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Der interreligiöse Dialog
„Wir Menschen des Glaubens“
Das Angebot der Christen: Benedikt XVI. ist davon überzeugt, dass die Gottgläubigen einen besonderen
Beitrag zum Aufbau ihrer Gesellschaften leisten müssen. Wenn er dabei vor Muslimen von „wir“ spricht,
ist das doppelt explosiv
Von Guido Horst
Bedenkt man, dass der Islam im theologischen Werk Joseph Ratzingers nahezu keine Beachtung findet, ist es noch
erstaunlicher, welche Bedeutung die Begegnungen mit Muslimen und die an sie gerichteten Ansprachen im Pontifikat
Benedikts XVI. einnehmen. Inhaltlich setzt Papst Benedikt hier nicht nur die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil
begründete und von seinem Vorgänger höchst aktiv betriebene Kontaktaufnahme mit der islamischen Welt fort. Er
geht darüber hinaus.
Zuletzt war das in Berlin der Fall, als er Vertreter des Zentralrats der Muslime in Deutschland in der Apostolischen
Nuntiatur empfing. Dabei definierte er das am 27. Oktober stattfindende Treffen in Assisi – ein Vierteljahrhundert
nach der von Johannes Paul II. eingeladenen Begegnung der Religionsgemeinschaften nach Assisi – als „Tag der
Reflexion, des Dialogs und des Gebets für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt“. Damit solle zum Ausdruck
gebracht werden, „dass wir als Menschen des Glaubens unseren besonderen Beitrag für den Aufbau einer besseren
Welt leisten“, so Benedikt XVI. Dieser Satz ist doppelt explosiv: Einerseits, weil er ein „Wir“ der Gläubigen über
Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg behauptet, ein „Wir“ also, das die Grenzen seiner Kirche und jene der
Umma seiner Gesprächspartner überschreitet. Andererseits, weil der Papst die Gläubigen damit in einen Kontrast zu
den Nichtgläubigen oder Ungläubigen rückt, und behauptet, dass die Gläubigen einen „besonderen Beitrag“ zur
Weltgestaltung hätten.
Gegen das „Säkularisierungs-Dogma“
Damit aber widerspricht der Papst dem seit der Aufklärung anschwellenden Trend, Religion zur Privatsache, zur
Angelegenheit des frommen Herzens oder vielleicht gerade noch der persönlichen Moral zu erklären. Der Papst
widerspricht dem „Säkularisierungs-Dogma“ Europas, dass weltlicher Fortschritt unweigerlich mit gesellschaftlicher
Säkularisierung verbunden sei. Und er bezieht diesen Widerspruch ausdrücklich auch auf den Glauben der Muslime,
der vielen Zeitgenossen als fortschrittsfeindlich und rückständig gilt. Dagegen forderte Benedikt XVI. die Muslime in
Berlin unumwunden auf, der „religiösen Dimension des Lebens“ öffentlich Ausdruck zu geben. Und dies, obwohl
ihm bewusst ist, dass das in Europa „zuweilen als Provokation aufgefasst“ wird. Mehr noch: Er sagte den Muslimen
dabei ausdrücklich die Unterstützung der Kirche zu: „Die katholische Kirche setzt sich entschieden dafür ein, dass
der öffentlichen Dimension der Religionszugehörigkeit eine angemessene Anerkennung zuteil wird.“
Hier geht es nicht um augenzwinkernde Strategie, sondern um tiefste Überzeugung: Das päpstliche Eintreten für die
Religionsfreiheit ist nicht etwa ein Trick, um den mehrheitlich muslimischen Gesellschaften mehr Rechte für die
vielfach juristisch, politisch und gesellschaftlich benachteiligten Christen abzuringen. Die Religionsfreiheit ist nämlich
nach katholischer Lehre kein Staaten-, sondern ein Menschenrecht, das den in Europa lebenden Muslimen deshalb
vollumfänglich zusteht und weder unter Berufung auf den säkularen Geist europäischer Gesellschaften noch auf die
Diskriminierung Andersgläubiger in den muslimisch dominierten Staaten eingeschränkt oder ausgesetzt werden darf.
