. Es kann hier nur versucht werden, sich diesem Thema anzunähern, indem ein auf den vorhandenen Daten basierendes Profil grob definierter Gruppen erstellt wird, 5 In der Umfrage wurde unterschieden zwischen einem "religiösem Regime" als einem Staat in dem die religiösen Führer die Macht haben und einer säkularen "islamischen Republik". 11 die mehr oder weniger fließend in einander übergehen. Wesentliche Grundlage für diese Einteilung war der bereits zitierte Katalog von Werten und Prinzipien, die als demokratisch oder undemokratisch bzw. in unterschiedlichem Ausmaß als mit dem Islam vereinbar angesehen werden. Auf einer Skala, die von einer vorbehaltlosen Befürwortung demokratischer Werte ohne Rücksicht auf deren Vereinbarkeit mit dem Islam bis zu einer stark islamischen Orientierung, die wenig Bereitschaft für die Akzeptanz demokratischer Werte und Prinzipen aufweist, können aufgrund der gegebenen Antworten in ihrer jeweiligen Kombination unterschiedliche Gruppen identifiziert werden. Abb. 1: Unterschiedliches Ausmaß von Demokratieakzeptanz Orientierung an islamischen Werten, wobei es kaum oder gar nicht darauf ankommt, ob diese auch demokratisch sind Orientierung an demokratischen Werten, wobei es kaum oder gar nicht auf deren Vereinbarkeit mit dem Islam ankommt Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D Deutliche Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien, für welche eine Vereinbarkeit dieser Werte mit dem Islam eine erkennbare Bedeutung hat Auf Konsens fokussierte Befürworter solcher demokratischen Werte, die mit dem Islam im Einklang sind Befürworter islamischer Werte mit wenig Aufgeschlossenheit für Demokratie 22 % 32 % 34 % 12 % Während die beiden sich deutlich von einander unterscheidenden Gruppen an den Enden der Skala relativ klein sind, strebt das Gros der Befragten (66 %) eine Vereinbarkeit islamischer und demokratischer Werte an. Eine charakterisierende Beschreibung der einzelnen Gruppen wird nachfolgend gegeben: GRUPPE A (22 %) Deutliche Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien Diese Gruppe befürwortet deutlich demokratische Werte und Prinzipien auch in den Fällen, wo sich diese nicht oder nur schwer mit den traditionellen und/oder vom Islam geprägten kulturellen Wertvorstellungen vereinbaren lassen. Damit spricht sich die Gruppe nicht nur für die Demokratie als gewünschte Staats- und Regierungsform aus sondern zeigt auch eine besonders große Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel. Ein religiöses Regime (Herrschaft der Mullahs) oder eine strikte Anwendung islamischen Rechts kommen für die Befragten in dieser Gruppe nicht in Frage, sie halten auch nichts von einem "wohlwollenden Diktator". 12 Charakterisierende Merkmale:6 ALTER: Junge Leute (18-24) sind die stärkste Altersgruppe, sie tendieren aber nicht überwiegend hierhin. BILDUNG: Die Gruppe enthält überdurchschnittlich viele Befragte mit mittlerer Schulbildung (12. Klasse abgeschlossen), bei den Befragten mit höherer Bildung liegt sie unter dem Durchschnitt. BERUF: Arbeitslose und Staatsangestellte sind überproportional vertreten. Hierzu sei noch angemerkt, dass in der Stichprobe Staatsangestellte mit einer mittleren Schulbildung stark zur Gruppe A tendieren während Staatsangestellte mit einer höheren Schulbildung auffallend häufig zur Gruppe D gehören. GENDER: Frauen sind hier stärker vertreten (50 %) als in den Gruppen B bis D. REGIONAL: Die Gruppe ist in Kabul prozentual stärker als in anderen untersuchten Provinzen; Dari sprechende Bevölkerungsgruppen sind stärker vertreten als andere, aber auch sie tendieren nicht überwiegend hierhin. Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen: folgende Grundelemente der Demokratie werden häufiger genannt als in allen anderen Gruppen: - Freiheit Gleichstellung von Mann und Frau Menschenrechte Parteienpluralismus die Meinung zu politischen Parteien ist weder ausgesprochen positiv noch negativ Rechtsstaatlichkeit hat nicht den großen Vorrang wie in anderen Gruppen7 GRUPPE B (32 %) Befürworter demokratischer Werte und Prinzipien, für welche eine Vereinbarkeit dieser Werte mit dem Islam eine erkennbare Bedeutung hat Diese Gruppe hält seltener als Gruppe A solche demokratischen Werte für wichtig, die sich nicht oder nur schwer mit islamischen Werten vereinbaren lassen. Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit sind dieser Gruppe bei einer demokratischen Grundeinstellung wichtiger als individuelle Freiheit. Die Gruppe lehnt ein religiöses Regime und die strikte Anwendung der Scharia ab, jedoch etwa die Hälfte halten die Herrschaft eines "wohlwollenden Diktators" für eine geeignete Regierungsform. Charakterisierende Merkmale: ALTER: Die verschiedenen Altersgruppen sind gleichmäßig vertreten. BILDUNG: Es gibt einen hohen Anteil an Befragten mit mittlerer und höherer Bildung (zusammen ähnlich wie Gruppe A, aber höherer Bildungsdurchschnitt als die Gruppen C und D). 6 Die zur Charakterisierung der Gruppen herangezogenen Faktoren Alter, Bildung, Beruf, Gender und Regionen bzw. Ethnien, die auf Unterschiede zwischen den Gruppen bzw. bestehende Gemeinsamkeiten hinweisen, sind in tabellarischer Form im Anhang 2 zusammengestellt und weiter erläutert. 7 Bei einer Betrachtung im Kontext mit anderen Aspekten ist zu vermuten, dass von den Befragten unter "Rechtsstaatlichkeit" nicht der demokratisch verfasste Rechtsstaat verstanden wird sondern eine "Law-and-order"-Politik. 13 BERUF: Ebenfalls wie in Gruppe A ein relativ hoher Anteil an Staatsangestellten mit mittlerer Schulbildung. GENDER: Die Gruppe setzt sich zu 80 Prozent aus Männern zusammen. REGIONAL: Überdurchschnittlich stark ist diese Gruppe in den Provinzen Bamyan (60 %) und Jalalabad (44 %), während der Durchschnitt bei 22 Prozent liegt. Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen: Die Gruppe fällt kaum dadurch auf, dass sie bestimmte Werte oder Prinzipien stärker hervorhebt als andere Gruppen. Häufig werden genannt: - Rechtsstaatlichkeit - Meinungsfreiheit (nur diesen einen Punkt betont Gruppe B stärker als alle anderen Gruppen) - Gerechtigkeit Befragte in dieser Gruppe haben die positivste Meinung von politischen Parteien im Vergleich zu den anderen Gruppen und wünschen sich in der Zukunft einen starken oder sehr starken Einfluss der Parteien (zus. 56 %) GRUPPE C (34 %) Auf Konsens fokussierte Befürworter solcher demokratischen Werte, die mit dem Islam im Einklang sind Wie auch in Gruppe B stehen bei dieser Gruppe Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit stark im Vordergrund. Gleichzeitig halten hier jedoch 75 Prozent einen "wohlwollenden Diktator" für wichtig, und 68 Prozent sprechen sich für eine strikte Anwendung islamischen Rechts aus. Demokratische Werte, die sich nicht oder nur teilweise mit islamischen Werten decken, wie individuelle Freiheit, Menschenrechte und die Gleichstellung