___________________________________ UNIVERSITÄT TRIER FACHBEREICH IV – VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE ____________________________________ Lehrstuhl für Stadt- und Regionalökonomie Seminar im Hauptstudium WS 2006/07 - Materielle und soziale Infrastruktur - Infrastruktur und Staatsversagen Seminarleiter: Prof. Dr. H. Spehl Dipl.-Geogr. M. Gensheimer Vorgelegt am: 09.02.2007 Carsten Hogertz Dietrichstr. 20, 54290 Trier [email protected] Tel.: 0651 / 43 60 434 7. Semester Angewandte Geographie / Raumplanung Matr.Nr.: 74 26 48 1. EINLEITUNG 3 2. DIE AKTEURE DES POLITISCHEN ENTSCHEIDUNGSPROZESSES UND IHRE INTERAKTIONEN 4 2.1 DIE WÄHLER 2.2 DIE INTERESSENGRUPPEN 2.3 DIE POLITIKER 2.4 DIE BÜROKRATEN 4 5 7 8 3. DER POLITISCHE MARKT ALS INTERAKTIVER PROZESS 9 4. ÜBERTRAGUNG DER NEUEN POLITISCHEN ÖKONOMIE AUF DEN INFRASTRUKTURELLEN BEREICH EISENBAHN 11 4.1 EIN POLIT-ÖKONOMISCHES MODELL FÜR DEN EISENBAHNBEREICH 4.2 POSITIVE ERKLÄRUNG DER BAHNSTRUKTURREFORM 13 16 5. FAZIT 16 LITERATURVERZEICHNIS 19 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Ein polit-ökonomisches Grundmodell _______________________________________ 10 Abb. 2: Ein polit-ökonomischen Modell für den Eisenbahnbereich ______________________ 14 2 1. Einleitung Warum versagt der Staat bei einigen der ihm aufgetragenen Aufgaben? Welche Erklärungsansätze gibt es für das Staatsversagen? Wie lassen sich diese Erkenntnisse auf die Infrastruktur übertragen? Dies sind die Hauptfragen, mit denen sich die vorliegende Arbeit dem Titel „Infrastruktur und Staatsversagen“ auseinander setzt und diese versucht zu erklären. Als Grundlage des Erklärungsansatzes beruft der Autor sich hier auf die Neue Politische Ökonomie (NPÖ), die in der Literatur auch als Public-Choice-Theorie oder Ökonomische Theorie der Politik auftaucht. Der andere Ansatz zur Erklärung wäre die Berufung auf die Wohlfahrtstheorie, in der nur der private Sektor als homo-oeconomicus analysiert wird und die staatlichen Handlungsträger als dem Gemeinwohl sich verpflichtende Diktatoren modelliert werden. Die Neue Politische Ökonomie geht in diesem Zusammenhang jedoch von einer unrealistischen Idealvorstellung aus. Eine kurze Erklärung dieser Annahme soll hier sein. Der wohlwollende Diktator ist in der Wohlfahrtstheorie mit zwei wesentlichen Merkmalen ausgestattet. Erstens handelt er stets im Interesse des Bürgers und zweitens hat er vollkommene Handlungsfreiheit und steht bei seinen Entscheidungen keiner Restriktion innerhalb des politischen Prozesses gegenüber. Hier setzt die Kritik der NPÖ an. Erstens haben Politiker, wie alle Wirtschaftssubjekte, eigene Ziele! Sie handeln ebenso eigennützig wie rational. Beschreibend ist hier der Satz von Momberg „Wenn sich die Aktivitäten der Haushalte and der Maximierung ihres Nutzens und die der Unternehmen an der Maximierung des Gewinns ausrichten, so orientieren sich Politiker in ihrem Handeln an der Maximierung von Macht“. Zweitens benötigen Politiker zur Machterlangung/erhaltung einen Auftrag durch den Souverän! Hier gilt die Gleichung Wählerstimmen gleich Grundlage der Macht. Politiker unterliegen demnach sehr wohl einer Restriktion, nämlich der Restriktion der Wahl, an der sie ihr Verhalten auszurichten haben. Der weitere Verlauf der Abhandlung soll dem Erklärungsanspruch der NPÖ – wieso die geforderten staatlichen Eingriffe in der Praxis abweichen – gerecht werden. Hierzu werden auf die, neben Politiker und Wähler, weiteren Konstruktionen eingegangen werden, die Einfluss auf das Wähler-Poliker-Verhältniss haben. Namentlich sind dies die staatlichen Verwaltungen als Umsetzer politischer Entscheidungen mit zudem eigenen Interessen und die Interessengruppen in denen 3 eigene Interessen in einer Gruppe gebündelt werden und direkter Einfluss auf die Politik genommen wird. Nach der theoretischen Abhandlung und Analyse der vier Akteursgruppen werden die Erkenntnisse auf den Infrastrukturbereich Eisenbahn übertragen und die Deregulierungsprozesse aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie versucht zu erklären. 