2.2.4 | 5 Stellenwert der MR-Diagnostik in der ambulanten Nachsorge bei Patientinnen mit Mammakarzinom M. Bauer, Niedergelassener Frauenarzt und Radiologe, Freiburg i.Br. Im Rahmen der Nachsorge nach Mammakarzinom hat die lokale Überwachung zentrale Bedeutung. Brusterhaltende Behandlungsverfahren stellen dabei hohe Anforderungen an die komplementäre Mammadiagnostik, da operative Narben und strahlenbedingte Veränderungen die frühe Rezidiventdeckung erschweren. Die dynamische Kernspintomographie unter Verwendung des paramagnetischen Kontrastmittels Gd-DTPA hat das diagnostische Spektrum erweitert. Aufgrund schneller FLASH-3D-Sequenzen und der Darstellung der Kontrastmitteldynamik im Zeitverlauf von ca. 6 Minuten kann heute eine gute Abgrenzung zwischen operativ bedingter Narbe und neu aufgetretenem invasivem bzw. In-situ-Karzinom erreicht werden. Heute stellt die Kernspintomographie nach BET bei der schwer beurteilbaren Mamma und zur Differenzierung von Narbe vs. Rezidiv das Verfahren der Wahl dar und kann bereits 6 Monate nach der Operation aussagekräftig eingesetzt werden. Bei radikal operierten Frauen mit Wiederaufbau mittels Implantat umfasst die dynamische Kernspintomographie einschließlich spezieller Silicon-Sequenzen die Diagnostik von Rezidiv, Narbe, Implantatdefekten, Siliconleckagen und ist der konventionellen Diagnostik in Ihrer Aussagekraft überlegen. Die dynamische Kernspintomographie ist heute bei der Diagnostik nach einer Operation der Mamma unverzichtbar geworden. Sie ist das Verfahren der Wahl bei der Rezidivdiagnostik und der Beurteilung von Implantaten. 2.2.5 Pädiatrische Onkologie 2.2.5 | 1 Retinoblastom. Ein Fallbeispiel T. Rogge, C. Niemeyer, Abt. Allg. Kinderheilkunde mit Poliklinik, Universitäts-Kinderklinik Freiburg i.Br. Im Rahmen der Sitzung über genetische Prädisposition für Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter stellen wir die Krankengeschichte eines Neugeborenen mit der Diagnose eines hereditären Retinoblastoms des rechten Auges vor. Der Vater des Jungen verlor wegen beidseitiger Retinoblastome durch Enukleationen im Alter von einem Jahr sein Augenlicht. Wegen dieser Anamnese wurde das Kind direkt postnatal untersucht. Der Befund im rechten Auge zeigte einen parapapillären bis in die Papille reichenden Tumor. Es wurde die Diagnose eines hereditären Retinoblastoms des rechten Auges gestellt. Unter der Vorstellung von zusätzlichen Mikroläsionen wurde eine Woche nach Diagnosestellung mit der Durchführung einer Chemotherapie begonnen (Cyclophosphamid, Vincristin, Carboplatin). An diese Therapie schloss sich eine Laserkoagulation des Tumors an. Die Chemotherapie wurde mit fünf weiteren Blöcken über einen Zeitraum von sechs Monaten fortgesetzt. Wegen neu aufgetretener Läsionen beidseits musste wiederholt eine Lokaltherapie mit Laserkoagulationen fortgeführt werden. Ein Jahr nach Beendigung der Chemotherapie und sechs Monate nach der letzten Lasertherapie gibt es keinen Hinweis für Tumorrezidive. Wegen der initialen Tumorlage zeigt das rechte Auge einen Ausfall des unteren Drittels des Gesichtsfeldes. Das linke Auge ist vollständig sehfähig. Der Junge zeigt eine altersgerechte Entwicklung. Die Kontrolluntersuchungen der Augen werden zur Zeit in vierwöchigen Abständen fortgesetzt. 2.2.5 | 2 Genetik des Retinoblastoms: Die Wiege der 2-Hit-Theorie G. Scherer, Institut für Humangenetik und Anthropologie, Universitätsklinikum Freiburg i.Br. Das Retinoblastom, ein von undifferenzierten Retinazellen ausgehender Tumor des Säuglings- und frühen Kindesalters und der häufigste Tumor des Auges in dieser Altersgruppe, existiert in zwei Formen. Beim sporadischen Retinoblastom ist nur ein Familienmitglied betroffen, der Tumor ist meist unilateral und tritt etwas später auf. Beim familiären, autosomaldominant vererbten Retinoblastom sind mehrere Familienmitglieder in aufeinanderfolgenden Generationen betroffen, die meist multiplen Tumoren sind gewöhnlich bilateral