Klaus-Jürgen Bruder Gedanken zu Watsons (behavioristischem) Manifest –revisited Abstract. The origination of Watson’s behaviorism was stimulated by the pragmatism of the progressive era and simultaneously by its failure as a national renewal; it absorbed the failure of the progressive movement, by substituting the political propaganda for the propaganda of behaviorism — claiming the possibility to maintain political power by the technology of conditioning. A prerequisite was abstracting from the context of political discussion that made behaviorism possible, from pragmatism itself. Watson stepped in this almost completed turn and continued this development. Behaviorism abstracts from the activity as experimenter, whose products are his observations. The behaviorist abstracts from his interventions in a process, which he changes by his interventions. He imagines himself as being outside of his experiment. This is the self-deception of the behaviorist experimenter. Whereas the behaviorist deceives himself about his intervention, the social engineer intervenes intentionally. For social engineering the ground was prepared by the psychological laboratory. The propagation of behaviorism by Watson after his leave-taking of university is also a self-explication of behaviorism as a „theory“ of control of behavior appearing in the vesture of psychology and conforming to the idea of the social engineer: maintaining political power by technology and the “utopia” of total control (Enzensberger). Als Watson 1913 sein behavioristisches „Manifest“ veröffentlichte, hatte er bereits eine steile Karriere hinter sich. Geboren 1878 in einem Dorf in der Nähe von Greenville, einer Kleinstadt mit 20 000 Einwohnern in South Carolina, war er 1908 Professor für experimentelle und vergleichende Psychologie an der renommierten Johns Hopkins University in Baltimore und mit der Leitung des psychologischen Labors beauftragt. Mit knapp 30 Jahren war er damals einer der jüngsten Professoren. Studiert hatte er in Chicago. Bereits 1902, also mit 24 Jahren, er war noch nicht lange in Chicago gewesen, promovierte er- als jüngster Ph. D. der Universität. 12 Klaus-Jürgen Bruder Und gleich hatte er auch Angebote zur Auswahl: eine Assistentenstelle bei Prof. Donaldson, einem seiner Lehrer in Neurologie, eine Stelle als Instruktor für Psychologie an der Universität Cincinnati und sogar eine Stelle als Assistent für experimentelle Psychologie am Chicagoer Institut, die er schließlich annahm. Dewey, der Vorsitzende des Departments für Philosophie, Psychologie und Pädagogik persönlich habe ihn überredet zu bleiben. Aber bereits 2 Jahre später erhielt er auch hier die Stelle eines „Instruktors“. Nochmals 4 Jahre später, erst 29-jährig, bekam er dann den Ruf an die Johns-Hopkins-Universität, vermittelt durch Baldwin, mit dem er sich im Sommer 1904 angefreundet hatte, als er am dortigen JohnsHopkins-Hospital gearbeitet hatte. Die Universität von Chicago war erst 1890 gegründet worden. Sie gehörte zu jener Reihe von Neugründungen, wie Clark (Worcester, Massachusetts), Johns Hopkins (Baltimore, Maryland), u.a., die die Verbindung von Forschung und Lehre zu ihrem Programm erhoben und damit ein Novum in der Universitätslandschaft der USA darstellten. An ihr, der Universität von Chicago, herrschte eine Atmosphäre der new beginnings, wie sie die traditionsreichen Universitäten nicht kannten. Zugleich war sie mit Geldern reichlich ausgestattet (u.a. von Rockefeller), und konnte die Stars der neuen Wissenschaften mit hohen Gehältern anlocken, wie Stanley Hall bissig bemerkt hatte (s. Rucker, 1969, S. 15). Chicago wurde zu dieser Zeit die zweite Metropole des amerikanischen Geisteslebens (neben New York). Es machte alle Anstrengungen für seine Bibliotheken, Museen, Erziehungseinrichtungen und Galerien ebenso bekannt zu werden, wie für sein money making (Duffey, 1954, 32). Wir kennen Chicago aus dem Portrait, das uns Upton Sinclair im „Jungle“ von 1906 hinterlassen hat als die Stadt der Schlachthöfe. Chicago