Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius Wissenswert Religionsunterricht in Deutschland (2) Koran im Klassenzimmer? Der Streit um den islamischen Religionsunterricht Von Karen Fuhrmann 04.02.2010, 08.30 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Karen Fuhrmann Sprecher: 10-017 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 2 OT1 Atmo Hanau (Stühle rücken) Kommt mal alle in den Kreis... Spr.: Es gibt islamischen Religionsunterricht in Hessen. Wie er in ganz Hessen eingeführt werden kann, darüber wird noch gestritten. An vier hessischen Schulen läuft zur Zeit ein Pilotversuch einer islamischen Richtung, mit alevitischem Religionsunterricht. Jede Stunde beginnt hier an der Brüder-Grimm-Schule, einer Grundschule in Hanau, mit einem speziellen Ritual: OT 2 (+Atmo) Also, wir machen rsalük, also wenn Streit mit einander hat, dass wir das klären tun L: also Versöhnungsphase, bevor wir anfangen, sprechen, ob Unstimmigkeiten gibt Ilyda: ich habe eine Beschwerde, dass sie mich Hühnerkacke genannt hat! Spr: (Atmo drunter liegen lassen) Da gibt es was zu tun, denn ohne Versöhnung kann der Unterricht nicht anfangen. 13 Kinder alevitischen Glaubens kommen aus verschiedenen Hanauer Grundschulen der Klassen 1 bis 4 einmal wöchentlich für 2 Stunden hier her. Heute geht es um Asure: OT 3 (+Atmo) Das ist eine Suppe, wo wir dann essen tun, weil wir dann nichts essen tun, //Das ist nicht wie eine echte Suppe, wie eine Obstsuppe (L:was ist drin?) Asure sind alle 12 zutaten, man macht die mit 12 Zutaten und wenn das Fasten fertig ist, dann essen die das. Die Suppe ist wie die 12 Imame und darum sind da auch die 12 Zutaten, ist die Suppe von Gott. schmeckt soo lecker! Spr.: (über Unterrichtsatmo) Naja, so ungefähr, es gibt noch was zu lernen in dieser Stunde für Selen, Dilan, Roschda und Sanem. Der Lehrer Mete Özcan ist Alevit und Berufsschullehrer. Er hat sich durch Fortbildungen auf diese Aufgabe vorbereitet. Die Kinder hören hier von der Fastenzeit, von den zwölf Imamen und den Grundlagen ihrer Religion, selbstverständlich auf deutsch. Mete Özcan sieht seinen Unterricht als Integrationsarbeit. OT4 Wenn die Jugendlichen über sich selber Bescheid wissen, können sie mit anderen Religionen besser umgehen, das ist nachgewiesen, Jugendliche, die überhaupt nicht wissen, woher sie kommen, wohin sie gehen sollen, das ist für alle eine Gefahr, diese Gefahr gilt es zu vermeiden und das versuche ich auch als Religionslehrer. Seite 3 Spr.: Dass dieser Unterricht in einer staatlichen Schule stattfindet ist für ihn unabdingbar. OT5 Für uns ist es wichtig, dass es in der Schule stattfindet, das ist öffentlich, jeder kann kommen und nachvollziehen, was da passiert, man kann über die Inhalte reden oder auch Inhalte werden nicht nur von den Gemeinden bestimmt auch von staatlichen Schulämtern und Kultusministerium, das ist offen. Man macht keinen Unterricht hinter den Kammern, wo keiner mitkriegt, was unterrichtet wird, sondern das sind staatliche Stellen, die auch mitbestimmen, was im Unterricht gemacht wird. Spr.: Der Lehrplan konnte von Nordrhein-Westfalen übernommen werden, die Aleviten sind als Religionsgemeinschaft von der hessischen Landesregierung anerkannt. Sie gelten als liberale, westlich orientierte muslimische Religionsgemeinschaft. Für die anderen muslimischen Religionsgemeinschaften ist es schwieriger, einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht in den hessischen Schulen zu etablieren. Seit vielen Jahren wird über konfessionellen islamischen Religionsunterricht in Hessen diskutier t. Die christlichen Kirchen unterstützen dieses Ansinnen, schon allein aus Gründen der Bildungsgerechtigkeit. Wenn man im Grundgesetz den christlichen und den jüdischen Schülern und Schülerinnen einen konfessionellen