und treten früher auf. Zur Erklärung der unterschiedlichen Zahl an Tumoren beim sporadischen versus familiären Retinoblastom formulierte Alfred Knudson bereits 1971 seine berühmte «2-Hit-Hypothese». Sie besagt, dass beim familiären (hereditären) Retinoblastom durch eine frühere Keimbahnmutation ein Allel eines autosomalen Tumorsuppressorgens bereits inaktiviert vorliegt (first hit), und dass das Auftreten der Tumoren dann aus der Inaktivierung des zweiten Allels durch eine weitere, somatische Mutation in Retinazellen resultiert (second hit). Beim sporadischen (meist nicht-hereditären) Retinoblastom müssen nach diesem Modell beide Allele in einer einzelnen Retinazelle durch somatische Mutation inaktiviert werden, ohne vorausgehende Keimbahnmutation. Aus diesem Modell ergibt sich das scheinbare Paradox, dass die Vererbung der Prädisposition zum Retinoblastom dominant ist während der eigentliche Mechanismus der Tumorentwicklung auf zellulärer Ebene rezessiv ist. Die Entstehung von Knudsons «2-Hit-Hypothese», deren Schlussfolgerungen durch die nachfolgende Forschung am Retinoblastom glänzend bestätigt wurden und sie in den Status einer allgemein akzeptierten «2-Hit-Theorie» der Tumorgenese des Retinoblastoms erheben, wird nachgezeichnet. 27 Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/30/2017 2:07:08 PM Zu 1: Eine Verbesserung der bildgebenden und serologischen Diagnostik ermöglicht eine frühere Rezidiverkennung. Dies hilft den Patienten, wenn sich eine erneute Kurationschance ergibt. Rezidive akuter Leukämien, hoch maligner Lymphome, bei Morbus Hodgkin oder Keimzelltumoren sind so zu betrachten, außerdem führt die Resektion von Solitärmetastasen bei Melanomen, Kolonkarzinomen oder Weichteilsarkomen manchmal zu Langzeitremissionen. Für die Mehrzahl der Patienten ergibt sich aus der Früherkennung des Rezidivs lediglich eine Verlängerung der «lead time»: dies bedeutet keine Verlängerung der Überlebenszeit, lediglich Verlängerung des Wissens um eine inkurable Situation. Zu 2: Eine umfassende Dokumentation des Patientenschicksals nach der primären onkologischen Therapie ist für den Erstbehandler unabdingbar. Sinnvoll wäre die Einführung klinischer Krebsregister als Verbesserung der bislang nur regional eingesetzten epidemiologischen Register (Todesursachenstatistik). Zu 3: Wunsch und Realität der onkologischen Nachsorge unterscheiden sich für den behandelnden Arzt in der Praxis insofern, als den Patienten mit der nüchternen Durchführung der Diagnostik gemäß den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft (sofern vorhanden) nicht Genüge getan ist. Die Diagnose Krebs bedeutet für die meisten Betroffenen eine erhebliche Verunsicherung in ihrer Selbstsicherheit und hinterlässt Angst. Dies spiegelt sich auch in dem zwiespältigen Verhältnis der Betroffenen gegenüber den Nachsorgeterminen: einerseits baut sich vor jedem Termin eine erhebliche Spannung vor dem neuen Ergebnis auf, andererseits besteht der Wunsch nach Gewissheit. Dieses Spannungsfeld kann der nachsorgende Arzt/Ärztin durch Zuhören und individuelle Beratung/ Information zu lösen helfen. H. Witschel, Abt. Allg. Augenheilkunde mit Poliklinik, Universitäts-Augenklinik Freiburg i.Br. Das Retinoblastom ist mit einem Erkrankungsfall auf circa 17.000 Lebendgeburten der häufigste maligne intraokulare Tumor des Kindesalters. Unbehandelt führt es stets zum Tode, daher ist eine frühe Diagnose lebensrettend. Trotz verfeinerter diagnostischer Möglichkeiten zeigen ca. die Hälfte der kleinen Patienten bei der Erstdiagnose ein sogenanntes «amaurotisches Katzenauge» als Ausdruck eines weit fortgeschrittenen Tumors zumindest in einem Auge. Bei der anderen Hälfte weisen neu aufgetretenes Schielen, eine Sehverschlechterung oder andere Sehstörungen auf ein Retinoblastom hin. Jedes Kind mit auffälligem Pupillenreflex oder mit einer Sehstörung muss daher augenärztlich untersucht werden unter Einschluss einer gründlichen