verdankte seinen Aufstieg zu nationaler Bedeutung dem Zeitalter der Eisenbahn, und „ihr außergewöhnlich schnelles Wachstum ist eine genaue Widerspiegelung der Stärke dieser Impulse im Amerika des I9. Jahrhundert“ (Badger, 1975, 63). , Zwischen der Universität und der Stadt bestand eine enge Beziehung. Viele ihrer Professoren waren in städtischen Kommissionen zur Slumsanierung, zur Arbeitsgesetzgebung und zur Schlichtung von Streiks. Die Universität verstand sich als „soziales Ferment; und sie betrachtete die Stadt als ihr Untersuchungslabor“ (Rucker, 1969, 9). Gedanken zu Watsons Manifest 13 Nach Chicago zu gehen, bedeutete damals durchaus eine soziale Stellungnahme. Watson aber habe Dewey nicht verstanden, die „Gospel des Pragmatismus“, „die dieser gepredigt“ habe, wie er später spottete (1936). Stattdessen habe er sich ins psychologische Labor zurückgezogen, das der jüngere (Assistant) Professor James Rowland Angell (1869–1949) leitete. In seiner Autobiographie (1936, 279) stellt sich Watson als „durch und durch ein Produkt der Universität“ dar. Er habe nie einen Blick über ihre Mauern getan. So wie er das Elend jener Klasse, der er nicht angehört, nicht zur Kenntnis nehme, so brauchen ihn auch ihre Revolten nicht zu beunruhigen, denn er gehört nicht zu denen, die von dem Elend leben, die mit ihrem Geschäft das Elend produzieren. Doch die Universität Chicago war alles andere als der Elfenbeinturm, den Watson uns vor Augen führen will. Und die enge Beziehung zwischen Universität und Stadt musste ihre Wirkungen auf die Diskussion innerhalb der Universität haben, auch auf die, die keinen Blick über ihre Mauern tun wollten. Deweys „Gospel des Pragmatismus“ brachte nicht nur die Wissenschaft in die Praxis der Sozialreform außerhalb der Universität, sondern trug umgekehrt auch die Ideen der Sozialreform in die Universität. Das Bild des reinen Wissenschaftlers, der nicht unmittelbar teilnimmt an den sozialen Auseinandersetzungen passt schlecht für Chicago. Und wenn Watson kein Wort verliert über das Elend, das nur anklagen kann, und die Empörung, die gerechtfertigt ist, selbst wo sie nur zu zerstören scheint, ist das nicht auch eine Stellungnahme, wenn Watson die Psychologie, „wie der Behaviorist sie sieht“ als reinen, „objektiven Zweig der Naturwissenschaft“ definiert, deren „theoretisches Ziel die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten“ sei? (13, 13).Watsons Rückzug ins Psychologische Labor bedeutete einen Rückzug aus dem, wofür damals Chicago und seine Universität stand: einen Rückzug aus der Reformdiskussion. Die biographischen Gründe lassen sich als Aufeinanderprallen von Land (Erfahrung) und Stadt (Wirklichkeit) in der Figur des Aufsteigers verstehen, des Südstaatlers, der sich dem „Kollektivismus“ der Baptistengemeinde in der Provinzstadt entzogen hat, nicht, um im städtischen Kollektivismus der Reformer zu landen, sei es im rural evangelical protestantism der muckraker, in der nationalen Erneuerungsbewegung der Progressiven oder gar bei den Sozialisten, der aber viel zu sehr Karriere machen wollte, als dass ihm der „Rückzug in die Innerlichkeit“ offen gestanden hätte, in die 14 Klaus-Jürgen Bruder Reflexion als einer Möglichkeit, Abstand zu gewinnen. Ein zupackender Typ, der sich aufs “Machen” verstand. Diese Möglichkeit bot ihm das psychologische Labor. Hier, in der Einsamkeit des Labors, der Einsamkeit des Forschers, bei seinen sprachlosen, stummen Tieren, entstand sein Behaviorismus – im Unterschied zur Psychoanalyse, die aus jener anderen Einsamkeit geboren ist, die — nach Marcuse (1964, 91) — diejenige Bedingung ist, „die dem Individuum gegen seine Gesellschaft und jenseits ihrer Stärke verlieh“‚ und von der Marcuse gleichzeitig sagt, sie sei „technisch unmöglich geworden“. Wenn wir Watsons Behaviorismus als Produkt seines Rückzugs (ins psychologische Labor) kennzeichneten, haben wir uns dann jede Möglichkeit genommen, diesen im historischen, kulturellen Milieu seiner Zeit zu situieren? Keineswegs. Das psychologische Labor, in