von Mann und Frau treten gegenüber den bisher genannten Gruppen in den Hintergrund. Charakterisierende Merkmale: ALTER: Die Verteilung der Altersgruppen entspricht weitgehend dem Durchschnitt. BILDUNG: Der Anteil von Befragten mit einer mittleren Schulbildung nimmt gegenüber den vorher genannten Gruppen deutlich ab, dafür steigen die Anteile derer, die gar keine Schulbildung haben und gleichzeitig derer mit einer höheren Bildung (ein Trend, der sich in Gruppe D noch stärker fortsetzt). BERUF: Der Anteil an Staatsangestellten ist geringer als in allen anderen Gruppen, relativ stark vertreten sind Bauern, Arbeiter und Handwerker; Mujaheddin und Angehörige des Militärs tauchen in dieser Gruppe vermehrt auf. GENDER: Frauen sind mit 23 Prozent auch in dieser Gruppe nur schwach vertreten. REGIONAL: In der Provinz Kandahar (zu 75 % paschtunische Bevölkerung, ehemals Zentrum der Taliban) ist diese Gruppe besonders stark. Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen: Häufig genannt werden Punkte, die überwiegend nicht demokratischen Werten entsprechen: - Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit - "wohlwollender Diktator" 14 - strikte Anwendung islamischen Rechts die Einstellung zu politischen Parteien ist weitgehend durchschnittlich mit einer leichten Tendenz zu negativer Beurteilung; zwar findet sich noch eine Mehrheit für Parteienvielfalt, die dem Durchschnitt entspricht (zus. 54 % sind für "einige" oder "viele" Parteien), aber Parteienpluralismus generell hat eine geringe Bedeutung als in den vorher genannten Gruppen. GRUPPE D (12 %) Befürworter islamischer Werte mit wenig Aufgeschlossenheit für Demokratie Diese Gruppe favorisiert sehr deutlich islamische Werte, kann aber keinesfalls als insgesamt extremistisch angesehen werden. Mit 12 Prozent aller Befragten ist dies bereits die kleinste Gruppe, der Anteil wirklich extrem gesinnter, der Demokratie ausgesprochen feindlich gegenüber stehender Kräfte innerhalb dieser Gruppe dürfte jedoch noch einmal erheblich geringer ausfallen. Charakterisierende Merkmale: ALTER: Leicht überdurchschnittlich vertreten sind die Altersgruppen der 2534jährigen und der 35-44jährigen, unterdurchschnittlich dagegen die unter 25jährige. BILDUNG: Stärker als in allen anderen Gruppen sind Befragte ohne Schulbildung in dieser Gruppe vertreten, gleichzeitig aber auch diejenigen mit höherer Bildung. BERUF: Bauern, Arbeiter und Handwerker sind auch in dieser Gruppe überdurchschnittlich stark vertreten; ebenfalls haben Staatsbedienstete mit einer höheren Ausbildung einen relativ hohen Anteil; die Gruppe hat den höchsten Anteil an Mujaheddin und Soldaten. GENDER: Mit nur 10 Prozent sind Frauen in dieser Gruppe am schwächsten vertreten. REGIONAL: Regional sind keine Abweichungen vom Durchschnitt zu bemerken. Geäußerte Meinungen zu ausgewählten Fragen: Mit jeweils mehr als 90 Prozent spricht sich diese Gruppe für Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und die strikte Anwendung islamischen Rechts aus; mehr als die Hälfte (55 %) stimmen für ein religiöses Regime; am geringsten (jeweils unter 10 %) sind in dieser Gruppe die Befürworter von Werten wie Freiheit, Menschenrechte, Parteienpluralismus und Entscheidungsfindung durch Mehrheitsbeschluss; die Gleichstellung von Männern und Frauen sehen nur zwei Prozent als wichtig an; die Einstellung zu politischen Parteien ist tendenziell negativer als bei anderen Gruppen, trotzdem wird auch hier von mehr als der Hälfte ein starker oder sehr starker Einfluss der Parteien in der Zukunft gewünscht. 