Regionale Zinspolitik

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Regionale Zinspolitik
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Die bisherigen Ansätze zur Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise setzen alle bei dem Realteil
der Wirtschaft an. Jede Transaktion besteht jedoch aus Leistung und Gegenleistung. So liegt es
nahe, nach den Bestimmungsgründen von Leistungsbilanzsalden bei der Gegenleistung, der Finanzierung, zu suchen. Es zeigt sich, dass durch eine regionale Zinspolitik ein geldpolitischer Hebel
vorhanden ist, der geeignet erscheint, die Leistungsbilanzströme umzukehren.
Problem
Die Eurokrise kann als eine Staatsschuldenkrise, aber auch als eine Zahlungsbilanzkrise aufgefasst werden. Ganz gleich
welcher Position man sich zugehörig fühlt,
in jedem Fall müssen sich die Leistungsbilanzströme umkehren, wenn die gewährten Kredite zurückbezahlt werden
sollen. Zudem sollte verhindert werden,
dass der damit verbundene Umstrukturierungsprozess für nationale Volkswirtschaften zu einer unzumutbaren Belastungsprobe wird.
Maßnahmen zur Behandlung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise lassen sich in
1. jene einteilen, die geeignet erscheinen,
aus der Krise herauszuführen, und
2. solche, die zusätzlich vermeiden möchten, dass sich eine solche Situation wiederholt.
In der ersten Kategorie finden sich Ansätze, die über eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Peripherieländer erreichen möchten, dass die aufgelaufenen
Kredite zurückgezahlt werden können.
Diese Überlegungen laufen darauf hinaus,
dass sich die Preise in den jetzigen Defizitländern im Verhältnis zu denen der
Überschussländer verringern, um eine
Umkehrung der Leistungsbilanzströme zu
erreichen. Dies ist möglich über eine relative Senkung der Lohnkosten der Defi-
* Prof. Dr. Reiner Peter Hellbrück lehrt an der Hochschule für angewandte Wissenschaften WürzburgSchweinfurt.
Ohne die aufmunternden Worte und Diskussionen mit Burkhard Schmidt (AOK-BV) wäre dieser
Artikel nicht entstanden. Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch den Teilnehmern des diesjährigen
Ernst-Heuß-Seminars: Simone Danek, Ulrich Fehl,
Armin Haas, Peter Heimann, Günter Hesse, Horst
Münker, Hendrik Senkbeil, Karl von Delhaes und
Christoph Wockenfuß, sowie meinem Kollegen
Robert Jäckle.
zitländer im Vergleich zu den Ländern, die
Nettoforderungspositionen gegenüber
dem Ausland aufgebaut haben, oder aber,
dass sich die Produzentenpreise in den
Defizitländern stärker verringern als in
Überschussländern. So bekamen jüngst
die deutschen Tarifpartner national und international Beifall, als es zu deutlichen Tariflohnsteigerungen kam. Ein Problem allerdings ist, dass es keinen Hebel gibt,
wodurch ein wirtschaftspolitischer Akteur
direkt eine Umkehrung der Leistungsbilanzsalden herbeiführen könnte. Aus diesem Grund dauert es lange, bis das eigentliche Ziel erreicht wird.
Reiner Peter Hellbrück*
In die zweite Kategorie fällt beispielsweise der Vorschlag, eine Bankenunion zu
gründen (vgl. Fuest 2012). Hier wie auch
bei den Bemühungen, eine Schuldenbremse einzuführen, geht es darum zu
verhindern, dass es wieder zu einer ausufernden Staatsverschuldung kommt. In
dieselbe Kategorie fallen auch Vorschläge über Regelungen zum Umgang mit
Target-Salden (vgl. Sinn 2012). Ursprünglich waren die Target-Kredite als kurzfristige Kontokorrentkredite konzipiert, doch
das jetzige Eurosystem ist kein Clearinghaus. Die Tilgung der Salden innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums würde das
Eurosystem zum Clearinghaus machen,
wodurch der Aufbau weiterer Schuldenberge, denen keine freiwillige Finanzierung
durch Private gegenübersteht, verhindert
würde.
Allerdings besteht weiterhin das Problem,
wie mit den aufgelaufenen Schulden verfahren werden soll. Über eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik soll einerseits
erreicht werden, dass sich die Euro-Regierungen künftig an auferlegte Schuldenbremsen halten. Dies wird als Voraussetzung angesehen, dass per Transferzahlungen die gegenwärtigen Finanzierungsprobleme gelöst werden. Die einzelnen
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Kommentar
Vorschläge unterscheiden sich dann hinsichtlich der Ausgestaltung dieser Zahlungen (vgl. z.B. Maas 2012; Overhaus
2012). In diese Kerbe schlägt beispielsweise auch der Vorschlag des Sachverständigenrates, einen Schuldentilgungspakt für Europa umzusetzen (vgl. SVR 2011).
Die Finanz- und Wirtschaftskrise entstand, weil in den Peripherieländern mehr ausgegeben als eingenommen wurde,
was sich in Leistungsbilanzsalden niederschlug, und diesem
Verhalten wurde von keiner Seite Einhalt geboten. Die Bankensysteme der Peripherieländer haben eine im Vergleich
zu denen Deutschlands und den Niederlanden größere Kreditschöpfung betrieben und damit die Erzielung von Ausgabenüberschüssen ermöglicht. Diese Interpretation erfolgt
aus der Perspektive der Kapitalbilanz und dieser Denkansatz wird im Folgenden verfolgt.
Gängiger ist jedoch die Argumentation über die Leistungsbilanz: die Wettbewerbsfähigkeit in den Peripherieländern
verschlechterte sich im Vergleich zu den Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen zusehends. In den Peripherieländern hätte es eigentlich zu Preissenkungen kommen müssen, damit sich die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder verbessert, doch dazu kam es nicht, und wirtschaftspolitisch
wurde nicht gegengesteuert.