Fundusspiegelung, gegebenenfalls in Narkose. Das Retinoblastom entsteht durch die Mutation beider Allele des RbSupressionsgenes in einer Tumorzelle. Beim erblichen Typ enthalten bereits alle Körperzellen durch Vererbung von einem Elternteil oder durch Keimbahnmutation ein defektes Gen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt es in einer oder mehreren Zellen zur Zweitmutation. Die betroffenen Kinder weisen daher mehrere Tumoren meist in beiden Augen auf und erkranken frühzeitig. Bei somatischer Doppelmutation erkrankt wegen der geringen Wahrscheinlichkeit stets nur ein Auge mit einem Tumor, und das zu einem etwas späteren Zeitpunkt. Durch entsprechende molekulargenetische Untersuchungen gelingt es heute schon bei der Erstdiagnose, das Risiko für das Auftreten weiterer Tumoren beim Betroffenen und für die Familienangehörigen zu bestimmen. Bis vor wenigen Jahren war die Enukleation des erkrankten Auges die Therapie der Wahl. Das gilt weiter für weit fortgeschrittene Tumoren. Bei kleineren Tumoren, vor allem am zweiten Auge, stehen heute Bulbuserhaltende Therapiemaßnahmen wie externe Bestrahlung, Brachytherapie, Laserkoagulation, Kryotherapie und Thermotherapie, häufig nach Verkleinerung der Tumormasse durch Chemoreduktion (Vincristin, Carboplatin u.a.) im Vordergrund. 2.2.5 | 4 Wilms-Tumor. Ein Fallbeispiel M. van Buiren, C. Niemeyer, Allg. Kinderheilkunde und Poliklinik, Universitäts-Kinderklinik Freiburg i.Br. Im Rahmen der Sitzung über genetische Prädisposition für Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter stellen wir die Geschichte eines Jungen mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom mit Wilms-Tumor vor. Nach unauffälliger Schwangerschaft, Geburt und Neugeborenenzeit wurde der Junge im Alter von 5 Wochen mit Sepsis stationär aufgenommen. Es fielen als Zufallsbefund deutlich vergrößerte Nieren beidseits auf. Nach sonographischen Kontrollen mit zunächst unveränderten Befunden, zuletzt im Alter von 3 Monaten, fand sich im Alter von 5 Monaten ein ca. 3 × 4 cm großer, deutlich abgrenzbarer Tumor im Bereich des rechten Nierenpols. Bei Aufnahme in unserer onkologischen Abteilung sahen wir einen männlichen Säugling mit einer Hemihypertrophie der rechten Körperhälfte und einer Makroglossie, außerdem fanden sich ein erhöhtes α1Fetoprotein und ein akzeleriertes Knochenalter. Aufgrund dieser multiplen Befunde wurde klinisch die Diagnose eines Beckwith-WiedemannSyndroms mit Wilms-Tumor gestellt. Bei dem jungen Alter des Patienten wurde primär operiert, histologisch ein Nephroblastom auf dem Boden einer Nephroblastomatose diagnostiziert und als Standardhistologie Stadium I eingeordnet. An die initiale Nephrektomie schlossen sich 4 Chemotherapie-Blöcke mit Vincristin und Actinomycin-D an. Diese Therapie wurde im Alter von 11 Monaten beendet. Seither befindet sich der Junge in engmaschiger onkologischer Nachsorge. Aufgrund der Grunderkrankung und dem damit einhergehenden deutlich erhöhten Risiko für die Entwicklung eines weiteren Wilms-Tumors in der vergrößerten Niere der kontralateralen Seite, wurden bis zum 3. Lebensjahr 2-wöchentliche 28 sonographische Kontrollen durchgeführt. Die anzunehmende Nephroblastomatose der linken Niere stellt sich sonographisch gleichbleibend dar, der heute 6 1/2 Jahre alte Junge entwickelt sich bzgl. Gewicht und Größe entlang der 97. Perzentile, ansonsten aber altersgerecht. 