Wahlen, Parteien und Interessenvermittlung in der EU

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Wahlen, Parteien und
Interessenvermittlung in der EU
A) Charakteristika, Rolle und Ergebnisse der
Wahlen zum EP
B) Die Rolle von Parteien in der EU
C) Strukturen der Interessenvermittlung
Josef Melchior - ipw - Uni Wien
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Die Wahlen zum EP
•
•
•
•
•
Wahlen zum EP sind direkt, geheim und allgemein (seit Einführung der
Unionsbürgerschaft (Maastricht) sind alle Unionsbürger in jedem MS zur
Wahl zugelassen)
Wahlen finden alle 5 Jahre statt und sind mit der Amtszeit der Kommission
seit 1995 synchronisiert
Versuche, ein einheitliches Wahlverfahren zu etablieren, scheiterten bis heute
am Widerstand der MS
Die MS können über das anzuwendende Wahlsystem im Rahmen einiger
weniger Vorgaben autonom entscheiden. Diese betreffen die Verwendung
einer Variante des Proportionalwahlrechts (seit 1999 auch in GB), eine
Sperrklausel von höchstens 5%, die Unvereinbarkeit von nationalem und
europ. Mandat (seit 2004) und den Wahltermin (4 Tagesfrist)
Unterschiede bestehen weiterhin im Hinblick auf das zur Anwendung
kommende Auszählverfahren, die Vergabe von Vorzugsstimmen (in 18 von 25
MS möglich – 2004), die Verwendung von geordneten, offenen oder
geschlossenen Wahllisten (9 – 8 – 8), die Wahlkreiseinteilung (national: 18,
regional: 5, gemischt: 2), den Einsatz von Sperrklauseln (keine: 13, 3%: 1, 4%:
2, 5%: 9), das Wahlalter (aktiv: einheitlich 18 und passiv: zwischen 18 und
25), die Begrenzung von Josef
Wahlausgaben,
den Wahltag.
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Wahlbeteiligung EP-Wahlen 1979-2004
70
60
Prozent
50
40
30
20
10
0
1979
1984
1989
1994
1999
2004
Wahljahr
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Entwicklung der Wahlbeteiligung nach Mitgliedstaat
Member States
SK
PL
EE
CZ
SI
SE
HU
PT
UK
NL
FI
LV
AT
DE
FR
ES
DK
LT
IE
EL
CY
IT
MT
LU
BE
Average EU
1979
1984
1987
1989
1994
1995
1996
41,60
72,40
32,20
57,80
32,60
50,60
51,20
36,20
47,20
1999
38,80
35,50
36,40
35,60
60,30
67,70
40,00
24,00
30,00
31,40
62,30
48,70
60,00
52,70
49,40
45,20
46,80
52,40
54,60
46,20
59,10
52,90
63,00
50,50
63,60
47,60
77,20
68,30
79,90
44,00
71,20
50,20
75,30
84,90
83,40
81,50
74,80
70,80
88,90
91,40
63,00
88,80
92,20
61,00
87,40
90,70
58,50
88,50
90,70
56,80
87,30
91,00
49,80
65,70
60,70
56,80
56,70
47,80
68,90
/
Josef Melchior - ipw - Uni Wien
/
/
2004
16,66
20,42
26,89
27,09
28,34
37,20
38,47
38,74
38,90
39,10
41,10
41,23
41,80
43,00
43,14
45,94
47,85
48,20
59,70
62,78
71,19
73,10
82,37
90,00
90,81
45,50
4
Merkmale und Gründe für unterschiedliche
Wahlbeteiligung
• Sinkende Wahlbeteiligung als säkularer Trend in
allen industrialisierten Ländern
• Das EP wird als wenig bedeutsam und die
Stimmabgabe als wenig relevant angesehen
• Wahlbeteiligung in Ländern mit positiver Einstellung
zur EU, mit hoher Regierungszufriedenheit,
Wahlpflicht, gleichzeitigen nationalen Wahlen oder