15 FAZIT Die Erfahrungen, die Afghanistan bisher nur ansatzweise mit demokratisch legitimierten Regierungen hatte, konnten nicht dazu führen, dass demokratische Werte und Prinzipien fest in der Gesellschaft verankert sind. Hinzu kommt, dass die Werte aus der eigenen Kultur, Tradition und Religion in manchen Punkten nicht in vollem Umfang mit denen eines modernen, demokratischen Staates vereinbar sind. In der neuen Verfassung wurde der Versuch unternommen, die Kultur und Tradition des Landes und vor allem die Religion des Islam mit demokratischen Normen zu vereinen, um einen modernen, demokratischen Rechtsstaat zu schaffen. Die in der Umfrage zum Ausdruck kommende Meinung der Bevölkerung scheint mit diesem Anliegen der Verfassung überein zu stimmen. Rund zwei Drittel der Befragten befürworten solche Werte und Prinzipien, mit denen sich sowohl Demokratie als auch Islam identifizieren können. Je stärker diese Vereinbarkeit ist, je größer ist die Akzeptanz in der Bevölkerung. Daneben bestehen aber auch solche Gruppen in der Gesellschaft, denen Werte wie (persönliche) Freiheit und Gleichheit (z. B. der Rechte von Männern und Frauen) wichtiger sind als überkommene Traditionen, die mit kulturellen Einschränkungen der persönlichen Entfaltung verbunden sind. Ihre Befürwortung der Demokratie ist wohl kaum eine Ablehnung des Islam als Religion sondern eine Ablehnung der von der islamisch geprägten Kultur errichteten Schranken für diese freie persönliche Entfaltung. Sie sind aufgeschlossen für Demokratie, weil sie sich davon – in ihrem Sinne positive – Auswirkungen auf die Gesellschaft erhoffen. Vermutlich hat für sie nicht Demokratie als politisches System Vorrang, sondern Demokratie als Wegbereiter für gesellschaftlichen Wandel. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass ein – wenn auch kleiner, aber dennoch zu berücksichtigender – Teil der Bevölkerung demokratischen Entwicklungen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Für sie trifft wahrscheinlich das Gegenteil der letztgenannten Gruppe zu. Auch sie sehen die selben Wirkungen, welche von demokratischen Werten ausgehen und zu einem Wandel in der Gesellschaft führen – aber sie lehnen diesen Wandel ab. Die Gruppe der Konsens Suchenden ist mit 66 Prozent die stärkste Kraft und man findet in dieser Gruppe wahrscheinlich ausreichend Akzeptanz und Unterstützung, um den Aufbau eines demokratischen Staates zu realisieren. Allerdings wird bei jedem Schritt, mit dem die Verfassung umgesetzt wird, Transparenz, Aufklärungsund Überzeugungsarbeit notwendig sein, um die mehr oder weniger aufgeschlossene Grundeinstellung zu erhalten. Bei den 22 Prozent als progressiv einzuschätzenden Befürwortern von Demokratie und gesellschaftlichem Wandel ist zwar weniger Überzeugungsarbeit zu leisten, aber um den Enthusiasmus mit dem sie die demokratischen Reformen unterstützen, zu erhalten, muss man ihnen wohl beweisen, dass die Bestimmungen der Verfassung mehr sind als bloße Absichtserklärungen. Die dort festgeschriebenen Rechte und Pflichten müssen auch umgesetzt und eingehalten werden. Mit diesen beiden Gruppen, die zusammen fast 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, dürfte Afghanistan eine gute Ausgangsposition für den Aufbau eines demokratischen Staates haben. Die manchmal geäußerten Bedenken, dass