Im Gegenteil, die Politik hat bereits vor 2007/08 Ausgabenprogramme aufgelegt, statt Staatsschulden zu senken. Die
Notenbank sieht sich grundsätzlich außer Stande, das Preisniveau in einzelnen Mitgliedsländern zu steuern (vgl. Europäische Zentralbank 2011), wodurch die krisenhafte Entwicklung im Vorfeld hätte abgeschwächt werden oder ihr
zumindest seit 2007/08 hätte gegensteuern können. Mit Beginn der Krise in den USA 2007/2008 übernahm die Zentralbank die Finanzierung der Leistungsbilanzsalden über die
Target-Kredite. Die EZB perpetuierte damit die bisherige Entwicklung und verhinderte die notwendigen Anpassungsprozesse in den Defizitländern, doch dazu sah sie, so sieht es
aus, keine Alternative. Hier wird dagegen argumentiert, dass
es sehr wohl eine Alternative gibt, eine, mit der auch die
gegenwärtige Situation verbessert werden könnte.
Es wird eine Maßnahme vorgeschlagen, die geeignet erscheint, vergleichsweise schnell eine Umkehrung der Salden herbeizuführen, indem einem wirtschaftspolitischen Akteur diese Aufgabe übertragen wird. Es wird eine Antwort
gesucht auf die Frage, wie mit geldpolitischen Maßnahmen
dem Übel begegnet werden könnte, ohne dass es zu unzumutbaren Härten in einzelnen nationalen Volkswirtschaften kommen muss. Es zeigt sich, dass die Geldpolitik geeignet ist, die Maßnahmen, die unter dem Titel Fiskalunion
diskutiert werden, zu unterstützen.
Kein Beitrag zur Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigt
sich umfassend mit möglichen geldpolitischen Maßnahifo Schnelldienst 15/2012 – 65. Jahrgang
men des Eurosystems zur Überwindung der Krise. Born et
al. (2012) vergleichen einen möglichen Austritt Griechenlands mit der Verbesserung der Leistungsbilanz über Lohnund Preissenkungen und kommen zu dem Schluss, dass
ein Austritt durchaus eine Option darstellt. Bofinger (2011)
und Sinn (2012) beschäftigen sich mit einer wichtigen Facette der Krise, den Anleihekäufe von Staatsschuldtiteln
durch die Zentralbank. Es wird lamentiert, dass Wechselkursanpassungen bei einer gemeinsamen Währung nicht
möglich sind (vgl. Kastrop et al. 2012). Neuhäuser (2012)
nimmt dies zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und
spricht sich für eine Parallelwährung aus. Eine neue Währung soll eingeführt und die Geldmenge durch Bindung an
ein zu gründendes staatliches griechisches Sondervermögen knapp gehalten werden. Es wird gemutmaßt, dass die
neue Währung wegen Wertdeckung »werthaltig« sei. Dabei
wird verkannt, dass beispielsweise bei Goldwährungen das
Umtauschverhältnis von Gold zu Papiergeld jederzeit geändert werden kann und von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht wurde. Private Inländer Griechenlands hätten bei diesem Konzept einen Annahmezwang für die neue
Währung, doch wer könnte ihn in einer von Misstrauen geprägten Welt durchsetzen?
Es gibt auch Gedanken, eine höhere Inflation im Euroraum
zuzulassen, um den rigiden Reallöhnen auf die Sprünge zu
helfen (vgl. Straubhaar und Vöpel 2012). Damit wird Geldillusion zum wirtschaftspolitischen Prinzip erhoben. Dies ist
der Einstieg in den Ausstieg von Vertrauen und Verlässlichkeit. Von einer Geldpolitik als Ersatz für eine strukturelle Konvergenz der Euroländer halten die Autoren nichts. Warum
nur erfolgt eine solche Einengung auf die Leistungsbilanzseite? Dabei erbringt bei einer Goldwährung beispielsweise
doch gerade die monetäre Seite den nötigen Schub für die
Umkehrung der Leistungsbilanzströme.
Der Duktus der derzeitige Diskussion wird kritisiert (vgl. Bofinger 2012), doch die Lösung der Krise wird in einer gemeinsamen Finanzpolitik gesehen, ohne diesen positiven
Ansatz umzumünzen. Hier wird demgegenüber die gezielte Nutzung der Medien zwecks Beeinflussung der Erwartungen des breiten Publikums anempfohlen. Zweck ist die
Nutzung des Effektes der sich selbst erfüllenden Erwartungen. Bislang hat dieser vor allem durch die Erzeugung von
Abwärtsspiralen für Aufmerksamkeit gesorgt, doch in Verbindung mit einer überzeugenden Geldpolitik könnte er segensreich sein.
Eines haben die dargestellten Diagnosen und Behandlungen der Krise gemeinsam: beide setzen den Hebel bei der
Leistungsbilanz an. Bei jeder ökonomischen Transaktion
jedoch gibt es zwei Seiten, Warenlieferung, die in der Leistungsbilanz verbucht wird, und Gegenleistung, deren Buchung in der Kapitalbilanz erfolgt. Hinsichtlich der Diagnose kann man nicht sagen, welche der beiden Seiten Ursa-
Kommentar
che und welche Wirkung ist. Ebenso wenig sollte man sich
bei der Behandlung darauf versteifen, nur jene Möglichkeiten zu beleuchten, die sich auf der Leistungsbilanzseite finden. Im Gegensatz zu bestehenden Diagnosen und Wirtschaftskuren wird hier nach möglichen Auswegen bei der
Kapitalbilanz gesucht.