das er sich zurückzog, ist nicht davon abgeschlossen, kein hermetisch abgeriegelter Raum. Weder die Forschungsgegenstände, mit denen man sich dort beschäftigte, ihre Auswahl, noch die Untersuchungsmethoden‚ die man verwendete, noch die Theorien, in deren Rahmen man die Ergebnisse interpretierte, die man für diese hergestellt hatte‚ sind von der Zeit losgelöst. Allerdings, indem Watson sich zurückzog aus dem kulturellen, politischen Milieu in das psychologische Labor hat er sich selbst abstrahiert: in die Abstraktionen des psychologischen Labors, der Psychologie. Der Funktionalismus (des psychologischen Labors) Angells war bereits diese Abstraktion: Abstraktion von den konkreten, unterschiedlichen Lebenslagen, an die sich das Verhalten jeweils unterschiedslos anzupassen hat. Bei Dewey war „Anpassung“ immer auch: Anpassung der sozialen Umwelt an die Bedürfnisse des Individuums. Die Gegebenheiten, Tatsachen der Umwelt, galten ihm als Herausforderung an die Intelligenz, die Umwelt zu ändern – und nicht bloß die eigenen Gewohnheiten (I930b, 302). Dies war der Inhalt der „experimentellen Ethik“, der auf den moralischen Bereich angewandten Intelligenz. Sie erforderte einen konkreten Bezug zu konkreten Bedingungen, die ihrerseits als gesellschaftliche gefasst worden waren. Und die Übertragung der experimentellen Ethik aus dem Bereich des Individuellen auf den gesellschaftlichen war der Inhalt von Demokratie (I934, 43) Indem im Funktionalismus von diesen Bedingungen abstrahiert wird, und gleichzeitig „Anpassung“ zum allgemeinen „Prinzip“ menschlichen Verhaltens hypostasiert wird, wird „Anpassung“ affirmativ. Gedanken zu Watsons Manifest 15 Von den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen zu abstrahieren heißt, den sozialreformerischen Impetus des Deweyschen Pragmatismus über Bord zu werfen, zugunsten einer allgemeinen, abstrakten „Theorie“. Der Funktionalismus ist die vom gesellschaftlichen Inhalt gereinigte Psychologie des Pragmatismus, um damit die reformerischen Inklinationen loszuwerden, die Formalisierung der Beziehung zwischen „S“ und „R“‚ worin abstrahiert ist von sozialer Umwelt ebenso wie vom sozialen Charakter des Verhaltens, dessen „Funktion“ einzig in der „Anpassung“ des Organismus an die Erfordernisse der Situation gesehen wird. Anpassung, das zentrale Konzept des Pragmatismus Deweys als eines Programms zur Bewältigung der Herausforderung durch die Tatsachen der Umwelt, wird zur scheinbar bloßen Feststellung dessen, was ist, selber zur Tatsache, zum „Gesetz“ eines unabhängig vom Willen und Bewusstsein ablaufenden Verhaltens. Dies war die Leistung des Funktionalismus, erkauft durch völlige Inhaltslosigkeit der Psychologie: reduzierbar auf die Formel „R= f(S)“, Verhalten (R) ist die Funktion von Bedingungen des Verhaltens. Diese Abstraktion ermöglichte es einem Watson, sich in sein psychologisches Labor zurückzuziehen — im Milieu von Chicago, und gleichwohl an der Vorstellung festzuhalten, er untersuche „Gesetze des Verhaltens“. Das war es, wozu Angell ihn ermutigt hatte. Der Funktionalismus spiegelt allerdings – auf abstrakter, wissenschaftlicher Ebene – die politische Wendung wider, die parallel in der Ära Roosevelt/Wilson vollzogen wurde. Der Pragmatismus ging den Weg des Funktionalismus, indem er sich jener anderen „Erweckungsbewegung“ zur Verfügung stellte: dem „American Syndicalism“, zu dem die Vertreter des Corporation Capitalism die Initiative ergriffen hatten, und der ihnen die „Funktion“ des social engineer zuwies, des „über den (Klassen)Interessen stehenden“ und deshalb von diesen abstrahierenden Experten, der nicht nach den Ursachen fragt, sondern sich mit der Wirkung von Maßnahmen zufrieden gibt, „to guide human conduct“ (Novack, 1975, S. 62). Darauf hat der Pragmatismus Deweys zwar nicht unmittelbar hingearbeitet, dennoch trifft es zu, dass die pragmatistischen Reformer sich nicht nur naiv Illusionen über die Möglichkeiten der Verbesserung der Umstände machten, sondern ihre Vorstellungen durchaus gegen die 16 Klaus-Jürgen