Die Weitergabe der genetischen Information - e-Shop

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Die Weitergabe
der genetischen Information
O. Steinlein und P. Propping
A-21
EINLEITUNG
Ein junges Ehepaar kommt zur genetischen Beratung, da es aufgrund der Familiengeschichte
befürchtet, ein erhöhtes Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom zu haben. Bei der Erhebung des
Stammbaums zeigt sich, dass die jüngste Schwester der Ehefrau nach der Geburt durch auffällige
Gesichtszüge (schräge Lidachsen, tief ansetzende kleine Ohren, Muskelhypotonie und Hautfalten
am inneren Oberlidrand), eine vergröûerte Zunge sowie durch einen Herzfehler auffiel. Die Chromosomenanalyse bestätigt den Verdacht auf ein Down-Syndrom. In den Zellen der Schwester finden
sich drei statt wie üblich zwei Chromosomen 21 (sog. freie Trisomie 21), sie besitzt somit 47 statt 46
Chromosomen. Die Mutter der Ratsuchenden war zum Zeitpunkt der Geburt dieser Schwester bereits 40 Jahre alt. Das junge Ehepaar kann beruhigt werden, da es sich bei der Chromosomenstörung, die bei der Schwester aufgetreten ist, um die häufigste, nicht-erbliche Ursache des Down-Syndroms handelt. Die Höhe des Risikos, ein Kind mit einer freien Trisomie 21 zu bekommen, ist vom
Alter der Mutter abhängig, während das väterliche Alter kaum eine Rolle spielt. Für die 22-jährige
Frau beträgt das Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom etwa 1:1500, während es bei ihrer damals
40-jährigen Mutter mit 1:110 deutlich höher gelegen hatte.
p
BL
21.1
Die Chromosomen als Träger
der Erbinformation
l l l Die Chromosomen unterscheiden sich
aufgrund von Gröûe und Centromerlage
Geschichte der Chromosomenforschung. In den Jahren
1902/1903 beobachteten Theodor Boveri und Walter Sutton
unabhängig voneinander, dass sich Chromosomen während
der Bildung der Keimzellen paarweise zusammenlagern und
sodann auf die entstehenden Keimzellen aufgeteilt werden.
Aus dieser Beobachtung entwickelte sich die Sutton-BoveriTheorie der Vererbung, wonach die Chromosomen die sichtbaren Strukturen im Zellkern sind, die die Gene enthalten.
Anzahl und Struktur der Chromosomen. Trotz der frühen Beobachtungen von Sutton und Boveri spielte die Untersuchung der menschlichen Chromosomen, die Cytogenetik, bei
der Erforschung und Diagnostik von Krankheiten erst ab der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Rolle. 1956 entdeckten Tjio und Levan, dass die menschliche Zelle im Zellkern 46 Chromosomen besitzt. Heute weiû man, dass die
Grundstruktur der Chromosomen ein mit Proteinen assoziierter DNA-Doppelstrang ist, in dem die genetische Information in der Abfolge der Nucleotidbasen verschlüsselt ist
(Abschn. A-13.1).
Die Darstellung menschlicher Chromosomen wurde erst
aufgrund der Entwicklung neuer Kultur- und Färbetechniken
möglich, durch die Chromosomen in der Metaphase sichtbar
gemacht werden konnten. In diesem Stadium des Zellzyklus
sind die Chromosomen bereits verdoppelt und bestehen aus
zwei Untereinheiten, den Chromatiden, die stark kontrahiert
sind. Die beiden Chromatiden eines Chromosoms sind an der
zentralen Einschnürung über eine Proteinbrücke miteinander
verbunden. In diesem Bereich liegt auch das Centromer, das
bei der Aufteilung der Chromatiden in die jeweiligen Tochterzellen eine wesentliche Rolle spielt (Abschn. A-20.1). Die
beiden Enden eines Chromosoms werden als Telomere bezeichnet.
Aufgrund der Position der zentralen Einschnürung sowie
der Gröûe der Chromosomen werden die einzelnen Chromosomenpaare in sieben Gruppen geordnet und nummeriert
(Abb. 21-1). Liegt das Centromer in der Mitte des Chromosoms, wird dieses als metazentrisch (Chromosomen 1, 3, 19±
20) bzw. submetazentrisch (Chromosomen 2, 4±12, 16±18,
X-Chromosom) bezeichnet. Bei einer extrem endständigen
Centromerposition werden die Chromosomen als akrozentrisch (Chromosomen 13±15, 21±22, Y-Chromosom) bezeichnet. Die Abschnitte auf den beiden Seiten des Centromers werden Chromosomenarme genannt, wobei der kürzere
Arm, der p-Arm (von franz. petit), nach oben und der längere
Arm, der als q-Arm bezeichnet wird, nach unten abgebildet
werden. Die Chromosomengröûe variiert beträchtlich (1±10
mm). So ist das Chromosom 1 etwa 4,5 Mal gröûer als die
kleinsten Chromosomen 21 und 22 (Abb. 21-1).
Die Ergebnisse des Humangenom-Projekts zeigen, dass
die mikroskopisch sichtbaren Längenunterschiede der Chromosomen mit dem Gehalt an DNA korrelieren. So schätzt
man, dass das Chromosom 1 etwa 279 ´ 106 Basenpaare enthält, während das Chromosom 21 nur auf etwa 45 ´ 106 Basenpaare kommt.
21.1 Die Chromosomen als Träger der Erbinformation
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489
Abb. 21-1. Metaphasechromosomen. Der
dargestellte männliche Chromosomensatz
umfasst die 22 Autosomenpaare sowie ein
X- und ein Y-Chromosom (Karyotyp:
46,XY). (G. Schwanitz, Bonn)
490
l l l Einzelne Chromosomenbereiche
unterscheiden sich in ihrem Gehalt
an Genen
der vom Centromer kontrollierten Segregation der Chromatiden während der Zellteilung eine Rolle.
Heterochromatin und Euchromatin. Die Chromosomen bestehen aus Chromatin, das neben dem eigentlichen Nucleotidstrang auch verschiedene Proteine, insbesondere Histone,
enthält (Abschn. A-13.7). Die Struktur des Chromatins kann
dabei in den einzelnen Chromosomenabschnitten unterschiedlich sein. Es wird als Hetero- oder Euchromatin bezeichnet. Konstitutives Heterochromatin ist die am stärksten
kondensierte Form des Chromatins und enthält im Wesentlichen repetitive Sequenzen und keine aktiven Gene. Mutationen in heterochromatischen Chromosomenbereichen haben
deshalb für ihren jeweiligen Träger meistens keinen Krankheitswert. Diese Chromosomenabschnitte sind immer heterochromatisch. Fakultatives Heterochromatin dagegen enthält
Gene, die nicht immer angeschaltet sind; es findet sich insbesondere auf dem inaktiven X-Chromosom (s. u.). Im Euchromatin, das weniger dicht kondensiert ist als das Heterochromatin, finden sich vorwiegend die aktiven Gene.
Die kurzen Arme der akrozentrischen Chromosomen 13,
14, 15, 21 und 22 tragen zusätzlich Nucleolus organisierende
Regionen (NORs). Diese enthalten Cluster von jeweils etwa
50 tandemartig, repetitiv angeordneten rRNA-Genen (Kap.
A-13, A-14, A-15). Zusammen mit ca. 80 verschiedenen Proteinen wird diese rRNA noch am Ort der Transkription zu Ribosomen zusammengesetzt. Den bei der Zusammensetzung
der Ribosomen sichtbar werdenden rRNA-Protein-Komplex
im Bereich der NORs nennt man Nucleolus.
