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NHpG (48222) / p. 2621 /19.8.11
2611
Zahl
Wagner, H. (1992), Die Würde des Menschen, Würzburg.
Wolfgang H. Pleger
Anmerkungen
Vgl. Platon, Politeia 543 a–592 b.
Cicero, De officiis I, 72 (zit. nach: Werke in drei Bänden.
Bd. III, Berlin/Weimar 1989).
3 Ebd., 107.
4 Vgl. A. Grossmann, Art. ›Würde‹, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Basel 2004, Sp. 1089.
5 Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen
(1486), Zürich 1992, 9.
6 B. Pascal, Gedanken, übers. v. U. Kunzmann, Leipzig
1992, Nr. 200/347.
7 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in:
Akademie-Ausgabe [= AA], Bd. IV, 385–463, 436.
8 I. Kant, Metaphysik der Sitten, AA VI, 434 f.
9 F. Schiller, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 5,
Gütersloh o. J., 149.
10 F. Lassalle, Das Arbeiterprogramm, in: Gesammelte
Reden und Schriften, Bd. 2, hg. v. E. Bernstein, Berlin
1919, 147–202, 173.
11 F. Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, München
1954, 673.
1
2
M. Weber, Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, Stuttgart 1973, 173.
13 H. Plessner, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Frankfurt
a. M. 2003, 73.
14 J.-P. Sartre, Der Existentialismus ist ein Humanismus,
Philosophische Schriften, Bd. I, Reinbek b. H. 1994, 133.
15 E. Bloch 1961 (Lit.), 14.
16 B. F. Skinner 1973 (Lit.), 220.
17 H. Jonas 1984 (Lit.), 246.
18 Platon, Kriton, 46 b; vgl. W. H. Pleger, Sokrates. Der
Beginn des philosophischen Dialogs, Reinbek b. H. 1998.
19 W. Heidelmeyer 1997 (Lit.), 209.
20 T. Müller-Heidelberg u. a. (Hgg.), Grundrechtereport.
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, Reinbek b. H. 1997, 15.
21 K. Millett 1993 (Lit.), 9; vgl. Amnesty International,
Bericht über die Folter, Frankfurt a. M. 1976, 34–39.
22 H. Ehmke, Flucht ins Grundsätzliche?, in: Der Spiegel,
Hamburg 2001, H. 27, 40–42.
23 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Straßburg), 08/07/04 (Urteil der großen Kammer im Fall Vo
gegen Frankreich); vgl. B. Wündisch, Süddeutsche Zeitung 10./11. 7. 2004; sowie V. Gerhardt, Ein Mensch wird
geboren, München 2001.
12
Zahl
1. Bedeutung und Entstehung des Zahlbegriffs
2. Zahlen im allgemeinen Kontext
2.1 Die Zahlen des alltäglichen Rechnens
2.2 Zahlen und Handel
2.3 Rechenmaschinen und Computer
2.4 Zahlenmystik
3. Ontologie und Epistemologie der Zahlen
3.1 Synthetische Urteile a priori
3.2 Zahl, Einheit und Maß
3.3 Platonismus
3.4 Logizismus und Formalismus
3.5 Konstruktive und konstruktivistische
Zugänge
3.6 Zahlbegriffe in der Analytischen Philosophie
3.7 Phänomenologische Grundlegungen
3.8 Zahlen im Empirismus
4. Zahlen in der Mathematik
4.1 Verschiedene Zahlbereiche
4.2 Kardinal- und Ordinalzahlen; das Unendliche
4.3 Mathematische Teildisziplinen
1. Die Geschichte der Zahlen ist weder die Geschichte des Zählens noch des Rechnens. Es gab
und gibt Völker, die ohne abstrakten Zahlbegriff
(also ohne Zahlen, die von konkreten Gegenständen losgelöst gedacht werden) auskommen und
doch über Zählverfahren verfügen, die auf eindeutigen Zuordnungen zwischen den zu zählenden
Objekten und besser handzuhabenden Objekten
beruhen. Etwa Körperteile oder Steine werden verwendet, aber auch ausgeklügeltere Systeme, die
verschiedene Stellungen der Hand nützen. In manchen Fällen werden mit Hilfe dieser Objekte sogar
Additionen ausgeführt, das Zählen lässt sich jedoch
nicht als sukzessive Addition von 1 begreifen, solange der Zählvorgang nicht isoliert von den Gegenständen betrachtet wird. 1
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wann – bei
Erfüllung welcher Bedingungen – man überhaupt
vom Vorhandensein eines Zahlbegriffs sprechen
möchte. Das intuitive Erkennen bzw. Unterscheiden von Anzahlen, wie es auch Kleinkinder 2 oder
Tiere vermögen, bildet das eine Ende einer Skala,
an deren anderem Ende das formale (axiomatische)
Festlegen von Zahlen steht.
Da das unmittelbare Erfassen von Anzahlen nur
für sehr geringe Quantitäten (bis etwa 5) möglich
ist, werden »technische« Hilfsmittel wie Knoten in
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Zahl
Schnüren, Hölzer etc. sehr bald nötig; damit ist
klar, dass die Entwicklung von Rechenmaschinen
vom Fortschritt des Rechnens von allem Anfang
an untrennbar ist. 3
Die Symbolisierung von (An-)Zahlen durch
Zahlzeichen spiegelt die Intensität der Bindung
von Zahlen an Gegenstände wider. So gibt es Sprachen, in denen jeweils verschiedene Ausdrücke für
»zwei Bäume«, »zwei Schafe« etc. existieren. Vor
allem bei den mündlichen Zahlzeichen gibt es noch
eine andere – komplementäre – Art, wie sie an Gegenstände gebunden sind: Nicht Zeichen, die an die
verschiedenen Gattungen von Objekten gebunden
sind, sondern eine Sorte Objekt wird in den allgemeinen Zahlbegriff inkorporiert: das männliche
Glied oder die Sonne z. B. stehen für 1, Brüste oder
Augen für 2, etc.
Ab dem Stadium, in dem Zahlen bereits durch
schriftliche Zeichen dargestellt werden, wird die
Geschichte der Zahlen üblicherweise vor allem als
eine Geschichte der Zahlsysteme geschrieben. Neben dem Dezimalsystem, das auf den anatomischen
»Zufall« der Beschaffenheit unserer Finger zurückzuführen ist, wurden noch andere Systeme verwendet: z. B. das Vigesimalsystem (Basis 20) u. a.
von den Kelten, Mayas und Azteken, das Hexagesimalsystem (Basis 60) von den griechischen und
arabischen Astronomen (seine Verwendung rührt
von der Nützlichkeit beim Rechnen mit Winkeln
her). Im Computerzeitalter als nützlich erwiesen
hat sich das von G. W. Leibniz entwickelte und bei
ihm theologisch begründete Binärsystem (Basis 2),
das aber für das herkömmliche Rechnen wegen der
vielen Stellen, die zu einer Darstellung einer großen Zahl nötig sind, unpraktisch ist.
Als genuiner Ort der Zahlen kommen mindestens der Supermarkt, das Mathematikbuch und die
ewige Wahrheit in Betracht. Paradigmatische Vertreter der entsprechenden philosophischen Versuche, den begründungstheoretischen Ursprung
der Zahlen festzumachen, sind L. Wittgenstein,
B. Russell und Platon oder auch – in ganz anderem Sinn – I. Kant.
2. Zahlen stellen zwar keine Schrift im Sinne der
Sprachwissenschaft dar, sind aber doch »einer
Schrift insoweit vergleichbar, als sie eine ähnliche
Funktion erfüllen: Sie halten ein vergangenes Geschehen fest und sichern das Weiterbestehen vertraglicher Bindungen zwischen den Mitgliedern
der Gesellschaft«. 4 Dabei sind die »vertraglichen
Bindungen« durchaus in einem sehr weiten Sinn
2612
zu verstehen, sodass sie etwa auch kulturell-religiöse Praktiken umfassen.