Bruder Massen durchsetzten – nicht (in erster Linie) aus Angst: vor ihrer violence, sondern weil sie dies den Massen nicht zutrauten. Diese erschienen ihnen als passive, als „Objekte der Verhältnisse“, aber so erschienen sie auch den Sozialisten, wie wir (bei Sinclair) gesehen haben. Letztlich behandelte man sie doch als die „Unzivilisierten“‚ die erst „zur Demokratie erzogen werden müssten“ wie Bourne über die Pragmatisten sarkastisch bemerkt (1917, S. 104). Wenn deren spontaner Unmut doch zu nichts anderem führte als zu Gewalt der Vertreter der öffentlichen Ordnung, so ist es wohl vernünftiger, sich insofern den Verhältnissen anzupassen, als man sich ihrer Institutionen bedient, um Konflikte aus der Welt zu schaffen. Darin liegt allerdings bereits eine Entscheidung gegen die Massen – nicht dazu angetan, bei ihnen selbständige Aktionen zu fördern. Sie „zur Demokratie (zu) erziehen“ heißt, ihnen diese Demokratie vorzuenthalten‚ sie zu „integrieren“. Gleichzeitig ist dies auch ein Standpunkt von Intellektuellen, die von den Massen allein gelassen sind, oder sich allein gelassen fühlen, wenn auch nur, weil sie diese nicht zur Kenntnis nehmen, wie Bourne (1917) unterstellt. Auch an ihnen, den Massen, liegt es, dass sie solchen Vorstellungen eher entsprechen. Daher auch die oft recht bestürzenden Verurteilungen der Massen bei den Schriftstellern der Opposition, wie z.B. bei Jack London, der den Massen vorwirft, sie schreckten vor ihrer eigenen kollektiven Kraft zurück. Solche Vorwürfe sind aber geeignet, die reformerischen Intellektuellen freizusprechen. Denn konnte es die Bourgeoisie (und ihre Exekutive) schaffen, ihre Hegemonie durchzusetzen, so nicht nur, weil die Massen, sondern auch die Intellektuellen sie gewähren ließen. Sie hatten über ihre Reformvorschläge, gerade indem sie über die Anpassung der Individuen an die Verhältnisse immer mehr die Änderung dieser Verhältnisse vergaßen, auch die Massen „vergessen“. Die Organisation des Betriebs in der alleinigen Hand der Betriebsleitung ist (auch) bereits Sozialtechnik. Diese wird durch die Sozialtechnik des social engineer nur noch „verdoppelt“: ein Rauchvorhang vor seinen Augen, „seine“ Ideologie, notwendig zu ihrer Aussöhnung mit seinem (erzwungenen) Verzicht auf gesellschaftliche Praxis. Abstrahiert vom Kontext der politischen Diskussion, in dem er entstanden ist, läuft der Pragmatismus tatsächlich „in reine Psychotechnik aus“. Gedanken zu Watsons Manifest 17 Doch diese Abstraktion ist die Voraussetzung dazu und dies ist die Wende des Funktionalismus. Die Wendung von einer Psychologie des Subjekts, die sich des Bewusstseins in der Selbstreflexion gewiss ist, zu einer Psychologie des Anderen, für die das Bewusstsein des Anderen verschlossen ist. Watson allerdings hat diese Wendung nicht mitgemacht, vielmehr stieg er in eine bereits vollzogene Wendung ein. Er führte die Entwicklung des Funktionalismus jedoch weiter. Zumindest war dies seine Betrachtungsweise: der Behaviorismus war in seinen Augen der „einzig konsequente Funktionalismus“ und zwar durch die Ausschaltung des Bewusstseins aus der Psychologie. Watson argumentierte methodologisch: was nicht beobachtbar ist, könne nicht Gegenstand der (natur-)wissenschaftlichen Psychologie sein. Angell (1936) widersetzte sich der behavioristischen „Konsequenz“ mit dem Argument, dass mit der Ausschaltung des Bewusstseins Psychologie sich selbst aufhebe. Psychologie entstehe erst, wenn das beobachtete Verhalten durch Bewusstsein interpretiert, erklärt werden könne. Er „verdoppelte“ das Verhalten zu jener „inneren Wirklichkeit“ für die der Begriff Bewusstsein stand. Er tat das aus dem gleichen Grund, den Politzer für die „klassische Psychologie“ von Wundt und Titchener anführt: er abstrahierte von der „sozialen Funktion“ des Verhaltens, von seinem Charakter eines „Bestandteil(s) des Alltagsleben“. An die Stelle des „Verstehens“ tritt der (natur)wissenschaftliche „Zugang“. Das Scheitern dieser Psychologie des naturwissenschaftlichen Zugangs zum Bewusstsein war