die afghanische Gesellschaft aufgrund ihrer tribalistischen Strukturen und kulturellen 16 Einschränkungen für die Schaffung eines demokratischen Staates nicht die erforderlichen Voraussetzungen mitbringe, lassen sich durch das Ergebnis der Befragung nicht bestätigen. Gewiss gibt es günstigere Startbedingungen beim Aufbau eines Staates, wie z. B. Wohlstand und Homogenität der Bevölkerung – zwei Dinge die Afghanistan nicht aufzuweisen hat. Nach mehr als zwanzig Jahren Krieg und Unterdrückung haben die Afghanen aber offensichtlich den Wunsch nach einer verantwortungsbewussten, demokratisch legitimierten Regierung, die den Zustand der Gesetzlosigkeit beendet und für die Bevölkerung die Rahmenbedingungen schafft, sich auf die Entwicklung der Persönlichkeit und der Gesellschaft sowie den Wiederaufbau der wirtschaftlichen Basis zu konzentrieren. Die im Januar 2004 durchgeführt Untersuchung vermittelt erste Einblicke, die Anlass für einen relativ optimistischen Ausblick geben, lässt jedoch noch viele Fragen offen. Eine Reihe von angesprochenen Punkten hinsichtlich der Motivation, die zu Akzeptanz oder Ablehnung demokratischer Werte führt, bewegt sich noch im Bereich der Spekulation. Zumindest hat die Befragung jedoch aufgezeigt, wo diese Lücken sind, so dass sich weitere Untersuchungen auf diese Punkte konzentrieren können. Kabul, April 2004 17 ANHANG 1 Allgemeine Tabellen zur Umfrage Berufe Provinzen und Sprachgruppen Anzahl der Befragten Anz. % Berufe der Befragten Anz. % Kabul Jalalabad Kandahar Herat Mazar-i Sharif Bamyan keine Angaben 492 199 149 145 201 199 1 1.386 36 14 11 11 14 14 0 100 arbeitslos Bauer Arbeiter, Handwerker "self-employed" Staatsangestellter Mujahid (Freiheitskämpfer) Soldat sonstiges oder keine Angaben Gesamt 118 81 157 146 467 55 39 323 1.386 9 6 11 10 34 4 3 23 100 Sprachgruppen Anz. % Dari Paschtu Usbekisch sonstige oder keine Angaben Gesamt 738 386 25 237 1.386 53 28 2 17 100 Zusammengefasste Berufsgruppen für die statistische Auswertung Anz. % arbeitslos Bauer, Arbeiter, Handwerker "self-employed" Staatsangestellter Mujahid/Soldat sonstiges Gesamt * 118 238 146 467 94 94 1.157 10 21 13 40 8 8 100 Anz. % 985 362 39 1.386 71 26 3 100 Alter Anz. % 18 – 24 Jahre 25 – 34 Jahre 35 – 44 Jahre 45 Jahre oder älter keine Angaben 333 372 297 290 94 1.386 24 27 21 21 7 100 Schulbildung Anz. % keine Ausbildung weniger als 12 Klassen 12. Klasse abgeschlossen höhere Bildung keine Angaben Gesamt 151 319 345 441 130 1.386 11 23 25 32 9 100 Gesamt Gender Männer Frauen keine Angaben Gesamt * Fragebögen, in denen diese Frage nicht beantwortet ist, werden bei der entsprechenden Auswertung nicht berücksichtig Altersgruppen und Schulbildung Sprachgruppe und Gender Gender Männer Frauen 18 sonstige Usbek. Paschtu Sprache Dari Gesamt Korrelationen der Daten für die Analyse der Umfrage % 69 31 % 79 21 % 88 12 % 80 20 100 100 100 100 100 100 % 20 22 30 28 100 100 100 100 % 0 20 20 60 100 100 100 100 Beruf arbeitslos Bauer, Arb., Handw. "self-employed" Staatsangestellter Mujahid, Soldat sonstiges Sprache 45 Jahre oder älter % 41 17 17 25 Alter 35 – 44 Jahre % 10 20 26 44 % 15 18 14 25 7 21 % 11 19 15 41 8 6 % 10 18 16 44 8 4 % 8 29 8 42 10 3 100 100 100 100 Schulbildung und Gender 100 100 18 – 24 Jahre 24 – 34 Jahre 35 – 44 Jahre 45 Jahre oder älter % 73 27 % 74 26 % 88 12 100 100 100 100 % 65 35 % 71 29 % 79 21 100 100 100 100 Schulbildung und Beruf Alter % 58 42 höhere