Im Bereich der Centromere finden sich ebenfalls Cluster
von repetitiver DNA, wobei es sich insbesondere um a-Satelliten-DNA handelt. Hierbei findet man eine vielfach nacheinander wiederholte Sequenzabfolge von jeweils ca. 170 Basenpaaren, die nicht in RNA umgeschrieben wird und somit
nicht-codierend ist. Vermutlich spielt a-Satelliten-DNA bei
l l l Der weibliche Chromosomensatz enthält
zwei X-Chromosomen, der männliche
jeweils ein X- und ein Y-Chromosom
Kapitel A-21 Die Weitergabe der genetischen Information
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Autosomen. Die 46 Chromosomen einer menschlichen Zelle
verteilen sich auf 44 Autosomen und zwei Gonosomen. Die
Autosomen kommen paarweise und geschlechtsunabhängig
vor, so dass in jeder Zelle insgesamt 22 Autosomenpaare
vorhanden sind. Da die beiden Chromosomen eines solchen
Paars die gleiche genetische Information tragen, nennt man
sie homologe Chromosomen. Die auf den Autosomen befindliche Erbinformation ist somit in jeder Zelle in doppelter Dosis vorhanden. Deshalb werden diese Zellen als diploide Zellen bezeichnet. Im Gegensatz hierzu besitzen Keimzellen
(Kap. C-16) nur jeweils ein Chromosom eines Autosomenpaars sowie eines der beiden Gonosomen. Zellen mit einem
solchen einfachen Chromosomensatz nennt man haploide
Zellen. Wenn eine Eizelle und eine Samenzelle, die beide
haploid sind, miteinander verschmelzen, entsteht eine Zygote mit einem diploiden Chromosomensatz. Dabei ist jeweils ein Chromosom eines Chromosomenpaars mütterlicher
und eines väterlicher Herkunft.
Gonosomen. Als Gonosomen bezeichnet man die geschlechtsbestimmenden X- und Y-Chromosomen. Während
man bei Frauen in jedem Zellkern zwei X-Chromosomen findet, besitzen Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Entsprechend wird der weibliche Chromosomensatz als 46,XX und
der männliche als 46,XY bezeichnet. Das X- und das Y-Chromosom bildeten einmal ein homologes Paar, das sich im Verlauf der Evolution auseinanderentwickelte. Während das YChromosom durch Genverlust immer kleiner wurde, vergrö-
ûerte sich das X-Chromosom durch Anlagerung von Autosomenabschnitten. Deshalb enthält das X-Chromosom viele
Gene und vor allem solche, die nichts mit der Geschlechtsbestimmung zu tun haben. Während der frühen Entwicklung
wird bei weiblichen Embryonen jeweils eines der beiden XChromosomen inaktiviert. Es kondensiert zu fakultativem
Heterochromatin, und die auf diesem Chromosom vorhandenen Gene können nicht mehr transkribiert werden. In Interphasekernen stellt sich dieses inaktivierte X-Chromosom als
Barr-Körperchen (benannt nach dem Erstbeschreiber Murray
L. Barr, 1949) oder ¹Drumstickª (Trommelschlegel) dar. Die XInaktivierung erfolgt zu einem definierten Zeitpunkt und betrifft zufallsgemäû das mütterliche oder väterliche X-Chromosom. Alle Tochterzellen inaktivieren das gleiche X-Chromosom wie ihre Ausgangszelle. Hierdurch wird vermieden, dass
im weiblichen Geschlecht X-chromosomale Gene doppelt so
aktiv sind wie im männlichen Geschlecht. Dies ist notwendig,
da Gendosisdifferenzen sich letal auswirken. Die für die X-Inaktivierung entscheidende Region wird X-Inaktivierungszentrum genannt und enthält das XIST-Gen (X-inactivation
specific transcript). Die von diesem Gen transkribierte, mit
15 000 Basen ungewöhnlich lange RNA codiert nicht für ein
Protein, sondern übernimmt (wie auch die rRNA) eine strukturelle Funktion. Sie verlässt den Zellkern nicht, sondern bedeckt in vielen Kopien weite Teile des X-Chromosoms und induziert somit die genetische Inaktivierung und die Heterochromatisierung. Dabei wird XIST nur von dem zu inaktivierenden X-Chromosom gebildet und bedeckt auch nur dieses.
Die primär zufällige Inaktivierung eines X-Chromosoms wurde
1961 von Mary Lyon mit der nach ihr benannten Lyon-Hypothese erklärt. Sie erkannte, dass für die normale Entwicklung
nach der frühen Embryonalphase nur die einfache Dosis der auf
dem X-Chromosom befindlichen Gene notwendig ist. Durch die
Inaktivierung eines X-Chromosoms wird beim weiblichen im
Vergleich zum männlichen Geschlecht eine Gendosiskompensation erreicht. Diese Inaktivierung findet vermutlich im 1000- bis
2000-Zellstadium (ca. 12. Tag nach Befruchtung) statt, möglicherweise aber auch noch früher. Weiterhin erkannte Mary
Lyon, dass aufgrund der zufälligen X-Inaktivierung der weibliche Organismus in Bezug auf aktive X-chromosomale Gene ein
Mosaik darstellt. Mäuse, bei denen ein Gen für die Fellfarbe auf
dem X-Chromosom liegt, haben durch die zufällige X-Inaktivierung ein geflecktes Fell.
Das Y-Chromosom hat im Verlauf der Evolution nahezu alle
seine Gene verloren. Übrig geblieben sind vorwiegend Gene,
die für die Geschlechtsbestimmung und Fortpflanzungsfähigkeit zuständig sind. Die AZF-Region (Azoospermiefaktor)
enthält viele Kopien von so genannten DAZ-Genen (DAZ
von deleted in azoospermia). Diese Gene können eine Ursache für Unfruchtbarkeit sein, wenn sie aufgrund einer Deletion (Verlust eines Chromosomenstücks) verloren gehen. Das
SRY-Gen (sex-determining region on Y) induziert die Bildung der männlichen Geschlechtsorgane. Es stellt wahrscheinlich einen Transkriptionsfaktor dar, der die Aktivität
anderer, autosomaler Gene reguliert, die wiederum für die
männliche Geschlechtsdeterminierung verantwortlich sind.
Es ist somit für die Geschlechtsbestimmung von wesentlicher
Bedeutung. Weitere Y-chromosomale Gene sind an der Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale und der Reifung der Samenzellen (Spermatogenese) beteiligt.
l l l Jedes Chromosom besitzt ein individuelles
Bandenmuster; die Gesamtheit aller
Chromosomen bildet den Karyotyp
Chromosomenaufbau und -darstellung. Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der Nucleotidsequenz wechseln auf jedem Chromosom Abschnitte mit hoher Gendichte
(Euchromatin) mit solchen ab, die vorwiegend repetitive Sequenzen besitzen (konstitutives Heterochromatin). Die verschiedenen Funktionen der einzelnen Chromosomenabschnitte führen zu einer unterschiedlich ausgeprägten Kondensierung des Chromatins. Aktive Abschnitte mit vielen Genen (GC-reich) müssen besser zugänglich sein und werden
deshalb weniger stark kondensiert als Abschnitte mit wenigen Genen (AT-reich). Während der Metaphase, dem der eigentlichen Zellteilung vorausgehenden Mitosestadium, ist
die Kondensierung besonders deutlich ausgeprägt. Aufgrund
dieser Unterschiede besitzt jedes Chromosom ein individuelles Bandenmuster, das nach spezifischer Darstellung seine
Identifizierung und Zuordnung ermöglicht. Die Darstellung
der nach ihrer Gröûe, ihrem Bandenmuster und ihrer Centromerposition paarweise sortierten Metaphasechromosomen
wird als Karyotyp bezeichnet (Abb. 21-1).