für Watson die Begründung, die Untersuchung des Bewusstseins aufzugeben. Angell interessierte sich für Bewusstsein (allerdings lediglich) als Vermittlungsinstanz zwischen dem environment und den Bedürfnissen des Organismus (453), als solche erklärte es das Verhalten. Diese Fragen nach der Erklärung des Verhaltens durch das Bewusstsein spielen erst bei Dewey eine Rolle. „Bewusstsein“ tritt in seiner Darstellung im Stadium der Unterbrechung einer vorher automatisch, ohne dessen Beteiligung, ablaufenden Koordination auf. Obwohl diese Unterbrechung nicht durch Bewusstsein hervorgerufen worden sein muss, ist hier Bewusstsein nicht lediglich Begleiterscheinung der Unterbrechung, sondern notwendig: für die Wiederherstellung der Koordination. 18 Klaus-Jürgen Bruder Es „definiert“ den „Stimulus“, stellt den Grund der Unterbrechung fest und wählt die für diese Wiederherstellung angemessene „Reaktion“ aus. Diese Darstellung kann auf Bewusstsein als Erklärung des Verhaltens nur dann verzichten, wenn die Wiederherstellung der Koordination im Sinne der „Anpassung an die Umstände“ definiert ist. Diese gesellschaftliche Dimension war es, die bei Angell weggefallen war, und weshalb „Anpassung“ nur mehr Anpassung des Organismus an die Umwelt sein konnte. Wenn Bewusstsein lediglich diese Funktion hat, dann ist es auch für die Erklärung des Verhaltens verzichtbar. Und die Formel „R=f (S)“ kann man getrost auch schreiben als: „S“—„R“‚ denn in ihr ist Bewusstsein bereits verschwunden. Weshalb aber sträubt sich Angell dann gegen diese „Konsequenz“? Welche Bedeutung hatte für ihn „Bewusstsein“, dass er nicht darauf verzichten konnte, wenn seine „Funktion“ für ihn doch von Anfang an feststand, und vor allem nicht Gegenstand der Untersuchung war. Indem Angell das Individuum von den gesellschaftlichen Verhältnissen trennte, musste er die (gesellschaftlichen) „Funktionen“ seines Verhaltens in die „innere Wirklichkeit“ des Bewusstseins verlegen. „Die (adaptive) Bedeutung des Verhaltens wird von den beobachtbaren Aspekten des Verhaltens getrennt und den Inhalten des privaten Bewusstseins zugeschlagen (Mackenzie, 1977, 48). Das war für ihn kein Nachteil, denn er kannte diese Funktion bereits, er musste sie nicht aus dem sozialen Kontext heraus verstehen. Dort, im Bewusstsein, war sie aber gut aufgehoben, nicht in Frage zu stellen durch andere Definitionen, durch eine andere gesellschaftliche Praxis, sondern gegen diese „naturwissenschaftlich“ verbürgt. Dieses „Bewusstsein“ war für Angell unverzichtbar: für die Psychologie der Anpassung. Und einer Psychologie, der diese Funktion der Anpassung vorgegeben war, konnte man die Untersuchung der „fundamental utilities of consciousness“ überlassen (Angell, 453). Watson konnte auf dieses Bewusstsein verzichten, weil für ihn die Funktion „Anpassung“ unproblematisch war. Er kam nicht aus der Reformbewegung, die nun in „productive channels“ zu lenken war; und wenn er methodologisch argumentierte, so zeigt er damit, dass er vom ideologischen Horizont der Psychologie von Chicago unberührt war. Vielleicht konnte er deshalb die funktionalistische experimentelle Psychologie auf den Begriff „Psychologie ohne Bewusstsein“ bringen. Gedanken zu Watsons Manifest 19 Behaviorismus bedeutet jedoch nicht nur „Psychologie ohne Bewusstsein“, sondern „Konditionierung“. Von der Konditionierung her betrachtet, erscheint das Ausstreichen des Bewusstseins allerdings konsequent. Diese funktioniert ohne Bewusstsein. Der Behaviorist kann darauf verzichten, sich den Zugang zum (Bewusstsein des) anderen zu erzwingen, er kann auf die „Erklärung“ verzichten. Es genügt ihm, durch die Technik der Konditionierung, Verhalten herzustellen. Erst mit der Konditionierung erhält der Behaviorismus seine Gestalt. Die Konditionierung expliziert den Behaviorismus: nicht mehr Psychologie — vom Standpunkt des (reflektierenden) Subjekts, sondern Technologie — vom Standpunkt des „behavior shapers“, des „social engineer“. Natürlich begnügt sich Watson nicht damit, diese konkrete Verhaltensänderung