Bildung 100 % 80 20 Beruf arbeitslos Bauer, Arb., Handw. "self-employed" Staatsangestellter Mujahid, Soldat sonstiges 19 Schulbildung höhere Bildung 100 Gender Männer Frauen 12. Klasse abgeschl. % 0 0 0 100 0 0 12. Klasse abgeschl. % 5 43 19 29 4 0 weniger als 12 Kl. % 7 21 8 42 10 12 weniger als 12 Kl. % 13 20 17 37 8 5 Schulbildung keine Ausbildung sonstige Usbek. % 14 23 34 29 24 – 34 Jahre % 13 29 28 30 Paschtu % 12 24 24 40 18 – 24 Jahre sonstige Usbek. Paschtu Dari % 6 35 24 35 Alter und Beruf Sprache Dari 45 Jahre oder älter 100 35 – 44 Jahre 100 Schulbildung keine Ausbildung weniger als 12 Kl. 12. Kl. abgeschl. höhere Bildung 24 – 34 Jahre % 0 25 25 50 Alter 18 – 24 Jahre % 9 31 30 30 Alter und Gender Gender Männer Frauen sonstige % 26 27 21 26 Sprachgruppe und Beruf Beruf arbeitslos Bauer, Arb., Handw. "self-employed" Staatsangestellter Mujahid, Soldat sonstiges Usbek. % 27 30 25 18 Sprachgruppe und Schulbildung Schulbildung keine Ausbildung weniger als 12 Kl. 12. Kl. abgeschl. höhere Bildung Paschtu Dari Alter 18 – 24 Jahre 25 – 34 Jahre 35 – 44 Jahre 45 Jahre o. älter Alter und Schulbildung Sprache keine Ausbildung Sprachgruppe und Alter % 14 56 20 1 5 4 % 17 30 17 11 12 13 % 10 18 13 49 8 2 % 4 3 6 69 6 12 100 100 100 100 ANHANG 2 Profil einzelner Gruppen in der Gesellschaft hinsichtlich ihrer Befürwortung von Demokratie Altersgruppen / Gender Die jüngeren Befragten (18 bis 24 Jahre) zeigen mit 29 Prozent in der Gruppe "A" eine deutlich stärkere Neigung zu demokratischen Werten als alle anderen Altersgruppen, von der sich durchschnittlich nur 20 Prozent hierfür entscheiden. Nicht so gravierend hingegen sind die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Befragten, die eine klare Präferenz für islamische Werte zum Ausdruck bringen (zwischen 9 und 14 Prozent). Gleichzeitig sprechen sich Frauen in der Umfrage deutlich stärker für demokratische Werte aus als Männer. Von allen befragten Frauen sind 41 Prozent der Gruppe "A" zuzurechnen, die eine deutliche Präferenz für demokratische Werte zeigt. Bei den Männern fallen nur 15 Prozent in diese Kategorie. Am anderen Ende der Skala, in der Gruppe D, die den islamischen Werten deutlich den Vorzug gibt, findet man nur 5 Prozent der befragten Frauen, aber 14 Prozent der befragten Männer. Der hohe Anteil junger Befürworter der Demokratie liegt unzweifelhaft daran, dass innerhalb der Stichprobe in dieser Altersgruppe der höchste Anteil weiblicher Befragter zu finden ist: 42 Prozent aller Befragten im Alter zwischen 18 und 24 Jahren waren weiblich. Damit kommt die Stichprobe der tatsächlichen Zusammensetzung der Bevölkerung von 48,5 Prozent Frauen und 51,5 Prozent Männern (Schätzung lt. Central Statistics Office, Kabul, für 2003/2004) sehr nahe. In der Altersgruppe 45 oder mehr Jahre sind Frauen in der Stichprobe nur mit 12 Prozent vertreten. Betrachtet man die Antworten der befragten Männer und Frauen separat, ergeben sich zwischen den Altersgruppen kaum noch gravierende Unterschiede: Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte MÄNNER Alter 18 – 24 J. 25 – 34 J. 35 – 44 J. 45 J. oder > Gesamt Ges A B C D % 19 13 12 16 15 % 33 33 43 34 36 % 38 36 27 38 35 % 10 18 18 12 14 Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte FRAUEN % 100 100 100 100 100 Alter 18 – 24 J. 25 – 34 J. 35 – 44 J. 45 J. oder > Gesamt Ges A B C D % 43 38 43 36 41 % 26 21 21 32 24 % 26 37 32 29 30 % 7 4 3 3 5 % 100 100 100 100 100 Schulbildung und Beruf Bauern, Arbeiter und Handwerker, die überwiegend keine schulische Ausbildung haben (siehe Tabellen im Anhang 1) tendieren zu einer Einstellung, die sich weniger an demokratischen als an islamischen Werten orientiert (Gruppen "C" und "D"). 