Das Recht der politischen Parteien

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Prof. Dr. Gerhard Robbers
SS 2003
Repetitorium für
Verfassungsrecht und Verfassungsprozessrecht
15.07.2003
Das Recht der politischen Parteien
A. I ist Intendant des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders F. I steht tendenziell der konservativen
Regierungsparteipartei R nahe. Bei den kommenden Bundestagswahlen kandidiert auch die, bisher
noch nicht im Bundestag vertretene, Partei P, die bereits in verschiedenen Bundesländern über zahlreiche Landtagssitze verfügt. Ihr Wahlkampfslogan lautet: „Fun for everyone”. Die Kandidaten der P
treten, zur Unterstreichung ihres Anliegens, ausschließlich in grellbunter Kleidung auf. Dies widerstrebt I zutiefst. Er versucht deshalb jegliche Darstellung, Berichterstattung oder Zurverfügungstellung
von Sendezeit für P zu verhindern. P ist empört, weil F nach Umfrageergebnissen wesentlich mehr
Zuschauer in allen Altersgruppen erreicht als alle anderen Sender.
Zu den quotenstärksten Fernsehsendungen zählt eine Late-Night-Talkshow mit dem bekannten Journalisten J. F plant, als Höhepunkt seiner im Vorfeld stattfindenden Wahlsendungen, eine abendfüllende
Sondersendung mit J und den Spitzenkandidaten verschiedener Parteien. Diese Diskussionssendung ist
unter dem Titel „Noch 12 Stunden bis zur Wahl” angesetzt. Inhaltlich soll es sich hierbei um einen
Rückblick auf die Bundestagsarbeit der vergangenen Legislaturperiode handeln; gleichwohl verspricht
F in Vorankündigungen den Zuschauern eine „spannungsgeladene Diskussionsrunde mit massiven
Auswirkungen auf den Wahlausgang”. Zu der redaktionell gestalteten Fernsehsendung wurden zunächst nur die Spitzenkandidaten der Regierungspartei R und der Oppositionspartei O eingeladen, die
nach dem Kräfteverhältnis der Parteien allein als Anwärter auf das Amt des Bundeskanzlers in Betracht kommen. Auf Drängen der in zahlreichen Landtagen, nicht aber im Bundestag, vertretenen XPartei wurde der Teilnehmerkreis um deren Spitzenkandidaten erweitert. Die Bitte der P auch ihren
Spitzenkandidaten S einzuladen, lehnte F ab. Der Antrag der P auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde sowohl vom Verwaltungsgericht, als auch vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt. P überlegt deshalb, drei Tage vor der Wahl, ob die Anrufung des BVerfG noch Erfolg verspricht, weil sie
bisher nur in unbedeutenden Fernsehsendungen anderer Sender zu Wort kam und mit X, deren Spitzenkandidat an der Sendung teilnimmt, in direkter Konkurrenz um Wählerstimmen und die Überwindung der 5 % - Hürde steht.
B. Im Vorfeld der Wahlen bereitete P außerdem die „Öffentlichkeitsarbeit” der Bundesregierung Probleme. Diese hatte, unter Aufwendung von 5 Millionen € aus dem Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit”, großformatige Anzeigenserien in Tages- und Wochenzeitungen, sowie Zeitschriften veröffentlichen lassen. Außerdem wurden an die Bürger unzählige Faltblätter und Publikationen mit Leistungsund Erfolgsberichten der Regierung verteilt, in denen auch die Mitglieder der Bundesregierung abgebildet und deren besondere Qualitäten herausgestellt waren. Darin warb die Regierung auch dafür „als
Regierung wiedergewählt” zu werden. Ein Teil der Broschüren wurde von der Bundesregierung der
Regierungspartei R überlassen, die sie ihrerseits weiter verteilte. Gegen Ende des Wahlkampfes nahm
diese Öffentlichkeitsarbeit, ohne aktuellen Anlass, massiv zu. P, die nicht über derartige finanzielle
Mittel verfügt, hält diese Wahlwerbung der Bundesregierung für verfassungswidrig und sieht sich in
ihrer Chancengleichheit beeinträchtigt. Eine kurzfristige Unterbindung des Verhaltens der Bundesregierung sieht P, aufgrund des bevorstehenden Wahltermins und der durch diese Aktion bereits erfolgten massiven Beeinflussung der Wähler, nicht als sinnvoll an. Dennoch möchte sie die Frage der
Rechtmäßigkeit einer solchen Vorgehensweise der Bundesregierung für die Zukunft grundsätzlich
durch das BVerfG geklärt haben
1. Erstellen Sie, unter Berücksichtigung der Überlegungen der P, zu allen unter A. und B. aufgeworfenen Fragen ein Gutachten.
2. Schildern Sie die Grundzüge der staatlichen Parteienfinanzierung.
Prof. Dr. Gerhard Robbers
SS 2003
Repetitorium für
Verfassungsrecht und Verfassungsprozessrecht
15.07.2003
Das Recht der politischen Parteien
Die nachstehenden Lösungshinweise fassen die wichtigsten Probleme - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zusammen. Sie beinhalten jedoch in keiner Weise ein
klausurmäßiges Aufbauschema und geben nur Beispiele, wie in einer Examensklausur argumentiert werden könnte.
Die allgemeinen Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie
geben lediglich Hinweise auf wesentliche Aspekte des jeweiligen Themengebietes
und sind als Anregung zum vertiefenden Selbststudium zu verstehen. Sie stellen
nicht in jedem Fall die Meinung des Dozenten dar, sondern sollen allgemein auf die
Problemfelder des betreffenden Rechtsgebietes und die dazu vertretenen Auffassungen hinweisen und so Argumentationsanregungen für Klausuren liefern.
EINFÜHRUNG
Begriff der politischen Partei
Art. 21 GG enthält selbst keine Definition des Parteibegriffs, sondern setzt sie voraus.
§ 2 I ParteiG definiert politische Parteien als „Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder
für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem
Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse,
insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder
und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten“. (Vgl. BVerfGE 47, 198 (222); 89, 266 (269f.); 91, 262
(266ff.); 91, 276 (284ff.))
Nicht unter den Begriff der politischen Parteien fallen damit Wählervereinigungen, d.h.
Gruppen, die nur vorübergehend zusammentreten, um für bestimmte Wahlen Kandidaten aufzustellen, weil diesen das Moment der Dauer fehlt (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts
der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1995, Rdnr. 167f.). Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass sich „Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben“
(BVerfGE 91, 262 (270)).
Auch Kommunalparteien, d. h. Gruppen oder Wählervereinigungen, deren Ziele sich auf die
Mitwirkung bei der Willensbildung in den Gemeinden und Gemeindeverbänden beschränken
(sog.„Rathausparteien“), werden von dieser Begriffsbestimmung nicht umfasst. Das Gesetz
folgt hier der Rechtsprechung des BVerfG, das den Kommunalparteien die Eigenschaft einer
politischen Partei im Hinblick auf den begrenzten, auf örtliche Verwaltungsaufgaben beschränkten Wirkungskreis der Kommunalvertretungen abgesprochen hat. Allerdings weist das
BVerfG in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der Parteien für die Kommunalpolitik hin und eröffnet deshalb denjenigen politischen Parteien, die mindestens auf Landesebene organisiert sind, die Möglichkeit, ihr Recht auf Chancengleichheit bei Kommunalwahlen
im Wege des Organstreits geltend zu machen (BVerfGE 6, 367 (372f.); Hesse, a.a.O., Rdnr.
