Theorien der Persönlichkeit Wintersemester 2008/2009 Gabriele Helga Franke 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 1 10. Theorien der Persönlichkeit GHF im WiSe 2008 / 2009 an der HS MDSDL(FH) im Studiengang Rehabilitationspsychologie, B.Sc., 1. Semester 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 2 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 1. 2. Wie kommt es, dass, wenn die Forschung sich auf Laboruntersuchungen und die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung konzentriert, dies zu anderen Beobachtungen und anderen Theorien als denen führt, die mit der klinischen Forschung oder der korrelativen Forschung verbunden sind? Inwieweit können Grundprinzipien des Lernens, die oft auf den Untersuchungen des Lernverhaltens von Tieren beruhen, die Grundlage für eine Persönlichkeitstheorie liefern? 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 3 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 3. 4. Inwieweit wird unser Verhalten durch Verstärker: Belohnung und Bestrafung kontrolliert? Können abnorme Verhaltensweisen vor dem Hintergrund von Lernprinzipien verstanden werden? Wenn normales Verhalten wie alle anderen Verhaltensweisen erlernt oder erworben ist, kann es dann durch Anwendung von Lernprinzipien zu therapeutischen Veränderungen kommen? Inwieweit ist Psychopathologie dann eher ein Problem fehlerhaften Lernens als eine Krankheit? 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 4 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 5. Wenn unser Verhalten ultimativ durch die Umwelt bestimmt wird, wie Behavioristen behaupten, welches sind dann die Implikationen für die allgemeine Annahme, dass der Mensch einen „freien Willen“ hat, der es ihm ermöglicht, zwischen der einen Vorgehensweise und einer anderen zu wählen? 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 5 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze Gliederung: 1. Kernannahme 2. Lernprinzipien 2.1 Klassisches Konditionieren 2.2 Operantes Konditionieren 3. Bedeutsame Vertreter 3.1 B.F. Skinner: Radikaler Behaviorismus 3.2 J.B. Watson 4. Schlussfolgerungen 5. Bewertung 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 6 1. Kernannahme Persönlichkeit wird konstruiert als etwas, das sich unter wesentlicher Beteiligung von Lernprozessen formt bzw. aufrecht erhalten wird und sich unter gezielter Nutzung dieser Prinzipien verändern lässt (Westmeyer, 2005) 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 7 2. Lernprinzipien Respondentes (klassisches) Konditionieren Operantes Konditionieren 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 8 2.1 Klassisches Konditionieren In den Experimenten von Pawlow wurde ein Hund durch zeitliche Kopplung eines Glockentones mit dem Anbieten von Nahrung darauf konditioniert, allein auf den Glockenton hin Speichel zu produzieren: 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 9 2.1 Klassisches Konditionieren 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 10 2.1 Klassisches Konditionieren Ausgangspunkt ist eine angeborene oder unbedingte Reaktion (UCR) = Speichelsekretion bei Nahrungsangebot; die Nahrung ist der angeborene oder unbedingte Reiz (UCS) Durch gleichzeitiges Anbieten eines neutralen Reizes (NS) = Glockenton mit dem UCS »lernt« der Hund nach mehrmaligem Üben, nur auf den Glockenton hin Speichel abzusondern Durch diese Verknüpfung wird aus dem NS der konditionierte Reiz (CS) = Glockenton. Die auf den CS erfolgende Reaktion heißt jetzt konditionierte Reaktion (CR) = Speichelsekretion bei Glockenton 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 11 2.1 Klassisches Konditionieren Wichtige Mechanismen: Löschungsphase Spontanerholung Reizgeneralisierung Reizdiskriminierung 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 12 2.1 Klassisches Konditionieren Löschungsphase: • nach mehreren Darbietungen des CS nimmt CR in ihrer Stärke ab, bis sie ganz gelöscht ist • der Körper lernt, dass