20 Ebenso verhalten sich Mujaheddin und Angehörige des Militärs (von denen manche selbst früher zu den Mujaheddin gehörten) die allgemein einen höheren Bildungsstand haben. Allerdings ist die Orientierung dieser beiden Berufsgruppen nicht besonders verwunderlich weil die Einstellung der Bevölkerung auf dem Lande eher zurückhaltend gegenüber Veränderungen ist und die Mujaheddin ohnehin zu islamischen Werten neigen. Berufe der Befragten Beruf arbeitslos Bauer, Arb., Handw. "self-employed" Staatsangestellter Mujahid, Soldat sonstiges Gruppen von DemokratieBefürwortern Schulbildung der Befragten A B C D % 15 14 11 48 5 7 % 10 15 16 45 7 7 % 8 23 12 33 11 13 % 11 22 10 37 14 6 100 100 100 100 Schulbildung keine Ausbildung weniger als 12 Kl. 12. Kl. abgeschl. höhere Bildung Gruppen von DemokratieBefürwortern A B C D % 7 23 37 34 % 6 26 34 35 % 13 24 24 38 % 14 29 16 42 100 100 100 100 Auffallend ist weiter, dass die Staatsbediensteten in allen vier Gruppen den größten Anteil stellt. Dies liegt fraglos daran, dass diese Gruppe innerhalb der Stichprobe überproportional vertreten ist. Parallel dazu sind in den stärker demokratisch orientierten Gruppen "A" und "B" jeweils die Befragten mit einer mittleren bis höheren Schulbildung stark vertreten, in den eher zu islamischen Werten neigenden Gruppen "C" und "D" sind hingegen diejenigen, die eine höhere Schulbildung haben, eindeutig die jeweils stärksten Gruppen. In all diesen Segmenten sind die Staatsbediensteten außerdem etwas stärker vertreten, als es ihrem Anteil an der Stichprobe entspricht. Ausschlaggebend dafür, dass bei den Staatsbediensteten mit mittlerer Schulbildung die Befürwortung demokratischer Werte stärker zum Ausdruck kommt, als in der vergleichbaren Gruppe mit höherer Bildung, ist wieder der größere Frauenanteil in dem Segment der Staatsbediensteten mit mittlerer Schulbildung. Die Altersstruktur innerhalb der Gruppe der Staatsbediensteten hingegen spielt keine signifikante Rolle hinsichtlich der Befürwortung demokratischer oder islamischer Werte. Regionen und Ethnien In den sechs Provinzen, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, zeigte sich ein unterschiedliches Bild der Demokratieakzeptanz: Gruppen von Demokratiebefürwortern Provinz Kabul Jalalabad Kandahar Herat Mazar-i-Sharif Bamyan Gesamt A B C D % 29 10 23 20 23 10 22 % 25 44 21 28 26 60 32 % 33 35 51 36 37 22 34 % 13 11 5 16 14 8 12 21 Ges. % 100 100 100 100 100 100 100 Im wesentlichen dürfte in den kulturellen Unterschiede zwischen den in den jeweiligen Provinzen dominierenden ethnischen Gruppen der Grund für die mehr oder weniger große Aufgeschlossenheit gegenüber demokratischen Werten zu finden sein. Bei der Erhebung der Daten wurde jedoch nicht die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe erfragt sondern die Muttersprache der Befragten. Dies schränkt die Analyse ein, weil verschiedene ethische Gruppen Dari sprechen und deshalb nicht klar voneinander zu trennen sind. Eine Ausnahme bilden die Dari sprechenden Hazara in der Provinz Bamyan, die sich innerhalb der Stichprobe mit einiger Sicherheit identifizieren lassen. Darüber hinaus waren einige in der Stichprobe