167f.).
Verfassungsrechtlicher Status
Das BVerfG hat in std. Rechtsprechung die Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben, ohne dass sie damit Teil der Staatsorganisation würden. Sie gehören an sich dem gesellschaftlichen Bereich an, wirken hieraus aber in den staatlichen Bereich
ein, ohne dass sie diesem direkt zuzurechnen wären. (Vgl. hierzu Maurer, Staatsrecht I, 3.
Auflage 2003, § 11, Rdnr. 22ff. (25) m.w.N.)
Rechtsschutzmöglichkeiten der politischen Parteien
• Organstreitverfahren: Durch Art. 21 GG wird den politischen Parteien eine Sonderstellung zugewiesen. Soweit sie an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, üben
sie die Funktionen von Verfassungsorganen aus. Die Verletzung dieses verfassungsrechtlichen Status durch ein anderes Verfassungsorgan können sie nur im Wege des Organstreitverfahrens nach Art. 93 I Nr. 1 GG, nicht jedoch mit der Verfassungsbeschwerde,
geltend machen (BVerfGE 82, 322 (335); 84, 290 (298); 85, 264 (284); Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, S. 14). Bsp.: Eine politische Partei wendet sich gegen die Regelung der Wahlkampfkostenerstattung durch das
ParteiG.
• Zivilrechtsweg: Streitigkeiten innerhalb der Partei, z. B. die Fragen der Rechtmäßigkeit
eines Parteiausschlusses oder der Gültigkeit von innerparteilichen Wahlen, gehören vor
die Zivilgerichte.
• Verwaltungsrechtsweg: Bei Verletzung von Rechten der Partei durch die Verwaltung, z. B.
wenn eine Stadt es ablehnt einer Partei die Stadthalle für einen Parteitag oder eine Wahlkampfveranstaltung zu überlassen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
FRAGE 1
A. Teilnahme an der Diskussionssendung „Noch 12 Stunden bis zur Wahl”
In Betracht kommt eine einstweilige Anordnung des BVerfG gemäß § 32 BVerfGG.
I. Zulässigkeit
1. Statthaftigkeit
Die einstweilige Anordnung ist in allen Verfahrensarten vor dem BVerfG statthaft. Voraussetzung ist allerdings, dass das BVerfG überhaupt zur Entscheidung über den Streitfall berufen ist. Rechtsfragen, die wegen des Enumerationsprinzips in Art. 93 GG, § 13 BVerfGG
nicht im Hauptsacheverfahren vor das BVerfG gebracht werden können, kann das BVerfG
auch nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig regeln.
Gegen die Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist eine Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG statthaft (vgl. BVerfGE 82, 54
(57)). Daher ist auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft.
2. Antrag und Antragsberechtigung
Das BVerfG kann eine einstweilige Anordnung von Amts wegen erlassen. Eines Antrags bedarf es grundsätzlich nicht, wenn überhaupt ein Verfahren vor dem BVerfG anhängig gemacht worden ist.
Zudem kann das BVerfG auf Antrag eine einstweilige Anordnung bereits vor der Einleitung
des Hauptsacheverfahrens erlassen. Diesen Antrag kann jedermann stellen, der an dem Hauptsacheverfahren beteiligt ist oder, wenn es erst noch anhängig zu machen ist, beteiligt sein
kann. Dazu gehören jedoch nicht die bloß Anhörungsberechtigten.
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P muss daher, nachdem noch kein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht wurde, zunächst
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen.
3. Keine evidente Unzulässigkeit des Hauptverfahrens
Der Sachverhalt bietet vorliegend keine Anhaltspunkte für eine evidente Unzulässigkeit der in der Hauptsache statthaften - Verfassungsbeschwerde.
4. Keine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache
Mit der Zulassung der P zu der Diskussionsrunde wird die Hauptsache vorweggenommen.
Aus dem Charakter der einstweiligen Anordnung als Entscheidung zur vorläufigen Sicherung
und Regelung folgt jedoch, dass in diesem Verfahren im Grundsatz die Entscheidung in der
Hauptsache nicht vorweggenommen werden darf. Nur in Fällen, in denen die Hauptsacheentscheidung zu spät käme, ist eine Ausnahme zu machen. Dies ist hier der Fall. Eine Hauptsacheentscheidung des BVerfG kann binnen drei Tagen vor dem geplanten Wahltermin nicht
mehr ergehen.
5. Rechtsschutzbedürfnis
Der Antragsteller muss ein besonderes, auf den Erlass der einstweiligen Anordnung bezogenes, Rechtsschutzbedürfnis haben. Die vorläufige Entscheidung des BVerfG muss erforderlich und geeignet sein, diese rechtlich geschützten Interessen zu wahren. Daran fehlt es, wenn
die beschwerende fachgerichtliche Entscheidung noch nicht ergangen ist oder wenn die Entscheidung in der Hauptsache rechtzeitig käme oder der Antragsteller durch eigene zumutbare
Maßnahmen sein Ziel erreichen könnte.
P hat den Rechtsweg im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeschöpft. Eine Entscheidung in der Hauptsache durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann nicht mehr rechtzeitig vor
den Wahlen ergehen. P kann ihr Teilnahmeinteresse an der Diskussionsrunde von F daher
nicht auf anderem Wege durchsetzen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist damit zu bejahen.
6. Zwischenergebnis
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre zulässig.
II. Begründetheit
Die einstweilige Anordnung kann gemäß § 32 BVerfGG erlassen werden, wenn sie zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Das für alle Tatbestandsvoraussetzungen erforderliche Gemeinwohlinteresse umfasst auch individuelle Interessen. Sind die Voraussetzungen gegeben, muss das Gericht die einstweilige Anordnung erlassen; das „kann” in
§ 32 I BVerfGG bezeichnet die Kompetenz des Gerichts und räumt nicht etwa ein Ermessen
ein (Robbers, a.a.O., S. 93).
In der Praxis verfährt das BVerfG für die Begründetheitsprüfung nach folgender Formel: Das
BVerfG muss die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung
nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen, die entstehen würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der
Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.
Dabei bleiben die Erfolgsaussichten des Antrages in der Hauptsache grundsätzlich unberücksichtigt, es geht hier nur um eine vorläufige Regelung. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens bestimmen die Begründetheit des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur in Ausnahmefällen, etwa wenn der Hauptsacheantrag offensichtlich unbegründet
ist. Eine Ausnahme von dieser Regel kann aber auch dann gemacht werden, wenn die Entscheidung weitreichende politische Bedeutung hat.
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Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das BVerfG die Folgen, die
eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (BVerfGE 82, 54 (57)).