2.1 Grundlegend für das heutige elementare
Rechnen sind Ziffern und Stellenwertsystem, insbesondere die Dezimaldarstellung, in der die Ziffern verwendet werden, um Vielfache der Potenzen
von 10 darzustellen. Besonders große bzw. kleine
Zahlen werden bevorzugt in Gleitkommadarstellung angeschrieben, also in der Form a
10b bzw.
a
10-b, wobei a eine Zahl zwischen 0 und 1 in Dezimaldarstellung und b eine natürliche Zahl ist.
Zwischen den Zahlen des täglichen Umgangs
und den Zahlen, die im Rahmen philosophischer
und formaler Theoriebildung definiert werden, besteht ein Prioritätenstreit, den der späte Wittgenstein zugunsten der Zahlen im gewöhnlichen Gebrauch entscheidet: Ob eine Rechnung im Rahmen
eines Kalküls (wie jenem B. Russells etwa) richtig
ist – ja sogar ob der ganze Kalkül akzeptabel ist –,
entscheiden wir aufgrund unserer Kenntnisse des
gewöhnlichen Rechnens.
2.2 Ein Bedarf nach ausgefeilteren Rechentechniken entsteht mit der Einführung des Geldes in
den Handel. Dabei ist zu beachten, dass nicht allein
die Mühseligkeiten der Praxis des Tauschhandels,
des Transports der Güter etwa, die Entwicklung
des Handels mittels Geld gefördert haben, sondern
auch das Problem der Genauigkeit des Umrechnens
zwischen den Werten verschiedener Waren dazu
beigetragen hat. (Eine Zwischenstufe bildet die Verwendung »normierter« Tauschobjekte, deren Wert
als fest angesetzt wird, auf den dann der Wert aller
anderen Objekte zu beziehen ist.) Zahlen fungieren
hier also einerseits qua Abstraktheit (kein Transportproblem), andererseits als Maßstab.
2.3 Die Entwicklung der Rechenmaschinen geht
Hand in Hand mit theoretischen Fortschritten. So
bedeutet etwa die Tatsache, dass bei Abakus und
Rechenbrett ein Stein unterschiedlich viel Wert
hat, je nachdem, an welchen Platz er gesetzt ist,
eine wichtige Station bei der Einführung des Stellenwertsystems. Die Rechenkompetenz bleibt dabei
teilweise bei der Person, die die Rechnung ausführt.
Den Versuch, die Mathematik gänzlich dem Rechner zu übertragen, kann man – je nach Auffassung
– durch die Arbeiten von K. Gödel und A. Turing
als gescheitert ansehen. Gödels erstes Unvollständigkeitstheorem 5 besagt, dass jedes widerspruchsfreie formale System, das die Arithmetik umfasst,
unvollständig in dem Sinn ist, dass man einen in
diesem System formulierbaren Satz angeben kann,
der in dem System weder beweisbar noch widerleg-
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bar (die Verneinung beweisbar) ist. Das kann man
so interpretieren, dass die Zahlentheorie, wie sie
der Intuition entspricht, prinzipiell nicht formalisierbar ist. Turing hat dieses Ergebnis in ein Resultat betreffend das sog. Halte-Problem übersetzt, bei
dem es darum geht, einen Algorithmus anzugeben,
mit dem man bei Computern, Programmen oder
Automaten feststellen kann, ob sie nur für gewisse
oder für alle Eingaben anhalten oder nicht. Für eine
bestimmte Sorte von Computern bzw. Programmen, die sog. Turingmaschinen, ist das Halteproblem nicht entscheidbar.
In der gegenwärtigen Praxis der Mathematik
wird diskutiert, inwiefern Computer eingesetzt
werden dürfen, wenn ein Beweis eines mathematischen Satzes ein Beweis in einem rigiden Sinn bleiben soll. Im Anschluss an I. Lakatos’ Theorie einer
»quasi-empirischen Mathematik« wird argumentiert, 6 dass es ohnehin immer schon außermathematische Gegebenheiten auch sind, denen wir vertrauen müssen, wenn wir Mathematik betreiben,
und der Computer in dieser Hinsicht keine Ausnahmestellung habe.
2.4 Zahlenmystische Betrachtungsweisen gehen
davon aus, dass Zahlen über ihren Rechenwert
hinaus eine Bedeutung haben, oft enthalten die
Darstellungen Elemente der Zahlentheorie. In der
Antike ist die Zahlenmystik vom wissenschaftlichen Umgang mit Zahlen kaum zu trennen, da
etwa bei den Pythagoreern auch der Bau der Welt,
die Harmonien in der Musik, … als Zahlengesetzmäßigkeiten unterworfen gedacht werden. Aber
auch später treten aus einem Harmoniebedürfnis
geborene Anschauungen auf, die zahlenmäßige
Zusammenhänge als weltbestimmend ansehen.
J. Kepler gibt eine Erklärung für die Form der Planetenbahnen, die ganz in dieser Tradition steht.
Diese Überlegungen unterscheiden sich vom quantifizierenden Umgang der modernen Physik mit
Naturphänomenen dadurch, dass es in der modernen Physik Funktionszusammenhänge sind, nicht
feste Verbindungen zwischen einzelnen Zahlen,
die zur Beschreibung der Gegebenheiten verwendet werden.
Der Platz, an dem man Zahlenmystik am ehesten
erwartet, ist die Religion. Obwohl dort Zahlenmystik eher als Schau Gottes verstanden wird, bedeutet
das nicht notwendig ein Weniger an ratio. Verschiedene religiös-philosophische Strömungen wie
die christliche Gnosis und die arabische Philosophie
kennen Zahlenmystiken, die nicht allein auf einem
kontemplativen Umgang mit Zahlen beruhen, son-
Zahl
dern auch theoretisch anspruchsvolle Konzeptionen aufweisen.
In der jüdischen Philosophie ist die Kabbala u. a.
von G. Scholem wissenschaftlich untersucht worden. Die Lehre von den Sefiroth, den zehn »Potenzen, in denen sich die wirkende Gottheit konstituiert« 7, bildet einen Kernbestandteil. Den Sefiroth
wird eine lange Liste von Beschreibungen zugesprochen wie z. B. »zehn Throne, auf denen er
[Gott] die Völker richtet, […] zehn Zwecke, nach
denen alles Verlangen trägt, die aber nur die Gerechten erreichen, zehn Lichter, die alle Intelligenzen erleuchten« 8 und eben auch »zehn Zahlen, Maße und Gewichte, durch die alles gezählt, gewogen
und gemessen wird«. Die Sefiroth, die auch die
zehn Urzahlen heißen, werden zwar als metaphysische Weltprinzipien verstanden, dennoch verbindet
sie mit der die Neuzeit prägenden Philosophie
R. Descartes’ die nachgerade positivistische Idee
einer auf Kombinatorik beruhenden Weltbeschreibung. Und auch ideengeschichtlich dürfte es Zusammenhänge geben: Bildliche Darstellungen der
Sefiroth in Gestalt eines Baumes weisen starke
Ähnlichkeiten mit jener der Kategorien bei R. Lullus auf. Descartes grenzt sich von Lullus zwar ab,
und die von ihm zugrunde gelegten Größen sind
ganz und gar nicht die innersprachlich wirkenden
Kräfte oder mystisch-metaphysischen Gegebenheiten der Kabbala, aber auch er meint in seiner frühen Phase alle Sicherheit auf das Messen und Kombinieren von Grundgrößen zurückführen zu können, nützt also die Zahl als Fassung einer Quantität
sowie zur Beschreibung von Kombinationen.