keine Kopplung von CS und US mehr gegeben ist Ö Reiz verliert Signalcharakter Spontanerholung: Darbietung eines CS nach Pause Ö trotz Löschung kann eine stärkere CR auftreten, die auch schneller wieder gelöscht werden kann 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 13 2.1 Klassisches Konditionieren Reizgeneralisierung: wenn einer dem CS ähnlicher Reiz die CR auslöst Reizdiskriminierung: CR wird ausschließlich durch einen genaue definierten CS ausgelöst (nicht durch ähnlichen Stimuli) 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 14 2.2 Operantes Konditionieren Verhalten wird gezeigt, weil dieses in einer ähnlichen Situation zuvor verstärkt worden ist Ö Verstärkung erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens Ö In ähnlicher Weise senkt Bestrafung die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 15 2.2 Operantes Konditionieren Arten von Verstärkern: Primäre Verstärker: z.B. Nahrung Sekundäre Verstärker: z.B. soziale Kontakte, Geld (konditioniert) Positive Verstärker: angenehme Reize Negative Verstärker: aversive (unangenehme) Reize 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 16 2.2 Operantes Konditionieren Verstärkungsmechanismen: Positiver Verstärker wird gegeben (C+) Ö Belohnung, Verhaltenswahrscheinlichkeit erhöht sich Negativer Verstärker wird weggenommen (C-) Ö negative Verstärkung, Verhaltenswahrscheinlichkeit erhöht sich Negativer Verstärker wird gegeben (C-) Ö Bestrafung, Verhaltenswahrscheinlichkeit sinkt Positiver Verstärker wird weggenommen (C+) Ö Bestrafung, Verhaltenswahrscheinlichkeit sinkt 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 17 2.2 Operantes Konditionieren Verstärkungsstrategien: Kontinuierliche Verstärkung: Jede einzelne erwünschte Verhaltensweise wird verstärkt, es wird schneller gelernt, aber auch schneller wieder vergessen (geringe Löschungsresistenz) Intermittierende Verstärkung: Nur eine bestimmte Anzahl der gewünschten Verhaltensweisen wird verstärkt - entweder in unregelmäßigen Abständen oder als: Quotenverstärkung, d.h. jedes x-te gewünschte Verhalten wird verstärkt Intervallverstärkung, d.h. es wird in einem konstanten Zeitintervall unabhängig vom Auftreten des gewünschten Verhaltens verstärkt 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 18 2.2 Operantes Konditionieren Löschung von Verhalten: Intermittierend verstärktes Verhalten ist löschungsresistenter als kontinuierlich verstärktes, je unregelmäßiger dabei die intermittierende Verstärkung, desto löschungsresistenter das Verhalten Verstärktes Verhalten ist löschungsresistenter als durch Bestrafung konditioniertes Verhalten Negativ verstärktes Verhalten ist löschungsresistenter als positiv verstärktes 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 19 3. Bedeutsame Vertreter B.F. Skinner (1904-1990) 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 20 3. Bedeutsame Vertreter J.B. Watson (1878-1958) 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 21 3.1 B.F. Skinner: Radikaler Behaviorismus Ziel: Theorie mit universellem Anspruch → Erklärung, Beschreibung und Vorhersage von Verhalten → Bei Menschen: verbales und nonverbales, offenes oder verdecktes Verhalten Persönlichkeit (bzw. Selbst): organisiertes System von Verhaltensweisen 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 22 3.1 B.F. Skinner: Radikaler Behaviorismus Intrapsychischen Ursachen sind ungeeignet für Verhaltenserklärungen „Black box“ 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 23 3.1 B.F. Skinner: Radikaler Behaviorismus Die Erforschung der Persönlichkeit ist das Aufdecken der individuell einzigartigen Beziehungen zwischen dem Verhalten eines Organismus und den auf das Verhalten folgenden Konsequenzen (operante Konditionierung) Forschung soll sich vom Einfachen zum Komplexen hin bewegen, daher sollten Tierstudien den Untersuchen an Menschen vorausgehen 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 24 B.F. Skinner (1948) stellte fest, dass