2. Die Akteure des politischen Entscheidungsprozesses und ihre Interaktionen In dem folgenden Kapitel der Abhandlung werden nun die einzelnen Akteure des politischen Entscheidungsprozesses näher beleuchtet. Die Akteure, die hier zum Untersuchungsgegenstand werden, sind die Wähler, die Interessengruppen, die Politiker und die Bürokratie. Als Grundprämisse für die Eruierung gilt, dass die folgenden Akteure alle nach eigennutzmaximierenden Zielen handeln und alle mehr oder weniger direkten Einfluss auf die Gestaltung der Politik nehmen. 2.1 Die Wähler Die Wähler als einzelne Wirtschaftssubjekte können ihre Präferenzen politischer Leistung in Demokratien durch Abstimmungsverfahren ausdrücken. Die geschieht durch direkte Demokratie oder durch die Wahl eines Parlaments in einer repräsentativen Demokratie. Dem Wähler wird somit die Möglichkeit gegeben, über die Art und Weise der staatlichen Aktivitäten zu bestimmen. Legt man als Maßstab die Annahmen des ökonomischen Verhaltensmodells an, so orientieren sich die Entscheidungen der Wähler nicht an dem Konzept der Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt, sondern am Paradigma von Eigennutz und Rationalität. Zusammengefasst kann die Wahl als Zweck angesehen werden, um individuelle Präferenzen Mehrheitsentscheidungen der zu Wahlberechtigten finden (vgl. Fritsch zu aggregieren a.a.O., S. 360). und Die Eigennutzmaximierung erfolgt hier durch das Abwägen der Wahlalternativen und 4 diejenigen Politiker werden präferiert, die den eigenen Vorstellungen am ehesten entsprechen. Vorraussetzung für die richtige Entscheidung jedoch ist eine vollständige Information des Wählers. Da dies jedoch nahezu unmöglich ist, führen Informationsdefizite seitens des Wählers zu entsprechenden Fehlentscheidungen. Seine demokratische Kontrolle ist dementsprechend beeinträchtigt. Ein weiterer Verlust der demokratischen Kontrolle in einer repräsentativen Demokratie ist die Periode zwischen den Wahlen. Die Möglichkeit der Sanktion oder Belohnung von politischen Handlungen ist nur in längeren Die Kreuze nach eigenen Interessen: Wähler werfen ihren Stimmzettel in die Wahlurne Zeitabständen möglich. Aus diesen beiden Kontrollverlusten, dem Informationsdefizit und der fehlenden sofortigen Sanktionsmöglichkeit, bietet sich dem Politiker die Möglichkeit, in den Zwischenwahlperioden Entscheidungen zu treffen, die mit den Zielen der Wähler nicht konform sind, beziehungsweise den Informationsrückstand der Wähler zu nutzen und Entscheidungen zu treffen, die sich der Information der Wähler entziehen (vgl. Momberg 2000, S. 219 ff.). 2.2 Die Interessengruppen Aus der Sicht der NPÖ bilden die Interessengruppen einen eigenen Faktor im Kontext des gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses, da sie durch ihre Aktivitäten und Mitglieder einen entschiedenen Einfluss auf Politikerverhalten ausüben können. Unter der Prämisse des Rationalverhaltensmodells besteht das allgemeine Ziel von Interessengruppen darin, den Nutzen ihrer Mitglieder zu maximieren und dessen Aktivitäten daran auszurichten. Um die eigenen Interessen gegenüber der Politik durch setzten zu können, hängt vor allem von der Ausnutzung von Informationsvorsprüngen, der Ausbeutung von Marktmacht und den finanziellen Beziehungen zwischen den ökonomischen und staatlichen Institutionen ab. 5 Interessenverbände sind in der Regel besser informiert als Parteien, Regierungen und Wähler. Diesen Vorteil schafft ihnen die Kenntnis über die Wirkung von staatlichen Maßnahmen auf die eigenen Mitglieder und dem Wissen um die Präferenzen von Konsumenten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass der Informationsvorsprung so ausgenutzt wird, als dass nur diese Informationen weitergeleitet