Die einzelnen Banden jedes Chromosoms werden nach der
ISCN-Nomenklatur bezeichnet (International System for Human Cytogenetic Nomenclature, auch Pariser Nomenklatur
genannt). Ausgehend von Bezugspunkten wie den Telomeren, dem Centromer oder besonders markanten Banden werden die dazwischen liegenden Chromosomenabschnitte als
Regionen bezeichnet. Die Nummerierung erfolgt auf beiden
Chromosomenarmen vom Centromer aus. Innerhalb der Regionen gelegene Banden werden gesondert nummeriert. So
trägt die erste Bande in der zweiten Region auf dem kurzen
Arm von Chromosom 1 die Bezeichnung 1p21. Lassen sich
innerhalb einzelner Banden zusätzlich Sub-Banden unterscheiden, werden diese durch einen Punkt gekennzeichnet,
also z. B. 14q32.3 für die dritte Sub-Bande der zweiten Bande
in der dritten Region (die am weitesten telomerwärts gelegene Sub-Bande) auf dem langen Arm von Chromosom 14.
Für Routineanwendungen wird am häufigsten die G-Bänderung
benutzt, wobei nach einer Vorbehandlung mittels einer salzhaltigen Lösung oder dem proteolytischen Enzym Trypsin eine Färbung mit Giemsa-Lösung durchgeführt wird. Bei der G-Bänderung können in Metaphasechromosomen 400±850 Banden voneinander unterschieden werden. In Prometaphase- oder Prophasechromosomen lassen sich sogar bis zu 1250 verschiedene Banden erkennen. Neben der G-Bänderung gibt es noch weitere Färbemethoden, die verschiedene Anwendungsgebiete haben.
Molekulare Cytogenetik. Zwischen cytogenetischer und molekulargenetischer Genomanalyse ist die molekulare Cytogenetik durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) angesiedelt. Hierbei erfolgt eine Darstellung bestimmter Chromosomenabschnitte mit DNA-Sonden, die mit Fluoreszenzfarbstoffen gekoppelt sind, auf Zellen in der Interphase oder
in der Mitose. Bei diesen Sonden handelt es sich um klonierte
Sequenzen, die sich an die entsprechenden komplementären
Regionen im Chromosom anlagern. Dieser Vorgang wird als
Hybridisierung bezeichnet (Abschn. A-24.2). Es werden drei
Haupttypen von DNA-Sonden verwendet: solche, die das ge21.1 Die Chromosomen als Träger der Erbinformation
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Abb. 21-2. Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Darstellung der Metaphasechromosomen nach DAPI-Färbung,
Hybridisierung des Chromosoms 22 mit
zwei Single-Copy-DNA-Sonden. Im proximalen Bereich des langen Arms (22q11.2)
zeigt nur eines der beiden homologen
Chromosomen ein positives rotes Signal.
Auf dem nicht markierten Chromosom
liegt eine Mikrodeletion in der untersuchten Region vor. Die grünen Signale dienen
als Hybridisierungskontrolle. (H. Engels,
Bonn)
samte Euchromatin eines definierten Chromosoms markieren, kurze euchromatische Single-Copy-Sonden, die definierte Abschnitte in einem Chromosom markieren (Abb. 212), und repetitive Sonden der Centromerregion oder aus bestimmten konstitutiv-heterochromatischen Abschnitten. Die
molekulare Cytogenetik wird zur Genlokalisation eingesetzt,
zur Untersuchung der Evolution von Karyotypen und zur
Analyse submikroskopischer Veränderungen von Chromosomen (Abb. 21-2).
l l l Veränderungen der Zahl oder Struktur
von Chromosomen können zu angeborenen Krankheiten führen
Numerische Chromosomenaberrationen. Zu den numerischen Chromosomenstörungen gehören die Aneuploidie, bei
der die Anzahl einzelner Chromosomen verändert ist, und
die Polyploidie, die sich durch eine Vervielfältigung des gesamten Chromosomensatzes auszeichnet. Findet sich ein bestimmtes Chromosom dreifach statt zweifach in einer Zelle,
so spricht man von Trisomie. Der Verlust eines Chromosoms
wird als Monosomie bezeichnet (Abb. 21-3 a). Abweichungen
von der Chromosomenzahl 46 werden allgemein als Aneuploidien bezeichnet. Die häufigsten Aneuploidien sind die
Trisomie 21 (Down-Syndrom), die Trisomie 18 (EdwardsSyndrom) und die Trisomie 13 (Pätau-Syndrom). Bei Patienten mit diesen Trisomien enthalten die Körperzellen ein zusätzliches Chromosom 21, 18 oder 13. Die Symptome, die neben geistiger Retardierung verschiedene Fehlbildungen umfassen (u. a. Herzfehler, Fehlbildungen des Gehirns und des
Magen-Darm-Trakts, Polydaktylie, Gaumenspalte), sind auf
die zusätzliche Gendosis, d. h. ein genetisches Ungleichgewicht, zurückzuführen. Zu den zahlenmäûigen gonosomalen
Chromosomenstörungen gehört als einzige Monosomie das
Ullrich-Turner-Syndrom, bei dem nur ein X-Chromosom
vorhanden ist (Monosomie X, Karyotyp 45,X), wobei die betroffenen Mädchen unterdurchschnittlich klein und meist infertil sind. Das Klinefelter-Syndrom (47,XXY), bei dem Män492
Kapitel A-21 Die Weitergabe der genetischen Information
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ner ein zusätzliches X-Chromosom besitzen, wird häufig erst
diagnostiziert, wenn nach den Ursachen unerfüllten Kinderwunsches gesucht wird. Männer mit Klinefelter-Syndrom
sind häufig überdurchschnittlich groû und neigen aufgrund
eines Testosteronmangels zu vorzeitiger Osteoporose. Polyploidien, bei denen es zur Vermehrungen ganzer Chromosomensätze (3 n bei Triploidie, 4 n bei Tetraploidie) kommt, sind
nicht mit einer normalen Entwicklung vereinbar, finden sich
aber bei pathologischen Fruchtanlagen.
Strukturelle Chromosomenaberrationen. Sie entstehen durch
Brüche an einem Chromosom oder mehreren Chromosomen.
Als Folge von Chromosomenbrüchen kann es aufgrund von
Fehlern bei der Reparatur zu verschiedenen Veränderungen
kommen (Abb. 21-3 b). Werden Chromosomenstücke umgekehrt eingesetzt, so spricht man von einer Inversion, bei der
Verdopplung eines Abschnitts von einer Duplikation. Treten
Brüche in zwei oder mehr Chromosomen auf, kann es zu einem als Translokation bezeichneten Austausch von Abschnitten kommen. Der Verlust von Chromosomenstücken
stellt eine Deletion dar. Der Einbau zusätzlichen DNA-Materials an einer bestimmten Stelle im Chromosom wird als Insertion bezeichnet. Eine ringförmige Verbindung der beiden
Enden eines Chromosoms führt zu einem Ringchromosom.
Solange diese Umbauten keinen Verlust oder Zugewinn von
genetischem Material verursachen oder der Bruchpunkt nicht
durch ein wichtiges Gen verläuft, entstehen für ihren Träger
in der Regel keine gesundheitlichen Nachteile. Deshalb
spricht man von einer balancierten Chromosomenaberration.