Religionsunterricht zusichert, muss das auch für Muslime gelten. Susanna Faust ist Pfarrerin und Beauftragte für interreligiöse Fragen in der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. OT 6 Ein anderer Punkt ist, dass man sagt: das bedeutet eine Chance für dialogisches Lernen, Lernen in Begegnung, leben in einer Zeit, wo es nicht nur eine Religion in Deutschland gibt und Kinder, christliche Kinder müssen genauso darauf vorbereitet werden wie muslimische, wie man da in Frieden miteinander leben kann. Spr.: Alle bisherigen Bemühungen, islamischen Religionsunterricht in Hessen einzuführen, scheiterten mit der Begründung, man habe auf der muslimischen Seite keinen adäquaten Ansprechpartner, vergleichbar den christlichen Kirchen. Bislang ist außer den Aleviten keine islamische Religionsgemeinschaft in Hessen anerkannt im Sinne des Artikel 7 des Grundgesetzes, der den konfessionellen Religionsunterricht in unserer Verfassung verankert. Obwohl sich viele darum bemühen. Die IRH, die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen, hatte die Anerkennung vor Jahren beantragt. Ünal Kaymakci ist stellvertretender Vorsitzender der IRH. OT7 Seite 4 Wir sind eine Religionsgemeinschaft, das sagt schon unser Selbstverständnis in unserem Namen, wir stehen für 11 000 Einzelmitglieder in Hessen, aus den verschiedensten Rechtsschulen des Islam, Sunniten und Schiiten, aber auch ethnischen Hintergründen, wir haben Menschen, die türkisch, arabisch oder bosnisch-stämmig, pakistanisch-stämmig sind, aber uns verbindet, dass wir hessische Bürger sind und wir haben die deutsche Sprache als gemeinsame Sprache, als Verkehrssprache unter uns, in der Vergangenheit hatten wir einen Antrag gestellt, der wurde abgelehnt, auch gerichtlich wurde diese Ablehnung bestätigt mit der Begründung, wie seien keine Religionsgemeinschaft im Sinne des Artikel 7 des Grundgesetz. Die Vorraussetzungen des Gesetzes, glauben wir, dass wir seit dem Urteil im Jahre 2005 nun erfüllen. (blenden) Spr.: Die Organisation hat ihre Struktur verändert und bietet sich weiter als Kooperationspartner für den islamischen Religionsunterricht an, sie wird allerdings weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet. Denn das Verwaltungsgericht hatte 2005 die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen in einem Urteil als nicht verfassungskonform eingeschätzt. Die alte Landesregierung hatte sie deshalb nicht als Kooperationspartner anerkannt, sie als islamistisch angesehen. 2006 kam es zu einem Vergleich, in dem die IRH sich verpflichtete, sich von der streitigen „Reise-Fatwa“, ausdrücklich zu distanzieren. Danach dürfen muslimische Schülerinnen nicht an mehrtägigen Klassenfahrten teilnehmen Ünal Kaymakci hat jetzt als Vertreter der schiitischen Gemeinde am „Runden Tisch“ zur Einführung des islamischen Religionsunterrichtes teilgenommen, offiziell nicht als Vertreter der IRH – so betont das hessische Integrationsministerium. Der Integrationsminister JörgUwe Hahn, FDP, hat die Verhandlungen 2009 begonnen. Neben der IRH stehen auch andere Organisationen bereit, sie treffen sich regelmäßig mit den Vertretern der Landesregierung. Diese hält an ihrem bei Regierungsantritt verkündeten Ziel fest: konfessioneller islamischer Religionsunterricht hessenweit. Damit sind auch alle Fraktionen des Landtags einverstanden. Mit am runden Tisch der Landesregierung sitzt auch die Ditib. Die türkisch-islamische Union. Seit 2009 gibt es einen hessischen Landesverband dieser Organisation, in der überwiegend türkischstämmige Sunniten organisiert sind. Der Islamwissenschaftler und Theologe Selcuk Dogruer ist dort Landesbeauftragter für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit in Hessen und sieht die Ditib als Ansprechpartner Nummer eins in den hessischen