Im nächsten Abschnitt wird aufbauend auf der Saldenmechanik aufgezeigt, welche prinzipiellen Wege es gibt, mit der
Krise umzugehen. Es zeigt sich, dass auch geldpolitische
Maßnahmen in Frage kommen, wobei zwei Wege unterschieden werden können:
1. eine regionale Geldmengenpolitik zur Steuerung der Inflationsdifferenzen zwischen den Euroländern und
2. eine regionale Zinspolitik, die in Peripherieländern Anreize setzt, Ausgabenübschüsse zu verringern und günstigstenfalls in Einnahmeüberschüsse umzuwandeln.
Die regionale Geldmengenpolitik ist im Eurosystem nicht
möglich, wohl aber eine regionale Zinspolitik. Im letzten Abschnitt werden die vorhandenen Instrumente einander gegenübergestellt.
Saldenmechanik
Eigentlich wäre es wünschenswert, wenn der Geldfluss zwischen Ländern mit gemeinsamer Währung genau so verlaufen würde wie bei einer Goldmünzwährung. Leistungsbilanzdefizite führen zu einem Goldabfluss und bei Ländern
mit positiver Leistungsbilanz zu einem Goldzufluss. In Defizitländern kommt es infolgedessen zu einem Sinken und in
Überschussländern zu einem Steigen der Preise, wodurch
sich die Wettbewerbsposition der Länder umkehrt. Es kommt
zu Nettoexporten aus den bisherigen Defizitländern, denen
Zahlungsströme in exakt derselben Höhe gegenüberstehen,
wodurch die aufgelaufenen Schulden beglichen werden können und die bisherigen Überschuss- zu Defizitländern mutieren und das Spiel von vorne beginnt.
Die bisherigen Ansätze zur Lösung der Krise nutzen die Wirkungskette, die an der Leistungsbilanzseite ansetzt. Es wird
versucht, indirekt eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Defizitländer zu erzielen, indem Lohn- bzw. Produzentenpreise und hierüber die Absatzpreise gesenkt werden. Alternativ hierzu wäre es möglich, dass die Zentralbank
über eine adäquate Geldpolitik die Preise der Defizitländer
senkt und jene der Überschussländer erhöht. Vorteil dessen
wäre in der augenblicklichen Lage, dass ein wirtschaftspolitischer Akteur direkt in das Geschehen eingreift, um die
Leistungsbilanzströme umzukehren.
Die Saldenmechanik (vgl. Stützel 1978) weist einen zweiten Weg, der zu einer Umkehrung der Leistungsbilanzströ-
me führen kann. Jeder Leistung steht bekanntlich eine Gegenleistung gegenüber. In der Zahlungsbilanz werden Leistungstransaktionen in der Leistungs- oder der Bilanz der
Vermögensübertragungen und die Gegenleistungen in der
Kapitalbilanz verbucht. Beide Seiten bedingen sich. Ohne
wettbewerbsfähige Produkte wird es keinen Export geben,
aber ebenso ist die Finanzierung nötig. Ein Nettoexport
führt zu einem Nettokapitalexport desselben Landes in
exakt derselben Höhe. Findet sich in den Überschussländern niemand, der bereit ist, sein Geldvermögen gegenüber dem Ausland zu erhöhen, so werden keine weiteren
Leistungstransaktionen möglich sein. Umgekehrt müssen
in einem Defizitland Personen sein, die ihren Geldvermögensbestand in exakt derselben Höhe senken möchten,
wie jene in den Überschussländern bereit sind, ihn zu erhöhen.
Will man die Leistungsbilanzdefizite eines Landes verringern, so müssen die Bürger des Defizitlandes künftig Geldvermögen aufbauen, also statt Ausgabenüberschüsse zu
produzieren, müssen sie Einnahmeüberschüsse erzielen.
Folglich lautet die Frage: Welche Stellschrauben gibt es,
damit die Bürger des Defizitlandes animiert werden, künftig Einnahmeüberschüsse und jene des Überschusslandes einen Anreiz haben, künftig Ausgabenüberschüsse
zu haben?
Das Beispiel der Goldwährung gibt auch hierzu einen Rat.
Man braucht lediglich danach zu fragen, durch welchen Mechanismus es dazu kommt, dass Bürger des Defizitlandes
geneigt sind, ihre Ausgabenüberschüsse aufzugeben und
künftig Einnahmeüberschüsse zu produzieren. Durch den
Abfluss des Goldes kommt es zu einer Zinssteigerung im
Defizitland und infolge des Goldzuflusses zu einem Sinken
der Zinsen im Überschussland. Diese Zinsänderungen animieren die Bürger des Defizitlandes, künftig Einnahmeüberschüsse und Bürger des Überschusslandes in exakt derselben Höhe Ausgabenüberschüsse zu produzieren. Erstere erhöhen also künftig ihr Geldvermögen, und letztere
senken es. Dies geht aber vermittels der Zahlungsbilanz
notwendigerweise einher mit einer Umkehrung der Leistungsbilanzströme.
Folglich gibt es prinzipiell zwei geldpolitische Ansatzpunkte, dem derzeitigen Übel einer unausgeglichenen Zahlungsbilanz zu begegnen.
1. Das Eurosystem könnte versuchen, die Preisniveaus der
Euromitgliedsländer so zu steuern, dass die Peripherieländer in der nächsten Zeit unterdurchschnittliche und
die Überschussländer überdurchschnittliche Inflationsraten aufweisen.
2. Ferner ist es möglich, dass eine regionale Zinspolitik betrieben wird, wodurch der Zins in den Schuldnerländern
höher wird als in den Gläubigerländern.