Bei der Weitergabe an die nächste Generation können aber
unbalancierte Chromosomenaberrationen auftreten und dadurch für Fehlbildungskombinationen (Syndrome) verantwortlich sein.
Das eingangs erwähnte Down-Syndrom kann in seltenen Fällen
(etwa 3 %) auch durch eine unbalancierte Chromosomenaberration entstehen, indem sich ein Chromosom 21 mit einem anderen Chromosom (am häufigsten Chromosom 14) verbindet. Von
einer balancierten Translokation spricht man, wenn eine Person
nur ein freies Chromosom 21 besitzt, während das zweite Chro-
14
14
21
normal
Trisomie
Monosomie
a
A
A
A
B
C
B
C
A
B
C
B
C
B
C
D
D
D
D
Inversion
Duplikation
B
A
B
D
D
Deletion
é
Ringchromosom
Abb. 21-3. Numerische und strukturelle Chromosomenstörungen (zur Vereinfachung sind nur die beteiligten Chromosomen
dargestellt). (a) Aneuploidien. Dargestellt sind eine Trisomie, bei
der ein zusätzliches Chromosom vorkommt, sowie eine Monosomie, bei der ein Chromosom zu wenig vorhanden ist. (b) Strukturelle Chromosomenstörungen. Die wichtigsten strukturellen
Chromosomenstörungen sind schematisch dargestellt
Neben den mit den Methoden der Cytogenetik nachweisbaren Chromosomenveränderungen gibt es kleinere, subtile
Veränderungen (Punktmutationen, Deletionen von einigen
balancierte
Translokation
14 14 /21 21
21
unbalancierte
Translokation
Basenpaaren bis zu mehreren Kilobasenpaaren, etc.), die sich
molekularbiologisch nachweisen lassen (Abschn. A-22.2)
und die ebenfalls Krankheiten verursachen können.
b
mosom 21 Teil eines Translokationschromosoms ist. Obwohl die
Gesamtzahl der Chromosomen nur 45 beträgt, besitzt diese Person das vollständige genetische Material und ist gesund. Bei der
Bildung der Keimzellen ist es allerdings möglich, dass sowohl
das freie Chromosom 21 als auch das Translokationschromosom
in eine Keimzelle gelangen. Da bei der Befruchtung die zweite
Keimzelle ebenfalls ein Chromosom 21 trägt, hat das daraus hervorgegangene Kind zwar die normale Chromosomenzahl (46),
aber die dreifache statt doppelte Dosis des genetischen Materials
von Chromosom 21. Dies führt bei dem Kind zu einem DownSyndrom aufgrund einer unbalancierten Translokation (Abb. 214).
14 14 /21 21
Abb. 21-4. Schematische Darstellung einer Translokationstrisomie 14/21. Das Kind mit Down-Syndrom hat zwei freie Chromosomen 21 und ein drittes, das auf die Kurzarmregion eines
Chromosoms 14 transloziert ist (unbalancierte Translokation).
(Zur Vereinfachung sind nur die beteiligten Chromosomen dargestellt)
A
C
21
21.2
Die 46 Chromosomen in jeder somatischen
menschlichen Zelle sind die Träger der Erbanlagen. Der Karyotyp setzt sich aus 23 Paaren homologer Chromosomen zusammen;
davon sind 22 Autosomenpaare und ein
Paar Gonosomen. Das Chromatin bildet den
Hauptbestandteil der Chromosomen, das
abhängig von der jeweiligen Nucleotidsequenz mehr (Heterochromatin) oder weniger (Euchromatin) stark kondensiert ist. Das
durch verschiedene Färbungen darstellbare
Bandenmuster des Euchromatins beruht auf
der jeweils charakteristischen Abfolge von
AT- und GC-reichen Regionen. Veränderungen in der Zahl (Aneuplodie) oder der Struktur einzelner Chromosomen (Deletion, Insertion, Duplikation, Inversion, Translokation)
sind die Ursache vieler angeborener Krankheiten.
Die Mendelschen Gesetze
BL
l l l Nach Gregor Mendel sind die
grundlegenden Prinzipien der Vererbung
die Existenz paarweiser Erbanlagen
mit unterschiedlichen Allelen, die nach
bestimmten Regeln segregieren
Die Grundlagen der formalen Genetik wurden 1865 von dem
Augustinermönch Gregor Mendel in ebenso einfachen wie
genialen Züchtungsexperimenten nachgewiesen. Mendels
Studienobjekt war die Gartenerbse (Pisum sativum), die sich
aufgrund der verschiedenen Farben und Formen ihrer Samen
besonders eignet. Für die Kreuzungsexperimente entfernte
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p
493
Mendel die Staubgefäûe, um die Selbstbefruchtung zu verhindern, so dass dann die Befruchtung mit dem Pollen einer
anderen Pflanze von Hand erfolgen konnte. Mendel bezeichnete die von ihm untersuchten Unterschiede im Aussehen
seiner Erbsen als Merkmale. Heute würde man sie als Phänotyp bezeichnen. Dazu gehören zum Beispiel die Beschaffenheit der Schale oder die Farbe der Erbse. In seinen Experimenten interessierte ihn dabei die Vererbung von Merkmalsunterschieden. Er kreuzte z. B. Erbsen mit runzliger Schale
mit solchen, die eine glatte Schale besaûen, oder gelbe mit
grünen Erbsen. Aus der beobachteten Verteilung von Merkmalsunterschieden in den folgenden Generationen schloss
Mendel auf hierfür verantwortliche Faktoren. Seit Johannsen
(1909) nennen wir diese Faktoren Gene.
Bisher ist nicht genau bekannt, wie viele Gene die menschliche
Zelle tatsächlich enthält. Ausgehend von einer durchschnittlichen Genlänge von etwa 3 ´ 104 Basenpaaren schätzte man die
Gesamtzahl seit Mitte der 1990er Jahre lange auf etwa 100 000
Gene. Mit der Veröffentlichung der vorläufigen menschlichen
Sequenz im Februar 2001 wurde diese Zahl deutlich nach unten
korrigiert. Möglicherweise enthält das haploide Genom nicht
mehr als 30 000 oder 40 000 verschiedene Gene. Dies würde bedeuten, dass das menschliche Genom nur etwa doppelt so viele
Gene besitzt wie das Genom eines Fadenwurms oder einer
Fruchtfliege.
Box 21-1.
Genetik-Glossar
Der Begriff Allel bezeichnet die alternativen Formen eines
Gens an einem bestimmten Genort. Ein Individuum hat für
jeden Genort ein väterliches und ein mütterliches Allel (Ausnahme: gonosomale Gene).
Heterozygotie entsteht, wenn ein Individuum an einen Genort zwei verschiedene Allele hat. Das Individuum ist dann
für diesen Genort heterozygot.
Homozygotie beschreibt den Zustand, dass beide Allele eines
Genorts identisch sind. Das Individuum ist dann für diesen
Genort homozygot.
Der Genotyp ist die genetische Konstellation an einem Genort, während der Phänotyp den beobachtbaren Effekt des
Genotyps auf die physische Beschaffenheit seines Trägers
beschreibt.
Kann ein Allel bereits im heterozygoten Zustand den Phänotyp bestimmen, wird es dominant genannt. Wenn zwei identische Allele notwendig sind, um den Phänotyp auszubilden,
nennt man diese Allele rezessiv. Unterscheidet sich der durch
Heterozygotie hervorgerufene Phänotyp von dem jeweiligen
homozygoten Phänotyp, so wirken diese Allele kodominant.