Verhandlungen: OT8 Wir könnten dieses Projekt schon entwickeln, weil wir die Voraussetzungen dafür haben. Ditib sollte unterschieden werden insofern, weil wir ein sehr großer Verband sind, ein Verband, der alle beinhaltet, alle Auslegungen, im Vergleich zu kleineren Gruppierungen, dass wir nicht einen Richtung nur haben. Von daher denke ich, dass auf theologischer Ebene mit Theologen und mit Forschungszentrum Köln und mit Gemeinden diskutieren können. Seite 5 Spr.: Susanna Faust beobachtet von der Warte der evangelischen Kirche diese Diskussion um Organisatorisches wohlwollend aber auch skeptisch. Können die bestehenden Verbände wirklich einen islamischen Religionsunterricht hessenweit unterstützen, der vergleichbar ist mit dem der christlichen Kirchen in Hessen? OT9 Also, ich glaube nicht in der Form, in der das die Kirchen leisten können. Weil sie eben die Infrastruktur, die nötige nicht haben. Aber wenn sie nicht anfangen, wird das auch nie so weit kommen. Es muss erste Universitäten geben, erste Fächer an den Universitäten, die in islamische Religionspädagogik unterrichtet werden, es muss erste Unterrichtsprojekte geben, sonst weiß gar nicht, auf was man sich einstellen muss, was einen erwartet. Es muss die Erstellung von Unterrichtsmaterialien geben, all das sind natürlich erste Schritte, ohne die, wird nicht die Kompetenz, nicht die Infrastrukturen geben, die sich über Jahrzehnte in den Kirchen aufgebaut haben. Spr.: Um besser an einem Strang ziehen zu können, müssen die islamischen Religionsgemeinschaften sich also miteinander vernetzen. OT10 Die Politik wünscht sich natürlich einen umfassenden RU, weil das leichter zu handeln und zu organisieren ist, aber wir als IRH sind gerne dazu bereit, gerne auch mit anderen islamischen Organisationen zu kooperieren, das machen wir seit Jahren, eine geschwisterliche Atmosphäre, in soweit muss man nicht eine einzige Organisation gründen, sondern die islamische Organisationen, wenn Sie miteinander kooperieren wollen, können auch einen gemeinsamen Unterricht teilen, ohne, dass sie eine Einheit in der Organisationsstruktur bilden, genau so wie die katholische und evangelische, wenn sie wollten, einen gemeinsamen christlichen ökumenischen Unterricht erteilen könnten. Spr.: Weder Ünal Kaymakci von der IRH noch die Ditib schließen eine Kooperation aus, auch mit anderen Verbänden halten sie sie für möglich. Vertreter der beteiligten muslimischen Verbände werden sich jetzt zusammensetzen, um inhaltlich erste Vereinbarungen zu treffen. Denn das gemeinsame Ziel ist unumstritten: einen islamischen Religionsunterricht auf die Beine zu stellen, der für Sunniten und Schiiten ein adäquates Angebot bietet. Die Aleviten haben bereits ihren eigenen Religionsunterricht auf den Weg gebracht. Der hessische Integrationsminister und stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn hat sich nach letzten Äußerungen auch von der Vorstellung verabschiedet, man könnte auf muslimischer Seite eine einzige Religionsgemeinschaft als Kooperationspartner erwarten. Denn das Ziel Seite 6 der Landesregierung ist sonst gänzlich unerreichbar: islamischer Religionsunterricht an den hessischen Schulen noch in dieser Legislaturperiode. Würde das gelingen, wäre nicht nur die schnelle Erarbeitung eines Lehrplans eine große Herausforderung. Auch die Lehrkräfte würden fehlen. In Bayern unterrichten Beamte des türkischen Staates das Fach „islamische Unterweisung“. Das entspricht nicht dem in Hessen angestrebten Modell. Große Hoffnungen werden auch auf Seiten der Muslime auf die von der türkischen Religionsbehörde Diyanet geförderten Stiftungslehrstühle für islamische Religion an deutschen Universitäten gesetzt, auch an der Frankfurter Universität gibt es einen. Aus der Perspektive der evangelischen Kirche