Fall 5: Wahlwerbung 1. Teil: Ausgangsfall

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Fall 5: Wahlwerbung
1. Teil: Ausgangsfall
Der „A-Partei“ könnte ein Anspruch auf Aussendung von sechs Wahlwerbespots aus § 5 I
ParteiG zustehen.
A) Anspruchsvoraussetzungen
Ein Anspruch auf Aussendung von Wahlwerbespots aus § 5 I ParteiG setzt voraus, dass der
Anspruch gegen einen Träger öffentlicher Gewalt gerichtet ist (I), der Anspruch von einer
Partei i.S.d. ParteiG gestellt wird (II) und die Aussendung von Wahlwerbespots eine öffentliche Leistung darstellt (III)
I) ZDF als Träger öffentlicher Gewalt
Das ZDF müsste Träger öffentlicher Gewalt i. S. d. § 5 I 1 ParteiG sein.
Diese Eigenschaft ist zu bejahen, wenn jemand Aufgaben im Bereich des öffentlichen Rechts
wahrnimmt und in seinem Aufgabenbereich hoheitlich tätig werden kann. Hoheitliches Tätigwerden wiederum liegt vor, wenn der Staat oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft oder eine Anstalt kraft Überordnung und mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit tätig
wird.
Das ZDF ist als Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 ZDF-Staatsvertrag) dem öffentlichen
Recht zuzuordnen. Rundfunk- und Fernsehanstalten können zudem jedenfalls dann hoheitlich
tätig werden, wenn sie im Wahlkampf Sendezeiten zur Wahlwerbung zuteilen oder verweigern.
Mithin ist das ZDF Träger öffentlicher Gewalt i. S. d. § 5 I 1 ParteiG.
II) A als Partei
Die A müsste Partei i.S.d. ParteiG sein.
Hinweis: Aus der Tatsache, dass A im Sachverhalt als Partei bezeichnet ist, lässt sich nicht schlussfolgern, dass
A Partei i.S.d. ParteiG ist. So sind insbesondere Zusammenschlüsse, die lediglich auf kommunaler Ebene aktiv
sind, sog. Rathausparteien, keine Parteien i.S.d. ParteiG, auch wenn diese im alltäglichen Sprachgebrauch Parteien genannt werden. Insoweit gilt grundsätzlich: Werden Rechtsbegriffe, die auch in der Alltagssprache verwendet werden, im Sachverhalt mit Anführungszeichen versehen, müssen die Voraussetzungen für das Vorliegen dieses Rechtsbegriffs geprüft werden.
Gemäß § 2 I ParteiG sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere
Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss
nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere
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Fall 5: Wahlwerbung
nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für ihre Ernsthaftigkeit bieten.
A kandidiert in allen Bundesländern für die Bundestagswahl und möchte demnach auf die
politische Willensbildung auf Bundesebene einwirken sowie im Bundestag vertreten sein. Aus
dem Umstand, dass A bereits bei der letzten Bundestagswahl angetreten ist, ergibt sich, dass
dieses Engagement nicht nur kurzfristig andauern soll.
Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass A keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung bietet.
Also ist A Partei i. S. d. §§ 2 I, 5 I 1 ParteiG.
III) Sendezeiten als öffentliche Leistung
Weiterhin müsste es sich bei den zur Verfügung gestellten Sendezeiten um eine öffentliche
Leistung i. S. d. § 5 I 1 ParteiG handeln.
Eine öffentliche Leistung beinhaltet eine bewusste und zielgerichtete Vorteilsgewährung an
die Parteien; eine solche Vorteilsgewährung liegt nicht vor, wenn Parteien von einer Handlung profitieren, die in anderer Absicht als der einer Begünstigung vorgenommen wird.
Hier stellt das ZDF den Parteien kostenlos Sendezeiten zwecks Wahlwerbung zur Verfügung,
ohne damit eigene Interessen zu verfolgen.
Auch die Tatbestandsvoraussetzung der öffentlichen Leistung ist demnach erfüllt.
IV) Ergebnis zu A)
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 5 I 1 ParteiG sind also gegeben.
B) Rechtsfolge
I) Grundsatz: Parteien sollen gleichbehandelt werden
Gem. § 5 I 1 ParteiG sollen Parteien bei Vorliegen der o.g. Voraussetzungen gleichbehandelt
werden. In Abgrenzung zu den Begriffen „müssen“ und „können“ ist dieser Ausdruck so zu
verstehen, dass grundsätzlich eine Gleichbehandlung notwendig ist, in atypischen Ausnahmefällen aber von diesem Grundsatz abgewichen werden kann.
Eine solche Ausnahmekonstellation könnte sich im vorliegenden Fall mit Blick darauf ergeben, dass das ZDF der A vorwirft, sie verfolge verfassungsfeindliche Ziele. Unabhängig von
der Frage, ob ein Wahlkampf unter dem Motto „Deutschland den Deutschen“ als verfassungswidrig einzustufen ist, muss allerdings berücksichtigt werden, dass über die Frage der
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Fall 5: Wahlwerbung
Verfassungswidrigkeit einer Partei gem. Art. 21 II 2 GG nur das Bundesverfassungsgericht
entscheiden kann (sog. Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts bzw. Parteienprivileg).