2.2.5 | 5 Wilms-Tumor-Epidemiologie: Ein Tumor und mehrere Gene M. Brandis, Allg. Kinderheilkunde mit Poliklinik, UniversitätsKinderklinik Freiburg i.Br. Das Nephroblastom ist die häufigste Neoplasie der Niere im Kindesalter. Nephroblastome sind oft mit Fehlbildungen anderer Organe assoziiert. Hier sind die Aniridie (1% der Patienten mit Nephroblastom), urogenitale Fehlbildungen (4,7%), Hemihypertrophie (2,4%), das Beckwith-Wiedemann-Syndrom, das Denys-Drash-Syndrom und das WAGR-Snydrom zu nennen. In 10 bis 20% der sporadischen Wilms-Tumoren ist das Tumor-Suppressorgen WT1 auf dem Chromosom 11p13 ausgeschaltet. Ein zweites Wilms-Tumor-Gen (WT2) ist lokalisiert auf Chromosom 11p15. Während das 11p13-Gen mit dem WAGR-Syndrom und Aniridie assoziiert ist, ist das 11p15-Gen mit dem Beckwith-WiedemannSyndrom assoziiert, welches durch prä- und postnatale Hypertrophie, Omphalozele, Makroglossie, abdominelle Organomegalie und Ohrläppchenkerben gekennzeichnet ist. Das Risiko der Patienten mit BeckwithWiedemann-Syndrom, einen Wilms-Tumor zu entwickeln, liegt bei 7,5% innerhalb der ersten 5–7 Lebensjahre. Neben Wilms-Tumoren können auch Hepatoblastome, Rhabdomyosarkome, Neuroblastome und adrenokortikale Karzinome auftreten. Das WT2-Gen scheint bei Wilms-Tumoren sehr viel häufiger involviert zu sein als das WT1-Gen, wobei es hierbei in 70% der getesteten Wilms-Tumoren zu einem Verlust des Imprintings des Insulin-Like-Growth-Factor-2-Gens kommt. Während das WT1-Gen kloniert ist, ist das Kandidaten-Tumor-Suppressorgen von 11p15 bisher noch nicht definiert. Weder WT1 noch WT2 sind bei der selten beschriebenen familiären Form des Wilms-Tumors betroffen, der ein autosomal-dominanter Erbgang mit niedriger Penetranz zugrunde liegt. Neben den bisher bekannten 2 Wilms-Tumor-Gen-Lokalisationen (wobei mindestens ein drittes Gen vermutet wird) sind andere Gen-Veränderungen bei Wilms-Tumoren involviert, die die Krankheitsprogression und das Wachstumsverhalten des Tumors betreffen. So scheinen ein «loss of heterozygosity» (LOH) auf Chromosom 16q in 15–20% und auf 1p in 10% der Wilms-Tumoren mit einem ungünstigen Verlauf assoziiert zu sein. Eine signifikante Korrelation zwischen Mutationen des Suppressorgens p53 und einer anaplastischen Histologie ist ebenfalls gezeigt worden, demonstrierend, dass p53-Mutationen bei der Progression von anaplastischen Phänotypen eine Rolle spielen. Bei Bestehen einer Aniridie ist in etwa 33% zu erwarten, dass der vorliegende WT2-Gendefekt zum Wilms-Tumor führt. Daher besteht eine Empfehlung, alle Kinder mit Aniridie postnatal regelmäßig durch Sonographie vorsorglich zu untersuchen. Die Evidenz, dass die Gene WT1 und WT2 bei der Entwicklung des Wilms-Tumors eine Rolle spielen, ist überzeugend. Es ist jedoch evident, dass der Mechanismus der Tumorgenese viel komplexer ist als das sogenannte 2-Mutations-Modell. Verschiedene Genloci partizipieren bei der Wilms-Tumorentwicklung. Das ist nicht überraschend, wenn man die Komplexität der verschiedenen Wege, die Wachstum und Differenzierung bei der Nephrogenese betreffen, betrachtet. Es ist möglich, dass die verschiedenen Gene zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Stellen der Entwicklung und der Differenzierung Einfluss nehmen. So gibt es Patienten mit dem WAGR-Syndrom, die eine hemizygote WT1-Mutation auf 11p13 haben und einen zusätzlichen Verlust der Heterozygotizität innerhalb 11p15. Diese Befunde lassen vermuten, dass eine Interaktion von verschiedenen Wilms-Tumor-Genloci stattfinden könnte. Es ist daher nicht korrekt, beim Wilms-Tumor an eine homogene Entität zu denken. Daraus kann geschlossen werden, dass die molekulargenetische Grundlage bei der Wilms-Tumorentstehung noch komplexer ist, als ursprünglich angenommen. Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/30/2017 2:07:08 PM 2.2.5 | 3 Retinoblastom. Diagnostik und Therapie: Vom «amaurotischen Katzenauge» zur Lasertherapie N. Böhm, Sektion Kinderpathologie, Pathologisches Institut, Universitätsklinikum Freiburg i.Br. Fokale unreif gebliebene Reste der embryo-fetalen Nierenentwicklung (Nephrogenese-Reste, NR) konnten bei systematischen morphologischen Untersuchungen der Nieren bei ca. 1% der obduzierten Säuglinge und Kleinkinder nachgewiesen werden [Bennington u. Beckwith, 1975]. Da die Inzidenz des Wilmstumors nur 0,8 pro 100.000 Kinder pro Jahr beträgt, kann höchstens jeder 100. Fall mit einem NR sich zu einem Nephroblastom entwickeln, 99% fallen der Regression anheim. Dennoch gelten NRs als potentielle Vorläufer des