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Der erste Weg ist dem Eurosystem allerdings versperrt, die
Zentralbank sieht sich in einem Dilemma gefangen. Damit
entfällt die Möglichkeit der Nutzung der Leistungsbilanzseite, um der Finanzkrise beizukommen. Die Beschreitung des zweiten Weges führt zu dem Vorschlag einer regionalen Zinspolitik.
Das Dilemma des Eurosystems
Die Bundesbank geht davon aus, dass es einen systematischen Zusammenhang zwischen Inflationsdifferenzen und
Leistungsbilanzsalden gibt (vgl. Deutsche Bundesbank
2007). Die Leistungsbilanzdefizite seien zum größten Teil (ca.
80%) bedingt durch Salden im Handel mit Gütern und Dienstleistungen. Inflationsdifferenzen seien ein Maß für die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften. Länder
mit Inflationsraten, die höher sind als die gewichteten Inflationsraten der anderen Euroländer, hätten gegenüber jenen
einen Wettbewerbsnachteil. Also liegt es nahe, dass das Eurosystem genutzt wird, um vermittels einer Änderung der
Preisdifferenzen eine Umkehrung der Leistungsbilanzsalden
zu erreichen. Hierzu sieht sich allerdings die Zentralbank außer Stande (vgl. Europäische Zentralbank 2011).
Die Probleme, denen sich das Eurosystem gegenübersieht,
werden über folgendes Gedankenexperiment klarer. Die EZB
könnte versuchen, Inflationsdifferenzen zu verringern, indem
eine regionalspezifische Geldpolitik verfolgt würde. Statt
ein Inflationsziel für das gesamte Eurosystem im Durchschnitt
aller Länder anzustreben, würde für jede Region das für alle Regionen geltende Inflationsziel mittelfristig angestrebt.
Würde das Ziel erreicht, würden auch die Leistungsbilanzsalden verschwinden (bzw. durch eine Umkehrung der gegenwärtigen Inflationsdifferenzen könnten bestehende Ungleichgewichte beseitigt werden).
Hierzu wäre es auch notwendig, die Zuständigkeit einer jeden nationalen Zentralbank eindeutig zu klären. So könnte
verfügt werden, dass sich jede Geschäftsbank nur über die
eigene nationale Zentralbank mit Zentralbankgeld versorgen
darf. Wird nun in einem Mitgliedsland eine überdurchschnittliche Inflation gemessen (»Inflationsland«), so wäre die zuständige nationale Zentralbank gehalten, die Geldbasis zu
verringern. Die Beschaffung von Zentralbankgeld verursacht
Geschäftsbanken in Defizitländern höhere Kosten als ohne
Einschränkung der Geldbasis, die Zinsen des Defizitlandes
werden steigen, die Geldmenge tendenziell sinken, und der
Inflation wird entgegengewirkt.
Selbstverständlich steht es den hiervon betroffenen Geschäftsbanken frei, sich bei anderen Geschäftsbanken Zentralbankgeld zu besorgen. Innerhalb derselben Region wird
dies jedoch nur eingeschränkt möglich sein. Als Ausweg verbleibt die Möglichkeit, sich an eine Geschäftsbank eines anifo Schnelldienst 15/2012 – 65. Jahrgang
deren Eurolandes zu wenden. Hierdurch steigt die Nachfrage nach Zentralbankgeld in Regionen mit unterdurchschnittlicher Inflationsrate (»Deflationsland«). Durch diese Finanztransaktion wird letztlich aber die Geldnachfrage im
Inflationsland gestillt; die Inflationsdifferenzen können nicht
völlig beseitigt werden, denn die weggebrochene Geldbasis im Inflationsland wird durch die steigende des Deflationslandes kompensiert. In diesem Dilemma sieht sich die Deutsche Bundesbank gefangen.
Regionale Zinspolitik
Aus der vorangegangenen Diskussion lohnt sich festzuhalten, dass eine regionale Geldpolitik über eine Verringerung
der Geldbasis die Zinsen eines Defizitlandes erhöhen und
die Zinsen in Überschussländern senken kann, ohne dass
das Ziel der allgemeinen Preisstabilität im gesamten Euroraum aufgegeben werden müsste. Hierdurch werden Personen in Defizitländern ermutigt, mehr Geldvermögen anzuhäufen, und in Überschussländern entsteht eine Tendenz,
Geldvermögen abzubauen. Da keine Wechselkursrisiken bestehen und für jeden Bürger die Inflation seines Heimatlandes relevant ist, sind Realzinsunterschiede ohne Belang.
Dies ist aber gleichbedeutend mit einer Verringerung des
Leistungsbilanzsaldos in Defizitländern; bei Überschussländern tritt die entgegengesetzte Entwicklung ein.
Mit anderen Worten müsste die europäische Notenbankpolitik sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die
Geldbasis in den Defizitländern müsste gesenkt und die in
Überschussländern erhöht werden. Die ganz und gar unseriöse Praxis der Geldschöpfung in den Defizitländern und
die überbordenden Staatsschulden führen zu Misstrauensbekundungen ihrer Bürger, die ihre Überschüsse lieber ins
Ausland verlagern und damit den Finanzierungsspielraum
ihrer Regierungen verengen.
Die Tatsache, dass die Bürger der Defizitländer ihr Heil in
Überschussländern wie Deutschland und den Niederlanden
suchen, ist allerdings nicht nur eine Misstrauensbekundung
ihrer eigenen Regierung gegenüber, sie signalisiert auch
Misstrauen gegenüber ihrer nationalen Notenbank. Dass
selbst nach der Installation von Expertenregierungen in Griechenland und Italien die Geldabwanderung nicht gestoppt
werden konnte, kann als Indiz hierfür gewertet werden. Sollte die gegenwärtige Entwicklung anhalten, so ist selbst ein
vermehrtes Abstimmen mit den Füßen zu erwarten.