werden, die ihren Mitgliedern zuträglich sind und jene zurückgehalten werden, die diesen entgegenstehen. So werden die Wähler auch über mögliche, beziehungsweise unmögliche staatliche Maßnahmen informiert. Dies dient jedoch nicht nur dazu, den Informationsnachteil der Wähler zu relativieren. Auch kann dieses Mittel gezielt dazu genutzt werden, den politischen Entscheidungsprozeß aktiv mit zu bestimmen. Durch Marktmacht verfügt eine Interessengruppe über ein gewisses Drohpotential. Durch Streiks, Demonstrationen, Abwanderungen etc. kann Druck auf andere Institutionen ausgeübt werden. Einfluss auf das Wählverhalten wird in diesem Fall damit erklärt, dass je besser es gelingt, die von solchen Aktionen negativ Betroffenen davon zu überzeugen, dass die Verantwortlichkeit, solchen Aktionen für die aus entstehenden Nachteile, auf - zum Beispiel - der Seite der Politik Einfluss liegt, der desto stärker der Interessengruppen ist. Manchmal braucht es noch nicht einmal die Durchführung einer solchen Aktion, sondern reicht die alleinige Androhung Durchsetzung eigener Interessen: Ver.di-Mitglieder beim Streik einer solchen. Ein weiteres Mittel der Einflussnahme ist die Finanzierung von Parteien und Verwaltungen. Hieraus ergeben sich Abhängigkeiten der Politik von den Interessengruppen zum Beispiel durch Parteispenden, Wahlkampfunterstützung und Sponsoring. Die Höhe dieser Zuwendungen ist letztlich abhängig von der Mitgliederzahl und Beiträge der Interessengruppen. Auch andere finanzielle Aktivitäten, wie das Anbieten eines Arbeitsplatzes oder persönliche Zuwendungen sind weitere Mittel der Einflussnahme durch Finanzierung. Letztliches Ziel liegt in der Vorteilserlangung der Interessengruppenmitglieder. 6 So sind die drei oben genannten Mittel der Interessengruppen Möglichkeiten, den politischen Entscheidungsprozeß maßgeblich zu bestimmen. Hierzu ist zu sagen, dass durch den Informationsvorsprung [der Interessengruppen] und auch dessen Verbreitung es zu einer Qualitätsverbesserung staatlicher Eingriffe und Entscheidungen kommen kann. Aus Sicht der NPÖ ist die Interessengruppe zunächst jedoch nicht mehr, als eine Versammlung eigennütziger Mitglieder, die als Nachfrager von Regulierungen auftreten (vgl. Momberg 2000, S.221 ff.). 2.3 Die Politiker Im Rahmen der Neuen Politischen Ökonomie sind nicht die Parteien als Versammlung von Politikern von Interesse, es werden zunächst die Politiker selbst zum Untersuchungsgegenstand. Von der Mikroebene des Politikers werden sodann Rückschlüsse auf das Verhalten auf Mesoebene, der Parteien, geschlossen. Auch Politiker sind „rational handelnde Akteure“ (Momberg 2000, S. 224). Sie sind an der Maximierung ihres eigenen Nutzens interessiert. Die Vorteile des eigenen Nutzens können aus den Vorteilen öffentlicher Ämter entstehen, da diese mit Macht, Reputation, höherem Einkommen und der Durchsetzung der eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen verbunden ist. Vorraussetzung zum Nutzen der Vorteile eines öffentlichen Amtes ist jedoch die durch den Souverän gegebene Legitimation in Form von Wahlen. Der Politiker muss also über die Partei Wählerstimmen auf sich vereinigen. Politik kann dementsprechend als Markt verstanden werden, auf dem Politiker als Produzenten Anbieter von staatlichen Leistungen mit dem Ziel der Stimmenmaximierung sind. Weiter gedacht kann die Maximierung der Stimmen hier als ein Auf der Jagd nach Wählerstimmen: Oskar Lafontaine während des Wahlkampfes Zwischenziel angesehen werden, mit dessen Erreichen die Verfolgung der eigentlichen Ziele erst möglich ist. Um das Ziel der Stimmenmaximierung zu erreichen bedarf es einer Ausrichtung des Wahlprogramms an Wählerpräferenzen. So sind allokations-, stabilisierungs- und 7 verteilungspolitische Maßnahmen aus Sicht der NPÖ Aktivitäten, die der Machterlangung, beziehungsweise der Machterhaltung dienen. Sind nun nicht alle am politischen Prozess beteiligten Akteure vollständig informiert und werden die Informationsasymmetrien von Politikern entsprechend ausgenutzt, eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit unbemerkt zu begünstigen und als Wähler zu gewinnen, kann dieses Prinzip der Stimmenmaximierung zu gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen führen. (vgl. Momberg 2000, S. 224 ff.). 