3. Die Diskussionen um die epistemischen und
ontologischen Grundlagen der Mathematik lassen
sich einteilen in solche, die eher von MathematikerInnen initiiert sind, und solche, die eher von PhilosophInnen angeregt wurden. Zu ersteren zählen
vor allem die Positionen, die in der sog. Grundlagenkrise um 1900 entwickelt worden sind: Formalismus, Logizismus, Intuitionismus, … Zu letzteren gehören u. a. die einschlägigen Überlegungen
in Transzendentalphilosophie, Empirismus und
Phänomenologie.
Die vielleicht grundlegendste Frage in der Beschäftigung mit der Epistemologie der Zahlen besteht in folgendem (vermeintlichen) Dilemma:
Wenn den Objekten und Zusammenhängen der
Mathematik eine Existenz und Gültigkeit unabhängig von der Empirie zukommt, wie können wir
dann wissen, dass sie sich auf die Wirklichkeit an-
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Zahl
wenden lassen? Wenn die mathematischen Sätze
aber empirisch fundiert sind, wie können sie dann
»ewige Wahrheiten« sein? Der Umgang mit diesem
Problem hat Konsequenzen für die Bestimmung
des Verhältnisses von reiner und angewandter Mathematik ebenso wie für die Frage, wie es neue Erkenntnis in der Mathematik geben kann.
3.1 Die letztgenannte Frage beantwortet I. Kant
durch die Aussage, mathematische Sätze wären
synthetische Sätze a priori. In der klassischen Philosophie wird die empirische Anwendbarkeit der
Mathematik auf die Idealität der mathematischen
Entitäten oder Vorstellungsweisen zurückgeführt.
Platon denkt dieses Verhältnis als Teil-Ganzesoder Ähnlichkeitsbeziehung. Für Kant ist mathematische Erkenntnis rein apriorische Erkenntnis,
allerdings bedarf sie im Unterschied zu einer nur
begrifflichen der Anschauung. Mathematische Beweisführung erfolgt über die Konstruktion von Begriffen in der reinen Anschauung, daher sind mathematische Sätze synthetisch. Anschauung bedarf
aber des Bezugs auf das reine Mannigfaltige von
Raum und Zeit. Da nun aber die Formen der Sinnlichkeit die Grundbedingungen des Erscheinenkönnens von etwas darstellen, müssen sie – und mit
ihnen die Mathematik – auch jederzeit »anwendbar« sein in dem Sinn, dass die empirischen Gegenstände den apriorischen Formen der endlichen Vernunft konform sein müssen. 9 Damit ist aber auch
die Frage der Anwendbarkeit kein Grundproblem
mehr für Kant.
Innerhalb des so abgesteckten Rahmens erklärt
Kant die Zahl als »die Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, dass ich die Zeit selbst in der Apprehension
der Anschauung erzeuge« 10.
3.2 Damit sich die Frage nach der Anwendbarkeit
der Mathematik, insbesondere der Arithmetik,
überhaupt stellen kann, muss zuvor eine Entwicklung in die Gegenrichtung stattgefunden haben:
Die Zahlen müssen sich in zweifacher Weise in der
Geschichte erst von den Dingen loslösen. Ein Verständnis von Einheiten muss sich entwickeln, und
die Zahlen müssen aus dem materiellen Zusammenhang abstrahiert werden. Zunächst sind für
Thales Zahlen geometrische Bestimmungsstücke,
für die Pythagoreer Harmonieprinzipien, mit denen sowohl kosmologische Phänomene und Naturphänomene als auch Vorkommnisse wie Gerechtigkeit erklärt werden können. Der Pythagoreer Philolaos formuliert: »Und in der Tat hat ja alles, was
man erkennen kann, Zahl. Denn es ist nicht mög-
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lich, irgendetwas mit dem Gedanken zu erfassen
oder zu erkennen ohne diese.« 11 Zahlen sind also
allgegenwärtig, damit aber auch noch nicht von
ihrem materiellen Kontext zu trennen. Den zweiten Bestandteil des Loslösungsprozesses, der zum
heutigen Verständnis von Zahlen führt, bildet die
Etablierung von Einheiten. Aristoteles schreibt
dieses Verdienst Platon zu: »Ferner erklärt er [Platon], daß außer dem Sinnlichen und den Ideen die
mathematischen Dinge existierten, als zwischen
ihnen liegend, unterschieden vom Sinnlichen
durch ihre Ewigkeit und Unbeweglichkeit, von den
Ideen dadurch, dass es der mathematischen Dinge
viel gleichartige gibt, während jede Idee nur eine,
sie selbst, ist.« 12 Dass das Zählbare das Eine ist, hat
zusammen mit der Auffassung, dass alles Zahl ist,
die Konsequenz, dass das Seiende und das Eine dasselbe sein müssen. Von hier aus zieht sich ein Interesse an Einheiten durch die Geschichte, das sich in
der scholastischen Metaphysik im »ens et unum
convertuntur« niederschlägt, bei Leibniz in seiner
Monadologie und in der Transzendentalphilosophie darin, dass der Verstand häufig überhaupt als
das Vermögen Einheit zu stiften ausgelegt wird.
In R. Descartes’ wissenschaftstheoretischer
Phase, die man in den Regulae ad directionem ingenii niedergelegt findet, erhält das Tripel Zahl –
Einheit – Maß bzw. Relation eine zentrale Bedeutung. Erkenntnis soll gestützt sein auf Proportionen zwischen messbaren Größen, die vielfach geometrische Größen sind. Descartes bindet die Zahl
in einer homogeneren Weise als die Mathematiker
vor ihm an die Geometrie: Zahlen und Variablen
werden konsequent als Längen gedeutet, auch
wenn es sich etwa um Quadratzahlen handelt – die
vor Descartes häufig als Flächeninhalte aufgefasst
werden. So ist eine systematische Übersetzbarkeit
von Zusammenhängen zwischen Zahlen in solche
zwischen geometrischen Größen und umgekehrt
gewährleistet. Dabei spielt die Einheit eine wesentliche Rolle: »Nicht erkenne ich, welches Größenverhältnis zwischen zwei und drei besteht, wenn
ich nicht etwas drittes berücksichtigt habe, nämlich
die Einheit, die das gemeinsame Maß für beide
ist.« 13 Descartes’ Arithmetisierung der Geometrie
(und ihre Algebraisierung, die die Analytische
Geometrie geboren hat) bildet eine unabdingbare
Grundlage für die moderne Naturwissenschaft.