Als intermediär wird eine kodominante Allelwirkung bezeichnet, wenn jedes Allel zu 50 % an der Entstehung des
Phänotyps beteiligt ist.
l l l Gene können als unterschiedliche Allele
vorkommen
Allele. Da bei höheren Organismen das gesamte Erbgut in jeder Zelle doppelt vorliegt, gibt es von jedem Gen zwei Kopien (Ausnahme: gonosomale Gene). Je eines der Gene
stammt von der Mutter bzw. dem Vater, die jeweils nur eines
ihrer beiden Gene an die Nachkommen weitergeben. Im einfachsten Fall (inzwischen kennt man viele Ausnahmen von
494
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dieser Regel) bildet ein Gen ein Protein, und dieses bestimmt
die Ausprägung eines Merkmals. Bei Merkmalen mit Mendelschem Erbgang gilt: Der Genotyp bestimmt den Phänotyp. Dabei kann ein Gen in unterschiedlichen Subtypen vorkommen, den so genannten Allelen, und dadurch verschiedene Ausprägungen eines Merkmals verursachen. So kam
bei Mendels Erbsenpflanzen das Gen für das Merkmal ¹Erbsenformª als Allel ¹runzligª oder als Allel ¹rundª vor und das
Gen für das Merkmal ¹Erbsenfarbeª als Allel ¹gelbª oder als
Allel ¹grünª.
In einer Population von Organismen können Gene in vielen unterschiedlichen Allelen vorkommen. So gibt es z. B. beim Menschen Gene, bei denen mehrere Allele krankheitsverursachend
sein können. Ein Beispiel ist das CFTR-Gen, das für die Mukoviszidose (Cystische Fibrose), eine der häufigsten rezessiven Erkrankungen, verantwortlich ist. Normalerweise bildet das CFTRGen einen Chloridkanal (Kap. A-9). In Nordeuropa ist etwa jeder
25. Mensch am CFTR-Genort heterozygot für ein mutiertes Allel,
das für ein nicht normal funktionierendes Protein codiert. Im
homozygoten Zustand führt das betreffende Allel aufgrund einer
verminderten Salz- und Flüssigkeitsausscheidung verschiedener
Drüsen zu zunehmenden Funktionseinschränkungen insbesondere von Lunge und Pankreas.
l l l Die Anlagen für Merkmale werden von
der Parental- auf die Filialgenerationen
vererbt
Die reinerbigen Pflanzenlinien, die den Ausgangspunkt von
Mendels Experimenten darstellten, werden als Parental- oder
Elterngeneration (P) bezeichnet. Diese waren zunächst immer wieder so untereinander gekreuzt worden, dass schlieûlich jede der paarweisen Erbanlagen die gleichen Allele aufwies. Die Pflanzen, die aus der Kreuzung von zwei Parentalorganismen entstanden, stellen die 1. Filial- oder Tochtergeneration (F1) dar, und deren Kreuzung wiederum erzeugt die
2. Filialgeneration (F2). So kreuzte Mendel Erbsenpflanzen
mit runden Samen mit solchen mit runzligen Samen (Abb.
21-5). Die F1-Generation bestand ausschlieûlich aus Pflanzen mit runden Erbsen (F1). Er kreuzte diese sodann untereinander und erhielt in der F2-Generation zu ’ Pflanzen mit
runden Erbsen und zu  solche mit runzligen Erbsen. Das
Merkmal ¹runzligª war in der F1-Generation also nicht verloren gegangen, sondern war von dem Merkmal ¹rundª ¹dominiertª worden; es handelt sich also um ein dominantes
Merkmal. Die F1-Generation war demnach mischerbig bzw.
heterozygot, da sie zwei verschiedene Allele für dieses Merkmal besaû. Das Merkmal ¹runzligª trat in der F2-Generation
wieder auf. Die Nachkommen mit diesem Merkmal besaûen
in den Folgegenerationen, wenn untereinander gekreuzt, immer nur das Merkmal ¹runzligª. Daraus folgt, dass es sich bei
dem Merkmal ¹runzligª um ein rezessives Merkmal handelt,
das sich nur zeigt, wenn das Individuum reinerbig, d. h. homozygot für zwei rezessive Allele ist. Analoge Experimente
mit anderen Merkmalen der Erbse hatten gleichartige Resultate. Dies bedeutet, dass man bei der Kreuzung von Individuen, von denen eines homozygot für das rezessive Allel
und das andere homozygot für das dominante Allel ist, in
der F1-Generation jeweils nur die dominante Merkmalsausprägung findet. Alle F1-Individuen sind in diesem Fall
heterozygot. Kreuzt man nun diese F1-Generation untereinander (Abb. 21-5), erscheint in der F2-Generation der dominante und der rezessive Phänotyp im Verhältnis 3:1. Betrachtet man allerdings die Genotypen, dann spaltet sich die
F2-Generation im Verhältnis 1: 2:1 auf (homozygot dominant : heterozygot : homozygot rezessiv).
Wenn die dominante Merkmalsausprägung auftritt, lässt
sich vom äuûeren Anschein her nicht entscheiden, ob die
verantwortlichen Allele homozygot oder heterozygot vorliegen. Nur wenn die rezessive Merkmalsausprägung phänotypisch beobachtet wird, lässt dies auf Homozygotie schlieûen.
Deshalb können Pflanzen mit runzligen Erbsen, wenn sie untereinander gekreuzt werden, auch nur wieder Pflanzen mit
runzligen Erbsen hervorbringen.
Box 21-2.
Die Mendelschen Gesetze
1. Mendelsches Gesetz
Eine Kreuzung zwischen zwei in einem Faktor (oder Gen)
reinerbigen Individuen führt zu einer ersten Nachkommengeneration (F1), deren Individuen alle für das betreffende
Gen mischerbig sind, deren Genotyp also gleich ist (Uniformitätsgesetz).
2. Mendelsches Gesetz
Kreuzt man die Mischerbigen der ersten Nachkommengeneration (F1) untereinander, so spalten verschiedene Genotypen heraus; ihr Häufigkeitsverhältnis beträgt 1: 2: 1 (Spaltungsgesetz). Dieses Aufspaltungsverhältnis lässt sich auf die
Bildung von zwei verschiedenen Keimzellen im Verhältnis
1:1 bei den Mischerbigen zurückführen.
3. Mendelsches Gesetz
Kreuzt man Organismen, die sich in mehr als einem Faktor
unterscheiden, so vererbt sich jedes einzelne Faktorenpaar
unabhängig (Unabhängigkeitsgesetz).
R
R
Rr
Rr
r
Unabhängige Segregation. In seinen Experimenten hatte
Mendel zunächst Pflanzenlinien untersucht, die sich in nur
einem Merkmal unterschieden, so genannte Monohybride.
Es ergab sich die Frage, wie sich zwei unterschiedliche Merkmale bei der Segregation verhalten. Er wählte hierfür dihybride Pflanzenlinien, die sich in den Merkmalen Erbsenform
(rund oder runzlig) und Erbsenfarbe (grün oder gelb) unterschieden. Rund und gelb waren dabei die jeweils dominanten
Merkmalsausprägungen. Kreuzte er Pflanzen mit runden
grünen Erbsen und solche mit runzligen gelben, so zeigten
sich in der F1-Generation nur die jeweils dominanten Merkmalsausprägungen: Die Pflanzen trugen runde gelbe Erbsen.