2.4 Die Bürokraten Nun bedarf es zur Umsetzung politischer Entscheidungen einer öffentlichen Verwaltung. Somit wird auch die Bürokratie mit in die Analyse der NPÖ aufgenommen. Als Begründer der modernen Bürotheorie wird Niskanen genannt. Die Theorie beruht darauf, dass Bürokraten in öffentlichen Unternehmen ihr Budget maximieren wollen. Begründet wird die Budgetmaximierung durch Niskanen durch die so genannten „3P“: Gehalt (Pay), Macht (Power) und Ansehen (Prestige) (vgl. Niskanen 1975, S. 617-643). Die zentrale Aussage der ökonomischen Theorie der Bürokratie lautet, dass die Chefbürokraten staatlichen weniger die Eigentümervorteile (der Steuerzahler) achten, als Manager in der Privatwirtschaft es tun. Als Grund hierfür Vergrößern statt Verändern: Die Bürokratie wird die sich durch Organisationsformen bürokratische systematisch vergrößernde Zieldivergenz zwischen Eigentümern und Managern genannt (vgl. Schneider, Bartel 1990, S. 50f). Anders, als zum Beispiel Max Weber die Bürokratie als die effizienteste Organisationsform sieht (vgl. Weber 1922, S. 650), sehen die Vertreter der neueren Wirtschaftswissenschaften die Bürokratie als eine 8 Organisationsform aus eigennutzmaximierenden Mitgliedern mit Hang zur Ineffizienz (vgl. Blankart 1975, S. 166-185). Die Gründe, die für die Theorie der Budgetmaximierung sprechen sind zum einen, dass Bürokraten weder von Wählerstimmen abhängig sind noch wettbewerblichen Sanktionen unterworfen sind. Individuellen Produktivitätssteigerungen wird auf Grund von festen Besoldungssystemen und geringen Aufstiegschancen wenig Anreiz geboten. Folge dessen werden sie über Budget- und Mitarbeiterausweitung ihren Nutzen zu maximieren versuchen. Da die Bürokraten als Anbieter von staatlichen Leistungen dem Politiker als Nachfrager von den angebotenen Leistungen einen Informationsvorsprung besitzen, ist es der Bürokratie möglich, sich der vollständigen Kontrolle der Politik zu entziehen und es zu allokativen und/oder betrieblichen Ineffizienzen kommen zu lassen (vgl. Momberg, S. 226 ff.). 3. Der politische Markt als interaktiver Prozess Aus den oben skizzierten Verhaltensweisen der einzelnen Akteure im politischen Entscheidungsprozess lassen sich die Beziehungen in einem polit-ökonomisches Modell überführen. Dieses Modell versteht sich als ein Markt, auf dem Angebot und Nachfrage nach staatlichen Leistungen aufeinander treffen. Ein Charakterzug dieses polit-ökonomischen Modells ist es, dass es ein mehrstöckiges Prinzipal-Agent-Modell ist. Das bedeutet, dass untereinander nicht vollständiger Informationsgleichstand herrscht. Diesem unvollständigem Informationsstand unterliegen dem zu folge auch die Sanktionsverfahren, Abhängigkeiten und Einflussnahmen. Die folgende Abbildung stellt ein allgemeines Grundmuster dieser Abhängigkeiten dar: 9 Abb. 1: Ein polit-ökonomisches Grundmodell Quelle: Momberg 2000, S. 231 An diesem Schaubild lassen sich alle oben beschriebenen Merkmale der einzelnen politischen Akteure verdeutlichen. So werden Regierungs- und Parteienverhalten durch Wählerpräferenzen, beziehungsweise Wählerstimmen determiniert. Wähler werden mobilisiert Wahlprogramme durch und die entsprechende Wahlprogramme. Informationsversorgung Die orientieren Inhalte sich an der den Paradigmen der Stimmenmaximierung. Interessengruppen nutzen gezielt ihren vorteilhafteren Informationsstand zum Wohle ihrer eigenen Nutzenmaximierung, indem sie durch gezielten Informationseinsatz der Politik Stimmen entziehen oder bringen können und