Berufliche Gymnasien (Baden-Württemberg): Abituraufgaben Pflichtfach Biologie Übungsaufgabe 1: Humangenetik, Gentechnologie, Immunbiologie Die Duchenne Muskeldystrophie (DMD) ist eine der häufigsten Erbkrankheiten. Ursache dieser Krankheit, die zunächst zu einer Muskelschwäche und letztendlich zu einer Zerstörung der Muskelzellen führt, sind Mutationen im Dystrophin-Gen. Bei den Erkrankten fehlt das funktionsfähige Dystrophin. Erste Krankheitszeichen treten bereits im Alter von 2 – 3 Jahren auf. Bis heute ist die DMD unheilbar. Die Patienten sterben bereits im jungen Erwachsenenalter. Die folgende Abbildung zeigt den Stammbaum einer Familie, in der dieses Erbleiden auftritt. 1 Erläutern Sie anhand des Stammbaums und unter Angabe der Genotypen der Personen 1– 9, wie diese Krankheit vererbt wird (dominant /rezessiv, autosomal /gonosomal). Abb. 1: Person 3 ist genotypisch gesund. 2 Das normale Dystrophin-Gen ist mit einer Länge von 2 600 kbp das längste Gen des Menschen. Die eigentlich codierende Sequenz ergibt sich aus 79 Exons. In einer speziellen PCR wurden gleichzeitig mehrere verschiedene mutationsanfällige Exons amplifiziert. Abbildung 2 zeigt das Ergebnis der PCR nach anschließender gelelektrophoretischer Auftrennung. Spur 1 stammt von einer erkrankten, Spur 2 von einer gesunden Person. Welche Mutation ist erkennbar? Benennen Sie den Mutationstyp und beschreiben Sie grundsätzlich, wie es zu solchen Mutationen kommen kann. Abb. 2 81 Lösungen 1 Die DMD wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Begründung für rezessiven Erbgang: Eltern 3 – 4 sind phänotypisch gesund, Sohn 6 ist an DMD erkrankt. Begründung für gonosomalen Erbgang: Da Person 3 genotypisch gesund ist, kann Sohn 6 die DMD nur von seiner Mutter geerbt haben. Der Sohn hat demzufolge das mutierte Gen nur einmal. Da Männer nur ein X-Chromosom besitzen, erkranken Sie bereits im hemizygoten Zustand. Im vorliegenden Stammbaum sind ausschließlich Männer erkrankt. Das ist zwar ein Hinweis auf einen X-chromosomalen Erbgang, jedoch hier kein echter Beweis. Person Genotyp 1 2 3 4 5 6 7 8 9 XD Y XD Xd Xd Y XD Xd Xd Y Xd Y XD XD oder XD Xd XD Y XD XD oder XD Xd D = normales Gen d = mutiertes Gen 2 Bei Person 1 fehlt das Exon 45. Alle übrigen amplifizierten Exons (43, 44, 48 und 51) sind vorhanden. Es handelt sich hierbei um eine Deletion (Verlust eines Chromosomen- oder Genabschnittes). Deletionen entstehen durch Paarungsfehler zwischen Nichtschwesterchromatiden in der 1. Reifeteilung der Meiose und anschließendem Crossing-over in nichthomologen Positionen. 3 Die Aminosäurensequenz von Person 2 lautet: Die reife mRNA von Person 1 sieht wie folgt aus: Exon 45 endet nach der 2. Base des letzten Tripletts, das durch die erste Base von Exon 46 zu AGG vervollständigt wird. Da bei Person 1 das Exon 45 fehlt, wird an das Ende von Exon 44 direkt Exon 46 gebunden. Das Leseraster verschiebt sich um ein Nukleotid. Die Rasterverschiebung führt zum Einbau falscher Aminosäuren und zu einem Stoppsignal. Die Proteinsynthese bricht am Stoppsignal ab. Es entsteht nur ein Teil des Dystrophins, der funktionslos ist (und abgebaut wird). 83