durch die Veränderung dieser konkreten Bedingungen zu erklären. Er „generalisiert“ auf „Verhalten überhaupt“ und ist davon überzeugt, in der Konditionierung ein „Prinzip des Lernens“ gefunden zu haben. In dieser Ausdehnung seines Geltungsanspruchs des Behaviorismus liegt der „Fehler“ des Behaviorismus. Genau genommen ist das der Fehler jeder experimentellen Wissenschaft vom Leben (Holzkamp, 1964). Sie überspringt die Differenz zwischen dem konkreten Besonderen und dem Allgemeinen durch Abstraktion: sie abstrahiert vom besonderen Charakter der experimentellen Bedingungen als vom Experimentator hergestellten, der „Versuchsperson“ vorgegebenen. Die „Versuchsperson“ ist weder an der Einrichtung dieser Bedingungen beteiligt, noch kann sie sie selbst neu definieren oder gar verändern. Solche Situationen sind nichts Besonderes: in subalternen Beziehungen, Beziehungen der Abhängigkeit und Unterordnung. Aber gerade von diesem Charakter der experimentellen Situation, die eine Beziehung zum Allgemeinen gesellschaftlicher Ungleichheit herzustellen gestattete, wird abstrahiert, wenn man von „Bedingungen“ schlechthin spricht. Ebenso wird abstrahiert von der besonderen „Versuchsperson“. Hat diese sich freiwillig für das Experiment zur Verfügung gestellt oder war ihre Beteiligung das Ergebnis von Zwang, ist für sie der Ausgang des Experiments belanglos oder entscheidend? Es wird abstrahiert von ihrer besonderen Lebensgeschichte‚ ihrer Erfahrung, aktuellen Befindlichkeit, ihren Plänen und Projekten. Abstrahiert wird also von den Besonderungen des Allgemeinen: der Ungleichheit, den Klassenunterschieden und 20 Klaus-Jürgen Bruder Klassenperspektiven. An ihre Stelle treten die Abstraktionen: „menschliches Verhalten“, „Umwelt“ usw. In diesem Unternehmen der Abstraktion finden auch die Abstraktionen des Behaviorismus ihren Rahmen. Der Behaviorist experimentiert mit Tieren, die er für ein mit Menschen austauschbares Exemplar der Gattung Lebewesen hält, so dass er die Gültigkeit seiner experimentellen Ergebnisse auch für Menschen beanspruchen kann. Er betrachtet Futter, Elektroschocks, Labyrinth als austauschbare Exemplare von Belohnungen, Bestrafungen, Umwelten und beansprucht damit, dass seine Ergebnisse auch für menschliche „Umwelten“‚ „Belohnungen“, „Bestrafungen“ gelten. Er abstrahiert von sich selber, von seinem Tun, wie jeder andere Experimentator auch. Es gehört zu den Illusionen des Experimentators, dass er meint, er könne „Gesetze“ auffinden, durch bloße Beobachtung, während er doch erst hergestellt hat, was er beobachtet. Die gefundenen „Gesetze“ sind die Gesetzmäßigkeiten seines Eingriffs. Technische Regeln sind es, die „schedules of reinforcement“ (Skinner & Ferster, 1957). Doch davon abstrahiert er. Er abstrahiert von seiner Tätigkeit, deren Produkte seine Beobachtungen sind. Er sieht davon ab, daß er eingreift in einen Prozess, den er aber durch den Eingriff gerade verändert. Er wähnt sich selber außerhalb seines Experiments. Dies ist die Selbsttäuschung des Experimentators. Während aber der Experimentator sich über die Bedeutung seines Eingriffs täuscht, ist dieser Eingriff beim social engineer bewusste Absicht. Er will in einen sozialen Prozess eingreifen, nicht um diesen zu erklären, sondern um ihn in eine bestimmte Richtung zu lenken, um einen Effekt herzustellen. Und dafür will er die Methoden des Experimentators, er will sie als Techniken. Watson wollte das – zunächst – nicht, er wollte nur Verhalten erklären. Aber er wechselte mit dem Griff zur erlösenden Methode der Konditionierung unbemerkt die Ebene, vom Wissenschaftler zum Technologen. Eine Differenz, die mit der Entwicklung des Behaviorismus aufgehoben werden sollte. Dass er dies (vielleicht gar) nicht merken konnte, dafür ist sicher sein „technischer“ Zugang zu den Problemen verantwortlich, seine Freude am Handwerklichen, die ihn dafür prädisponierte, die Methode von Pavlov bzw. Bechterev zu übernehmen. Ihre Erfolge mussten ihn faszinieren, mit ihr konnte er experimentell die Lücke in seiner