In der F2-Generation kam es dann zu einer 9:3:3:1-Segregation (Abb. 21-6). Wenn Mendel allerdings die einzelnen
Merkmalsausprägungen auszählte, so fand er, dass in seiner
F2-Generation insgesamt gelbe und grüne Erbsen ± ebenso
wie runde und runzlige ± im Verhältnis 3:1 vorhanden waren. Beide Merkmale wurden somit unabhängig voneinander
r
RR
Rr
Rr
rr
R
Rr
Rr
r
r
P x P = F1
F1 x F1 = F2
Abb. 21-5. Phänotypen und Genotypen bei der Kreuzung von
Pflanzen, die sich in einem Merkmal unterscheiden. Die Kreuzung von Erbsenpflanzen, die reinerbig (homozygot) für runde
oder runzlige Samen sind, führt in der 1. Filialgeneration ausschlieûlich zu glatten Samen (dominante Merkmalsausprägung).
Genotypisch sind alle Pflanzen der F1-Generation heterozygot.
Sie bilden zwei Arten von Keimzellen (1. horizontale und 1. vertikale Reihe). In der 2. Filialgeneration erscheinen die Phänotypen rund und runzlig im Verhältnis 3:1. Im Kreuzungsquadrat
symbolisiert R das dominante Allel für runde und r das rezessive
Allel für runzlige Erbsen
Rg
Rg
RrGg
RrGg
rG
RG
Rg
rg
rG
RRGG
RRGg
RrGg
RrGG
RRGg
RRgg
Rrgg
RrGg
RrGg
Rrgg
rrgg
rrGg
RrGG
RrGg
rrGg
rrGG
RG
Rg
RrGg
rG
RrGg
rg
P x P = F1
l l l Betrachtet man zwei unterschiedliche
Merkmale, so werden diese unabhängig
voneinander vererbt
R
rG
F1 x F1 = F2
Abb. 21-6. Phänotypen und Genotypen bei der Kreuzung von
Pflanzen mit verschiedenen Merkmalen. Kreuzt man reinerbige
Erbsenpflanzen mit grünen runden Samen mit solchen, die gelbe
runzlige Samen tragen, so zeigen alle Erbsen der F1-Generation
die beiden dominanten Merkmalsausprägungen: Sie sind gelb
und rund. Der Genotyp ist in der F1-Generation für beide Merkmale heterozygot, so dass sich vier verschiedene Typen von
Keimzellen bilden können (siehe jeweils 1. horizontale und 1.
vertikale Reihe). In der F2-Generation kombinieren sich dominante und rezessive Merkmalsausprägungen im Verhältnis
9:3:3:1, wobei insgesamt 9 verschiedene Genotypen entstehen.
R (rund) und G (gelb) bezeichnen das jeweils dominante Allel, r
(runzlig) und g (grün) jeweils das rezessive Allel
vererbt. Heute wissen wir, dass die von Mendel postulierte
Unabhängigkeit der Vererbung nur dann gilt, wenn die Erbanlagen auf einem Chromosom nicht dicht nebeneinander
liegen.
Auf zellulärer Ebene ist die Erklärung für viele der in diesem Abschnitt beschriebenen Phänomene, z. B. die Aufspaltung von Al21.2 Die Mendelschen Gesetze
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495
lelen bei der Weitergabe an die nächste Generation, die Meiose
(Kap. C-16). Dabei handelt es sich um den Prozess, bei dem in
zwei Zellteilungsschritten aus diploiden Stammzellen haploide
Keimzellen werden. Zunächst verdoppeln sich wie in der Mitose
die Chromatiden, so dass jedes Chromosom aus zwei am Centromer miteinander verbundenen Schwesterchromatiden besteht. In
der 1. Reifeteilung paaren sich die homologen (elterlichen) Chromosomen, und die Chromatiden tauschen beim Crossing-over
Teilstücke untereinander aus. Hierdurch kommt es zu einer
Durchmischung, d. h. Rekombination väterlicher und mütterlicher Chromatidenabschnitte. Je weiter zwei Gene voneinander
getrennt liegen, desto gröûer ist die Wahrscheinlichkeit für ein
Crossing-over zwischen ihnen, und desto häufiger werden ihre
Allele durch Rekombination ausgetauscht. Der Abstand zwischen zwei Genen kann deshalb durch die Rekombinationshäufigkeit gemessen werden, deren Maûeinheit cM (centiMorgan)
ist. Gegen Ende der ersten Reifeteilung werden die homologen
Chromosomen auf zwei Zellen aufgeteilt, so dass jede Zelle 23
Chromosomen besitzt. Die Verteilung der homologen Chromosomen erfolgt rein zufällig, so dass dieser Vorgang zusammen mit
dem Crossing-over für eine Aufteilung und Trennung (Segregation) der jeweiligen mütterlichen und väterlichen Erbanlagen
sorgt. In der zweiten Reifeteilung verteilen sich die beiden
Schwesterchromatiden jedes Chromosoms auf die entstehenden
Keimzellen. Die Meiose wird ausführlich in Kapitel C-16 besprochen.
é
Bei höheren Organismen kommt jedes Gen
in zwei als Allele bezeichneten Kopien vor,
wobei eines dieser Allele mütterlicher und
das andere väterlicher Herkunft ist. Die jeweilige Allelkombination bildet den Genotyp, der wiederum die Merkmalsausprägung, den Phänotyp, bestimmt. Die Wirkung von Allelen auf den Phänotyp kann
dabei rezessiv, intermediär oder dominant
sein. Gene, die nicht eng gekoppelt auf einem Chromosom vorliegen, werden jeweils
unabhängig nach den Mendelschen Regeln
vererbt.
21.3
Monogene Vererbung
beim Menschen
l l l Viele Erkrankungen werden rezessiv oder
dominant vererbt, wobei der Erbgang
autosomal oder gonosomal sein kann
Autosomal-dominante Krankheiten. Es hängt von der Genwirkung ab, ob die Mutation in einem Gen einen dominanten
oder rezessiven Erbgang zur Folge hat. Wenn sich bereits die
Existenz eines Allels auf einem der beiden homologen Chromosomen phänotypisch eindeutig auswirkt, spricht man von
dominanter Vererbung. Beim Menschen kommen Allele, die
zu einer dominant erblichen Krankheit führen, meist nur mit
geringer Häufigkeit in der Bevölkerung vor. Deshalb sind die
Erkrankten in der Regel heterozygot, und die jeweiligen Partner homozygot für das rezessive normale Allel. Für die Kinder aus einer solchen Beziehung ergibt sich eine 1:1-Aufspaltung, so dass das Risiko, das krankheitsverursachende
dominante Allel zu erben, bei 50 % liegt (Abb. 21-7 a, Abb.
21-8). Häufig allerdings hängen der Ausbruch und die
Schwere der Erkrankung von weiteren Faktoren ab, z. B. Umweltbedingungen im weitesten Sinne. Daher liegt die tatsächliche Erkrankungswahrscheinlichkeit oft niedriger als
das theoretische Risiko, das die Mendel-Genetik vorhersagt.
Ein Beispiel für eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung
ist die in Abb. 21-8 dargestellte Syndaktylie Typ I, bei der es an
Händen und Füûen zu häutigen und/oder knöchernen Verbindungen zwischen einzelnen Fingern oder Zehen kommt. Der abgebildete Stammbaum verdeutlicht, wie die Erkrankung aufgrund der Weitergabe des krankheitsverursachenden Allels über
viele Generationen vererbt wird. Ein anderes Beispiel für autosomal-dominante Vererbung sind die AB0-Blutgruppen (Abschn.