Wenn also die öffentliche, sichtbare und hörbare Dimension des Glaubens zur Religionsfreiheit gehört, dann gilt dies
ebenso für die Kultus- und Gewissensfreiheit der Christen im Orient wie für die Kultus- und Gewissensfreiheit der
Muslime in Europa, dann gilt dies für den Kirchenbau und Glockenklang in Amman, Damaskus und Kairo ebenso
wie für den Moscheebau und Muezzinruf in Berlin, Paris oder Rom.
Bis hierher könnte auch ein aus naturrechtlichen Überzeugungen an den Menschenrechten festhaltender Freigeist
oder Agnostiker zustimmen. Der Papst geht aber darüber hinaus, wenn er in seiner Berliner Begegnung mit dem
Islam feststellt, dass Christen und Muslime durch ihre fruchtbare Zusammenarbeit zum Aufbau der Gesellschaft
beitragen, weil sie „als Menschen des Glaubens… ein wichtiges Zeugnis in vielen entscheidenden Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens geben“. Als Beispiele nannte der Papst in Berlin „den Schutz der Familie auf der
Grundlage der Ehegemeinschaft…, die Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Phase seines natürlichen Verlaufs“ sowie
„die Förderung einer größeren sozialen Gerechtigkeit“.
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Nun weiß auch der Papst, dass das muslimische Verständnis von Ehe und Familie, von der Unbedingtheit des
Lebensrechts von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod sowie von sozialer Gerechtigkeit keineswegs
deckungsgleich ist mit jenem des katholischen Lehramts. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von islamischer und
christlicher Theorie und Praxis in diesen drei Themen erinnern frappant an das Wort des seligen Raimund Lull, der
den Islam als „christliche Häresie“ bezeichnet hat. Wenn der Papst dennoch gerade diese Themen nennt, um die
Muslime zu einem gemeinsamen Zeugnis einzuladen – und ein Zeugnis ist denknotwendig öffentlich –, dann aus
zwei Gründen: Er sieht und wertschätzt die breite Basis des Gemeinsamen – und sieht ebenso klar den Gegensatz zu
einer säkularisierten Gesellschaft, die sich in ihrem Verständnis von Ehe und Familie, von Lebensschutz und
Menschenrechen, von sozialer Gerechtigkeit vom einstmals in Europa herrschenden christlichen Konsens längst
Lichtjahre entfernt hat.
Die Vernunft als Gabe Gottes
Wovon Christen und Muslime in einer von Gott abgewandten Weltwirklichkeit Zeugnis geben können, hat Benedikt
XVI. 2009 in seiner Rede in der „Al-Hussein bin-Talal“-Moschee von Amman im Sinn seines christlichen
Rationalismus so beschrieben: „Als an den einen Gott Glaubende wissen wir, dass die menschliche Vernunft selbst
Gabe Gottes ist und dass sie zu ihrem höchsten Niveau aufsteigt, wenn sie in das Licht der göttlichen Wahrheit
getaucht ist. Denn wenn die menschliche Vernunft demütig zulässt, dass sie selber vom Glauben geläutert wird, dann
ist sie fern davon, geschwächt zu werden; vielmehr wird sie gestärkt, um der Überheblichkeit zu widerstehen und
über ihre eigenen Grenzen hinauszugreifen. Auf diese Weise wird die menschliche Vernunft ermutigt, ihrem
erhabenen Zweck zu folgen, der Menschheit zu dienen… Daher – weit davon entfernt, den Geist einzuengen –
erweitert ein ernsthaftes Festhalten an der Religion den Horizont des menschlichen Verstandes. Sie schützt die
Gesellschaft von den Auswüchsen eines ungezügelten Ego, das danach strebt, das Endliche zu verabsolutieren und
das Unendliche in den Schatten zu stellen; sie stellt sicher, dass Freiheit Hand in Hand mit der Wahrheit ausgeübt
wird, und sie schmückt die Kultur mit Einblicken bezüglich allem, was wahr, gut und schön ist.“
Während andere von der Unausweichlichkeit eines „clash of civilizations“ zwischen einem angeblich aufgeklärten
Westen und der angeblich unaufgeklärten islamischen Welt überzeugt sind, sieht der Papst den großen Graben
zwischen dem Gottesglauben einerseits und den in vielen Schattierungen schillernden Ideologien, Atheismen und
Heidentümern andererseits. In seiner überwiegend falsch verstandenen Regensburger Rede hatte Benedikt XVI.