somit Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können. Nicht nur durch Information, auch durch andere Ressourcen (wie zum Beispiel Parteispenden oder auch persönliche Zuwendungen) kann ein bestimmtes politisches Verhalten veranlasst werden, das in Regulierungsmaßnahmen oder Unterlassungen münden kann. Die beiden Gruppen „Wähler“ und „Interessengruppen“ entscheiden aus der Sicht der NPÖ über politische Programme und prozesspolitische Aktivitäten von Regierungen und Parteien. In den Abhängigkeitsverhältnissen von Bürokratie und Regierung tritt der Politiker in ein Abhängigkeitsverhältnis Verwaltungsdienstleistungen zur Bürokratie. regelmäßig Diese besser sind als informiert Anbieter als von die 10 Politikverantwortlichen. Hier [bei der Bürokratie] werden öffentliche Leistungen nachgefragt. Diese Leistungen stehen im Interesse der Wähler und die Budgetzuweisung erfolgt durch die Regierungsparteien. Als zentrale Aussage aus diesem Modell lässt sich ableiten, dass sich politische Entscheidungen durch einen interaktiven Prozess zwischen allen Gruppen vollziehen, bei dem alle beteiligten Akteure nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung handeln. Hieraus folgt die Ableitung der Aussage, dass nicht wohlfahrtstheoretische Erfordernisse staatliches Handeln begründen, sondern dass alle Eingriffe des Staates durch die Maxime der Wählerstimmerhaltung determiniert werden. Die Wählerstimmen sind die Legitimation zur Machterlangung und/oder Machterhaltung (vgl. Momberg 2000, S. 230 f.). 4. Übertragung der Neuen Politischen Ökonomie auf den infrastrukturellen Bereich Eisenbahn Um das oben beschriebene Modell auf den Infrastrukturbereich Eisenbahn zu übertragen, muss zunächst untersucht werden, wir die beteiligten Akteure sind und die Interessen derer. In dieser Analyse soll weiterhin auch der Einfluss analysiert werden, die die beteiligten Gruppen auf den Prozess haben und eine Bewertung durch die NPÖ. Auch in diesem Beispiel sind die vier oben genannten Gruppen der Wähler, der Interessengruppen, der Politiker und der Bürokratie zu finden und zu analysieren. Als erste Gruppe werden die eigentlichen Eigentümer der Eisenbahn, die Wähler im Mittelpunkt des Interesses stehen. Obwohl sie Eigentümer sind, haben sie keinen direkten Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, besteht an den Wahlterminen – hier wird die Eisenbahnpolitik jedoch einen vernachlässigbar kleinen Aspekt einnehmen. Weiterhin bestehen Informationsasymetrien. Während der Nutzen relativ bekannt ist, nämlich die Versorgung mit Schienenverkehrt etc., verteilen sich die Kosten der Regulierung für den Wähler kaum spürbar auf die Gesamtheit (vgl. Ewers 1994, S. 198). Dies drückt sich in der Akteursgruppe der Wähler in einer Nachfrage nach Regulierung aus, da eine Deregulierung eine kaum spürbare Kostensenkung nach sich ziehen würde. 11 Der wichtigste Einflussfaktor der Bahnpolitik sind die von der Bahnregulierung Begünstigten Interessengruppen. Momberg spricht von fünf Gruppen, die innerhalb der Interessengruppe bestehen. Diese sind die Beschäftigten des Eisenbahnwesens, Landes- und Kommunalpolitiker, Ökoverbände und Fahrgäste, Bahnmanager. Die Beschäftigten des Eisenbahnwesens sind in langer Tradition gewerkschaftlich organisiert. Aufgrund ihrer eindeutig artikulierbaren Ziele verfügen die Gewerkschaften über gut organisierte und effektive (wählerwirksame) Sanktionsinstrumente. Die Deutsche Bahn AG: Wer will was? Hier: Vorstandsvorsitzender Hartmut Mehdorn Landes- und Kommunalpolitiker halten an der Regulierung fest, wenn es darum geht, als Interessengruppe auf bundespolitischer Ebene Leistungen nach zu fragen, die ihrem Machterhalt dienlich sind. Sie profitieren als Mitspracheorgan, tragen jedoch nicht die entstehenden Kosten. Die dritte Interessengruppe, die Bahnnutzer haben zwar begrenzte und eindeutige Ziele wie der Wunsch nach einer Schienentransportversorgung, die sich