Der Antrag der P hat Erfolg, wenn das BVerfG nicht ausschließen kann, dass durch die Teilnahme des Spitzenkandidaten S der P an der Diskussionsrunde und das zu erwartende öffentliche Interesse die Wahlentscheidung der Bürger beeinflusst wird. Diese möglichen Folgen
müssen schwerer wiegen als die Grundrechtsbeeinträchtigung von F.
Die Verfassungsbeschwerde wirft vorliegend Fragen des Verhältnisses von Rundfunkfreiheit
und Parteiengleichheit auf. Diese sind in die erforderliche Abwägung einzustellen.
Würde eine einstweilige Anordnung ergehen, der Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren aber nicht stattgegeben werden, so würde F in ihrem Grundrecht aus Art. 5 I 2, 2. Alt.
GG beeinträchtigt. Dieses Grundrecht umfasst auch das Recht der Rundfunkanstalt, selbst zu
bestimmen, wen sie als Diskussionspartner zu einer redaktionell gestalteten Fernsehdiskussion einladen will (BVerfGE 82, 54 (58)). Die einstweilige Anordnung würde es F unmöglich
machen, ein - nicht zu beanstandendes - Sendekonzept in der geplanten Form zu verwirklichen. Der daraus resultierende Eingriff hätte allerdings keine Wirkungen, welche die publizistische Freiheit der Rundfunkanstalten dauerhaft verkürzen würden. Denn die Hauptsacheentscheidung würde zu dem Ergebnis kommen, dass in Fällen wie dem vorliegenden die Rundfunkfreiheit nicht hinter dem Anspruch der Parteien auf Gleichbehandlung zurückstehen muss
(BVerfGE 82, 54 (58)).
Bei der Bestimmung der Schwere der Beeinträchtigung fällt überdies ins Gewicht, dass F das
Konzept seiner Sendung auf Intervention der X-Partei selbst ausgeweitet hat. Nachdem anfänglich nur die Spitzenkandidaten der R- und der O-Partei, die nach Lage der Dinge allein
als Anwärter auf das Amt des Regierungschefs in Frage kommen, an der Sendung teilnehmen
sollten, wurde später auch der Spitzenkandidat der X-Partei eingeladen. Dieses veränderte
Konzept wird durch die Hinzunahme von Spitzenkandidaten von Parteien, die - wie die P Aussicht auf Einzug in den Bundestag haben, nur in geringem Maße beeinträchtigt. Dadurch
ist der Eingriff in die Rundfunkfreiheit als weniger schwerwiegend einzustufen.
Demgegenüber ist die Entscheidung, ob die Beschränkung auf Repräsentanten der im Bundestag bereits vertretenen Parteien in einer Sendung dieser Art sachgerecht oder willkürlich ist,
der Hauptsacheentscheidung vorzubehalten (BVerfGE 82, 54 (58)).
Diesen Argumenten sind die Nachteile auf Seiten der P gegenüberzustellen. P ist in anderen,
im Vorfeld der Bundestagswahl veranstalten, unbedeutenden Fernsehsendungen bereits zu
Wort gekommen. Die vorgesehene Diskussionsrunde ist auch nicht die einzige Möglichkeit
für P, sich Aufmerksamkeit bei den Wählern zu verschaffen. Allerdings handelt es sich bei
der Sendung „Noch 12 Stunden bis zur Wahl”, in der die Spitzenkandidaten von drei Parteien
aufeinandertreffen, um den Höhepunkt der auf die Wahl bezogenen Sendungen von F. Nach
den objektiven Umständen und nach der Ankündigung der Sendung durch F selbst („spannungsgeladene Diskussionsrunde mit massiven Auswirkungen auf den Wahlausgang”), kann
nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Sendung auf einen bloßen Rückblick auf die
Bundestagsarbeit der vergangenen Legislaturperiode beschränken wird. Auch der Werbeeffekt ist bei F nach Umfrageergebnissen ungleich größer, weil dieser Sender wesentlich mehr
Zuschauer aller Altersgruppen erreicht als andere.
Der Ausschluss von einer solchen voraussichtlich besonders publikumswirksamen Sendung
kann die Chancen von P in der Wählergunst unter Umständen nachhaltig verschlechtern. Es
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ist nicht auszuschließen, dass in Teilen der Wählerschaft auf diese Weise der Eindruck entsteht, P habe von vornherein keine realistische Aussicht, in den Bundestag einzuziehen.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich P und die X-Partei, deren Spitzenkandidat zur
Sendung eingeladen wurde, insofern in einer vergleichbaren Lage befinden, als beide Parteien
bereits in einigen Landtagen vertreten sind und in direkter Konkurrenz um Wählerstimmen,
sowie die Überwindung der 5 % - Hürde stehen. Diese - im Rahmen der summarischen Prüfung zu unterstellende - Ungleichbehandlung wiegt um so schwerer, als möglicherweise bereits geringe Stimmenverschiebungen über den Einzug der P in den Bundestag entscheiden.
Die Folgen der Verschlechterung der Wahlaussichten der P sind, im Gegensatz zu den
nachteiligen Folgen für die Rundfunkfreiheit der F, von dauerhafter und während der Legislaturperiode nicht mehr korrigierbarer Wirkung. Die Nachteile auf Seiten der P wiegen also
schwerer.
Die vorstehende Abwägung führt damit zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen überwiegen, die eintreten würden, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg hätte. Das BVerfG wird die einstweilige Anordnung erlassen.
III. Ergebnis
Ein Antrag der P auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre zulässig und begründet.
B. Die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Bundesregierung
In Betracht kommt die Einleitung eines Organstreitverfahrens nach Art. 93 I Nr. 1 GG i.V.m.
§§ 13 Nr. 5, 63ff. BVerfGG.
A. Zulässigkeit
1. Antragsteller
Nach Art. 93 I Nr. 1 GG können oberste Bundesorgane sowie andere Beteiligte, die durch das
Grundgesetz oder in einer Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, Partei des Verfahrens sein. Dagegen nennt § 63 BVerfGG verengend
Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in
den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestattete Teile dieser Organe. Es gibt aber noch andere oberste Bundesorgane. Die weiter gefasste Verfassungsnorm besitzt insofern Vorrang vor der einfachen Gesetzesbestimmung des
BVerfGG (Robbers, a.a.O., S. 42).
Parteifähig im Organstreitverfahren sind auch Fraktionen im Bundestag und in einzelnen
Ausschüssen (vgl. dazu BVerfGE 67, 100 (124)), die Ausschüsse selbst, sowie - nach std.
Rspr. des BVerfG - politische Parteien (vgl. Robbers, a.a.O., S. 43).
Die Parteifähigkeit von P ergibt sich aus der std. Rspr. des BVerfG, wonach eine Partei die
Organklage erheben kann, wenn sie in ihrem verfassungsrechtlichen Status verletzt ist
(BVerfGE 82, 322 (335); 84, 290 (298); 85, 264 (284)); sie ist „anderer Beteiligter“ im Sinne
des Art. 93 I Nr. 1 GG (BVerfGE 44, 125 (137) m.w.N.).