Mit Blick darauf, dass eine Partei so lange als nicht verfassungswidrig gilt, bis das Bundesverfassungsgericht eine andere Feststellung getroffen hat, kann sich das ZDF hier nicht auf
verfassungsfeindliches Agieren der A berufen. A muss also wie alle anderen Parteien behandelt werden.
II) § 5 I 2-4 ParteiG: Prinzip abgestufter Chancengleichheit
Aus § 5 I 2-4 ParteiG lässt sich allerdings entnehmen, dass der Umfang der Gewährung nach
der Bedeutung der Parteien abgestuft werden kann (Prinzip der abgestuften Chancengleichheit). Demnach ist fraglich, ob A tatsächlich Anspruch auf Ausstrahlung von sechs Wahlwerbespots hat.
Dieser Frage muss jedoch nur nachgegangen werden, wenn § 5 I 2-4 ParteiG überhaupt als
verfassungsgemäß einzustufen ist.
1) Verfassungsmäßigkeit des § 5 I 2-4 ParteiG
Bedenken ergeben sich mit Blick auf den aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 GG) sowie
Art. 3 I und 21 GG abgeleiteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, den das Bundesverfassungsgericht wie folgt umschreibt: „Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit ergibt sich aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem
Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt. Es gilt nicht nur für den
Wahlvorgang selbst, sondern auch für die Wahlvorbereitung und den Wettbewerb der Parteien ...“.
§ 5 I 2-4 ParteiG wäre demnach verfassungswidrig, wenn er dazu führen würde, dass Parteien
ungerechtfertigt ungleich i.S.d. Art. 3 I GG behandelt werden.
a) Fraglich ist zunächst das Vorliegen einer Ungleichbehandlung. Der Gleichheitssatz gem.
Art. 3 I GG fordert, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Eine Ungleichbehandlung, die verfassungsrechtlicher Rechtfertigung
bedarf, ist gegeben, wenn
- eine Person, Personengruppe oder Situation in einer bestimmten Weise rechtlich behandelt wird,
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- eine andere Person, Personengruppe oder Situation in einer bestimmten anderen
Weise rechtlich behandelt wird und
- beide Personen, Personengruppen oder Situationen unter einen gemeinsamen, weitere
Personen, Personengruppen oder Situationen ausschließenden Oberbegriff gefasst
werden können.
Gem. § 5 I 2-4 ParteiG darf weniger bedeutsamen Parteien weniger gewährt werden als bedeutsamen, sprich großen Parteien. Sowohl kleine als auch große Parteien können unter den
Oberbegriff Partei gefasst werden.
Eine Ungleichbehandlung ist mithin zu bejahen.
b) Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung durch einen zwingenden Grund gerechtfertigt
ist.
Insoweit ist festzustellen, dass eine Anknüpfung an die bisherige Bedeutung von Parteien bei
der Gewährung öffentlicher Leistungen dazu führt, dass kleinere Parteien weniger öffentliche
Leistungen erhalten und es daher schwerer haben, in der Öffentlichkeit zu werben, um mehr
Stimmen und eine höhere Bedeutung zu erlangen. Somit trägt das Prinzip der abgestuften
Chancengleichheit zumindest tendenziell zur Perpetuierung der etablierten Machtverhältnisse
unter den Parteien bei, obwohl die Entscheidung über diese Machtverhältnisse eigentlich allein dem Wähler, und nicht organisationsrechtlichen Vorgaben obliegen sollte. Insbesondere
die besondere Privilegierung der im Bundestag vertretenen Parteien nach § 5 I 4 ParteiG
könnte den Anschein einer unzulässigen „Prämie“ auf den Besitz der Macht erwecken.
Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Träger öffentlicher Gewalt, die den Parteien Chancengleichheit zu gewähren haben, trotz dieser grundsätzlichen Verpflichtung funktionsfähig bleiben müssen. Diese Funktionsfähigkeit wäre nicht garantiert, wenn auch eine
Vielzahl von Splitterparteien Anspruch auf absolute Gleichbehandlung hätte. Daher ist es
gerechtfertigt, wenn eine weniger bedeutende Splitterpartei anders behandelt wird als die großen Parteien. Letzteres gilt insbesondere mit Blick darauf, dass Größe und Bedeutung einer
Partei Rückschlüsse auf ihre Teilnahme an der politischen Willensbildung (Art. 21 I 1 GG)
zulassen.
§ 5 I 2-4 ParteiG ist folglich nicht verfassungswidrig.
2) Anwendung des § 5 I 2-4 ParteiG auf A
Demnach stellt sich die Frage, welcher Anspruch sich für A aus § 5 I 2-4 ParteiG entnehmen
lässt. A ist mit 2 % Stimmenanteil bei den letzten Bundestagswahlen nicht im Bundestag ver4
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treten, so dass die – vorrangig zu prüfende – spezielle Regelung des § 5 I 4 ParteiG keine
Anwendung findet.