WT und können als fakultative dysontogenetische Präkanzerose bezeichnet werden. Nachdem schon in früheren Jahren auf die Zusammenhänge zwischen embryo-fetalen Resten der Nephrogenese und Wilms-Tumoren hingewiesen worden war [Bove and McAdams, 1976] haben Beckwith et al. [1990] eine Neueinteilung der unterschiedlichen histologischen Erscheinungsformen der NRs vorgenommen und daraus ein Entwicklungskonzept hergeleitet, das bis heute anerkannt ist. Nach ihrer Lokalisation im Nierenläppchen werden zwei Hauptgruppen von NRs unterschieden: 1. die häufigeren perilobulären NRs (PLNR), die am Rande des Nierenläppchens liegen und 2. die selteneren intralobären NRs (ILNR) im Innern des Nierenläppchens. PLNRs und ILNRs können auch kombiniert vorkommen. Das multiple Auftreten von NRs wird als Nephroblastomatose bezeichnet. Sie tritt fast immer beidseitig auf. Die sogenannte diffuse Nephroblastomatose (besser Nephroblastose!) stellt eine generalisierte unreife Hyperplasie beider Nieren dar, die durch eine überschießende, auch über die 36. SSW hinausgehende Nephrogenese und eine exzessive Organvergrößerung gekennzeichnet ist [Böhm u. Behrens, 1979]. Bei bilateral-synchronen WTs werden in 99%, bei metachronen WTs in 94% NRs nachgewiesen. Entsprechend dem ursprünglich am Retinoblastom postulierten Knudson’schen Konzept des «second hits» wurde die Vorstellung entwickelt, dass sich durch Mutation(en) in einem NR autonome klonale Zellproliferate entwickeln, die zu einem Wilms-Tumor heranwachsen. In einzelnen Fällen sind molekularpathologisch in hyperplastischen NRs die gleichen WT1-Deletionen wie im zugehörigen Nephroblastom gefunden worden [Park et al., 1993]. Schließlich ist auch von Bedeutung, dass sich PLNRs eher zu peripher gelegenen klassischen triphasischen Nephroblastomen, ILNRs dagegen zu meist zentral gelegenen stromareichen WTs entwickeln. Dies reflektiert die spätere, bzw. frühere teratogenetische Terminationsperiode der jeweils zugrunde liegenden dysontogenetischen Läsion. Periphere PLNRWTs treten beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom und bei Hemihypertrophie infolge eines genomischen Imprintings maternaler Allele im Bereiche des WT2- und IGF2-Gens auf Chromosom 11p15.5 auf, zentrale ILNR-WTs findet man dagegen häufiger beim WAGR- und beim DenysDrash-Syndrom mit einem konstitutionellen Defekt des WT1-Gens auf Chromosom 11p13, das für den in der Embryonalentwicklung des Urogenitalsystems exprimierten Zinkfinger-Transkriptionsfaktor kodiert [Beckwith et al., 1990]. Literatur: 1 Beckwith JB, Kiviat NB, Bonadio JF: Nephrogenic rests, nephroblastomatosis, and the pathogenesis of Wilms tumor. Pediatric Pathol 1990;10:1–36. 2 Bennington JL, Beckwith JB: Tumors of the kidney, renal pelvis, and ureter. AFIP Atlas of Tumor Pathology1975, Sec. Series, Fascicle 12:31–78. 3 Böhm N, Behrens R: Diffuse Nephroblastose, Nesidioblastose und Gonadoblastose bei Beckwith-Wiedemann-Syndrom. Verh Dtsch Ges Path 1979; 63:346–351. 4 Bove KE, McAdams AJ: The nephroblastomatosis complex and its relationship to Wilms’ tumor: A clinico pathologic treatise. Perspect Pediatr Pathol 1976;3:185–223. 5 Park S et al.: Inactivation of WT1 in nephrogenic rests, genetic precursors to Wilms’ tumors. Nature Genet 1993;5:363–366. 2.2.5 | 7 Wilms-Tumor – Diagnostik und Therapie: Alle 14 Tage Screening? U. Kontny, Abt. Allg. Kinderheilkunde mit Poliklinik, Universitäts-Kinderklinik Freiburg i.Br. Für ein Tumor-Screening-Programm gilt, dass es nur dann von Nutzen ist, wenn durch das eingesetzte Screening-Verfahren eine frühzeitige Erkennung des Tumors erreicht wird, und diese mit einer Verbesserung von Heilungschancen und einer Therapiereduktion einhergeht. Als Screening-Verfahren zur Früherkennung eines Wilms-Tumors stehen derzeit nur bildgebende Verfahren zur Verfügung, von denen die Sonographie aus Kostengründen, fehlender Strahlenbelastung, und Patientenverträglichkeit die Methode der Wahl ist. Ein Screening aller Kinder auf WilmsTumor scheidet allein schon aufgrund von Kapazitäts- und Kostengründen aus. Denn bei einem Preis von etwa DM 100.