enthaltenen Sprachgruppen zu klein, um eine Analyse zu ermöglichen. Die Untersuchung von Unterschieden zwischen den ethnischen Gruppen hinsichtlich ihrer Akzeptanz demokratischer Werte und ihrer Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel beschränkt sich deshalb auf die grobe Unterscheidung zwischen Dari und Paschtu Sprechenden und führt die Befragten aus der Provinz Bamyan gesondert auf. Gruppen von DemokratieBefürwortern Sprachgruppen bzw. Provinz der Befragten Sprache/ Provinz Dari Sprechende ohne die Provinz Bamyan Dari Sprechende in der Provinz Bamyan (Hazara) Paschtu Sprechende in allen Provinzen Gesamt Ges Anteil der weiblichen Befragten A B C D % % % % % % 29 25 31 15 100 35 10 60 22 8 100 17 14 31 44 11 100 21 22 32 34 12 100 26 Die aus der nebenstehenden Tabelle anzulesenden Unterschiede zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen sind zum Teil durchaus signifikant (siehe Markierung). Es liegt nahe, auch hier zu vermuten, dass der unterschiedlich hohe Anteil weiblicher Befragter innerhalb der jeweiligen ethnischen Gruppe einen Einfluss auf dieses Ergebnis hat. Tatsächlich ist es jedoch so, dass es sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern erhebliche Unterschiede der Meinungen zwischen den Ethnien gibt, wie der Vergleich in den nachfolgenden Tabellen zeigt: Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte MÄNNER A Sprache/ Provinz Dari Sprechende ohne die Provinz Bamyan Dari Sprechende in der Provinz Bamyan (Hazara) Paschtu Sprechende in allen Provinzen Gesamt B C Ges D % % % % % 18 30 32 20 100 4 64 23 9 100 12 32 45 11 100 15 36 35 14 100 Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte FRAUEN Sprache/ Provinz Dari Sprechende ohne die Provinz Bamyan Dari Sprechende in der Provinz Bamyan (Hazara) Paschtu Sprechende in allen Provinzen Gesamt 22 Ges A B C D % % % % % 49 18 29 4 100 30 50 17 3 100 25 31 38 6 100 41 24 30 5 100 Einen Einfluss hat auch, dass ein großer Teil der Befragten (36 %) in Kabul lebt, wo man eine größere Aufgeschlossenheit für gesellschaftlichen Wandel erwarten kann als in den übrigen Provinzen. Aber auch unter der Bevölkerung von Kabul spielt die Grundeinstellung der ethischen Gruppe, der die Befragten angehören, eine wesentliche Rolle. Zwar gibt es generell eine Tendenz zu größerer Akzeptanz demokratischer Werte unter den Befragten der Hauptstadt, aber die in den beiden obigen Tabellen erkennbaren Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen sind auch in Kabul deutlich. in Kabul Ges Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte MÄNNER A B C D Ges Gruppen von DemokratieBefürwortern befragte FRAUEN A B C D Sprache % % % % % Sprache % % % % % Dari 25 27 30 18 100 Dari 46 18 30 6 100 Paschtu 16 31 40 13 100 Paschtu 25 25 40 10 100 22 28 34 16 100 40 20 33 7 100 Gesamt Gesamt Bemerkenswert ist, dass sich bei den Dari sowohl als auch bei den Paschtu sprechenden Männern in Kabul eine stärkere Aufgeschlossenheit für demokratische Werte zeigt als es in der jeweiligen ethnischen Gruppe im Durchschnitt der Fall ist. Bei den Frauen in Kabul hingegen ist die Aufgeschlossenheit geringer als im Durchschnitt ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe.8 ______________________ 8 Die Analyse für Kabul ist lediglich als Indikator zu verstehen; die Gesamtzahl der berücksichtigten Befragten (218 Männer und 139 Frauen) ist zu klein, um daraus verlässliche Schlüsse zu ziehen. 23