Eine Umkehrung der Geldpolitik würde im Falle eines Erfolges dazu führen, dass in Überschussländern ein Anreiz entstünde, mehr auszugeben als einzunehmen. Ausgaben des
einen führen zu Einnahmen des Geschäftspartners in exakt
derselben Höhe. Infolgedessen wäre in Überschussländern
wie Deutschland und den Niederlanden mit einem Auf-
Kommentar
schwung zu rechnen, der sich ja schon definitionsgemäß
(über die Bildung von Ausgabenüberschüssen) in einer Verringerung des Leistungsbilanzüberschusses bemerkbar
macht. Allerdings ist das nicht die ganze Geschichte; eine
Korrektur muss vorgenommen werden. Denn nun lohnt sich
vermehrt die Anlage in den Peripherieländern, weshalb zu
erwarten ist, dass die in Deutschland geparkten Fluchtgelder, die sich in Target-Salden niedergeschlagen haben, wieder abgezogen werden, was kontraktiv wirkt.
Den Defizitländern würden über den Rückfluss der Fluchtgelder Finanzierungsspielräume gegeben; gleichzeitig würden sich hierüber die Target-Kredite vermindern. Je mehr
sich die Erwartung breit macht, dass auch in den Defizitländern eine seriöse Geld- und Wirtschaftspolitik betrieben
wird, desto eher werden sich Anleger finden, die zu marktüblichen Zinsen bereit sind, Forderungstitel aufzukaufen.
Der Aufbau von Geldvermögen in den Peripheriestaaten (bisherige Defizitländer) gegenüber dem Ausland wird dazu führen, dass sich die Nettoexporte erhöhen. Denn Nettoexporte sind lediglich die andere Seite derselben Medaille. Bislang haben die Bürger der Defizitländer über ihre Verhältnisse gelebt. Eine Umkehrung der Geldpolitik wird auch dies
umkehren. Der Aufbau von Geldvermögen gegenüber dem
Rest der Welt heißt per Definition auch, dass bei unveränderter Höhe der Nettoinvestitionen das volkswirtschaftliche
Sparen zunehmen muss. Diese Differenz aus Volkseinkommen und Konsum steigt, wenn das Einkommen schneller
steigt als der Konsum oder das Einkommen konstant bleibt
und der Konsum sinkt. Konsum wie Exporte sind Determinanten des volkswirtschaftlichen Einkommens, das Absinken des einen (Konsum) kann prinzipiell durch den Anstieg
des anderen (Exporte) ausgeglichen werden. Es ist also möglich, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Defizitländern durch den Anstieg der Exporte gestützt wird.
Damit verbleibt noch, die Höhe der Investitionen zu diskutieren, die sich nach üblicher Lesart bei einer Erhöhung der
Zinsen vermindern. Allerdings ist zu bedenken, dass die
zurückfließenden Fluchtgelder Anlagemöglichkeiten suchen.
Insofern ist es nicht zu vermessen anzunehmen, dass ein
Teil dieser Gelder in inländische Investitionen fließen, wodurch auch diese Seite gestärkt würde.
Der Rückfluss der Fluchtgelder in die Heimatländer wird den
Finanzierungsspielraum der Regierungen in den Peripherieländern wieder erhöhen. Hierdurch entspannt sich die Lage zusehends und die Inanspruchnahme der Rettungsschirme wird sich im Zeitverlauf verringern.
Folgt man dieser Argumentation, so wäre eine Möglichkeit
gegeben, über die monetäre Seite der Krankheit zu begegnen. Es handelt sich freilich um einen diskretionären, aber
dennoch marktkonformen Eingriff, der geeignet erscheint,
Vertrauen zu schaffen. Vertrauen und Verlass auf die Einhaltung der geschlossenen Verträge sind die Schmiermittel
für Wachstum und Wohlstand. Vorteil dieses Verfahrens ist
die schnellere Wirksamkeit im Vergleich zu Instrumenten, die
über die Leistungsbilanzseite wirken.
Das Eurosystem kann über die Refinanzierungskosten der
Geschäftsbanken die Zinsspanne beeinflussen, innerhalb
derer sich die Geschäftsbanken des Defizitlandes in Überschussländern Zentralbankgeld besorgen können. Die untere Grenze für solche Kredite ist der Zins in Überschussländern, der von ihren Geschäftsbanken für die Beschaffung von Zentralbankgeld zu zahlen ist, und dem höheren
Zins, den die Geschäftsbanken bei der Geldbeschaffung
in Defizitländern zu zahlen haben. Je geringer die Bereitstellung von Zentralbankgeld in den Defizitländern ist, desto höher wird die Nachfrage nach Zentralbankgeld ihrer Geschäftsbanken bei den Geschäftsbanken der Überschussländer und desto höher werden die Zinsen in den Defizitländern ausfallen.
Eine regionale Zinspolitik hätte zudem den nützlichen Nebeneffekt, dass die Geldschöpfung innerhalb des Eurosystems auf eine gesündere Grundlage gestellt würde. Im ersten Schritt sollte Zentralbankgeld, das mit ungenügenden
Sicherheiten ausgegeben wurde, zurückgefahren werden.
Hierdurch vermindert sich die Gefahr, dass in Umlauf befindliches Geld wegen der Unmöglichkeit der Liquidierung
der hinterlegten Sicherheiten weiterhin in Umlauf bleibt und
die Geldsteuerung beeinträchtigt. Vorteil einer regionalen
Zinspolitik wäre zudem, dass es nicht nur zu einer Anpassung der externen Schulden käme: auch die interne Verschuldung würde sich an die neuen Rahmenbedingungen
anpassen. Bei einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit
über Lohn- und Preissenkungen käme es dagegen nicht
zu einer Anpassung der internen Verschuldung (vgl. Born
et al. 2012).
