Leseprobe zum Titel: Politische Theorie

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GRUNDBEGRIFFE
DER
POLITISCHEN THEORIE
und arbeiten soll. Wenn jeder das tut, was er am besten kann,
dementsprechend handelt und lebt, dann führt er ein gerechtes
Leben und trägt somit zur gerechten Gesellschaft bei.
Definition
Die drei Formen der Polis
• Ur-Polis bzw. Schweinestadt: Sie stellt eine primitive Stadt dar, in
der ein einfaches aber rechtes Leben möglich ist. Die Grundbedürfnisse der Einwohner können befriedigt werden, jedoch sind
Kunst und Kultur nicht fortgeschritten, Gerechtigkeit kann es
hier noch nicht geben.
• Üppige Polis: In ihr gibt es Gerechtigkeit wie auch Ungerechtigkeit. Kultur und Kunst sind weit fortgeschritten. Um ihren
hohen Lebensstandard zu finanzieren, muss die üppige Polis
Krieg führen; er verdrängt die Gerechtigkeit. Der Ursprung des
Krieges ist gefunden: die pleonexie, das unbegrenzte Streben
nach Gütern.
• Ideale Polis: Sie hat die Harmonie der drei Seelenteile erreicht,
der Vernunft, des Mutes und der Selbstbeherrschung. Dieser
Dreiteilung entspricht die Ordnung der Polis in Herrscher,
Wächter und das Volk. Dies hat Gerechtigkeit zur Folge, da in
dieser Stadt »jeder das Seine« tut.
Gerechtigkeit
und Sittenlehre
Platons Konzept der Gerechtigkeit ist eng verbunden mit seiner Sittenlehre. Gerechtigkeit ist der höchste anzustrebende Zustand, sie
ist eine der vier Kardinaltugenden, jedoch überragt sie die drei
anderen, da sie deren Harmonie darstellt. Die drei anderen Kardinaltugenden sind die Weisheit, die Tapferkeit und die Besonnenheit. Diese entsprechen den drei Seelenteilen: der Vernunft, dem
Mut und der Selbstbeherrschung, die wiederum für die drei Teile
der idealen Polis stehen: den Herrscher, die Wächter und das Volk.
Nun wird auch deutlich, wie »das Seinige tun« jeweils aussieht:
der Herrscher herrscht mit Hilfe der Vernunft. Der Wächter
beschützt die Stadt durch seinen Mut. Das Volk arbeitet, d. h. produziert, was die Stadt zum Leben benötigt, und hält durch seine
Selbstbeherrschung Maß, sodass es nicht wie in der »üppigen Polis«
zu einem unbegrenzten Streben nach Gütern kommt und somit
zu Krieg.
GRUNDBEGRIFFE
DER POLITISCHEN
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IDEENGESCHICHTE
Die Polis wird von Platon als ein vergrößertes Abbild der drei menschlichen Seelenteile dargestellt. Sind die drei Teile des Staates alle in
vollendeter Übereinstimmung organisiert, ist ein gerechter Staat die
Folge, in dem das Ziel der Gerechtigkeit für alle Einwohner erreicht
ist (ebd., 441e–443c). Insofern kann man feststellen, dass nur harmonische Menschen einen harmonischen Staat ermöglichen.
Gemeinwohlorientierung
Dieses Ziel macht deutlich, dass sich Platons Herrschaftsentwurf
am Gemeinwohl orientiert. Im Gegensatz zu dem heute weit verbreiteten Gerechtigkeitsverständnis, das seinen Maßstab an der
gerechten Verteilung des materiellen Wohlstands hat, macht Platon einen anderen Maßstab geltend: die Möglichkeit für jeden Bürger der Polis, den eigenen Anlagen und Neigungen gemäß zu
leben. Hier wird Gerechtigkeit und damit auch das Glück von materiellen Erwägungen abgekoppelt. Gerecht ist der Einzelne und
damit auch das Ganze (die Polis), wenn jeder das Seine tut (ebd.,
433a). Somit wird aus der Möglichkeit eigentlich eine Pflicht, das
jeweils »Seinige« zu tun.
Platon deutet Gerechtigkeit nicht nur als Verhältnis zu anderen,
sondern auch als ein Verhältnis zu sich selbst. Nur wenn die Menschen sich selbst gegenüber gerecht sind, können sie es auch gegenüber ihren Mitmenschen sein. Nur dadurch, dass jeder seinen
Fähigkeiten und seiner Aufgabe gemäß handelt, wird die Ordnung
der Polis aufrechterhalten. Gleichzeitig betont Platon am Ende der
»Politeia«, dass das gerechte Leben immer auch das gute Leben ist.
