LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. BELARUS DR. ALEXANDER BRAKEL September 2012 Belarus vor den Wahlen www.kas.de/belarus Im Herbst wird in Belarus ein neues Par- mung mit den zuständigen Ministerien not- lament gewählt. So heißt es jedenfalls of- wendig. Billigt das Parlament eine Gesetzes- fiziell. In der letzten Diktatur Europas initiative, bedarf sie noch der Zustimmung kann aber von wirklichen Wahlen keine der 1. Kammer, des Republikrats. Weist Rede sein. dieser den Gesetzesvorschlag zurück, kann die 2. Kammer dieses Votum nur mit Zwei- Am 23. September findet der erste Wahl- drittelmehrheit überstimmen. Damit ein gang zur Neubesetzung der 110 Mandate Parlamentsbeschluss Gesetzeskraft erlangt der belarussischen Repräsentantenkammer bedarf es zudem noch der Unterschrift des statt. (Für diejenigen, die am eigentlichen Präsidenten. Sein etwaiges Veto kann nur Wahltag verhindert sind, ermöglicht die be- durch eine Zweidrittelmehrheit in beiden larussischen Wahlgesetzgebung die so ge- Kammern überwunden werden. nannte vorfristige Stimmabgabe innerhalb von 5 Tagen vor dem eigentlichen Wahltag, Bringen Regierung oder Präsident Gesetzes- was eine flächendeckende unabhängige initiativen ein, bedürften sämtliche Ände- Wahlbeobachtung erschwert ja de facto rungen im parlamentarischen Verfahren ausschließt.) Eventuell nötig werdenden wiederum der Genehmigung durch die ein- Stichwahlen werden zwei Wochen später bringende Instanz. Erlasse des Präsidenten abgehalten werden. Gewählt wird in einer erlangen sogar ohne Zustimmung des Par- republikweiten, gleichen, direkten und ge- laments Gesetzeskraft. heimen Wahl. Eine Listenwahl vergleichbar der Zweitstimmenliste bei der Wahl zum Weiterhin muss das Parlament der Ernen- Deutschen Bundestag gibt es nicht. Zur nung, nicht aber der Entlassung des Pre- Wahl stellen können sich alle Belarussen, mierministers zustimmen und spricht der die das 21. Lebensjahr vollendet haben. Regierung sein Vertrauen oder Misstrauen Unabhängige Kandidaten müssen mindes- aus. Laut Verfassung besitzt es zudem das tens 1000 Unterschriften wahlberechtigter Recht, ein Impeachment gegen den Präsi- Unterstützer sammeln, um antreten zu kön- denten anzustrengen, dies setzt jedoch eine nen. Gleichzeitig haben registrierte Parteien Zweidrittelmehrheit in jeder der beiden die Möglichkeit, ihre Kandidaten aufzustel- Kammern voraus. len. In diesem Fall entfällt die Notwendigkeit der Unterschriftensammlung. Somit spielt für die Gestaltungsmöglichkeit der Repräsentantenkammer der Republikrat Gewählt ist der Kandidat, der in seinem eine wichtige Rolle. Er setzt sich aus 64 Wahlkreis die absolute Mehrzahl der Stim- Mandatsträgern zusammen. Acht von ihnen men erhält. Erreicht keiner der Kandidaten werden direkt vom Präsidenten ernannt, die mehr als 50 Prozent der abgegebenen 56 weiteren von den Abgeordneten der Lo- Stimmen, entscheidet eine Stichwahl zwi- kalräte gewählt, die wiederum unter voll- schen den beiden erfolgreichsten Bewerbern ständiger Kontrolle des Präsidenten stehen. über den Parlamentseinzug. Über diesen Mechanismus kann dieser eine starke Kontrolle über das gesamte Parla- Die so gewählten Parlamentarier haben je- ment ausüben, der Spielraum der Repräsen- doch nur sehr geringe Gestaltungsmöglich- tantenkammer wird extrem eingeschränkt. keiten. Zwar hat de jure jeder Einzelne von ihnen das Recht, eigene Gesetzesvorschläge Keine Aussicht auf Wahlerfolg für Opposi- einzubringen, dafür ist jedoch eine Abstim- tionelle 2 Die Realität der Lukaschenka-Diktatur sieht heißt ohne Änderungen, durchgeführt. Und jedoch noch trüber aus: Denn freie und fai- auch eine Vorstellung über die zukünftige BELARUS re Wahlen hat es in Belarus seit 1996 nicht Zusammensetzung des Parlaments hat er DR. ALEXANDER BRAKEL mehr gegeben. Seit dem Jahr 2000 ist kei- bereits öffentlich geäußert: Etwa 30 Prozent ner Vertreter der Opposition mehr ins Par- der heutigen Abgeordneten sollen demnach lament eingezogen. Stattdessen dominieren wiedergewählt werden. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. September 2012 dort Vertreter der staatlich kontrollierten www.kas.de/belarus Gewerkschaften sowie der politischen Be- Der Präsident kann sich dabei auf die Unter- wegung Belaja Rus (Weiße Rus), die sich stützung der Zentralen Wahlkommission dem Präsidenten loyal verbunden fühlt. Fol- verlassen. Deren Leiterin, Lidija Jermoschi- gerichtig ist das Parlament seit langem kein na, die wegen ihrer Beteiligung an den Ort der politischen Auseinandersetzung Wahlfälschungen genau wie der Präsident mehr, sondern eine Abnickmaschine für die und über 200 weitere Spitzenvertreter des Entscheidungen der Regierung. Regimes nicht in die EU reisen darf, kündigte dienstbeflissen an, im Laufe des Wahl- Es besteht keinerlei Anlass zur Hoffnung, kampfs sei mit zahlreichen „Provokationen“ dass sich daran in diesem Jahr etwas än- der Opposition zu rechnen. Damit sind of- dern könnte, im Gegenteil. Seit der Präsi- fensichtlich Proteste gegen Verlauf und Aus- dentschaftswahl im Dezember 2010 geht gang der Wahl, gegen die Diskriminierung eine neue Repressionswelle durch das Land, unabhängiger Kandidaten und ähnliches die alles zuvor Dagewesene überbietet. gemeint. Noch immer befinden sich mindestens 13 politische Gefangene in Haft, eine Aussicht Auch die Zusammensetzung der Wahlkom- auf baldige Entlassung hat keiner von ihnen. mission macht klar, dass von einer fairen In einigen Fällen werden die Haftbedingun- Wahl keine Rede sein kann. Die überwie- gen sogar weiter verschärft, um Gnadenge- gende Mehrheit der knapp 69.000 Personen, suche der Häftlinge zu erpressen. Der Akti- die für den konkreten Ablauf der Stimmab- vist der „Jungen Front“ Smizer Daschke- gabe und die anschließende Auszählung witsch wurde gerade erst zu einer weiteren verantwortlich sind, stammt aus den Reihen zwölfmonatigen Haftstrafe verurteilt, weil er regierungsloyaler Organisationen, lediglich angeblich gegen die Gefängnisordnung ver- 61 Vorschläge der Oppositionsparteien wur- stoßen hat. den berücksichtigt. In den vergangenen anderthalb Jahren sind Dieses Muster setzte sich auch bei der Re- zudem die Vollmachten der Ermittlungsbe- gistrierung der Kandidaten fort. Viele von hörden deutlich ausgeweitet worden, wobei ihnen wurden nicht zur Wahl zugelassen, so in vielen Fällen damit lediglich eine nach- etwa der Präsidentschaftskandidat von trägliche Legalisierung staatlicher Repressi- 2006, Alexander Milinkewitsch oder der onen erfolgte. So besitzt nun etwa der KGB ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokrati- das Recht, sämtliche Personen am Verlas- schen Partei Anatolij Lewkowitsch und das sen des Landes zu hindern, die unter seiner trotz der Tatsache, dass Letzterer sich von Beobachtung stehen. Da die Ermittlungsbe- der regimekritischen Opposition öffentlich hörden Verdächtigen gegenüber keine Aus- distanziert und seine Bereitschaft zur Zu- kunft darüber schuldig sind, ob sie beobach- sammenarbeit mit dem Regime ohne wenn tet werden, kommt diese Regelung einer und aber verkündet hatte. Vollmacht gleich, jeglicher unbequemen Person die Ausreise zu