Kritische Geister mögen einwerfen, dass ja gerade die Zinsdifferenz zwischen Peripherieländern und Überschussländern augenblicklich das Problem darstellt. Dem kann grundsätzlich nicht widersprochen werden, doch wird hierdurch
ein Aspekt in die Diskussion geworfen, der bislang überhaupt nicht behandelt wurde: das Risiko. Die augenblicklichen Zinsdifferenzen resultieren aus den Risiken der Kredite, die von den Gläubigerländern an die Peripherieländer vergeben worden sind. Ihnen wird ein hohes Risiko beigelegt,
weil nicht ersichtlich ist, wie die Peripherieländer die Kredite zurückzahlen sollen. Da alle bisherigen Lösungsansätze
an der Leistungsbilanzseite ansetzen, muss es sich hierbei
um einen sehr langen Prozess handeln.
Letztlich besteht dieses Problem unvermindert auch bei Umsetzung einer regionalen Zinspolitik. Aus diesem Grund sind
begleitende Maßnahmen nötig, um den beschriebenen Proifo Schnelldienst 15/2012 – 65. Jahrgang
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zess überhaupt in Gang setzen zu können. Denn die Neigung der Geschäftsbanken der Überschussländer, an Banken der Defizitländer Kredite zu vergeben, wird ohne zusätzliche Anreize gering sein. Durch geschickten Einsatz der bestehenden Rettungsschirme könnte die Entwicklung jedoch
befördert werden.
Zudem wäre es sinnvoll, den beschriebenen Prozess durch
öffentliche Kommunikation des zugrunde liegenden Wirkungsmechanismus zu unterstützen. Je mehr der Finanzsektor von der Wirksamkeit der neuen Geldpolitik überzeugt
werden kann, desto eher wird er zum Erfolg führen und umso weniger wird der Einsatz der Rettungsschirme nötig sein.
Zudem wäre es sinnvoll, auch das breite Publikum über alle Medienarten hinweg wie auch über öffentliche Diskussionen zu informieren, um es davon zu überzeugen, dass
die neuen Maßnahmen geeignet sind, die Krise zu überwinden. Je mehr sich Zuversicht breit macht, dass die getroffenen Maßnahmen wirklich zu einer Verbesserung der Situation beitragen können, desto eher wird sich eine Besserung über sich selbst erfüllende Erwartungen einstellen und
sich die Risikoaufschläge vermindern.
Anstatt Angst und Zukunftssorgen zu verbreiten, wäre es sinnvoll, Zuversicht und Vertrauen in die Einhaltung der privatwirtschaftlichen und zwischenstaatlichen Verträge zu befördern. Es wäre sinnvoll, Bürgern der Überschussländer nahezulegen, mit mediterraner Gelassenheit die Überwindung der
Krise anzugehen. Denn indem sie Ausgabenüberschüsse produzieren, steigt die Chance, dass die gewährten Kredite zurückgezahlt werden können. Umgekehrt wäre es wünschenswert, die Menschen in den Defizitländern davon zu überzeugen, dass kein Weg daran vorbeiführt, härter zu arbeiten als
bisher, und den Bürgern der Überschussländer zu zeigen,
dass sie ebenso gut und erfolgreich arbeiten können wie sie.
Probleme mit dem Ausgleich von Zahlungsbilanzsalden gab
es schon in den 1950er Jahren, einer Zeit, die, nicht nur in
Deutschland, durch Devisenbewirtschaftung gekennzeichnet
war. Damals wurden die Salden in der Europäischen Zahlungsunion (EZU) verbucht. Überschritt ein Land den festgelegten
Kreditrahmen, so wurden darüberhinausgehende Kredite mit
Auflagen verbunden. So wurde die Zahlungsbilanzkrise der
Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1950 durch einen Sonderkredit beigelegt; gleichzeitig wurde jedoch die Bundesrepublik zur Umsetzung restriktiver Maßnahmen verpflichtet (vgl.
Knortz 2008, S. 63 ff.). Was die heutige Bundesregierung von
den Nachbarländern fordert, wurde vor nicht allzu langer Zeit
auch der Bundesrepublik abverlangt. Bemerkenswert ist auch,
wie sich die Situationen damals und heute ähneln. Auch zu
jener Zeit waren Deutschland und die Niederlande die größten Gläubigerländer, und ein wesentlicher Konstruktionsfehler
der EZU war, wie heute auch, dass sie kein Clearinghaus war
(vgl. Stützel 1973, S. 26 ff.). In gewisser Weise wiederholt sich
die Geschichte, doch dabei muss es nicht bleiben.
ifo Schnelldienst 15/2012 – 65. Jahrgang
Abschließende Bemerkungen
Zusammenhänge mit eindeutiger Wirkungsrichtung erklären zu wollen, ist gerade im Bereich der Ökonomie recht
fragwürdig. Jedes Geschäft beruht auf der Übereinkunft
zweier Parteien. Welche der beiden die treibende Kraft, also Ursache, war und welche eher Resultante, kann mitunter selbst durch die betroffenen Geschäftspartner im Nachhinein schwer bestimmt werden. Jedes Geschäft besteht
ebenso aus Leistung und Gegenleistung: eine Seite bedingt die andere. Zu sagen, dass es zum Geschäftsabschluss
kam, weil das Produkt konkurrenzlos gut und preisgünstig
ist, entbehrt ebenso einer gewissen Berechtigung wie die
Begründung, dass die vorhandene günstige Kreditfinanzierung zum Kauf bewegte. Nur wenn beide Seiten sich gegenseitig bedingen, kommt es zum Geschäftsabschluss.