- pro Ultraschall-Untersuchung, einem Screening im Abstand von 3 Monaten über 7 Jahre, und einem Wilms-Tumor-Risiko von 1:8000 würden Kosten von 22 Mio. DM anfallen, um bei einem Kind die Diagnose des Tumors früher zu stellen. Die Notwendigkeit eines solchen Screening-Programms ist aber auch angesichts der Daten, dass 2/3 aller Patienten im Stadium I und II diagnostiziert werden, und mit einer wenig intensiven Chemotherapie ohne Anthrazykline und ohne Strahlentherapie Heilungsraten von größer 90% erzielen, kritisch zu betrachten. Eine andere Situation liegt bei Kindern mit einem erhöhtem Risiko für einen Wilms-Tumor vor. So entwickeln etwa 7,5% aller Kindern mit dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom embryonale Tumoren, inklusive Wilms-Tumoren. Ein erhöhtes Risiko für einen Wilms-Tumor liegt ebenfalls bei Kindern mit einer idiopathischen Hemihypertrophie, dem Denys-Drash-Syndrom und bei Aniridie vor. Kinder dieser Hochrisikogruppe tragen ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von Tumoren in beiden Nieren, so dass bei Nachweis eines kleinen umschriebenen Tumors infolge eines Screenings eventuell eine Nierenerhaltende Operation möglich ist, und somit größere Handlungsmöglichkeiten und Heilungschancen beim Auftreten weiterer Tumoren bestünden. Dass ein solches Screening von Nutzen ist, zeigt eine Analyse von Choyke et al. [Med Pediatr Oncol 1999] von Kindern mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom oder idiopathischer Hemihypertrophie, bei denen ein Wilms-Tumor diagnostiziert wurde. Während bei keinem der 12 Kinder, die ein regelmäßiges Ultraschallscreening im Abstand von 4 Monaten oder weniger erhielten, ein Wilms Tumor im Stadium III oder IV diagnostiziert wurde, war dies bei 25 (42%) der 52 nicht gescreenten Patienten der Fall. Dem beschriebenen Nutzen eines Screening-Verfahrens sind die negativen Folgen, die sich aus falsch-positiven Befunden ergeben, gegenüber zu stellen. So berichtet Choyke, dass bei 3 von 15 Kindern mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom aufgrund des Nachweises einer neu aufgetretenen Raumforderung im Screening die Diagnose Wilms-Tumor fälschlicherweise gestellt wurde. Alle drei Kinder wurden laparatomiert, bei zweien wurde eine Nephrektomie durchgeführt. Eine Aussage, ob ein Screening-Intervall von 4 Monaten ideal ist, ist an Hand der Analyse von Choyke nicht möglich, da die Untersuchungsabstände zwischen 2,4 und 4 Monaten lagen. Systematische Untersuchungen zur idealen Länge des Screening-Intervalles gibt es nicht. Indirekte Hinweise, so eine Tumorverdopplungszeit zwischen 1 bis 2 Wochen, sowie Fallberichte, die von der Entstehung von Tumoren des Stadium I innerhalb weniger Monate nach einer negativen Untersuchung berichten, unterstreichen die Notwendigkeit eines Screening-Intervalls von nicht länger als 3 bis 4 Monaten. Empfehlungen über die Dauer eines solchen Screenings basieren auf epidemiologischen Daten über die Inzidenz des Wilms-Tumors nach Lebensalter. So werden 90% aller Wilms-Tumoren innerhalb der ersten 7 Lebensjahre diagnostiziert, 99% innerhalb der ersten zehn. 2.2.5 | 8 Non-Hodgkin Lymphom – Fallbeispiel K. Rittweiler, Abt. Allg. Kinderheilkunde mit Poliklinik, Universitäts-Kinderklinik Freiburg i.Br. Die X-chromosomal vererbte lymphoproliferative Erkrankung (XLP) ist durch unterschiedliche Phaenotypen, die in der Regel nach einer Ebstein- 29 Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/30/2017 2:07:08 PM 2.2.5 | 6 Wen stören Nephrogenese-Reste? 