StaatsR II AG Dr. Henning Tappe Lösungsvorschlag: Frage 1: Verfassungsmäßigkeit der Änderungen Geplante Änderungen sind verfassungsmäßig, wenn • weder die Änderung des § 18 ParteiG – die Verteilung der Mittel im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung (A.) – • noch die noch die Einfügung des § 24a ParteiG – Verschärfung der Rechenschaftspflichten (B.) – gegen das Grundgesetz verstoßen. In Betracht kommt in beiden Fällen allein ein Verstoß gegen Art. 21 GG. A) § 18 ParteiG Vorüberlegung: Was ist die streitentscheidende Norm? ¾ Art. 21 GG regelt verfassungsrechtliche Stellung der Parteien. ¾ Parteien sind rechtlich in einem Übergangsbereich zwischen Staat und Gesellschaft angesiedelt. S. 1 StaatsR II AG Henning Tappe Art. 21 GG = drei Gewährleistungen: - Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes (Abs. 1 S. 1), - Freiheit der Gründung und der Betätigung (Abs. 1 S. 2), - Chancengleichheit (gefolgert aus Freiheit der Gründung, S. 2, im Mehrparteiensystem), o Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG, o Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 38 GG. Welcher Regelungsbereich ist betroffen? → Mischung aus: • „Mitwirkung des Volkes“ (Abs. 1 S. 1) = Verankerung in der Gesellschaft und • „Freiheit“ (Abs. 1 S. 2) = Staatsferne • sowie in einem zweiten Schritt: Chancengleichheit S. 2 StaatsR II AG Henning Tappe Regelungsgehalt der Änderungen? Bisherige Bestimmung: § 18 ParteiG a.F. - § 18 Abs. 1 S. 1 ParteiG: o ermöglicht staatliche Teilfinanzierung Parteien finanzieren sich einerseits durch staatliche Gelder andererseits durch „private“ Mittel (d.h. Mitgliedsbeiträge, Mandatsbeiträge und Spenden). - § 18 Abs. 1 S. 2 ParteiG: o bindet staatliche Teilfinanzierung einerseits an den Erfolg bei den Wählern (Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen) andererseits an die anderweitig erzielten Einnahmen. - § 18 Abs. 5 S. 1 ParteiG: o bindet Höhe der staatlichen Teilfinanzierung an Summe der selbst erwirtschafteten Einnahmen (§ 24 Abs. 4 Nr. 1-7 ParteiG) = relative Obergrenze. → entspricht der „Mischstellung“ der Parteien S. 3 StaatsR II AG Henning Tappe I) Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG: Freiheit und Staatsferne Änderungen des § 18 ParteiG könnten gegen die in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG garantierte Freiheit der Parteien verstoßen. 1.) Vereinbarkeit einer staatlichen Parteienfinanzierung („ob“) mit Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG Fraglich, ob es überhaupt zulässig ist, Parteien mit staatlichen Mitteln zu finanzieren a) „Schutzbereich“ des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG → Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ≠ Grundrecht („Mischstellung“), kann aber ähnlich geprüft werden. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG garantiert • freie Gründung der Partei. Vom „Schutzbereich“ (bzw. Gewährleistungsumfang) umfasst ist aber auch die folgende • freie Betätigung der Partei (vgl. Art. 9 GG) • Freie Betätigung = Freiheit von staatlicher Beeinflussung. → hier [+] S. 4 StaatsR II AG Henning Tappe b) Beeinträchtigung? Begünstigung = Beeinträchtigung? • Parteien erhalten „größere Freiheit“ • „Begünstigung“ ≠ Schranke der Parteienfreiheit. Aber: staatliche Finanzierung kann zur Abhängigkeit der Parteien führen, „staatstragende“ Parteien könnten tendenziell bevorzugt werden. BVerfGE 