verbieten. Sicherheitshalber ist auch die Durchführung von Meinungsumfragen in Belarus genehmi- Auch die bisherigen Ankündigungen von of- gungspflichtig. Unabhängige Institute erhal- fizieller Seite wecken keine Hoffnung, dass ten eine solche Genehmigung nur in Aus- sich diese Wahlen von den vorangegange- nahmefällen. In der Vergangenheit waren nen unterscheiden könnten. Lukaschenka Wählerbefragungen, vor allem auch in Form hatte bereits im Mai erklärt, die Wahlen von Exit polls am Wahltag Indiz auf das würden nach bewährter Art und Weise, das Ausmaß der Wahlfälschungen gewesen. Eine 3 jüngst erlassene Regelung sieht nun für die den undemokratischen Charakter der Wahl, – bereits seit 2002 offiziell verbotene – sie sehen im Wahlkampf aber eine Chance, BELARUS Durchführung derartiger Befragung eine ihre eigenen Positionen der Bevölkerung DR. ALEXANDER BRAKEL Geldstrafe in Höhe von bis zu 1000 Euro, im näherzubringen. Die Rahmenbedingungen Wiederholungsfall sogar bis zu 2000 Euro hierfür sind tatsächlich besser als sonst: re- vor. gistrierte Kandidaten erhalten die Möglich- Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. September 2012 keit zu einer kurzen Fernseh- und Radiowww.kas.de/belarus Haltung der Bevölkerung gespalten nachricht, Häuserwahlkampf ist erlaubt, und das Aufstellen von Wahlkampfständen muss Das renommierteste der unabhängigen so- nicht einzeln erlaubt werden. Auf diese Vor- ziologischen Institute, das Unabhängige In- teile verzichten die Parteien, die nicht zur stitut für sozialwirtschaftliche und politische Wahl antreten, auch dann, wenn sie im Forschung (seit 2005 in Belarus per Ge- Wahlkampf aktiv für die Idee des Boykotts richtsentscheidung verboten, im benachbar- werben wollen. ten Litauen wieder als juristische Person registriert und de facto in Belarus ohne Lizenz Eine Mittelposition nehmen die Vereinigte tätig), hat unlängst Daten zur Einstellung Bürgerpartei und die Belarussische Volks- der Bevölkerung zu den bevorstehenden front ein: Beide treten zwar zu den Wahlen Parlamentswahlen veröffentlicht. Demzufol- an, haben aber angekündigt, ihre Kandida- ge gehen nur 36,8 Prozent der Wahlberech- ten zehn Tage vor dem eigentlichen Wahl- tigten davon aus, dass die Wahlen fair ab- termin zurückzuziehen. laufen werden. 46,9 Prozent erwarten lediglich eine Wahlsimulation und keinen wirkli- Ob sich eine dieser Strategien als erfolg- chen Wettbewerb um die Mandate. Zum reich erweist, wird sich zeigen. Das Wahler- Vergleich: Noch 2010 hatten die meisten gebnis dagegen lässt sich heute schon mit Befragten an faire Wahlen geglaubt. Offen- ziemlicher Sicherheit voraussagen. sichtlich haben die Präsidentschaftswahlen und die Repressalien vielen Belarussen die Augen für die wahren Verhältnisse im Land geöffnet. Dennoch erklären über 50 Prozent der Wahlberechtigten, auf jeden Fall zur Stimmabgabe gehen zu wollen, weitere 20 Prozent sind noch unsicher. Lediglich 30 kündigten an, die Wahlen boykottieren zu wollen. Unterschiedliche Strategien der Oppositionsparteien Die Opposition ist über die Frage der Wahlbeteiligung gespalten. Einige ihrer Vertreter, so zum Beispiel die Christdemokraten lehnen eine Teilnahme an den Wahlen vollständig ab. Die Wahlen seien eine Farce, der man nicht durch die eigene Kandidatur Berechtigung verleihen sollte. Insbesondere angesichts der immer noch in Haft befindlichen politischen Gefangenen sei eine Wahlbeteiligung zynisch. Andere wie etwa die kommunistische Partei „Gerechte Welt“ oder die konservative Bewegung „Für die Freiheit“ widersprechen. Zwar machen sie sich keine Illusionen über