2. Antragsgegner
Antragsgegner können nur die in Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG genannten Organe oder
anderen Beteiligten sein.
Antragsgegner ist hier die Bundesregierung (als Kollegialorgan).
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3. Streitgegenstand
Gemäß § 64 I BVerfGG wird darüber gestritten, ob der Antragsteller oder das Organ dem er
angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch
das Grundgesetz übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.
Streitgegenstand ist hier die Frage, ob eine derartige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung – wie im Sachverhalt geschildert - im Vorfeld der Wahlen mit dem Grundgesetz, insbesondere dem Recht auf Chancengleichheit, vereinbar ist.
Exkurs: Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf (Art. 3 I, III
GG i.V.m. Art. 21 I GG, Art. 38 I GG)
Dieser Grundsatz ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz normiert, er ergibt sich jedoch aus
der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die
freiheitliche Demokratie zukommt (BVerfGE 69, 257 (268)). Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien gilt nicht nur für den Bereich des Wahlrechts im engeren Sinne, sondern z.B. auch für die zur Wahlvorbereitung unerlässliche Wahlwerbung, soweit sie durch
Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, wozu auch die Maßnahmen der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten gehören, beeinflusst werden (BVerfGE 69, 257 (268)).
Beachte:
• Geht es etwa um die Zurverfügungstellung von Sendezeit für Wahlwerbung, so kann
gleichwohl zulässigerweise nach der Bedeutung der Partei differenziert werden (Prinzip
der abgestuften Chancengleichheit, vgl. § 5 I 2 ParteiG). D. h. den kleineren Parteien
darf weniger Sendezeit für Wahlwerbesendungen zur Verfügung gestellt werden, als den
großen Parteien (zum Umfang der Gewährung vgl. § 5 I 4 ParteiG). Die Bedeutung der
Parteien bemisst sich gemäß § 5 I 3 ParteiG insbesondere nach den Ergebnissen vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen. Daneben sind auch die Dauer ihres Bestehens,
ihre Kontinuität, ihre Mitgliederzahl, der Umfang und Ausbau ihres Organisationsnetzes,
ihre Vertretung im Parlament und ihre Beteiligung an der Regierung in Bund und Ländern zu berücksichtigen (BVerfGE 14, 121 (137)).
• Außerhalb von Wahlen ist der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 I i.V.m. 3 I,
III GG herzuleiten.
• Im Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) ist die Chancengleichheit lex
specialis (Jarass / Pieroth - Pieroth, Grundgesetz, 6. Auflage 2002, Art. 21, Rdnr. 17).
4. Antragsbefugnis
Der Antragsteller muss schlüssig behaupten, dass er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und dass der Antragsgegner hieraus folgende eigene Rechte des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder durch
sein Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet habe. Die Verletzung oder Gefährdung
muss entsprechend der Möglichkeitstheorie möglich, d. h. nicht von vornherein ausgeschlossen sein.
Das BVerfG überprüft im Organstreitverfahren nur die vom Antragsteller behauptete Verletzung in eigenen Rechten. Eine allgemeine verfassungsrechtliche Überprüfung der angegriffenen Maßnahmen findet in diesem Verfahren nicht statt.
Die Antragsbefugnis der P folgt daraus, dass sie schlüssig behaupten kann, durch die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Bundesregierung möglicherweise in ihrem Recht auf Chancengleichheit
verletzt zu sein.
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5. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers wird durch die Antragstellung indiziert. Das
Rechtsschutzbedürfnis fehlt ausnahmsweise, wenn der Antragsteller durch eigenes politisches
Handeln die gerügte Verfassungsverletzung hätte verhindern können (BVerfGE 68, 1 (77)).
Das Rechtsschutzbedürfnis der P wird hier durch die Antragstellung indiziert.
6. Frist
P muss den Antrag innerhalb einer Frist von sechs Monaten stellen (§ 64 III BVerfGG). Die
Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem
Antragsteller bekannt wurde.
7. Zwischenergebnis
Ein Organstreitverfahren ist bei fristgerechter Antragstellung zulässig.
II. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die „Öffentlichkeitsarbeit“ verfassungswidrig ist und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt wird (vgl. dazu BVerfGE 44, 125).
Aus Art. 20 II GG folgt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und vom Volk in Wahlen
und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Diese Grundentscheidung der Verfassung für die
demokratische Staatsform wird unter anderem in Art. 38 I GG dahingehend näher ausgestaltet, dass die Abgeordneten des deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier,
gleicher und geheimer Wahl gewählt werden, Vertreter des ganzen Volkes und an Weisungen
und Aufträge nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Art. 21 I 1 GG bestimmt zudem, dass die politischen Parteien bei der Willensbildung des Volkes mitwirken.
Die personellen Träger der obersten politischen Staatsorgane bedürfen, damit ihr Verhalten
dem Volk verantwortlich bleibt, in regelmäßig wiederkehrenden Abständen der demokratischen Legitimation durch Wahlen. Wahlen vermögen die demokratische Legitimation im
Sinne des Art. 20 II GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert, dass die Wähler
ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können.
Der herausragenden Bedeutung, die in diesem Prozess den politischen Parteien zukommt, hat
das Grundgesetz dadurch Ausdruck verliehen, dass es ihnen einen verfassungsrechtlichen
Status zuerkannt hat (Art. 21 GG). Er gewährleistet nicht nur ihre freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern sichert diese Mitwirkung
auch durch Regeln, die ihnen gleiche Rechte und Chancen gewähren. (BVerfGE 44, 125
(138f.))
Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich täglich
in vielschichtiger Wechselwirkung. Den wechselseitigen Einwirkungsmöglichkeiten werden
durch das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung in beiden Richtungen Grenzen gezogen.
Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen, nicht
umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk (vgl. Art 20 II GG). Daher ist es den Staatsorganen von Verfassungswegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien
oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen
oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen.
Unabhängig davon ist es auch mit dem Verfassungsprinzip, dass Bundestag und Bundesregierung nur einen zeitlich begrenzten Auftrag haben, unvereinbar, dass die im Amt befindliche
Bundesregierung als Verfassungsorgan im Wahlkampf sich gleichsam zur Wiederwahl stellt
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und - wie im vorliegenden Fall - dafür wirbt, dass sie „als Regierung wieder gewählt“ wird.
Das schließt jedoch nicht aus, dass die Mitglieder der Bundesregierung außerhalb ihrer amtlichen Funktion für eine Partei in den Wahlkampf eingreifen. (BVerfGE 44, 125 (140f.))
Unvereinbar mit Art. 20 II GG ist auch eine auf Wahlbeeinflussung gerichtete, parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zu Lasten einzelner oder
aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber. Diese verstößt gegen das
Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung
des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen. (BVerfGE 44, 125 (144))
Wenn der Staat zugunsten oder zu Lasten bestimmter politischer Parteien oder von Wahlbewerbern Partei ergreift, könnte darüber hinaus auch das verfassungsmäßige Recht der davon
nachteilig Betroffenen auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 3 I, III i.V.m. 21 I, 38 I
GG) verletzt sein. (BVerfGE 44,1 25 (144ff.))