2.2.5 | 9 Angeborene Immundefekte und Lymphome B. Strahm, Abt. Kinderheilkunde mit Poliklinik, UniversitätsKinderklinik Freiburg i.Br. Fortschritte in der immunologischen und molekulargenetischen Diagnostik haben in den letzten Jahren zu einer detaillierten Beschreibung der angeborenen Immundefekte geführt. Man unterscheidet kombinierte Lymphozytendefekte, d.h. Defekte der B- und T-Zellen oder der T-Zellen mit konsekutiver Störung der B/T-Zell-Interaktion, von Antikörpermangelkrankheiten, Störungen der Phagozytose, Komplementdefekten und definierten Syndromen mit nicht näher klassifiziertem Immunmangel. Die genetischen Defekte, die diesen Erkrankungen zugrunde liegen, sind zu einem großen Teil bekannt. Es besteht eine auffallende Häufung x-chromosomal vererbter Erkrankungen, so dass deutlich mehr männliche Patienten betroffen sind. Schätzungen ergaben, dass bis zu 25% der Patienten mit einem angeborenen Immundefekt im Laufe ihres Lebens einen malignen Tumor, überwiegend Lymphome, entwickeln. Zu den Immundefekten mit einem besonders hohen Risiko für die Entstehung von Lymphomen gehören der schwere kombinierte Immundefekt (SCID), das Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS), die Ataxia-teleangiektasia (AT) und das x-chromosomal vererbte lymphoproliferative Syndrom (XLP). Der schwere kombinierte Immundefekt ist eine heterogene Gruppe kombinierter B- und T-Zell-Defekte, die durch das frühe Auftreten opportunistischer Infektionen charakterisiert ist. Die Patienten versterben in den ersten Lebensjahren an schwerwiegenden bakteriellen, viralen oder parasitären Infektionen. Viele der Patienten entwickeln trotz der kurzen Überlebenszeit neoplastische Erkrankungen (v.a. B-NHL). Das Wiskott-Aldrich-Syndrom ist durch die Trias-Thrombozytopenie, Ekzem und Immundefekt charakterisiert. In ca. 14% der Patienten mit WAS treten Lymphome auf. Zu den typischen Symptomen der Ataxia-teleangiektasia gehören eine zerebelläre Ataxie, Teleangiektasien und verschiedene Auffälligkeiten des Immunsystems. Der molekulare Defekt führt zu einer erhöhten Chromosomenbrüchigkeit. Jeder zehnte Patient mit AT entwickelt eine maligne Erkrankung. Hier treten neben Lymphomen auch häufig Leukämien auf. Das x-chromosomal vererbte lymphoproliferative Syndrom ist ein Immundefekt, der in der Regel nach einer EBV Infektion klinisch manifest wird. Neben einer fulminanten Mononukleose, einer aplastischen Anämie oder einer Dysgammaglobulinämie tritt bei ca. 30% der Patienten ein Non-Hodgkin-Lymphom auf. Das zunehmende Verständnis der Entstehung der Lymphome bei Patienten mit diesen seltenen Erkrankungen wird zu neuen Erkenntnissen in der Lymphomentstehung im allgemeinen führen. 30 3.1.1 Gastrointestinale Tumoren 3.1.1 | 1 Diagnostik gastrointestinaler Tumoren – Pathologie H.E. Schaefer, Pathologisches Institut des Universitätsklinikums Freiburg i.Br. Auch wenn man das Problem der pathologisch-anatomischen Diagnostik gastrointestinaler Tumoren auf maligne Tumoren beschränkt, wird eine enorme Heterogenität dieser Tumoren deutlich, die sich nicht nur in unterschiedlichen Richtungen der Tumordifferenzierung, Graden der Entdifferenzierung oder variablen histochemischen Eigenschaften, sondern auch in differenten Formen des invasiven Wachstums äußert. Eine rasch anwachsende Datenfülle zu spezifischen molekularpathologischen Details ergänzt diese Vielfalt. Auf diesem Hintergrund muss die vom Kliniker an den Pathologen gerichtete Frage nach der Prognose eines Tumors eine weit komplexere Beantwortung finden, als dies nach den herkömmlichen internationalen Kriterien eines drei- oder vierstufigen Gradings und der pTNM-Klassifizierung möglich ist. Wenn man beispielsweise das Tumorgrading an der zytomorphologischen Abschätzung der Proliferationsrate und dem Grade einer DNS-morphometrisch messbaren Aneuploidie orientiert, so mögen solche Kriterien zwar für die Magenkarzinome, speziell des intestinalen Typs, und auch für kolorektale Karzinome aussagekräftig sein, aber schon die Siegelringzellkarzinome mit diffusem Wachstumsmuster lassen den extremen Malignitätsgrad dieser Tumorklasse nicht am Grad der Aneuploidie und auch kaum an der Mitoserate sondern eher am typischen Wachstumsmuster eines sog. Carcinoma dissolutum erkennen. Dem