Somit wird erkennbar, dass bei Platon die personale und die politische Gerechtigkeit noch unmittelbar miteinander verbunden sind.
Zusammenfassung
Platons Gerechtigkeitskonzeption
Gerechtigkeit ist ein Gut, das man um seiner selbst Willen liebt
und das nicht Mittel zum Zweck ist. Sie ist die höchste Kardinaltugend. Die Seele des Einzelnen ist wie die ideale Polis in drei Teile
gegliedert. Nur wenn diese drei Teile – im Individuum wie in der
Polis – je das Ihre tun, ist ein Zustand der Gerechtigkeit vorstellbar.
Gerechtigkeit bedeutet für jeden Bürger der platonischen Polis die
Pflicht, den eigenen Anlagen und Neigungen gemäß zu leben. Hier
Maßstab
der Gerechtigkeit
Gerechtigkeit als
Verhältnis zu sich selbst
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GRUNDBEGRIFFE
DER
POLITISCHEN THEORIE
wird Gerechtigkeit und damit auch das Glück von materiellen
Erwägungen abgekoppelt. Nur wenn die Menschen sich selbst
gegenüber gerecht sind und gemäß ihrer Talente leben sowie ein
harmonisches Miteinander ihrer drei Seelenteile (Vernunft, Mut
und Selbstbeherrschung) besteht, können sie es auch gegenüber
ihren Mitmenschen sein. Daraus folgt die unmittelbare Verbundenheit von personaler und politischer Gerechtigkeit.
2.1.1.2 |
Utilitarismus
Definition
Der Utilitarismus
Utilitarismus ist der Sammelbegriff für die Philosophie aller Utilitaristen: u. a. Jeremy Bentham (1748–1832), John Stuart Mill
(1803–1873) und Henry Sidgwick (1838–1900). Die Grundfrage dieser Philosophie ist: »Was ist moralisch verbindlich und wie kann
man es rational begründen?« Um hierauf eine Antwort zu finden,
stellt der Utilitarismus ein Kriterium auf, mit dem sich Handlungen, Entscheidungen, Institutionen etc. als moralisch richtig bzw.
falsch beurteilen lassen. Dieses Kriterium ist das Utilitätsprinzip,
d. h. das Nützlichkeitsprinzip.
Das Nützlichkeitsprinzip
Der bekannteste Vertreter des Utilitarismus ist John Stuart Mill (→
vgl. auch Kap. 2.1.2.2), weswegen hier vor allem sein Gerechtigkeitsbegriff dargestellt wird. Der Utilitarismus ist der hedonistischen Auffassung, dass der Begriff »Glück« durch den der »Lust« definiert
werden muss. Das zentrale Prinzip des Utilitarismus ist das Nützlichkeitsprinzip. Es wird wie folgt definiert:
»Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des
größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die
Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch
falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu
bewirken« (Mill 1976, 13).
Es ist hier zu betonen, dass die Utilitaristen unter Glück Lust
und die Abwesenheit von Unlust verstehen.
GRUNDBEGRIFFE
DER POLITISCHEN
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IDEENGESCHICHTE
Definition
Das Nützlichkeitsprinzip
Das Nützlichkeitsprinzip ist das zentrale Prinzip des Utilitarismus.
Es besagt, dass immer diejenige Handlung ausgewählt werden soll,
die den größtmöglichen Nutzen zur Folge hat. Das Ergebnis dieser
Handlungswahl ist, dass das Glück, das diesem Handeln entspringt, nicht nur dem Handelnden zugute kommt, sondern allen,
die von diesem Handeln betroffen sind. Daraus folgt, dass alle
Gesetze, die diesem Prinzip gemäß erlassen werden, immer sowohl
die Interessen des Einzelnen wie die aller berücksichtigen müssen.
Das größtmögliche Glück aller
Das »größte Glück der größten Zahl« ist für die Utilitaristen das
oberste Bewertungsprinzip von Handlungen und Institutionen
(Bentham). Dabei ist das »Glück, das den utilitaristischen Maßstab
des moralisch richtigen Handelns darstellt, […] nicht das Glück des
Handelnden selbst, sondern das Glück aller Betroffenen« (ebd., 30).