Das Prinzip der „Chancengleichheit für alle politischen Parteien“ unterfällt dem Oberbegriff
der freiheitlich demokratischen Grundordnung. In einem freiheitlichen Staat, in dem der
Mehrheitswille in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass
der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs
neue die grundsätzlich gleichen Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offen gehalten werden. Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wahlwettbewerb ist ein unabdingbares
Element des vom Grundgesetz gewollten, freien offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Dieser Prozess setzt in einer parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus. Das Grundgesetz hat in Art. 21 I 1 ausdrücklich anerkannt,
dass die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und sie damit in
den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben. Sie sind Zwischenglieder zwischen dem Bürger und den Staatsorganen, Mittler, durch die der Wille der Bürger auch zwischen den Wahlgängen verwirklicht werden kann. Sie stellen, sofern sie die Parlamentsmehrheit bilden und die Regierung stützen, die wichtigste Verbindung zwischen dem Volk und den
politischen Führungsorganen des Staates her und erhalten sie aufrecht. Als Parteien der Minderheit bilden sie die parlamentarische Opposition und machen sie wirksam.
Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass
die Parteien, soweit irgend möglich, mit gleichen Chancen in den Wahlkampf eintreten. Deshalb ist mit der in Art. 21 I 2 GG gesicherten Freiheit der Gründung, im Grundsatz auch freie
Auswirkung bei der Wahl, d.h. die volle Gleichberechtigung aller Parteien notwendigerweise
verbunden. Der öffentlichen Gewalt ist weiterhin jede unterschiedliche Behandlung der Parteien, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, versagt, sofern
sie sich nicht durch einen besonderen zwingenden Grund rechtfertigen lässt.
Dabei ist zu beachten, dass das Recht auf Chancengleichheit der Parteien nicht nur für den
Wahlvorgang selbst gilt (hierfür wurde es zunächst entwickelt), sondern auch für die Wahlvorbereitung. Insofern betrifft es auch die zur Wahlvorbereitung in einer Massendemokratie
erfolgende Wahlwerbung, soweit sie durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt beeinflusst
wird. Dieses Recht wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten
oder zu Lasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in die dem Wahlkampf immanente Wahlwerbung einwirken.
Grundsätzlich ist Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften in
Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig. In den Bereich der
zulässigen Öffentlichkeitsarbeit fällt, dass Regierung und gesetzgebende Körperschaften bezogen auf ihre Organtätigkeit - der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben, sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern. Eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setzt voraus, dass der Einzelne
von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfassten Staatsorgane getroffenen
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Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen weiß, um sie beurteilen, billigen oder
verwerfen zu können. Demnach ist Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zulässig, wenn
und soweit sie sich im Rahmen des vom Grundgesetz der Bundesregierung zugewiesenen
Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches hält.
Diese zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist abzugrenzen von dem parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf. Hierfür gilt: Nachdem die Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung schon ihrer Funktion nach auf den Bereich ihrer Sachverantwortung gegenüber dem ganzen Volk und Parlament beschränkt ist, muss sie sich stets der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder
sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten. Dies schließt
nicht aus, dass sich die Aussagen der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung mehr oder minder
mit denen von Programmen und Stellungnahmen der die Regierung tragenden Parteien decken können und häufig decken werden. Dennoch muss die auf das Staatsganze bezogene
Öffentlichkeitsarbeit den Eindruck einer werbenden Einflussnahme zugunsten einzelner Parteien ebenso wie willkürliche, ungerechtfertigt herabsetzende und polemische Äußerungen
über andere Parteien vermeiden. Die Öffentlichkeitsarbeit darf nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen und die Oppositionsparteien bekämpfen.
Dies wäre mit den Grundsätzen eines freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes und der Gleichberechtigung der politischen Parteien nicht vereinbar.
Das gilt in besonderem Maße für Maßnahmen, die - gewollt oder ungewollt - geeignet sind,
der Wahlwerbung zu dienen oder den Wahlkampf zu beeinflussen. Grundsätzlich findet die
Öffentlichkeitsarbeit der Regierung also dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt. Anzeichen dafür, dass die Grenze von der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit zur verfassungswidrigen, parteiergreifenden Einwirkung in den Wahlkampf überschritten ist, können unter anderem der Inhalt sowie die äußere Form und Aufmachung von Anzeigen und Druckschriften
sein.
(BVerfGE 44,1 25 (145ff.))
Inhaltlich kann der parteiergreifende Charakter einer solchen Veröffentlichung daran erkennbar werden, dass die Bundesregierung sich als eine von bestimmten Parteien getragene Regierung darstellt, - offen oder versteckt - für sie wirbt oder sich mit negativem Akzent oder gar
herabsetzend über die Oppositionsparteien und deren Wahlbewerber äußert.
Indiz für ein parteiergreifendes Hineinwirken in den Wahlkampf ist ferner, wenn hier die
Bundesregierung deutlich ihre Absicht zum Ausdruck bringt, „im Amt bleiben zu wollen“.
Hinweise für ein beabsichtigtes Hineinwirken in den Wahlkampf können sich aus der äußeren
Form und Aufmachung von Anzeigen, Broschüren, Faltblättern und anderen Druckschriften
ergeben. Insbesondere wenn der informative Gehalt einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurücktritt, ist die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten. Das gleiche gilt, wenn sich im Vorfeld der Wahl Druckschriften oder
Anzeigen häufen, die bei unbefangener Betrachtung mehr der Steigerung des Bekanntheitsgrades und der Sympathiewerbung für Mitglieder der Bundesregierung, als der Befriedigung
eines von der Sache her gerechtfertigten Informationsbedürfnisses der Bürger dienen. Besonders deutlich wird dies, wenn die regierungsamtlichen Veröffentlichungen in der Vorwahlzeit
mit Abbildungen der Mitglieder der Bundesregierung versehen und deren persönliche Qualitäten besonders herausgestellt werden, wie dies vorliegend durch die amtierende Bundesregierung in ihren Publikationen geschah.
Auch ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe, das sowohl in der größeren Zahl von Einzelmaßnahmen ohne aktuellen Anlass, wie in deren Ausmaß und dem gesteigerten Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen zum Ausdruck kommen kann, ist
Anzeichen für eine Grenzüberschreitung hin zur unzulässigen Wahlwerbung.
(BVerfGE 44, 125 (150f.))
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Allerdings lässt sich nicht allgemeingültig festlegen, wann diese Grenze überschritten, der
voraussichtliche Einfluss solcher Veröffentlichungen auf die politische Meinungsbildung des
Wählers also verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies hängt vor allem von Zahl
und Umfang solcher Maßnahmen, der Nähe des Wahlzeitpunktes und der Intensität des
Wahlkampfes ab. Je näher die Veröffentlichungen an den Beginn der „heißen Phase“ des
Wahlkampfes heranrücken, desto weniger können ihre Auswirkungen auf das Wahlergebnis
ausgeschlossen werden. Deshalb tritt in dieser Phase die Aufgabe und Kompetenz der Regierung, den Bürger auch über zurückliegende politische Tatbestände, Vorgänge und Leistungen
sachlich zu informieren, zunehmend hinter das Gebot zurück, die Willensbildung des Volkes
vor den Wahlen nach Möglichkeit von staatlicher Einflussnahme freizuhalten. Das grundlose
und massive Anwachsen der „Öffentlichkeitsarbeit“ kurz vor der Wahl deutet daher im Fall
auf die Überschreitung der Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung hin.