durch Sicherheit, Schnelligkeit, hohen Serviceleistungen und niedrigen Bahnpreisen auszeichnet, ihre Zahl als Betroffene ist aber zu groß und die Möglichkeiten zu gering, das öffentliche Gut Erfolg von Verbandsaktivitäten zu privatisieren. Insgesamt spielen Fahrgastverbände eine eher untergeordnete Rolle. Eine vierte Interessengruppe sind die ökologisch orientierten Verbände oder Parteien. Ihr Ziel ist es, sich in den politischen Prozess einzugliedern, da der Schienenverkehr die geringsten Externalitäten aufweist. Ökologische Verbände werden es dann leichter haben, ihre Ziele durch zu setzen, wenn sie ihre Informationen an eine in Umweltfragen sensibilisierte Öffentlichkeit weiterleiten und damit den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen können. Das das Bahnmanagment als letzte Interessengruppe nicht unbedingt trotz erweiterbaren Handlungsspielraums für die Deregulierung stimmt ist offensichtlich, da Deregulierung auch gleichzeitig eine Zulassung von Wettbewerb auf der Schiene bedeutet. Hier stehen sich also staatlich legitimierte Monopolrenten und die Gefährdung von Bahnmanagerpositionen den Deregulierungspräferenzen gegenüber. Dass die Bürokratie als Einflussfaktor ein Interesse an Regulierung besitzt, ist von der Zielsetzung ihrer Arbeit erklärbar. Sie hat den staatlichen Auftrag zur 12 Bereitstellung des Schienenverkehrs und würde ohne diesen Auftrag ihre Existenz nicht mehr rechtfertigen können. In die Gruppe der Bürokraten müssen auch die Bahnregulierungsbeamten des Bundesverkehrsministeriums eingegliedert werden. Diese sind für Verhandlungen mit dem Bahnmanagement, Kontrollfunktionen und Sanktionen verantwortlich. Dass diese Gruppe für Privatisierungsmaßnahmen eintritt, ist fraglich. Ein staatliches Angebot ist auch immer mit Macht, Prestige und Aufstiegschancen verbunden (vgl. Grosskettler 1989, S. 444). Eine Deregulierung würde gleich einem Eingeständnis des eigenen überflüssigen Daseins kommen. Es lassen sich eine Vielzahl von Regulierungsinteressenten nachweisen, die sich politisch gut organisieren lassen und zudem über ein starkes Drohpotenzial verfügen. Diesem Potenzial weiterhin zu Gute kommt die gezielte Information der Wählerschaft und deren Informationsasymetrien hinsichtlich der Nutzen und der auf die Gesamtheit abgewälzten Kosten. Auch dass die Bahnverwaltung aus der Regulierung ihre Existenzberechtigung zieht, fördert die Form der Deregulierung (vgl. Momberg 2000, S. 238 ff.). 4.1 Ein polit-ökonomisches Modell für den Eisenbahnbereich Um die untereinander bestehenden Interdependenzen besser darzustellen, greifen wir das Schaubild weiter oben noch einmal auf und wenden es auf den konkreten Fall der Eisenbahn an. Hier treffen die divergierenden Deregulierungs- und Regulierungsinteressenten aufeinander: 13 Abb. 2: Ein polit-ökonomischen Modell für den Eisenbahnbereich Quelle: Momberg 2000, S. 247 Die auf ihrer Eigennutzmaximierung gesinnten Interessengruppen fragen bei den Politiker beziehungsweise Parteien staatliche Aktivitäten nach und bieten im Gegensatz dazu Wählerstimmen an. Rekrutieren können sie diese Wählerstimmen aus eigenen Reihen, aber auch durch ihren Informationsvorsprung und Verbreitung dessen, sowie durch ihr starkes Drohpotential, vor allem auf Seiten der Bahnbeschäftigten, beziehen sie Unterstützer der Regulierung auch aus der Masse der Wählerschaft. Diese werten meist durch die gewonnen Informationen den Nutzen einer Regulierung höher als ihre Kosten und bieten sich somit als Wähler an. Diese Informationsasymetrien können die Interessengruppe für sich nutzen, da die Gesamtkosten auf eine große Gesamtheit verteilen. Es wird folglich auch einen Teil der Gesamtheit geben, die durch die Regulierung belastet werden, das Verkehrsmittel Bahn aber gar nicht nutzen. Diese Gruppe wird sich jedoch nicht regen, da durch den Streueffekt die finanzielle Belastung für den einzelnen gering ist und