ist es auch wichtig, dass die Lehrerausbildung an deutschen Universitäten stattfindet. OT12 Viele muslimische Eltern sind nicht fromm und konservativ, sondern sie sind säkular, liberal, haben oft sogar Angst vor konservativem Einfluss und dazu braucht es eben einfach einen sehr weiten Blickwinkel. Es muss auch etwas geben, was den pädagogischen Standards/Entwicklungen angepasst ist. Spr.: Könnten aber möglicherweise manche islamische Verbände in einem bekenntnisorientierten Religionsunterricht staatlicherseits unerwünschte Werte vermitteln? Verschafft man vielleicht verfassungsrechtlich bedenklichen Verbänden eine staatliche geförderte Plattform? Ünal Kaymakci winkt ab. OT13 Durch die Einbringung des islamischen Religionsunterrichts in die deutschen transparenten Schulstrukturen passiert genau das Gegenteil, dadurch haben sie gewährleistet, dass ein auf wissenschaftlichen Niveau stattfindender RU durchgeführt wird. Die Aufsicht des Staates ist gewährleistet. Insofern denken wir auch, dass durch den islamischen Religionsunterricht an den Schulen auch das Niveau in den Moscheen gehoben werden kann. Spr.: Auf die staatliche Kontrolle vertraut auch Susanna Faust, aber die Hoffnungen sollten nicht zu weit gehen, findet sie. OT14 Wird ja immer wieder gesagt: gibt es einen islamischen Religionsunterricht, dann gibt es keinen Koranschulen mehr. Glaube nicht, dass das so ist. Wenn in Kirchen guckt, gibt Religionsunterricht, gibt Konfirmandenunterricht, diejenigen, die ihre Kinder in Koranschulen schicken, werden auch weiterhin tun. Das einzige, was passieren wird, dass die säkularen, die ihre Kinder nicht in Koranschulen schicken dass deren Kinder auf die Art und Weise mehr über ihre Religion erfahren. Spr.: Seite 7 Noch gibt es große Schwierigkeiten, sich zu einigen. Welche islamische Organisation wird anerkannt als Religionsgemeinschaft? Wie kann man zu einem gemeinsamen Lehrplan für einen konfessionellen islamischen Religionsunterricht finden? Wie groß darf der Einfluss der Gemeinden sein? Da wäre es doch viel einfacher, man einigt sich auf einen islamkundlichen Unterricht, in dem Informationen über den Islam vermittelt werden. Der ist in verschiedenen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen modellhaft eingeführt worden. Das ist nichts für Hessen, darin sind sich Muslime und Christen einig. OT15 (Kay.)Das wäre keine Lösung, wir sind inzwischen so weit und wir reden so lange über dieses Thema, dass wir gleich ein richtiges Ergebnis schaffen müssen. Islamkunde ist nicht das, was unsere Verfassung vorsieht. (Dog.)Weil Religion nicht nur etwas wissenschaftliches ist, was vermittelt, sondern auch bekenntnisorientiert ist. Niemand studiert christliche Theologie, um zu wissen, sondern auch um zu leben, darauf legen wert, dass nicht nur islamische Werte vermittelt, sondern sie auch lebt. Nicht dass jemand kommt, unterrichtet, aber selber nicht daran glaubt, das bringt nichts und von daher legen großen Wert darauf, muss bekenntnisorientiert sein. Spr.: Susanna Faust von der evangelischen Kirche sieht trotzdem die aktuellen Verhandlungen um den konfessionellen islamischen Religionsunterricht kritisch, vor allem, da es in Hessen im Moment nur um strukturelle, organisatorische und juristische Fragen geht. Zu wenig um Inhalte und Methoden. Aber was ist die Alternative? OT17 Dass man Pilotprojekte anstößt wie in Rheinland-Pfalz oder BW, wo einfach mal anfängt. Sagt: bis zum Augenblick, wo Religionsgemeinschaften haben suchen wir uns Ersatzpartner, z.B. Elterngruppen, wie in Erlangen, da gibt es verschiedene Vereine, Moscheevereine am runden Tisch zusammen mit Islamwissenschaftlern, in BadenWürttemberg auch christliche Religionspädagogen einbezogen, geht so erste praktische Schritte, das ist meiner Ansicht nach der Weg.