Aus der Verpflichtung der Bundesregierung sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die
Wahl zu enthalten, folgt schließlich das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebener Öffentlichkeitsarbeit in Form von sog. Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten. Denn in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ gewinnen solche
Veröffentlichungen in aller Regel den Charakter parteiischer Werbemittel, in die einzugreifen
der Regierung verfassungskräftig versagt ist. Von diesen Beschränkungen der Öffentlichkeitsarbeit unberührt bleiben dagegen auch im Vorfeld der Wahl informierende, wettbewerbsneutrale Veröffentlichungen, die aus aktuellem Anlass geboten sind.
Ein genauer Stichtag von dem an das Gebot äußerster Zurückhaltung strikt zu beachten ist,
lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Als Orientierungspunkt kann etwa der Zeitpunkt gelten,
an dem der Bundespräsident den Wahltag bestimmt (vgl. dazu § 16 BWahlG).
Während der so eingegrenzten Vorwahlzeit darf die Bundesregierung - ebenso wie die übrigen verfassten Staatsorgane des Bundes und der Länder - sich nicht unmittelbar durch Anzeigen oder durch Versendung von Druckschriften, Faltblättern, Postwurfsendungen und ähnlichem in den Wahlkampf einschalten. Ebenso darf sie - entgegen der hier geübten Praxis keine dafür geeigneten Druckwerke zur Verwendung im Wahlkampf zur Verfügung stellen.
Die Bundesregierung muss außerdem Vorkehrungen dagegen treffen, dass die von ihr für die
Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit hergestellten Druckwerke nicht von den Parteien selbst (insbesondere der Regierungspartei, für die Oppositionspartei dürften sie in der Regel als Wahlkampfmaterial ungeeignet sein) oder von anderen sie bei der Wahl unterstützenden Organisationen oder Gruppierungen zur Wahlwerbung eingesetzt werden.
(BVerfGE 44,1 25 (152ff.))
Die Bundesregierung hat daher durch ihre Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld der Wahl gegen
Art. 20 II GG verstoßen und P in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt.
III. Ergebnis
Ein Organstreitverfahren der P hat Aussicht auf Erfolg.
FRAGE 2
Grundzüge der staatlichen Parteienfinanzierung
(Vgl. http://www.bundestag.de/datbk/finanz/finanz_02.pdf mit zahlreichen Übersichten zur
staatlichen Parteienfinanzierung und zur Finanzsituation der Parteien.)
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I. Grundlagen
In Art. 21 I GG ist der Grundsatz der Freiheit der Parteien vom Staat normiert. Dieser verbietet es den Finanzbedarf der Parteien vorwiegend oder ausschließlich aus öffentlichen Mitteln zu decken, andernfalls wären die Parteien in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise vom Staat abhängig. In der Konsequenz hat der Grundsatz der Eigen- oder
Selbstfinanzierung Vorrang vor der Staatsfinanzierung der Parteien (BVerfGE 85, 264
(288f.)). Staatlicherseits darf also nur eine Teilfinanzierung erfolgen. Ihr Umfang muss sich
auf das beschränken, was zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Parteien unerlässlich ist und von diesen nicht selbst aufgebracht werden kann (BVerfGE 85, 264 (290);
Jarass / Pieroth - Pieroth, a.a.O., Art. 21, Rdnr. 14). Als Folge wird bei der Parteienfinanzierung eine absolute und eine relative Obergrenze gezogen (dazu sogleich, vgl. auch BVerfGE
85, 264 (289ff.)). Grund hierfür ist, dass die Parteien politisch, organisatorisch und wirtschaftlich auf die Bürger angewiesen bleiben müssen. Die Gewährung staatlicher Zuwendungen darf sie nicht von der Notwendigkeit entheben, sich um die finanzielle Unterstützung
durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu bemühen. Das Risiko des Fehlschlagens ihrer Bemühungen um eine solche hinreichende Unterstützung darf ihnen der Staat
nicht abnehmen, andernfalls würden die Parteien Gefahr laufen sich aus ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung zu lösen. (BVerfGE 85, 264 (287); Seifert / Hömig - Silberkuhl, Grundgesetz, 7. Auflage 2003, Art. 21, Rdnr. 10; Jarass / Pieroth – Pieroth, a.a.O., Art. 21, Rdnr. 14).
Nach § 18 I 1 ParteiG erhalten die Parteien Mittel als Teilfinanzierung der allgemeinen ihnen
nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeit. Maßstab für die Verteilung der staatlichen Mittel ist die Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft. Diese Verwurzelung wird zum einen
am Erfolg, den eine Partei bei den jeweils letzten Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen
erzielt hat, bemessen, zum anderen am Umfang der Zuwendungen (Mitgliedsbeiträge und
Spenden) natürlicher Personen.
Mitgliedsbeiträge sind nach § 27 I 1 ParteiG nur solche regelmäßigen Geldleistungen, die
ein Mitglied aufgrund satzungsrechtlicher Vorschriften entrichtet.
Unter Spenden sind gemäß § 27 I 3 ParteiG darüber hinausgehende Zahlungen, insbesondere Aufnahmegebühren, Sonderumlagen und Sammlungen, sowie geldwerte Zuwendungen
aller Art, sofern sie nicht üblicherweise unentgeltlich von Mitgliedern außerhalb des Geschäftsbetriebes zur Verfügung gestellt werden, zu verstehen (vgl. § 27 I 4 ParteiG).
Es ist zu differenzieren zwischen
• unmittelbarer Parteienfinanzierung (die Parteien erhalten von Bund und Ländern direkte
Zuwendungen aus der Staatskasse, vgl. §§ 18ff. ParteiG), und
• mittelbarer Parteienfinanzierung (Mitgliedsbeiträge und Spenden an die Parteien werden
steuerlich begünstigt; der Staat zahlt - durch Verzicht auf Steuerleistung - gleichsam mit.
[Vgl. Maurer, a.a.O., § 11, Rdnr. 48; Hendler, Staatsorganisationsrecht, 1999, Rdnr.