Referenden und längerer Mitgliedschaft tendenziell
höher als in anderen MS
• Steigende Indifferenz und enttäuschte Erwartungen
bzw. Ängste hinsichtlich EU (insbesondere in neuen
Mitgliedstaaten)
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Charakteristika der Wahlen zum EP
• ‚second-order national elections‘ (Reif/Schmitt 1980)
– EU-Wahlkämpfe werden von nationalen Parteien
organisiert und bestritten, die i.d.R. wenig ‚europäisiert‘
sind
– Wahlkämpfe von ‚nationalen‘ Themen dominiert (mit
abnehmender Tendenz)
– EP-Wahlen als ‚Testwahlen‘ bzw. ‚Denkzettelwahlen‘ für
die nationale Regierung (Regierungsparteien verlieren
i.d.R. Stimmen)
– Kleine Oppositionsparteien und Anti-EU-Parteien
gewinnen i.d.R. Stimmen, da weniger strategisch gewählt
wird und Protestparteien die Wahlen oft wichtiger nehmen
als Regierungsparteien
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Konsequenzen der EP-Wahlen
• Verschiebungen im Gewicht einzelner Fraktionen
erfolgen graduell, nicht erdrutschartig
• Während in den 80er und 90er Jahren die SPE die
stärkste Kraft war, ist es seit 1999 die EVP,
während Koalitionsmuster relativ konstant sind
• Legitimitätsprobleme für das EP
– Nur eingeschränkte gubernative Funktion:
Kommissionsbestellung (Relevanzfrage)
– Transformation von politischen Prioritäten der
Wählerschaft in EU-Politiken schwer nachvollziehbar
(‚input-Legitimation‘ (F. Scharpf) steht in Frage)
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Parteien in der
Wettbewerbsdemokratie
• Parteien sollen Interessen aggregieren und
artikulieren -> Wahl zwischen politischen
Programmen/Inhalten
(Interessenvermittlungsfunktion)
• Parteien sollen potentielle Amtsinhaber
rekrutieren (und sozialisieren) -> Wahl zwischen
Politikern (Rekrutierungsfunktion)
• Parteien sollen auf der Grundlage von inhaltlichen
Präferenzen und dem Wahlergebnis Politik
gestalten und umsetzen (Gestaltungsfunktion)
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Die Rolle der Parteien in der EU
•
Nationale Parteien
– Rekrutierung von Abgeordneten für das EP, von Kommissaren und Beamten in
Kommission und Rat
– Inhaltliche Ausrichtung der EP-Wahlkämpfe
– Politikgestaltung über Rat und Europ. Rat
•
Fraktionen des EP (bestehend aus nationalen Delegationen)
– Wahl der Präsidenten, Ernennung von Ausschussvorsitzenden und Berichterstattern
grosso modo nach dem Proporzprinzip
– Koordination des Abstimmungsverhaltens (relativ große Kohärenz obwohl kein
‚Klubzwang‘)
– Koalitionsbildung primär entlang Fraktionsgrenzen (2 primäre Konfliktlinien: linksrechts, pro-/anti-EU)
•
Europäische Parteien (als Dachverbände nationaler Parteien)
– Gegründet in den 1970er Jahren, neu gegründet und organisatorisch gestrafft nach
Maastricht (europ. Parteienstatut und -förderung)
– Europäische Wahlmanifeste (wenig Bedeutung: Ausnahme: 2004 zentral koordinierter
EP-Wahlkampf der Grünen)
– Vereinzelte politische Initiativen und Beschlüsse (z.B. als Input zu
Regierungskonferenzen, im Verfassungsprozess etc.)