Lernen vermutlich allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Verhalten und Konsequenz stattfindet. Skinner setzte hungrige Tauben in einen Käfig, in welchem ihnen in bestimmten Zeitabständen Futter gegeben wurde. Die Futtergabe erfolgte dabei unabhängig vom Verhalten der Tauben, das heißt, egal was die Tauben taten, das Futter fiel so oder so in den Spender. Sehr schnell zeigten die einzelnen Tauben gewisse stereotype Verhaltensweisen, z.B. sich entgegen dem Uhrzeigersinn um die eigene Achse drehen, von einem Bein auf das andere wechseln usw. Die Erklärung für diese Verhaltensweisen besteht nach Skinner darin: Der Vogel vollführt zu dem Zeitpunkt, als das Futter in den Spender fiel, gerade zufällig ein bestimmtes Verhalten. Aufgrund dessen tendiert das Tier dazu, das Verhalten zu wiederholen. Wenn das zeitliche Intervall bis zur nächsten Futtergabe nicht sehr groß ist, dann kann es zufälligerweise zu einer weiteren Übereinstimmung von dem bestimmten Verhalten und der anschließenden Futtergabe kommen. Daraufhin erhöht sich wiederum die Tendenz der Taube, das Verhalten auszuführen, was weitere Übereinstimmungen zwischen Verhalten und Futtergabe wahrscheinlicher macht – und so weiter. Je kürzer die Intervalle zwischen den Futterdarbietungen sind, desto besser wird das Verhalten gelernt. Das liegt auch daran, dass es kurz nach der Futtergabe wahrscheinlich ist, dass die Taube sich jedes Mal in einer ähnlichen Position - z.B. in der Nähe der Füttervorrichtung, zu dieser hingewandt - befindet. Man könnte, so Skinner, das Verhalten dieser Tauben als abergläubisch bezeichnen. Der Vogel verhält sich, als ob es eine kausale Beziehung zwischen seinem Verhalten und der Futterdarbietung gäbe, obschon das nicht der Fall ist. In ähnlicher Weise könnte man das Verhalten eines Prüflings beschreiben, der der zu jeder Prüfung einen bestimmten Stein mitbringt, weil die erste Prüfung, bei der er den Stein mithatte, positiv verlaufen war. Skinner, B.F. (1948). Superstition in the pigeon. Journal of Experimental Psychology, 38, 168-172. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 25 3.1 J.B. Watson Persönlichkeit: Summe gelernter Gewohnheiten Lernen aufgrund von klassischer Konditionierung 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 26 3.2 J.B. Watson 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 27 3.2 J.B. Watson 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 28 3.2 J.B. Watson 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 29 3.2 J.B. Watson 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 30 4. Schlussfolgerungen Behavioristische Persönlichkeitstheorien erklären die menschliche Persönlichkeit durch die Einzigartigkeit der individuellen Lerngeschichte Innere Prozesse und genetische Einflüsse werden nur wenig beachtet Die individuelle Lerngeschichte ist durch zwei grundlegende Arten des Lernens geprägt: klassisches und operantes Konditionieren Klassisches Konditionieren: Verhalten wird durch die Koppelung von bisher neutralen an unkonditionierte Reize ausgelöst Operantes Konditionieren: Verhalten wird durch die Folgen (positive und negative Verstärkung, Bestrafung) hervorgerufen oder verhindert 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 31 5. Bewertung Keine Persönlichkeitstheorie im engeren Sinne, da kein Bezug auf in der Person liegende Konstrukte genommen wird Persönlichkeit ist veränderbar, da jederzeit durch veränderte Verstärkungsbedingungen Verhalten er- und verlernt werden kann Ö der Mensch ist nicht determiniert Grundprinzipien der Theorie (Lerngesetze) sind empirisch sehr gut belegt Aus der Theorie sind sehr gut wirksame Anwendungen entwickelt worden 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 32 5. Bewertung Übergeneralisierung von Tierexperimenten auf menschliches Verhalten Wichtige menschliche Erlebensweisen (insbesondere Gefühle) lassen sich im Rahmen dieser Theorien nicht erklären Selbstbestimmtes Verhalten ist im Rahmen dieser Theorien nicht erklärbar Wer legt die Verstärkungsbedingungen fest? 