3.3 Jene Position in der Grundlagendiskussion der
Mathematik, die »Platonismus« 14 genannt wird, ist
nicht die Lehre Platons zum Thema Zahlen. Meist
wird unter Platonismus im Zusammenhang mit der
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Mathematik nur die Behauptung verstanden, mathematische Sätze wären dadurch a priori gültig,
dass den mathematischen Entitäten ein für sich bestehendes ideales Sein zugewiesen wird. Worin dieses Sein bestehe und wie es zustande komme, wird
selten erklärt, die Argumentation verläuft in die
andere Richtung: Es muss ein solches Sein geben,
sonst wären viele Erfahrungen mit der Mathematik
nicht verständlich, z. B. der Eindruck von Mathematikern, dass sie etwas entdecken, nicht erfinden
oder konstruieren. Eine zwischen Platonismus und
konstruktiven Ansätzen vermittelnde Position formuliert L. Kronecker in seinem berühmten Zitat:
»Die ganzen Zahlen […, -4, –3, –2, –1, 0, 1, 2, 3,
4 … ; Verf.] hat der liebe Gott gemacht, alles andere
ist Menschenwerk.« 15 Als direkter Gegenspieler
des Platonismus kann der Nominalismus angesehen werden, der bestreitet, dass den mathematischen Begriffen irgendeine Realität außerhalb der
sprachlichen Ebene zukommt.
3.4 Das Anliegen, die Mathematik, insbesondere
die Arithmetik, auf eine rein formale Basis zu stellen, wird von Logizismus und Formalismus geteilt.
Allerdings soll diese Basis im Logizismus eine
Axiomatik für die Logik, im Formalismus eine für
die Mathematik selbst sein.
Der Versuch, die Arithmetik auf die Logik zurückzuführen, geht auf G. Frege zurück, wird dann
von B. Russell und A. N. Whitehead in den Principia Mathematica 16 weiter vorangetrieben.
Nach Frege kommen Zahlen nicht Dingen zu,
sondern Begriffen, sind aber nicht Eigenschaften
von Begriffen, sondern selbständige Gegenstände.
Er motiviert folgende Definition: »Die Anzahl,
welche dem Begriffe F zukommt, ist der Umfang
des Begriffs ›gleichzahlig dem Begriffe F‹.« 17
Russell und Whitehead erklären Zahlen mittels Äquivalenzklassen gleichgroßer Klassen. 2 etwa ist die Klasse aller zweielementigen Klassen.
(Dabei ist zu beachten, dass in den Principia Mathematica Klassen nichts Anderes als Prädikate in
einem gewissen Gebrauch sind.) Die Einführung
von Typen, die durch die Antinomien im Rahmen
einer naiven Vorstellung von Klassen notwendig
wurde, hat die befremdliche Konsequenz, dass es
(ohne Zusatzmaßnahmen) für jeden Typ eigene
Zahlen gibt. Die spezielle Form der Theorie, die in
den Principia Mathematica entwickelt wird – eine
sog. verzweigte Typentheorie –, setzt sich aber aus
anderen Gründen ohnehin nicht einheitlich durch,
so dass sich die Bestrebungen hier in verschiedene
Richtungen verlaufen bzw. diversifizieren. Einer
Zahl
der späteren Versuche findet sich im Werk von
W. V. O. Quine.
Hauptvertreter des Formalismus ist D. Hilbert,
der die Axiomatisierung der Arithmetik in den allgemeineren Zusammenhang einer Formalisierung
der gesamten Mathematik gestellt und eine Loslösung – in einem gewissen Sinn – vom semantischen
Gehalt der Grundbegriffe gefordert hat. Was
immer die entsprechenden Axiome erfüllt, sind
nach seiner Auffassung die reellen Zahlen. Als einzige Bedingung, die Zahlen – oder allgemein: mathematische Objekte – erfüllen müssen, damit man
sagt, sie existieren, gilt somit die Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems.
3.5 Konstruktivismus in der Mathematik kann in
weiterem (1) und engerem Sinn (2) verstanden
werden.
(1) Wenn an die Stelle der Teilhabebeziehung im
Platonismus das menschliche Erkenntnisvermögen
als gestaltende Kraft für die Mathematik tritt, dann
ist eine der Eigenschaften eines konstruktiven Zugangs im allgemeinsten Sinn erfüllt. Schon Aristoteles formuliert die Auffassung, dass die mathematischen Objekte kein für sich bestehendes Sein
haben, sondern von Menschen durch Idealisierung
aus den vorliegenden Dingen gewonnen werden.
Die Unendlichkeit etwa (die Punkte auf einer Geraden, die Länge einer Geraden, …) ist nur so zu verstehen, dass existiert, was durch die jeweils erforderlichen Operationen wirklich schon gewonnen
ist. Dieses konstruktive Verständnis der mathematischen Gegenstände wird von Kant weiterentwickelt.
(2) Mehrere moderne Positionen vertreten ein
konstruktives Konzept in einem engeren Sinn.
(Diese Positionen beziehen sich sämtlich auf die
Mathematik allgemein, im Folgenden werden sie
aber primär in Hinblick auf ihr Verständnis von
Zahlen dargestellt.)
Die Theorie, die dabei vielleicht am direktesten
an Kant anknüpft, ist jene von P. Lorenzen. Den
Leitgedanken seiner »operativen« Mathematikauffassung 18 findet man auch schon bei G. W. F. Hegel
– der somit als Mittler zu Kant angesehen werden
kann – ausgesprochen: »Die Arithmetik betrachtet
die Zahl und ihre Figuren, oder vielmehr betrachtet
sie nicht, sondern operiert mit denselben.« 19 Lorenzen teilt mit Kant die Ansicht, dass mathematische Zusammenhänge durch synthetisierendkonstruierende Akte entstehen, aber während es
bei Kant Vorstellungsakte sind, handelt es sich bei
Lorenzen um empirische Handlungen wie das An-
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Zahl
einanderreihen von Strichen, das Eben-Schleifen
von Platten etc. Logik und Mathematik versteht
Lorenzen als Lehren vom Operieren nach bestimmten Regeln. Zahlen werden nicht axiomatisch
festgelegt, sondern von uns hergestellt, sie sind
Produkte von Zähloperationen, i. e. für die natürlichen Zahlen (er nennt sie »Grundzahlen«) das Aneinanderreihen von Strichen, für die reellen Zahlen
bedarf es komplizierterer Regeln für Operationen.
Der »radikale Konstruktivismus« geht in seinem
Anspruch insofern weiter, als er jegliche Erkenntnis, nicht nur die mathematische konstruktivistisch
fassen möchte. Das hat aber auch auf das Verständnis von Mathematik unmittelbare Auswirkungen,
weil sich damit die Handlungen, die die Zahlen etc.
konstituieren, ebenfalls in einem breiteren Kontext
rechtfertigen müssen, etwa wird der Erinnerungsakt beim Zählen ein Thema. 20
Ein sehr spezifisches Verständnis von »konstruktiv« ist auch jener Position der Grundlagenkrise zuzuschreiben, die »Intuitionismus« (oft synonym
mit »Konstruktivismus«) genannt wird. »Intuitionismus« meint dabei nicht, dass die Zahlen, die
Mathematik schlichtweg »intuitiv« gegeben wären,
lediglich die natürlichen Zahlen werden im Intuitionismus meist als undefinierbar vorausgesetzt.
Dieser Umstand ist aber nicht das Wesentliche am
Intuitionismus: Der Kerngedanke besteht darin,
dass nur solche Beweise anerkannt werden, in denen das Gesuchte auch explizit angegeben wird, innerhalb des Formalismus »konstruiert« wird. Das
tertium non datur wird somit nicht uneingeschränkt anerkannt. (Wenn man z. B. an der Existenz einer Zahl mit einer gewissen Eigenschaft interessiert ist, reicht es konstruktivistisch betrachtet
nicht, zu zeigen, dass eine von zwei Zahlen diese
Eigenschaft haben muss, solange man nicht angeben kann, welche.) Der Intuitionismus ist dem Formalismus nicht insofern entgegengesetzt, als er
grundsätzlich weniger formalisiert wäre; die ursprünglichen Überlegungen von L. Brouwer und
H. Weyl 21 wurden von A. Heyting zu einem Formalismus ausgearbeitet, der in einer Modifikation
der Annahmen der »klassischen« Analysis besteht.