– Koordinierung von Positionen vor Gipfeltreffen des ER (relevant z.B. für die
Bestimmung des letzten Kommissionspräsidenten)
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Typen europäischer Interessengruppen
• Zwei Wachstumswellen: nach EWG-Vertrag (1957)
und nach EEA (1986), danach Umstrukturierungs-,
Konzentrations- und Sättigungsprozesse
• Europäische (Branchen-)Verbände und
Dachverbände (ungef. 700 registrierte)
• Nationale und regionale Verbände mit Büro in
Brüssel
• Transnationale Interessengruppen (z.B. Greenpeace)
• Professionelle ‚Lobbyisten‘
(Dienstleistungsunternehmen, Beratungsbüros,
Anwaltskanzleien, etc., zus. ungef. 1000)
• Große Unternehmungen
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Charakteristika der Interessengruppen
• Rund 80% vertreten wirtschaftliche Interessen, 20%
allgemeine Interessen
• Produzenteninteressen (Industrie vor Handels- und
Handwerkinteressen) stärker vertreten als
Arbeitnehmer-, Verbraucher-,
Umweltschutzinteressen
• Unterschiede bestehen i.H. auf
– Anreize zur Organisation auf europ. Ebene
– Organisationsfähigkeit (Partikularinteressen und kleine,
homogene Gruppen mit zurechenbarer Kosten-NutzenVerteilung leichter organisierbar als große, inhomogene
Gruppen mit diffusen Interessen und unklarer KostenNutzen-Verteilung)
– Konfliktfähigkeit (Drohpotential)
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Wichtige europ. Dachverbände
• Europäischer Industrieverband (UNICE)
• Zusammenschluss der Industrie- und
Handelskammern (EUROCHAMBRES)
• Verband der öffentlichen Unternehmen und
Arbeitgeber (CEEP)
• Verband der Europäischen Landwirte (COPA)
• Der europäische Gewerkschaftsbund (EGB)
• Weniger relevant:
– Verbraucherverband (BEUC)
– Europäisches Umweltbüro (EEB)
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Aufgaben der Verbände
• Vermittlung zwischen ‚Mitgliederlogik‘ (=
interner Interessenausgleich) und
‚Einflusslogik‘ (Bedingungen der externen
Einflussnahme)
• Informationsfunktion
• Frühwarnfunktion
• Türöffnerfunktion
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Einflusskanäle
• Kommission und EP interessiert an
– Information und Expertise
– Legitimation (durch Partizipation von
Interessengruppen - ‚Zivilgesellschaft‘ - an
interner Willensbildung)
• Nationale Regierungen interessiert an
– Formulierung und Durchsetzung ‚nationaler
Interessen‘ (nationale Traditionen entscheiden über
die Art der Einbindung nationaler
Interessengruppen)
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Europäische Einflusslogik
• Abhängig von Rechtsgrundlage (bestimmt zuständige
Generaldirektion innerhalb der Kommission und
Rolle des EP im Entscheidungsprozess)
• EU als Mehrebenen-System (Notwendigkeit der
parallelen Einflussnahme auf nationaler und
europäischer Ebene - ressourcenintensiv)
• EU als Verhandlungssystem (Vielzahl von Akteuren
und Vetoplayern; Notwendigkeit der Konsens- und
Kompromissfindung; öffentlicher Protest eher selten,
aber durchaus effektiv (zuletzt in Bezug auf
Liberalisierung der Hafendienste Æ
Richtlinienvorschlag von EP abgelehnt, von
Kommission zurückgezogen)
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Formen der Einbindung von
Interessengruppen
• Institutionalisierter ‚Sozialer Dialog‘ (Einbindung
der Sozialpartner)
• Das ‚Partnerschaftsprinzip‘ (Einbindung von
lokalen Sozialpartnern, Umwelt- und
Frauengruppen in die Implementation und
Evaluation von Strukturförderungsmaßnahmen)
• Öffentliche Konsultationen (Grün-, Weissbücher,
online-Konsultationen)
• Lobbying (aktive Kommunikationsstrategie von
Interessengruppen im Hinblick auf
Entscheidungsträger)
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Kenntnisstand zum Lobbying
•
•
•
•
•
•
Umfassendes Lobbying auf allen Ebenen ist ressourcenintensiv und
nur für wenige leistbar
Die Einflusschancen hängen von institutionellen Bedingungen und von
der Interessenkonstellation ab (i.d.R. komplexe Konfliktlagen)
Grundsatzentscheidungen sind weniger anfällig für Lobbying als
nachgeordnete Entscheidungen
Die Kommission betreibt eine aktive Politik der Einbindung von
Interessengruppen, wobei sie die Spielregeln (und damit die
Einflusschancen) weitgehend selbst bestimmt
Die ‚funktionale Repräsentation‘ von Interessengruppen ist ein
wichtiger Faktor der Akzeptanz europäischer Regulierungen
Probleme ergeben sich hinsichtlich
– der Gewährleistung von Chancengleichheit im Zugang zum
Entscheidungsprozess
– der Repräsentativität der Interessengruppen
– der Transparenz der Lobbyingaktivitäten
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