Gem. § 5 I 3 ParteiG bemisst sich die zu gewährende Leistung insbesondere nach dem Ergebnis vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen. Insoweit erscheint es angemessen, wenn
A angesichts eines Stimmenanteils von nur 2 % bei den letzten Bundestagswahlen lediglich
die Ausstrahlung von drei Wahlwerbespots beanspruchen kann.
Etwas anderes könnte sich allenfalls angesichts der Umfragewerte der A ergeben. Aus dem
Umstand, dass Wahlergebnisse ausweislich § 5 I 3 ParteiG insbesondere herangezogen werden können, ergibt sich, dass andere Kriterien nicht gänzlich außer Acht bleiben dürfen.
Insofern erscheint es sinnvoll, auch Kriterien zu berücksichtigen, die einer möglichen Entwicklung der Partei innerhalb einer Legislaturperiode gerecht werden. In die Betrachtung einzustellen sind somit z. B. die Mitgliederzahl, Umfang und Ausbau des Organisationsnetzes
einer Partei, Beteiligung an Regierungen in Bund und Ländern, Vertretensein in Parlamenten
sowie auch repräsentative Umfragen (sog. Prognosen).
A ist jedenfalls auf Bundesebene weder an der Regierung beteiligt noch im Parlament vertreten. Fraglich ist daher allein, ob die Prognose das Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl
entkräften kann. Insoweit ist aber beachtlich, dass A erstmals und nicht bereits über einen
längeren Zeitraum mehr als 5 % der Stimmen vorausgesagt werden. Des Weiteren haftet einer
Prognose im Vergleich zu einem Wahlergebnis ohnehin ein Unsicherheitsfaktor an, so dass
ein Wahlergebnis als das gewichtigere Kriterium einzuordnen ist.
Im Ergebnis ist A daher als kleine Partei einzustufen, so dass A gem. § 5 I 2, 3 ParteiG lediglich einen Anspruch auf Sendung von drei Wahlwerbespots hat.
C) Ergebnis zum ersten Teil
A hat keinen Anspruch auf Ausstrahlung von sechs, sondern lediglich auf Ausstrahlung von
drei Wahlwerbespots.
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Fall 5: Wahlwerbung
2. Teil: Abwandlung
A) Anspruch der B aus § 5 I ParteiG
In Betracht kommt ein Anspruch der B gem. § 5 I ParteiG.
Allerdings sollen Parteien ausweislich dieser Norm nur dann gleichbehandelt werden, wenn
ein Träger öffentlicher Gewalt überhaupt öffentliche Leistungen gewährt. Mithin beinhaltet
§ 5 I ParteiG lediglich einen Anspruch auf Teilhabe, nicht aber originär auf Leistung.
Da sich das ZDF entschlossen hat, auch keiner anderen Partei Sendezeiten zur Verfügung zu
stellen, scheidet ein Anspruch aus § 5 I ParteiG in der Abwandlung aus.
B) Anspruch aus Art. 21 I i. V. m. Art. 3 I GG
Möglicherweise hat B einen Anspruch aus Art. 3 I i. V. m. Art. 21 I GG (derivativer Teilhabeanspruch). Aber auch hier gilt wie für § 5 I ParteiG, dass eine Gleichbehandlung begrifflich
nicht möglich ist, wenn niemandem eine Leistung zur Verfügung gestellt wird (dann kann
fehlt es an dem Bezugspunkt für die Teilhabe).
Auch ein Anspruch gemäß Art. 3 I i. V. m. Art. 21 I GG scheidet demnach aus.
C) Anspruch aus Art. 21 I GG
Schließlich kommt Art. 21 I GG als Anspruchsgrundlage in Betracht.
Am Bestehen eines Anspruchs aus Art. 21 GG lässt Zweifeln, dass diese Vorschrift eben
(dem Wortlaut nach) keinen solchen Anspruch vorsieht, vielmehr eine Rechtspflicht dahingehend begründet, die Bedeutung der Parteien bei der politischen Willensbildung zu berücksichtigen.
Möglicherweise ist der Norm ein solcher Leistungsanspruch aber durch Auslegung zu entnehmen. Der Wortlaut ist zunächst offen. Allerdings hat der Verfassungsgeber die Entscheidung, ob und welche Leistungen den Parteien zu gewähren sind, bewusst nicht selbst getroffen; er hat diese Entscheidung vielmehr dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Ein individueller Interessenschutz ist demnach nicht gesetzlich bezweckt (= historisch-teleologische Auslegung).
Art. 21 I GG beinhaltet somit kein subjektives Recht auf Leistung und stellt demnach keine
Anspruchsgrundlage dar.
D) Ergebnis zum 2. Teil
B hat keinen Anspruch gegen das ZDF auf Vergabe von Sendezeiten für kostenlose Wahlwerbung.
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