Wird der Intuitionismus ernst genommen, so hat
er von allen Grundlegungsbestrebungen die deutlichsten Auswirkungen auf die Praxis des Mathematikbetreibens, da wichtige Sätze der üblichen
Analysis dann keine Gültigkeit haben. Mit einem
ausgeprägter philosophischen Hintergrund als
Weyl und Brouwer widmet sich später M. Dummett dem Intuitionismus.
2616
3.6 Als prägende Auffassung für die Analytische
Philosophie muss zweifellos der Logizismus angesehen werden. Freges und Russells Arbeiten
dienen als Referenzpunkte für die Arbeiten
L. Wittgensteins, R. Carnaps, W. V. O. Quines,
N. Goodmans, H. Putnams, u. v. a.
Wittgenstein definiert im Tractatus logico-philosophicus 22 die Zahlen über das mehrmalige Hintereinanderausführen von Operationen. Er wendet
sich damit insofern gegen Frege, als die so gewonnenen Zahlen keine oder eine andere Art der Eigenständigkeit haben, und insofern gegen Russell, als
Zahlen nicht in einer Kontinuität mit dem Aufbau
der sonstigen Theorie stehen wie bei Russell. Eben
damit beweist er aber auch schon in seiner frühen
Philosophie eine Ahnung von dem, was seine spätere Philosophie prägen wird: Die Rolle von mathematischen Sätzen ist eine wesentlich andere als jene
von empirischen Sätzen, und Zahlen sind auch keine Begriffe. 23 Rechnungen sehen wir als normativ
in dem Sinn an, dass wir im Fall, dass eine Beobachtung einer elementaren Rechnung widerspricht,
nicht der Rechnung misstrauen, sondern die Ursache in etwas anderem suchen. (Würden wir allerdings zu oft Beobachtungen machen, die mathematischen Sätzen widersprechen, so würden wir
schließlich die mathematischen Sätze für sinnlos
erklären und nicht mehr verwenden.) Wittgenstein verlässt hier insofern den Boden der traditionellen Analytischen Philosophie, als er mathematische Sätze nicht als analytisch oder aus (formal-)
logischen Gründen geltend ansieht.
Viele Philosophen in der Analytischen Philosophie wie etwa Quine oder Putnam üben auf das
heutige Verständnis vom Zahlbegriff großen Einfluss aus, aber nicht vorrangig, indem sie originäre
Beiträge zum Thema »Zahl« liefern. Quine z. B.
untersucht den Begriff »analytisch« und nimmt
Differenzierungen vor, die die Zahlen relativ zu
empirischen Begriffen, den positiven Wissenschaften etc. neu positionieren.
Bei Carnap bekommen Zahlen dadurch einen innerhalb der Analytischen Philosophie eher singulären Stellenwert, dass er Koordinatensprachen in
Betracht zieht, also (formale) Sprachen, in denen
die Objekte, über die etwas ausgesagt werden soll,
sämtlich durch Zahlen wie etwa ihre räumlichen
Koordinaten bestimmt sind. Zahlen fungieren hier
in der Rolle, die üblicherweise Namen zukommt,
sie identifizieren die ontologisch bzw. epistemologisch grundlegenden Objekte.
3.7 Die phänomenologischen Grundlegungsver-
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2617
suche für die Zahlen unterscheiden sich von jenen
der Analytischen Philosophie u. a. darin, dass jene
nicht (mehr) das Verhältnis zwischen Zahl, Begriff,
(Symbol) und Gegenstand allein als bestimmend
ansehen, sondern weitere Komponenten der Konstitution mit einbeziehen.
E. Husserl lässt selbst in seiner frühen, noch
von F. Brentano geprägten psychologistischen
Phase das tätige Subjekt bei der Konstitution der
Zahlen wesentlich vorkommen, nämlich eben in
Gestalt des psychischen Akts. In seiner Frühschrift
Philosophie der Arithmetik gibt Husserl an, wie
Zahlen gebildet werden: »Absehend von der besonderen Beschaffenheit der Einzelinhalte, betrachtet
oder behält man einen jeden nur, insofern er ein
Etwas oder Eins ist, und gewinnt so mit Rücksicht
auf die kollektive Verbindung derselben, die zu der
vorliegenden Vielheit gehörige allgemeine Vielheitsform: eins und eins, usw., und eins, mit welcher ein bestimmter Zahlenname assoziiert
wird.« 24 Die Bestimmung des »Wieviel?« bzw. der
Zählvorgang setzen Einheiten zu einer bestimmten
Vielheitsform zusammen und wirken so konstitutiv für die Zahlen. (Wie schon bei Lorenzen lässt
sich auch hier Hegel als Vorläufer zitieren: »Das
erste Erzeugen der Zahl ist das Zusammenfassen
von Vielen als solchen, d. i. deren jedes nur als Eins
gesetzt ist, – das Numerieren.« 25) Der Arithmetiker
rechnet aber nicht mit diesen so gewonnenen abstrakten Zahlbegriffen, denn dann würde, so Husserl, 5 und 5 wieder 5 ergeben wie Gold und Gold
wieder Gold ergibt, sondern ein Satz der Arithmetik sagt etwas über beliebige Mengen aus, deren
Anzahlen sich entsprechend dem arithmetischen
Satz verhalten. Wird »Zahl« hier zunächst als Anzahl verstanden, so bleibt dies doch nicht der einzige Zahlbegriff, den Husserl berücksichtigt: neben den so gewonnenen »natürlichen Zahlen«
kommen wir auch noch auf anderem Weg zu Zahlen; die Grundrechnungsarten verstehen wir nicht
nur inhaltlich, sondern auch als formales Operieren
mit Zahlen. Zusammen mit den Erfordernissen des
Erweiterns der Zahlbereiche hat es Husserl dazu
veranlasst, auch den Umgang mit »symbolischen
Zahlen« zu erklären.
Husserls Weg von der Mathematik in die Phänomenologie führt weite Strecken über die Logik.
Während der Zeit seiner Beschäftigung mit der Logik kommt die Mathematik in seinen Ausführungen wenig vor. Erst viel später wendet er sich der
Mathematik wieder zu, wobei ihn dann hauptsächlich die Analysis – somit das Konzept der reellen
Zahl
Zahl statt das der Anzahl bzw. der natürlichen Zahl
– und das Zusammenspiel mit der Logik interessieren.
M. Heideggers Beschäftigung mit der Mathematik erfolgt weniger frontal. In seiner 1924 gehaltenen Marburger Vorlesung über Platons Sophistes meint er zur Methode der Sophisten: »Rechnen
meint hier nicht zählen, sondern rechnen auf
etwas, berechnend sein; erst aus diesem ursprünglichen Sinn von Rechnen hat sich dann die Zahl
ausgebildet.« 26 In der Kritik am Berechnen klingt
schon an, was Heidegger die Mathematik später
noch mehr verdächtig machen wird: ihre Nähe zur
Technik. O. Becker unternimmt es, die Heideggerschen Überlegungen in eine der Mathematik wohlwollende Richtung zu wenden.