In der bisherigen Diskussion liegt der Schwerpunkt auf der
Leistung, hier liegt er auf der Gegenleistung, der Finanzierungsseite. Die Korrektheit der Argumentation über die Leistungsbilanz wird nicht bezweifelt, sie erfolgt jedoch indirekt
über Aktivitäten im Realteil der Wirtschaft. Im Vergleich zur
Geldpolitik ist zu erwarten, dass die Anpassungen mit großer Verzögerung eintreten.
Hier führt die empfohlene Medizin direkt zu einem Leistungsbilanzdefizit. Denn versetzt man sich in die Lage einer Person,
die darüber zu entscheiden hat, ob sie Geldvermögen aufoder abbaut, so wird diese Entscheidung von der Zinshöhe
abhängen. Sinken die Zinsen, so führt dies zu einer Steigerung
der Ausgabenüberschüsse. Handelt die überwiegende Mehrheit der Entscheidungsträger wie beschrieben, so entsteht hieraus definitionsgemäß bereits ein Leistungsbilanzdefizit.
Die Entwicklung im Euroraum ist von den Rahmenbedingungen abhängig, die maßgeblich von der EZB bestimmt werden. In ihrem Bemühen, auch innerhalb des Eurosystems
die Vorreiterrolle für Geldwertstabilität einzunehmen, verfolgt
die Deutsche Bundesbank, wie früher, einen eher restriktiven Kurs. Liest man ältere Abhandlungen über ihre Geldpolitik in den frühen Anfangsjahren, so erscheint einem dies
überaus aktuell.
»Indem z.B. die Bundesbank es den inländischen Unternehmen und öffentlichen Haushalten mit Hilfe des Liquiditätseffektes ihrer Politik systematisch erschwert, sich höher zu verschulden, macht sie es unmöglich, dass diese
Nettoverschuldung auf das Niveau der Geldersparnisse
ansteigt, die Leistungsbilanz also zum Ausgleich kommt.
Je stärker die Liquiditätsverknappung, desto sicherer und
weiter bleibt die Nettoverschuldung von Unternehmen
und Haushalten hinter der gleichzeitigen inländischen
Geldersparnis zurück, desto hartnäckiger und größer der
Leistungsbilanzüberschuss.« (Stützel 1973, S. 75)
Kommentar
Genau dieses Ergebnis erzielt die Deutsche Bundesbank im
Verbund mit den deutschen Geschäftsbanken bis zum heutigen Tag.
Umgekehrt scheint das Bankensystem in den Peripherieländern ebenfalls seine früheren Verhaltensschemata beibehalten zu haben und unter denselben Bedingungen dazu zu
neigen, mehr Kredite zu schaffen als etwa das deutsche oder
niederländische Bankensystem, wodurch in den Peripherieländern negative Leistungsbilanzsalden produziert wurden.
So passt eins zum anderen und wächst sich zur Krise aus.
Mit anderen Worten wird auch in den tradierten Verhaltensschemata der nationalen Noten- und Geschäftsbanken eine Ursache gesehen, die zu der von Sinn (2012) beklagten
Kreditausweitung in den Peripherieländern beigetragen hat.
Zur Überwindung erscheint es deshalb angezeigt, dass die
nationalen Notenbanken ihre Verhaltensmuster, zumindest
vorübergehend, tauschen. Die Deutsche Bundesbank wird
von ihrer restriktiven Geldpolitik abgehen und im Vergleich
zu Peripherieländern niedrigere Zinsen erlauben; die Notenbanken der Peripherieländer werden eine restriktivere
Geldpolitik betreiben, um die Geldwertstabilität im gesamten Euroraum zu gewährleisten. Letztlich kommt es jedoch
nicht darauf an, dass Überschussländer wie Deutschland
noch niedrigere Zinsen erhalten, vielmehr kommt es auf
Zinsdifferenzen zwischen den Gläubiger- und Schuldnerländern an. Dies wird kein leichtes Unterfangen, aber mit
gegenseitigem Vertrauen und einer adäquaten Kommunikation gegenüber den Bürgern könnte dies gelingen. Ziel
dieser Maßnahmen muss es sein, Vertrauen zu schaffen
und die Verlässlichkeit in die Einhaltung der geschlossenen Verträge auf privatwirtschaftlicher wie zwischenstaatlicher Ebene zu stärken.
Was sind die Alternativen? Darauf zu hoffen, dass es innerhalb der nächsten Jahre mehr oder weniger automatisch
zu einer Verbesserung der Leistungsbilanzsalden kommt,
scheint derzeit der einzige Weg zu sein. Im Wesentlichen
gibt es jedoch zwei Alternativen:
1. Es kommt zu einer verbesserten Abstimmung der nationalen Wirtschaftspolitiken mit im Vergleich zu heute
erhöhten Transfers, also einer Transferunion, wodurch
das Bailout-Verbot mehr und mehr aufgeweicht wird.
2. Das Experiment Europäische Union mit gemeinsamer
Währung scheitert.
Zu 1.: Das Problem des Zahlungsbilanzausgleichs betrifft
nicht nur Staaten innerhalb der Gemeinschaft der Euroländer, sondern auch Regionen innerhalb eines Staates.
Auch hier treten Leistungsbilanzsalden auf. Sie dauern an,
so lange es Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der
regionalen Wirtschaften und Ausgabenüberschüsse in
einem und Einnahmeüberschüsse in anderen gibt.
In Deutschland erfolgt die Finanzierung solcher Salden über
den Länderfinanzausgleich. Die Buchung erscheint in der
Bilanz der laufenden Übertragungen. Damit vermindert sich
der Druck in Regionen mit Wettbewerbsnachteil und Ausgabenüberschüssen, sich den veränderten Bedingungen
anzupassen. In Deutschland finden auch durch Pendeln sowie Migration aus solchen Gebieten Anpassungen statt.