die große Gruppe schwer zu organisieren ist. 14 Nun müsste davon ausgegangen werden, dass im politischen Wettbewerb die Parteien jene finanziell benachteiligten Wähler (die Nicht-Nutzer der Bahn) darauf aufmerksam machen würden, um diese als die ihrigen Wähler zu gewinnen. Dieses These scheint jedoch beim Thema Eisenbahn zu versagen, was mit folgenden drei Thesen versucht wird, zu erklären: In der ersten einfachen Theorie versucht Downs dies mit seinem Medianwählermodell zu erklären, wonach sich Parteien mit ihrem Programm immer am Medianwähler orientieren, um eine möglichst große Wählerschaft zu sichern. Deshalb werden sich alle Parteien eher einem Regulierungsprogramm anschließen. Die Interessengruppentheorie bildet einen zweiten Erklärungsansatz, nach der die Wähler selbst bei Kenntnis einer Benachteiligung nicht unternehmen, da die spürbare Belastung zu gering ist. Als dritter Ansatz ist die Regulierung des Schienenverkehrs für jede Partei interessant, da durch dieses Programm ihre jeweilige Klientel bedient werden kann. Vereinfacht und klischeehaft kann das so erklärt werden, dass der Arbeiter als traditioneller Linkwähler von Sozialtarifen und der in ländlichen Regionen konservativ Wählende von Schienenverkehr in der Fläche profitieren kann (vgl. Ewers 1994, S. 202). Eine eindeutige Aussage über die Übertragbarkeit des bürokratietheoretischen Ansatzes auf das Modell der Eisenbahn zu machen, ist schwierig. Als ein tendenziell unterstützender Indikator können die Entwicklungszahlen hinsichtlich der Arbeitnehmerstruktur seit der 1994 eingeleiteten Bahnstrukturreform. Hier werden die absoluten Zahlen der Arbeitnehmer zurzeit des öffentlichen Unternehmens Deutsche Bundesbahn mit der ab 1994 privatisierten Deutschen Bahn AG verglichen. Hieraus ergibt sich eine Produktivitätssteigerung Personentonnenkilometer (Ptkm)/Mitarbeiten; von über 1998: 40% 536.037 (1994: 379.236 Ptkm/Mitarbeiter (Angaben aus Geschäftsbericht der DB AG 1999). Möglicherweise zurückzuführen ist diese Produktivitätssteigerung auf den Personalabbau von 100.000 Mitarbeitern im genannten Zeitraum bei nahezu konstanter Verkehrsleistung. Rechnet man dieses Spiel weiter und setzt die Zahlen zu den damals insgesamt beschäftigten Mitarbeitern ins Verhältnis, ergibt sich hieraus eine Überbesetzung von fast einem Viertel. Es wird davon ausgegangen, dass diese Überbesetzung zu einem großen Teil auf die bürokratiespezifischen Interessen gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zurückzuführen ist (vgl. Momberg 2000, S. 246 ff.). 15 4.2 Positive Erklärung der Bahnstrukturreform Wie ist nun der 1994 eingeleitete Deregulierungs- und Privatisierungsprozess zu erklären. Nach den obigen Erklärungen der am politischen Prozess beteiligten Akteure müsste die Bahnstrukturreform mit den Zielen der Interessengruppen und der Verkehrsverwaltung, ebenso wie den Zielen der Politik entgegenlaufen. Wenn die Besitzer, also die Wähler, durch die Deregulierung keine spürbaren finanzielle Erleichterungen spüren und auch die Interessengemeinschaften in der Lage sind, politischen Widerstand wählerwirksam zu formieren, kommt die Frage auf, warum es trotz dieser Argumente zu einer Deregulierung kommt. Von einem „allokations- resp. ordnungspolitischen Gesinnungswandel“ (Momberg 2000, S. 251) auf der Seite der Politiker ist nicht auszugehen. Auch diese und die anderen Akteure werden weiterhin nach eigennutzmaximierenden Maßnahmen handeln. Als Lösungsansatz ist hier die der nationalen Politik übergeordnete Suprapolitik der Europäischen Union zu nennen; die Liberalisierung fand also nicht freiwillig statt. Ebenso wie im Telekommunikationssektor und Strommarkt ist von der Europäischen Union die Liberalisierung europaweit gewollt und vom Rat der Europäischen Gemeinschaften per Richtlinie erzwungen worden. Als Begründung ist von einem „wenig leistungsfähigen Einsenbahnverkehr, der im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern nicht wettbewerbsfähig ist, der sich den Marktveränderungen nicht ausreichend anzupassen vermag und dabei Wettbewerbsverzerrungen verursache (vgl. Momberg 2000, S. 251 ff.). 