20, 56 [99]: • Willensbildung muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. • Staatsorganen ist es grundsätzlich verwehrt, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungsund Willensbildung des Volkes zu betätigen, • Prozess muss ‚staatsfrei’ bleiben S. 5 StaatsR II AG Henning Tappe c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung („ob“)? Parteien haben Aufgaben im Staat • Auswahl der Kandidaten für die Wahlen der Parlamente, • Formierung der politischen Auffassungen für eine „antagonistische politische Auseinandersetzung“, • Kontrolle der Staatsorganisation, • informative Verbindung zur Wählerschaft • Ausgleich der Gruppeninteressen Aufgaben → (finanzielle) Bedürfnisse dauerhafte Diskrepanz zwischen Aufgaben und Finanzausstattung wäre schädlich. Gewährung finanzieller Unterstützung? • nicht außerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. • besondere Bedeutung der Parteien für die Wahlen o z. B. gerechtfertigt, notwendige Kosten eines angemessenen Wahlkampfes zu ersetzen (BVerfGE 20, 56 [114 f.]). o Kosten können pauschaliert werden (BVerfGE 24, 300 [335]). Aber: Eingriff / Freiheitsbeschränkung S. 6 StaatsR II AG Henning Tappe → Auswirkungen auf Art und Weise („Wie“) BVerfGE 20, 56 [102]: • Völlige / überwiegende Deckung des Geldbedarfs aus öffentlichen Mitteln mit GG nicht zu vereinbaren. • Staatsorgane würden auf Prozess der Meinungs- und Willensbildung einwirken.“ BVerfGE 85, 264 [287]: • Staatsfreiheit erlaubt nur Teilfinanzierung der allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien aus staatlichen Mitteln. • untersagt Einflussnahme des Staates auf die Willensbildung in den Parteien und damit auf den Prozess der politischen Willensbildung insgesamt. • Gefahr mittelbarer Einflussnahme durch finanzielle Leistungen ist durch die Art und Weise zu begegnen, in der der Staat solche Leistungen an die Parteien erbringt. S. 7 StaatsR II AG Henning Tappe 2.) Verfassungsrechtliche Vorgaben („wie“) a) Streichung der relativen Obergrenze des § 18 Abs. 5 S. 1 ParteiG a. F. könnte verfassungswidrige Ausgestaltung sein. Abwägung: legitimes Interesse an der finanziellen Unterstützung der Parteien ↔ verfassungsrechtliches Gebot der Staatsferne → praktische Konkordanz - Parteifinanzierung darf nicht zu Abhängigkeit führen; - staatliche Parteifinanzierung darf nur Teilfinanzierung darstellen, - Vorrang: Eigenfinanzierung Hier: - Gefahr (Parteiaustritte), dass staatliche Finanzierung > Eigenfinanzierung → Abhängigkeit vom Staat - Staatsfreiheit erfordert • Gewährleistung der Unabhängigkeit • Bewahrung des Charakters als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppe S. 8 StaatsR II AG Henning Tappe • Parteien müssen politisch, wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürger angewiesen bleiben. • Öffentliche Mittel dürfen den einzelnen Parteien das Risiko des Fehlschlagens ihrer Bemühungen um eine hinreichende Unterstützung in der Wählerschaft nicht nehmen - Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteienwird durch die Gewährung finanzieller Zuwendungen verletzt, • „wenn durch sie die Parteien der Notwendigkeit enthoben werden, sich um die finanzielle Unterstützung ihrer Aktivitäten durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu bemühen. Wird dies außer acht gelassen, laufen die Parteien Gefahr, sich aus ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung zu lösen“ (vgl. BVerfGE 73, 40 [88]; BVerfGE 85, 264 [287]). Hier soll die Streichung der relativen Obergrenze gerade dazu führen, dass staatliche Mittel unabhängig von der Höhe der eingeworbenen Mittel (Spenden etc.) fließen. → Streichung der relativen Obergrenze ist verfassungswidrig. S. 9 StaatsR II AG Henning Tappe b) Abkoppelung der staatl. Zuwendungen von • absoluten Beträgen (pro Stimme, § 18 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 ParteiG a.F.) und • eigenen Mitteln (i. S. d. § 18 Abs. 3 Nr. 3) → relative Verteilung eines Gesamtbetrages → nur Bundestagswahl Auch hier: Lockerung der gesellschaftlichen Verwurzelung • Extremfall: 100 000 Stimmen • keine „Verwurzelung“ • aber: Verteilung d. Fixbetrages quotal. • Beschränkung auf Bundestagswahl → keine Berücksichtigung regionaler Besonderheiten • Auch bei Vorbereitung anderer Wahlen fallen Wahlkampfkosten an, deren Übernahme im staatlichen Interesse sein kann. Auch diese Änderung berücksichtigt das Gebot d. gesellschaftlichen Verwurzelung nicht hinreichend und verstößt daher gegen das Gebot der Staatsferne (Art. 21 Abs. 1 S. 1 u. 2 ParteiG). S. 10 StaatsR II AG Henning Tappe II) Verstoß gegen Art. 21 I i. V. m. Art. 3 I GG – Chancengleichheit der Parteien? Zugleich könnte Beschränkung auf Bundestagswahl das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 1 GG) verletzen. 1) Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte - Regelung bedeutet Förderung in unterschiedlicher Höhe 2) Keine Rechtfertigung durch sachliche Gründe - staatliche Leistungen müssen sich am Wahlerfolg orientieren - wohl [+]: Höhe der staatlichen Förderung ist abhängig vom Wahlerfolg bei BT-Wahl - Aber: Chancen kleinerer Parteien müssen gewahrt werden • durch Nicht-Berücksichtigung Gefahr, dass kleinere Parteien (wenige Stimmen auf Bundesebene / größeres Gewicht im EP oder in LTen), benachteiligt werden • Förderung der Parteien ist Bundessache (Art. 21 Abs. 3 GG) II. Ergebnis: Verstoß gegen Art. 21 Abs. 1 S. 2 u. Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG. S. 11 StaatsR II AG Henning Tappe B) Änderung der Rechenschaftspflicht Verstoß gegen„Parteienprivileg“, Art. 21 Abs. 2? I) Reichweite der Gewährleistung • Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG: • allein BVerfG entscheidet über Verfassungswidrigkeit von Parteien. • Art. 21 Abs. 2 GG = einzige Schranke - Andere politische Organe dürfen Partei nicht als verfassungswidrig behandeln, solange keine Entscheidung des BVerfG vorliegt und Partei mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitet („Sperrwirkung“ des Art. 21 Abs. 2 GG). II) Eingriff - Verstoß gegen neue Rechenschaftspflicht = Verlust der staatlichen Teilfinanzierung - Partei würde ohne Entscheidung des BVerfG (Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG) wie verfassungswidrige Partei behandelt. S. 12 StaatsR II AG Henning Tappe III) Rechtfertigung - Ausnahmen nur, wenn konkrete Verstöße - Hier: Flugblätter mglw. strafbar - Aber: Rechenschaftspflicht gerechtfertigt? Geforderter Nachweis der Verwendung wird so kaum zu erbringen sein = Beweislastumkehr - Rechenschaftspflicht hätte zur Folge, dass • Partei wie verfassungswidrige Partei behandelt würde • „Kaltes Verbot“ - Vereinzelte rechtswidrige Aktionen? • Wiederholungsgefahr? • konkrete Anhaltspunkte? - Sperrwirkung d. Art. 21 Abs. 2 GG verbietet staatliche Bekämpfung einer nicht