A-5.5, Kap. C-1).
Kodominante Vererbung. Wenn für ein bestimmtes Gen mehr
als ein dominantes Allel vorkommt, spricht man von einer
a
b
Abb. 21-7. Vererbungsmuster. (a) Autosomal-dominante Vererbung. Das mutierte dominante Allel, und damit die Krankheit,
wird von dem betroffenen Groûvater, unabhängig vom Geschlecht, durchschnittlich an die Hälfte seiner Kinder vererbt,
die es wiederum an die Hälfte ihrer Kinder weitergeben können.
Zeichenerklärung: Kreise = weiblich; Quadrate = männlich; gefüllte Symbole = betroffene Familienmitglieder. (b) Autosomalrezessive Vererbung. Der gesunde heterozygote Träger gibt das
rezessive Allel an die Hälfte seiner Nachkommen weiter, die heterozygot und deshalb ebenfalls gesund sind. Eine der heterozygoten Töchter hat einen Partner, der ebenfalls heterozygot für
die gleiche Erkrankung ist. Kinder dieses Paars haben ein Erkrankungsrisiko von 25 % unabhängig vom Geschlecht des Kin496
Kapitel A-21 Die Weitergabe der genetischen Information
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c
d
des. Die phänotypisch gesunden Kinder können zwei normale
Allele tragen oder heterozygot für die Mutation sein. (c) X-chromosomal-rezessive Vererbung. Trägerinnen einer rezessiven
Mutation auf dem X-Chromosom sind gesund, 50 % der Söhne
erben das X-Chromosom mit der Mutation und erkranken (Hemizygotie). 50 % der Töchter sind wiederum gesund und heterozygot für die Mutation (Konduktorinnen). (d) X-chromosomaldominante Vererbung mit Letalität im männlichen Geschlecht.
50 % der Töchter erkrankter Frauen erben das mutierte dominante Allel und erkranken. Da bei vielen X-chromosomal-dominanten Erkrankungen hemizygote männliche Embryonen nicht
lebensfähig sind, werden in diesen Fällen 50 % weniger Söhne
geboren als statistisch erwartet
p
BL
a
Abb. 21-8. Syndaktylie Typ I als Beispiel einer autosomal-dominant erblichen Krankheit. Die Syndaktylie Typ I ist eine angeborene seltene Fehlbildung, wobei es aufgrund einer embryonalen Entwicklungsstörung zu einer häutigen und/oder knöchernen Verbindung von Fingern und Zehen kommt. (a) Stammbaum einer Familie mit Syndaktylie Typ I. Zeichenerklärung:
Durchgestrichene Symbole = verstorben; Rauten = Nachkommen unbekannten Geschlechts. Nach Bosse K, Betz RC, Lee YA,
Wienker TF, Reis A, Kleen H, Propping P, Cichon S, Nöthen MM
(2000). Localization of a gene for syndactyly type 1 to chromosome 2q34-q36. Am J Hum Genet 67:492-497. (b) Hand eines
betroffenen Familienmitglieds
21.3 Monogene Vererbung beim Menschen
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497
kodominanten Vererbung. Da keines der Allele die Ausprägung des anderen unterdrückt, lässt sich vom Phänotyp direkt auf den zugrunde liegenden Genotyp schlieûen. Ein Beispiel sind die Blutgruppenmerkmale M und N. Bei den MNBlutgruppen sind die Merkmale M und N kodominant, so
dass die Blutgruppenphänotypen M, N oder MN vorkommen
können. M und N werden dabei durch Homozygotie für die
jeweiligen Allele verursacht, während MN auf Heterozygotie
für beide Allele beruht.
l l l Beim autosomal-rezessiven Erbgang
wird zur Manifestation des Merkmals
die doppelte Gendosis benötigt
Autosomal-rezessive Erkrankungen. Im Gegensatz zu den
Erkrankungen, die durch seltene dominante Allele eines
Gens verursacht werden, können Erkrankungen auch durch
Homozygotie für autosomal-rezessive Allele bedingt sein.
Die häufigste Ursache für das angeborene adrenogenitale Syndrom sind Veränderungen (Mutationen) in beiden Allelen des
CYP21B-Gens (21-Hydroxylase-Gen; Box A-13-3), so dass diese
nur ein unwirksames Genprodukt bilden. Dies führt zu einer Störung der Cortisolsynthese in der Nebenniere und als Folge des
gestörten Nebennierenrinden-Hypophysen-Regelkreises zu einer
gesteigerten Produktion von ACTH (adrenocorticotropes Hormon) (Abschn. C-3.2). Dies wiederum hat u. a. die vermehrte Bildung von Androgenen zur Folge, wodurch es zu einer Vermännlichung (Virilisierung) der sekundären Geschlechtsmerkmale
weiblicher Feten kommt. Eine Therapie der werdenden Mutter
mit Dexamethason in der Schwangerschaft kann der Virilisierung vorbeugen. Die Eltern eines Kindes mit adrenogenitalem
Syndrom sind für das krankheitsverursachende Allel heterozygot, wegen der rezessiven Genwirkung jedoch gesund. Für jedes
Kind eines heterozygoten Elternpaars beträgt das Risiko, zwei
Krankheitsallele zu erben und damit homozygot krank zu sein,
1: 4, d. h. 25 % (Abb. 21-7 b).
Jeder Mensch ist für mehrere Allele heterozygot, die im homozygoten Zustand zu einer schweren Krankheit führen.
Aufgrund der groûen Anzahl von Genen ist allerdings die
Wahrscheinlichkeit gering, dass zwei für Mutationen im gleichen Gen heterozygote Personen zusammentreffen und diese
rezessiven Allele an ihren Nachwuchs weitergeben. Die Häufigkeit vieler rezessiver Gene in der Bevölkerung ± die Allelfrequenz ± liegt in der Gröûenordnung von 1: 20 bis 1:100.
Pseudodominanz. Dominante Erkrankungen lassen sich ± sofern sie nicht die Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Träger beeinflussen ± oft in mehreren aufeinander folgenden Generationen einer Familie beobachten. Das Auftreten autosomal-rezessiver Erkrankungen dagegen beschränkt sich aufgrund
der Seltenheit krankheitsverursachender Allele zumeist auf
eine Generation. In Ausnahmefällen können allerdings homozygot Erkrankte wiederum erkrankte Kinder bekommen.
Diese so genannte Pseudodominanz autosomal-rezessiver
Erkrankungen beobachtet man gelegentlich bei wiederholten
Verwandtenehen innerhalb einer Familie oder in Regionen
mit hoher Frequenz eines Krankheitsallels (z. B. aufgrund eines Heterozygotenvorteils; s. u.). In diesen Fällen ist die
Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein homozygot Erkrankter
auf einen für seine Krankheit heterozygoten Partner trifft.
498
Kapitel A-21 Die Weitergabe der genetischen Information
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Ein anderes Beispiel für ein rezessiv vererbtes Merkmal sind rote
Haare. Die meisten Rothaarigen sind homozygote Träger von
Mutationen im Gen für den Melanocortin-1-Rezeptor, der die
Bildung von Pigmentfarbstoffen in Haaren und Haut steuert. Ist
dieser Rezeptor nicht funktionstüchtig, werden weniger Pigmentfarbstoffe eingelagert. Dies erklärt auch, warum Rothaarige
oft zusätzlich eine helle Hautfarbe haben.