3.8 Den Umgang mit Zahlen im Empirismus
zeichnet die Art und Weise aus, wie Zahlen nicht
ausgezeichnet werden: Sätze der Mathematik haben keine apriorische Gültigkeit, sondern sind empirisch, in gewisser Hinsicht wie alle anderen Sätze
auch. J. St. Mill formuliert: »All numbers must be
numbers of something; there are no such things as
numbers in the abstract. Ten must mean ten bodies,
or ten sounds, or ten beatings of the pulse. But
though numbers must be numbers of something,
they may be numbers of anything. Propositions,
therefore, concerning numbers have the remarkable peculiarity that they are propositions concerning all things whatever.« 27 Da alle Dinge Quantitäten sind, setzt Mill fort, gelten Zahlenaussagen
für alle Dinge (Entsprechendes gilt nicht ebenso
selbstverständlich für andere mathematische Objekte, wie z. B. geometrische). Für das Erkennen
der Gültigkeit solcher Aussagen macht er, wie auch
schon D. Hume, Induktionen (mit)verantwortlich.
Es ist also die Universalität der Resultate, nicht der
Erkenntnisprozess, der den Umgang mit Zahlen im
Empirismus charakterisiert.
4. Während es wenig erstaunlich anmutet, dass
historisch und alltagssprachlich nicht genau zu fassen ist, was unter einer Zahl zu verstehen ist, kann
man wohl als bemerkenswert bezeichnen, dass das
auch in der Mathematik nicht klar ist. Es gibt natürliche Zahlen, ganze Zahlen, rationale Zahlen
etc., aber keine wie auch immer geartete Definition
von »Zahl« schlechthin. Das liegt u. a. daran, dass
nur bis ins 19. Jh. die Zahl als Grundlage der Mathematik gilt, dann aber die Mathematik sich vor
allem unter dem Einfluss der Algebra und Mengentheorie zu einer Theorie allgemeinerer Struktu-
NHpG (48222) / p. 2628 /19.8.11
Zahl
ren wandelt, für die die Arithmetik nur eine Struktur unter anderen ist, und so die Hemmungen,
auch den Zahlbegriff zu diversifizieren, geringer
werden. Andere Gründe für Erweiterungen des
Zahlbegriffs sind in den Erfordernissen moderner
physikalischer Theorien zu finden.
4.1 Die erste Axiomatisierung der Arithmetik
wird von G. Peano gegen Ende des 19. Jh. angegeben – also mehr als 2000 Jahre, nachdem Euklid
einen Versuch unternommen hat, die Geometrie
zu axiomatisieren. Peano erklärt die natürlichen
Zahlen folgendermaßen:
(1) 1 ist eine natürliche Zahl.
(2) Jede natürliche Zahl hat einen eindeutig bestimmten Nachfolger in den natürlichen Zahlen.
(3) 1 ist nicht Nachfolger einer natürlichen Zahl.
(4) Zwei verschiedene natürliche Zahlen haben nie
den gleichen Nachfolger.
(5) Jede Eigenschaft, die 1 zukommt, und mit jeder
natürlichen Zahl auch ihrem Nachfolger,
kommt allen natürlichen Zahlen zu.
Die Ausdrücke »1« und »Nachfolger« sind dabei
undefinierte Ausdrücke.
Für die so definierten natürlichen Zahlen (ob die
natürlichen Zahlen mit 0 oder 1 beginnen, ist eine
Konventionsfrage, die nicht einheitlich gelöst ist)
kann man Addition und Multiplikation festlegen,
die Subtraktion führt allerdings aus diesem Zahlbereich hinaus.
Die ganzen Zahlen umfassen die natürlichen und
die negativen Zahlen (und 0), für sie ist auch die
Subtraktion unbeschränkt ausführbar, allerdings
nicht die Division.
Die rationalen Zahlen oder Bruchzahlen sind so
beschaffen, dass alle vier Grundrechnungsarten angewendet auf zwei beliebige solcher Zahlen wieder
eine solche Zahl liefern. Formal erhält man sie als
Äquivalenzklasse von Zahlenpaaren, von denen die
erste Zahl eine ganze Zahl, die zweite eine natürliche Zahl (nicht 0) ist. Dabei liegen zwei Zahlenpaare (k, l) und (m, n) genau dann in der gleichen
Äquivalenzklasse – d. h. legen die gleiche Zahl
fest –, wenn es eine natürliche Zahl p gibt, so dass
p
k = m und p
l = n gilt (z. B.: [1,3] = [2,6] =
[3,9] …).
Man kann beweisen, dass die Lösung der Gleichung x2=2, d. h. die Länge der Diagonale eines
Quadrats mit Seitenlänge 1, keine rationale Zahl
ist. Aber selbst eine Erweiterung des Zahlbereichs,
die das Lösen von algebraischen Gleichungen, i. e.
Gleichungen mit ganzzahligen Koeffizienten, er-
2618
möglicht, gewährleistet noch nicht die sog. Vollständigkeit. Vollständigkeit einer Menge besagt,
dass die Menge keine »Löcher« hat, m. a. W. dass
jeder Approximationsprozess auf ein Ergebnis zustrebt, das ebenfalls in dieser Menge liegt. (Geometrisch betrachtet kann etwa der Umfang des Einheitskreises, π, durch die Längen von Streckenzügen mit rationalen Längen beliebig genau
angenähert werden, aber π ist keine Lösung einer
algebraischen Gleichung.) A.-L. Cauchy hat eben
diese Charakterisierung von Vollständigkeit zur
Grundlage seiner Definition der reellen Zahlen gemacht. Äquivalenzklassen von Folgen, deren Glieder sich mit wachsendem Index der Glieder immer
mehr einander annähern, werden als Zahlen aufgefasst. R. Dedekind hat einen alternativen Vorgang vorgeschlagen, indem er die heute sog. »Dedekind’schen Schnitte« bildet. 28 Ein Schnitt ist eine
Zerlegung der rationalen Zahlen in zwei Klassen
mit der Eigenschaft, dass jedes Element der ersten
Klasse kleiner ist als jedes (davon verschiedene)
Element der zweiten Klasse. Bei manchen dieser
Schnitte werden die beiden Klassen durch eine rationale Zahl »getrennt«. Wenn es aber keine solche
rationale Zahl gibt, dann setzt man fest, dass diese
Schnitte eine – reelle – Zahl definieren. Eine dritte
Variante, die reellen Zahlen einzuführen, wurde
von D. Hilbert im Rahmen eines umfassenderen
Programms ausgearbeitet. Er gibt eine Axiomatik
für die reellen Zahlen an, die vier Gruppen von
Axiomen enthält (und die die natürlichen Zahlen
nicht voraussetzt):
(I) Die »Axiome der Verknüpfung« legen die unbeschränkte und eindeutige Durchführbarkeit
von Addition und Multiplikation fest.
(II) Die »Axiome der Rechnung« geben die üblichen Kommutativ-, Assoziativ und Distributivgesetze an.
(III) Die »Axiome der Anordnung« bestimmen die
Eigenschaften der Kleiner-Relation.
(IV) Von den zwei »Axiomen der Stetigkeit« fordert das erste, dass jede nach unten beschränkte Menge ein kleinstes Element hat; das zweite
fordert, dass das System der Zahlen bei Aufrechterhaltung sämtlicher Axiome keiner Erweiterung mehr fähig ist. Das erste Axiom garantiert die Vollständigkeit der reellen Zahlen.
Die reellen Zahlen lassen sich einteilen in die algebraischen Zahlen und die transzendenten Zahlen, also diejenigen Zahlen, die Lösungen von algebraischen Gleichungen sind, und diejenigen, die das
nicht sind.