5. Fazit Durch die vorangegangene theoretische Erklärung der Neuen Politischen Ökonomie und die Anwendung derer auf den Bereich Eisenbahn zeigt deutlich, dass politische Entscheidungen im Infrastrukturbereich nicht unbedingt aus wohlfahrtmaximierenden Antrieb heraus entschieden werden, sondern die sich durch alle Bereiche des politischen Entscheidungsprozesses auch eine eigennutzmaximierende Komponente nachweisen lässt. 16 Was sind die Gründe eines solchen eigennutzmaximierenden Konzepts, beziehungsweise wo lässt sich ein solches besonders leicht durchsetzen? Als ein wesentlich erleichterndes Moment bietet sich hier die Eigenschaft der Finanzierung eines Sektors durch eine breite Besteuerungsbasis, die diese Besteuerung im Allgemeinen auch akzeptiert. Hier gibt es Bereich, die im gesellschaftlichen Konsens tendenziell nicht einer Deregulierung unterworfen werden, hier zu nennen wäre zum Beispiel die innere und äußere Sicherheit. In annahmegemäßen Infrastrukturbereichen, in denen der gesellschaftliche Konsens nicht besteht, müssen Interessengruppen, wollen sie politisch etwas bewirken, auf Die Bahn und die Deregulierung: Trennung von Netz und Betrieb? politische Parkett treten. Diese haben nun die Chance durch gezielte Informationen die Öffentlichkeit gezielt zu sensibilisieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken. In diesen Bereichen bietet sich die Gefahr, dass durch die Verwischung von Realität und den Zielen der Interessengruppe sich wolhfahrtsökonomische Erfordernisse und praktizierte Infrastrukturpolitik entkoppeln. Letztendlich sind für die Entscheidungen pro und contra Regulierung die Existenz und der Einfluss von Interessengruppen; der institutionelle Rahmen, der Regulierung und Einflussnahme zulässt und zuletzt eine Informationsasymmetrie stimmenmaximierenden Stimmenmaximierende zulasten der Wähler, Politikverantworlichen Politiker, deren Beurteilung maßgeblich budgetmaximierende für die ist. Bürokraten, subventionsmaximierende Interessengruppen und eigennutzmaximierende Wähler treffen im polit-ökonomischen System aufeinander und bestimmen weitgehend unabhängig von wohlfahrtstheoretischen Erfordernissen den wirtschaftlichen Output. Hier gilt, je stärker die Interessengruppen und je stärker die Informationsasymmetrien bei den Wählern, desto leichter lässt sich Regulierungsnachfrage auf dem politischen Markt bedienen. Und auf Seite der politischen Entscheidungsträger lässt sich zusammenfassend sagen, dass diese mit dem Ziel des Machterhalts jene 17 Maßnahmen umsetzen, die in deren Kosten-Nutzen-Kalkulation den höchsten Nettozugang an Wählerstimmen versprechen. 18 Literaturverzeichnis Blankart, Ch. B.: Zur ökonomischen Theorie der Bürokratie, in: Public Finance, Vol. 30, Nr. 2, 1975, S. 166-185 Ewers, H.-J.: Privatisierung und Deregulierung bei den Eisenbahnen, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 13, 1994, S. 198f Fritsch, M. et al, a. a. O., S. 360 Deutsche Bahn AG: Geschäftsbericht der DB AG, Berlin, 2000 Grosskettler, H.: Deregulierung und Privatisierung, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 18, 1989, S. 444f Momberg, R.: Theorie und Politik der Infrastruktur unter Berücksichtigung institutionen- und polit-ökonomischer Einflussfaktoren, 2000, Frankfurt am Main Niskanen, W. A.: Bureaucrats and Politicans, in: The Journal of Law and Economics, Vol. 18, 1975, S. 617-643 Schneider, F./ Bartel, R.: Gemeinwirtschaft versus Privatwirtschaft – Ein Effizienzvergleich, Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für ökonomische Analyse wirtschaftspolitischer Aktivitäten, Bd. 5, Wien, 1990, S. 50f Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen, 1922 19