Pendler aus Gebieten mit negativer Leistungsbilanz in solche mit positiver erhöhen in der Zahlungsbilanz den Saldo
der Erwerbs- und Vermögenseinkommen der Defizitgebiete, und dies trägt dazu bei, dass sich der Saldo der Leistungsbilanz der Defizitgebiete verbessert. Migranten ändern
ihren Wohnort. Üblicherweise kommt es zu Transferzahlungen in ihre Heimatregionen, wodurch sich der Saldo der laufenden Übertragungen in Überschussländern verschlechtert. Entfiele der Länderfinanzausgleich oder würde er im Niveau deutlich abgesenkt, so müsste es in defizitären Regionen zu größeren Anpassungen kommen als jenen, die
bereits vonstatten gehen. Gleichzeitig erhöht sich die Tendenz zu Agglomeration infolge der Wanderungsbewegungen, also durch Pendler und Migranten.
Die Strukturen, die innerhalb Deutschlands seit Jahrzehnten zu beobachten sind, finden ihre Entsprechung auf europäischer Ebene. In der EU finden Transfers in strukturschwache Gebiete beispielsweise über den Strukturfonds
statt. Da Pendeln über größere Entfernungen mit höheren
Transaktionskosten verbunden sind als über kleine, sinkt dieser Einfluss. Hierdurch erhöht sich der Anreiz zur Migration
in Überschussländer. Die Lösung der italienischen Zahlungsbilanzkrise der 1950er Jahre erfolgte beispielsweise über
diesen Mechanismus. Entgegen der landläufigen Meinung,
dass die Bundesrepublik Gastarbeiter ins Land geholt hätte, deuten wirtschaftshistorische Untersuchungen darauf
hin, dass Italien durch die Entsendung von Gastarbeitern
seine Zahlungsbilanzprobleme lösen wollte (vgl. Knortz 2008,
S. 67 ff.).
So verständlich der Ruf nach gleichen Lebensverhältnissen
in allen Gebieten eines Staates wie auch in allen Ländern
der Eurozone, ja in allen Ländern der Welt ist, so zeigen die
Erfahrungen innerhalb Deutschlands, dass dauerhafte Transferzahlungen eher kontraproduktiv wirken. Denn hierdurch
sinkt der Anreiz in Schuldnerländern, die inneren Strukturen anzupassen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Dieselbe Wirkung entfaltet der Ruf nach gleichem Lohn für
gleiche Arbeit. Die Umsetzung solcher Ziele führt lediglich
dazu, dass bestehende Ungleichheiten zu Dauereinrichtungen werden. Über eine regionale Zinspolitik ist es jedoch möglich, über die Finanzierungsseite solchen Tendenzen entgegenzuwirken.
Jenen Menschen, die sich eine multikulturelle Gesellschaft
wünschen, und sich gleichzeitig stark machen für Transferzahlungen, sei gesagt, dass es sich hierbei um widerstreiifo Schnelldienst 15/2012 – 65. Jahrgang
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Kommentar
tende Ziele handelt. Denn Transferzahlungen mindern Wanderungsbewegungen. Zudem sei angemerkt, dass Personen, die Multikulti und Transferzahlungen vermeiden möchten, auch Ziele verfolgen, die in Konkurrenz zueinander stehen. Transferzahlungen führen zu einer Aufrechterhaltung
des Status quo, perpetuieren ungleiche Lebensverhältnisse, münden in einer Leistungsungerechtigkeit und führen
hierüber zu Wachstumseinbußen. Diese Einsicht könnte dazu führen, dass es im politischen Raum leichter wird, einen
Kompromiss zu finden.
Zu 2.: Zerbricht der Euroraum, so werden sich alle Beteiligen tendenzmäßig als Verlierer empfinden: die Menschen
in Gläubigerländern, weil sie für gute Ware mit wertlosem
Papiergeld entlohnt worden sind; die Menschen in Schuldnerländern, weil ihnen der Wohlstand genommen wurde. Es
ist zu befürchten, dass gerade das Gegenteil dessen eintritt, das man sich durch die Europäische Union und die
gemeinsame Währung erhofft hat. Dies sollte auch bei Diskussionen über Austrittsoptionen aus dem Euroraum berücksichtigt werden.
Heute mag man nicht glauben, dass irgendjemand ein Interesse an Alternative 2 hat. Je mehr bei Alternative 1 von
dem Bailout-Verbot abgewichen wird, desto größer werden die Widerstände in den Geberländern und desto mehr
rückt diese Alternative in Nähe zu 2. Somit verbleibt der Übergang zu einer regionalen Zinspolitik oder zu einer Fiskalunion, die mehr und mehr zu einer Transferunion mutiert oder
einer Kombination aus beiden.
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Wendet man das Instrument der regionalen Zinspolitik an,
so muss man sich darüber klar sein, dass hierdurch in den
Mitgliedsländern des Eurosystems Konjunkturen erzeugt
werden. Länder, die bislang einen Leistungsbilanzüberschuss
verbuchten, werden im Zeitverlauf gezwungen, Nettoimporte zuzulassen; bei den Defizitländern ist es gerade umgekehrt. Eine Wirtschaftspolitik, die auf ein stetiges Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, die wirtschaftliche Schwankungen unterbinden möchte, konterkariert den notwendigen
Wechsel zwischen Leistungsbilanzüberschuss und -defizit.
Die Konsequenz werden weitere Finanzkrisen sein, die, wie
im Falle der Goldwährung im 20. Jahrhundert (vgl. von
Hayek 1970), zum Zusammenbruch der gemeinsamen Währung führen können. In jedem Fall führt eine solch falsch verstandene Stabilisierungspolitik dazu, dass Transferzahlungen großen Ausmaßes nötig werden, um das System am
Leben zu erhalten.
Literatur
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