486]) Dabei normiert § 25 I 1 ParteiG die grundsätzliche Berechtigung der Parteien
Spenden anzunehmen. Ausnahmen ergeben sich aus § 25 II ParteiG. Die dort aufgeführten
- unzulässigen - Spenden muss eine Partei, gemäß § 25 IV ParteiG, unverzüglich an das
Präsidium des Deutschen Bundestages weiterleiten. Spenden mit einem jährlichen Gesamtwert von mehr als 10.000 € (Publizitätsgrenze) sind unter Angabe von Namen und
Anschrift des Spenders, sowie der Gesamthöhe der Spende im Rechenschaftsbericht zu verzeichnen (§ 25 III 1 ParteiG). Spenden, die im Einzelfall die Höhe von 50.000 € übersteigen, sind dem Präsidenten des Deutschen Bundestages unverzüglich anzuzeigen (§ 25 III 2
ParteiG). Dieser veröffentlicht die Zuwendung unter Angabe des Zuwenders zeitnah als
Bundestagsdrucksache (§ 25 III 3 ParteiG).
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• Bis zu einem Betrag von 1000 € kann eine Spende mittels Bargeld erfolgen. Parteimitglieder, die Empfänger von Spenden an die Partei sind, haben diese unverzüglich an ein für
Finanzangelegenheiten von der Partei satzungsmäßig bestimmtes Vorstandsmitglied weiterzuleiten. Spenden sind von einer Partei erlangt, wenn sie in den Verfügungsbereich eines für die Finanzangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglieds oder eines hauptamtlichen Mitarbeiters der Partei gelangt sind; unverzüglich nach ihrem Eingang an den Spender zurückgeleitete Spenden gelten als nicht von der Partei erlangt. (Vgl. § 25 I 2 – 4 ParteiG)
II. Unmittelbare Parteienfinanzierung
Beachte: Es darf sich hierbei - wie oben dargelegt - lediglich um eine Teilfinanzierung handeln; die Eigenfinanzierung ist vorrangig.
1. Anspruchsvoraussetzungen
Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung nach § 18 IV 1 i.V.m. III Nr. 1 und 3 ParteiG haben
grundsätzlich diejenigen Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis bei der jeweils
letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 % bzw. der letzten Landtagswahl 1 %
der abgegebenen gültigen Stimmen für ihre Listen erreicht haben. Stichtag ist jeweils der
31.12 des Anspruchsjahres (vgl. § 19a II ParteiG). Ist eine Liste nicht zugelassen, entsteht
nach § 18 IV 2 i.V.m. III Nr. 2 ParteiG ein Anspruch, wenn die Partei 10 % der in einem
Wahl- oder Stimmkreis abgegebenen gültigen Erststimmen erhalten hat. Sog. „Modell des
Stimmenkontos“ (vgl. §§ 19a II 2, 18 IV ParteiG). Bzgl. Parteien nationaler Minderheiten ist
§ 18 IV 3 ParteiG zu beachten.
Weitere Anspruchsvoraussetzungen sind die Vorlage des jeweils letztfälligen, den gesetzlichen
Vorschriften entsprechenden Rechenschaftsberichts (§ 23 ParteiG) und ein schriftlicher Antrag auf Festsetzung und Auszahlung der staatlichen Mittel (§ 19 I ParteiG), der bis zum 30.
September des jeweils laufenden Jahres beim Bundestagspräsidenten zu stellen ist.
2. Anspruchsumfang - Verteilung der staatlichen Mittel
Maßstab der staatlichen Teilfinanzierung ist - wie gerade dargelegt - der Erfolg, den eine
Partei bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen erzielt sowie die Summe ihrer Mitgliedsbeiträge und der von ihr von ihr eingeworbenen Spenden (§ 18 I 2 ParteiG).
Die Mittel werden in der Weise verteilt, dass die Parteien für jede für ihre jeweilige Liste bei
den jeweils letzten Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen abgegebene gültige Stimme bzw. für jede in einem Wahlkreis abgegebene gültige Stimme, wenn in einem Land eine Liste
für diese Partei nicht zugelassen war - jährlich 0,70 € erhält (§ 18 III 1 Nr. 1 und 2 ParteiG).
Abweichend hiervon erhalten die Parteien für die ersten von ihnen jeweils erzielten 4 Mio.
gültigen Stimmen 0,85 € je Stimme (§ 18 III 2 ParteiG, sog. degressive Staffelung, vgl. Ipsen,
Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 14. Auflage 2002, Rdnr. 172f.)
Weiterhin wird für jede Partei nach § 18 III 1 Nr. 3 ParteiG ein Betrag von 0,38 € für jeden
€, den sie als Zuwendung (eingezahlter Mitglieds- oder Mandatsträgerbeitrag oder rechtmäßig erlangte Spende) von natürlichen Personen erhalten hat, gewährt, jedoch nur bis zu einer
Gesamthöhe von 3.300 € je Person und Jahr. Den jeweiligen Gesamtbetrag dieser Beiträge
und Spenden weisen die Parteien in ihrem Rechenschaftsbericht gemäß § 24 VIII ParteiG
aus.
3. Obergrenzen
Die den Parteien zufließenden staatlichen Mittel dürfen, wegen des aus der Verfassung abgeleiteten Verbots der überwiegenden staatlichen Parteienfinanzierung, jedoch - als relative
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Obergrenze - nicht höher sein, als von der Partei selbst erwirtschaftete Einnahmen (BVerfGE
85, 264 (289f.); zum Begriff der Einnahme vgl. § 26 ParteiG; zur Berechnung siehe § 19a IV
ParteiG, sowie §§ 18 V 1 i.V.m. 24 IV Nr. 1 - 7 ParteiG). Sind die Einnahmen niedriger, als
die der Partei rechnerisch zustehenden staatlichen Mittel, so beschränkt sich die staatliche
Teilfinanzierung der betreffenden Partei auf die Höhe der Eigeneinnahmen.
Der Gesamtbetrag finanzieller Zuwendungen des Staates an alle Parteien darf nach § 18 II
ParteiG eine „absolute Obergrenze" von 133 Millionen € nicht überschreiten.
4. Festsetzung und Auszahlung
Das Festsetzungsverfahren ist in § 19a ParteiG geregelt. Nach § 19a I ParteiG hat der Präsident des Deutschen Bundestages im Rahmen der ihm vom Parteiengesetz übertragenen Aufgaben einer mittelverwaltenden Behörde (vgl. auch § 21 II ParteiG) jährlich zum 1. Dezember die Höhe der staatlichen Mittel für jede anspruchsberechtigte Partei für das laufende
Jahr festzusetzen.
Bei der Festsetzung wird zunächst die absolute Obergrenze (§ 18 II ParteiG) und sodann für
jede Partei die relative Obergrenze (§ 18 V ParteiG) ermittelt (§ 19a V 1 ParteiG). Überschreitet die Summe der errechneten staatlichen Mittel die absolute Obergrenze, besteht der
Anspruch der Parteien auf staatliche Mittel nur in der Höhe, der ihrem Anteil an diesem Betrag entspricht (§ 19a V 2 ParteiG). Das hat zur Folge, dass die Parteien tatsächlich nicht die
in § 18 III ParteiG genannten Beträge je Stimme und Zuwendungsmark erhalten, sondern nur
entsprechend gekürzte Beträge.