Argumentation schließen. Gedanken zu Watsons Manifest 21 Insofern war in seinem Behaviorismus für die Konditionierung die Stelle freigehalten und: in ihr fand er das wirksamste Propagandamittel. Gleichzeitig war innerhalb der Tradition des psychologischen Labors der Boden dafür vorbereitet. Die Konditionierung war zwar nicht in Chicago erfunden worden, sondern in Petersburg, im Institut für Experimentelle Medizin. Aber das zeigt nur den internationalen Charakter dieser Tradition zu dieser Zeit, der Tradition des Experiments in den „Wissenschaften vom Leben“. Schon lange vor Watson, ja vor Bechterev und Pavlov, war dort an die Stelle der Beobachtung das Experiment getreten (Sartre 1971, 104). Mit dem Experiment definierte sich Psychologie als Naturwissenschaft, bei Wundt und Titchener ebenso wie bei Dewey‚ James und Angell. Die Konditionierung ist innerhalb dieser Tradition konsequent, als eine Methode so gut wie jede andere verständlich, eine bessere Methode, eine objektivere, denn sie schloss die subjektiven “Fehler” der Versuchspersonen aus. Dass sie an Tieren das erste Mal angewendet worden war, war für Watson unwichtig, wenn er auch durch die Tatsache, dass er in Chicago mit Tieren experimentieren konnte, sicher eher auf sie aufmerksam wurde. Entscheidend war die mit den Kriterien des Experiments durchgesetzte Betonung des Technischen, in der die Abstraktion von der Art der „Versuchsperson“ mitgegeben war, gerechtfertigt durch die „evolutionstheoretische“ Behauptung der Einheit der Arten. Dass der Behaviorismus mit Ratten experimentiert, begründet er mit der Leichtigkeit ihrer Züchtung und Haltung, mit der Einfachheit, Kleinheit und Überschaubarkeit der Labyrinthe, der Schnelligkeit, mit der man experimentelle Ergebnisse produzieren kann. Das aber bedeutet – zugespitzt ausgedrückt – dass für ihn Experimente den Charakter von Demonstrationen haben: vorzuführen‚ was schon lange vorher definitiv feststand, keine neuen (empirischen) Ergebnisse zu bringen. Demonstrationen, mit denen andere von der Richtigkeit der „Theorie“ überzeugt werden sollen. Dass der Behaviorismus mit Ratten experimentierte hat ihm, nicht ganz zu Unrecht, das Etikett der „Rattenpsychologie“ eingetragen. Nicht völlig zu Recht, denn, wie Devereux (1967) argumentiert, seine Psychologie gilt auch nicht für Ratten. Auch bei ihnen sei das Projekt einer “Psychologie ohne Bewusstsein“ nicht überzeugend. 22 Klaus-Jürgen Bruder Damit ist der Behaviorismus aber nicht am Ende, vielmehr ist er in die Hände der social engineers übergegangen, der Techniker der „psychologischen Probleme“. Und in diesem Sinn ist er der einzig „konsequente Funktionalismus“. Er ist dies nicht unmittelbar, sondern vermittelt – gerade über die Konditionierung. Man erwartete dieses Konzept. Von den social engineers wurde es aufgegriffen als Versprechen der Formbarkeit, der Kontrollierbarkeit des Verhaltens — außerhalb des Experiments. Dadurch wurde es amerikanisiert. Dieses Versprechen musste einem Begehren entsprechen, einem “geheimen Bedürfnis der Gesellschaft“ (Hofmann, 1961, 11o). Es war vorbereitet worden durch den Pragmatismus der progressiven Ära und gleichzeitig durch dessen Scheitern als nationale Erneuerungsbewegung; zugleich war die von diesem genährte Hoffnung auf Steuerbarkeit sozialer Prozesse nicht gründlich genug enttäuscht worden. Die „state educational machine“ hatte ja ihre Möglichkeit und Wirksamkeit bewiesen, sie hatte jedoch, indem sie für den Krieg mobilisierte, auch dessen brutalisierende Wirkung nach innen getragen, den Bodensatz der Ressentiments nach oben gekehrt. „Kontrolle durch die Umwelt“, das war bereits die Vorstellung der Funktionalisten. Zwar war für sie das „Bewusstsein“ dafür unverzichtbar. Aber der Behaviorismus zeigte, dass Kontrolle auch ohne dieses möglich ist, durch die Konditionierung. Auf seiner Grundlage der Trennung des Verhaltens vom Bewusstsein war es möglich, das „falsche“ Bewusstsein loszuwerden, über Bord zu werfen und sich ganz auf die Techniken zu stürzen. So