NHpG (48222) / p. 2629 /19.8.11
2619
Damit auch Gleichungen wie x2 + 1 = 0 lösbar
sind, erweitert man den Bereich der reellen Zahlen
zum Bereich der komplexen Zahlen. Jede komplexe
Zahl z lässt sich durch geordnete Paare von reellen
Zahlen (a, b) darstellen. Setzt man (0, b) = ib und
(a, 0) = a und legt gewisse Rechengesetze fest, die
mit jenen für die reellen Zahlen verträglich sind, so
ergibt sich für eine komplexe Zahl z = (a, b) die übliche Darstellung z = a + ib. Die komplexen Zahlen
sind lange Zeit umstritten, C. F. Gauß etabliert sie,
indem er den sog. »Fundamentalsatz der Algebra«
beweist, der besagt, dass jede algebraische Gleichung eine Lösung in den komplexen Zahlen besitzt.
Zu den weiteren Verallgemeinerungen zählen
die hyperkomplexen Zahlen, das sind die 2n-Tupel
(n 2) von reellen Zahlen. Für n = 2 heißen sie
Quaternionen, für n = 3 Biquaternionen oder Cayley-Zahlen, für n = 4 Clifford-Zahlen. Auch die
Elemente anderer Körper wie etwa jener der Restklassen kann man als Zahlen ansehen.
Im Zuge des Entstehungsprozesses von Differential- und Integralrechnung, in dem es Uneindeutigkeiten und Inkonsistenzen zu klären gilt, werden
die ursprünglich von manchen Mathematikern –
z. B. Leibniz – verwendeten unendlich kleinen Zahlen eliminiert (an ihre Stelle tritt die sog. Epsilontik, die Formalisierung von »beliebig nahe«). Mittlerweile sind aber die unendlich kleinen und unendlich großen Zahlen im Rahmen von NonStandard-Modellen der natürlichen und reellen
Zahlen wieder zurückgekehrt.
4.2 Hat man einmal gewisse Zahlbereiche oder
allgemeiner gewisse Mengen vor sich, so kann
man sich fragen, »wie groß« diese Mengen jeweils
sind, »wie viele« Elemente sie enthalten, und die
Antwort darauf soll wieder eine Zahl sein. Die
»Größe« einer Menge nennt man ihre Mächtigkeit
oder Kardinalität oder auch Kardinalzahl. Zur Bestimmung der Mächtigkeit endlicher Mengen reichen offenbar die natürlichen Zahlen aus. Die natürlichen Zahlen werden einerseits zum Zählen,
Ordnen etc. verwendet und haben dann den Charakter von Ordinalzahlen, können aber eben auch
für Größenangaben verwendet werden, dann haben sie den Charakter von Kardinalzahlen. Die Begriffe »Kardinalzahl« und »Ordinalzahl« lassen
sich präzisieren, und dann lässt sich einsehen, dass
sie für endliche Zahlen identifizierbar sind.
Die Größe von unendlichen Mengen wird dadurch bestimmt, dass die Mengen mit anderen
Mengen verglichen werden und festgestellt wird,
Zahl
ob sie eineindeutig aufeinander abgebildet werden
können. Die Mächtigkeit der natürlichen Zahlen
nennt man 0, und jede Menge, die eineindeutig auf
die natürlichen Zahlen abbildbar ist, z. B. die rationalen Zahlen, hat dann ebenfalls die Mächtigkeit 0.
Man nennt solche Mengen und alle, die kleiner
sind, abzählbar; die übrigen nennt man überabzählbar. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen endlichen und unendlichen Mengen: Nur bei letzteren
ist es möglich, dass eine echte Teilmenge gleiche
Mächtigkeit wie die Menge selbst hat. G. Cantor
beweist, dass auch noch die Menge aller algebraischen Zahlen die Mächtigkeit 0 hat, dass aber die
Menge der reellen Zahlen nicht gleichmächtig mit
jener der natürlichen Zahlen ist, sondern echt größer. Die Kardinalität der Menge der reellen Zahlen
(oder auch jede Menge, die dieselbe Mächtigkeit hat
wie die reellen Zahlen) nennt man das Kontinuum.
Cantor spricht im Anschluss an diese Untersuchungen die in der Grundlagenforschung bis
heute vieldiskutierte Hypothese aus, dass zwischen
der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und jener
der reellen Zahlen keine weitere Kardinalzahl liegt.
4.3 Mehrere mathematische Teildisziplinen haben Zahlen explizit zum Untersuchungsgegenstand. Zahlentheorie, Maßtheorie, Analysis, mathematische Grundlagentheorie (mathematische
Logik) fokussieren auf jeweils eigene Bereiche oder
Aspekte von Zahlen. 29 Die Algebra verallgemeinert
Zusammenhänge der Arithmetik oder Zahlentheorie (auch der Geometrie etc.), indem sie die Struktur dieser Zusammenhänge untersucht, unter Absehung von den für die jeweilige Einsicht irrelevanten spezifischen Eigenschaften der Zahlen.
Die Zahlentheorie befasst sich mit natürlichen
oder ganzen Zahlen (oder auch Zahlenmengen mit
ähnlichen Eigenschaften) sowie gewissen Teilmengen davon, denen ein besonderes Interesse gilt, wie
etwa den Primzahlen. Das sind jene natürlichen
Zahlen, die nur 1 und sich selbst als Teiler haben.
Typische Fragestellungen der Zahlentheorie lauten
etwa: Wie sind die Primzahlen verteilt, d. h. wie
viele gibt es, die kleiner als eine gegebene natürliche Zahl n sind, in Abhängigkeit von dieser Zahl n?
Welche Funktion beschreibt dieses Verhalten gut,
wenn n gegen unendlich geht? Ein anderes Beispiel
für ein zahlentheoretisches Problem stellt die berühmte ca. 1637 aufgestellte, aber erst 1994 bewiesene Vermutung von P. Fermat dar, die besagt: Es
gibt keine von 0 verschiedenen, ganzen Zahlen a, b,
c, die der Gleichung an + bn = cn genügen, sobald
der Exponent n größer als 2 ist.
NHpG (48222) / p. 2630 /19.8.11
Zahl
Die Maßtheorie beschäftigt sich mit Zahlen, insofern sie zum Messen verwendet werden. Messbaren
Mengen (Volumina) – in einem zu spezifizierenden
Sinn – werden reelle Zahlen zugeordnet. Die Maßtheorie stellt die Grundlagen für die Integrationsund für die Wahrscheinlichkeitstheorie bereit.
Die Analysis beruht wesentlich auf der Beschaffenheit der reellen bzw. komplexen Zahlen. Für
Stetigkeits- und Grenzwertüberlegungen, somit
für die Differential- und Integralrechnung, stellt
die Vollständigkeit der reellen Zahlen eine zentrale
Voraussetzung dar. Man unterscheidet, je nach zugrunde gelegter Zahlenmenge, zwischen reeller
und komplexer Analysis (auch, vor allem früher,
Funktionentheorie genannt).
Eine Diskussion der Zahlen als basale Objekte der
Mathematik hat verstärkt in der Grundlagenkrise
um 1900 stattgefunden. Die Grundlagengebiete
der Mathematik – Logik und Mengentheorie – haben wesentliche Impulse dadurch empfangen, dass
sie die Voraussetzungen für die Definitionen und
axiomatischen Festlegungen der Zahlen schaffen
sollten.