Die Auszahlung der errechneten Mittel erfolgt an die Landes- und Bundesverbände der Parteien. Die Landesverbände erhalten von dem auf die Gesamtpartei entfallenden Betrag einen
Teilbetrag, der der Höhe der für die Partei bei der letzten Landtagswahl abgegebenen gültigen Stimmen in € entspricht (§ 19a VI ParteiG). Im Ergebnis erhalten sie daher je Stimme
0,50 € und zwar unabhängig von der Kürzung auf die absolute Obergrenze nach § 19a V ParteiG (§ 19a VI 1 ParteiG). Der Präsident des Deutschen Bundestages teilt den Ländern, die
auf die Landesverbände der Parteien entfallenden Beträge verbindlich mit (§ 21 I 2 ParteiG).
Die Mittel werden von den Ländern bzw. dem Bund (durch den Bundestagspräsidenten) an
die Parteien ausgezahlt (§ 21 I 1 ParteiG). Den Partein sind gemäß § 20 I ParteiG auf
schriftlichen Antrag Abschlagszahlungen zum 15. Februar, zum 15. Mai, zum 15. August und
zum 15. November in Höhe von jeweils höchstens 25% der letztjährigen Festsetzung zu gewähren.
5. Rechenschaftspflicht der Parteien
Über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen müssen die Parteien gemäß Art. 21 I 4 GG und §§ 23 ff. ParteiG öffentlich Rechenschaft ablegen.
Zweck ist es dem Wähler und der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich über die finanziellen Hintergründe der Parteien, insbesondere über deren Geldgeber zu informieren. Insofern hat die Rechenschaftspflicht vor allem Kontrollfunktion, weil durch finanzielle Zuwendungen leicht politische Abhängigkeiten geschaffen werden, die den freien demokratischen
Meinungs- und Willensbildungsprozess unterlaufen und schädigen. (Maurer, a.a.O., § 11,
Rdnr. 47)
Um die Rechenschaftsberichte möglichst übersichtlich und damit für jeden transparent zu
halten, gibt § 24 ParteiG die Gliederung und Bestandteile des Rechenschaftsberichts vor. Der
Rechenschaftsbericht ist, nachdem er von einem Wirtschaftsprüfer oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft worden ist, beim Präsidenten des Deutschen Bundestages einzureichen und von ihm als Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen (§ 23 II ParteiG).
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III. Mittelbare Parteifinanzierung
1. Natürliche Personen
Neben der unmittelbaren staatlichen Förderung der Parteien besteht auch eine mittelbare
durch die Befreiung der Parteien u. a. von der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 13 I Nr. 18
ErbStG), sowie durch die Möglichkeit für natürliche Personen, Zuwendungen an die Parteien
(Parteispenden) steuerlich bis zu einer Höbe von 1650 € bzw. (bei zusammen veranlagten)
Ehegatten 3300 € abzusetzen (§ 10 b II EStG, § 34g EStG).
Im Einzelnen gilt:
• Die Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach § 13 I Nr. 18 ErbStG erfasst
nur unmittelbare Zuwendungen. Steuerfrei sind dabei solche Zuwendungen an die Parteien
und ihre Gebietsverbände, die nicht aufgrund einer ausdrücklichen Auflage des Zuwendenden deren freier Verwendungsmöglichkeit entzogen sind. Bloße Verwendungswünsche
des Zuwendenden beeinträchtigen die Steuerfreiheit nicht. Zuwendungen zu parteipolitischen Zwecken (sog. Zweckzuwendungen im Sinne des § 8 ErbStG) unterliegen damit der
Steuerpflicht (Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 13. Auflage 2002, §
13, Rdnr. 57).
• Mitgliedsbeiträge und Parteispenden mindern nach § 34g, S. 1 Nr. 1 und S. 2 EStG - einkommensunabhängig - die Steuerschuld um 50 % des geleisteten Betrages bis zu einer Höhe von 825 € jährlich (bei Zusammenveranlagung von Ehegatten 1650 €). (Vgl. zu Berechnungsbeispielen Maurer, a.a.O., § 11, Rdnr. 53)
• Nach § 10 b II EStG sind Mitgliedsbeiträge und Spenden bis zur Höhe von insgesamt 1650
€ (bei Zusammenveranlagung von Ehegatten 3300 €) im Kalenderjahr als Sonderausgaben
abzugsfähig. Dadurch wird nicht die Einkommensteuerschuld, sondern deren Bemessungsgrundlage reduziert, was - je nach Progressionsstufe - unterschiedliche Auswirkungen hat.
(Vgl. zu Berechnungsbeispielen Maurer, a.a.O., § 11, Rdnr. 53)
HINWEIS:
• Höhere Spenden sind gleichwohl zulässig, jedoch hinsichtlich des Mehrbetrages steuerlich
nicht abzugsfähig.
• Die Steuervergünstigung nach § 10b II EStG kann nur insoweit geltend gemacht werden,
als für sie nicht eine Steuerermäßigung nach § 34g EStG gewährt wurde (vgl. § 10b II 2
EStG).
Die genannten Beschränkungen resultieren aus dem Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe
an der politischen Willensbildung, sowie dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit
(BVerfGE 85, 264 (315)). Zweck ist die Verhinderung der staatlichen Bevorzugung von politischen Parteien, die mit ihrem Programm und ihrer Tätigkeit primär einkommensstarke Bevölkerungskreise ansprechen und deshalb über ein hohes Spendenaufkommen verfügen
(Hendler, a.a.O., Rdnr. 492f.). Zudem muss sichergestellt werden - als Ausfluss des Grundsatzes der staatsbürgerlichen Gleichheit und zugleich als Grund für die vorgenannten Grenzen -,
dass Spenden nur in einer Größenordnung steuerlich begünstigt werden, wie sie von durchschnittlichen Einkommensbeziehern erreichbar sind. (BVerfGE 85, 264 (316); Degenhart,
Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 18. Auflage 2002, Rdnr. 86)
2. Juristische Personen
Spenden juristischer Personen sind ebenfalls zulässig, jedoch in keinem Fall steuerlich absetzbar. (Vgl. auch BVerfGE 85, 264 (315)) Grund hierfür ist einmal, dass juristische Personen keinen staatsbürgerlichen Willen haben, anderseits aber auch, dass die hinter ihnen stehenden natürlichen Personen so ihre Einflussmöglichkeiten vervielfachen und sich ein nicht
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vorgesehenes „Mitspracherecht“ verschaffen könnten. Den natürlichen Personen würde dann
eine zusätzliche - vom Staat geförderte - Möglichkeit der Einflussnahme auf die politische
Willensbildung geboten, die anderen Bürgern vorenthalten bliebe. (BVerfGE 85, 264 (315);
Degenhart, a.a.O., Rdnr. 69 und 71)
(HINWEIS: Wesentliche Urteile zur Parteienfinanzierung durch den Staat sind BVerfGE 8,
51; 12, 276; 24, 300; 41, 399; 52, 63; 69, 92; 73, 1; 73, 40; 85, 264)
Vertiefungshinweise:
• Ipsen, Das neue Parteienrecht, NJW 2002, 1909
• von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, DVBl 2002, 1065
• Koch, Parteispenden - Abgeordnetenspenden - Nicht weitergeleitete Spenden, DÖV 2003,
451
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