gastralen Siegelringzellkarzinom ist also eo ipso ein empirisch höchster Malignitätsgrad immanent, weswegen sich ein Subgrading dieser Entität erübrigt. Wegen der frühen hämatogenen Metastasierungstendenz wird dieses Karzinom häufig primär anhand von Beckenkammbiopsien diagnostiziert, die unter der Fragestellung einer unklaren Anämie gewonnen worden sind. Da sich diese Metastasen, bezogen auf den Knochen, zunächst indifferent verhalten und ein kombiniert osteoklastisch-osteoblastischer Knochenumbau erst später erfolgt, können solche Metastasen radiologisch stumm sein. Aus dieser hämatopathologischen Erfahrung lässt sich die noch nicht immer erfüllte Forderung nach einer beckenkammbioptischen Metastasensuche zumindest beim diffusen Typ nach Laurén vor einer Tumorresektion ableiten. – Die Kombination von Morphologie, Immunhistochemie und Chromosomenanalysen (MIC) und molekularpathologischen Daten bildet die Basis für die in der Hämatopathologie viel weiter fortgeschrittene multimodale Charakterisierung von Tumoren. Tatsächlich erlaubt die MIC-orientierte Diagnostik neue Zuordnungen scheinbar einheitlicher Tumorarten zu Kategorien mit biologisch durchaus differenten Verhaltensweisen. Dies gilt beispielsweise für die scheinbar einheitliche Kategorie kolorektaler Karzinome, die anders als beim Magenkarzinom eine morphologisch homogene Klasse von Adenokarzinomen mit allenfalls individuell gering variablen Differenzierungsgraden bilden. Unter onkogenetischen Gesichtspunkten kann diese Tumorklasse in mindestens drei Gruppen unterteilt werden, 1. die spontanen Formen, 2. die aus einer Adenom-Karzinom-Mehrschritt-Mutagenese hervorgehenden Karzinome [Mutation im Gen der adenomatösen Polyposis coli (APC) kombiniert mit sekundären Mutation des ras-Onkogens und/oder weiterer Tumor(suppressor)gene] und schließlich jene hereditär nicht auf Polyposis beruhenden kolorektalen Karzinome (HNPCC), die mit einer heterozygoten Keimbahnmutation des sog. Mismatch-Gens verbunden sind und bei zusätzlich erworbener Mutation des zunächst nicht mutierten Allels mit einer Mikrosatelliteninstabilität verbunden sind. Bemerkenswert ist hier die Erfahrung, dass trotz des Auftretens eines HNPCC im Colon ascendens, also in einer Lokalisation, die normalerweise prognostisch ungünstig ist, dieser Tumortyp mit einer eher günstigen Prognose verbunden ist, ungeachtet der bei solchen Patienten gesteigerten Wahrscheinlichkeit extraintestinaler Zweittumore. – Immunhistochemisch nachweisbare Antigeneigenschaften können erwartete, aber auch unerwartete Informationen liefern, wie dies an der Familie der gastrointesti- Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/30/2017 2:07:08 PM Barr(EBV)-Virusinfektion auftreten, charakterisiert. Hierzu gehören die fulminante Mononukleose, lymphoproliferative Erkrankungen, Dysgammaglobulinaemien und die aplastische Anaemie. 1998 konnte das Gen für die XLP (SH2D1A) kloniert werden, so dass jetzt neben dem klinischen Bild auch eine molekular-genetische Diagnostik zur Verfügung steht. Wir berichten über zwei Brüder mit mehrfach wiederholten Manifestationen von B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen und rezidivierenden pulmonalen Infektionen mit Bronchiektasien im Kindesalter. Ein humoraler oder zellulärer Immundefekt wurde in beiden Fällen ausgeschlossen. Molekulargenetische Untersuchungen von SH2D1A zeigten bei beiden Patienten eine Deletion im ersten Exon. Zu keinem Zeitpunkt bestand bei den Brüdern klinisch der Verdacht auf eine EBV-Infektion. Serologisch ließen sich nie Antikörper gegen spezifische EBV-Antigene nachweisen, die PCR auf EBV-Genom im peripheren Blut war negativ. Untersuchungen des Lymphomgewebes mittels In-situ-Hybridisierung gegen EBV-encoded RNA (EBER) blieben negativ. Wir postulieren, dass die genetischen Veränderungen im SH2D1A-Gen unabhängig von einer EBV-Infektion ein Risiko für die Entwicklung von B-Non-Hodgkin-Lymphomen im Kindesalter darstellt.