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 33 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 1. 2. Der lerntheoretische Persönlichkeitsansatz legt den Schwerpunkt auf die Prinzipien des Lernens und der experimentellen Überprüfung klar definierter Hypothesen. Damit verbunden sind die Betonung der situativen Spezifität des Verhaltens, die Anwendung von Lernprinzipien bei Verhaltensänderungen und die Ablehnung des medizinischen Symptom-KrankheitModells der Psychopathologie. Watson formulierte die Grundlagen eines behavioristischen Ansatzes in der Psychologie. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 34 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 3. Pawlows Arbeiten über die klassische Konditionierung veranschaulicht, wie ein vorher neutraler Reiz dazu in die Lage versetzt werden kann, eine Reaktion auszulösen, weil er mit einem Reiz assoziiert wird, der die gleiche oder eine ähnliche Reaktion auslöst (z.B. sondert der Hund Speichel beim Reiz des Glockenläutens ab, der mit dem Futterpulver in Verbindung gebracht wird). Generalisierung, Diskriminierung und Extinktion (Löschung) sind die drei wichtigsten von Pawlow untersuchten Prozesse. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 35 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 4. Die klassische Konditionierung geht davon aus, dass viele abnorme Verhaltensweisen das Ergebnis von Konditionierungsreaktionen auf nicht angemessene Reize sind. Bei der systematischen Desensibilisierung wird die Entspannungsreaktion mit einer abgestuften vorgestellten Hierarchie von mit Angst assoziierten Reizen gegenkonditioniert. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 36 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 5. Skinner, der von vielen als der größte zeitgenössische amerikanischen Psychologe angesehen wird, entwickelte die Prinzipien des operanten Konditionierens. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den vom Organismus (Operanten) „emittierten“ Reaktionen und den verhaltensformenden Verstärkungsprogrammen. Komplexes Verhalten wird durch sukzessive Annäherung geformt. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 37 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 6. Der Schwerpunkt der skinnerschen Interpretation von Psychopathologie liegt auf Verhaltensdefiziten und der Entwicklung fehlangepasster Reaktionen, die durch Verstärker in der Umwelt aufrechterhalten werden. Zur Verhaltensdiagnostik gehören die Analyse der Bedingungen, die dem Verhaltens, für das man sich interessiert, vorausgehen (Antecedents), das Verhalten (Behaviour) selbst und die Konsequenzen (Consequences) des Verhaltens: ABC der Verhaltensdiagnostik. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 38 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 7. Die Verhaltensmodifikation bezieht skinnersche Prinzipien des operanten Konditionierens mit ein: erwünschte Verhaltensweisen werden über verschiedene Phasen der sukzessiven Annäherung geformt. Im Eigenkontrollansatz sind die manipulierten Verstärker die Auslöser des Veränderungsprozesses. Im institutionellen Setting kann Verhalten z.B. durch ein Tokensystem (token economy) reguliert werden. 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 39 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze - Zusammenfassung 8. 9. Lerntheoretische Ansätze unterscheiden sich in ihren Einzelheiten. Als Gruppe kann man sie von traditionellen Persönlichkeitstheorien aufgrund ihrer stärkeren Betonung spezifischer Verhaltensweisen und allgemeiner Lerngesetze unterscheiden. Stärken: Forschung, Offenheit für theoretische Entwicklungen, Anerkennung der Wichtigkeit von Umweltvariablen, pragmatischer Behandlungsansatz, Förderung neuer Verfahren zur Verhaltensänderung Schwächen: Vereinfachung, keine einheitliche Lerntheorie 10. Behaviorismus und lerntheoretische Ansätze 40