Prof. Dr. Eckart Leiser Studiengang Psychologie der Freien Universität Berlin Schritte in Richtung auf eine kritische Überprüfung des Behaviorismus _____________________________________________________________________ Die Skinner-Box als behavioristische Welt 2 Wie Skinner sein Konzept und seine Ansprüche begründet 11 Die Defizite und Widersprüche im Ansatz Skinners 20 Der utopische Entwurf Skinners als Versuch, die inneren Widersprüche seines Konzepts auf militante Weise zu lösen 32 Versuche zur Rettung des behavioristischen Paradigmas: der Ansatz von Tolman 41 Die Wiederentdeckung der menschlichen Komplexität: der Behaviorismus von Albert Bandura 51 Ein scholastischer Ausweg aus den Defiziten des Behaviorismus: das System von J.R. Kantor 62 Der Zugang der Kritischen Psychologie zum Problem des Lernens: eine Skizze 74 Bibliographie 83 _____________________________________________________________________ An der UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) im Sommer 1988 gehaltene Vortragsreihe (Übersetzung aus dem Spanischen) Eckart Leiser Behaviorismus Seite 1 Kapitel 1: Die Skinner-Box als behavioristische Welt Im Zusammenhang meiner ersten Vortragsreihe über die methodologischen Grundlagen der Kritischen Psychologie (Leiser 1987) haben wir einige zentrale Wesenszüge des Behaviorismus kennengelernt, und zwar anläßlich unserer Untersuchung des abstrakten Denkens und seiner spezifischen Funktionen innerhalb der etablierten Psychologie. Damals befand sich der Ansatz von Byrrhus F. Skinner im Mittelpunkt unseres Interesses. Und das nicht zufällig, denn Skinner als herausragender Vertreter des Behaviorismus war in besonderem Maß geeignet, diese besagten Wesenszüge des Behaviorismus zu verdeutlichen. Diesmal zielt unsere Analyse auf eine systematischere Herausarbeitung des Verständnisses vom psychologischen Gegenstand, wie es sich in der Terminologie des Behaviorismus manifestiert, seines Modells vom Lernprozeß und seiner erkenntnistheoretischen und philosophischen Voraussetzungen. Und wiederum soll unser Ausgangspunkt der Ansatz von Skinner sein. Gemäß dem Anspruch von Skinner kann die Psychologie auf einer streng objektiven und empirischen Grundlage aufgebaut werden, nach Maßgabe der Prinzipien der klassischen Physik. Ein solches Programm verlangt die Beschränkung auf beobachtbare Ereignisse und Daten und die Ausschaltung jedes Bezugs auf innere Zustände der untersuchten "Organismen". Entsprechend dem Verständnis von Skinner verdanken sich solche Bezüge einer langen Tradition des "Mentalismus", des Hauptfeindes von wissenschaftlichem Fortschritt. Eine wichtige Stütze des Mentalismus bildet der Glaube an eine Sonderstellung des Menschen im System der Lebewesen. Dagegen setzt Skinner als seine Überzeugung, daß es sehr allgemeine Mechanismen gibt, die das Funktionieren des Verhaltens bestimmen. Wenn Skinner Experimente mit Ratten und Tauben bevorzugt, dann nicht, weil es ihm wirklich um eine besondere Psychologie dieser Arten ginge, sondern um eine vorteilhaftere und ökonomischere Technik zur Erkenntnisgewinnung über die Psychologie des Menschen. Es sind einzig und allein solche ökonomischen, praktischen und darüber hinaus rechtlichen Gesichtspunkte, die für solche Tiere sprechen. Ein Zitat: "Der Experimentator muß mit einem Organismus arbeiten, der leicht zu beschaffen und billig zu erhalten ist. Er muß ihn, oft über lange Perioden hinweg, einer täglichen Diät aussetzen, er muß ihn in einer leicht kontrollierbaren Umwelt gefangenhalten und er muß ihn komplexen Verstärkungskontingenzen exponieren. Ein derartiger Organismus ist notgedrungen einfacher als der des Menschen. Trotzdem aber befassen sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Fachleute, die solche Organismen untersuchen, primär mit menschlichem Verhalten. Nur sehr wenige Forscher interessieren sich für die Ratte oder Taube an sich." (Skinner: Die Funktion des Verstärkers in den Verhaltenswissenschaften, München 1974, S. 92). Eckart Leiser Behaviorismus Seite 2 Die Ratte in der Skinner-Box stellt die nahezu ideale Erfüllung aller im Zitat aufgeführten Forderungen dar. Und für Skinner sind die Mechanismen, die sich in dieser Situation manifestieren, in einem solchen Grad augenfällig, daß es völlig ausreicht, sie zu beschreiben, ohne auf irgendeinen theoretischen Rahmen der Interpretation Bezug zu nehmen. Nebenbei bemerkt: dieser Glaube an die Evidenz empirischer Daten entspricht dem Traum des frühen Empirismus. Wie es scheint, hat Skinner einen Zugang zur Humanpsychologie gefunden, der die Zurückführung der komplexesten Probleme der menschlichen Psychologie auf die Probleme der Ratten und Tauben in der SkinnerBox ermöglicht und gleichzeitig Schluß macht mit allen erkenntnistheoretischen und methodologischen Komplikationen, mit denen es die Psychologie bisher zu tun hatte. Und wie es scheint, hat Skinner den Beweis erbracht, daß das Verhalten von Organismen einschließlich des Menschen auf der Grundlage einiger sehr allgemeiner und elementarer Prinzipien erklärbar und kontrollierbar ist. Zieht man die Konsequenzen daraus, eröffnen sich völlig neue Perspektiven der Humanpsychologie, und zwar nicht nur wissenschaftlicher sondern auch praktischer Art. Skinner selbst hat diese Konsequenzen für das menschliche Individuum und die menschliche Gesellschaft insgesamt in verschiedenen Büchern herausgearbeitet, z.B. in seinem Buch "Futurum II" und in seinen Essays "Jenseits von Freiheit und Würde". Aber werfen wir zunächst einen Blick auf das, was in der Skinner-Box vorgeht, und wie sich das Geschehen dort in der Terminologie von Skinner darstellt. Die Skinner-Box (s. folgende Abbildung - Friedrich S. 205) besteht aus einer hermetisch abgeschlossenen Umgebung, mit einer künstlichen und vollständig standardisierten Ausstattung. Zu den obligatorischen Elementen der Konstruktion gehört irgendein Mechanismus, der durch eine wohldefinierte Tätigkeit der Ratte aktiviert wird (um hier bei dieser Spezies zu bleiben). Die Auslösung des Mechanismus führt seinerseits zu in Bezug auf die Ratte wohl definierten Effekten wie etwa die Darbietung von Futter oder die Beendigung eines Elektroschocks. In der Terminologie von Skinner ist die zur Auslösung des Mechanismus geeignete Tätigkeit ein Operant, der durch diese Tätigkeit herbeigeführte Effekt ist die Konsequenz, und soweit es sich um eine angenehme oder mit Erleichterung verbundene Konsequenz handelt, spricht man von einem Verstärker. Die Darbietung von Futter stellt einen positiven Verstärker dar, während die Beendigung eines Elektroschocks in der Terminologie von Skinner einen negativen Verstärker darstellt. Die Verknüpfung zwischen einem speziellen Operanten und einem Verstärker heißt eine Verstärker-Kontingenz. Noch allgemeiner, schließt man außerdem noch die negativen Effekte eines definierten Verhaltens ein, die sogenannten Bestrafungen, ergibt sich das folgende Schema: Eckart Leiser Behaviorismus Seite 3 Allerdings geht es im größten Teil seiner Arbeiten und seiner Experimente um Verstärker, ausgehend davon, daß die Verwendung von Strafen in der Praxis wenig Nutzen bringt. Nach Skinner besteht der Lernprozeß, also die Ausbildung und Veränderung von Verhalten, letztlich in derartigen Kontingenzen, oder genauer gesagt in der Ausarbeitung der Operanten, die die Kontingenzen einer vorhandenen Umwelt erfordern. Im Fall der Skinner-Box, auf die sich unsere Darstellung des Skinnerschen Ansatzes bisher beschränkt hat, ist es unerläßlich, die Rolle des Forschers innerhalb des angedeuteten Prozesses in Rechnung zu stellen: Der Forscher ist es hier, der die Kontingenzen einrichtet, der die geforderten Tätigkeiten der Verhaltensausstattung anpaßt, über die die Ratte anfangs verfügt, und der im weiteren ihr Verhalten gemäß einer ausgetüftelten Strategie modelliert. Aber wie dem auch sei: Skinner geht davon aus, daß die Ratte sowie alle Organismen über eine Verhaltensausstattung verfügen und außerdem von dieser Ausstattung spontan Gebrauch machen. Ich unterstreiche diesen Punkt, weil es im Gegensatz zu den klassischen Konzepten des Behaviorismus ein aktiver und nicht nur reaktiver Organismus ist, der in Skinners Ansatz den Ausgangspunkt bildet. Andererseits ist Skinner damit zufrieden, diesen Typ des aktiven Lernens, das in seiner Terminologie "operantes Konditionieren" heißt, neben das "klassische Konditionieren" zu stellen, statt insgesamt den passiven Organismus des klassischen Behaviorismus durch den aktiven Organismus zu ersetzen. Bestimmt durch vorangehende Reize ("Stimuli" in Englisch), liegt dem klassischen Konditionieren gemäß Skinner ein Lernen des Typs "S" zugrunde, zu unterscheiden vom Lernen des Typs "R", auf dem nach Skinner das operante Konditionieren beruht, und das durch spontane Reaktionen des Organismus (in Englisch: "Responses") in Gang gesetzt wird. Wie die Bezeichnung "spontane Reaktion" zeigt, eine etwas widersprüchliche Kombination oder eine Art "contradictio in adjecto", hat Spontaneität im Sinn von Skinner einen ziemlich unklaren Charakter. Wir werden zu diesem Punkt im Verlauf dieser Vortragsreihe zurückkehren. Um unsere Skizze des Skinnerschen Ansatzes zu vervollständigen: Die Ratte kann, soweit vom Forscher arrangiert, gewisse Signale auswerten, die mit den Kontingenzen in Beziehung stehen, beispielsweise ein vorangehendes Licht bestimmter Farbe, von dem abhängt, ob eine Tätigkeit angemessen ist oder nicht. In der Terminologie Skinners spricht man hier von einer Diskrimination von Operanten, womit klargestellt wird, daß ein Operant unter die Kontrolle von Reizen gerät. Eine solche Kontrolle durch Reize, die nachträglich wirksam wird, ist nach Skinner aber vom oben erwähnten Typ "S" des Lernens zu unterscheiden. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 4 Auf den ersten Blick und soweit bisher dargelegt scheinen die Experimente von Skinner keine besonderen Probleme aufzuwerfen: Was die Skinner-Box betrifft, handelt es sich um eine interessante Versuchsanordnung, und die Phantasie Skinners beim Konstruieren immer ausgeklügelterer Kontingenzen sowie beim Variieren von Verstärkungsplänen verdient zweifellos unser aller Bewunderung. Insbesondere seine Erfolge beim Modellieren des Verhaltens von Ratten und Tauben stehen in nichts der großen Kunst des Zirkus nach. Und die Terminologie von Skinner, obwohl für die Welt des Zirkus etwas ungewöhnlich und angesichts so lebendiger Experimente etwas verfremdet, bewegt sich im Spielraum der unter Wissenschaftlern üblichen Eigenwilligkeiten (und geht darüber hinaus zumindest teilweise auf die terminologische Tradition innerhalb des Behaviorismus zurück). Aber wie schafft es Skinner, auf der Grundlage derart spezifischer Experimente zu verallgemeinerten Erkenntnissen zu kommen, ohne Hilfe einer Theorie, die das Ordnen der Ergebnisse und die Vermittlung zwischen diesen ermöglichen könnte, gestützt auf nichts weiter als die Beschreibung der einzelnen Ereignisse? Ein Beispiel: Mikroskopisch betrachtet, wird kein Auftreten eines Operanten mit einem anderen Auftreten identisch sein. Somit: wie kann man einen Operanten auf streng deskriptiver Grundlage definieren? Ein anderes Beispiel: Abermals mikroskopisch betrachtet, wird kein Akt, die Verstärkung zu erleben, mit einem anderen Akt identisch sein. Somit: wie kann man eine Verstärkung auf streng deskriptiver Basis definieren? Noch ein Beispiel: Wiederum mikroskopisch betrachtet, wird keine Ratte mit einer anderen Ratte identisch sein, aufgrund von genetischen und erworbenen Besonderheiten. Somit: wie kann man eine Ratte auf streng deskriptiver Basis definieren? Ein letztes Beispiel: Wenn man die Operanten und die Verstärker variiert mit dem Ziel, verallgemeinerte Kontingenzen zu schaffen: wie ist es möglich, auf streng deskriptiver Basis die Ähnlichkeiten und Invarianten zu bestimmen, die über alle Variationen hinweg gelten? Begeben wir uns jetzt an die Untersuchung des Problems, wie Skinner derartige Fragestellungen behandelt, und nehmen wir als Beispiel seine Lösung für die Identifikation eines Operanten (das erste obige Beispiel): Der erste Schritt Skinners besteht darin, die Definition eines Operanten auszuweiten: er bezeichnet nicht mehr eine einzelne Aktivität, sondern umfaßt die Klasse ähnlicher Aktivitäten, deren Häufigkeit sich im Verlauf einer Serie von Experimenten der gleichen Versuchsanordnung erhöht. Im Hinblick auf diese derart definierte Klasse spricht Skinner von einer "Verhaltenseinheit". Und die Verstärkung wird schließlich definiert als Klasse der mit diesen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 5 Aktivitäten verknüpften Konsequenzen. Vertraut man dem guten Willen der Ratte, sich die in die Versuchsanordnung eingeführte Logik zu eigen zu machen, und auf die Bereitschaft des Forschers, die genannte Klasse anhand der gleichen Logik zu suchen, könnte das Ergebnis sein, daß die Klasse der Tätigkeiten, die den besagten Operanten konstituiert, alle Varianten, einen Hebel zu drücken, einschließt. Und alle Varianten des Aktes, eine Futterkugel zu verzehren, würden in die Klasse der entsprechenden Konsequenzen aufgenommen, die als solche den Verstärker konstituiert. Aber was passiert, wenn die verrückte Versuchsanordnung und die Skinner-Box insgesamt die Ratte nervös macht, was zu einer Vermehrung von Wutäußerungen führt wie etwa gegen die Wände der Box treten? Als Verhaltenseinheit ergäbe sich dann hier die Klasse der Varianten von "Gegen-dieWand-treten", und als Verstärker die Klasse der Effekte von "Gegen-die-Wand-treten": vielleicht der Lärm oder die Erschütterung. Und was ist, wenn der Forscher am Ende nicht den erwarteten Operanten und die erwartete Verstärkung findet, sondern fortfährt, die Klasse der Aktivitäten auszuweiten, bis daß er schließlich beim Ergebnis endet, daß eine Vermehrung von Aktivitäten überhaupt vorliegt, ein Operant, dem als Klasse von Konsequenzen die allgemeine Erfahrung von Sich-Verhalten entspricht? Was ich mit diesen zugespitzten Beispielen verdeutlichen will: eine strikt formale Suche ohne Bezug auf die in der Situation angelegte Logik, also eine diesbezüglich blinde Suche auf streng deskriptiver Grundlage, ist gar nicht möglich. Mit Sicherheit würde eine solche Suche zu keiner eindeutigen Verhaltenseinheit führen. Man könnte das mit Hilfe von Mitteln der Mengenlehre noch weiter veranschaulichen: Wie man in der Abbildung angedeutet findet, kann man zu verschiedenen Beziehungen zwischen Klassen von Tätigkeiten und Klassen von Konsequenzen gelangen. Aus diesen Beziehungen wiederum resultiert eine Menge statistischer Korrelationen, denen eine Menge von Verhaltenseinheiten entspricht. Eine Vielzahl weiterer verwickelter Fragen verbergen sich hinter Skinners Schritt von seinen einzelnen Experimenten zu seinen wissenschaftlichen Schlußfolgerungen. Als Beispiel ein Zitat, in dem ein angeblich unwiderlegbares Gesetz behauptet wird: "Wenn die Zahl der verstärkten Antworten nach einem festen oder veränderlichen Zeitplan allmählich reduziert wird, läßt sich ein Stadium erreichen, in dem man ein bestimmtes Verhalten durch eine erstaunlich niedrige Anzahl von Verstärkungen auf unbegrenzte Zeit erhalten kann." (Skinner: Erziehung als Verhaltensformung. München 1971, S. 145 f.). Sehen wir zunächst einmal von der Verallgemeinerung auf alle möglichen Organismen und Lernsituationen ab, die das Gesetz zu umfassen vorgibt - ein Problem auf das wir später zurückkommen werden, und schränken wir es auf Ratten und die Versuchsanordnung in der Skinner-Box ein. Ohne weiter auf die Besonderheiten des Gesetzes bezüglich seines Inhalts einzugehen, stellen sich sofort zwei Fragen: Eckart Leiser Behaviorismus Seite 6 Erstens: Wie kann Skinner so sicher sein, daß das Verhalten der nächsten Ratte das Gesetz nicht außer Geltung setzt, ohne auf bestimmte allgemeine Strukturen und Funktionen in der psychischen Ausstattung von Ratten zurückzugreifen, die sich in jedem Exemplar dieser Art mit Notwendigkeit manifestieren, oder ohne zumindest auf ein logisches Prinzip der Induktion Bezug zu nehmen, das sich auf erkenntnistheoretische oder philosophische Gründe stützen könnte? Wir erinnern an das Beispiel von Francis Bacon, das verdeutlicht, daß die Gültigkeit induktiver Schlüsse keineswegs evident ist, ja daß diese sogar gefährlich sein können: Es handelt von einem Huhn, das über eine lange Zeit hinweg und aufgrund seiner täglichen empirischen Erfahrungen zur Überzeugung kam, daß das Geräusch des Schlüssels im Türschloß des Stalls der Versorgung mit Futter vorausgeht, bis zu seinem letzten Tag, als der Bauer kam, um das Huhn zu schlachten. Zweitens: Wie ist die Aufrechterhaltung eines bestimmten Verhaltens über unbegrenzte Zeit hinweg möglich ohne die Vermittlung irgendeiner Struktur von Gedächtnis, die die früheren Erfahrungen der Ratte festhält und ohne die entsprechende Bereitschaft, den Operanten einzusetzen? Oder sollen wir hier irgendein magisches Kausalitätsprinzip einführen, das mit den rationalen Ansprüchen Skinners kaum verträglich sein dürfte? Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun den praktischen Aspekten des Skinnerschen Ansatzes zu. Der zentrale praktische Aspekt wird aus dem folgenden Zitat deutlich: "Die externen Variablen, von denen das Verhalten eine Funktion ist, ermöglichen, was man eine kausale oder funktionale Analyse nennen kann. Wir möchten das Verhalten des einzelnen Organismus vorhersagen und kontrollieren. Das ist unsere "abhängige Variable" - die Wirkung, für die wir die Ursache finden müssen. Unsere "unabhängigen Variablen" - die Ursachen des Verhaltens - sind die äußeren Bedingungen, von denen das Verhalten eine Funktion ist. Relationen zwischen den beiden ... sind die Gesetze einer Wissenschaft. Eine Synthese dieser Gesetze, formuliert in quantitativen Begriffen, ergibt ein umfassendes Bild des Organismus als eines sich verhaltenden Systems." (Skinner: Wissenschaft und menschliches Verhalten. München 1973, S. 42). Und im Hinblick auf den praktischen Wert eines solchen Systems: "Wenn wir die Gesetze entdeckt haben, die in einem Teil unserer Umwelt wirksam sind, und wenn wir diese Gesetze in einem System geordnet haben, können wir diesen Teil der Welt wirksam kontrollieren. Dadurch, daß wir einen Vorgang vorhersagen können, können wir uns auf ihn einstellen. Indem wir Bedingungen schaffen, die durch die Regeln eines Systems bestimmt sind, sagen wir nicht nur voraus - wir steuern auch: Wir "verursachen" einen Vorgang oder bewirken, daß er bestimmte Charakteristika annimmt." (a.a.O. S. 23). Gemäß diesem mechanischen Prozeßverständnis setzt eine Bedingungsanalyse, die die Vorhersage und Kontrolle von Ereignissen zum Ziel hat, den totalen Zugang zu allen relevanten Variablen voraus, die auf das System Einfluß haben, und eine Vorrichtung, um diese zu erfassen. Es ist angebracht, einige Argumente gegen eine solche Forschungsstrategie zusammenzufassen, wie ich sie im einzelnen in meinen methodologischen Untersuchungen (Leiser 1987) herausgearbeitet Eckart Leiser Behaviorismus Seite 7 habe: - Eine erste Vorbedingung für eine solche Strategie ist die Möglichkeit, den Forschungsgegenstand von seiner Umgebung abzugrenzen oder zu isolieren (Stichwort: geschlossenes System). - Eine zweite Vorbedingung ist die Begrenztheit der Anzahl von Variablen innerhalb dieses geschlossenen Systems und außerdem ihre Zugänglichkeit. - Eine dritte Vorbedingung ist die sogenannte Linearität, gemäß der sich unabhängige Variable in ihren Effekten kombinieren. Wir haben ein sehr einfaches Beispiel im 2.Kapitel meiner methodologischen Untersuchungen kennengelernt, das Stress-Experiment, in dem diese Voraussetzung widerlegt wurde: derselbe Stressfaktor hatte, vormittags wirksam, einen positiven Effekt, nachmittags dagegen einen negativen. Sehen wir uns diese Vorbedingungen für die Voraussage und Kontrolle von Ereignissen im Fall der Ratten in der Skinner-Box genauer an (wiederum sehen wir zunächst von den Problemen ab, die hinzukommen, wenn man das Programm auf das natürliche Verhalten von Ratten oder gar auf menschliches Verhalten ausdehnt): Erstens: Weil die relevanten Variablen vorweg unbekannt sind, umsomehr im Rahmen eines Ansatzes, der jede Theorie ausschließt und der sich strikt auf die deskriptive Ebene verpflichtet, müssen wir davon ausgehen, daß sehr viel mehr Variablen bedeutsam sind als die in der Box selbst wirksamen. Und unter diesen gibt es Variable, die sich grundsätzlich der Kontrolle entziehen: die Tageszeit, die Jahreszeit, all die Rückwirkungen des Geschehens in der Umgebung der SkinnerBox. Zweitens: Selbst innerhalb der Box reicht es nicht, das von außen beobachtbare Verhalten der Ratte zu erfassen und die durch die Mechanismen der Box festgelegten Konsequenzen. Denn wie steht es mit den Prozessen der Reifung und des Alterns der Ratte, deren Existenz Skinner nicht bestreitet? Seine Antwort: "besteht nicht darin, daß diese etwa nicht existierten, sondern darin, daß sie für eine funktionale Analyse nicht relevant sind. Wir können uns mit dem Verhalten eines Systems nicht auseinandersetzen, wenn wir uns ganz in ihm aufhalten; wir müssen uns schließlich und endlich den Kräften zuwenden, die auf den Organismus von außen her einwirken." (a.a.O. S. 41). Mir erscheint diese Antwort wenig überzeugend, wie ich in Kürze darlegen werde. Drittens: Es wäre vollkommen willkürlich, die Linearität von Effekten in der Skinner-Box anzunehmen, d.h. also die Möglichkeit, eine Vorhersage des Verhaltens der Ratte stückweise zusammenzusetzen auf der Grundlage der isolierten "Gesetze", die von Skinner eins nach dem Eckart Leiser Behaviorismus Seite 8 anderen erforscht worden sind. Darüber hinaus stellt sich als weitere Frage die Durchführbarkeit des zitierten Skinnerschen Programms: Was geschieht mit den vielen Konsequenzen von Tätigkeiten, die nicht zur Logik der entsprechenden Versuchsanordnung gehören? Einige ausgewählte Kenngrößen eines Systems kontrollieren, die von anderen ausgewählten Kenngrößen seiner Umwelt abhängen, ist weit davon entfernt, das System insgesamt zu kontrollieren. Und selbst dieser Erfolg könnte sich mit der extremen Reduktion und Abstraktion erklären, die die Umwelt der Skinner-Box kennzeichnen. Und ein letzter Grund, dieses Programm in Zweifel zu ziehen: Da nach Skinner das Verhalten der Ratte, eines Organismus, nicht nur durch aktuelle Bedingungen determiniert ist, sondern außerdem durch zurückliegende Bedingungen, nämlich in der Skinnerschen Terminologie durch ihre Kontingenz-Geschichte, genügt es nicht, die Erfassung und Kontrolle während der experimentellen Sitzungen durchzuführen, sondern es wäre nötig, sie in Richtung auf eine lückenlose Erfassung und Kontrolle auszudehnen, von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod, 24 Stunden am Tag. Da eine solche Erfassung und Kontrolle nicht ohne weiteres durchführbar ist, nicht einmal im Fall von Ratten, muß man schon aus diesem Grund allein dem Skinnerschen Versprechen bezüglich des praktischen Nutzens des "operanten Konditionierens" ein wenig mißtrauen, behauptet er doch, "die operante Konditionierung formt Verhalten, wie ein Bildhauer einen Klumpen Lehm formt." (a.a.O. S. 93). Es versteht sich, daß eine Bewertung der Skinnerschen Ansprüche eine sehr viel tiefergehende Analyse erfordert, zu deren Zweck wir uns auf seine Grundlagen, den kategorialen Rahmen, die Logik seiner Argumentation und auf sein historisches Umfeld einlassen müssen. Das Ziel dieses ersten Schritts war, uns dem Skinnerschen Ansatz zunächst auf möglichst konkrete Weise zu nähern: indem wir die Skinner-Box betrachten, die den Ausgangspunkt und Kernpunkt seiner experimentellen Praxis bildet, verfügen wir über ein Muster seiner Grundbegriffe und über den Kontext, von dem viele seiner konzeptuellen Verallgemeinerungen ausgehen. Alles das haben wir in einem bewußt naiven Zustand unternommen, ohne die Behinderungen und Befangenheiten, die ein schon ausgearbeitetes Schema mit sich bringt, mit dem die zur Diskussion stehenden Phänomene wahrgenommen und interpretiert werden. Aber schon dieser naive Blick erbrachte einige Ergebnisse, die es sich für das Folgende festzuhalten lohnt: - Bisher bleibt eine erhebliche Lücke zwischen dem konkreten Geschehen in der Skinner-Box und den konzeptuellen Verallgemeinerungen Skinners - Es ist ziemlich zweifelhaft, daß man zu diesen Verallgemeinerungen auf einer streng deskriptiven Grundlage gelangen kann. - Es bleibt bisher wenig einleuchtend, wie Willkürlichkeiten beim Definieren der Verhaltenseinheit vermieden werden können. - Es bleibt ziemlich uneinsichtig, wie man ohne die Berücksichtigung innerer Zustände des Eckart Leiser Behaviorismus Seite 9 Organismus auskommen kann, insbesondere wenn es um langfristige Effekte des Lernprozesses geht. - Es ist selbst im Fall der Ratte ziemlich zweifelhaft, daß eine totale Erfassung und Kontrolle aller relevanten Variablen durchführbar ist, wie sie das Vorhersagen, Kontrollieren und Verändern von Verhalten in einem nicht nur oberflächlichen Sinn erfordert. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit einigen Argumenten beschäftigen, die Skinner beim Begründen seines Konzepts und seiner Ansprüche vorbringt. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 10 Kapitel 2: Wie Skinner sein Konzept und seine Ansprüche begründet Skinner beklagt sich in seinem Buch "Jenseits von Freiheit und Würde" (1973) darüber, daß die westliche Kultur sich selbst Fesseln angelegt hat, indem sie sich bezüglich ihres Umgangs mit dem Menschen an ein Tabu klammert. Das liegt an einem Menschenbild, das in einer mentalistischen Tradition verwurzelt ist. Aufgrund dieser Tradition konnten bisher die in den Naturwissenschaften liegenden Möglichkeiten nicht für die Lösung sozialer Probleme genutzt werden, die sich in unserer westlichen Welt ständig verschärfen. Nach Skinner schließt diese mentalistische Tradition einen Kult über die Sonderstellung des Menschen in der Welt ein, insbesondere über seine Freiheit und Würde. Indem er auf die Auffassung vom Leben im allgemeinen ausstrahlt, schreibt der Mentalismus den Organismen insgesamt bestimmte Eigenschaften zu, die die physikalische Welt überschreiten: das Psychische. Auf diese Weise ist die konsequente Anwendung der Kategorien und Methoden der klassischen Physik auf soziale Probleme bis heute durch den Mentalismus verhindert worden, so erfolgreich diese in den Naturwissenschaften sind und so viele Fortschritte bei der Organisierung unseres modernen Lebens sie auch gebracht haben. Die erste Aufgabe einer modernen Psychologie besteht nach Ansicht Skinners darin, mit dem Mentalismus ein für alle mal Schluß zu machen und eine Technologie des menschlichen Verhaltens zu entwickeln, die den von den Ingenieurwissenschaften entwickelten Technologien entspricht. Seine Experimente mit der Skinner-Box haben unter Beweis gestellt, daß eine solche Technologie des Verhaltens erreichbar ist. Alles das wohlgemerkt nach der Interpretation Skinners. Im Gegensatz zu anderen Kritikern des Mentalismus innerhalb der Wissenschaften wie etwa den Repräsentanten des Funktionalismus (James, Dewey, Angell), des Operationalismus (Bridgman, Hempel), des vom "Wiener Kreis" vertretenen logischen Empirismus (Carnap, Hahn, Wittgenstein, Reichenbach, Schlick) und des Behaviorismus allgemein (Watson, Thorndike, Tolman, Hull), ist Skinner nicht damit zufrieden, die mentalen Phänomene und Konstrukte in beobachtbaren Daten der von außen zugänglichen Realität zu verankern. Vielmehr fordert er die Abschaffung mentaler Phänomene als zulässige Gegenstände von Wissenschaft und die Abschaffung aller wissenschaftlichen Begriffe, die irgendeinen Bezug auf mentale Gegebenheiten nehmen. Indem er diesen Gedanken in Richtung auf Systeme überhaupt verallgemeinert, kommt Skinner zu dem Vorschlag, daß jede wissenschaftliche Untersuchung sich auf das Beschreiben derartiger Systeme beschränken sollte, und zwar mittels Beziehungen zwischen äußeren Variablen ihres "Verhaltens" und den äußeren Bedingungen ihrer Umgebung. Die Beschreibung derartiger Beziehungen sollte lediglich von physikalischen Begriffen Gebrauch machen wie Zeit, Länge, Masse und Häufigkeit von Ereignissen. Vielleicht erkennt der eine oder andere, daß es sich hier um die Betrachtungsweise des "black box" -Konzepts handelt. Wohlgemerkt folgt dieses "black box"-Konzept nicht zwingend aus der Kritik des Mentalismus. Denn auch das Bestreiten des Psychischen rechtfertigt noch keineswegs die Abschaffung "innerer Eckart Leiser Behaviorismus Seite 11 Zustände" überhaupt. Umgekehrt wird niemand leugnen können, daß es "innere Zustände" sehr realer, ja sogar physikalischer Natur, gibt. Nehmen wir als Beispiel ein Auto! Als System betrachtet und unter dem Gesichtspunkt des strengen "black box"-Konzepts dürfte das Innere eines Autos insbesondere sein Motor und die übrige technische Ausstattung - bei einer Untersuchung seines Verhaltens kein legitimer Gegenstand sein. Nimmt man noch den Fahrer als weiteren Teil des Inneren hinzu, springen die absurden Konsequenzen einer solchen Betrachtungsweise ins Auge: Eine Untersuchung im strengen Sinn des "black box"-Konzepts müßte von allen wesentlichen Charakteristiken des Systems absehen: von den Manipulationen des Fahrers, die mit seiner Fahrtechnik zu tun haben, aber selbst wenn man den Fahrer ausklammert, also feste Einstellungen bezüglich des Gashebels, des eingelegten Gangs usw. unterstellt, von der Kenntnis all dieser Faktoren. Es wird nicht einfach sein, das Verhalten eines Autos unter solchen Bedingungen vorherzusagen oder zu kontrollieren. Man stelle sich etwa vor, daß man ein solches Auto untersucht, bei dem einmal der erste, ein anderes Mal der zweite Gang eingelegt ist: Man würde zu vollständig verschiedenen Beschreibungen hinsichtlich des gleichen Systems gelangen. Die Notwendigkeit, innere Zustände im Fall von Organismen einzubeziehen, ist ebenfalls offensichtlich, insoweit es sich um ihr vegetatives Verhalten handelt: etwa um ihre Reaktion auf Veränderungen der Außentemperatur, auf Verabreichungen von Pharmaka usw. Auf die Humanmedizin übertragen: Wie absurd, sich eine solche Medizin in den Händen von Anhängern der "black box" vorzustellen, die es ablehnen, die inneren Funktionen und Strukturen zu untersuchen, die für die von außen zugänglichen Variablen verantwortlich sind, und damit etwa außer acht zu lassen, daß das von außen gemessene Fieber auf eine innere Reaktion des Organismus z.B. bei der Abwehr von Infektionen zurückgeht, usw. usf.! Leider erschwert die Abschaffung innerer Zustände überhaupt, auf die die Vorstellung von "black box" nach der Art von Skinner hinausläuft, erheblich die Abgrenzung des speziellen Problems "mentaler Zustände" und die Bewertung seiner Argumente gegen den "Mentalismus". Jedenfalls ist Skinner in seiner Abneigung gegen "mentale Zustände" wirklich radikal bis zu dem Punkt, daß er auch noch gleich mit den "mentalen Zuständen" des Wissenschaftlers selbst aufräumt, d.h. mit dessen theoriebildenden Tätigkeiten. Nach seiner Ansicht sind diese Tätigkeiten ebenfalls unnütz und lenken darüber hinaus lediglich von den praktischen Zielen ab, nämlich die Beziehungen zwischen den äußeren Reizen und den Reaktionen des Systems herauszuarbeiten, die die Vorhersage und Kontrolle von dessen Verhalten ermöglichen. Auf die Psychologie angewendet bedeutet sein "Anti-Theorismus", daß selbst eine Theorie, die sich auf die äußeren Variablen beschränkt und auf ein Ordnen und Systematisieren etwa von Lernkurven zielt (zwischen der Reaktionshäufigkeit einerseits und Verstärkungsplänen andererseits), mit seinem Konzept nicht zu vereinbaren wäre. Erst recht weist er die Einführung von sogenannten "intervenierenden Variablen" zurück, also von vermittelnden Variablen, die formal theoretische Konstrukte bezüglich "innerer Zustände" ersetzen könnten, die das "black box"-Konzept ja ausschließt. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 12 Aus mathematischer Sicht ist ein solcher Rigorismus erstaunlich, denn selbst auf rein abstrakter Ebene kann das Zurückführen einer verwickelten Formel auf eine Kette von Komponenten, von denen eine auf der anderen aufbaut, oft einen ökonomischen Wert haben. Nehmen wir beispielsweise die Formel für die statistische Korrelation: als Substitutionen ist ökonomischer als die direkte Formel: und hat außerdem einen heuristischen Aussagewert. Aber ein heuristisches Moment, so formal es auch sei, könnte zu theoretischen Betrachtungen anregen und diese ihrerseits Überlegungen zur Existenz "mentaler Zustände". Und die Besessenheit Skinners angesichts der Gefahr, die von "mentalen Zuständen" ausgeht, scheint so tief zu gehen, daß er sich lieber in ein endgültiges Verbot "intervenierender Variablen" flüchtet. Allgemeiner betrachtet bleibt auch für einen Anhänger der "black box" das Problem, zumindest formal gewisse Übertragungsstationen in der zwischen Ursachen und Wirkungen liegenden Kette, die man sich nach diesem mechanischen Prozeßverständnis vorzustellen hat, in Betracht zu ziehen. Denn selbst wenn ich es ablehne, mich auf das Innere eines Organismus einzulassen, ändert das nichts daran, daß der Organismus ein Transformationsglied auf dem Weg von den Reizen zu den Reaktionen ist. Nimmt man für diese Station das Symbol "O", für den Reiz das Symbol "S" und für die Reaktion das Symbol "R", so haben wir die dreigliedrige Kette S -» O -» R. Deuten wir die Transformationen in jeder Station dieser Kette mittels mathematischer Funktionen an, hätten wir in einem ersten Schritt die Umformung des Reizes S in eine Empfindungsvariable E des Organismus: E = f1(S), und in einem zweiten Schritt die Umformung der Empfindungsvariablen E in die Reaktion des Organismus: R = f2(E). Selbstverständlich ergibt sich, setzt man die eine Funktion in die andere ein, eine direkte Beziehung zwischen dem Reiz und der Reaktion: Eckart Leiser Behaviorismus Seite 13 R = f2(E) = f2(f1(S)) = f(S) Wie man aus dieser sehr vereinfachten Andeutung der besagten Kette entnehmen kann, ist es in erster Linie eine praktische Frage, ob man diese direkte Beziehung in solche Komponenten zerlegt und dabei vielleicht in diesen Komponenten liegende ökonomische und heuristische Vorteile ausnutzt, oder ob man eine Gesamtformel bevorzugt. Aber an diesem Punkt spricht Skinner sein definitives Verbot aus: Eine solche Zerlegung ist nicht zulässig. Prinzipiell und in allen Fällen sind direkte Beziehungen aufzustellen. Wie es scheint, ist dieses Verbot selbst eine behavioristische Maßnahme, nur leider eine Verbotsmaßnahme, die auf der Angst vor den Konsequenzen gründet, und nicht eine mit Belohnung arbeitende Maßnahme, die auf überzeugenden Argumenten bezüglich ihrer Vorteile gründet. Und im übrigen steht eine solche Verbotsmaßnahme im Widerspruch zu den behavioristischen Regeln Skinners. Anscheinend hat seine Angst mit der Dynamik zu tun, die sich entfesseln könnte, wenn man erst einmal die Existenz des Organismus und seine konkreten Strukturen und Funktionen zur Kenntnis nimmt, als eigenständiges Glied auf dem Weg von den Ursachen zu den Wirkungen, eine Dynamik, die unversehens zu einer Aufweichung der Postulate seines radikalen Behaviorismus führen könnte. Noch konkreter könnte jemandem einfallen, über den Mangel an Übereinstimmung zwischen den obengenannten Formeln und dem wirklichen Verhalten des Organismus nachzugrübeln. Beim Untersuchen der Komponenten E = f1(S) und R = f2(E) könnte er in Betracht ziehen, daß die Funktionen f1 und f2 keinen unveränderlichen Charakter haben müssen, sondern außerdem von inneren Variablen abhängen, die von außen nicht kontrollierbar sind: beispielsweise physiologische oder Stoffwechselrhythmen, der Hormonspiegel oder, näher an der Psychologie: die Triebintensität, der motivationale oder emotionale Zustand usw. In wenigen Worten: jemand könnte schließlich und endlich akzeptieren, daß der Organismus Eigenschaften hat, die nicht auf die aktuellen äußeren Bedingungen zurückführbar sind, ja daß es möglicherweise sogar einen Spielraum autonomer Prozesse gibt. Wieder mit Hilfe der Funktionen f 1 und f2 angedeutet, könnte der Gedanke zur Einführung zusätzlicher innerer Variablen I1, I2, I3, I4, I5 usw. führen, zu physiologischen, stoffwechselspezifischen, hormonalen, motivationalen, emotionalen usw. Variablen, was vielleicht schließlich bei zwei revidierten Funktionen enden würde: E = f1(S,I1,I2,I3,I4,I5) sowie R = f2(E,I1,I2,I3,I4,I5) . Es ist dies eine Dynamik, die geradewegs zu den Konzepten des "Neo-Behaviorismus", etwa dem von Hull, führt, in denen die intervenierenden Variablen I1,I2,I3,I4,I5 nicht mehr lediglich eine Eckart Leiser Behaviorismus Seite 14 formale, sondern eine theoretische Rolle spielen. Und diese Gefahr, daß die Dynamik der intervenierenden Variablen sein antitheoretisches Konzept aus den Angeln hebt, beunruhigt Skinner offensichtlich. Nebenbei bemerkt, unterscheidet sich Skinner hinsichtlich dieser Angst eindeutig von den Schöpfern des "black box"-Konzepts. Für diese war der Versuch, die Funktionsweise von Systemen von außen zu beschreiben, unter der Annahme, daß das Innere solcher Systeme nicht zugänglich ist, mehr ein erkenntnistheoretisches oder methodologisches Spiel. Das besagt, daß das "black box"Konzept keinesfalls die dogmatische Leugnung eines Inneren, wie sie Skinner vornimmt, einschließt, sondern lediglich die Ablehnung, sich mit diesem zu beschäftigen. Vielmehr bestand die Idee darin, die Funktionen in diesem Inneren durch mathematische Funktionen zu ersetzen, ja sogar soweit nützlich verschiedene innere Umformungsglieder mittels entsprechender mathematischer Module darzustellen, womit wir geradewegs bei den sogenannten "intervenierenden Variablen" sind. Zusammengefaßt, stellt nach Ansicht Skinners der Organismus einen Hohlkörper dar, der alle seine Eigenschaften auf seiner Oberfläche trägt. Psychologisch betrachtet bestehen diese Eigenschaften im wesentlichen aus mehr oder weniger direkten mechanischen Schaltungen, die Reize in Reaktionen übersetzen. Rätselhafterweise erfordert die Geschichte des Organismus, insbesondere die Geschichte seiner Kontingenzen, die ja sein aktuelles Verhalten bestimmt und sich in den Lernkurven darstellt, auf dieser Körperoberfläche keine eigene Repräsentanz, um sich auf diese Verknüpfungen zwischen Reizen und Reaktionen auszuwirken. Eine derartige Repräsentanz würde ja auf so etwas wie ein Gedächtnis hinauslaufen, das unter die intervenierenden Variablen fallen würde, gegen die Skinner das besagte Verbot verhängt hat. Mithin scheint es so etwas wie eine unmittelbare Wirkung der Geschichte des Organismus auf sein aktuelles Verhalten zu geben. Während die Geschichte der Verstärkungen zumindest diese Art von Wirkung hat, nämlich einen Zunahmeeffekt auf die Häufigkeit eines Operanten auf dem Weg gewisser unmittelbarer Rückwirkungen, bleibt für die Geschichte der Bestrafungen nicht einmal diese Art von Wirkungen: Eine Strafe bewirkt nach Ansicht Skinners im wesentlichen eine vorübergehende Blockierung einer Tätigkeit, die von unangenehmen Zuständen begleitet ist. Nebenbei bemerkt sind diese fehlenden langfristiger Wirkungen auf das Verhalten das Hauptargument Skinners für eine Bevorzugung von Verstärkungen, die auf gewünschte Verhaltensäußerungen zielen, und keineswegs die ethischen Aspekte. Wohlgemerkt haben alle bisher angestellten Überlegungen nicht viel mit den wirklichen Beiträgen des Behaviorismus bei der Entwicklung von Formeln zu tun, die funktionale Beziehungen zwischen irgendwelchen Umweltvariablen und Verhaltensvariablen des Organismus beschreiben. Denn weder Skinner noch Hull (und genauso wenig Tolman, mit dem wir uns später beschäftigen werden) sind schließlich zu solchen Formeln von einem gewissen Erklärungswert gelangt. Skinner hat das, wie schon früher gesagt, nicht einmal versucht. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 15 Was Skinner angeht, hängt seine Polemik gegen die intervenierenden Variablen wie es scheint mit einer Verteidigung seines Programms des "Physikalismus" zu tun, dem er sich zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn verschrieben hatte. Der "Physikalismus" ging vom obengenannten "Wiener Kreis" aus, einer Strömung der Wissenschaftstheorie, die sich die Reinigung der Wissenschaften von metaphysischen Argumenten und Begriffen zum Ziel gesetzt hatte, und diese statt dessen auf einer möglichst logischen und empirischen Basis aufbauen wollte. Ihr Ziel war allerdings nicht die Abschaffung theoretischer Begriffe, sondern die eindeutige Bestimmung, Klärung und Kommunikation solcher theoretischen Begriffe. Ein Vorschlag in diesem Zusammenhang, von Carnap und Neurath formuliert, lief auf die Verankerung solcher Begriffe in physikalischen Tatsachen hinaus. Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Diskurs war es die Idee einer physikalistischen Sprache, in die man jeden theoretischen Streit nötigenfalls übersetzen könnte. Dieser "Physikalismus" hatte als mehr oder weniger naive psychologische Voraussetzung, daß die Welt der Erfahrungen in letzte physikalische Tatsachen zerlegbar ist, die eine unumstößliche Evidenz und Überzeugungskraft haben. Diese psychologische Naivität bei den Physikalisten des "Wiener Kreises" ist nicht weiter verwunderlich, kamen sie doch aus den klassischen Wissenschaften, für die ihr Vorschlag auch in erster Linie gedacht war. Angesichts der heute vorliegenden empirischen Evidenz und theoretischen Konzepte (genannt sei nur Piaget oder die Gestaltpsychologie) ist eine solche Vorstellung von der Zerlegbarkeit kognitiver Prozesse allerdings nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das Neue des Skinnerschen Programms bestand darin, sich nicht nur - wie andere Behavioristen auch - den Vorschlag des Physikalismus im Hinblick auf sein Konzept von Psychologie zu eigen zu machen, sondern gleichzeitig das eigentliche Ziel des Physikalismus zu liquidieren, nämlich Fortschritte bei der Konstruktion und Bewertung von Theorien zu ermöglichen. Zu diesem Standpunkt Skinners ein Zitat: "Sobald wir die praktische Kontrolle über den Organismus erreicht haben, werden Theorien über Verhalten ohne Daseinsberechtigung sein. Wenn wir die relevanten Variablen darstellen und steuern, erweist sich ein theoretisches Modell als unnütz, statt dessen haben wir uns mit dem Verhalten selbst zu befassen. Sofern sich eine Ordnung und Konsistenz des Verhaltens zeigt, werden wir es mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit weiterhin mit physiologischen oder mentalistischen Ursachen zu tun haben. Eine Tatsache kommt ans Licht, die an die Stelle eines theoretischen Hirngespinstes tritt." (Skinner: A case history in scientific method. In: S. Koch (Hsg.): Psychology: a study of a science II. 1959, S. 375). Und was seine eigene Methode betrifft: "... kann man das formulierte System auf folgende Weise kennzeichnen. Es ist positivistisch. Es ist mehr der Beschreibung als der Erklärung verpflichtet. Seine Begriffe sind durch Ausdrücke der unmittelbaren Beobachtung definiert, und ihnen werden keine lokalen oder physiologischen Charakteristiken zugeschrieben ... Mit solchen Begriffen werden lediglich Gruppen von Beobachtungen zusammengefaßt, Regelmäßigkeiten festgestellt und Eigenschaften des Verhaltens ausgedrückt. Es handelt sich nicht um Hypothesen im Sinn von Dingen, die man beweisen oder widerlegen muß, sondern um handhabbare Darstellungen schon bekannter Dinge. Was Hypothesen betrifft, benötigt man sie nicht mehr in diesem System - jedenfalls nicht mehr im gewohnten Sinn." (Skinner: The Eckart Leiser Behaviorismus Seite 16 behavior of organisms. 1938, S. 44). Zusammengefaßt, ist es wohl so, daß Skinner sich einiger Gedanken des Physikalismus bedient, ohne allerdings dessen ursprüngliche theoretische Ziele beizubehalten. An dessen Stelle führt er einen besonderen Empirismus ein, der eine etwas paradoxe Einfärbung hat: einerseits besteht seine Realität aus vollständig erfahrbaren und handhabbaren Gegebenheiten, andererseits hat sie einen vollständig abstrakten, entleerten und oberflächlichen Charakter, indem sie sich sauber in Reize, Reaktionen, Kontingenzen, Häufigkeiten von Operanten usw. aufteilt. Der hinter seinem Empirismus stehende Realismus ist ein subjektiver Realismus, gerichtet auf eine Wirklichkeit, die durch die Wahrnehmungsempfindungen, die Operationen und die Versuchsanordnungen des Forschers bestimmt ist. Diese Wirklichkeitsauffassung geht auf Ernst Mach (1838-1916) zurück, einen Philosophen, der den Versuch machte, die Philosophie und Erkenntnistheorie auf den unmittelbaren Empfindungen und Erfahrungen des Subjekts aufzubauen. Skinner stellt sogar einen ausdrücklichen Bezug zu Mach her, wie ein Zitat verdeutlicht, in dem er betont, daß er übereinstimmt mit "jener bescheideneren Auffassung von Erklärung und Verursachung, die wie es scheint zum ersten Mal von Mach vorgeschlagen worden ist ... (nach der, E.L.) Erklärung sich auf Beschreibung beschränkt und der Begriff der Funktion den der Verursachung ersetzt. Von einer vollständigen Beschreibung eines Ereignisses ist zu erwarten, daß sie eine Beschreibung seiner funktionalen Beziehung zu vorangehenden Ereignissen einschließt." (Skinner: The concept of the reflex in the description of behavior. In: J. Gen. Psychology 5, 1931, S. 440). Nebenbei bemerkt hat Lenin, in seinem Werk "Materialismus und Empiriokritizismus", eine sehr detaillierte Untersuchung der Position Machs durchgeführt. Der "Deskriptivismus" und "Physikalismus" Skinners führt auf zumindest zwei Probleme. Das erste schon erwähnte Problem ist die klassische Frage, wie ich zu irgendeiner Verallgemeinerung beispielsweise in der Form funktionaler Beziehungen auf der Grundlage reiner Beschreibungen gelangen will, wenn ich nicht ein vollkommen unempirisches Prinzip einführe, das Prinzip nämlich, daß die ganze Welt von allgemeinen Gesetzen beherrscht wird, die unmittelbar in den empirischen Phänomenen in Erscheinung treten und sich direkt auf der Ebene von Empfindungen und Beobachtungen widerspiegeln. Mit Sicherheit ist dieses Prinzip selbst nicht beobachtbar. Es drängt sich daher die Frage auf, ob es sich bei diesem Prinzip nicht um einen inneren Zustand größter Reichweite handelt. Leider sagt Skinner nichts, was geeignet sein könnte, seine diesbezügliche Position zu erhellen. Das zweite Problem, den Skinnerschen "Physikalismus" betreffend, läuft auf die Frage hinaus, wie man eine mit seinen Abstraktionen in Form von Reizen, Reaktionen, Kontingenzen usw. verträgliche Realität modellieren kann, eine Realität, an deren Oberfläche alles offenliegt, die vollständig manipulierbar und kontrollierbar ist. Skinner kommt das Verdienst zu, das mit Hilfe seiner Skinner-Box erreicht zu haben. Etwas vorsichtiger formuliert ist es Skinner zumindest Eckart Leiser Behaviorismus Seite 17 gelungen, eine Welt zu schaffen, die alle seine physikalistischen Interpretationen in bezug auf einen Organismus zuläßt (und teilweise gegen ihn durchsetzt) ohne auf Widrigkeiten zu stoßen. Hierzu trägt zumindest teilweise seine Wahrnehmung und abstrakte Begrifflichkeit bei, die es erlauben, alle Anzeichen zu verdrängen, die gegen seine Interpretationen sprechen (wie als Beispiel für die Lernkurven in Abschnitt 5 meiner methodologischen Untersuchungen [Leiser 1987] vorgeführt). Wir wollen deshalb hier zunächst offenlassen, in welchem Maß dieser Erfolg auf Willkürlichkeiten der Interpretation zurückgeht, in welchem Maß auf den Spielraum beim Deformieren eines Organismus, und in welchem Maß gar auf eine strategische Anpassung des Organismus an die Skinnerschen Versuchsanordnungen. Wie dem auch sei: aus pragmatischer Sicht kann man die Skinner-Box als eine Materialisation seines Physikalismus-Verständnisses bezeichnen. Damit haben sein wissenschaftliches Programm und im weiteren sein spezieller Behaviorismus eine materielle Basis. Auf diese Basis kann sich zum einen seine allgemeine Überzeugung der Manipulierbarkeit und Kontrollierbarkeit von Wirklichkeit stützen. Zum andern bietet diese Basis eine unerschöpfliche Quelle von Verallgemeinerungen in bezug auf das Verhalten von Organismen. Denn schon allein die Technologie der Skinner-Box ermöglicht unzählige Versuchsanordnungen und Variationen: Unmittelbare Verstärkungen, verzögerte Verstärkungen, regelmäßige Verstärkungen, periodische Verstärkungen, zufällig verteilte Verstärkungen, positive Verstärkungen, negative Verstärkungen, und das Gleiche in bezug auf Bestrafungen usw. usf. Und jede Kurve entspricht einer gesetzmäßigen Beziehung. Es liegt wahrscheinlich an diesem Überfluß an Ergebnissen, auch wenn sie nur von Ratten und Tauben stammen, allesamt geradewegs verallgemeinert und interpretiert, ohne die Widrigkeiten, die beim Vermitteln der Ergebnisse mit einer Theorie entstehen, daß der Skinnersche Ansatz eine solche Popularität erreicht hat, im Unterschied zu anderen theorieorientierten Ansätzen wie dem von Hull, der an seinen theoretischen Ansprüchen gescheitert ist. Darüber hinaus begünstigt das Fehlen theoretischer Ansprüche im Fall Skinners eine Extrapolation der mit der Skinner-Box gewonnenen Ergebnisse auf das menschliche Individuum und sogar auf die menschliche Gesellschaft hin. Denn als Hohlkörper betrachtet, der an seiner Oberfläche mit mechanischen Schaltungen ausgestattet ist, hört der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Ratte auf, ein qualitativer zu sein und nimmt einen hochgradig quantitativen Charakter an: der Mensch hat einige Schaltungen mehr, die aus etwas komplizierteren Mechanismen bestehen. Bleibt das Problem, eine Umwelt zu konstruieren, die der der Skinner-Box entspricht, und dieses stellt sich als etwas verwickelt dar, weil dieses Mal der Konstrukteur bzw. Manipulator der SkinnerBox und deren Insasse zur gleichen Spezies gehören, und die Zuweisung der beiden Rollen als zunächst ziemlich willkürlich erscheint. Hier gibt es zwei Lösungen des Problems. Entweder man nutzt die natürliche Hierarchie unter den Menschen aus, überträgt also die Rolle des Konstrukteurs Eckart Leiser Behaviorismus Seite 18 bzw. Manipulators den für Verhaltensprobleme zuständigen Personen, somit also den Psychologen, oder aber man bringt die Betroffenen dazu, freiwillig die Rolle des "Insassen" zu übernehmen. Aber da auch nach dieser Rollenzuweisung die Welt der betroffenen "Insassen" nicht aufhört, sich vom physikalistischen Modell sehr zu unterscheiden und voll von nicht kontrollierbaren Bedingungen bleibt, setzt das Skinnersche Konzept letztlich die Bereitschaft des Menschen voraus, seine behavioristische Welt selbst zu organisieren oder zumindest an deren Organisation teilzunehmen. Ein Beispiel dafür ist die therapeutische Technik der Selbstkontrolle, ein anderes Beispiel die Übernahme der Verhaltensregeln beim Eintritt in eine behavioristisch verfaßte Gemeinschaft, wie sie von Skinner in seinem Roman "Futurum II" skizziert wird. Natürlich stellt uns diese Fähigkeit des Menschen, sich einerseits freiwillig einem Regime der Selbstkontrolle zu unterwerfen, andererseits für seine Mitmenschen nach seinem Geschmack Systeme zu deren Kontrolle zu konstruieren, und alles das im Rahmen eines physikalistischen Konzepts, vor einige Rätsel, auf die wir im folgenden zurückkommen werden. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 19 Kapitel 3: Die Defizite und Widersprüche im Ansatz Skinners Als Einführung ins Thema soll das Phänomen dienen, daß Skinner Bücher produziert, voll mit Argumentationen, Reflexionen und Schlußfolgerungen, und daß sich diese Bücher an Leser richten, die fähig sind, alles das in sich aufzunehmen. Die Frage drängt sich uns auf, wie die Existenz und die Funktion derartiger Texte innerhalb der behavioristischen Logik faßbar sein soll. Scheint es doch ein großer Schritt zu sein von der Situation einer Skinner-Box, in der die Ratte einen Knopf zu drücken lernt mittels Verabreichung von Futter, zu einer Situation, in der Herr Skinner einen wissenschaftlichen Text schreibt mit dem Ziel, daß andere Leute ihn später lesen. Lassen wir zunächst einmal die Frage beiseite, aufgrund welcher Kontingenzen sich diese Gewohnheit gebildet hat, wissenschaftliche Texte zu schreiben, und beschränken wir uns auf die anscheinend einfachere Frage nach der Funktion solcher Texte innerhalb einer durch die behavioristischen Prinzipien bestimmten Welt. Um welches Ziel auch immer im Hinblick auf seine Zeitgenossen es sich bei Skinner handeln mag: es muß sich wohl darum handeln, irgendeinen Einfluß auf deren Verhalten auszuüben. Aber wieso vertraut Skinner auf so dunkle Vorgänge wie ein Buch lesen, statt daß er direktere Kontingenzen und greifbarere Verstärker einsetzt, um seine Vorstellungen durchzusetzen, in Übereinstimmung mit seiner antimentalistischen Position und seiner Betonung unmittelbarer Beziehungen? Nun gut, Skinner hat sich hier anders entschieden ohne das zu erklären. Aber selbst das einmal gegeben, ist die Mühe nicht überflüssig, die besagte Situation, nämlich das Lesen eines behavioristischen Buchs, in die behavioristische Terminologie zu übersetzen. Ein Versuch in dieser Richtung stammt von Noam Chomsky. Seine Argumentation ist zwar ein wenig verwickelt, aber strikt auf der Logik von Skinner aufgebaut. In seinem Aufsatz "Psychologie und Ideologie " (Cognition 1, 1972, S. 11-46) untersucht er die Funktion des Buches "Jenseits von Freiheit und Würde". Zunächst gelangt er zu dem Schluß, daß der plausibelste Grund, ein behavioristisches Buch zu schreiben, eigentlich in seiner Verstärkungswirkung im Hinblick auf ein gewünschtes Verhalten bestehen müßte: "Ein Buch lesen kann also das Verhalten nicht ändern, es sei denn, daß es sich um einen Verstärker handelt, d.h. also, wenn "das Buch lesen" die Wahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht, die zum Lesen des Buchs geführt hat (einen geeigneten Zustand des Mangels unterstellt). Sicher würde Skinner argumentieren, daß "das Buch lesen" oder vielleicht das Buch selbst einen Verstärker in irgendeinem anderen Sinn darstellt. Er will uns mit dem Buch zu etwas überreden oder von etwas überzeugen, und es überrascht nicht, daß er auf die Überredung als eine wenn auch schwache und weniger wirksame Form der Verhaltenskontrolle Bezug nimmt. Skinner hofft also, uns zu überreden, um für die Verhaltenstechnologen einen erweiterten Spielraum zu schaffen, und offensichtlich glaubt er, daß "das Buch lesen" die Wahrscheinlichkeit erhöhen wird, daß wir uns auf eine Weise verhalten, die jenen einen erweiterten Eckart Leiser Behaviorismus Seite 20 Spielraum (oder Freiheit?) einräumt. Auf diese Weise verstärkt "das Buch lesen" dieses Verhalten, wird er behaupten. Es wird unser Verhalten bezüglich der Verhaltenswissenschaft verändern. Wir werden jetzt das Problem untersuchen, wie die Redeweise "das Verhalten, das zu einem erweiterten Spielraum für die Verhaltenstechnologen führt", etwas genauer spezifiziert werden kann, eine innerhalb seiner Terminologie nicht durchführbare Aufgabe, und den Anspruch untersuchen, daß "das Buch lesen" ein solches Verhalten verstärkt. Unglücklicherweise ist dieser Anspruch falsch, wenn wir den Begriff "Verstärker" in irgendeiner seinem technischen Sinn entsprechenden Weise verwenden. Wenn wir uns daran erinnern, daß "das Buch lesen" das gewünschte Verhalten nur dann verstärkt, wenn jenes seine Konsequenz von ebendiesen ist, so ist offensichtlich das Verhalten, das zum Lesen des Skinnerschen Buchs führt (und durch dieses also verstärkt werden kann), nicht damit identisch, sein Schicksal in die Hände der Technologen zu legen. Wenn wir diese Feststellungen zusammenfügen, sehen wir, daß "das Buch lesen" oder "das Buch schreiben" wie Skinner erst dann einen Sinn macht, wenn wir das Anliegen des Buchs von der "Verhaltenswissenschaft" trennen, in der es angeblich seine Grundlage hat." (a.a.O. S. 21-22). Chomsky fährt fort damit zu zeigen, daß die von Skinner unterstellte "Überredung", mit der er den Sinn seiner Bücher rechtfertigen kann, in keinerlei Zusammenhang steht mit seinem Konzept von Kontingenzen, Verstärkern und Operanten, das das ständige Thema der gleichen Bücher bildet, es sei denn, daß man seine Begriffe zu reinen Metaphern hin aufweicht. Verfährt man aber derart, müßte man sich andererseits damit abfinden, daß seine Bücher den letzten Rest an Überzeugungskraft/ Überredungswert verlieren würden, denn dieselben Metaphern wären auf ein gegenteiliges Buch anwendbar: eine Konsequenz, die zu einer weiteren Widerlegung der Skinnerschen Position führen würde. Bedeutet doch dieses Argument konkret, daß auf der Grundlage der gleichen behavioristischen Metaphern die Lektüre der so vielfältigen Populärliteratur über Psychoanalyse oder sogar die heutzutage so in Mode stehende Astrologie das Verhalten der Menschen ebenso beeinflussen würde, und zwar im Sinn dieser dem Behaviorismus entgegengesetzten Positionen. Die gerade angestellte Analyse stellt mehr als ein logisches Spiel dar, führt sie doch zu wichtigen Fragen bezüglich anderer Medien, die es außer dem Schreiben wissenschaftlicher Bücher gibt, und über die Skinner und seine Anhänger verfügen, um ihre Ideen durchzusetzen. Wir werden auf ein solches anderes Medium, seinen Roman "Futurum II", im nächsten Kapitel zurückkommen. Zunächst werden wir uns etwas detaillierter mit dem metaphorischen Gebrauch seiner Terminologie und den falschen Evidenzen beschäftigen, mit denen die Argumentation Skinners arbeitet. Als Beispiel für einen metaphorischen Gebrauch einer der unzähligen Vorschläge Skinners bezüglich der Fähigkeit der behavioristischen Terminologie, die Umgangssprache zu präzisieren: Nach Skinner ist die Bemerkung "Du solltest David Copperfield lesen (ein Roman von Charles Dickens, E.L.)" übersetzbar in "Du wirst verstärkt werden, wenn Du David Copperfield liest", wohlgemerkt verbunden mit einem Gewinn an Präzision und einer Ausschaltung mentalistischer Verunreinigungen. Aber was soll dieser Satz bedeuten, im genauen Sinn der Begriffe, wie sie beispielsweise auf die Rattenexperimente mit der Skinner-Box angewendet werden? Anstelle eines Eckart Leiser Behaviorismus Seite 21 Gewinns an Präzision stoßen wir nämlich auf einen Präzisionsverlust: Ein erstes Defizit betrifft die Frage, ob das Lesen von David Copperfield einen Operanten oder schon den Akt der Verstärkung darstellt. Wählen wir die erste Alternative, versuchen wir also, "David Copperfield lesen" als Operanten zu behandeln, so haben wir als Ergebnis die Interpretation: Das Buch lesen führt als Konsequenz zu einem Zustand der Verstärkung, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, die Lektüre zu wiederholen. Was gegen diese Interpretation spricht ist der Suchtcharakter, den damit die Lektüre dieses Romans annimmt. Ich kenne keinen in meinem Umkreis, der das gleiche Buch immer wieder unermüdlich liest, nicht einmal für eine äußerst imponierende Verstärkung und nicht einmal bei einem extrem spannenden Buch (da auch diese Spannung sich spätestens nach dem zehnten Mal abnutzt). Wählen wir also die zweite Alternative aus, versuchen wir also "David Copperfield lesen" als Akt der Verstärkung zu behandeln, so ergibt sich als Interpretation: Es gibt ein - nicht spezifiziertes Verhalten, das die Lektüre von David Copperfield zur Konsequenz hat, und dieses nicht spezifizierte Verhalten - der Operant - tritt nach der Lektüre mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf. Auch diese Interpretation befriedigt nicht: Denn welche mysteriöse Tätigkeit könnte sich hinter dem besagten nicht spezifizierten Verhalten verbergen, das der Lektüre direkt vorausgeht: Sich vor sein Bücherregal stellen? Sich ins Bett legen? Sein Kopfkissen richten? Wahrscheinlich hat Skinner hier eine etwas bescheidenere Bedeutung seines Begriffs "Verstärker" im Sinn: Daß es dem Leser zu lesen gefallen wird und punktum. Es würde sich dann allerdings um einen vollständig metaphorischen Gebrauch eines technischen Begriffs handeln. Wie dem auch sei: die Übersetzung führt insgesamt nicht zu einer Präzisierung der Botschaft sondern statt dessen zu deren Verfremdung und darüber hinaus zu einer Auslöschung von Informationen. Denn man kann sich andere Bedeutungen der Botschaft vorstellen, die durch die Skinnersche Interpretation ausgeschlossen werden. Beispielsweise: "Dieser Roman beweist endgültig, daß es nicht der Mühe wert ist, Charles Dickens zu lesen" oder "Um meine Wertschätzung für Charles Dickens zu verstehen, empfiehlt es sich, seinen David Copperfield zu lesen", Bedeutungen, die nicht einmal unter einen metaphorischen Gebrauch des Begriffs "Verstärker" fallen. Das Beispiel verdeutlicht ein typisches Muster in den Argumentationen Skinners: Auf den ersten Blick erscheinen seine Argumente schlüssig. Wenn man sie aber genauer untersucht, verdunkelt sich ihr Sinn immer mehr, mit dem Ergebnis, daß deren wörtliche Interpretation uns auf puren Unsinn führt. Übrig bleibt eine metaphorische Interpretation, die in der Mehrzahl der Fälle auf eine Trivialität hinausläuft und zudem andere relevantere Bedeutungen ausschließt. Faßt man zusammen, so endet der Anspruch Skinners, die Skinner-Box als seine eigentliche Domäne seines Konzepts zu verlassen und dieses auf einen Erklärungsansatz der Welt insgesamt hin auszuweiten, in einer Verfremdung und Trivialisierung der entsprechenden Gegenstände. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 22 Chomsky unterzieht sich im besagten Aufsatz der Mühe, dieses Muster anhand vieler Beispiele herauszuarbeiten. Aber es gibt andere argumentative Defizite, die nicht einmal durch metaphorische Interpretationen zu heilen sind: die obengenannten falschen Evidenzen. Als Beispiel kritisiert Skinner eine Auffassung der Aufmerksamkeit, derzufolge ein plötzlich auftretender Reiz jeden Wahrnehmungsfilter durchbricht und die Aufmerksamkeit absorbiert. Nach Skinner dagegen ist die Beziehung in Wirklichkeit umgekehrt. Die Reize, zumindest die physikalisch weniger starken Reize "fesseln die Aufmerksamkeit nur insoweit, als sie in Kontingenzen der Verstärkung eine Rolle gespielt haben." (Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde, Reinbek bei Hamburg 1973, S. 191). Und wie steht es mit den vielen erstmaligen oder einmaligen Erfahrungen, die wir mit außerordentlichen Reizen haben, wie etwa einem phantastischen Sonnenuntergang, einer Sternschnuppe, dem ersten Schnee in unserem Leben oder, um Chomsky noch einmal zu zitieren, "einer Katze mit zwei Köpfen"? Zum Abschluß unserer Untersuchung zum wissenschaftlichen Nutzen der Skinnerschen Terminologie möchte ich allerdings darauf hinweisen, daß ich im Gegensatz zu Chomsky nicht meine, daß die Bücher Skinners lediglich irgendwelche Versuche eines wissenschaftlichen Dilettanten und Schwindlers darstellen. Gegen diese Bewertung spricht der enorme Einfluß dieser Strömung zeitgenössischer Psychologie sowie die Verbreitung und Publizität seines Werks. Chomskys Problem scheint eine Überschätzung logischer Konsistenz als Kriterium für die Macht einer wissenschaftlichen Position zu sein und gleichzeitig eine Unterschätzung der strategischen Aspekte bei den Schlachten um die Köpfe der Menschen, im gegebenen Fall auf wissenschaftlichem Feld. Bezieht man das auf die Frage nach der Funktion der Skinnerschen Bücher, so könnte es sein, daß es nicht die logische Konsistenz und die begriffliche Genauigkeit ist, die zählt, sondern genau die in jenen Büchern erfahrbare Verfremdung und Trivialisierung. Läßt man von dem naiven Glauben ab, daß die einzige Funktion eines Buchs über den Behaviorismus nach Skinnerschem Muster die Übermittlung der behavioristischen Botschaft ist - eine in sich widersprüchliche Funktion, wie Chomsky gezeigt hat -, könnten solche Bücher genau auf das Einüben der Verfremdungen und Trivialisierungen zielen, die die zukünftigen Bewohner einer von Skinner und seinen Anhängern herbeigesehnten weltweiten Skinner-Box aushalten müssen. Und dieses Projekt, die Menschen dazu zu überreden, die Rolle von Bewohnern einer Skinner-Box anzunehmen, hängt nicht primär vom wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt und der logischen Konsistenz seines Konzepts ab, sondern vor allem von den Bedürfnissen der Betroffenen. Wie es scheint, kann Skinner hier von einem tiefgreifenden und ziemlich verbreiteten Bedürfnis nach einer vereinfachten und nach mechanischen Regeln ablaufenden Welt ausgehen, die ein sichereres und angstfreies Leben ermöglichen, zumindest in den USA, wie das dort verbreitete Sektenwesen zeigt. Gemäß dieser Interpretation sollte man ein Buch wie "Jenseits von Freiheit und Würde" nicht so sehr als wissenschaftlichen Text, sondern eher als Sammlung von Übungen betrachten. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 23 Auf der anderen Seite leidet die Kritik Chomskys an einer Unterschätzung der strategischen Aspekte: Wie die Reaktionen Skinners und seiner Anhänger beweisen, kommt die Kritik Chomskys, so konkret sie auch sein mag, zu sehr von außen, weshalb sie als spitzfindig zurückgewiesen werden kann. Es gelingt Chomsky deshalb nicht, das eigentliche Fundament des Skinnerschen Konzepts zu erschüttern: seine experimentelle Methodologie, seine mit derartigen Experimenten gewonnenen Ergebnisse und seine auf diesem Werk gegründeten terminologischen und erkenntnistheoretischen Vorschläge. Wie dem auch sei: Jetzt wo die Überzeugungskraft seines Konzepts erschüttert ist und wir seiner argumentativen Konsistenz aufgrund der bisher untersuchten Fehler und Ungereimtheiten mißtrauen, wollen wir im folgenden etwas genauer und systematischer die terminologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen seiner Position untersuchen. Ein erster Punkt betrifft den Anspruch Skinners, beim Ausarbeiten und bei der methodologischen Begründung seines Behaviorismus ohne irgendwelche theoretischen Begriffe auszukommen. Wie er vorgibt, gelingt ihm das, indem er sein Konzept auf strikt empirischen Begriffen aufbaut, die in von außen beobachtbaren Ereignissen verankert sind. Wir haben dieses Problem bereits im letzten Kapitel berührt, haben es aber auf mehr allgemeine Weise behandelt, im Zusammenhang mit seinem impliziten "black box"-Konzept. Wir wollen das Problem jetzt detaillierter untersuchen und uns dabei auf seine eigentliche Begrifflichkeit beziehen. Der elementarste und allgemeinste Begriff in diesem Zusammenhang ist die Reaktionshäufigkeit. Ich denke nicht, daß es nötig ist, darauf hinzuweisen, daß der Erklärungswert einer Häufigkeit für sich genommen sehr beschränkt ist: Wenn man herausfindet, daß eine Ratte eine bestimmte Reaktion in der ersten Minute 5 mal produziert hat und 8 mal in der zweiten Minute, kann das sicher als Grundlage dienen, um ihren Akkordlohn auszurechnen (für den Fall, daß es sich um eine nützliche Tätigkeit handeln sollte), irgendwelche wissenschaftlichen Schlußfolgerungen erlaubt ein solches Ergebnis aber nicht. Das Problem hängt zusammen mit dem sehr begrenzten Wert der deskriptiven Statistik, ein Problem, zu dem es eine breite Diskussion gibt, zu der ich selbst, nebenbei gesagt, einige Aufsätze beigetragen habe. Die gesamte schließende Statistik würde es nicht geben, wenn wissenschaftliche Schlüsse möglich wären, die direkt aus Häufigkeiten gezogen werden. Die schließende Statistik stellt klar, daß jeder wissenschaftliche Schluß, d.h. jede auf empirischen Häufigkeiten gegründete Verallgemeinerung, den Rückgriff auf einen theoretischen Begriff, nämlich die Wahrscheinlichkeit, erfordert. Erst unter dem Gesichtspunkt dieses theoretischen Begriffs kann argumentiert werden, daß sich in den empirischen Häufigkeiten mehr oder weniger deutlich eine Wahrscheinlichkeit manifestiert, die den entsprechenden Prozeß allgemein, d.h. über die einzelnen Ereignisse hinaus, charakterisiert. Und erst mit diesen Verallgemeinerungen beginnt die Relevanz derartiger Statistiken. Die Beziehung zwischen der Wahrscheinlichkeit als allgemeine Charakteristik eines Prozesses und der in einer Zufallsstichprobe gefundenen empirischen Häufigkeit, ob eng oder lose, ist der zentrale Gegenstand Eckart Leiser Behaviorismus Seite 24 der mathematischen Statistik. Diesen Hintergrund der empirischen Häufigkeit gegeben, läßt sich besser einschätzen, was der naive Umgang mit empirischen Häufigkeiten und anderen deskriptiven Statistiken in den Wissenschaften bedeutet. Häufig läuft er auf Ungereimtheiten oder auf den berühmten Mißbrauch der Statistik hinaus. Immer aber läuft er auf die heimliche Einführung von Voraussetzungen hinaus, insbesondere die Voraussetzung, daß der Prozeß stabile Strukturen hat, die eine Extrapolation der in der Vergangenheit gefundenen Ergebnisse auf die Zukunft hin rechtfertigen. Auf einen Würfel bezogen, führt eine solche Voraussetzung etwa zu der Erwartung, daß eine Augenzahl wie beispielsweise die "Eins" in der Zukunft mit mehr oder weniger der gleichen Häufigkeit auftreten wird wie in der Vergangenheit, wegen der unveränderlichen Struktur des Würfels und des Prozesses, in dem er geworfen wird. Selbstverständlich kann die Struktur auch einen Mechanismus einschließen, der die Wahrscheinlichkeiten gemäß irgendeiner Funktion verändert, wie es bei den sogenannten stochastischen Prozessen oder den sogenannten Zeitreihen der Fall ist. Zu diesem Typ von Struktur gehören die Lernprozesse mit ihren entsprechenden von Skinner untersuchten Kurven. Analog unserem obengenannten Würfelbeispiel schließt hier jeder wissenschaftliche Schluß, etwa der Skinnersche Schluß von größter Allgemeinheit, nach dem Verstärkungen die entsprechende Reaktionshäufigkeit vergrößern, einige sehr substantielle Voraussetzungen ein, die die verborgene Struktur des Prozesses betreffen. So ist als eine erste Voraussetzung der Prozeß insgesamt in irgendeinem Moment des Lernverlaufs durch eine bestimmte Tendenz gekennzeichnet, die besagte Reaktion hervorzubringen, die sogenannte Reaktionswahrscheinlichkeit. Darüber hinaus und als zweite Voraussetzung ist der Prozeß insgesamt durch einen verborgenen Mechanismus bestimmt, der die Wahrscheinlichkeit der besagten Reaktion in Abhängigkeit vom Zeitverlauf und der Verstärkungsgeschichte vergrößert. Erst auf diese Voraussetzung gestützt, ist im obengenannten Beispiel die Erwartung gerechtfertigt, daß aus der dritten Minute mit ihren weiteren Verstärkungen schließlich noch mehr Reaktionen hervorgehen. Und schließlich und endlich gibt es eine dritte Voraussetzung, die substantiell ist und die die gerade behandelte Problematik überschreitet: daß die Artgenossen der gleichen Spezies, im gegebenen Fall die Ratten, gemeinsame Strukturen und Funktionen haben, die eine Verallgemeinerung der Ergebnisse in Richtung auf die gesamte Spezies rechtfertigen (ganz zu schweigen von den universalen Verallgemeinerungen Skinners, denen gemäß sogar jede Spezies, da sie den gleichen Gesetzen gehorcht, eigentlich die gleichen Strukturen und Funktionen besitzen müßte). Um an unseren Ausgangspunkt zurückzukehren: die "Reaktionshäufigkeiten" Skinners machen nur Sinn, wenn man sich auf ein theoretisches Konstrukt, die Wahrscheinlichkeit, beruft. Skinner selbst scheint dieses Problem zu sehen, jedoch ohne die Konsequenzen zu ziehen, wie sich aus dem folgenden Zitat ergibt: "Um den Kern von Thorndikes Effektgesetz zu verstehen (das Konzept in seiner allgemeineren Form, das die Erhöhung der "Reaktionshäufigkeiten" behauptet, E.L.), müssen wir eine klare Vorstellung von dem Begriff der "Reaktionswahrscheinlichkeit" gewinnen. Dieser Eckart Leiser Behaviorismus Seite 25 Begriff ist ungemein wichtig, doch leider auch sehr schwierig. In der Erörterung des menschlichen Verhaltens sprechen wir häufig von "Tendenzen" oder "Prädispositionen", zu besonderen Verhaltensweisen. Fast jede Verhaltenstheorie bedient sich bestimmter Begriffe wie zum Beispiel "Erregungspotential", "Habitstärke" oder "determinierende Tendenz". Doch wie läßt sich eine Tendenz beobachten? ... Wir beobachten nie eine Wahrscheinlichkeit als solche." Und dann findet Skinner die Lösung des Problems: "Wir behaupten von jemandem, er sei vom Bridgespiel "begeistert", wenn wir beobachten, daß er häufig Bridge spielt ... Eine "stark sexueller" Mensch ist jemand, der oft sexuell verkehrt ..." (Skinner: Wissenschaft und menschliches Verhalten. S. 66 f.). Dank dieser Entdeckung der Häufigkeit wird die Beschäftigung mit solchen Konstrukten wie der Wahrscheinlichkeit mit ihrem Geruch des Mentalismus für die Zukunft überflüssig. Was Skinner uns hier als Fortschritt verkauft, die Ersetzung der Wahrscheinlichkeit durch die empirische Häufigkeit, erweist sich als ein Schritt zurück um mindestens fünfzig Jahre statistischer, methodologischer und erkenntnistheoretischer Diskussionen über den Unterschied zwischen allgemeinen Strukturen und empirischen Daten, wie er sich sehr konkret im Zusammenhang des statistischen Zufalls manifestiert. In Wahrheit stellt seine Entdeckung einen Rückfall in einen naiven Empirismus dar, wie er das vorige Jahrhundert gekennzeichnet hat. Es scheint Skinner nicht zu stören, daß ausgerechnet Karl Popper, ähnlich wie Skinner ein Kämpfer gegen die Metaphysik in den Wissenschaften, sich der Notwendigkeit bewußt wurde, die empiristische Auffassung von Wahrscheinlichkeit zu überwinden, woraus sein Konzept der "propensity" entstanden ist, eine Auffassung von Wahrscheinlichkeit, die der oben gekennzeichneten Auffassung ähnelt (Popper: The propensity interpretation of probability. Br. J. Phil. Science 10, 1959/60, S. 25-42). Ein zweiter Punkt betrifft den Anspruch Skinners, beim Darstellen und Begründen von Lernprozessen ohne jede innere Zustände auszukommen. Genau betrachtet widerlegt schon das gerade bezüglich der Wahrscheinlichkeit entwickelte Argument die Möglichkeit, das zu erreichen. Denn die besagten Strukturen, die die Reaktionswahrscheinlichkeit innerhalb eines Lernprozesses bestimmen, befinden sich zwar teilweise in der Umgebung des Organismus, aber auch im Organismus selbst. Skinner ist sich über diese Konsequenz des Begriffs "Wahrscheinlichkeit" sehr wohl im klaren, wie sein Sprechen von "determinierenden Tendenzen" und der "Stärke von Gewohnheiten" im Kontext seines Zitats zeigt. Es gibt jedoch Argumente, die die zentraleren Aspekte dieser Angelegenheit treffen. Ein erstes Argument stammt aus der Automatentheorie. Diese Theorie hat auf ihrer allgemeinsten Ebene zum Ziel, die verschiedenen Funktionen und Fähigkeiten von Systemen der Selbstregulation so abstrakt und allgemein wie möglich darzustellen. Der herausragendste Vertreter der Automatentheorie ist A.M. Turing, andere bekanntere Vertreter sind N. Wiener und J. v. Neumann. In dieser Theorie werden die einfachstmöglichen Modelle formuliert, um die verschiedenen Typen der Selbstregulation darzustellen. Was nun bestimmte Theorien zu konkreten Systemen betrifft, so ist die allgemeinste und logisch ableitbare Forderung, daß die Erklärungen einer Theorie, soweit sie die Fähigkeiten zur Selbstregulation eines Systems betreffen, in die Sprache der Automaten übersetzbar sein müssen. Mit anderen Worten: eine notwendige Bedingung für die Adäquatheit Eckart Leiser Behaviorismus Seite 26 einer derartigen Theorie ist, daß man ihre die Selbstregulierung betreffenden Konstrukte in Form eines Automaten des entsprechenden Niveaus modellieren kann. Umgekehrt: Die Fähigkeit einer bestimmten Theorie, Prozesse der Selbstregulierung darzustellen hat als Grenze das Niveau der Automaten, die aufgrund der Konstrukte dieser Theorie modellierbar sind. Das heißt, daß eine Theorie zumindest die Strukturelemente enthalten sollte, über die ein Automat verfügt, der die entsprechenden Funktionen erfüllt. Bezieht man das auf den Skinnerschen Behaviorismus, so entspricht seine Auffassung vom Organismus als eines Hohlkörpers, der alle seine Eigenschaften auf seiner Oberfläche trägt Eigenschaften, die aus unmittelbaren Verknüpfungen zwischen Reizen und Reaktionen bestehen einem System ohne jegliche Fähigkeit zur Selbstregulation. Denn schon allein die primitivsten Funktionen der Selbstregulation erfordern zumindest zwei verschiedene innere Zustände: einen Zustand der Sensibilität in Bezug auf Reize, und einen anderen Zustand, in dem die Verarbeitung und Auswertung der gerade empfangenen Reize stattfindet. Das heißt, daß die von Skinner vorgestellten Organismen nicht über die Fähigkeit verfügen, sich zu verhalten, und erst recht nicht, zu lernen. Denn was die Fähigkeit zum Lernen betrifft, so schließen Lernprozesse, in die Automatentheorie übersetzt, zumindest eine Komponente ein, die die Erfahrungen des Systems speichert und den aktuellen "Input" vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen auswertet. Es gibt eine genauer ausgearbeitete Kritik von R.J. Nelson, die auf der Automatentheorie gründet (Behaviorism is false. The journal of philosophy LXVI, 14, 1969). Die Verteidigung einiger Anhänger Skinners wie etwa R. Schnaitter (Illinois Wesleyan University), der von der Möglichkeit spricht, auf eine solche Komponente zu verzichten, und stattdessen die Ereignisse selbst zu nehmen, so wie sie in der Umgebung des Organismus beobachtbar sind zum Zeitpunkt, wenn sie in die Geschichte des Organismus eintreten, bleibt für mich ziemlich rätselhaft, es sei denn, daß man den Ereignissen auch noch gleich die Verarbeitung ihrer eigenen Wirkungen auf den Organismus überträgt (woraus sich die noch absurdere Vorstellung einer Art Gedächtnis auf Seiten der Ereignisse selbst ergeben würde). Genaugenommen ist das Verlegen der Verarbeitung von Erfahrungen des Organismus in die Ereignisse selbst nicht die einzige Konsequenz, die aus dem Argument Schnaitters ableitbar ist. K.P. Noack (Leipzig, DDR), ein deutscher Kritiker Skinners, hat eine sehr interessante Analyse der Kategorien und Argumente Skinners vorgenommen, und ist dabei zum Schluß gelangt, daß das Denken Skinners so etwas wie ein "Fernwirkungsprinzip" einschließt, das seit einigen Jahrhunderten aus den Wissenschaften verbannt worden ist. An einem Beispiel der Humanpsychologie vorgeführt, wegen des größeren Anschauungswerts, bliebe diesem Prinzip gemäß die gesamte Geschichte eines Menschen in ausgebreitetem Zustand erhalten, in Form eines chronologischen Flusses von äußeren Ereignissen, der sich von seiner Geburt bis zur Gegenwart erstreckt. Und jedes Ereignis in diesem Fluß hat seine unmittelbare Wirkung auf das aktuelle Verhalten. Als Beispiel würden es nach dieser Ansicht und im Gegensatz zur Psychoanalyse nicht Eckart Leiser Behaviorismus Seite 27 innere, durch eine während der Kindheit erlittene traumatische Erfahrung gebildete, Mechanismen sein, die ein neurotisches Verhalten hervorrufen, sondern das Ereignis selbst würde über all die Jahrzehnte hinweg auf unmittelbare Weise wirken (s. K.P. Noack: Zur Kritik der Methodologie des Behaviorismus. In: W. Friedrich (Hrsg.): Zur Kritik des Behaviorismus. Köln 1979, S. 177). Es ist etwas schwierig zu entscheiden, welche Implikation des Skinnerschen Behaviorismus die irrationalere ist: die Fähigkeit von Ereignissen, für ihre eigene Verarbeitung zu sorgen oder das "Fernwirkungsprinzip". Ein zweites Argument gegen den Anspruch Skinners, ohne irgendwelche inneren Zustände auszukommen, betrifft seine Abschaffung von Dispositionsbegriffen wie "durstig sein", "hungrig sein", "traurig sein" usw. Solche Begriffe beziehen sich auf innere Zustände von Organismen, die von ihrem manifesten Verhalten unterschieden werden. Nach Skinner sind solche Dispositionsbegriffe Überbleibsel der mentalistischen Tradition und haben in einer rationalen Wissenschaft keinerlei Funktion. Zur Verdeutlichung seiner Argumentation ein Zitat: "Die zwei Feststellungen "er ißt" und "er ist hungrig" beschreiben den gleichen Sachverhalt.”Er raucht viel" und "er ist Gewohnheitsraucher" beschreibt den gleichen Sachverhalt... Die Gewohnheit, eine Feststellung durch eine andere zu erklären, ist gefährlich, insoweit sie den Eindruck hervorruft, wir wären dabei, die Ursache zu entdecken, und brauchten deshalb nicht weiter zu suchen. Darüber hinaus verwandeln solche Begriffe wie "Hunger", "Gewohnheit", "Intelligenz" etwas, was Merkmal eines Prozesses oder einer Beziehung ist, in etwas, was ein Ding zu sein scheint. Als Folge davon sind wir nicht auf die Merkmale vorbereitet, die schließlich im Verhalten selbst aufgedeckt werden müssen und warten weiterhin gespannt auf etwas, was vielleicht gar nicht existiert" (Skinner: Science and Human Behavior. S. 31). Für Skinner haben solche Dispositionsbegriffe einen "fiktiven Charakter" und taugen daher nur für Scheinerklärungen. Wie man sehen kann, ist Skinner wirklich entschlossen, mit allen Spuren des Mentalismus aufzuräumen. Die Frage ist jedoch, was auf dem Schlachtfeld nach der Schlacht übrigbleibt. Nähern wir uns dem Problem der Scheinerklärungen etwas ernsthafter an! Es gibt tatsächlich eine Tradition derartiger Erklärungen in der westlichen Welt, die man bis auf ihre Ursprünge in der Antike zurückverfolgen kann. Ich denke zum Beispiel an die Zweckursachen von Aristoteles, der als Erklärung für die Fähigkeit eines Vogels zu fliegen anführte, daß das auf seine Natur zurückgehe. Oder an die etablierte Psychologie, die festlegt, daß sich in der Summe von Punkten, die sich aus einer Sammlung von Items ergibt, die Intelligenz des Menschen ausdrückt. Oder an die Praktik der klassischen Psychiatrie, die das politische Engagement eines Menschen in das klinische Bild des "aktiven Reformers" verwandelt (wie das Tramer tut). Und vielleicht kann man auch noch die Meinung vertreten, daß es keinerlei Erklärungswert hat, einen Menschen, der viel raucht, der Gruppe der Gewohnheitsraucher zuzuordnen. In einer historischen Analyse, die ich im Rahmen meiner Untersuchung zum Entstehen von Logik und Mathematik durchgeführt habe, bin ich zum Ergebnis gekommen, daß solche Scheinerklärungen auf das Bedürfnis der antiken Gesellschaften, d.h. ihrer herrschenden Klassen, zurückgehen, eine Ordnung um jeden Preis zu errichten, nicht nur bezogen auf das staatliche System, sondern die ganze Welt umfassend. Paradoxerweise verbindet diese Besessenheit, die Welt unter die Kontrolle dafür erwählter Menschen zu bringen, Skinner mit Eckart Leiser Behaviorismus Seite 28 den Erfindern der Zweckursachen. Betrachten wir nun, im Vergleich mit den genannten Beispielen, die Beziehung zwischen Feststellungen wie "er ißt" und "er ist hungrig" oder "er trinkt" und "er ist durstig". Was das zweite Beispiel betrifft, ist es offensichtlich, daß es viele Situationen gibt, die die Gleichwertigkeit beider Feststellungen widerlegen. Man trinkt bei gesellschaftlichen Anlässen und Ritualen, ohne durstig zu sein, und umgekehrt ist man durstig ohne zu trinken, sei es wegen Mangel an Getränken oder sei es wiederum aus gesellschaftlichen Gründen. "Durstig sein" als Dispositionsbegriff hat somit durchaus einen Erklärungswert: einmal um zwischen verschiedenen Gründen zu trinken zu unterscheiden, und zum andern, um den sehr konkreten Zustand eines Bedürfnisses zu beschreiben, das sich zwar aktuell nicht realisieren kann, aber durchaus ein sehr spezifisches Verhalten auslösen kann (z.B. heimlich in einem Seminar zu trinken oder in der Wüste Wasser zu suchen). Was das erste Beispiel betrifft, erweist es sich als ziemlich zynisch, den Zustand "essen" und den Zustand "hungrig sein" für gleichwertig zu erklären angesichts einer Welt, in der die Hälfte der Bevölkerung an Hunger leidet, weil sie nicht über ausreichende Nahrungsmittel verfügt. Was die Konsequenzen dieses Arguments für das Skinnersche Konzept betrifft, selbst im engeren Sinn seiner experimentellen Ergebnisse und deren Interpretationen, so kommt auch Skinner nicht ohne wenn auch verborgene Annahmen in Bezug auf Zustände aus, die den klassischen Dispositionsbegriffen entsprechen, um etwa das Verhalten einer Ratte bei der Nahrungssuche zu erklären, wenn wir nicht wieder auf magische Vorstellungen wie das "Fernwirkungsprinzip" zurückgreifen wollen. Denn um Tätigkeiten des Trinkens und Essens zu erklären, ist es nötig, auf Prozesse der Selbstregulation einzugehen, für deren Darstellung man genau diese inneren Zustände benötigt. Wenn es Skinner gelingt, den Eindruck hervorzurufen, daß solche Dispositionsbegriffe unnütz sind, so hat das mit dem metaphorischen Gebrauch seiner Terminologie zu tun wie etwa dem Verbergen der durch den Hungerzustand ausgelösten Aktivitäten hinter deren "Verstärkerwert". Ich überlasse es dem Leser, die Texte Skinners noch einmal unter diesem Gesichtspunkt zu lesen. Wenn wir zusammenfassen, ergab unsere Analyse der Skinnerschen Beweise zugunsten einer Abschaffung von Dispositionsbegriffen ein weiteres Beispiel einer falschen Evidenz und einen weiteren Grund, seinen Argumentationen zu mißtrauen: wie sich erweist, enthält das, was auf den ersten Blick wie eine Scheinerklärung aussah, für ein Verständnis des psychologischen Gegenstands unverzichtbare Gesichtspunkte. Am Schluß unserer Untersuchung zu den Defiziten des Skinnerschen Behaviorismus möchte ich auf die sehr kontroverse Diskussion innerhalb des Behaviorismus selbst hinweisen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist ein aktuelles Buch mit dem Titel "B.F. Skinner - Consensus and Controversy", herausgegeben von S. Modgil und C. Modgil und im vergangenen Jahr erschienen. Es stellt eine Eckart Leiser Behaviorismus Seite 29 Sammlung von Einschätzungen zu verschiedenen Aspekten des "Skinnerismus" dar, die recht gut die Situation auf diesem Feld widerspiegelt. Mehr als die ziemlich gemäßigten Kritiken, die von anderen Strömungen des Behaviorismus kommen, macht die Reaktion seitens der strengen Skinneristen deutlich, in welchem Maß das konzeptuelle Gebäude Skinners rissig geworden ist. Man findet hier z.B. einen Aufsatz einer Miss Lynn C. Robertson (University of California), einer kognitiven Behavioristin, die die Skinneristen auf einige Erklärungslücken aufmerksam macht, die, nach ihrer Analyse, mit der Nichtbeachtung kognitiver Aspekte im Skinnerschen Konzept zu tun haben. Ein von ihr sehr konkret dargelegter Punkt ist die Unfähigkeit des Skinnerismus, das Auftreten von neuem Verhalten zu erklären, das aus der funktionellen Kombination bisher unabhängiger Komponenten hervorgeht. (In einem Beispiel von Epstein lernt eine Taube zunächst, einen Karton in eine festgelegte Richtung zu schieben. Außerdem lernt sie, auf einen anderen Karton zu steigen und gegen eine Bananen-Attrappe zu picken. Später in einer neuen Situation ist die Taube dann in der Lage, einen Karton unter eine aufgehängte Banane zu schieben, den Karton zu besteigen und gegen die Banane zu picken. Es handelt sich hier um eine Neubildung, die nicht so einfach auf der Grundlage von zufälligem Verhalten erklärt werden kann, das nach und nach durch Verstärkungen modelliert wird.) Die Reaktion ihres Widersachers, eines Mr. Terry J. Knapp (University of Nevada), besteht im wesentlichen in der Festlegung, daß die Erklärung derartiger Neubildungen ohne Nutzen ist, und daß es sich im übrigen bei Miss Robertson um eine "Repräsentationistin" handelt - nebenbei bemerkt eine originäre Scheinerklärung. Am Schluß des Streits gelingt es Mr. Knapp, sich zu beruhigen, und zwar durch eine Abgrenzung, indem er feststellt: "Ich glaube, es ist zutreffend, wenn man sagt, daß die Art von allgemeinen Fragestellungen, die die Arbeit der heutigen Kognitivisten leiten ... sich fundamental von dem unterscheidet, was die Forschung und die Schriften von Skinner bestimmte." (a.a.O. S. 306). Bei mir hinterläßt ein solcher Umgang mit Argumenten ein Gefühl des Unbefriedigtseins. Als noch krasseres Beispiel mag eine Diskussion zwischen J. Hinson (Washington State University) und John C. Malone (University of Tennessee) im gleichen Band dienen über das Problem der Verhaltenseinheit. Beiden gemeinsam ist die Angst, daß das gesamte Gebäude des Skinnerismus reif für den Einsturz ist, wenn man die Dinge weiter so laufen läßt wie sie laufen. Aber die Rezepte von beiden um das zu verhindern sind verschieden. Mr. Hinson sucht wie ein Priester den unveräußerlichen Kern des Skinnerismus, als den er die Verhaltenseinheit ausmacht, ausgerechnet den mit soviel Willkürlichkeiten belasteten Bestandteil, wie wir im 1. Kapitel gezeigt haben. Mr. Malone verhält sich ebenfalls wie ein Priester, aber wie ein zorniger Priester, der ein Scherbengericht gegen die Abtrünnigen des Skinnerismus veranstaltet, die er bis in die Redaktion des "Journal of Experimental Analysis of Behavior" hinein, das Organ des Skinnerismus, aufspürt. Darüber hinaus hegt er den Verdacht, daß sogar Skinner selbst von der allgegenwärtigen Zersetzung seiner Ideen angesteckt sein könnte, oder zumindest Opfer eines Selbstmißverständnisses sein könnte, vor allem wenn er sich mit "molekularen" Aspekten des Verhaltens befaßt, die mit der reinen Lehre eigentlich nicht vereinbar sind. Zwar geht er nicht bis zum Äußersten, dem Vatermord, aber sein Rezept scheint die Inquisition zu sein. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 30 Angesicht derartiger Angst und Verwirrung im Lager der Skinneristen stellt sich selbstverständlich die Frage, ob sich denn eine detaillierte Kritik überhaupt noch lohnt. Leider bedeutet die Krise eines wissenschaftlichen Systems noch nicht seinen automatischen Untergang, wie T.S. Kuhn überzeugend herausgearbeitet hat. Es gibt andere Mittel jenseits von Argumenten, um das Reich des Skinnerismus abzusichern, beispielsweise seine gesellschaftlichen Utopien, mit denen es offensichtlich gelingt, tiefe Bedürfnisse und Sehnsüchte einer Vielzahl von Menschen auszunutzen. Wir wollen uns mit diesen Utopien im nächsten Schritt unserer Untersuchung beschäftigen. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 31 Kapitel 4: Der utopische Entwurf Skinners als Versuch, die inneren Widersprüche seines Konzepts auf militante Weise zu lösen. Zu Beginn möchte ich in aller Offenheit zugeben, daß es mich eine große Überwindung gekostet hat, den utopischen Roman "Futurum II" zu lesen, in dem in größter Ausdrücklichkeit die utopischen Vorstellungen über eine Welt nach dem Geschmack des Skinnerismus dargestellt sind. Ich führe das auf die extreme Langweiligkeit dieses Buchs zurück, die einmal aus dem schriftstellerischen Dilettantismus Skinners resultiert und zum andern aus seinem missionarischen Eifer, mit dem er seine Utopie ausbreitet. Wenn man seinen Inhalt zusammenfaßt, handelt das Buch von einer Gruppe Personen auf der Suche nach einem ehemaligen Studenten ihres Colleges, einem gewissen Mr. Frazier, der in einer frühen Schrift seinen Plan ankündigte, eine neue Gemeinschaft zu verwirklichen, die auf den Verhaltenswissenschaften gründet. Verbunden durch ihre gemeinsame Frustration angesichts des Universitätslebens und ihrer US-amerikanischen Umgebung im allgemeinen, macht sich die Gruppe auf den Weg zur Gemeinde "Futurum II", wobei sie einer Einladung von Mr. Frazier folgt, sein dort im Aufbau befindliches Projekt näher kennenzulernen. Die Gruppe besteht aus Mr. Burris, einem Psychologie-Professor, der den Bericht in der ersten Person schreibt, aus Mr. Castle, einem Philosophie-Professor, aus Roger, einem ehemaligen Studenten von Mr. Burris und seiner Verlobten Barbara, und außerdem aus einem weiteren jungen Paar, Steve und Mary. Der Rest des Buchs besteht mehr oder weniger aus einer wortreichen Darstellung des neuen Lebens in "Futurum II" durch Frazier, seiner vielen Fortschritte und Vorzüge, eine nicht enden wollende Erzählung: ein Schöpfer ergeht sich in Lob über seine Schöpfung. Mittels einer sehr durchsichtigen Rollenverteilung versucht Skinner, diesem Wortfluß etwas Spannung einzuhauchen: Prof. Castle stellt die negative Figur dar, frustriert und zynisch, indem er jedes Motiv Fraziers in Frage stellt, allen seinen Argumenten mißtraut und vollständig im überholten Leben draußen gefangen ist. Er ist ein morbider Skeptiker ohne jeden Glauben, aber voll von dummen Vorurteilen, die mühelos und auf der Stelle widerlegbar sind. Gleichzeitig ist er eine unverzichtbare Figur, der ständig die Stichworte für die überlegenen und unwiderlegbaren Argumente von Mr. Frazier liefert und kontroverse Auseinandersetzungen ermöglicht, die allerdings auf wohl ausgewählte Einwände beschränkt bleiben. Darüber hinaus sorgt Castle für einen ständigen Kontrast: eine Verkörperung der schlechten Welt draußen, die für den Untergang reif ist, gegen die gute Welt drinnen, der die Zukunft gehört. Mr. Burris selbst übernimmt die Rolle eines gewissenhaften Beobachters von einwandfreiem wissenschaftlichen Ruf, dem es gelingt, eine emotionale Identifikation mit dem Projekt zu vermeiden, aber schließlich Schritt für Schritt durch die empirische Evidenz und die zwingenden Eckart Leiser Behaviorismus Seite 32 Argumente Mr. Fraziers überzeugt wird. Gleichzeitig hält er eine bestimmte Distanz gegenüber der Hauptfigur aufrecht, mit einem klinischen, wenn auch oberflächlichen, Blick für dessen kleine menschliche Schwächen, womit das Bild von Frazier als unerreichbares Genie ein wenig abgemildert wird. Während die drei Figuren Frazier, Castle und Burris die Hauptrolle im argumentativen Diskurs über "Futurum II" spielen, tritt der Rest, die beiden Paare, kaum als Subjekte in besagtem Diskurs in Erscheinung, sondern als Vertreter der vielen Alltagsmenschen, auf die das Programm von Futurum II zielt: als potentielle Kandidaten, deren Eintritt der Protagonist erwartet. Und tatsächlich beschließt schließlich das eine Paar, Steve und Mary, in Futurum II einzutreten, nachdem sie die Zustimmung von Prof. Burris eingeholt haben. Dagegen ist Barbara in solchem Maß von der Welt draußen verdorben, genauer: durch die traditionellen Prägungen einer Frau behindert, daß sie schließlich in ihr gewohntes Leben zurückkehrt, zusammen mit ihrem Verlobten Roger, der in der Falle seiner Liebesbeziehung gefangen ist. Die beiden Paare führen somit, wie es scheint, den Unterschied zwischen reversiblen und irreversiblen Schäden vor, die die Welt draußen verursacht. Wie man sehen kann, hat Skinner ein wohlausgearbeitetes Szenario eingerichtet, um uns von seinem utopischen Entwurf zu überzeugen: ein dümmlicher maßgeschneiderter Gegenspieler, eine unvoreingenommene Autorität, beeindruckt durch die immer erdrückendere Überzeugungskraft des Projekts, und ein Liebespaar, das der Leser mit seinen guten Wünschen begleitet, und das sich dem Protagonisten und seinem Projekt vorbehaltlos anvertraut. Nach alledem: Was erfährt der Leser über den Inhalt des Projekts, über das neue Leben in Futurum II? Wie beweist sich die Überzeugungskraft des utopischen Entwurfs auf der Ebene entsprechender Erfahrungen der beteiligten Personen? Erstaunlicherweise kommt es, was die genannten Personen betrifft, kaum zu Kontakten und unmittelbaren, authentischen Erfahrungen. Die Gruppe verbringt den Besuch mehr oder weniger isoliert und unter der Kontrolle sowie ständigen Aufsicht der Hauptfigur. Und soweit zufällige Begegnungen mit den regulären Bewohnern der Kolonie vorkommen, erfährt der Leser nichts über irgendwelche Gespräche, konkrete Situationen, oder darüber, wie die Bewohner ihr Leben dort subjektiv erfahren. Die Menschen dort scheinen hinter einer Glaswand zu leben. Und wenn eine der Figuren in Kontakt mit diesen Menschen tritt, verschwindet sie letztlich auch hinter dieser Glaswand. So beschränkt sich die empirische