Insofern müssen Gesetze immer die Interessen des Einzelnen und
die Interessen aller so weit wie möglich in Einklang bringen. Der
nach utilitaristischen Gesichtspunkten organisierte Staat muss
seine Bewohner so erziehen, dass sie diese utilitaristische Maxime
immer befolgen und das persönliche Glück immer mit dem Wohl
aller in Beziehung setzen.
Dies bedeutet aber nicht, dass alle Handlungen der Menschen
immer darauf abzielen müssen, allen Menschen Gutes zu tun. Die
Utilitaristen gehen davon aus, dass auch die Handlungen, die nur
aus wohlverstandenem Eigeninteresse durchgeführt werden, der
Allgemeinheit zugute kommen. Als »konsequentialistische Ethik«
bemisst der Utilitarismus Handlungen immer nur nach ihren Folgen und nicht daran, ob die Handlung selbst gerecht oder ungerecht ist. Die Handlung eines Diebes wäre beispielsweise dann
gerecht, wenn er seine Beute so verteilen würde, dass die Folgen
des Diebstahls insgesamt einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen
zeitigen würde.
Vier Teile des Nützlichkeitsprinzips
Mill ist auch der Auffassung, dass der moralische Wert von Handlungen und Handlungsregeln immer argumentativ, d. h. ohne
Das Glück aller als
Maßstab des Utilitarismus
Konsequentialistische
Ethik
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GRUNDBEGRIFFE
Glück und Gerechtigkeit
Abb. 2 |
Die vier Teile des
Nützlichkeitsprinzips
DER
POLITISCHEN THEORIE
Bezug auf einen moralischen Instinkt, entschieden werden muss.
Dieser Bedingung entspricht das oben zitierte Nützlichkeitsprinzip, das man in vier Teilprinzipien gliedern kann (s. Abb. 2). Diese
vier Teilprinzipien haben keine Rangfolge. Zusammengefasst kann
man formulieren: Man soll so handeln, dass die Folgen des eigenen
Handelns für alle Betroffenen optimal sind.
Inwiefern ist dies nun hilfreich bzw. zielführend bei der
Beschreibung der Gerechtigkeitskonzeption des Utilitarismus?
Der ethische Hedonismus der Utilitaristen zielt darauf, das kollektive Glück als obersten Zweck menschlichen Handelns zu etablieren. Daher ist es gleichzeitig das einzige Kriterium, das moralisches Handeln und dessen Regeln leitet oder bestimmt (Schumacher 1994, 118). Im 5. Kapitel von »Der Utilitarismus« diskutiert
Mill, welche Beziehung zwischen der Nützlichkeit und der Gerechtigkeit besteht. Er beschreibt fünf Arten von (Un-)Gerechtigkeit und
stellt fest, dass aus dieser Unübersichtlichkeit nur der Utilitarismus helfen kann, denn dieser gründet den Begriff der Gerechtigkeit alleine auf dem Prinzip der Nützlichkeit (Mill 1976, 83–102).
Mill geht davon aus, dass jeder Mensch in der Lage ist, sein
»wohlverstandenes Eigeninteresse« zu erkennen (ebd., 92). Dieses
besteht darin, dass jeder Einzelne ein Interesse daran hat, dass kollektive Glück der Gesellschaft zu erhöhen, weil dies letztlich seine
eigenen Interessen fördert und damit sein Glück zunimmt. Die Einsicht in das »wohlverstandene Eigeninteresse« führt automatisch
auch zu der Erkenntnis bei allen Menschen, dass Individual- und
1. Folgen- bzw.
Konsequenzprinzip
2. Nutzen- bzw.
Utilitätsprinzip
3. Hedonistisches
Prinzip
4. Universalistisches
Prinzip
Alle Handlungen und Handlungsregeln werden nach
ihren Folgen bzw. Konsequenzen beurteilt.
Gibt den Teil der Handlung an, dessen Folgen in die
moralische Beurteilung einfließen. Hier geht es um den
Nutzen der Folgen einer Handlung.
Es bestimmt, worin der Nutzen besteht, aufgrund dessen
der moralische Wert der Handlungen und Handlungsregeln festgelegt wird. Für Bentham und Mill gilt, dass die
Erfüllung menschlicher Bedürfnisse und Interessen der
höchste Wert ist. Dieser Nutzen ist das menschliche
Glück.
Der Nutzen einer Handlung darf nicht alleine auf das
handelnde Subjekt bezogen werden, sondern muss für
alle von ihr betroffenen Subjekte gelten (vgl. Höffe 1992,
9 ff.).
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