gestattete der Behaviorismus, das Scheitern der Progressiven aufzufangen, indem er an die Stelle der politischen Propaganda die Propaganda des Behaviorismus setzte. Die Techniken schienen das einzig Solide in einer Zeit, in der die politischen Mittel versagt zu haben schienen. Insofern ist der Siegeszug des Behaviorismus in den (späten) 20er Jahren — außerhalb der Universität — ein Ausdruck der (politischen) Resignation, des konservativen „backlash“‚ aber gleichzeitig einer, in dem die Resignation zu überspielen versucht wird, ein neues Klima der new beginnings geschaffen wird. Die „Philosophie des Taylorismus“, wie Sartre den Behaviorismus bezeichnet, ist die Philosophie der zum „Taylorismus“ bekehrten, weil kleinmütig gewordenen Reformer. In ihrer resignativen Bescheidenheit klammerten sie Gedanken zu Watsons Manifest 23 sich an die Techniken, das einzige, was noch übrig geblieben war. Sie scheinen ihnen als Klasse gesellschaftliche Relevanz zu versprechen. Der Behaviorismus ist das Versprechen, die „Gospel des Pragmatismus“ unter veränderten politischen Bedingungen einzulösen, als „Erziehung zu behavioristischer Freiheit“, jenseits der „Freiheit der Freiheitsfanatiker“ (Watson 1930, 295). „Jenseits“ der Ideologien zu stehen ist der Anspruch des social engineer. Dadurch eignet er sich als „Ideologe der Ideologielosigkeit“, als Ideologe (der Gesellschaft) des „eindimensionalen Denken“, in dem es keine Widersprüche gibt (Marcuse, 1964), sondern allgemeine Zustimmung, aus dem die Kritik ausgeschaltet ist, weil es keine „zentrifugalen Kräfte“ gibt. Sie sind besiegt, „nicht durch Terror“‚ sondern durch „Integration“. Marcuse hat dies als „sozialen Behaviorismus“ beschrieben, das „gesellschaftliche Gegenstück zum akademischen Behaviorismus“ (ebd.‚ 33). Er ist Ideologie der „fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ und Reflex des gesellschaftlichen Funktionierens — entsprechend den „Gesetzen der Konditionierung“. Psychologisierung von Herrschaft par excellence, einer Herrschaft, die in social engineering transformiert worden ist. Denn was der Behaviorismus als „Gesetze des Verhaltens“ ausgibt, sind ja nur die (sozial-)technischen Regeln der Verhaltensformung. Indem er sie auf das soziale Verhalten überträgt, gelingt es ihm, die Aufrechterhaltung von Herrschaft ins (gesellschaftliche) Verhalten der Individuen zu verlegen. Doch dieser Behaviorismus ist mehr als der bloße Reflex des eindimensionalen Verhaltens: Die „Integration“ kann brüchig werden, Teile der Bevölkerung können ihre Entpolitisierung rückgängig machen. Dann „politisiert“ sich der Behaviorismus selber, wie bei Skinner (1971): er wird zur Propaganda, streift den Mantel bloßer „Deskription“ ab und erklärt die behaupteten „Gesetze des Verhaltens“ zu Techniken der Kontrolle. Das ist ihm möglich, weil ja „Gesetz“ und „Technik“ ambivalent gehalten werden. Im Begriff der Konditionierung ebenso wie im Begriff des reinforcement‚ ist beides bewusst zirkulär verknüpft: das „Gesetz des Lernens“ und die „Technik der Verhaltensformung“. Die Begriffe der Konditionierung und des reinforcement unterscheiden gar nicht mehr zwischen dem methodischen Eingriff, der Bedingungsvariation und dem Gesetz, nach dem die Veränderung des Verhaltens sich vollzieht. 24 Klaus-Jürgen Bruder Dies ermöglicht das Changieren des Behaviorismus zwischen „Psychologisierung“ und „Technisierung“‚ je nach politischer Zweckmäßigkeit ermöglicht ihm die „Propaganda sozialer Kontrolle“ (Bruder, 1978) in Form der Behauptung der Möglichkeit‚ Herrschaft aufrechtzuerhalten – durch die Techniken der Konditionierung. Dies ist sowohl eine Selbstexplikation des Behaviorismus als einer im Gewand der Psychologie auftretenden „Theorie“ der Verhaltenssteuerung, welche der Vorstellung des social engineer entspricht: der Aufrechterhaltung von Herrschaft durch Technik, als auch seiner „Utopie“ der totalen Kontrolle (Enzensberger, 1979). Literatur Angell, J. R. (1936). James Rowland Angell. In C. 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