verbotenen politischen Partei - gewährleistet Recht zur freien Betätigung. IV) Ergebnis: Neue Rechenschaftspflicht über die Nicht-Verwendung staatlicher Mittel für verfassungsfeindliche Ziele verstößt gegen das Parteienprivileg und ist somit verfassungswidrig. S. 13 StaatsR II AG Henning Tappe Frage 2: Klage der NPD Eine Klage der NPD vor dem BVerfG ist nur dann zu befürchten, wenn sie zulässig ist. Vorüberlegung: Mögliche Verfahrensarten: Art. 93 Abs. Abs. 1 - Nr. 1: Organstreitverfahren - Nr. 2: Abstrakte Normenkontrolle (Nr. 2a: ANK wg. Art. 72 Abs. 2) - Nr. 3: Bund-Länder-Streit / Nr. 4: sonstige föderale Streitigkeiten - Nr. 4a: Verfassungsbeschwerde (Nr. 4b: VB von Gemeinden) - Nr. 5: sonstige Fälle, z.B.: Art. 100 GG (konkrete Normenkontrolle); Art. 21 Abs 2 GG (Parteiverbotsverfahren); Art. 41 Abs. 2 GG (Wahlprüfungsverfahren) Normenkontrolle? Keine präventive Normenkontrolle Danach abstrakte Normenkontrolle? – Weder Bundes- oder Landesregierung noch ein Drittel der Abgeordneten des Bundestages (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). S. 14 StaatsR II AG Henning Tappe „Partei“ = Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft: → Verfassungsbeschwerde oder Organstreit? Was gilt bei Rechten aus Art. 21 GG? Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens Klage der NPD gegen die Gesetzesänderungen könnte als Organstreitverfahren zulässig sein. 1. Zuständigkeit Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Abs. 1 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. 2. Antragsberechtigung bzw. Parteifähigkeit a) Antragsteller Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG: „andere Beteiligte“, wenn sie „durch dieses GG oder in der GO eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind“. aa) Partei kann als „Staatsorgan“ behandelt werden, wenn sie Rechte aus Art. 21 („Status“) geltend macht. § 63 BVerfGG steht nicht entgegen keine „Teile“ der genannten Organe, → aber verfassungskonforme Auslegung S. 15 StaatsR II AG Henning Tappe bb) Parteifähigkeit bezieht sich nur auf Durchsetzung der spezifischen Mitwirkungsrechte aus Art. 21 GG (a) Änderungen der Parteifinanzierung keine gesetzesausführende Verteilung sondern Gesetz, nach dem die Verteilung der Mittel erfolgen soll Entscheidung über die Verteilung der Finanzmittel erfolgt durch das Gesetz → Organstreitverfahren statthaft NPD = (insoweit) antragsberechtigt. (b) Änderung der Rechenschaftspflicht Eingriff erfolgt nicht unmittelbar durch das Gesetz, → erst durch Entscheidung des B-Präs. (Behörde) (falscher Rechenschaftsbericht?) Aber: Verstoß kommt in seiner Wirkung einem Parteiverbot gleich (s.o.). → Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG) statthaft. S. 16 StaatsR II AG Henning Tappe b) Antragsgegner Bundestag = oberstes Bundesorgan (Art. 93 I Nr. 1, § 63 BVerfGG) 3. Streitgegenstand, § 64 Abs. 1 BVerfGG Gesetz = Maßnahme des AG, 4. Antragsbefugnis, § 64 I BVerfGG schlüssige Behauptung einer Rechtsverletzung Hier [+], s.o. Frage 1) 5. Rechtschutzbedürfnis Solange Gesetz noch nicht beschlossen und verkündet → keine unmittelbare Rechtsverletzung → kein Rechtsschutzbedürfnis Erst mit Verkündung des Gesetzes. (Erst ab diesem Zeitpunkt wäre ein Antrag zulässig). 6. Form und Frist § 64 Abs. 3 BVerfGG → sechs Monate nach Bekanntwerden (= Verkündung) Form: §§ 23 Abs. 1, 64 Abs. 2 BVerfGG Antrag der NPD wäre zulässig. S. 17