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Esther Ramharter
Anmerkungen
Siehe dazu G. Ifrah 1993 (Lit.).
Siehe J. Piaget/A. Széminska, La genèse du nombre chez
l’enfant, Neuchâtel 1941.
3 Siehe zu diesem Zusammenhang S. Krämer, Symbolische Maschinen. Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriß, Darmstadt 1988.
4 V. Alleton, L’écriture chinoise, Paris 21976, 71 (zit. n.
G. Ifrah 1993 [Lit.], 128).
5 K. Gödel, Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 38 (1931), 173–198; wiederabgedruckt z. B. in: K. Berka/L. Kreiser (Hgg.), LogikTexte, Berlin 1983, 347–370.
6 Vgl. T. Tymoczko, The Four-Color Problem and Its Philosophical Significance, u. I. Lakatos, A Renaissance of
Empiricism in the Recent Philosophy of Mathematics, in:
T. Tymoczko 1998 (Lit.), 243–266, 29–48.
7 G. Scholem, Von der mystischen Gestalt der Gottheit.
Studien zu Grundbegriffen der Kabbala, Frankfurt a. M.
41995, 32.
8 Ebd., 33.
9 Siehe dazu und zu einer weitergehenden Kant-Interpretation L. Schäfer, Art. ›Zahl‹, in: Handbuch philosophischer
Grundbegriffe, München 1973 f., 1775–1787, insbes. 1785.
10 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 182.
11 Philolaos, in: Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragm. 1B4.
12 Aristoteles, Metaphysik I, 6, 987b14–18.
13 R. Descartes, Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft, Hamburg 1972, 71.
14 Siehe dazu z. B. P. Bernays, On platonism in mathematics, in: P. Benacerraf/H. Putnam 1983 (Lit.), 258–271;
auch A. R. Anderson, What do Symbols Symbolize? Platonism, in: B. Baumrin (Hg.), Philosophy of Science. The Delaware Seminar, Bd. I, New York/London 1963, 137–158.
15 Wiedergegeben in H. Weber, Leopold Kronecker. Jahresberichte der Deutschen Mathematiker-Vereinigung
(DMV) 2 (1893), 5–31, Zitat 19.
1
2
NHpG (48222) / p. 2631 /19.8.11
2621
B. Russell/A. N. Whitehead 1910–1913 (Lit.).
G. Frege 1987 (Lit.), 100. Die Idee dieser Definition
übernimmt er auch in sein späteres, formaleres Werk,
siehe ders., Grundgesetze der Arithmetik, Hildesheim
1962.
18 Siehe etwa P. Lorenzen 1955 (Lit.).
19 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Theorie
Werkausgabe, Frankfurt 1970 ff., Bd. 5, 235.
20 E. v. Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus. Ideen,
Ergebnisse, Probleme, Frankfurt a. M. 1997, 278.
21 H. Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaften, München/Wien, 31966.
22 L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 41988.
23 Siehe etwa L. Wittgenstein 1999 (Lit.), I, § 81 f.
24 E. Husserl 1992 (Lit.), 82.
16
17
Zeichen
G. W. F. Hegel (Anm. 19), 236.
M. Heidegger, Platon: Sophistes (Gesamtausgabe,
Bd. 19), Frankfurt a. M. 1992, 18.
27 J. St. Mill 2002 (Lit.), Book II, § 6, Sec. 2, 167. Übers.
Verf.: »Alle Zahlen sind (An-)Zahlen von etwas; es gibt
keine abstrakten Zahlen. Zehn muss zehn Körper bedeuten oder zehn Klänge oder zehn Pulsschläge. Aber obwohl
Zahlen (An-)Zahl von etwas sein müssen, können sie Anzahl von etwas Beliebigem sein. Sätze, die von Zahlen handeln, haben daher die bemerkenswerte Eigenschaft, dass
sie Sätze von überhaupt allen Dingen sind.«
28 R. Dedekind 1969 (Lit.).
29 Siehe z. B. E. Hlawka/J. Schoißengeier, Zahlentheorie.
Eine Einführung, Wien 21990; H. Bauer, Maß- und Integrationstheorie, Berlin/New York 21992; H. Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil I, Stuttgart 61988.
25
26
Zeichen
1. Zeichenphilosophie und Sprachphilosophie
2. Sich zeigende Bedeutungen
3. Das unmittelbare Zeichenverstehen und die
Definition der Begriffe
4. Der Zeichenbegriff als geschichtliche Dekonstruktion des Seinsbegriffs
4.1 Der grundlegende historische Anfang
4.2 Der Zeichenbegriff am Beginn der neueren
Philosophie: Descartes und Leibniz
4.3 Lambert, Hamann, Kant, Hegel
4.4 Nietzsche
4.5 Der phänomenologische Zeichenbegriff
Husserls
4.6 Wittgensteins Destruktion der Semantik
5 Philosophische Konsequenzen
5.1 Freges Restauration des ontologischen
Bedeutungsbegriffs
5.2 Zeichen als menschliche Form
5.3 Zeichen und Freiheit
1. Das Wort ›Zeichen‹ wird auf vielfache Weise
verwendet, und dementsprechend sind auch viele
Antworten auf die Frage nach seiner Bedeutung
möglich. Im Grunde kann alles, was gegeben ist,
als Zeichen aufgefasst werden, z. B. der Rauch als
Zeichen für Feuer oder gewisse Symptome als Zeichen einer Krankheit. Man unterscheidet »natürliche« Zeichen von »gesetzten« oder vereinbarten
Zeichen. Der artikulierte Laut wird als Sprachzeichen verstanden, die Schriftzeichen als Zeichen für
Lautzeichen und damit als »Zeichen für Zeichen«.
I. d. R. ergibt sich aus dem Kontext, von welcher
»Art« von Zeichen die Rede sein soll. – Etwas als
Zeichen zu verstehen bedeutet jedoch, dass es als es
selbst nicht zum Gegenstand wird. »Gegenstand«
ist es erst im Sprechen über Zeichen. Sprachzeichen
haben die besondere Bedeutung, dass in ihnen von
»etwas als etwas« und damit auch von etwas als
Zeichen bzw. als »Art« von Zeichen die Rede sein
kann. Nur in der Sprache, genauer gesagt: nur in
einer Sprache, wie sie in einer bestimmten Situation zur Verfügung steht, kann gefragt werden, was
Zeichen ihrem »Wesen« nach seien, und die Antwort auf diese Frage kann als befriedigende Antwort gelten gelassen werden oder auch nicht. Auch
die Philosophie gebraucht das Wort ›Zeichen‹ unter
dem Aspekt ihrer jeweiligen Fragestellung und damit auf vielfache Weise.
Die Frage nach dem allgemeinen »Wesen« der
Zeichen, d. h. nach einem sich durchhaltenden allgemeinen Zeichenbegriff ist die Frage nach »etwas«, das seinem »Wesen« nach für etwas anderes
steht und nicht für sich selbst. Sie weist damit über
die »Grundbegriffe« der metaphysischen Wesensphilosophie hinaus. Die Begriffe des »Wesens« oder
der »Substanz« stehen für etwas, insofern es nicht
als Zeichen aufgefasst wird, sondern als etwas, das
für sich selbst steht, so dass sich die Frage nach
einer von den Zeichen verschiedenen Bedeutung
nicht stellt.
Der »linguistic turn« in der neueren Philosophie
thematisiert die Bedeutung der Sprache für das
Denken und das Erkennen. Dabei ist ein allgemeingültiger Sprachbegriff vorausgesetzt und damit
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