Evidenz auf einige technische Besonderheiten dieser neuen Welt: die Teegläser haben ein schmaleres und längeres Format, um beim Schlendern durch die Säle ihren Inhalt nicht zu verschütten. Die Tabletts in der Cafeteria bestehen aus Glas, um die Arbeit des Geschirrwaschens zu vereinfachen. Auch die Babies werden in klimatisierten Glaskästen aufgezogen, auf Plastikpolstern gelagert und lediglich mit Windeln bekleidet, wiederum um die Reinigungsarbeit zu vereinfachen. Das Zentrum der Kolonie besteht aus einem integrierten Gebäude, das alle Bewohner faßt, und weitere Details dieser Art. Die Beschreibungen dieser physischen Eigenschaften der neuen Welt hören sich an wie ein Stilleben, entleert von allen Subjekten, die ihnen ihre Funktionen geben: Es scheint hier eine Eckart Leiser Behaviorismus Seite 33 verkehrte Beziehung zwischen Dingen und Menschen zu bestehen. Alle übrigen Informationen über das Leben in der neuen Welt, das sind schätzungsweise 90 Prozent, stammt aus den Reden, den Exkursen, besser gesagt: aus den Predigten des Protagonisten, in denen er die unzähligen Vorteile des neuen Lebens in aller Ausführlichkeit anpreist. Auf diese Weise erfährt der Leser, aus der Perspektive des Schöpfers selbst, eine Unzahl von Prinzipien und Details, die das Modell von Futurum II kennzeichnen: Was die Organisationform betrifft, so hat man mit allen demokratischen Prinzipien Schluß gemacht zugunsten eines Regimes von Spezialisten. Die "Regierung" besteht aus einem Komitee von 6 Planern, die sich auf eine Gruppe von Managern stützt. Die Regierung, die vom Protagonisten selbst eingesetzt worden ist, sorgt für ihren eigenen Nachwuchs, indem sie rechtzeitig Kandidaten bestimmt, aus der Gruppe der Manager, bevor ein Planer nach 10 Jahren aus seinem Amt ausscheidet. Die Manager ihrerseits werden aus dem Kindermaterial ausgewählt, sobald deren herausragende Intelligenz festgestellt worden ist. Sie stellen die biologische Elite von Futurum II dar. Bis jetzt gilt die intellektuelle Ausstattung als unveränderliche Naturtatsache. Man betreibt aber bereits die nötige genetische Forschung, um das Heranzüchten eines möglichst begabten Nachwuchses zu optimieren. Andererseits - und das ist die einfache Rechtfertigung für die Herrschaft einiger weniger über die Masse - muß man einer Naturtatsache ins Auge sehen: "Die meisten Menschen leben von einem Tag zum anderen, oder es kommt, falls sie doch auf längere Sicht planen, wenig mehr heraus als die Sicht auf natürliche Vorgänge; sie freuen sich darauf, Kinder zu kriegen, sie großzuziehen und so weiter. Die Mehrzahl der Menschen will aber gar nicht planen. Sie wollen im Gegenteil von der Verantwortung des Planens frei sein. Was sie anstreben, ist lediglich die Gewißheit, daß für sie gesorgt wird. Was übrig bleibt, ist ein Lebensgenuß von einem Tag zum andern ... Eben diese Leute fühlen sich hier absolut glücklich." (Futurum II. Hamburg 1970, S. 151 f.) Das System, mit dem das Leben der Bewohner organisiert und kontrolliert wird, wird vom Komitee ausgearbeitet und ständig überarbeitet, wobei die von den entsprechenden Managern gewonnenen Forschungsergebnisse umgesetzt werden. Die Erkenntnisse werden in einen Verhaltenscode von Futurum II umgearbeitet, der von jedem Bewohner verinnerlicht und befolgt wird, unterstützt von einem Programm wöchentlicher Übungen. Zum besagten Code gehören Regeln wie: "Spreche niemals mit Fremden über die Angelegenheiten der Gemeinschaft" oder "Verbreite keinen Klatsch über die persönlichen Beziehungen der Mitglieder" oder "Streite nicht mit anderen Mitgliedern über den Code". Immer wieder unterstreicht Mr. Frazier, daß ein großer Teil der Regeln seit langem bekannte Selbstverständlichkeiten betrifft, oder sogar aus der Bibel entnommen sind. Nach seiner Analyse verfügt die Gesellschaft "bereits über die psychologischen Techniken. Das Dumme ist nur, daß diese Techniken in den Händen der Eckart Leiser Behaviorismus Seite 34 verkehrten Leute sind." (a.a.O. S. 150). Die Errungenschaft von Futurum II besteht darin, daß der Code nicht mehr nur dazu dient, die Herrschaft einer herrschenden Klasse aufrechtzuerhalten, sondern die für das gute Leben jedes einzelnen günstigen Bedingungen zu ermöglichen. Selbstverständlich weiß der Protagonist sehr gut, wie das gute Leben beschaffen ist: es besteht aus Gesundheit, wenig Arbeit, Erholung und anregenden Freizeitbeschäftigungen. Aber dieser Fortschritt in Richtung auf ein gutes Leben für alle ist nicht nur der Festlegung verbindlicher Regeln zu verdanken. Denn diese Regeln stellen lediglich die der Selbstkontrolle der Bewohner übertragene Dimension des Regimes dar. Diese Selbstkontrolle ist aber nur die Endstation eines langen Prozesses der Modellierung von Verhalten, die zurückreicht bis zur Konditionierung der neugeborenen Babies in ihren Glaskästen: Die erste Lebensphase dort schließt allgegenwärtige Prozesse der Verhaltenskonditionierung ein, teilweise auf der Grundlage schon bekannter Verhaltensgesetze konzipiert und teilweise mit Verhaltensexperimenten verbunden, die von den zuständigen Managern ausgearbeitet werden. Ein Standard-Ziel der Verhaltensmodellierung in der frühen Kindheit besteht darin, einen Resistenz gegen Frustrationen aufzubauen, d.h. eine Toleranz gegen unangenehme Erfahrungen. Ein anderes Ziel besteht im Ausbilden beliebiger Operanten mittels beliebiger Kontingenzen: beispielsweise eine bestimmte Bewegung lernen, die durch einen Ton verstärkt wird. Dementsprechend sind die Glaskästen als Skinner-Boxen ausgerüstet. Wieder ein anderes Ziel besteht im Auslöschen negativer Emotionen, wie sich unglücklich, eifersüchtig oder neidisch fühlen, mit dem Ziel, daß nur die angenehmen Gefühle übrig bleiben. Ein weiterer Schritt, der im Alter von 3 bis 4 Jahren fällig ist, besteht darin, die Kontrollinstanz ins Individuum selbst hineinzuverlegen. Es gibt spezielle Übungen, die täglich praktiziert werden, die dazu dienen, solche Mechanismen der Selbstkontrolle aufzubauen: beispielsweise in hungrigem und erschöpften Zustand an den Tisch zurückzukehren und dort zumindest 5 Minuten den Anblick einer wohlriechenden Suppe auszuhalten ohne sie zu essen, und danach eine Münze zu werfen mit dem Ergebnis, daß der eine Teil der Kinder zu essen beginnt, während der andere Teil weitere 5 Minuten wartet. Alle diese Techniken kommen aus der Abteilung für "Verhaltens-Engineering" ( eine andere Abteilung ist für das "Kultur-Engineering" verantwortlich, d.h. befaßt mit der Festsetzung der Bestandteile eines guten Lebens, und eine dritte Abteilung ist für das "Haushalts-Engineering" zuständig, worunter beispielsweise das Entwerfen von Gläsern und Glastabletts fällt). Die Verhaltensmodellierung erstreckt sich bis zu einem Alter von 13 Jahren. Danach treten die Jugendlichen formal in die Gemeinschaft ein, indem sie sich auf den Verhaltens-Code von Futurum II verpflichten, und die obengenannten wöchentlichen Übungen zum Eintrainieren und Verinnerlichen des Codes beginnen. Warum mühe ich mich so damit ab, den Roman Futurum II in solchen Einzelheiten darzustellen? Eckart Leiser Behaviorismus Seite 35 Weil ich glaube, daß seine Absurditäten sehr gut die Ungereimtheiten, Widersprüche und Willkürlichkeiten im theoretischen Konzept Skinners veranschaulichen und zuspitzen (um das es sich handelt, auch wenn Skinner das bestreitet), und weil der Roman zu verstehen ermöglicht, wie Skinner sein Modell, trotz aller theoretischen und praktischen Widrigkeiten, durchzusetzen versucht. Eine erste Technik besteht im Verkleistern des Grundproblems: der Umformung einer traditionellen Gemeinschaft in eine Skinneristische Gemeinschaft. Was wie ein freiwilliger Zusammenschluß gleichberechtigter Menschen aussieht, erweist sich als eine ziemlich dunkle Angelegenheit: Schon am Anfang des Projekts gab es zumindest zwei Klassen von menschlichen Wesen: Der Protagonist als Konstrukteur mit seinen wissenschaftlichen Modellen und strategischen Ideen zu deren Verwirklichung auf der einen Seite, und den einfachen Menschen auf der Suche nach einer Institution, die für sie auf eine anständige Weise sorgt, auf der anderen Seite. In Wirklichkeit stellt sich das, was Skinner als gemeinsames Projekt der Gründer von Futurum II ausgibt, als Unterwerfung von Geschöpfen unter das Regime ihres Schöpfers heraus. Bleibt als Rätsel, woher die anderen Planer kommen, die von der Gründung an die Regierung von Futurum II bildeten. Entweder es handelt sich um eine dritte Klasse von menschlichen Wesen, die zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen angesiedelt ist, sozusagen die Zauberlehrlinge, oder es handelt sich um genetische Vervielfältigungen des Protagonisten. Auf jeden Fall erweist sich ein Kollegium, in dem verschiedene Positionen vertreten werden und das von irgendeiner demokratischen Prozedur abhängt, als mit der Skinneristischen Logik unvereinbar. Als nächstes stellt sich sogleich die Frage, was mit den zukünftigen Mitgliedern von Futurum II passiert. Wiederum gibt es zwei Klassen von menschlichen Wesen unter ihnen: die Nachkommenschaft der ursprünglichen Mitglieder, d.h. die zweite Generation, und Leute wie Steve und Mary, die von außen kommen und kraft einer Entscheidung zu Mitgliedern werden. Was die Nachkommenschaft der ursprünglichen Mitglieder betrifft, handelt es sich im Grunde um einen vierten Typ von menschlichen Wesen: um totale Kreaturen, die von Anfang an der Verhaltensmodellierung unterworfen sind, ohne jeden Spielraum einer freiwilligen Entscheidung für das neue Leben. Und diese Spezies von Skinneristischen Organismen soll auf der Grundlage des gleichen Systems mit den "Bekehrten" zusammenleben können: eine weitere Ungereimtheit der Skinnerschen Logik. Diese widersprüchliche Situation spiegelt ein elementares Problem des Behaviorismus nach Skinnerschem Muster wider: Die Existenz und die Notwendigkeit der menschlichen Subjektivität wird geleugnet, aber gleichzeitig sind die vielen menschlichen Subjekte dazu zu bringen, auf ihre Subjektivität zu verzichten, gegen die Versprechungen eines glücklichen Lebens nach Art von Futurum II. Der Roman versucht, diese beiden Ziele Skinners zu vereinen: Seine wissenschaftliche Vision von menschlichen Wesen darzustellen, die vollständig der Verhaltenskontrolle unterworfen sind (die wehrlosen Kinder von Futurum II), und sich zur gleichen Zeit auf die bürgerlichen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 36 Sehnsüchte nach einem vereinfachten Leben ohne Angst zu beziehen, zu dem man durch einen freiwilligen Akt gelangt (die Entscheidung von Steve und Mary, von außen kommend dieser Gemeinschaft beizutreten). Diese Technik zielt auf das Einführen eines Sicherheitsabstands zwischen den regressiven Wünschen des Lesers und den Alpträumen, d.h. den Skinneristischen Phantasmen, die sich daraus ergeben. Die Unterscheidung zwischen den drei Subjekten des Diskurses und den beiden mehr oder weniger stummen Paaren läuft auf das Einfügen eines weiteren Sicherheitsabstands hinaus: Es sind nicht die potentiellen Kandidaten, die in eine Diskussion über diese neue Welt eintreten, indem sie ihre Erfahrungen analysieren und mit den Darstellungen Mr. Fraziers konfrontieren und sich auf diese Weise eine argumentative Basis für ihre Entscheidung erarbeiten, sondern es gibt stellvertretende Subjekte, die diese Diskussionen führen und von denen lediglich eins, Prof. Burris, dazu bestimmt ist, die Entscheidung der beiden Betroffenen, Steve und Mary, vorzubereiten. Nur er scheint dazu die Kompetenz zu haben, während dem Paar selbst nichts anderes bleibt als die unvermeidbare Entscheidung zu vollziehen: Das Paar ist von Natur aus dazu bestimmt, das zu tun, in einem Akt blinden Vertrauens. Auf diese Weise werden der theoretische und der praktische Aspekt des Skinneristischen Entwurfs durch verschiedene Personen repräsentiert. Das hat den Vorteil, daß die Fragen bezüglich der persönlichen Konsequenzen sich niemals allzu konkret stellen, und der Entscheidungsakt einen emotionalen Charakter annimmt. Dieses Muster entspricht genau der besagten Aufspaltung im Selbstverständnis auf Seiten vieler Menschen in den USA oder allgemeiner der westlichen Welt: die Menschen haben regressive Wünsche, aber gleichzeitig den Anspruch, diese Wünsche in wissenschaftlicher Weise zu rechtfertigen, besser gesagt: indem sie sich auf eine wissenschaftliche Autorität berufen. Zudem erlaubt die Zuordnung dieser zwei psychischen Schemata auf verschiedene Personen dem Leser, offenzulassen, für welche Rolle er bestimmt ist: für die Rolle des Mr. Burris, ein diskursives Subjekt und möglicherweise ein zukünftiger Planer (Mr. Burris wird eines Tages nach Futurum II zurückkehren), oder für die Rolle von Steve und Mary, die regressiven Objekte, die bereit sind, auf ihre intellektuellen Fähigkeiten, zugunsten des versprochenen Schutzes, zu verzichten. Skinner fallen also, trotz seiner schriftstellerischen Langweiligkeit, einige wirksame Tricks ein, um die Ungereimtheiten seines wissenschaftlichen Konzepts mit einigen elementaren Bedürfnissen des Lesers zu versöhnen. Insbesondere verdient Skinner meine Bewunderung dafür, wie er das Problem löst, die erschreckenden Züge seiner Vorstellung einer mechanischen und abstrakten Welt in eine utopische Botschaft zu verwandeln. Sein erster Trick: Wie schon gesagt, besteht das Buch zu 90 Prozent aus einem Diskurs über diese Utopie und nicht aus konkreten Erfahrungen. Der Protagonist beeindruckt die Leser nicht aufgrund seines überzeugenden Werks, sondern aufgrund seiner radikalen Sprache. Der Autor verleiht Mr. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 37 Frazier das Profil eines Religionsgründers, dem man sich wegen seines Charismas blind anvertrauen kann. Und die mechanische und abstrakte Welt bleibt hinter den besagten Glaswänden verborgen. Sein zweiter Trick: Der Autor vermeidet eine direkte Identifikation seiner Person mit dieser Utopie, die statt dessen durch Mr. Frazier repräsentiert wird. Dank der Einführung von Mr. Burris, dem Erzähler in der ersten Person, gelingt es Skinner, eine direkte Konfrontation mit dieser mechanischen und abstrakten Welt durch einen allmählichen Prozeß der Annäherung zu ersetzen, der die Bildung von Vertrauen ermöglicht. So bietet sich Skinner selbst als ein solider und unbestechlicher Begleiter an, während man sich seiner neuen Welt nähert, auf beruhigende Weise abgehoben vom Eifer und Radikalismus des Mr. Frazier. Sein dritter Trick: Indem er unermüdlich den abstrakten, komplizierten, kaputten und entfremdeten Charakter der bürgerlichen Welt betont, stellt sich das Angebot, in Futurum II einzutreten, als ein vorteilhafter Tausch dar: nämlich an die Stelle der undurchschaubaren Mechanismen draußen andere einfache und vorteilhafte Mechanismen zu setzen, die die psychische und physische Versorgung der Betroffenen sicherstellen; die Erfahrung, feindlichen Mechanismen ausgeliefert zu sein, durch den Akt des freiwilligen Sich-Auslieferns an angenehme Mechanismen zu ersetzen. Auf diese Weise verschwinden die negativen Realabstraktionen der bürgerlichen Welt zugunsten positiver Hoffnungen in Richtung auf eine Welt, die vollständig von den konkreten Leiden entleert ist, die diese Realabstraktionen begleiten: eine nicht länger materielle Welt eines abstrakten Wohlbefindens hinter den Glaswänden, verlockend wie der Zustand des Traums oder des Rauschs. Im weiteren wird dann dieser von jedem Wirklichkeitsbezug gereinigte emotionale Komplex von neuem mit bürgerlichen Metaphern des guten Lebens gefüllt, dem Phantasma eines wenn auch wiederum nur abstrakt definierten Glücks: definiert durch die Abwesenheit von Krankheit, Arbeit und Stress und durch anregende Freizeittätigkeiten. Auch diese Tätigkeiten sind durch die Abwesenheit gekennzeichnet, nämlich die Abwesenheit jedes Vermögens, auf die Wirklichkeit Einfluß zu nehmen. Sogar die schöpferischen Tätigkeiten innerhalb dieses Phantasmas haben einen abstrakten Charakter, da sie für jeden verfügbar sind wie das Sortiment eines Supermarkts. Kurz gesagt: Es handelt sich um ein recht geschickt angeordnetes Szenarium, das der Versuchsanordnung einer Skinner-Box ähnelt, vom Autor in Form eines Romans konstruiert mit dem Ziel, uns zu überreden. Gleichzeitig macht diese Konstruktion offenkundig, daß Skinner nicht mehr in die argumentative Kraft seiner Auffassung vertraut, da er ja zu psychologischen Tricks Zuflucht nimmt, zu Techniken der Suggestion und Verführung. Auf diese Art wird aus der Pose eines Wissenschaftlers die Pose eines Demagogen. Je mehr Skinner die Vorteile seiner neuen Welt anpreist, um so deutlicher wird die Schwäche seiner Argumente. Denn in ihrem strengen Sinn braucht ein Konzept über unsere Zukunft, das von den mechanischen Gesetzen ausgeht, die die Entwicklung des menschlichen Lebens beherrschen, keinerlei Propaganda, um Anhänger zu gewinnen. Das Anwenden der erwähnten Mittel in dem hier zur Diskussion stehenden Roman läuft auf einen militanten Versuch hinaus, sein Menschenbild und Weltbild trotz seiner Widersprüche und Ungereimtheiten durchzusetzen und läßt den willkürlichen Charakter seines Verständnisses von Eckart Leiser Behaviorismus Seite 38 Humanpsychologie offensichtlich werden. Aber der Roman ist mehr als ein weiterer Beweis für das wissenschaftliche Scheitern Skinners. In ihm manifestiert sich eine alarmierende und gefährliche Deformation des Denkens, teils offenkundig und teils verborgen, die mir unvereinbar mit einer menschlichen Perspektive erscheint. Ich spreche hier in erster Linie von der Frivolität und Dreistigkeit, mit der Skinner sehr heikle psychologische Fragen behandelt: etwa seine apodiktische Aussage, daß die Beziehung zwischen Baby und Eltern während der frühen Kindheit keine Bedeutung habe. Und das nach den vielen Diskussionen innerhalb der Psychotherapie über Primärschäden in dieser Lebensphase, über grundlegende Störungen im Prozeß der Bildung von Identitätsstrukturen, beim Bilden der Unterscheidung zwischen "Ich" und "Anderer", nach der Diskussion innerhalb der Ethologie über die Bedeutung früher Prägungen usw. usf.. Ähnlich beurteile ich seine apodiktische Aussage, daß ein interaktiver oder intersubjektiver Prozeß zwischen Lehrer und Schüler wertlos ist, angesichts all der Diskussionen innerhalb der Pädagogik über Methoden, intersubjektive Potentiale in Lernprozessen anzusprechen und auszunutzen. Diese Frivolität und Dreistigkeit, mit der er die Autorität des Wissenschaftlers ins Spiel bringt, erscheint beinahe harmlos im Vergleich mit den tiefergehenden Wesenszügen seines Denkens. Ich meine hier seinen Zynismus im Zusammenhang mit ethischen Fragen: beispielsweise die Sorglosigkeit, wenn er von den geplanten Experimenten zur Perfektionierung der Züchtung von menschlichen Wesen mit überlegenen Fähigkeiten spricht; oder wenn er von der zukünftigen Notwendigkeit spricht, zentrale und intimste Bereiche des menschlichen Lebens nach den Vorgaben experimenteller Versuchsanordnungen zu organisieren, etwa für die Erforschung neuer Lebensformen, bei der man, in Form zweier Zufallsstichproben, eine Experimental- und eine Kontrollgruppe zu bilden hat. Man könnte vollständig vergessen, daß es sich hier um Menschen handelt, die ihr einziges Leben in derartige Experimente einbringen. Diese Überlegung führt uns zur totalitären Dimension des Skinneristischen Denkens. Er bringt seine Kreaturen dazu, sich total dem Regime irgendwelcher Planer zu unterwerfen, die die Bedingungen für sein Wohlbefinden bestimmen. Da dieses als Höchstmaß an psychischem und sozialem Gleichgewicht definiert ist, drängt sich die Frage auf, was die Planer daran hindert, allen Bewohnern Drogen zu verabreichen, insofern diese das besagte Gleichgewicht der Gemeinschaft fördern. Bezeichnenderweise sind es die menschlichen Defizite und Leiden, die als einzige Erscheinung aus dieser Gemeinschaft verbannt sind: im gesamten Roman gibt es keinerlei Andeutung, was langfristig mit den Kranken, den Behinderten und Alten passieren wird. Konkreter: Was spricht eigentlich gegen den Vorschlag, sie zu liquidieren, betrachtet man die Prinzipien von Futurum II? Und was spricht gegen die Möglichkeit, die Bewohner vom Nutzen und der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme zu überzeugen, die Betroffenen selbst eingeschlossen, kraft derselben oben erwähnten Techniken, die der Verinnerlichung neuer Regeln des Verhaltens-Codes dienen? Eckart Leiser Behaviorismus Seite 39 Ich unterstelle Skinner nicht, solchen Ideen anzuhängen. Aber Tatsache ist, daß sein totalitäres Denken solche Phantasmen nicht ausschließt und seine Anhänger angesichts solcher Vorschläge wehrlos sein läßt. Hier spätestens beginnen die politischen Aspekte des Behaviorismus nach Skinnerschem Muster. Es gehört zur Dialektik der US-amerikanischen Freiheit, daß eine derartige totalitäre Auffassung in ihr Platz hat. Wir haben im vorangehenden gezeigt, daß die Skinnerschen Ideen, so sehr er auch das US-amerikanische System kritisiert, viel mit einigen Zügen dieser Gesellschaft und ihrer Menschen zu tun haben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß beim Exportieren der US-amerikanischen Kultur der Skinnerismus sogar ein Bestseller ist. Wie der Kontext der Situationen verdeutlicht, in denen der Skinnerismus exportiert wird, spricht nichts zugunsten der Annahme, daß den Betroffenen die Rolle der Planer zufallen wird, im Rahmen eines Futurum II im weltweiten Maßstab. Um zu illustrieren, was ich meine, ein Zitat, daß einem Aufsatz von J. Vonèche, einem Schweizer Psychologen, entnommen ist: "Wie ich selbst als Zeuge erlebte, als die Macht in Brasilien von der Linken an die Rechte überging aufgrund eines Militätputsches, setzte man die Fakultät (für Psychologie, E.L.) der Nationaluniversität von Brasilien ab, und die Vereinigten Staaten schickten einige Experten zusammen mit 57 Skinner-Boxen mit dem Zweck, eine "wirkliche Psychologie" zu lehren. Dieses Geschenk hatte eine gewisse Ironie an sich in einem Land, wo tausende von Personen mit ihrer Einkerkerung konfrontiert waren, und das in Kerkern ohne jegliche Hebel, die man nach unten drücken kann, dafür aber mit vielen Gründen, niedergedrückt zu sein." (Vonèche: An Exercise in Triviality: The Epistemology of Radical Behaviorism. In: Modgil & Modgil (Hrsg.): Consensus and Controversy. 1987, S. 72). Eckart Leiser Behaviorismus Seite 40 Kapitel 5: Versuche zur Rettung des behavioristischen Paradigmas: der Ansatz von Tolman Teilweise aufgrund einer inneren Dynamik auf dem Feld des Behaviorismus selbst, teilweise aufgrund des gegen die radikalen behavioristischen Prinzipien sprechenden experimentellen Augenscheins und teilweise durch von außen kommende Entwicklungen kam es zu Versuchen, die behavioristischen Positionen zu überdenken, zu reinterpretieren und zu präzisieren, ohne dabei das fundamentale Schema aufzugeben: das Zurückführen des Psychischen auf und sein Ersetzen durch beobachtbares Verhalten. Angesichts der Unfruchtbarkeit der zu groben und naiven behavioristischen Konzepte, zu deren Vertretern außer Skinner man Thorndike (1874-1949) und Guthrie (1886-1959) zählen kann, machte man sich daran, die Vieldeutigkeiten auszunutzen, an denen die behavioristische Doktrin schon litt, als sie von J.B. Watson in seinem Artikel "Psychologie wie sie der Behaviorist sieht" von 1913 verkündet wurde (in: Behaviorismus. Köln 1968, S. 13-28). Eine zentrale Vieldeutigkeit betrifft die Frage, ob die "inneren Zustände", wie man die von der klassischen Psychologie behandelten und vom Behaviorismus verbannten psychischen Prozesse bezeichnete, lediglich noch nicht auf wissenschaftliche Weise zugänglich sind oder ob sie überhaupt nicht existieren. Zur Illustrierung ein Zitat von Watson zum Problem, "komplexere Verhaltensformen wie Vorstellung, Urteil, Schlußfolgern und Begriffsbildung" zu studieren. "Die einzigen Aussagen, die wir gegenwärtig darüber haben, sind in Inhaltsbegriffen abgefaßt. Unser Kopf ist von mehr als 50 Jahren eifrigen Studiums der Bewußtseinszustände so verwirrt, daß wir diese Probleme nur noch einseitig sehen können. Wir sollten der Situation mutig begegnen und offen sagen, daß wir Untersuchungen dieser Art mit den heute gebräuchlichen Verhaltensmethoden nicht weiterführen können ... mit besser entwickelten Methoden wird es möglich sein, immer komplexere Formen von Verhalten zu untersuchen." (a.a.O. S. 25 f). Die zwei Interpretationen, die in dieser Vieldeutigkeit der klassischen behavioristischen Doktrin Platz haben, pflegte man im weiteren Verlauf ontologischen Behaviorismus in Abhebung vom methodologischen Behaviorismus zu nennen. In Verbindung mit anderen Faktoren setzte die methodologische Interpretation des Behaviorismus eine Dynamik in Gang, die zu einer spezifischen Wiederzulassung innerer Zustände führte, im Rahmen einer neuen Strömung, des "Neo-Behaviorismus". Dort wurde es üblich, sie "intervenierende Variablen" zu nennen. Zu den anderen Faktoren gehörten einige kritische Experimente, also Experimente, die auf der Grundlage der bisherigen Konzepte schwer verständlich sind. In Kürze werden wir über diese Experimente sprechen. Und schließlich gab es einige von außen kommende Entwicklungen, die zu einer neuen Sicht gewohnter Fragestellungen Anstoß gaben. Ein in dieser Hinsicht recht allgemeiner Beitrag war die Diskussion innerhalb des schon erwähnten "Wiener Kreises" über die zur Konstruktion von Theorien geeigneten logischen Prinzipien, und Eckart Leiser Behaviorismus Seite 41 darüber hinaus der von Bridgman formulierte Operationalismus. Was Tolman (1886-1959) betrifft, mit dem wir uns jetzt beschäftigen wollen, gab es einen weiteren Einfluß: die Vorstellungen und Ergebnisse der "Gestaltpsychologie" und der "Feldtheorie" von Kurt Lewin, die ihrerseits auf die "Gestaltpsychologie" zurückgeht. Aus alledem entstand seine Theorie des "Lernens durch Zeichen" (nach einem terminologischen Vorschlag von Hilgard). Zur Darstellung seines Ansatzes wollen wir damit beginnen, einige Experimente zu skizzieren, die die klassische Auffassung des Behaviorismus in Frage stellten, nach der alles Verhalten erklärbar ist durch Kontingenzen zwischen Reaktionen und Verstärkungen sowie durch direkte Verknüpfungen zwischen vorangehenden Reizen und den besagten Reaktionen. Ein erster Typ von Experimenten betrifft das Phänomen der Erwartung bei Tieren. Ein klassisches Experiment ist das von Tinklepaugh (1928) mit Affen. In jenem Experiment sind die Affen in der Lage, aus einer Reihe gleicher Behälter die unter einem Behälter versteckte Banane zu finden. Wichtig ist der zweite Teil des Experiments: Nachdem die Banane heimlich durch ein für Affen wenig attraktives Salatblatt ersetzt worden war, zeigte es sich, daß der Affe das Salatblatt zurückwies und systematisch nach der Banane weitersuchte. Es gibt entsprechende Experimente mit Ratten im Labyrinth, die dieses Phänomen bestätigen. Auf der Grundlage der klassischen Behavioristischen Konzepte nach Art von Skinner, Thorndike oder Guthrie ist ein solches Verhalten des eindeutigen Suchens unverständlich, überschreitet es doch die Struktur von Tätigkeiten, die durch eine Kette fester Assoziationen zwischen Reizen und Reaktionen bestimmt sind: Der Verstärker scheint mehr zu sein als ein abschließendes Ereignis, das aus einem bestimmten Verhalten folgt (einem Operanten in der Skinnerschen Terminologie), und das sich nach dem konsumatorischen Akt verflüchtigt. Statt dessen legt das Phänomen die Annahme nahe, daß das Tier über das Objekt seiner Suche, unabhängig von den spezifischen Tätigkeiten, auf einer Repräsentationsebene verfügt. Ein zweiter Typ von Experimenten betrifft das Phänomen einer räumlichen Orientierung bei Tieren. Tolman und seine Kollegen entwarfen eine Versuchsanordnung für das Labyrinth, in der zwei Gruppen von Ratten nach zwei verschiedenen Prinzipien Futter zu finden lernten. Eine Gruppe mußte immer nach rechts abbiegen, um das Futter zu finden, wobei jedesmal der Ausgangspunkt wechselte, d.h. sie mußte eine feste Sequenz von Bewegungen gemäß dem Schema des klassischen Behaviorismus lernen. Die andere Gruppe fand ihr Futter immer am selben Ort. Da wiederum der Ausgangspunkt wechselte, mußten die Ratten von Fall zu Fall verschiedene Bewegungen ausführen, aus der Sicht des klassischen Behaviorismus eine offensichtliche Komplikation. Trotz dem lernte die zweite Gruppe sehr viel schneller, das Futter zu finden (s. Abb.). Eckart Leiser Behaviorismus Seite 42 Wiederum legt das Phänomen eine Annahme nahe, die mit der Auffassung des klassischen Behaviorismus nicht verträglich ist: daß das Tier über eine Repräsentation des Raums verfügt, die von seinen verschiedenen Bewegungen unabhängig ist, d.h. über eine "Landkarte", die ein objektives Bezugssystem ermöglicht, und damit die relative Topologie seines Bewegungsraums überschreitet. Darüber hinaus scheint dieses objektive Bezugssystem für die Regulierung des Verhaltens wichtiger zu sein als der Raum seiner spezifischen Bewegungen. Ein dritter Typ von Experimenten betrifft das Phänomen des latenten Lernens. In einem klassischen Experiment benutzten Tolman und Honzig (1930) eine aus 3 Gruppen von Ratten bestehende Versuchsanordnung, in der diese im Labyrinth untersucht wurden. Bevor man sie ins Labyrinth setzte, wurde allen Ratten über mehrere Tage hinweg das Futter entzogen. Sodann registrierte man die Fehler, die gemacht wurden, bevor der Ausgang des Labyrinths gefunden wurde. Die erste Gruppe fand beim Verlassen des Labyrinths ihr Futter, also einen Verstärker im Sinn des klassischen Behaviorismus. Die zweite Gruppe fand dort niemals irgendwelches Futter, und die dritte Gruppe wurde nach einer ersten Periode, in der sie kein Futter fand, vom 11. Tag an verstärkt. Wie sich herausstellte, verringerte diese dritte Gruppe nicht nur sofort die Häufigkeit von Fehlern, also Umwegen, sondern übertraf sogar die erste Gruppe hinsichtlich ihrer Leistung, den direktesten Weg zum Ausgang zu finden. Die zweite Gruppe ohne jegliche Verstärkung behielt während des gesamten Experiments mehr oder weniger ihr Fehlerniveau bei (s. Hilgard: Theories of Learning. New York 1956, Abbildung auf S. 209). Wiederum legt das Phänomen eine mit der klassischen behavioristischen Auffassung nicht zu vereinbarende Vermutung nahe: daß der Organismus fähig ist, ohne Verstärkungen zu lernen, d.h. daß es eine spontane Tendenz gibt, die Umwelt gemäß einer besonderen Strategie zu erforschen, mit dem Ziel, eine Landkarte zu erzeugen und Orientierungskonzepte auszuarbeiten. Derartige experimentelle Ergebnisse veranlaßten Tolman, das klassische Konzept des Behaviorismus grundlegend zu überarbeiten und zu erweitern. Eine zentrale Kategorie bei dieser Aufgabe, das Konzept auf eine neue Grundlage zu stellen, war das "Zeichen", der Terminus, auf den der Name seines Ansatzes zurückgeht. Er besagt im Grunde, daß die Regulierung des Eckart Leiser Behaviorismus Seite 43 Verhaltens nicht auf periphere Prozesse zurückführbar ist, sondern daß es eine zentrale Instanz gibt, die die Tätigkeit des Organismus vorbereitet und kontrolliert, indem sie Informationen und Signale aus der Umwelt aufnimmt und verarbeitet, die besagten Zeichen. Diese Zeichen helfen dabei, einen Verhaltensraum aufgrund der räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten zu strukturieren, gemäß den Bedürfnissen des Organismus und mit Hilfe von Mittel-Zweck-Beziehungen, die aufgrund von Erfahrungen ausgearbeitet werden. Auf diese Art wird der Organismus als System mit vielfältigen internen Prozessen aufgefaßt, das mit vielen kognitiven Fähigkeiten ausgestattet ist und mit seiner Umwelt auf komplexe Weise in Beziehung steht. Diese Prozesse stellen wohlgemerkt nicht nur Nebenerscheinungen der unmittelbaren Akte zur Sicherung und Wiederherstellung der physischen und biologischen Lebensbedingungen dar (zu denen etwa Essen, Trinken oder Flucht gehören), sondern sind solchen "primären" Aktivitäten vorgeordnet und mit diesen auf ziemlich vermittelte Weise verbunden. Tolman geht sogar so weit anzunehmen, daß die Lernprozesse sich nicht aus den Verstärkungen ergeben, die beim Verfolgen derartiger primärer Ziele auftreten, daß sie vielmehr besondere Tätigkeiten darstellen, die nicht von ihrem unmittelbaren Nutzen abhängen. Dieser Gedanke läuft auf eine funktionale Unterscheidung zwischen dem Lernen eines Handlungsschemas und dessen Anwendung hinaus. Indem er seine theoretische Sichtweise in eine systematische Form bringt, gelangt Tolman zum folgenden Modell (wir beschränken uns hier auf dessen erste Version von 1932, die später wiederholt modifiziert und ergänzt worden ist) in bezug auf Lernprozesse oder allgemeiner: in bezug auf Prozesse der Ausarbeitung von Verhaltensschemata: Er unterscheidet 3 wesentliche Aspekte in solchen Prozessen, die durch ihre jeweils eigenen Gesetze gekennzeichnet sind: die Gesetze, die zu den kognitiven und konzeptbildenden Fähigkeiten des Organismus gehören, die Gesetze, die sich auf die Qualitäten und Modalitäten der materiellen Umwelt beziehen, und die Gesetze, die mit der zeitlichen und motivationalen Struktur beim Erfahren der entsprechenden Situationen zu tun haben. Die Gesetze des ersten Typs beziehen sich auf - die Fähigkeit des Organismus, formale Beziehungen (d.h. räumliche, zeitliche und logische) zwischen Mitteln und Zwecken zu erkennen und herzustellen; - die Fähigkeit, Objekte zu unterscheiden und zu manipulieren; - die Fähigkeit, aus einer kognitiven Landkarte alternative Wege zu einem Ziel abzuleiten; - die Fähigkeit, alternative Ideen zur Erreichung eines Ziels durchzuspielen und auszuprobieren; - die Fähigkeit, beim Lösen eines Problems neue Ideen zu finden/zu erfinden. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 44 Leider ist genau betrachtet das, was wie eine Liste von Gesetzen klingt, nicht mehr als eine Liste ungeklärter, bisher vom klassischen Behaviorismus ignorierter, Punkte, die auf bestimmte Fähigkeiten des Organismus anspielen. Es handelt sich im Grunde um einen Katalog von Fragestellungen, die für die zukünftige Forschung anstehen. Wie auch immer: Tolman gelangt zu dem Schluß, daß Lernprozesse nicht auf einen einheitlichen Mechanismus zurückgehen, die auf einer bei allen Arten gleichen Ausstattung beruhen, sondern daß es unterschiedliche Niveaus des Lernens gibt, die mehr und mehr der oben genannten Fähigkeiten einschließen. Das primitivste Niveau ist das Lernen in Verbindung mit konditionierten Reflexen. Das nächste Niveau ist das Lernen vom Typ "Versuch und Irrtum" und das fortgeschrittenste Niveau ist das erfinderische Lernen nach Art Wolfgang Köhlers (ich spiele hier auf seine berühmten Affen-Experimente an). Nebenbei bemerkt ist es keineswegs erstaunlich, sondern als Überbleibsel des klassischen Behaviorismus leicht erklärbar, daß für Tolman das fortgeschrittenste Niveau des Lernens dasjenige ist, das bei Affen auftritt. Daran wird offenbar, daß er sich ein fortgeschritteneres Niveau nicht vorstellen konnte, etwa das bewußte Lernen, das bei der Spezies Mensch anzutreffen ist. Wenn man die besagte Unterscheidung der Niveaus auf die Liste der genannten Fähigkeiten bezieht, kann man sie als Hierarchie lesen: So macht etwa schon der erste Typ Gebrauch von zeitlichen Beziehungen, während nur der dritte Typ des erfinderischen Lernens die Fähigkeit des Findens/Erfindens neuer Ideen beim Lösen eines Problems einschließt. Nebenbei machen die Forschungen Tolmans klar, daß das Lernniveau nicht allein von der biologischen Ausstattung des Organismus abhängt, sondern auch von den Anforderungen der experimentellen Anordnung - ein weiterer Aspekt, der auf die Artefakte der Skinnerschen Experimente verweist. Fahren wir fort mit den "Gesetzen" des zweiten Typs. Sie beziehen sich auf verschiedene von der "Gestaltpsychologie" herausgearbeitete Prinzipien, die die Anordnung von Reizen betreffen. So etwa das Prinzip - der Kohärenz - der Verschmelzung - von Wechselbeziehungen zwischen räumlichen und zeitlichen Charakteristiken der Alternativen; - von Umweltstrukturen, die das Abschließen oder das Erweitern des beim Organismus vorliegenden perzeptiven und operativen Feldes begünstigen. Was die Sprechweise Tolmans nahelegt, trifft zu. Wichtig sind nicht die objektiven Charakteristiken der Umwelt, sondern die Rolle, die die Umweltmerkmale in den Interpretationen des Organismus spielen. Diese Interpretationen, abhängig vom motivationalen Zustand, von den bisherigen Erfahrungen in der entsprechenden Umwelt, von den aufgrund der vorangehenden Lerngeschichte bereits bestehenden perzeptiven und operativen Schemata, und die Relevanz dieser Merkmale im Hinblick auf die aktuellen Ziele des Organismus transformieren die physikalische Umwelt in ein Eckart Leiser Behaviorismus Seite 45 psychisches Feld, das durch eine spezifische Topologie von Wertigkeiten sowie auf den Organismus einwirkende Anziehungs- und Abstoßungskräfte gekennzeichnet ist. In Kürze werden wir uns mit der Frage beschäftigen, wie eine solche Auffassung von Verhaltensprozessen, die den Bezugspunkt ins Innere des Organismus verlegt (um nicht gar von einer subjektiven Instanz zu reden), mit den elementarsten Prinzipien des Behaviorismus zu vereinbaren ist. Im übrigen ist es nicht schwer zu erkennen, daß diese Vorstellung vom psychischen Feld auf den zuvor erwähnten Kurt Lewin zurückgeht, der sich allerdings keineswegs als Behaviorist verstanden hat. Wir wenden uns abschließend den "Gesetzen" des dritten Typs zu. Sie beziehen sich auf die zeitliche und motivationale Struktur beim Erfahren der Situationen, in denen die Lernprozesse stattfinden. Im engeren Sinn auf die experimentellen Situationen bezogen, handelt es sich um die zeitlichen Schemata bei der Darbietung von "Problemen": um die Häufigkeit, den zeitlichen Abstand, die Regelhaftigkeit und Gleichmäßigkeit von Verstärkungen sowie die motivationale "Einstellung" des Organismus mit Hilfe seines Grades von Entzug oder Sättigung. Auf den ersten Blick bezieht sich dieser dritte Typ von "Gesetzen" auf die am weitesten konkretisierten und herausgearbeiteten Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Lernprozeß. Er verweist auf die vielen Versuchsanordnungen und deren detaillierte Ergebnisse, die im Rahmen des klassischen Behaviorismus, insbesondere des Skinnerismus, vorliegen, aber auch schon in den Arbeiten von Ebbinghaus, G.E. Müller und anderer Repräsentanten der "Assoziationspsychologie" des vorigen Jahrhunderts. Auf den zweiten Blick betreffen die zeitlichen Schemata der Darbietung und Manipulation von Versuchsanordnungen innerhalb von Experimenten, so exakt sie auch sein mögen, einen ziemlich speziellen Aspekt von Lernprozessen. Darüber hinaus paßt dieser Aspekt nicht so recht zum Tolmanschen Ansatz insgesamt. Es ist ratsam, sich hier sein allgemeines Modell zu vergegenwärtigen, wie es in den im Vorhergehenden behandelten Aspekten zum Ausdruck kommt. Seine Vorstellungen bezüglich der kognitiven Fähigkeiten des Organismus und die Weise, wie dieser sein perzeptives und operatives Feld strukturiert, legen das Bild eines Systems nahe, das fähig ist, beim Verfolgen seiner Ziele eine kognitive und praktische Kontrolle über seine Umgebung herzustellen. Insbesondere muß ein derartiger Organismus in der Lage sein, sein kognitives und operatives Feld so zu strukturieren, daß seine Ziele erreichbar sind. Mit anderen Worten: Es gehört zu den Fähigkeiten eines solchen Systems, seine Umgebung zu wechseln oder umzustrukturieren, sollte es auf unüberwindbare Hindernisse stoßen oder auf nicht mehr handhabbare Kontingenzen. Das besagt, daß die in die klassischen Verstärkungspläne eingeführten Zufälligkeiten und Willkürlichkeiten in der Welt eines solchen Systems ein sehr künstliches Element darstellen: die Eckart Leiser Behaviorismus Seite 46 Einführung fremder und prinzipiell unkontrollierbarer Mechanismen, ohne irgendeine Möglichkeit des Auswegs, verwandelt die Umgebung eines derartigen Systems, am Maßstab der natürlichen Umwelten gemessen, für die es ausgerüstet ist, in einen Alptraum. Angesichts von alledem erscheint es mir wenig überzeugend, einen solchen Aspekt in das theoretische Fundament seines Konzepts aufzunehmen. Ich habe den Verdacht, daß das auf den Wunsch Tolmans zurückzuführen ist, sein wenig präzises Konzept mit zumindest einigen solideren Elementen anzureichern, auch wenn es sich bei diesen Elementen letztlich um Fremdkörper handelt. Allgemeiner und unsererseits auf die Begrifflichkeit der Gestaltpsychologie zurückgreifend können wir sagen, daß es um die "Kohärenz" der drei "Gesetzes"-Typen nicht gut bestellt ist: wir haben es mit einem Gemisch zu tun aus topologischen und kognitiven Gesichtspunkten, aus Gestalt-Prinzipien und aus dem Repertoire des klassischen Behaviorismus. Dieser Punkt führt uns zu weiteren Ungereimtheiten des Ansatzes von Tolman, und hier zunächst zu der Frage, inwieweit sein Konzept mit den elementaren Prinzipien des Behaviorismus verträglich ist. Ein erstes auch von Tolman verfochtenes elementares Prinzip ist die von uns im 2. Kapitel gründlicher untersuchte Forderung, nach der jeder in einer Theorie vorkommende Begriff auf von außen beobachtbare Daten oder Variable zurückführbar sein muß. Tolman hat diese Forderung sogar noch weiter präzisiert, indem er das Programm des Operationalismus im Sinn Bridgmans übernahm, nach dem nur solche theoretischen Aussagen in den Körper eines wissenschaftlichen Konzepts aufgenommen werden dürfen, die in empirische Operationen umgeformt werden können. Diese Übernahme zeigt sich im folgenden Zitat, in dem er eine Definition des sogenannten operationalen Behaviorismus gibt. Dieses Konzept a) bedeutet, daß das grundlegende Interesse der Psychologie allein auf die Prognose und Kontrolle des Verhaltens gerichtet ist. b) Es behauptet, daß die psychologischen Begriffe bzw. die geistigen Fähigkeiten oder Ereignisse als objektiv definierbare intervenierende Variable betrachtet werden können. Und es meint, daß man diese intervenierenden Variablen auf vollständig operationale Weise definieren muß, d.h. mit Hilfe von Ausdrücken für wirkliche experimentelle Operationen, aus denen sich deren Vorliegen oder deren Nicht-Vorliegen bestimmt sowie ihre Beziehung zu den kontrollierten intervenierenden Variablen und zu den schließlich von diesen abhängenden Variablen." (Tolman: The intervening variable. In: M.H. Marx (Hrsg.): Psychological Theory. New York 1951, S. 101). Tolman versucht, diese Umformbarkeit und Reduzierbarkeit theoretischer Begriffe in experimentelle Operationen zu veranschaulichen, indem er als Beispiel den weiter oben behandelten Begriff der Erwartung nimmt. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 47 Dazu ein weiteres Zitat: "Wenn wir behaupten, daß eine Ratte Futter am Ort L erwartet, behaupten wir, daß: jedes Mal wenn (1) die Ratte ohne Futter ist, (2) auf den Weg P trainiert ist, (3) man sie auf P setzt, (4) P gerade blockiert ist, (5) es weitere Wege gibt, die von P abzweigen, und von denen einer direkt nach L führt, dann wird die Ratte diesen Weg entlanglaufen, der direkt nach L führt. Wenn wir behaupten, daß sie kein Futter am Ort L erwartet, so behaupten wir, daß - dieselben Bedingungen gegeben - sie nicht diesen Weg entlangläuft, der direkt nach L führt." (Tolman, Ritchie, Kalish: Studies in Spatial Learning I. J. Exp. Psych. 36, 1946, S. 15). Schauen wir, inwieweit diese Umformung und Reduktion des Begriffs "Erwartung" überzeugend ist. Das erste Argument eines solchen Verfahrens scheint zu sein, daß es eine kausale und eindeutige Verknüpfung zwischen den vorangehenden Umständen und dem nachfolgenden Verhalten der Ratte gibt. Auf rein empirischer Ebene ist eine solche kausale Interpretation genausowenig zulässig, wie wenn ich schließe, daß wenn zwei Personen nacheinander durch eine Tür gehen, das erste Ereignis den Grund für das zweite Ereignis darstellt. Aber selbst wenn wir diese kausale Interpretation auf einen experimentellen Kontext beschränken, d.h. auf Ereignisse, die willkürlich durch Operationen des Forschers herbeigeführt werden, und auf die dann das besagte Verhalten der Ratte folgt, gilt eine solche kausale Interpretation nicht. Konkreter: Wer weiß, welche anderen Motive das Verhalten der Ratte bestimmen: Vielleicht durchschaut eine Ratte das Spiel des Forschers und ihre Erwartung richtet sich nicht auf das Futter selbst, sondern darauf, den Forscher zu überraschen, während er das Futter am Ausgang plaziert. Vielleicht ist eine andere weniger intelligente Ratte frustriert davon, in diesem hungrigen Zustand eingesperrt zu sein, und ihre Erwartung richtet sich auf den Ausgang und nichts sonst, wobei sie das Futter sozusagen als Nebeneffekt frißt, nachdem sie ihr eigentliches Ziel erreicht hat. Und eine dritte Ratte macht der hungrige Zustand nervös, und ihre Erwartung richtet sich auf irgendein Objekt, das sie bearbeiten und anschließend zerkleinern kann, wobei das Fressen des Futters wiederum einen Nebeneffekt darstellt, usw. So absurd auch solche Beispiele sein mögen: sie sollen klarstellen, daß einen Begriff wie die "Erwartung von Futter" einführen wesentlich mehr inpliziert als nur das Bilden einer Abkürzung für experimentelle Operationen, wie Tolman vorgibt. Es beinhaltet den Rückgriff auf ein genuin psychologisches Konstrukt, auf das eine kausale Interpretation sich zu stützen hat. Mit anderen Worten: der Ratte die Erwartung von Futter zuschreiben als einziges Moment, das zwischen den - Eckart Leiser Behaviorismus Seite 48 vorangehenden Ereignissen und dem schließlichen Verhalten vermittelt, entspricht einer sehr eindimensionalen Sichtweise, darf also nicht für eine logische Schlußfolgerung gehalten werden, sondern erfordert vielmehr eine konkrete inhaltliche Argumentation, die auf die psychischen Prozesse Bezug nimmt. Leider sind psychologische Konstrukte wie die Erwartung, die zum Begreifen dieser psychischen Prozesse beitragen könnten, offiziell vom Operationalismus nicht als wesentliche Aspekte zugelassen, und nehmen daher in Tolmans Konzept einen verdeckten und dunklen Charakter an, mit dem Ergebnis, daß man nicht zwischen der Plausibilität der einen oder der anderen oben gegebenen Interpretation unterscheiden kann, es sei denn aufgrund eines bestimmten Alltagsverständnisses. Erst wenn man über ein theoretisches Konzept verfügt über die Funktionsweise des psychischen Systems und seiner spezifischen Funktionen im Lebenszusammenhang des Organismus, sowie bezüglich dessen Entstehung und dessen phylogenetischer und ontogenetischer Entfaltung, wird man zu einer rationalen Begründung für derartige kausale Interpretationen gelangen. Im gegebenen Fall müßte ein solches theoretisches Konzept die Vordringlichkeit einer Absicherung der Nahrungsbeschaffung für die Existenz des Organismus erklären, den spezifischen Beitrag psychischer Regulierungen für dieses Ziel, und die besondere Funktion einer Repräsentanz dieses Ziels mittels kognitiver Strukturen wie die "Erwartung" (deren Aufgabe es ist, dem Bedürfnis Dauer zu verleihen und die entsprechenden Aktivitäten zu orientieren). Um an unseren Ausgangspunkt zurückzukehren, erweist es sich, daß Tolman in seinem Glauben, daß alle seine Begriffe, insbesondere alle die zu den obengenannten "Gesetzen" gehörenden kognitiven und konzeptuellen Fähigkeiten, nichts weiter als Abkürzungen für experimentelle Operationen darstellen, Opfer eines Selbstmißverständnisses ist. Es gibt eine ausführlichere Analyse von Klaus-Peter Noack (DDR), der bereits im Zusammenhang unserer Kritik des Skinnerismus erwähnt wurde, die sich mit diesem Widerspruch bei Tolman zwischen seinen operationalistischen Prinzipien und seinen Erklärungsansprüchen beschäftigt (in: W. Friedrich: Zur Kritik des Behaviorismus. Köln 1979, S. 109 ff.). Man stößt auf weitere Ungereimtheiten im Konzept Tolmans, die einige konkretere Aspekte betreffen: Als Beispiel sein Konzept des kognitiven und operativen Felds beim Organismus: statt einige elementare Regeln zu benennen, nach denen sich ein solches Feld organisiert, in denen sich die wesentlichen Existenznotwendigkeiten der entsprechenden Spezies darstellen, erweckt Tolman den Eindruck, daß dieses Feld aus sehr verwickelten und abstrakten mathematischen und topologischen Prozeduren hervorgeht. So entsteht das Bild eines gigantischen Computers und nicht eines Organismus, der grundlegende Funktionen seiner Existenz zu erfüllen hat. Und alles das läuft auf einem vollständig spekulativen Niveau ab, ohne jeden praktischen Wert. Dieser Verlust eines Praxisbezugs widerspricht kraß den Praxisansprüchen, die der Behaviorismus seinerzeit anderen Auffassungen von Psychologie entgegengestellt hat. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 49 Während er vom Organismus das Bild eines überdimensionalen Computers zeichnet, hört Tolman nicht auf, von einschneidenden Vereinfachungen Gebrauch zu machen. So ist für ihn die Umwelt immer ein festgelegtes Szenarium, mit stabilen Merkmalen, die ein System von Bedingungen unter vollständiger Kontrolle des Forschers bilden, ein System, das das Verhalten des Organismus nach Tolmans Vorstellung auf klare und einseitig gerichtete Weise festlegt. Die Umwelt setzt die Bedingungen, die die Reaktionen des Organismus auslösen. Man könnte vollständig vergessen, daß die wirkliche Umwelt der Organismen zugleich aus anderen Organismen und insbesondere aus deren Artgenossen besteht. Stellt man diese Erweiterung des Problems in Rechnung, verwandelt sich die Problemstellung, die kausalen Beziehungen zu erforschen zwischen festgelegten Umweltreizen und durch diese bestimmten Verhaltensprozessen, die ja bereits in ein Dickicht von Faktoren und Bedingungen hineinführt, in ein Problem von noch einmal vervielfachter Komplexität: das Erforschen des Systems von Wechselwirkungen zwischen mehreren Organismen, der vielen wechselseitigen Prozesse, der Rückwirkungen zwischen ihren kognitiven und operativen Feldern usw. Hält man an der mechanistischen Betrachtungsweise dieser Situation fest, gibt es jetzt nicht mehr eine Asymmetrie zwischen dem betrachteten Organismus und seiner Umwelt, die es erlauben würde, eine Kette von Ursachen und Wirkungen herzustellen. Statt dessen hätten wir es jetzt mit dem ziemlich merkwürdigen Szenarium einer Versammlung passiver Organismen zu tun, jeder bereit zu reagieren, aber gleichzeitig alle darauf wartend, daß einer agiert. Um diese Absurdität zu überwinden, müßte man ein mechanisches Modell entwerfen, das diese verschiedenen Organismen in ihrer Gesamtheit umfaßt, in Analogie zu einer mathematischen Vorgehensweise, die darin besteht, die Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Variablen durch einen übergeordneten "Mechanismus" von Gleichungen zu ersetzen, der den Verlauf jeder Variablen ein für allemal beschreibt. Es gibt ein sehr viel einfacheres Problem in der Astronomie, die Wechselbeziehungen zwischen 3 Planeten auf der Grundlage der Gravitationsgesetze zu beschreiben, was schon nicht mehr innerhalb eines geschlossenen Systems von Gleichungen durchführbar ist. Angesichts dieser unüberwindlichen Probleme, sein mechanisches Verhaltensmodell auf Realsituationen anzuwenden, und der Tatsache, daß schon sein Modell für künstliche und höchst vereinfachte Situationen in hohem Maß aus Spekulationen besteht, drängt sich die Frage auf, wie Tolmans Konzept jemals dem behavioristischen Anspruch genügen soll, praktische Probleme zu lösen, und insbesondere menschliches Verhalten vorauszusagen und zu modellieren. Das Ergebnis der Tolmanschen Bemühungen, die Defizite des klassischen Behaviorismus zu überwinden, scheint ein wenig paradox zu sein: Die Aufzählung seiner vielen intervenierenden und Umweltvariablen (s. seine entsprechenden Listen), keineswegs vollständig, ohne schlüssige Ordnung, und durch ein gigantisches Netz von mathematischen und topologischen, wenn auch nur imaginären, Beziehungen verknüpft, verkehrt die ursprünglich vom Behaviorismus verkündete Forderung nach Ökonomie in ihr Gegenteil. Darüber hinaus verkehrt sein relativistisches Modell der kognitiven und operativen Felder, das in einer subjektivistischen, ja beinahe solipsistischen Terminologie und ohne jede Übersetzung in objektive Charakteristiken entworfen wird, eine weitere vom Behaviorismus verkündete Forderung in ihr Gegenteil: die nach absoluter Objektivität seiner Konstrukte. Aber all das ist lediglich der Anfang der Zersetzung des Behaviorismus, wie wir im weiteren sehen werden. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 50 Kapitel 6: Die Wiederentdeckung der menschlichen Komplexität: der Behaviorismus von Albert Bandura Wir haben bereits einen Versuch kennengelernt, das behavioristische Paradigma zu retten, und zwar durch Vertiefung und Verbesserung seiner theoretischen Basis: den Ansatz von Tolman. Das Ergebnis blieb wenig überzeugend: sehr komplexe und gleichzeitig wenig realisierbare theoretische Ansprüche, mit der Folge, daß die praktischen Probleme menschlichen Verhaltens weit außerhalb der Reichweite dieses Konzepts blieben. Wir werden jetzt einen weiteren Versuch zur Rettung des behavioristischen Paradigmas kennenlernen: den Ansatz von Bandura. Wir beginnen, indem wir zwei Zitate wiedergeben: "Für die Umwelten gibt es ebenso Ursachen wie für das Verhalten. Es trifft zu, daß das Verhalten durch seine Kontingenzen reguliert wird, aber diese Kontingenzen sind, zumindest teilweise, Produkte der Person. Über ihre Handlungen spielen die Menschen eine aktive Rolle beim Herstellen der verstärkenden Kontingenzen, die auf sie eine Wirkung ausüben. Wie zuvor gezeigt, erzeugt das Verhalten teilweise die Umwelt, und die Umwelt beeinflußt in umgekehrter Richtung das Verhalten. Dem häufig gehörten Motto, das besagt: 'Verändere die Kontingenzen, und Du wirst als Folge das Verhalten ändern' sollte man die umgekehrte Version hinzufügen: 'Ändere das Verhalten, und Du wirst die Kontingenzen ändern'. (Bandura: Social Learning Theory. Englewood Cliffs (N. J.) 1977, S. 203). Und er fährt fort: "Je größer die Voraussicht, das Geschick und die Selbstkontrolle (der Menschen, E.L.), alles das erwerbbare Fähigkeiten, um so größer ist der Fortschritt in Richtung auf seine Ziele. Wegen des Phänomens des reziproken Einflusses sind die Menschen Architekten ihrer eigenen Geschicke." (a.a.O. S. 206). Sodann, mit Bezug auf die Fähigkeit des Menschen, sich derart zu verhalten, liest man, daß das funktioniert, indem "sowohl die Reize für die angemessene Handlung als auch die Anreize, diese beizubehalten, zur Verfügung gestellt werden. Da vorweggenommene Anreize die Wahrscheinlichkeit dieses Typs von schließlich irgendwann einmal verstärktem Verhalten erhöht, ist eine derartige Anreizfunktion sehr nützlich." (a.a.O. S. 18). Die beiden Zitate spiegeln die ganze Spannweite im Denken von Bandura wider: auf der einen Seite die Betonung der menschlichen Subjektivität auf eine an dialektische Kategorien erinnernde Weise, und auf der anderen Seite seine Beschränkung auf die klassischen Kategorien des Behaviorismus. So wie Tolman beim Ausarbeiten seines Konzepts seinen empirischen Ausgangspunkt hatte, nämlich den experimentellen Augenschein, der für die Rolle kognitiver Prozesse sprach, so hat auch Bandura seine empirischen Argumente. Beispielsweise fand man in einem Experiment (Spielberger und De Nike 1966) heraus, daß die Verstärkung einer bestimmten Art von seiten der Versuchsteilnehmer produzierten Worten kaum irgendeine Wirkung hatte, bis diese schließlich das Unterscheidungsprinzip erkannten. Aus diesen durch andere Experimente vielfach bestätigten Eckart Leiser Behaviorismus Seite 51 Ergebnissen zieht Bandura den Schluß, daß es nicht die Verstärkung als eine nachfolgende Erfahrung ist, die das Festhalten der richtigen Reaktionen und das Ausscheiden der falschen Reaktionen bewirkt, sondern daß es das Begreifen der Logik ist, auf der eine Kontingenz beruht. Nach dieser Ansicht ist es die Antizipation der Verstärkung, die den Lernprozeß antreibt, und darüber hinaus eine intrinsische Motivation, ein Verhaltensproblem kognitiv zu bewältigen, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. Dieser Aspekt überschreitet die "Erwartung" der Ratten in Tolmans Konzept, abgesehen davon, daß die kognitiven Aufgaben in den erwähnten Experimenten auf räumliche Beziehungen beschränkt waren. Diese Fähigkeit des Menschen, Verhaltensmodelle und kognitive Modelle auszuarbeiten, allein aufgrund einer intrinsischen Motivation, die in seiner Umwelt sich stellenden Herausforderungen zu bewältigen, wird, wie wir im folgenden sehen werden, zu einem zentralen Element in Banduras Ansatz, dem Modellernen: Von weiterer empirischer Evidenz ausgehend, stellt Bandura fest, daß es einen Typ des Lernens gibt, der unabhängig von praktischen Erfahrungen ist und trotzdem sehr wirksam und komplex in bezug auf die Ergebnisse, und der arbeitet mit dem Beobachten eines Modells. Das einfachste Niveau dieses Typs ist die Nachahmung der Erwachsenen durch die Kinder schon in der frühen Kindheit in bezug auf zufällige Bewegungen, bestimmte Tätigkeiten oder ausdrücklich vorgeführte Operationen. Zwar stellt Bandura fest, daß ein solches Lernen durch Modellbildung vorkommt, leider aber bietet er, wie wir sehen werden, kaum irgendeine Erklärung an, die geeignet wäre, in dieses Phänomen theoretisch etwas Licht zu bringen. In der Tat läuft schon die kindliche Nachahmung auf eine enorme Erschütterung des behavioristischen Paradigmas hinaus. Nach diesem Paradigma wäre die Nachahmung bestenfalls verständlich, wenn man sich eine verwickelte Versuchsanordnung vorstellt, die aus dem Verhaltensmodell besteht - dem Muster - und dem zufällige Reaktionen abstrahlenden Organismus, der nach Versuch und Irrtum verfährt. Erst wenn eine Übereinstimmung zwischen einem Verhaltenselement des Modells und einem Verhaltenselement des Organismus auftritt, würde der letztere eine Verstärkung erhalten. Danach müßte man warten, bis dieses Element ein weiteres Mal auftritt und gleichzeitig ein zweites Element, das dem Verhalten des Modells zumindest ähnelt. Dieses müßte man verstärken mit dem Ziel, das zweite Element jedesmal mehr in Richtung auf das Muster hin zu modellieren, und gleichzeitig die Verkettung zwischen beiden Elementen aufrechterhalten, usw. Ich denke, daß diese Andeutungen genügen, um klarzustellen, daß auf diese Weise die Nachahmung einer komplizierteren Bewegung erklären dem Hauptgewinn im Lotto entspricht. Aber wichtiger ist, daß es im Fall der besagten Kinder weder einen Prozeß von langer Dauer noch eigentliche Verstärkungen gibt. Wie es scheint, genügt die Beobachtung eines Modells, um alsbald eine Kopie herzustellen. Man könnte höchstens die Wirkung sekundärer Verstärkungen in Betracht ziehen, irgendwelche auf seiten des Modells erfahrene vorteilhaften Konsequenzen, ein im Rahmen der behavioristischen Logik schwer zu erklärender Effekt. So richtig diese Einwände gegen eine Zurückführung des Phänomens auf das klassische Paradigma auch sind, gelingt es Bandura nicht, jenem Paradigma seine eigene theoretische Position entgegenzustellen. Er bleibt mehr oder weniger beim Anblick dieser Fähigkeit stehen, wobei er sie Eckart Leiser Behaviorismus Seite 52 als eine Naturtatsache betrachtet, die zur angeborenen Ausstattung des Menschen gehört. Zur Illustrierung ein Zitat: "Als Ergebnis ihrer wiederholten Darbietung erzeugen die modellierenden Reize dauerhafte und reidentifizierbare Bilder der modellierten Operationen." (a.a.O. S. 25). Zweifellos liegt hier eine sehr mechanistische Betrachtungsweise vor, die im Widerspruch zu der im obigen ersten Zitat vorgefundenen dialektischen Sprechweise steht. Für mich handelt es sich hier um eine sehr exemplarische Situation des Behaviorismus zwischen der komplexen Wirklichkeit und seinen reduktionistischen Ansprüchen, wie sie im Denken Banduras verkörpert ist: Bandura schwankt ständig hin und her zwischen dem Wahrnehmen der komplexen Phänomenologie menschlicher Subjekte, die fähig sind, ihre Verhaltenskompetenzen auf aktive und bewußte Weise zu erweitern, mit dem Ziel, ihre Umwelt ihren Bedürfnissen gemäß und in einem gesellschaftlichen Raum zu strukturieren und zu kontrollieren. Auf der anderen Seite aber, bei dem Vorhaben, diese Phänomenologie theoretisch aufzuhellen, fällt er in die mechanistischen Kategorien zurück. Im Unterschied zu den radikalen Vertretern des Behaviorismus nach Art Skinners jedoch entscheidet sich Bandura im Zweifelsfall für die Komplexität der menschlichen Wirklichkeit. Es ist dies zwar eine pragmatische Entscheidung aber nichtsdestoweniger eine Entscheidung, die ihm einige praktische Resultate ermöglicht. Im Augenblick interessieren uns jedoch mehr die theoretischen Aspekte von Banduras Position. Aus dem Gesagten folgt zunächst, daß er das Projekt des Behaviorismus aufgibt, ein einheitliches Konzept für das Verhalten von Organismen zu entwickeln. Denn letztlich schließen seine Überlegungen zum Modellernen, das sich im Mittelpunkt seines Interesses befindet, viele allein für den Menschen zutreffende Voraussetzungen ein: Das beginnt mit der Fähigkeit, mich auf einen Artgenossen als ein Spiegelbild meiner selbst zu beziehen, und dabei gleichzeitig die Identität und den Unterschied aufrechtzuerhalten. Es geht weiter mit der Fähigkeit, eine Entsprechung zwischen der Topologie meiner Bewegungen und den Bewegungen des Modells herzustellen, was eine Virtualisierung und Dezentrierung meines Bezugssystems erfordert. Oder die Fähigkeit, ohne die physische Ausführung des Modellverhaltens auszukommen und diese durch kognitive Repräsentationen zu ersetzen. Oder die Fähigkeit, das Verhalten des Modells systematisch zu analysieren und es dabei in seine Elemente zu zerlegen. Oder gar die Fähigkeit, die kognitiven Bilder in eine symbolische Sprache zu übersetzen, die mir gestattet, die Verhaltensschemata für die Zukunft aufzubewahren und sich diese wieder zu vergegenwärtigen - gemäß dem Konzept von Bandura ein letzter Schritt der individuellen Entwicklung von Modellernen. Mangels einer präzisen theoretischen Orientierung, die die Bestimmung der menschlichen Spezifika und deren Abgrenzung von unterhalb des Menschen liegenden Fähigkeiten ermöglichen würde, gelangt Bandura jedoch zu einem Gemisch widersprüchlicher Argumente. Verteidigt er gegen den radikalen Behaviorismus die Vermittlungsfunktion kognitiver Prozesse für das Zustandekommen der erwähnten Typen von Lernen, so argumentiert er wie folgt: "Angenommen, man bietet den Versuchspersonen Worte unterschiedlicher Länge dar, und man sagt ihnen, ihre Aufgabe sei, als Reaktion mit der richtigen Zahl zu antworten, die dem jeweiligen Wort entspricht. Legen wir eine willkürliche Regel fest, nach der sich die "richtige Zahl" ergibt, indem wir die Anzahl der Eckart Leiser Behaviorismus Seite 53 Buchstaben eines Wortes von 100 abziehen, den Rest durch 2 teilen und das Ergebnis mit 5 multiplizieren ... Ein zum Denken nicht fähiger Organismus wird keinerlei Leistungsfortschritt zeigen, so lange man auch seine Reaktionen verstärkt." (a.a.O. S. 21). Dieses Beispiel, das zur prinzipiellen Widerlegung der automatischen Rolle von Verstärkern gedacht ist, schließt ohne Not die subhumanen Organismen aus der Argumentation aus, für die seine Kritik gleichermaßen gilt. Andererseits, beim Versuch, sein Modellernen über den Menschen hinaus zu verallgemeinern, argumentiert er folgendermaßen: "Höhere Tiere können sich durch Beobachtung komplizierte Sequenzen von Reaktionen aneignen, sogar wenn sie diese erst nach einem bestimmten Intervall nach Abschluß der ursprünglichen Vorführung ausüben. Die beeindruckendste Evidenz für eine solche verschobene Modellierung neuer Verhaltensmuster findet sich bei den in menschlichen Familien aufgezogenen Schimpansen (Hayes und Hayes). Sie sitzen vor Schreibmaschinen und betätigen die Tasten, bringen, vor Spiegeln stehend, Lippenstift auf ihr Gesicht auf, öffnen Dosen mit Büchsenöffnern und übernehmen andere menschliche Tätigkeiten, die sie dann und wann ausgeführt sehen, ohne jeglichen vorhergehenden Unterricht. Der Erfolg von Gardner und Gardner (1969), die Schimpansen eine Zeichensprache beigebracht haben, beweist die hochentwickelte Fähigkeit der Primaten, sich mittels Beobachtung eine allgemeine Kommunikationsfähigkeit anzueignen, die bei zukünftigen Anlässen, innerhalb verschiedener Zusammenhänge und für eine Vielfalt von Zielen eingesetzt wird." (a.a.O. S. 34). Leider verdeutlicht Bandura mit diesem Beispiel wiederum eher die Defizite seines Konzepts von Modellernen statt dessen Verallgemeinerbarkeit. Denn abgesehen von oberflächlichen Ähnlichkeiten: Was hat die menschliche Fähigkeit des Schreibmaschine-Schreibens mit den Spielereien zu tun, die ein Schimpanse mit einer Schreibmaschine veranstaltet? Auf diese Weise übergeht Bandura vollständig all die umfangreichen Diskussionen über die Spezifika von Werkzeugen im menschlichen Lebenszusammenhang und deren Rolle innerhalb der menschlichen Evolution. Aber Bandura läßt sogar seine eigene Analyse des Modellernens außer acht, weil es danach die den Tätigkeiten des Modells zugeschriebenen nützlichen Folgen sind, im Fall der Schreibmaschine im geschriebenen Produkt materialisiert, die das Modellernen anregen sowie das Festhalten und Vervollkommnen dieser Fertigkeit erklären, Aspekte, die auf die Schimpansen im Beispiel schwer anwendbar sind. Oder abgesehen von einer oberflächlichen Ähnlichkeit: Was hat der Erwerb und der Gebrauch einer menschlichen Symbolsprache mit den "Symbolen" eines Schimpansen zu tun, die ihm als Signale in gegebenen Situationen dienen? Wiederum übergeht Bandura all die umfangreichen Diskussionen über die Rolle von Zeichen auf unterschiedlichen Niveaus: etwa ein Signal, das auf gegenwärtige Objekte oder gegebene Ziele verweist, verglichen mit einem Symbol, das Träger einer allgemeinen Bedeutung ist, ein Begriff im linguistischen Sinn, der die kognitive Darstellung und die soziale Kommunikation semantischer Schemata unabhängig von jeglichem aktuellen Bezug ermöglicht. Auch hier wieder läßt Bandura seine eigene Analyse außer acht, nach der das symbolische Niveau die höchstentwickelte Formation in der Entwicklung des menschlichen Individuums im Hinblick auf das Modellernen ist. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 54 Wenn wir die beiden Beispiele zusammenfassen, können wir feststellen, daß Bandura sich zwar auf die menschliche Komplexität einläßt und in diesem Punkt den Reduktionismus des klassischen Behaviorismus überwindet, aber er tut das ohne einen klaren Begriff von den Spezifika des Menschen, der eine präzise Analyse ermöglichen könnte und eine saubere Abgrenzung von allgemeineren Fragestellungen bezüglich der Merkmale psychischer Prozesse. Zusammengenommen zeigt sich, daß sein Konzept des Modellernens ein "deus ex machina" ist, der erfunden wurde, um den Gegenstand des Behaviorismus in Richtung auf komplexere Phänomene des Psychischen beim Menschen zu erweitern. Diese Erweiterung zielt nicht in erster Linie auf einen erklärenden Zugang, sondern auf eine Beschreibung. Diese beschriebenen Phänomene erst einmal gegeben, ist Bandura als Pragmatist daran interessiert, irgendwelche relevanten Variablen herauszufinden, die für die praktischen Aufgaben der Humanpsychologie ausgenutzt werden können: So sucht er etwa die vorangehenden Variablen, die den Prozeß des Modellernens beeinflussen, d.h. die in der Umgebung der Person liegenden Variablen, und ebenso die nachfolgenden Variablen, also die Arten von Verstärkung. Auf diese Weise sammelt er eine Menge von Faktoren, die die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten kraft Modellernen begünstigen oder behindern. Aber angesichts der seinerzeit dargelegten Argumente gegen die Möglichkeit, eine theoretische oder praktische Kontrolle über psychische Prozesse zu gewinnen, indem man irgendwelche relevanten Variablen anhäuft, verwundert es nicht, daß die Ergebnisse von Bandura ziemlich oberflächlich bleiben. Was hervorsticht, ist ein erheblicher Kontrast zwischen der Vielfalt aufgeworfener Fragestellungen und dem Erklärungswert ihrer Behandlung: Was die enorme Vielfalt seiner Fragestellungen betrifft: Er wendet sein Konzept des Modellernens auf den Erwerb der ersten motorischen Muster beim Neugeborenen an, auf den Erwerb der entwickelteren Schemata sensomotorischer Koordination beim Kind, des Sprechens, der Fertigkeit, Werkzeuge zu benutzen und herzustellen, von kognitiven Techniken der Problemlösung, der moralischen und politischen Haltung, oder allgemeiner: emotionaler und kultureller Muster, ja sogar auf den Erwerb der Schemata künstlerischer Kreativität. Aber gleichzeitig gibt es einen Mangel von Erklärungskraft, der z.B. deutlich wird, wenn man seinen Standpunkt hinsichtlich der Nachahmungstätigkeiten in der frühen Kindheit mit der diesbezüglichen Position Jean Piagets vergleicht. Seinem genetischen Herangehen entsprechend geht Piaget davon aus, daß die Wahrnehmung eines Menschen als Modell eine Unterscheidung zwischen dem "Ich" und dem "Anderen" voraussetzt (selbstverständlich haben diese Begriffe bei Piaget eine andere Bedeutung als in der Psychoanalyse). Nach den Untersuchungen Piagets taucht diese Unterscheidung nicht plötzlich auf, sondern entsteht in einem längeren Prozeß. Nach Piaget hat deshalb das erste Auftreten der Nachahmung einen engen Bezug zu den eigenen sensomotorischen Schemata des Säuglings. Piaget sieht diese Position durch Experimente bestätigt, in denen der erste Schritt der Nachahmung aus einer zeitlich versetzten Nachahmung seiner eigenen, vom Forscher wiederholten, Bewegungsmuster bestand, die sich der Säugling erarbeitet. Er erklärt sodann die folgenden Schritte des Modellernens beim Kind als eine allmähliche Dezentralisierung des Bezugssystems, in deren Verlauf das Kind es schafft, immer abweichendere Eckart Leiser Behaviorismus Seite 55 Bewegungsmuster nachzuahmen (s. Piaget: Nachahmung, Spiel und Traum. Stuttgart 1969). Abgesehen von den eigenen Defiziten Piagets, die u.a. an seiner Unterschätzung der sozialen Interaktionen und Interventionen in der Entwicklung des Individuums liegen, wird bei seinem genetischen Ansatz die Bildung der spezifischen Beziehung zwischen einem Beobachter und einem Modell zumindest vorstellbar, die das Kind dann schließlich und endlich dazu befähigt, fremdes Verhalten nachzuahmen, also eine "Nachahmungsbeziehung" aufzubauen. Bandura führt zwar mit vollem Recht verschiedene experimentelle Ergebnisse an, die die besagten Defizite Piagets unterstreichen, ihm gelingt es aber leider keineswegs, eine befriedigendere Erklärung anzubieten, statt dessen bestreitet er letztlich die Notwendigkeit irgendeiner Erklärung. Ein Zitat: "Wenn die sensorischen und motorischen Systeme hinreichend entwickelt sind und die partiellen Fertigkeiten vorliegen, gibt es keinerlei Grund, daß Kinder nicht durch Beobachten anderer neue Reaktionen lernen könnten." (a.a.O. S. 32). Und welche Gründe gibt es dafür, daß sie es können? Vergeblich wartet man auf eben diese positiven Gründe, die die Existenz der besagten "partiellen Fertigkeiten" oder allgemeiner die Fähigkeit des Lernens durch Beobachtung begreifbar machen könnten. Was ich meine, wenn ich das Konzept des Modellernens einen "deus ex machina" nenne, ist, daß es schließlich lediglich eine Lücke füllt zwischen dem klassischen Behaviorismus und dem Behaviorismus Banduras mit seinem Anspruch, die menschliche Komplexität zu umfassen: Einerseits muß die menschliche Komplexität zugestanden werden, andererseits fehlen die Kategorien, um die historische und individuelle Dynamik zu verstehen, die diese Komplexität als funktionale Antworten auf die Herausforderungen der menschlichen Entwicklung hervorgebracht hat. Statt das historische Auftreten der menschlichen Komplexität zu erklären, behandelt Bandura diese als vollendete Tatsache, ohne irgendeine Vermittlung zu den subhumanen Formen herzustellen. Und statt das individuelle Entstehen dieser menschlichen Komplexität zu erklären, reduziert Bandura ihren Erwerb und ihre Weitergabe auf einen mechanischen Akt des Kopierens. Im Grunde heißt das, den entsprechenden Prozeß durch sein Ergebnis zu ersetzen. Die Qualität dieses Typs von Erklärung erinnert mich an die Zweckursachen, die man insbesondere in der aristotelischen Philosophie findet. In der Tat gibt es im bisher zitierten Buch einige klassische Beispiele für derartige Zweckursachen. Sehen wir uns einige an: Während er die Voraussetzungen des Modellernens durchgeht, begründet Bandura die Funktion des Erinnerns, des Festhaltens und des Symbolisierens von beobachtetem Verhalten folgendermaßen: "Die Menschen können durch das Beobachten von Modellverhalten nicht beeinflußt werden, wenn sie es nicht erinnern (Hervorhebung E.L.). Ein zweiter wichtiger am Modellernen beteiligter Vorgang betrifft das Festhalten der gelegentlich modellierten Tätigkeiten. Damit die Beobachter aus dem Verhalten nicht mehr anwesender und ihnen damit keine Orientierung mehr gebender Modelle Nutzen ziehen können, muß das Muster der Reaktion im Gedächtnis auf symbolische Weise dargestellt sein. Durch das Medium von Symbolen können vorübergehende Erfahrungen der Modellbildung im Langzeitgedächtnis aufbewahrt werden." (a.a.O. S. 25). Bleibt nur eine Frage: Wie verwirklichen und konkretisieren sich diese Voraussetzungen, die aus einer Zwecksetzung abgeleitet sind: dem Modelllernen nach Art Banduras? Eckart Leiser Behaviorismus Seite 56 Wie dem auch sei, beim empirischen Untersuchen der vielen Aspekte bei der Ausbildung und Deformation von menschlichem Verhalten gelangt Bandura zu einigen ziemlich überzeugenden Schlußfolgerungen: etwa daß Erwerb und Anwendung eines Modellverhaltens zwei völlig verschiedene Dinge sind; daß zwischen beiden Ebenen ein differenzierter Prozeß der Bewertung hinsichtlich des Nutzens, des moralischen Aspekts und der sozialen Akzeptanz des entsprechenden Verhaltens liegt (leider verrät er nicht, wie dieser Prozeß konkret funktioniert); und was die Moral betrifft, daß eine moralische Haltung verbal vertreten und sie praktizieren wiederum zwei verschiedene Dinge sind; und bezüglich der Lernanreize gelangt er zu dem Schluß, daß wichtiger als äußere Verstärkungen die intrinsischen Verstärkungen sind, die auf der aus der Tätigkeit selbst kommenden Befriedigung gründen; ja sogar daß der Mensch in der Lage ist, seine Verstärkungen gemäß irgendwelchen übergeordneten Bedürfnissen zu definieren und einzusetzen; und schließlich und endlich gelangt er zu dem Schluß, daß die Übernahme eines durchaus verlockenden Verhaltensstils, so überzeugend ein Modell für den Beobachter auch sein mag, an Geldmangel scheitern kann. Man muß zugeben, daß zumindest das letzte Ergebnis nicht so überraschend ist. Von einer entsprechenden Vielfalt sind die von Bandura und seinen Kollegen nahegelegten oder in Angriff genommenen Anwendungsfelder: Es beginnt mit der Förderung beim Aufbauen sensomotorischer Schemata in der frühen Kindheit. Es geht weiter mit der Strukturierung und Veränderung von Verhaltensschemata innerhalb der familiären und schulischen Sozialisation. Weiterhin ergeben sich therapeutische Konzepte, die zum Aufbau alternativer Verhaltensschemata führen oder zum Abbau von auf Angst beruhenden Verhaltenshemmungen. Und schließlich deutet Bandura mögliche Anwendungen seines Konzepts an, die auf raffiniertere Strategien der Werbung und politischen Propaganda zielen. Die erwähnte Erkenntnis, derzufolge die Übernahme eines Verhaltensstils aufgrund von Geldmangel scheitern kann, kennzeichnet recht gut den Banduras Analyse bestimmenden Abstraktionsgrad. Es ist die den Behaviorismus insgesamt bestimmende Abstraktion, dessen spezifische Funktion wir im Fall Skinners untersucht haben. Unter dieser Abstraktion, oder konkreter: unter dieser Ausschaltung der konkreten Zusammenhänge leidet schon der eigentliche zentrale Punkt seines Konzepts, das Modellernen. Da er die unterschiedlichen Umstände außer acht läßt, unter denen eine Person eine andere beobachtet, entgeht Bandura, daß der Zweck, so etwas zu tun, von der konkreten Situation abhängt. Jemanden, der vor mir steht, als Modell behandeln, dessen Verhalten ich kopieren will, ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Eine andere Möglichkeit wäre, daß zwischen beiden Personen eine Freundschaftsbeziehung besteht, und die Beobachtung dazu dient, mein Verhalten mit dem des Freundes zu koordinieren. Oder es besteht eine Konfliktbeziehung, und die Beobachtung dient dazu, das Verhalten zu bestimmen, mit dem ich am besten das Verhalten meines Gegenspielers stören kann. Oder es handelt sich gar um eine Liebesbeziehung, und die Beobachtung dient dazu, das Verhaltens-Gegenstück zu finden, mit dem ich meine Geliebte oder meinen Geliebten am meisten erfreue (gar nicht zu reden von komplexeren Konstellationen, die seitens der Kritischen Psychologie thematisiert werden wie Kooperationsbeziehungen, die sich aus der Arbeitsteilung ergeben, in denen die Beteiligten sich wechselseitig auf ihre Werkzeugfunktionen hin beobachten usw., eine im Sinn der besagten Kritischen Psychologie grundlegende Situation für die Verallgemeinerung von Bedeutungen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 57 sozialer Rollen). Der Versuch, alle diese sozialen Konstellationen auf die eine Konstellation des Kopie-Machens zurückzuführen, scheint mir wenig fruchtbar zu sein, um die theoretischen und praktischen Probleme der Psychologie zu lösen. Er läuft auf einen Reduktionismus neuer Art hinaus, trotz aller Ansprüche Banduras, die menschliche Komplexität in Betracht zu ziehen. Wenn wir das Wesentliche unserer Kritik zusammenfassen: Wir haben festgestellt, daß das gesamte System Banduras, so beeindruckend es auch ist mit all seinen Phänomenen und Typen und Niveaus und Bereichen des Lernens, auf einem Schlüsselelement gründet: der Nachahmungsbeziehung zwischen einem beobachtenden Organismus und seinem Modell. Und gerade dieses Schlüsselelement bleibt mehr oder weniger dunkel. Insbesondere bleibt dunkel, wie ein solches Element mit der behavioristischen Logik vereinbar sein soll. Denn schon auf dem subhumanen Niveau setzt das Eingehen einer solchen Nachahmungsbeziehung ein Repertoire kognitiver Schemata voraus, die unmittelbar verfügbare Verhaltensmuster betreffen, und die deshalb nicht mehr auf die behavioristische Logik reduzierbar sind. Zudem ist schon der Vorgang der Wahrnehmung in einer solchen Relation offensichtlich weit davon entfernt, nur aus der Aufnahme von Reizen zu bestehen. Allem Anschein nach handelt es sich um einen aktiven Prozeß der Strukturierung und Assimilation des wahrgenommenen Objekts. Denn schon die eigenen Verhaltensmuster nachahmen erfordert ihre Identifikation und ihre Assimilation an schon bestehende kognitive Schemata. Um so komplexer ist die Nachahmung fremder Verhaltensmuster. Kann sich das Zustandekommen der Nachahmung im Fall subhumaner Organismen vielleicht noch auf Instinkt-Regulierungen berufen, schließt die Nachahmungsbeziehung im Fall des Menschen, da sie nicht mehr "natürliche", sondern planmäßig ausgearbeitete Muster umfaßt, nicht auf eine erbliche Ausstattung rückführbare Gegebenheiten ein: nämlich das Vermitteltsein des Nachahmers mit seinem Modell über einen "gesellschaftlichen Raum" von operativen Schemata und ein Netz von verallgemeinerten Bedeutungen, die von der entsprechenden Kultur ständig ausgearbeitet und umgearbeitet werden. Erst auf der Grundlage einer solchen Vermittlung ist das Verstehen des Charakters eines Verhaltensmusters begreiflich, insbesondere sein Nutzwert oder allgemeiner seine positive oder negative Qualität. Ohne eine Klärung dieses gesellschaftlichen Kontextes muß im Dunkel bleiben, wieso die eine Person ein Verhaltensmuster übernimmt und die andere nicht. Es liegt an diesem Fehlen des gesellschaftlichen Kontextes, daß Bandura nicht in der Lage ist, schlüssig zu begründen, wieso denn, als Beispiel, die eine Person bestimmte ethische Normen übernimmt und die andere nicht, wieso denn das Darbieten eines Modells einmal zur Übernahme von Verhaltensmustern anregt und das andere Mal zu deren Umkehrung usw. Zwar bietet Bandura viele nachträgliche Erklärungen und Interpretationen an, aber kaum eine unzweideutige Prognose menschlichen Verhaltens, ein klassisches Kriterium für den Wert eines wissenschaftlichen Konzepts, das vom Behaviorismus in seiner Polemik gegen den Mentalismus unermüdlich hervorgehoben wird. Auf diese Art bleibt das Modellernen so etwas wie ein Zaubermittel für alles und jedes, aber ohne Erklärungskraft in irgendeinem wissenschaftlichen Sinn. Interessanter als sein positiver konzeptueller Beitrag erscheint mir die Kritik Banduras am Paradigma des klassischen Behaviorismus. Sie richtet sich insbesondere gegen die metaphysischen Implikationen des Grundschemas, das zwischen Umwelt, Verhalten und Organismus als feste und durch einseitig gerichtete Beziehungen verknüpfte Einheiten unterscheidet. Wenn wir uns auf den Eckart Leiser Behaviorismus Seite 58 theoretisch differenzierteren Behaviorismus beziehen und auf den Menschen, dann wirkt eine Umwelt U, die nach dieser Vorstellung objektiv gegeben ist, auf eine Person P, und die Charakteristika der Umweltreize zusammen mit den Charakteristika der psychischen Prozesse der besagten Person bestimmen das Verhalten V. Formalisiert liest sich das wie folgt: V = f(P, U) Selbstverständlich ist ein solches Bild vom menschlichen Verhalten nicht akzeptabel für eine Auffassung des Psychischen, die von der menschlichen Subjektivität und von der Fähigkeit des Menschen ausgeht, seine sogenannte Umwelt zu beherrschen und sogar herzustellen. Was erstaunt, ist, daß Bandura innerhalb seiner behavioristischen Kategorien darauf kommt, daß dieses Bild unzureichend ist. Das folgende Zitat läßt das sehr klar werden: "Die Hauptschwäche der traditionellen Formulierungen ist, daß sie die Verhaltensdispositionen und die Umwelt wie zwei getrennte Wesenheiten behandeln, obwohl in Wirklichkeit jede der beiden (Seiten) die Abläufe der anderen bestimmt. Die Umwelt stellt zum größeren Teil lediglich ein Potential dar, bis sie sich durch geeignete Aktionen verwirklicht. Es sind keine festen Eigenschaften, die unausweichlich auf die Individuen einwirken. Dozenten haben keinen Einfluß auf Studenten, wenn diese nicht an ihren Veranstaltungen teilnehmen. Bücher üben keine Wirkung auf die Menschen aus, wenn diese sie nicht auswählen und sie lesen. Feuer verbrennen Menschen nicht, wenn diese sie nicht berühren, und Belohnungen und Bestrafungen bleiben in der Schwebe, bis sie durch konditionierte Tätigkeiten aktiviert werden. Menschen mit der Fähigkeit, gelehrt über bestimmte Themen zu reden, haben Wirkung auf andere, wenn sie reden, aber nicht wenn sie in Schweigen verharren, selbst wenn sie die Mittel dafür haben. So bestimmt das Verhalten teilweise, welches der vielen Potentiale der Umwelt ins Spiel kommt und wie diese sich äußern. Andererseits bestimmen Umwelteinflüsse teilweise, welches Verhaltensrepertoire gebildet und aktiviert wird. Innerhalb dieses Prozesses wechselseitiger Einwirkungen ist sowohl die Umwelt als auch das durch sie regulierte Verhalten beeinflußbar." (a.a.O. S. 195). Schon allein dieses Zitat läuft auf eine weitgehende Demontage des behavioristischen Paradigmas hinaus, erstaunlicherweise durchgeführt in einer behavioristischen Begrifflichkeit. Es sind zwei zentrale Aspekte, auf die es sich aufmerksam zu machen lohnt: Erstens die Relativierung der bestimmenden Richtung zwischen der Person und der Umwelt: Die Person hat die Fähigkeit, die Umweltcharakteristiken kognitiv zu definieren und praktisch auszuwählen, denen sie einen Einfluß auszuüben gestattet. Das bedeutet, daß es einen Spielraum für Entscheidungen des Subjekts gibt. Zweitens das Aufgeben des mechanistischen Konzepts von Verhalten: Es gilt nicht mehr als Endergebnis von Umweltfaktoren und persönlichen Faktoren, die als Repertoire von ein Eckart Leiser Behaviorismus Seite 59 für allemal gegebenen Merkmalen vorgestellt werden, sondern als Schnittpunkt im Prozeß der Wechselwirkungen zwischen der Person auf der einen Seite und der Umwelt auf der anderen Seite. Es ist das Verhalten oder besser gesagt die Tätigkeit, die die Umwelt herstellt gemäß den persönlichen Motiven, Fähigkeiten und Konzeptbildungen. Und es ist dasselbe Verhalten, das in dieser Umwelt neue Erfahrungen vermittelt und dadurch die Bildung neuer persönlicher Motive, Fähigkeiten und Konzeptbildungen ermöglicht, beispielsweise auf dem Weg des Modellernens. Bandura deutet diese wechselseitigen Rückwirkungen in der folgenden Formel an: und spricht von der Reziprozität zwischen dem Verhalten und der Umwelt. Nach unserer Analyse wäre es allerdings angemessener, die folgende Formel zu benutzen: und von der Reziprozität zwischen der Person und der Umwelt zu sprechen. Nun gut, Bandura ist offenbar nicht in der Lage, die vollständigen Konsequenzen aus seiner Kritik zu ziehen, sei es durch kategoriale Schranken seines behavioristischen Denkens, sei es wegen taktischer Rücksichten auf den Behaviorismus. Das zeigt sich auch beim Begriff des "reziproken Determinismus", der nach Banduras Vorschlag den klassischen Determinismus ersetzen soll. Dieser Begriff schließt die Behauptung ein, daß trotz aller Unwägbarkeiten, die durch die Zulassung einer Reziprozität zwischen Verhalten und Umwelt eingeführt werden, ein solcher Zusammenhang schließlich und endlich doch einem Mechanismus entspricht, wenn auch einem ziemlich komplizierten Mechanismus. Aber dieser Mechanismus ist nicht länger ein Modell, das als Orientierung für das methodische Vorgehen dient wie im Fall Skinners, sondern vor allem eine ideologische Metapher. Was bleibt ist eine fortwährende Unvereinbarkeit zwischen seinen Ansprüchen, sich auf die Komplexität der menschlichen Wirklichkeit einzulassen, und seinem erkenntnistheoretischen und ideologischen Rahmen. Das nimmt bisweilen rührende Züge an, etwa wenn seine Argumente gegen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 60 den Determinismus Gefahr laufen, seinen ideologischen Rahmen zu sprengen. Das vorwegnehmend warnt er: "Man könnte argumentieren, daß nichts mehr zum Einflußnehmen übrig bleibt, wenn die Individuen teilweise ihre eigenen Umwelten schaffen." Und sofort beruhigt er die Leser: "Selbstverständlich ist das Verhalten nicht die einzige Determinante für die nachfolgenden Ereignisse." (a.a.O. S. 199). Sodann gewinnt er endgültig seinen ideologischen Rahmen zurück, indem er definiert, daß die menschliche Freiheit nicht mehr ist als "die für die Menschen verfügbare Anzahl von Wahlmöglichkeiten." (a.a.O. S. 201). Ich weiß nicht, ob Bandura sich bewußt ist, daß es einen erheblichen Unterschied gibt zwischen der Fähigkeit, seine eigene Umwelt herzustellen, und unter festgelegten Alternativen zu wählen. Dementsprechend verflüchtigt sich der größere Teil seiner innovatorischen Argumente, zu denen er durch Kontakt mit der menschlichen Komplexität angeregt worden ist. Zuguterletzt, beim Einschätzen des in Futurum II dargelegten utopischen Entwurfs von Skinner, besteht der schwerwiegendste Einwand Banduras darin, daß er in einer derartigen Gemeinschaft zusätzliche Abteilungen vermißt, die die verschiedenen Verhaltensstile und subkulturellen Vorlieben der USamerikanischen Bürger repräsentieren. Und im übrigen - das scheint das Endergebnis seiner Analyse zu sein - gibt es ein solches Utopia bereits, nämlich die Vereinigten Staaten selbst, eine Gesellschaft, die jedem die höchstmögliche Anzahl von Wahlmöglichkeiten verschafft, wenn man für den Augenblick einmal von einigen sozialen Problemen absieht, die mit der Hilfe von Psychologen zu meistern sind. Wie zu sehen ist, ist das was vom Unterschied zwischen Skinner und Bandura bleibt nicht sehr aufregend: es ist nicht viel mehr als der Unterschied zwischen zwei Ideologen des nordamerikanischen Systems: dem eher elitären Ideologen der Ostküste (Harvard) und dem mehr liberalen Ideologen Kaliforniens (Stanford), um es einmal so auszudrücken. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 61 Kapitel 7: Ein scholastischer Ausweg aus den Defiziten des Behaviorismus: das System von J.R. Kantor Wir haben zwei verschiedene Wege des Behaviorismus kennengelernt, mit der Kluft zwischen seinen praktischen Ansprüchen und seinen konzeptuellen Defiziten zurechtzukommen: einerseits die praktischen Probleme nach Art Skinners zu vereinfachen und sie dem Niveau der Ratten in der Skinner-Box anzugleichen, andererseits die radikalen Prinzipien des Behaviorismus aufzugeben, entweder indem man dessen antimentalistische Position aufweicht (Tolman) oder indem man sich der Komplexität der menschlichen Wirklichkeit pragmatisch annähert (Bandura). Es gibt noch einen anderen Versuch, das behavioristische Paradigma zu retten: indem die praktische Kontrolle über die Welt durch die ideologische Kontrolle ersetzt wird, wobei die ganze Komplexität der Welt in einem enziklopädischen System eingefangen wird. Der Vertreter dieser Richtung, mit dem wir uns nun beschäftigen wollen, ist J.R. Kantor (1888-1986). Zunächst empfiehlt es sich anzudeuten, was ich meine, wenn ich ein derartiges Vorgehen einer ideologischen Kontrolle zuordne: Gemäß der Ideologietheorie, die von der Bildung und Funktion ideologischer Systeme handelt, ist es ein primäres Bedürfnis des Menschen, seine partiellen, heterogenen und sogar widersprüchlichen Erfahrungen auf ein zusammenhängendes Weltbild hin zu verknüpfen und zu integrieren. Ein solches Weltbild muß weder einen konkreten Wirklichkeitsbezug ermöglichen noch muß es die widersprüchlichen Erfahrungen auf rationaler Grundlage begreifbar machen. Es genügt, daß es Scheinerklärungen anbietet oder magische Techniken, um solche Widersprüche auszuschalten oder zu verdecken. Wir hatten bereits bei drei Gelegenheiten mit dem Problem der Scheinerklärungen zu tun: als Kritik Skinners an den "mentalistischen" Erklärungen, anläßlich seiner eigenen metaphorischen Erklärungen, die er dem entgegenstellt, und im Fall des Modellernens von Bandura als dessen "deus ex machina". Nach der Ideologietheorie, die auf Marx zurückgeht, stellt ein solches ideologisches Weltbild ein wohlorganisiertes psychisches Schema dar, das alle bewußten und unbewußten, emotionalen und imaginären Mechanismen einschließt, die geeignet sind, die Orientierung des Subjekts in der Welt aufrechtzuerhalten. Gewöhnlich fällt die Aufgabe, sein ideologisches System auszuarbeiten, nicht dem jeweiligen Individuum zu, sondern die Gesellschaft oder Kultur bietet derartige bereits wohlausgearbeitete Systeme an. Als Beispiel seien die Religionen genannt, politische und ökonomische Anschauungen, ein Menschenbild und insbesondere eine geläufige Vorstellung von der Humanpsychologie. Im Hinblick auf das hier anstehende Thema, das System von J.R. Kantor, empfiehlt es sich, zwei besondere Eigenarten derartiger ideologischer Systeme hervorzuheben: sie dienen dazu, blinde Flecken in einem rationalen Weltverständnis auszufüllen und neigen dazu, Argumente durch Berufung auf unfehlbare Autoritäten zu ersetzen. Wir werden jetzt diese Kennzeichnung ideologischer Systeme an Kantors Konzept konkretisieren. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 62 Wir beziehen uns dabei im folgenden auf das Buch "Interbehavioral Psychology" (Ohio 1967), erstmals im Jahr 1959 veröffentlicht, mit dem Untertitel "Eine Probe für die Konstruktion wissenschaftlicher Systeme", mit dem Kantor die Absicht verfolgt, in sein Konzept auf systematische und knappe Weise einzuführen. Schon das erste Kapitel, das vom historischen und kulturellen Hintergrund der "interbehavioralen Psychologie" handelt, hat mich vor einige wirkliche Überraschungen gestellt: Ausgerechnet Aristoteles (384-322 v.u.Z.) wählt er aus als höchste Autorität, auf die sich eine antimentalistische Psychologie berufen kann. Da ich Aristoteles kennengelernt habe als einen der Hauptkonstrukteure metaphysischer Systeme innerhalb der abendländischen Philosophie, der gegen den frühen Materialismus Demokrits und gegen die frühe Dialektik Heraklits stand, und außerdem als eine geistige Stütze der mittelalterlichen Scholastik, machte es mich ziemlich ratlos, diesen Zeugen eines katholischen Denkens nun als Pionier der behavioristischen Aufklärung wiederzutreffen. Als einigermaßen skrupelhafter Mensch schloß ich nicht aus, daß mir ein wichtiger Wesenszug dieses Philosophen entgangen war, der für eine antimentalistische Begründung von Psychologie in Frage kommen könnte. Ich zog seinen klassischen Text "Von der Seele" zu Rate, auf den Kantor seine Wertschätzung gründet, und finde dort Zitate wie das folgende: "Es ist nun die Seele Ursache und Ursprung des lebenden Körpers. Diese Begriffe haben einen vielfachen Sinn. Dementsprechend ist die Seele Ursache nach den drei bestimmten Arten: denn sie ist Ursache der Bewegung und auch Ursache als Zweck und als Wesen der belebten Körper ... Denn alle natürlichen Körper sind Werkzeuge der Seele, und zwar bei den Pflanzen ebenso wie bei den Tieren, so daß also diese alle um der Seele willen sind." (Aristoteles: Vom Himmel. Von der Seele. Von der Dichtkunst. Zürich 1950, S. 294). Oder das folgende Zitat: "Jetzt wollen wir das über die Seele Gesagte zusammenfassen und wiederholen, daß die Seele in gewisser Weise die Dinge ist. Denn alle Dinge sind entweder wahrnehmbar oder denkbar, und das Wissen ist gewissermaßen die wißbaren Dinge und das Wahrnehmen die wahrnehmbaren Dinge." (a.a.O. S. 337). Und schließlich als letzte Probe: " Die anderen Wahrnehmungsorgane (neben dem Tastsinn, E.L.) besitzt das Lebewesen, wie wir schon sagten, nicht um des Lebens willen, sondern um der Vollkommenheit willen: so das Sehen, weil es in der Luft und im Wasser lebt und sehen soll, allgemein, weil es im Durchsichtigen lebt; den Geschmack wegen des Angenehmen und Schmerzlichen, damit es dies an der Nahrung wahrnimmt und es begehrt und bewegt wird, das Hören, damit ihm Zeichen gemacht werden können, und die Zunge, damit es selbst anderen Zeichen geben kann." (a.a.O. S. 347). Was ich im besagten Text auf Schritt und Tritt antreffe, ist der vertraute Aristoteles, der Erfinder der Zweckursachen, der metaphysischen Unterscheidungen zwischen Wesen, Attributen und Akzidenzien sowie der verwickelten Hierarchien zwischen den Wesenheiten, Fähigkeiten und Kräften, aus denen die Welt besteht. Und ausgerechnet dieser Wiederhersteller einer göttlichen und rigiden Ordnung des Denkens, die die Interessen der herrschenden Gruppen in den zu seiner Zeit emporkommenden Staatssystemen des antiken Griechenlands, insbesondere Athens und seiner Hegemonie, widerspiegelte und ideologisch konsolidieren half (gemäß einer Analyse von J.P. Bernal in seinem Werk "Wissenschaft" Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 187 ff.), ausgerechnet er soll stehen " für die Periode, in der der Gesichtspunkt der (rationalen, E.L.) Ursachen entstand: die Erklärung von Ereignissen durch Wechselbeziehungen und Faktoren anstelle von persönlichen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 63 Kräften und mythischen Schöpfern"? Das glaubt Kantor und er fährt fort festzustellen, daß "bis ins zweite Jahrhundert v.u.Z. die griechischen Wissenschaftler das psychologische Geschehen genauso wie das Funktionieren von Organismen behandelten, die sich in Kontakt mit stimulierenden Objekten befinden." (a.a.O. S. 4). Angesichts der obengenannten Zitate ist das für mich eine wahrhaft eigenwillige Einschätzung. Ironischerweise gibt es tatsächlich eine Verwandtschaft zwischen Kantor und Aristoteles, allerdings eine Verwandtschaft, deren sich Kantor, wie es scheint, nicht bewußt ist. So ist es z.B. der spekulative Charakter ihrer jeweiligen Systeme, der Kantor mit Aristoteles verbindet. Der deutsche Philosoph G.W.F. Hegel, als Vertreter der idealistischen Philosophie in gewissem Sinn die Verkörperung des "Mentalismus" und deshalb von seiten Kantors wahrscheinlich nicht besonders geschätzt (obwohl in seinem Überblick über die Philosophie so wenig erwähnt wie Marx), feiert Aristoteles aufgrund dieses spekulativen Elements, das dessen philosophisches System kennzeichnet (s. seine "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II", Frankfurt 1971, S. 199-221). Wir werden zu diesem Gesichtspunkt später zurückkehren. Bevor wir die Verwandtschaft zwischen Aristoteles und Kantor genauer zur Sprache bringen, wollen wir uns ein wenig mehr mit einer Eigentümlichkeit von Kantors Vorgehensweise befassen, die die bloße Spekulation überschreitet: die Einführung von Zeugen und Beispielen nach dem Muster seiner Anrufung der gerade untersuchten Psychologie der alten Griechen. Indem er sich ständig auf Autoritäten in Form von unanfechtbaren Zeugen und Beispielen beruft statt zu argumentieren, macht Kantor einen analytischen Zugang zu seinem Konzept schwierig. Eine Einschätzung seines Konzepts hängt daher in hohem Maß vom Wert und der Plausibilität dieser Autoritäten ab, also von den angeführten Zeugen und Beispielen. Wir wollen nun einige dieser Autoritäten untersuchen. Ein durchgängiges Beispiel, das sich wie ein roter Faden durch den Text zieht, ist die sogenannte "Revolution der nichteuklidischen Geometrie". Wiederum traf mich diese Bezeichnung für eine sehr spezielle Fragestellung innerhalb der Mathematik über die logische Struktur der geometrischen Axiome von Euklid mit Überraschung. Im einzelnen handelt es sich um die Frage, ob das Postulat Nr. V in den "Elementen" von Euklid eine notwendige Folge der übrigen Festlegungen seines Systems darstellt, oder ob es logisch gesehen unabhängig ist. Etwas vereinfacht geht es um die Frage, ob zwei "Geraden", die alle anderen Festlegungen für Parallelen erfüllen, sich trotzdem schneiden können. Seinerzeit entzündete sich diesbezüglich ein Streit, der sich zu dieser Frage über mehrere Jahrhunderte hinzog, und das Problem, einen Beweis oder Gegenbeweis zu finden, stellte eine Herausforderung für viele Mathematiker dar, was zur Entwicklung neuer Beweistechniken führte und vor allem zur Klärung einiger logischer Grundlagen der Mathematik. Was das Problem selbst betrifft, endete es auf überraschende Weise: N.I. Lobatschewski (17931856) und J. Bolyai (1802-1860) gelang es unabhängig voneinander, ein alternatives Modell der Geometrie zu konstruieren: die hyperbolische Geometrie des Einheitskreises. Für dieses Modell gelten alle Axiome Euklids außer dem Postulat Nr. V. Ich selbst stieß seinerzeit auf das Problem anläßlich meiner Untersuchungen zum Charakter und zur Eckart Leiser Behaviorismus Seite 64 Reichweite des mathematischen Denkens und kam zum Schluß, daß die operative und konstruktive Ebene bei der Entstehung und Entwicklung mathematischer Konzepte eine entscheidende, wenn auch häufig verborgene, Rolle spielt. Umgekehrt ergab sich aus meinen Untersuchungen, daß die axiomatische Form beim Darstellen mathematischer Konzepte nur ein Modus ist, und zwar ein höchst vermittelter Modus, der, weil er die operative Grundlage der entsprechenden Bildungen verdeckt, ein rationales Verständnis der Mathematik erschweren kann. Und nun die Überraschung: Für Kantor ist das, was aus der "Revolution der nichteuklidischen Geometrie" folgt, das genaue Gegenteil: Da er die operative oder gar konstruktive Rolle des Mathematikers leugnet, der nichts anderes tut als mit verschiedenen empirischen Strukturen in Kontakt zu treten, beweist nach ihm die Ausarbeitung eines nichteuklidischen Modells der Geometrie endgültig, daß es nötig ist, die eigenständige Tätigkeit des Wissenschaftlers beim Beschäftigen mit Mathematik so weit wie möglich auszuschalten, um einen möglichst reinen Kontakt mit den mathematischen Geheimnissen zu ermöglichen, die in der Realität draußen zur Entdeckung bereitliegen. So widersinnig eine solche Auffassung auch sein mag, folgt für mich aus ihr, daß auch Kantor die axiomatische Form des Systems von Euklid, die den Ausgangspunkt dieses Streits bildete, für ein Hindernis im Hinblick auf einen reinen Kontakt mit dieser Realität und ihren mathematischen Geheimnissen halten müßte. Umsomehr bleibt als schwer zu lüftendes Geheimnis die Tatsache, daß Kantor selbst sein Konzept mit Hilfe eines Gemischs von Postulaten und Axiomen zu formulieren versucht, und die hierarchische, systematische und äußerst abstrakte Form als das höchstentwickelte und wünschenswerte Niveau von Wissenschaft feiert. Es finden sich eine Menge weiterer irreführender Beispiele im Text, die dazu dienen, seinen Argumenten alle verfügbare wissenschaftliche Würde zu verleihen, von denen wir nur die wichtigsten erwähnen wollen. Wir tun das, bevor wir das eigentliche Konzept Kantors darlegen, denn sie helfen uns, die Seriosität seines Systems ein wenig im voraus zu beurteilen, und bei der Entscheidung, in welchem Maß es sich lohnt, auf die Einzelheiten seines Konzepts einzugehen. Wie schon gesagt, geht es uns dabei nicht darum, uns der Spitzfindigkeit zu bedienen, vielmehr sollen diese Beispiele uns als wichtige Quelle dienen, um die rationale Substanz von Kantors Konzept zu beurteilen, angesichts des Mangels an Argumenten und des höchst abstrakten Charakters seines eigentlichen Systems. Ein nächstes solches durchgehendes Beispiel betrifft die Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879-1955). Gewöhnlich macht es mich sehr mißtrauisch, wenn ich auf die vielen Verrücktheiten treffe, die sich auf die Relativitätstheorie berufen, da sie diese Theorie benutzen, um irgendwelche rationalen Prinzipien unseres Weltbilds abzuschaffen. Ein sehr einfacher Grund für dieses Mißtrauen ist die Tatsache, daß die in die besagte Theorie eingehende Mathematik wegen ihrer Komplexität und Abstraktheit nur wenigen Personen zugänglich und verständlich ist. Was allerdings die obengenannten Leute zumindest richtig sehen, ist eine sehr elementare Konsequenz der Relativitätstheorie: daß nämlich der gesunde Menschenverstand nicht ausreicht, um die Struktur der Wirklichkeit zu begreifen. Als Teil dieser elementaren Konsequenz hört die Kategorie der Zeit und des Raums auf, ein unhinterfragbares Bezugssystem zu ermöglichen, das also für unsere empirischen Erfahrungen eine voraussetzungslose Gültigkeit besitzt. Konkreter: Nach Einstein haben Zeit und Raum selbst eine ziemlich komplexe Struktur, mit dem Ergebnis, um ein Beispiel zu Eckart Leiser Behaviorismus Seite 65 nennen, daß die sogenannte "Schwerkraft" der Theorie Newtons - eine Kategorie, die unmittelbar auf die von Kantor hochgehaltenen direkten Kontakte mit Objekten zurückgeht - sich einer spezifischen Struktur des Raums verdankt und nichts mit irgendwelchen Kräften zu tun hat. Nebenbei gibt es einen weiteren Punkt, der durch alle esoterischen Spekulationen hindurch richtig gesehen wird: es stimmt, daß diese Theorie nicht nur Konsequenzen für unsere Auffassung vom Weltraum hat, sondern auch für unsere Auffassung von der Alltagswelt, die zu ziehen ansteht. Und nun eine weitere Überraschung: Indem er das Vorbild Einsteins anruft, nach dem "die Messungen Funktionen der verwendeten Koordinaten und Kriterien sind" (a.a.O. S. 3), hindert das Kantor nicht daran zu fordern, daß "Wissenschaft ein Unternehmen von Wechselwirkungen mit spezifischen Dingen und Ereignissen (sein sollte), das zu einer bestimmten und genauen Orientierung bezüglich dieser Dinge und Ereignisse führt." (a.a.O. S. 70). Denn "selbst wenn der Wissenschaftler mit komplexen künstlichen Gegebenheiten interagiert, beispielsweise wenn er synthetische chemische Substanzen untersucht oder künstliches Licht, ist er doch nur ein kleines Stück von den unabhängigen Ereignissen entfernt." (a.a.O. S. 32). Insbesondere behauptet er, daß "es genau solche einzigartigen Kontakte sind, die die Geschichte der Wissenschaften ausmachen. Die Geschichte der Astronomie besteht z.B. aus dem, was menschliche Organismen mit den Sternen, Planeten und Kometen taten ... Ähnlich umfaßt die Geschichte der Physik und der Chemie die fortschreitenden Kontakte der Menschen mit Harz, Wasser, Salz, Temperaturveränderungen und den Miriaden von Bewegungen und Wirkungen organischer und anorganischer Objekte, die miteinander interagierten." (a.a.O. S. 38). Wie es scheint, dient Herr Einstein für Kantor immer noch als Zeuge der Prinzipien des gesunden Menschenverstands, trotz dem weiter oben Gesagten und Zitierten. Nicht einmal die frühen Empiristen wie Locke (1632-1704) und Hume (1711-1776) hatten eine derart naive Auffassung vom wissenschaftlichen Prozeß. Aber zuguterletzt und zur Abrundung des Gemischs finden wir plötzlich auf derselben gerade zitierten Seite eine weitere entgegengesetzte Berufung auf Einstein: "Indem sie sich von Zeit und Raum als absolute und getrennte Größen befreite ... betrat die Physik einen neuen Weg von Fortschritten." (a.a.O. S.38). So wird Einstein also wieder zum Kritiker des gesunden Menschenverstands. Um diesen widersinnigen und widersprüchlichen Umgang mit der Relativitätstheorie zusammenzufassen: was aus dieser Theorie folgt, ist wiederum das genaue Gegenteil von dem, was uns Herr Kantor suggeriert: - Aus ihr folgt die Notwendigkeit, sich noch mehr von den unmittelbaren Erfahrungen zu lösen, die aus dem direkten Kontakt mit den Dingen und Ereignissen stammen. - Aus ihr folgt die Notwendigkeit, noch mehr dem gesunden Menschenverstand und seinem Augenschein zu mißtrauen. - Aus ihr folgt die Notwendigkeit, sehr komplexe theoretische und konstruktive Prozesse zwischen unsere Beobachtungen und die erklärenden Konzepte zu schalten. - Aus ihr folgt insbesondere die Notwendigkeit, ausdrücklich die Erkenntnisbeziehung zwischen dem Forscher und seinem Objekt zu reflektieren sowie die systematischen Fehler, die diese Eckart Leiser Behaviorismus Seite 66 einschließen kann, also die Notwendigkeit, ein erkenntnistheoretisches Bezugssystem auszuarbeiten, das dabei hilft, den unmittelbaren Augenschein in Richtung auf ein dezentralisiertes Begreifen der erforschten Phänomene zu überschreiten. Wenn wir unsere Analyse der Autoritäten zusammenfassen: - Eine erste Autorität, auf die Kantor die grundlegenden Kategorien seiner Wissenschaftsauffassung zurückführt, ist Aristoteles. Leider ergab unsere Analyse hinsichtlich der Eignung von Aristoteles für die Grundlegung einer behavioristischen und antimentalistischen Psychologie das genaue Gegenteil: Aristoteles mit seinem Animismus und seinen Scheinerklärungen könnte eher als Erfinder des Mentalismus gelten. - Eine zweite Autorität, die wiederholt zur Bekräftigung der erkenntnistheoretischen Potenz seines Konzepts angeführt wird, und zwar was dessen hierarchische, systematische und höchst abstrakte Struktur betrifft, ist die nichteuklidische Geometrie. Um zu wiederholen, wie unsere Analyse dieser Autorität ausging: sie beweist vor allem die Tendenz von Systemen dieses Typs, im gegebenen Fall des Axiomensystems von Euklid, die Struktur der beschriebenen Objekte zu verdecken. Und die Lösung, die Geometrie von Lobatschewski und Bolyai, beweist die Wichtigkeit operativer Aspekte und konkreter Modelle beim Ausarbeiten theoretischer Konzepte. Alles in allem wiederum das genaue Gegenteil von dem was Kantor behauptet. - Die dritte Autorität, die wiederholt angeführt wird, um das Prinzip direkter Kontakte mit "Dingen und Ereignissen" zu unterstreichen, ist die Relativitätstheorie von Einstein. Was unsere Analyse dieses Zeugen als Resultat erbrachte ist wiederum das Gegenteil der von Kantor gezogenen Schlußfolgerungen: den direkten Kontakten mit "Dingen und Ereignissen" nicht zu trauen sondern zu mißtrauen. Was weitere irreführende Beispiele des Textes betrifft, möchte ich mich darauf beschränken, einige wenige in aller Kürze aufzuzählen: - Er fordert, daß die Psychologie als ihren Gegenstand nur berührbare und sichtbare Phänomene zuläßt, gemäß dem Vor bild der Naturwissenschaften (a.a.O. S. 78). Und wie steht es mit den radioaktiven Strahlen, den chemischen Wertigkeiten usw.? - Er behauptet, daß ein Kennzeichen physikalischer Prozesse ihre Kommutativität oder Reversibilität ist, im Gegensatz zu den organischen Prozessen (a.a.O. S. 87). Und was ist mit dem berühmten zweiten Satz der Thermodynamik, nach dem der Zuwachs an Entropie ein irreversibler Prozeß ist? - Er behauptet, daß die Wissenschaften niemals ein neues chemisches Element produziert haben (a.a.O. S. 32). Und was ist mit den vielen von der Atomphysik geschaffenen Isotopen? - Er behauptet, daß unter psychologischem Gesichtspunkt alle "normalen" menschlichen Individuen biologisch äquivalent sind (a.a.O. S. 88). Und wie steht es mit der genetischen Variation und Eckart Leiser Behaviorismus Seite 67 den biologischen Unterschieden, die auf spezifische, während ihrer Entwicklung wirksame, Faktoren zurückgehen? Unser Resümee, nachdem wir die Autoritäten, d.h. die von Kantor angeführten Zeugen und Beispiele untersucht haben: sie taugen nicht recht, um sein Konzept zu begründen oder plausibel zu machen. Ich fürchte, daß ich die Geduld des Lesers bereits zu sehr strapaziert habe und daß er die Darstellung des eigentlichen Konzepts von Kantor erwartet. Wir brechen daher die Aufzählung ab und kehren zu unserem Ausgangspunkt zurück, der eigentümlichen Funktion derartiger Beispiele innerhalb der ideologischen Zielsetzungen, die ich dem Werk Kantors zu Beginn dieses Kapitels zugeschrieben habe: Trotz aller Ungereimtheiten und Widersprüche führt jedes Beispiel eine Autorität ein, darüber hinaus eine für den Leser häufig wegen fehlender Kenntnisse kaum durchsichtige Autorität, und die Vielfalt der Beispiele suggeriert einen enzyklopädischen Umfang des Rahmens, in dem der Autor sein Konzept ausgearbeitet hat, was eine entsprechende Gültigkeit und Verbindlichkeit des Ergebnisses garantiert. Auf diese Weise ersetzen die Beispiele eigene Argumente des Autors beim Vorstellen seines Konzepts, und er legt dem Leser nahe, indem er ihn an den widersprüchlichen und undurchsichtigen Charakter seiner Darlegungen gewöhnt, die folgenden Ungereimtheiten und Willkürlichkeiten des eigentlichen Konzepts zu übergehen. Nun denn, ich werde mich jetzt bemühen, das eigentliche System Kantors darzustellen. Gestützt auf seine vielen falschen Zeugen, insbesondere auf Einstein, kommt Kantor zu dem Schluß, daß eine moderne Psychologie, d.h. eine "interbehaviorale Psychologie", mit der Kategorie der Kausalität von Anfang an aufräumen muß, denn diese ist nichts weiter als ein Relikt des Mentalismus: Sie ist zu ersetzen durch die Kategorie des "interbehavior". Leider gibt es nicht einen einzigen Satz im gesamten Text, der erklären würde, was dieser Begriff bedeutet, so daß wir die Bedeutungen und Konnotationen dieser Wortschöpfung aus ihrem Verwendungszusammenhang erschließen müssen. Da er ebenfalls auf physikalische Gegenstände angewendet wird, scheint er eine primäre Eigenschaft der Materie zu bezeichnen: die Fähigkeit von Objekten, miteinander in Beziehung zu treten. Was das Verständnis dieser für Kantors Konzept grundlegenden Kategorie erschwert, ist, daß sie nicht den - physikalischen oder organischen - Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Objekten entspricht, die sich gemäß der üblichen Logik von Ursache und Wirkung oder gemäß der Logik der Selbstbewegung im Sinn des dialektischen Materialismus aufbauen. Denn das "interbehavior" ergibt sich weder aus einem zufälligen Zusammentreffen physikalischer Objekte, noch aus dem spontanen Kontakt zweier bisher unabhängiger Partikel (s. Vortrag 3 meiner methodologischen Untersuchungen), sondern anscheinend aus einer vorgegebenen Entsprechung zwischen diesen. Vielleicht wird dieses Bedeutungsmoment des Begriffs besser verständlich, wenn wir seinen Charakter nun ein wenig spezifischer auf der Ebene der Psychologie untersuchen. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 68 Hier ist der grundlegende Begriff Kantors das "psychologische Ereignis", das sich auf der Grundlage eines "interbehavioralen Feldes" bildet. Anstelle einer einseitig gerichteten Gleichung wie R = f(S), die wir vom klassischen Behaviorismus kennen, bietet uns Kantor die folgende implizite Gleichung an (Symbolik ans Deutsche adaptiert, E.L.): PE = F(k, fs, fr, hi, fu, md) PE stellt hierin das "psychologische Ereignis" dar, k einen Restfaktor, der nicht auf die anderen Komponenten des Feldes reduzierbar ist (die "Einmaligkeit" des Feldes) fs die "Stimulusfunktion", fr die "Reaktionsfunktion", hi den "historische Prozeß", in dem fs und fr enstanden, fu die "Umweltfaktoren" der aktuellen Situation, md das "Medium", in dem sich das "interbehavior" realisiert, F (wie ich erschließe) den das Feld ausmachenden funktionalen Mechanismus. Nun gut, versuchen wir, die auf den ersten Blick etwas dunkle Terminologie mit einem vom Autor angebotenen Beispiel etwas aufzuhellen. Das Zitat: "Das Verhaltenssegment, d.h. die psychologische Ereigniseinheit, ist um eine Reaktionsfunktion (fr) und um eine Stimulusfunktion (fs) herum angeordnet; die erstere kann mit einer Tätigkeit des Organismus identifiziert werden, die letztere mit einer Tätigkeit des stimulierenden Objekts. Die verschiedenen Akte, sich auf ein Gebäude als "house", "casa" oder "maison" zu beziehen, stellen unterschiedliche Modi der Reaktionsfunktionen dar. Der Akt des Gebäudes, das eine oder andere Verhaltensmuster zu stimulieren, stellt die Stimulusfunktion dar. Von größter Wichtigkeit ist der historische Prozeß (hi), in dem die Reaktions- und Stimulusfunktion entstanden sind. Gewöhnlich hat sich das zu beobachtende psychologische "interbehavior" über eine Serie von Kontakten zwischen Organismus und Objekten herausgebildet. (In deren Verlauf, E.L.) bringt das französische Kind die Reaktionsfunktion maison hervor ... Im übrigen gibt es die Umweltfaktoren (fu); sie bestehen aus den unmittelbaren Gegebenheiten, die darauf Einfluß haben, welche besondere Verbindung fs-fr auftreten wird. Man muß einen weiteren Faktor erwähnen. Ein Haus "sehen" erfordert Licht. Also ist das Licht das Kontaktmedium, das Medium des "interbehavior" (md)." (a.a.O. S. 16). Dieser Teil des Beispiels mag fürs erste genügen. Nun, diese Sprechweise über Felder und Eckart Leiser Behaviorismus Seite 69 psychologische Ereignisse erinnert an die Vektoren, Gradienten und Valenzen, die in der Theorie Tolmans das Wahrnehmungsfeld bilden, welches zu den inneren Prozessen des Organismus gehört, mit denen er sein Verhalten vorbereitet und strukturiert. Aber wie ist es möglich, daß ein so erbitterter Kämpfer gegen den "Mentalismus" zu einem solchen "mentalistischen" Konstrukt Zuflucht nimmt? Aber die Bedeutung der Begriffe erhellt sich zunehmend, wenn man den Text weiterliest, und wir kommen zum Ergebnis, daß nach Kantor die Reaktionsfunktionen zur physischen Ausstattung des Organismus gehören, die ihm in gewisser Weise im Lauf seiner Geschichte auf seiner Oberfläche wachsen wie sein Haar oder seine Finger. Etwas vorsichtiger formuliert: die Reaktionsfunktionen sind auf empirische Weise von außen zugänglich, obwohl man sich ihre Berührbarkeit und Sichtbarkeit, die nach den Postulaten Kantors für wissenschaftliche Gegenstände zu fordern sind, nur schwer vorstellen kann. Bleibt das Problem, sich den Charakter der Stimulusfunktionen zu erklären, die dem stimulierenden Objekt zukommen, etwa dem Gebäude im Beispiel. Wiederum gäbe es die durch Tolmans Theorie nahegelegte "mentalistische" Interpretation: daß der Organismus lernt, gehen wir von objektiven Merkmalen eines unabhängigen Objekts aus, spezifische Muster aufzubauen, für die er sensibel wird, womit er die für sein Verhalten relevanten Eigenarten herausfiltert. Das würde heißen, daß das gleiche Gebäude bei unterschiedlichen Personen und bei der gleichen Person in unterschiedlichen Situationen unterschiedlichen Stimulusfunktionen entspricht. Offen gesagt erscheint mir die Zuordnung derartiger unterschiedlicher Filter auf ein unveränderliches Objekt ziemlich merkwürdig, es sei denn man geht von der perzeptiven und solipsistischen Perspektive des Organismus aus, ein für uns angesichts des Antimentalismus auf seiten des Autors nicht in Betracht kommender Ausweg. Glücklicherweise gibt der Autor in einem späteren Teil der Vorstellung seines Systems einen Hinweis. Hören wir dem Zitat mit Sorgfalt zu: "Beispielsweise wird das englische Kind durch einen Hut derart stimuliert, daß es ihn "the hat" nennt, während die Interaktion des deutschen Kindes dazu führt, daß es ihn "der Hut" nennt. Kurz gesagt: das gleiche Objekt stimuliert unterschiedlich. Eine psychologische Handlung ist also ... eine spezifische Aktivität, die mit der Stimulusfunktion eines Objekts verbunden ist. Tatsächlich kann jedes einzelne Objekt eine Vielzahl unterschiedlicher Stimulusfunktionen besitzen." (a.a.O. S. 48). Diese Sprechweise führt uns zu einem Zitat von J. Piaget: "Die Teilchen werden von Aristoteles als eine Art lebendige Wesen begriffen, die aber kein Bewußtsein haben: sie streben gegen bestimmte Ziele, die durch ihre Natur bestimmt sind, und haben somit eine innere Potenz, das Ziel zu erreichen; sicherlich haben aber die unbelebten Körper nicht die Möglichkeit, sich selbst fortzubewegen wie die belebten, sie besitzen indessen die Bewegung in der Potenz, da diese trachtet, sich zu realisieren, und diese Tendenz bildet ihre innere und substantielle Kraft ... Vor allem wirkt in der Theorie der beiden Antriebe die äußere Kraft auf die innere Kraft wie eine Art chemischer Prozeß, da sie durch den Kontakt eine Reaktion auslöst, die nicht direkt daraus hervorgeht. Wir würden lieber von einem biologischen Prozeß sprechen, trotz der Aristotelischen Unterscheidung zwischen dem Belebten und Unbelebten: die äußere Kraft vereinigt sich genaugenommen nicht mit der inneren Kraft, sondern aktiviert diese lediglich in der Art: "stimulus" - "response" (im behavioristischen Sinn, E.L.)." (J. Piaget: Die Entwicklung des Erkennens II. Stuttgart 1975, S. 81). Eckart Leiser Behaviorismus Seite 70 Im Licht dieser Kennzeichnung des Denkens von Aristoteles gelang es mir, die Kategorien und Konstrukte Kantors besser zu verstehen: Sein "interbehavior" hat alle Wesenszüge des aristotelischen Animismus. Und seine Reaktions- und Stimulusfunktionen entsprechen genau den inneren Potenzen der aristotelischen Körper. Es gibt eine besondere Zuordnung zwischen einem Gebäude und einem französischen Kind, die sich in der Beziehung zwischen einer besonderen Stimulusfunktion und einer entsprechenden Reaktionsfunktion darstellt. Es gibt eine andere besondere Zuordnung zwischen dem gleichen Gebäude und einem englischen Kind. Und es gibt sogar eine besondere Zuordnung zwischen zwei Steinen, aus der sich deren "interbehavior" aufbaut. Eine Differenz bleibt übrig: wie es scheint, ist es im Konzept Kantors das Unbelebte, das die erste Instanz darstellt, da es über eine äußere Kraft verfügt, die die innere Kraft des Organismus, mittels der entsprechenden Zuordnung fs-fr, auslöst. Ich mache auf die Tatsache aufmerksam, daß wir damit zum Ausgangspunkt zurückgekehrt sind, nämlich dem Feiern der aristotelischen Philosophie von seiten Kantors, sowie auf meine Ankündigung, daß es in der Tat eine Verwandtschaft zwischen beiden gibt. Aber was wir bisher über diese Verwandtschaft offengelegt haben, ist nur der Anfang. Nähern wir uns dem eigentlichen System von Kantor, verstärkt sich der Eindruck, in eine aristotelische Welt einzutauchen. Es ist eine Welt von unerschöpflichen Festsetzungen und Klassifikationen, die das Bild einer allumfassenden Ordnung erzeugen, wie sie weiter oben als ein wesentlicher Zug ideologischer Systeme gekennzeichnet worden ist, und diese beginnt schon auf dem Vorfeld der eigentlichen Darstellung des Systems: - So zerfällt nach Kantor die Geschichte der Psychologie in genau 3 Phasen: die griechische Phase, die transzendentale Phase und die interbehaviorale Phase (a.a.O. S. 4-6). (Und was ist, wenn mir die schüchterne Frage zusteht, mit der materialistischen Psychologie?) - Im Hinblick auf ihr Paradigma zerfällt die moderne Psychologie in genau 7 Typen: die Quantifizierung, das Experimentieren, den Parallelismus, den Analogismus, den Operationalismus, den linguistische Ansatz und den Deduktismus (a.a.O. S. 21-24). (Und was ist mit dem Strukturalismus, wenn mir eine weitere Frage gestattet ist?) - Was die Geschichte der Wissenschaften betrifft, gibt es genau 3 Stufen: eine vorwissenschaftliche Stufe, eine protowissenschaftliche Stufe und eine wissenschaftliche Stufe (a.a.O. S. 33-34). Und wie steht es mit der selbstreflexiven Stufe der Wissenschaften im Sinn von Piaget?) - Im Hinblick auf die Evolution des Psychischen gibt es genau 4 Stufen: die anorganische (oder planetarische) Stufe, die phylogenetische Stufe, die ontogenetische Stufe und die interbehaviorale Stufe (a.a.O. S. 43-48). (Wie zum Teufel soll man sich eine Phylogenese ohne Ontogenese vorstellen?) - In bezug auf die Typologie der Theorien ist es zwar so, daß sich die Lage etwas verwickelter aber nichtsdestoweniger wohlgeordnet darstellt. Zunächst gibt es die Einteilung zwischen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 71 "kryptologischen" und "gymnologischen" Theorien. Im weiteren zerfällt die erste Abteilung in die interpretativen und investigativen Systeme. Die interpretativen Systeme ihrerseits teilen sich auf in die rationalen, empirischen und analogischen, usw. usf. (a.a.O. S. 57-64). (Und warum klassifiziert man die Systeme nicht außerdem nach ihren Anfangsbuchstaben, als zusätzliches Kriterium?) Lassen wir den Rest der vorbereitenden Klassifikationen weg und wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun dem eigentlichen System Kantors zu! Dieses System legt gleichzeitig den Gegenstand einer wahren Psychologie fest und den Modus von dessen Erforschung. Es beginnt mit dem Metasystem, das sich seinerseits auf einige Protodefinitionen und Protopostulate stützt. Eine Kostprobe: "Protodefinition Nr. 3: Protodefinitionen dienen der Beschreibung der wissenschaftlichen Arbeit.", "Protopostulat Nr. 3: Keine Wissenschaft befaßt sich mit irgendeiner Existenz oder irgendeinem Prozeß, welche die Grenzen des wissenschaftlichen Unternehmens überschreiten." Danach folgt ein Gemisch von Metaaussagen, Metapostulaten und Folgesätzen. Als Beispiel "Metapostulat Nr. 3: Die Begründung des Systems. Ein interbehaviorales System der Psychologie unterscheidet sich von allen anderen traditionellen erkenntnistheoretischen und ontologischen Systemen." (alles das a.a.O. Kap. 6, S. 69-74). Und nun das eigentliche System der interbehavioralen Psychologie, vorgestellt mittels einer verwickelten Hierarchie von Definitionen, Postulaten und Folgesätzen sowie voll von Festlegungen und Klassifikationen, ohne ein einziges Argument und ohne sich zumindest auf irgendwelche anderswo ausgearbeiteten Argumentationen zu berufen. Als Beispiel führt die Definition Nr. 2 die Unterscheidung zwischen natürlichen Ereignissen und nach den Notwendigkeiten der Forschung aufbereiteten Ereignissen ein. Und plötzlich, in Definition Nr. 3, stößt man auf sehr substantielle Festlegungen über die typischen Ereignisse, in die sich der Gegenstand der interbehavioralen Psychologie aufteilt: Ereignisse, die gekennzeichnet sind durch die Diskrimination, das Lernen, die Motivation, die Emotion, die Wahrnehmung und das schließende Denken. (Und was ist mit der Aufdeckung oder dem Entdecken von Reizen als weiteres klassisches Ereignis oder mit dem heuristischen Denken?) Die Willkürlichkeit derartiger Festlegungen schon auf der Ebene der Definitionen zeigt sich beispielsweise in der Feststellung, daß "emotionale Ereignisse aus verkürzten und unvollständigen Reaktionen auf stimulierende Objekte bestehen" (a.a.O. S. 92). Woher weiß das der Autor, der hier dabei ist ein Programm zu verkünden, im voraus? Es folgt eine Reihe von Postulaten, die die wesentlichsten und gleichzeitig ziemlich dunklen Ansprüche der interbehavioralen Psychologie betonen: daß diese von multifaktoriellen Feldern ausgeht, von der Beziehung zwischen den psychologischen mit den biologischen und physikalischen Ereignissen, von der Reziprozität der Prozesse zwischen Objekten und Organismen, vom Gesamtzusammenhang der Welt, in den jedes Einzelereignis eingebettet ist und von der "Kontinuität" zwischen den zu diesem Zusammenhang gehörenden unterschiedlichen Phänomenen. Alles zusammengenommen handelt es sich für mich um einen Mischmasch von nützlichen Kritikpunkten, Trivialitäten und willkürlichen Festlegungen. Was den Charakter der wissenschaftlichen Tätigkeit betrifft und die Möglichkeit, zur Erkenntnis Eckart Leiser Behaviorismus Seite 72 psychologischer Objekte zu gelangen, geht Kantor davon aus, daß die wissenschaftliche Forschung nichts weiter als ein besonderes "interbehavior" ist, dem keinerlei neue Qualität zukommt, und das ohne weiteres zur Erfüllung seiner Funktion fähig ist, nämlich die Gesetze zu entdecken, die seinen Gegenstand bestimmen: Indem er nach den Regeln Kantors Daten zu sich nimmt und verdaut, gelingt es dem Menschen, Erkenntnisse über sich selbst zu produzieren, so wie eine Kuh Milch produziert, indem sie Gras frißt und basta - immer vorausgesetzt, daß der Mensch sich gegen die verborgenen mentalistischen Mächte in seiner kulturellen Umwelt schützt, so wie die Kuh giftige Pflanzen meiden sollte. Wir beenden unsere Darstellung des Systems von Kantor, indem wir die Subsysteme aufzählen, in die sich die Psychologie, selbstverständlich naturgegeben, unterteilt: Den Ereignistypen gemäß unterscheidet Kantor genau 5 unabhängige Subsysteme, die die Disziplinen einer interbehavioralen Psychologie ausmachen: die physiologische Psychologie, die Kulturpsychologie, die Tierpsychologie, die Psychologie des Abnormalen und die Psycholinguistik. Wir verzichten auf die Frage, wieso denn nicht die Kognitionspsychologie oder die Kinderpsychologie in dieser Klassifikation auftauchen, ganz zu schweigen von der Pflanzenpsychologie, die sich nach den Betrachtungen seines Vorbilds Aristoteles eigentlich als unverzichtbar aufdrängt. Statt dessen möchte ich auf eine verblüffende Ironie aufmerksam machen: Ausgerechnet der Behaviorismus, jene Strömung der zeitgenössischen Psychologie, die gegen die Willkürlichkeiten und scholastischen Streitereien der traditionellen Psychologie zu Beginn des Jahrhunderts angetreten war (s. das Manifest von Watson), findet sich schließlich und endlich in ein beispielloses Scholastikertum zurückversetzt, in seinem Bemühen, seine Hegemonie zu befestigen und seine wissenschaftliche Reichweite zu erweitern. Er degeneriert zu einem ideologischen System nahezu ohne empirische Substanz und kehrt zu einem mehr als zweitausend Jahre zurückliegenden aristotelischen Weltbild zurück. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 73 Kapitel 8: Der Zugang der Kritischen Psychologie zum Problem des Lernens: eine Skizze Wenn ich mich im folgenden mit einer Skizze zufriedengebe, so liegt das zunächst an der Tatsache, daß die Kritische Psychologie bis heute nicht über eine fertige Theorie des Lernens verfügt. Die Arbeit auf diesem Feld beschränkt sich auf vorbereitende Untersuchungen und Konzeptbildungen mit dem Ziel, einen kategorialen Rahmen zu schaffen, der eine Orientierung für die Ausarbeitung der zukünftigen eigentlichen Theorie liefert. Aber schon dieser kategoriale Rahmen wird kaum verständlich sein ohne Bezug auf die allgemeineren Grundlagen der Kritischen Psychologie, die den Anspruch hat, ein alternatives Paradigma für die Psychologie insgesamt anzubieten. Bevor wir den Zugang der Kritischen Psychologie zum speziellen Problem des Lernens skizzieren, müssen wir deshalb den kategorialen Rahmen dieses alternativen Paradigmas sowie seine philosophischen und methodologischen Grundlagen zumindest andeuten (für eine gründlichere Herausarbeitung s. meine methodologischen Untersuchungen von 1987). Im Gegensatz zum mechanistischen Weltbild, das den philosophischen Hintergrund des Behaviorismus bildet, wie im vorangehenden bei vielen Gelegenheiten entwickelt, geht die Kritische Psychologie davon aus, daß die zentrale Kategorie, die für ein Begreifen der Welt nötig ist, die Selbstbewegung der Materie ist, eine Kategorie, die das Auftauchen immer komplexerer Strukturen begreifbar macht. Es ist dies ein nicht endender Entwicklungsprozeß, der fortwährend neue Strukturen und Qualitäten hervorbringt. Denn die Selbstbewegung schließt die Fähigkeit der Materie ein, sich selbst zu organisieren, ohne jedes Eingreifen von außen, sei es in Form eines Gottes oder einer anderen geheimnisvollen Instanz. Es handelt sich hier um eine erkenntnistheoretisch sehr wichtige Kategorie, weil sie bedeutet, daß die Gesetzmäßigkeiten jedes Prozesses, die psychischen Prozesse eingeschlossen, in deren eigener Dynamik liegen, und nicht in irgendeinem dunklen Raum. Und diese Gesetzmäßigkeiten sind nicht unveränderlich und ein für allemal festgelegt, sondern lediglich ein Aspekt sich entwickelnder Systeme, der wie die besagten Strukturen und Qualitäten dem Wandel unterworfen ist. Zu den während dieser Evolution entstandenen neuen Strukturen zählen, als Beispiel, atomare Strukturen, die chemischen Elemente und Verbindungen, geologische Formationen unserer Erde usw. Und zu den während ebendieser Evolution hervorgetretenen neuen Qualitäten zählen die Entstehung des Lebens, und, als unser Gegenstand, die Entstehung des Psychischen. Wie von der Kritischen Psychologie und ihren Vorläufern innerhalb der sowjetischen Psychologie (Leontjew, Galperin, Wygotski u.a.m.) dargelegt, ist das Auftreten des Psychischen weit davon entfernt, ein Luxus zu sein, zudem ein problematischer Luxus, der letztendlich zu der seitens des Behaviorismus so verdammten mentalistischen Pest führt. Noch weniger ist es ein Phantom, wie Skinner sagt, sondern es ist eine sehr spezifische Funktion, die grundlegend die Überlebensmöglichkeiten der betreffenden Arten erweitert hat. Gemäß der gleichen Analyse setzte das Aufkommen des Psychischen eine neue Entwicklungsdynamik in Gang, insbesondere des psychischen Systems selbst. Nach A.N. Leontjew, dem wichtigsten Vorläufer der Kritischen Psychologie, ist es möglich, innerhalb der Evolution des Psychischen bis zum Menschen hin, also innerhalb der sogenannten "Psychophylogenese", 4 wichtigere Stufen zu unterscheiden: Eckart Leiser Behaviorismus Seite 74 - die primitivste Stufe der sensorischen Psyche, die sich bei den ersten mehrzelligen Organismen wie den Amöben findet; - die Stufe der perzeptiven Psyche, die mehr oder weniger die Fähigkeiten der Ratten umfaßt, wie sie der Behaviorismus nach Art Tolmans aufgezählt hat; - die Stufe der intelligenten Psyche, wie sie sehr gut durch die Affen W. Köhlers veranschaulicht wird (Stichwort: Einsichtverhalten); - und schließlich die Stufe der bewußten Psyche des Menschen, mit all ihren Funktionen, Zusammenhänge mittels Symbolen darzustellen, und diese zu analysieren, umzuformen und zu kommunizieren. Die letzte Stufe ermöglicht ein psychisches System, das aufbaut auf und gleichzeitig führt zu der Produktion verallgemeinerter Bedeutungen, sei es im Rahmen einer Gruppe oder einer Gesellschaft. Zu diesen gehören sprachliche Begriffe, die sozialen Rollen und kulturellen Charakteristika, deren entstehungsgeschichtlicher Ausgangspunkt und materielle Basis die vielen Werkzeuge und Gebrauchswerte sind, über die eine Kultur verfügt. Auch das Lernen hat seine eigentümliche Evolution innerhalb des psychischen Systems, die wiederum von einer wohldefinierten Funktion ausgeht: Nach den besagten Analysen entstand das Lernen an einem Punkt der Evolution, wo das Leben der Organismen immer mehr von wechselnden Merkmalen und Variablen ihrer jeweiligen Umwelt abhängig wurde, die deshalb nicht mehr mit Hilfe einer Instinktausstattung vorweggenommen werden konnten. Kürzer gesagt: Die Funktion des Lernens im allgemeinsten Sinn besteht darin, einen Spielraum der Anpassung an vorweg und langfristig nicht festgelegte Umweltmerkmale zu gewährleisten. Aber diese sehr allgemeine und abstrakte Kennzeichnung ändert nichts an der Tatsache, daß der Charakter der Lernprozesse beim Menschen und deren Bedeutung innerhalb seiner Lebensweise nicht viel mit den entsprechenden Prozessen der subhumanen Organismen zu tun haben. Was seine Bedeutung betrifft, spielt das menschliche Lernen verglichen mit anderen Spezies eine zentrale und nie dagewesene Rolle. Das liegt vor allem an der besonderen Dynamik der menschlichen Umwelt, die ihre Ursache in der Fähigkeit des Menschen hat, sich mittels seiner Arbeitsprodukte seine eigene Welt zu gestalten, und die darüber hinaus in der Evolution sozialer Strukturen auf einer nicht mehr biologischen, sondern konstruktiven Grundlage begründet ist. Zusammengefaßt, liegt die Bedeutung des Lernens an der Anhäufung von Wissen, Bedeutungen und kulturellen Mustern, von deren adäquaten Gebrauch das Leben jedes Individuums abhängt. Deshalb besteht das menschliche Leben in hohem Maß in der Aneignung des in der Gesellschaft angesammelten menschlichen Erbes. Und die Bedeutung dieses Erbes überwiegt immer mehr die seines biologischen Erbes. Besser gesagt besteht das menschliche Leben in der ständigen Erweiterung der Kontrolle des Individuums über die Möglichkeiten, über die die Gesellschaft verfügt, im Rahmen seiner sogenannten Sozialisation, und danach in einer ständigen Anpassung an die aktuellen Veränderungen seiner Situation und an die wachsenden Anforderungen der anderen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 75 hinsichtlich seiner Beiträge zum gemeinsamen Leben. Was den Charakter solcher menschlichen Lernprozesse betrifft, so umfassen diese alle obengenannten Möglichkeiten des Psychischen beim Menschen, insbesondere seine mit seinem Bewußtsein zusammenhängenden Fähigkeiten. Das heißt, daß das menschliche Lernen in hohem Maß ein bewußtes Lernen ist. Schon allein diese dominierende Rolle des Bewußtseins in Lernprozessen bedeutet, nach Auffassung der Kritischen Psychologie, daß jeder Versuch, das menschliche Lernen auf irgendwelche Prinzipien des subhumanen Lernens zu reduzieren, sinnlos und irreführend wäre. Statt sich damit abzumühen, trotz dem Gesagten die Ähnlichkeiten zwischen dem menschlichen Lernen und dem subhumanen Lernen zu erforschen und zusammenzustellen, und aus diesen irgendwelche sehr allgemeine wenn auch abstrakte Prinzipien herauszuziehen, wie es der Behaviorismus tut, hat es die Kritische Psychologie vorgezogen, damit zu beginnen, das Problem des menschlichen Lernens in den Mittelpunkt zu stellen, und sogar noch konkreter des menschlichen Lernens im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft. Wir werden jetzt versuchen, die Aspekte dieser Fragestellung zu entfalten, wobei wir uns auf einen kürzlich erschienenen Text von Klaus Holzkamp stützen werden, dem Begründer der Kritischen Psychologie, mit dem Titel: "Lernen und Lernwiderstand" (in: Forum Kritische Psychologie 20, 1987, S. 5-36). Holzkamp beginnt damit, die elementarsten Defizite zu bestimmen, die sich ihm schon bei der Problemformulierung in den traditionellen Lerntheorien aufdrängen. Für ihn schließen diese nicht nur die behavioristischen Konzepte ein, sondern auch die kognitivistischen Konzepte (Miller/Galanter/Pribham, Bruner, Klix) und sogar die von den Vorgängern der Kritischen Psychologie stammenden Konzepte, insbesondere das Konzept von Galperin. Was den Behaviorismus mit den anderen erwähnten Schulen verbindet, ist die Ausschaltung des Individuums als Subjekt und zentrale Instanz des Lernens. Uns überrascht dieser Vorwurf nicht in bezug auf den Behaviorismus, wo der Organismus als Mechanismus behandelt wird, der von außen kommenden Bedingungen und Kontingenzen unterworfen ist. Dort ist die Umwelt die zentrale Instanz und das wirkliche Subjekt des Lernens, indem sie das Verhalten des Organismus gemäß den in den Kontingenzen verborgenen Zielen modelliert. Was dagegen für den Organismus zählt, sind die Verstärkungen und sonst nichts. Diese sind die eigentlichen Triebkräfte, die den Lernprozeß in Gang halten. Somit läuft der Behaviorismus auf eine vollständige Trennung zwischen den zwei Seiten des Lernens hinaus: dem Ziel und der Triebkraft. Im Fall der klassischen Experimente des Behaviorismus materialisiert sich diese Trennung in Form des Experimentators einerseits, der sich die Ziele ausdenkt und diese in eine entsprechende Versuchsanordnung umsetzt, und in Form des Verstärkers andererseits, der das Verhalten des Organismus antreibt. Soviel zum Behaviorismus. Das überraschendere Ergebnis von Holzkamp ist, daß es eine ähnliche Trennung in bezug auf die kognitivistischen und sogar die materialistischen Konzepte des Lernens gibt. Was er meint, wird Eckart Leiser Behaviorismus Seite 76 deutlich, wenn man die durch diese Konzepte inspirierte Praxis betrachtet. Es ist nämlich so, daß auch diese Konzepte des Lernens sich nicht ernsthaft auf die Prozesse des Individuums einlassen, die beim Angehen eines Lernproblems ablaufen. Dazu gehört die Frage: wie bilden sich seine Ziele heraus? wie wählt es seine Mittel und Strategien aus? was sind seine Fortschritte und seine Krisen? was ist die fördernde oder behindernde Rolle seiner sozialen Umgebung? Statt sich ernsthaft auf diese Problemstellungen einzulassen, verwandeln sich die besagten Konzepte des Lernens, sobald sie sich der Praxis zuwenden, in beinahe ausschließlich dem Lehren gewidmete Konzepte: Sie bieten Strategien und Techniken nicht für das Subjekt des Lernens an, sondern für die Lehrer und Erzieher, zusammen mit den entsprechenden Anreizen oder Sanktionen, die zur Durchsetzung beliebiger Ziele geeignet sind. Auch hier werden die Ziele vorweg definiert und ohne jede Berücksichtigung der Bedürfnisse der betroffenen Individuen. Das heißt, daß das Problem des Lernens auf das Problem des Lehrens reduziert wird, verstanden als die Durchsetzung von Zielen gegen das Individuum (wenn auch selbstverständlich in seinem Interesse) mittels von außen kommender Manipulationen. Das klassische Feld derartiger Konzepte ist die Schule, wo die besagte Trennung zwischen den Zielen und den Triebkräften sich zusätzlich konkretisiert in Form des Unterrichtsstoffes einerseits, den vom Lehrer festgelegten Zielen, und dem Notensystem andererseits, das das Verhalten des Schülers antreibt. Auf diese Weise verwandelt sich das allseits präsente Phänomen des Lernens in die sehr spezielle Fragestellung der Schulpädagogik, mit dem den pädagogischen Bemühungen der Lehrer ausgesetzten Schüler. Wie zuvor gesagt, findet man die gleiche Reduktion und die gleiche Ausschaltung des Subjekts als Instanz seines eigenen Lernens in den materialistischen Konzepten wie jenem von Galperin, eine Kritik, auf die wir hier nicht weiter eingehen können. Nun: Was meint die Kritische Psychologie konkret, wenn sie von der menschlichen Subjektivität als Ausgangspunkt ihres Zugangs zum Problem des Lernens spricht? Die erste Konsequenz eines solchen Zugangs ist die Frage, wie die Ziele entstehen, auf die sich das menschliche Lernen richtet. Denn ein Effekt der obengenannten Einführung der Ziele von außen ist, daß deren Auswahl und Definition eine mehr oder weniger beliebige Angelegenheit zu sein scheint. Auf diese Weise bleibt selbst im Rahmen der Schulpädagogik die Festsetzung der Lernziele außerhalb der psychologischen Betrachtung. Die Kritische Psychologie weist diese Verkürzung des Problems zurück und geht davon aus, daß die Aufstellung der Lernziele einen zentralen Teil des Lernens bildet. Es entspricht dem allgemeinen Streben des Menschen, seine Kontrolle über seine Lebensbedingungen zu erweitern und seine produktiven Fähigkeiten zur Teilhabe an der Gestaltung seiner Umwelt zu entwickeln, was die Aufstellung dieser Ziele bestimmt - nach der Analyse der Kritischen Psychologie ein elementarer Wesenszug der menschlichen Natur. Wir sprechen ausdrücklich von einer Aufstellung und nicht lediglich von einer Auswahl der Ziele, denn mit den vielen materiellen und ideellen Produkten umzugehen, die sich akkumuliert in einer Gesellschaft vorfinden, erschöpft sich nicht in der Aneignung eines festen Repertoires von isolierten und wohldefinierten Fertigkeiten und Techniken. Besser gesagt entsprechen die in einer Gesellschaft vorgefundenen verallgemeinerten Bedeutungen einem Raum von Möglichkeiten oder einem Potential virtueller Funktionen. Und außerdem sind die verschiedenen Potentiale untereinander verbunden, bilden also ein funktionales Netz. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 77 In erster Annäherung können wir sagen, daß das Lernen des menschlichen Individuums ein lebenslanger Prozeß ohne dauerhaften Gleichgewichtszustand ist, der darauf zielt, die relevanten Komponenten solcher Potentiale Schritt für Schritt auszuwählen, und sie auf ein entsprechendes Netz von lebenswichtigen Operationen, nützlichen Fertigkeiten und produktiven Fähigkeiten hin zu verknüpfen, die dem Individuum eine Kontrolle seiner Umwelt auf immer umfassenderem Niveau ermöglicht. Nach dieser Auffassung besteht ein Lernziel aufstellen darin, jene funktionalen Eigenschaften eines Objekts, repräsentiert in seiner verallgemeinerten Bedeutung, zu identifizieren, die dem Individuum auf einem gegebenen Entwicklungsniveau beherrschbar und zugleich relevant erscheinen in dem Sinn, daß sie ihm eine Erweiterung seiner Kontrolle der Welt ermöglichen. Wenn wir von der "Kontrolle der Welt" sprechen, dürfen wir uns nicht eine omnipotente Person vorstellen, die sich die Welt unterwirft: es handelt sich um eine psychologische Kategorie, die sich auf die relative Welt des Individuums bezieht, die mit der frühen Welt des Kindes und der schon umfassenderen Welt des Heranwachsenden beginnt. Der Text enthält zwei Beispiele, die das Gesagte recht gut veranschaulichen: der Lernprozeß bei einem Jugendlichen das Klavierspielen betreffend, und der Lernprozeß bei einem Kind im Hinblick auf das Umgehen mit einem Löffel. Beide Beispiele stellen nach der Analyse von Holzkamp die Bedeutung des Aufstellens von Zielen seitens des betroffenen Individuums als wesentlichen und integrierenden Schritt des Lernens klar. Um mit dem Klavier zu beginnen, ist es klar, daß es nicht genügt, unter dem Ziel die Fähigkeit "Klavier zu spielen" zu verstehen und damit gut. Wir gehen von einem Jugendlichen aus, der schon eine erhebliche Praxis mit dem Klavier hat, der sich aber mit seinem Können nicht zufriedengibt und nach einem entwickelteren Niveau des Musikmachens strebt, vielleicht nach Art seines Idols Arthur Rubinstein: Da er an die Grenzen seiner gegenwärtigen Fähigkeit gelangt ist, könnte der nächste Schritt darin bestehen, sich zunächst von den technischen Problemen des Klavierspielens zu lösen und sich statt dessen mit den Gesichtspunkten des gefühlsmäßigen Ausdrucks oder womöglich mit dem historischen oder biografischen Hintergrund des entsprechenden Komponisten zu beschäftigen. Es könnte sogar angebracht sein, daß er vorübergehend das Instrument wechselt, um sein Spektrum von Tonfarben zu erweitern. Wie zu sehen ist, kann die Bestimmung eines Ziels eine sehr verwickelte und sogar konfliktträchtige Angelegenheit sein, in jedem Fall aber ist sie ein zentraler Aspekt des Lernens. Im zweiten Beispiel des Kindes, bei dem ansteht, den Umgang mit einem Löffel zu lernen, ist es wiederum so, daß es schon eine bestimmte Praxis mit dem besagten Löffel gab, jedoch auf einem primitiven Niveau, ohne die verallgemeinerte Bedeutung zu begreifen, die in unserer Kultur einem Löffel zukommt. Womöglich kann das Kind ihn greifen und Suppe auf seine Eltern spritzen, aber nicht von seinen eigentlichen Merkmalen Gebrauch machen. Was hier fehlt, ist die Ausarbeitung eines völlig neuen psychischen Schemas, das den Werkzeugcharakter eines Löffels schon in dessen Wahrnehmung darstellt, wobei es diesen Werkzeugcharakter in den entsprechenden sensomotorischen Funktionen widerspiegelt und konkretisiert. Auf diese Art gelangt das Kind dazu, den Eckart Leiser Behaviorismus Seite 78 wesentlichen Unterschied zwischen einem natürlichen Gegenstand und einem Werkzeug zu begreifen, und damit seine "autistische" Welt in Richtung auf die soziale Welt der Erwachsenen zu erweitern. Wiederum kann der Schritt, sein beschränktes Kontrollniveau der frühen Kindheit zu verlassen und sich das Ziel eines funktionalen Umgangs mit dem Löffel zu setzen, was ihm - sein vorrangiges Ziel - eine größere Unabhängigkeit von den Erwachsenen ermöglicht, eine recht verwickelte und konfliktträchtige Angelegenheit sein, deren wissenschaftliche Klärung deshalb wichtig ist, und zwar bevor man sich dem eigentlichen Prozeß des Lernens widmet. Wenden wir uns nun diesem eigentlichen Prozeß zu, treffen wir auf eine wesentliche Unterscheidung Holzkamps zwischen zwei Arten des Lernens: dem relativen Lernen und dem fundamentalen Lernen. Nehmen wir als Ausgangspunkt die Problematik eines Subjekts, die daraus entspringt, sein Leben auf der Grundlage eines existierenden Bestandes an lebenswichtigen Operationen, nützlichen Fertigkeiten und produktiven Fähigkeiten zu bewältigen. Das Problem ist, daß dieses Netz von psychischen Funktionen, koordiniert mit dem Netz verallgemeinerter Bedeutungen in einem bisher für das Subjekt ausreichenden Umfang, nicht mehr ausreicht. Mit anderen Worten: Es gibt einen Punkt, an dem das Subjekt auf die Grenzen seiner Schemata trifft, die Welt zu interpretieren und in ihr zu handeln. Gehen wir davon aus, daß es dem Subjekt gelingt, die Erfahrung einer Problematik in ein wohldefiniertes Ziel umzuarbeiten, mit Unterstützung seiner sozialen Umgebung, dem verfügbaren Wissen und schon erprobten Techniken. Im weiteren besteht der entscheidende Schritt darin, die neuen für die Realisierung seines Ziels notwendigen funktionalen Schemata auszuarbeiten. Selbstverständlich beginnt dieser Schritt nicht an einem Nullpunkt, sondern stützt sich auf die schon vorhandenen Schemata: das Subjekt fügt diese mit neuen funktionalen Gesichtspunkten zusammen in Richtung auf ein erweitertes Schema von komplexerer Struktur. Das ist in der Terminologie von Holzkamp der fundamentale Schritt des Lernens. Nebenbei bemerkt ist dieser Schritt teilweise mit Hilfe der "Fünfschritt"-Technik rekonstruierbar, die in meiner ersten Vortragsreihe beim Einführen der "funktional-historischen Methode" behandelt worden ist (s. Kapitel 8 meiner methodologischen Untersuchungen). Nach der Kritischen Psychologie schließt dieser Schritt mehr ein als den Erwerb und die Ausarbeitung eines neuen, mit dem entsprechenden Ziel koordinierten, funktionalen Schemas von Operationen, Fertigkeiten und Fähigkeiten. Es schließt außerdem die Repräsentierung der Diskrepanz zwischen dem Ziel und dem aktuellen Vermögen ein, zusammen mit einem strategischen Entwurf zu deren Verringerung. Denn im Gegensatz zum "Modellernen" von Bandura reicht es nicht, über ein Modell zu verfügen, von dem man eine Kopie macht und damit gut: Ein Lernziel aufstellen schließt das Antizipieren nicht nur des Endzustandes ein, sondern auch des Weges dahin und der möglichen Methoden, diesen zurückzulegen. Sobald der besagte "fundamentale Lernschritt" erreicht ist, konkretisiert sich dieser strategische Entwurf in wohldefinierte Techniken, die geeignet sind, das neue funktionale Schema zu vervollkommnen und zu vertiefen. Hier beginnt in der Terminologie von Holzkamp das relative Eckart Leiser Behaviorismus Seite 79 Lernen. Gekennzeichnet durch Wiederholung und Korrektur Lernphase den am wenigsten Aspekt ist der einzige, der in übrig bleibt. eine Kette allmählicher Verbesserungen, die durch die Technik der erreicht werden, stellt diese mehr oder weniger mechanische interessanten Aspekt des Lernens dar. Und ausgerechnet dieser den im vorangehenden untersuchten behavioristischen Konzepten Wir wollen versuchen, das Gesagte auf unsere oben eingeführten Beispiele zu beziehen: Nachdem er sein Ziel aufgestellt hat, und zwar sein Spektrum von Tonfarben mit Hilfe der Violine zu erweitern, macht sich der Jugendliche mit Hilfe eines entsprechenden Lehrers daran, die neuen sensomotorischen Schemata zu erlernen, die zur Handhabung dieses Instruments nötig sind, vor allem die andersartige und sensiblere Art, die Töne zu bilden. Dieser fundamentale Lernschritt jeder Mensch, der schon einmal diese Anfänge des Violine-Spielens durchgemacht hat, weiß was hier "fundamental" bedeutet - setzt eine mehr oder weniger mechanische Phase des Übens auf dem neuen Instrument in Gang auf der Grundlage erprobter Techniken: das relative Lernen. Wenn er später zu seinem Klavier zurückkehrt, kann es sein, daß es ihm ohne weitere Schwierigkeit gelingt, die erweiterte Fähigkeit, Töne zu bilden, auf dieses Instrument zu übertragen, womit er sich neue musikalische Dimensionen erschließt. Es kann aber auch sein, daß der Versuch, sein neu ausgearbeitetes Schema auf das Klavier zu übertragen, zu einer neuen Problematik führt, eine Problematik, die die Klärung des nächsten Ziels erfordert, usw. Auf das Kind und sein Problem, mit dem Löffel umzugehen, bezogen, führt die Problematik das Kind schließlich zu dem Lernziel, seine Unabhängigkeit zu vergrößern, indem es den Löffel nach Art der Erwachsenen handhabt. Indem es aufgrund einer von Erwachsenen angeleiteten Übung die funktionalen Elemente, einen Löffel zu verwenden, herausfindet, diese in seine schon vorhandenen sensomotorischen Schemata integriert und dieses neue Schema auf seine soziale Bedeutung hin verallgemeinert, vollzieht das Kind den fundamentalen Lernschritt. All das stützt sich auf die vielen Vorbilder in seiner Umgebung. Beispielsweise besteht die besagte Überprüfung sehr konkret darin nachzuprüfen, daß alle erwachsenen Personen sich des gleichen Schemas bedienen. Es folgt eine Phase gradueller Fortschritte, während derer das Kind mit Hilfe von Wiederholungen und Korrekturen unermüdlich seine Fertigkeit verfeinert und vervollkommnet: das relative Lernen. Im Fall dieses Beispiels ist keine neue Krise zu erwarten, die mit dem Zusammenhang des Löffels zu tun hat, es sei denn, daß das Kind auf die Idee kommt, selbst einen Löffel herzustellen, ein Ziel, welches das Erschließen neuer komplizierterer Aspekte innerhalb des Potentials erfordern würde, welches die verallgemeinerte Bedeutung eines Löffels darstellt: ein unwahrscheinlicher Fall. Soviel zu den Beispielen. Wir haben bisher vorausgesetzt, daß jede Lernproblematik früher oder später zur Aufstellung eines Lernziels führt, wie durch die zentrale These der Kritischen Psychologie nahegelegt, des Inhalts, daß es ein wesentliches Kennzeichen der menschlichen Natur ist, nach einer Erweiterung der Kontrolle über die Welt zu streben. Aber so einfach ist es nicht: Abgesehen von den konfliktträchtigen Aspekten beim Aufstellen eines Ziels, was dessen Inhalt betrifft, kann das Streben, ein Lernproblem vorwärtsgerichtet zu lösen, von einer ziemlich komplexen und widersprüchlichen Dynamik überlagert sein. So hat vielleicht das Kind in unserem Beispiel, so sehr es auch von einer Vergrößerung seiner Unabhängigkeit träumt, gleichzeitig Angst davor, die allgegenwärtige Fürsorge seiner Mutter zu verlieren. Allgemeiner schließt jeder Schritt Eckart Leiser Behaviorismus Seite 80 nach vorn in Richtung auf eine Erweiterung seiner Welt und eine Entfaltung seiner Möglichkeiten das Risiko ein, eine bewährte Sicherheit und ein vertrautes Gleichgewicht zu verlieren. Das bedeutet, daß es neben dem vorwärtsgerichteten Lösen einer Lernproblematik einen anderen regressiven Ausweg gibt: das Verharren in einem reduzierten Zustand, trotz der Grenzen, auf die man immer mehr stößt. In der Terminologie von Holzkamp heißt diese Alternative des SichAbfindens mit einem reduzierten psychischen Entwicklungsniveau aufgrund des Risikos, das mit der Entfaltung seiner Fähigkeiten verbunden ist, "reduzierte Handlungsfähigkeit". Das führt zu sehr interessanten Fragestellungen bezüglich der psychischen Funktionen, die notwendig sind, um einen solchen psychischen Zustand aufrechtzuerhalten. Zu ihnen gehören die unbewußten Mechanismen und die ideologischen Techniken, die das Verbergen einer derartigen Selbstbehinderung vor dem Subjekt möglich machen. Es ist insbesondere möglich, hier Beziehungen zwischen diesem Thema der Kritischen Psychologie und den entsprechenden Konzepten der Psychoanalyse herzustellen. Über eine Reinterpretation der entsprechenden Phänomene hinaus geht es für mich um den bisher nicht befriedigend geklärten Punkt, inwieweit es möglich ist, auch von einigen konzeptuellen Elementen der Psychoanalyse für die Weiterentwicklung der theoretischen und praktischen Konzepte der Kritischen Psychologie Gebrauch zu machen. Wie auch immer, die gerade dargelegte Alternative in Hinblick auf eine Lernproblematik, nämlich der Schritt in Richtung auf eine erweiterte Handlungsfähigkeit und das Verharren in einer restringierten Handlungsfähigkeit stellt klar, daß die Lernprozesse von einer psychischen Dynamik abhängen, die den im vorangehenden behandelten Aspekten vorgeordnet ist. Aus dieser Dynamik ergibt sich, ob das Subjekt bereit ist, sich ohne Vorbehalt auf das Lernen einzulassen, also die Herausforderung anzunehmen, oder ob das Subjekt der Herausforderung ausweicht, indem es sich in einer reduzierten Welt einrichtet. Holzkamp spricht vom dynamischen Aspekt des Lernens und unterscheidet ihn vom strukturellen Aspekt, der das Lernen im zuerst behandelten engeren Sinn betrifft. Das Phänomen der Selbstbehinderung oder einer ambivalenten Haltung beim Subjekt angesichts einer Lernproblematik ist durchaus nicht nur ein Problem der frühen Kindheit. Indem er seine Analyse auf die bürgerliche Gesellschaft hin konkretisiert, die bisher hinsichtlich ihrer spezifischen Wesenszüge nicht vorkam, gelangt Holzkamp zum Schluß, daß es in dieser einen allgegenwärtigen Widerspruch gibt: den Widerspruch zwischen einem primären Streben des Individuums, seine Lebensbedingungen so weit wie möglich zu kontrollieren und zu bestimmen, also auf eine selbstbestimmte Weise zu leben, und einer wohlausgearbeiteten Strategie der herrschenden Klasse, die Individuen auf einen wohldefinierten Raum von Möglichkeiten und Fähigkeiten zu beschränken und sie dort festzuhalten. Dieser Raum ist unterschiedlich hinsichtlich seines Umfangs und seiner Qualität, da er sich der Stellung und Funktion des Individuums innerhalb des kapitalistischen Systems anpaßt. Der herrschenden Klasse gelingt diese Beschränkung mittels der vielen offenen und versteckten Mechanismen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich über deren entsprechende Institutionen Eckart Leiser Behaviorismus Seite 81 umsetzen. Zu ihnen gehört die familiäre Sozialisation, die Schulerziehung, die subkulturellen Prägungen, die Organisation der Arbeit und nicht zuletzt die Zwangsmittel des Staates und seine rechtlichen Sanktionen. (Als Beispiel: wenn ein Arbeitsloser auf der Suche nach Erweiterung seiner Bildung in ein Buchgeschäft geht und dort wegen Geldmangel ohne zu zahlen ein Lehrbuch mitgehen läßt, wird er bestraft werden.) In diesem Widerspruch zwischen dem Individuum und der herrschenden Klasse manifestiert sich lediglich ein tieferliegender Widerspruch zwischen dem Sonderinteresse des Kapitals an der rücksichtslosen Ausbeutung aller Ressourcen und dem allgemeinen Interesse des Menschen an der Entfaltung und Entwicklung seiner menschlichen Potentiale. Es ist uns hier nicht möglich, diese Analyse der bürgerlichen Gesellschaft darüber hinausgehend zu vertiefen. Wichtig ist, daß das besagte Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft in einem permanenten Konflikt lebt: Soll es die Grenzen seines von außen bestimmten Raums überschreiten und dabei das Risiko eingehen, irgendwelche Drohungen und Sanktionen auszulösen, wenn auch mit der unsicheren Perspektive eines befriedigenderen Lebens, oder soll es sich mit dem zugeteilten Raum zufriedengeben, wobei er allerdings seiner menschlichen Natur Gewalt antut und sich notwendigerweise der vielen Tricks des Selbstbetrugs bedienen muß, um sein psychisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten? Dieser Konflikt ist wohlgemerkt nicht nur ein Problem der unteren Klassen, sondern ebenfalls der privilegierteren (wenn auch mit einer anderen Phänomenologie - man denke an den deprimierenden Zustand der sogenannten "grünen Witwen", die psychisch in ihren Vorstädten eingesperrt sind, trotz ihres Wohlstands und ihrer "grünen" Umgebung). Das Problem der ambivalenten Haltung des Individuums in bezug auf das Lernen und insbesondere das Phänomen der Selbstbehinderung ist soweit ich sehen kann in keiner anderen Konzeption des Lernens dargestellt oder darstellbar, erst recht nicht in den behavioristischen Konzepten (es hat nichts mit dem dort behandelten Problem der Interferenzen zu tun). Schon allein damit beweist sich, daß der Zugang der Kritischen Psychologie zum Problem des Lernens nicht nur in eine theoretische Reinterpretation klassischer Probleme mündet, sondern daß sie in der Lage ist, neue Probleme von sehr praktischer Relevanz in das Blickfeld zu rücken. Denn das Problem der Selbstbehinderung breitet sich in unserem Schulsystem epidemisch aus, trotz aller ausgeklügelten Konzepte der Pädagogik. Dieser "Lernwiderstand" - ein Begriff Holzkamps für die spezifischen Symptome der Selbstbehinderung im Rahmen der Schule - liegt nicht an irgendwelchen Defiziten der "infizierten" Schüler, sondern an einer wenn auch blinden Strategie, sich gegen ein unmenschliches System des Lernens zu wehren: Es ist dies ein System, das die Subjekte von der Bestimmung ihrer Ziele ausschließt, ein System, das ihnen Noten anbietet statt die Befriedigung, ihre produktiven Fähigkeiten zu entwickeln, ein System, das letztendlich auf die Unterwerfung unter die entfremdeten Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft zielt, statt die Emanzipationsmöglichkeiten des Menschen zu erschließen und zu stärken. Mit dieser Skizze einer Alternative zum Behaviorismus, die weit davon entfernt ist, die vielen theoretischen und praktischen Probleme des Lernens auf erschöpfende und abschließende Weise zu lösen, beschließen wir unsere Kritik des Behaviorismus. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 82 Bibliographie Aristoteles Vom Himmel. Von der Seele. Von der Dichtkunst. Zürich 1950. Bandura, A. Social Learning Theory. Englewood Cliffs, N.J. 1977. Bernal, J.D. Wissenschaft. Science in History. Bd. 1, Reinbek 1970. Chomsky, N. Psychology and Ideology. In: Cognition 1, S. 11-46, 1972. Friedrich, W. (Hrsg.) Zur Kritik des Behaviorismus. Köln 1979. Hegel, G.W.F. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II. Frankfurt 1971. Eckart Leiser Behaviorismus Seite 83 Hilgard, E.R. Theories of Learning. New York 1956. Holzkamp, K. Lernen und Lernwiderstand. In: Forum Kritische Psychologie 20, S. 5-36, 1987. Kantor, J.R. Interbehavioral Psychology. Ohio 1967. Leiser, E. 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