2006 gewarnt: „Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen
abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen.“
Umgekehrt wird erst durch die Hörfähigkeit gegenüber dem Göttlichen der Dialog der Kulturen möglich, wie der
Papst noch im selben Jahr in Ankara ausführte: „Christen und Muslime verweisen, indem sie ihrer jeweiligen
Religion folgen, auf die Wahrheit der Heiligkeit und der Würde der Person. Das ist die Grundlage für die
Zusammenarbeit im Dienst des Friedens zwischen den Nationen und den Völkern, der innigste Wunsch aller
Gläubigen und aller Menschen guten Willens.“ Im Klartext: Nicht das Verschweigen oder Relativieren des
Christlichen ermöglicht das Gespräch der Kirche mit den Muslimen, sondern das freimütige Bekenntnis zum
Eigenen. Nicht die Säkularisierung des Islam, sondern die Rechristianisierung Europas verhindert den „clash of
civilizations“.
Auch wenn der Islam im theologischen Werk Joseph Ratzingers kaum eine Rolle spielt, basiert der Umgang Papst
Benedikts mit den Muslimen doch auf seiner theologischen Überzeugung von der fundamentalen Gemeinsamkeit
der drei großen Monotheismen. In einem 1997 in „Communio“ erschienenen Beitrag über den „Dialog der
Religionen“ erinnerte Ratzinger an den „zentralen Imperativ ‚Höre Israel, dein Gott ist ein lebendiger Gott‘, der der
Sache nach auch für Christentum und Islam konstitutiv bleibt“. Dabei schälte er den Unterschied zwischen den
„theistischen Religionen“ und dem „mystischen Strom“ heraus, zwischen dem zur Anbetung führenden
Gottesglauben und der „Entleerung des Bewusstseins, das sein Ich vergisst und sich im Unendlichen auflösen lässt“,
und damit – um es auf das heutige Europa anzuwenden – zwischen dem konkreten Gottesglauben von Juden,
Christen und Muslimen einerseits und den esoterischen, diffusen, oft patchworkartig kombinierten Spiritualitäten
andererseits.
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Letztes Ziel: die Wahrheit, der Logos
Wenn man dem Papst bis hierher folgt, dann ist klar, dass gläubige Christen und gläubige Muslime eine breite
gemeinsame Basis haben, die ihnen ermöglicht, in einer für die Wirklichkeit Gottes vielfach taub gewordenen Zeit
ein Zeugnis für den stets größeren Gott zu geben. Es wird auch klar, dass sie in bestimmten ethischen und sozialen
Fragen zusammenarbeiten und so zum Aufbau einer gottgefälligeren und damit humaneren Welt beitragen können.
Dies wäre nicht wenig, und doch drängt sich an dieser Stelle die Frage auf, ob sich der Dialog zwischen Christen und
Muslimen auf das gemeinsame Zeugnis für Gott und die Kooperation bei der Weltgestaltung beschränkt. Anders
gefragt: Macht der Dialog des Christentums mit dem Islam, dort wo er frei und ungehindert geführt werden kann,
vor der Wahrheitsfrage halt – spätestens dort, wo diese nicht nur das Gemeinsame, sondern das auch
Unterscheidende ins Licht bringt?
In dem bereits zitierten Text von 1997 widerspricht Joseph Ratzinger, damals immerhin Kardinalpräfekt der
Glaubenskongregation, dieser Vermutung vehement: „Begegnung der Religionen ist nicht durch Verzicht auf
Wahrheit, sondern nur durch ein tieferes Eingehen in sie möglich.“ Der „bloße Pragmatismus“ – also auch der
gemeinsame, durchaus nicht gering zu achtende Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit – verbinde nicht,
argumentierte Kardinal Ratzinger. Dialog ziele letztlich auf Wahrheitsfindung: „Der Dialog der Religionen sollte
immer mehr zu einem Zuhören auf den Logos werden, der uns die Einheit mitten in unseren Trennungen und
Widersprüchen zeigt“, formulierte Joseph Ratzinger 1997. Und es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass Benedikt
XVI. heute anderer Meinung sei.
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