Heterozygotenvorteil. Einige rezessive Krankheits-Gene finden sich in bestimmten Bevölkerungen sehr häufig, obwohl
homozygot Erkrankte früh versterben und sich in der Regel
nicht fortpflanzen. Deshalb nimmt man an, dass die gesunden Überträger einen Heterozygotenvorteil besitzen, der ihre
Häufigkeit erklärt. So erkranken heterozygote Überträger für
die Sichelzellanämie (Abschn. C-8.7), die durch eine Mutation im b-Globin-Gen entsteht, seltener an Malaria tropica
bzw. zeigen einen leichteren Krankheitsverlauf als Personen
ohne diese Mutation. Dies kann die hohe Frequenz des Allels
in verschiedenen tropischen Bevölkerungen, z. B. in weiten
Bereichen Afrikas, erklären.
Genfrequenz. Unterschiedliche Genfrequenzen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen können auch durch Lebensgewohnheiten früherer Generationen bedingt sein. So produzieren alle neugeborenen Säugetiere das Enzym Lactase, das
für die Aufspaltung von Milchzucker im Dünndarm benötigt
wird (Abschn. A-6.1). Nach dem Abstillen nimmt die Aktivität des entsprechenden Gens deutlich ab (auf unter 10 % der
Aktivität des Neugeborenen), und somit steht kaum mehr
Lactase zur Verfügung. Dies hat eine Unverträglichkeit für
Milch und Milchprodukte nach dem Säuglingsalter zur Folge, die so genannte Lactoseintoleranz. Ein bestimmtes, dominant vererbtes Allel des Lactase-Gens trägt allerdings eine
Mutation, die seine Inaktivierung verhindert. In Kulturen mit
einem traditionell hohen Anteil an Milchviehhaltung hat
dieses Allel seinen Trägern in früheren Zeiten vermutlich
Vorteile gebracht, da es zusätzliche Nahrungsquellen erschloss. So findet sich das Lactase-Persistenz-Allel sehr häufig in der mittel- und nordeuropäischen Bevölkerung, aber
auch bei einigen arabischen und afrikanischen Nomadenstämmen. Ostasiaten sowie die amerikanischen Indianer und
Eskimos, die keine Milchviehhaltung betrieben haben, sind
jenseits der Stillperiode überwiegend lactoseintolerant.
l l l Die einem gonosomalen Erbgang
folgenden Gene liegen zumeist
auf dem X-Chromosom,
selten auf dem Y-Chromosom
X-gebundene rezessive Vererbung. Männliche Träger eines
X-chromosomalen mutierten Gens erkranken, da sie nur ein
X-Chromosom besitzen und somit hemizygot sind. Hemizygotie bedeutet, dass nur eine Kopie eines Gens vorhanden
ist, im Gegensatz zu Heterozygotie oder Homozygotie, bei
denen das Individuum zwei verschiedene oder zwei gleiche
Allele eines Gens besitzt. Weibliche Träger eines solchen Xchromosomalen Allels besitzen in der Regel ein normales Allel des gleichen Gens auf ihrem zweiten X-Chromosom und
sind gesund (Heterozygotie). Allerdings können sie die Erkrankung an rechnerisch die Hälfte ihrer Söhne weitergeben,
während die Hälfte ihrer Töchter wiederum gesunde Überträgerinnen (Konduktorinnen) sind (Abb. 21-7 c). Wenn der
männliche Träger einer X-chromosomal-rezessiven Erkrankung das fortpflanzungsfähige Alter erreicht, dann werden
alle seine Töchter gesunde Überträgerinnen sein, während
alle Söhne gesund sind, da sie vom Vater nur das Y-Chromosom erben.
Ein Beispiel für eine X-chromosomale Erkrankung ist die Duchenne-Muskeldystrophie, bei der die erkrankten Jungen aufgrund einer progressiven Muskelschwäche meist vor dem 20. Lebensjahr sterben. Mädchen erkranken nur dann, wenn bei der
zufälligen Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen in
der frühen Embryonalperiode im überwiegenden Teil der Zellen,
die dann auch die Muskeln bilden, das X-Chromosom mit dem
mutierten Allel aktiv bleibt. In diesem Fall spricht man von einer
ungleichmäûigen X-Inaktivierung.
X-gebundene dominante Vererbung. Die X-chromosomaldominante Vererbung ist viel seltener als die X-chromosomal-rezessive. Im Gegensatz zu dieser sind bei der X-chromosomal-dominanten Vererbung sowohl Frauen als auch
Männer betroffen. Der X-chromosomale Erbgang (Abb. 217 d) ist daran erkennbar, dass es keine Vererbung vom Vater
auf den Sohn gibt (Söhne erben das väterliche Y-Chromosom
und ein mütterliches X-Chromosom). Dagegen erkranken
alle Töchter eines betroffenen Mannes und 50 % der Söhne
und Töchter einer betroffenen Frau. Bei einigen X-chromosomal-dominanten Erkrankungen kommen nur betroffene
Frauen vor. Das krankheitsverursachende Allel kann im
männlichen Geschlecht (meist schon vorgeburtlich) letal wirken. Solche Allele nennt man männlich letale Allele.
So sind von der Incontinentia pigmenti, einer seltenen Erkrankung mit Auffälligkeiten an Haut und Zähnen, die oft mit Epilepsie und geistiger Behinderung einhergeht, zumeist nur Mädchen betroffen. Für die Incontinentia pigmenti sind Mutationen
im so genannten NEMO-Gen (NF-kB essential modulator) verantwortlich, das in der Chromosomenregion Xq28 liegt. Der
Ausfall dieses Gens führt zu einem frühen Zelltod (Apoptose;
Abschn. A-20.3). Bei Mädchen sterben die Zellen, in denen das
X-Chromosom mit dem mutierten NEMO-Gen aktiv ist, um den
Zeitpunkt der Geburt ab. Dies erklärt unter anderem die kurz
nach der Geburt auftretenden erythematösen Hautveränderungen. Da betroffene männliche Feten nur X-Chromosomen mit
dem mutierten NEMO-Gen besitzen, sind in der Regel nicht lebensfähig. Nur selten werden von der Incontinentia pigmenti betroffene Jungen lebend geboren. Eine mögliche Ursache hierfür
ist das Vorliegen eines Klinefelter-Syndroms (XXY-Syndrom).
Das zusätzliche X-Chromosom erklärt, warum die Mutation im
NEMO-Gen bei den betreffenden Jungen nicht letal ist.
Y-chromosomale Vererbung. Bisher sind nur sehr wenige
Gene auf dem Y-Chromosom beschrieben worden. Es sind
auch kaum Y-chromosomale Krankheiten bekannt. Grundsätzlich würde ein betroffener Vater das betreffende Allel an
alle seine Söhne vererben, aber niemals an seine Töchter.
Mutationen des Y-Chromosoms können die männliche Fertilität betreffen. So kennt man auf dem Y-Chromosom die geschlechtsbestimmende SRY-Region, sowie die AZF-Region,
deren Mutation für eine Azoospermie (fehlende Spermienproduktion) verantwortlich sein kann (Abschn. A-21.1).
Multifaktorielle Vererbung. Viele Merkmale und Krankheiten
entstehen nicht durch die Veränderung eines einzigen Gens,
sondern werden durch die Beteiligung vieler verschiedener
Gene und in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren verursacht. Deshalb handelt es sich dabei häufig um in der Bevölkerung quantitativ verteilte Merkmale (im Gegensatz zur einer qualitativen Verteilung, d. h. Merkmal vorhanden oder
nicht vorhanden). Ein Beispiel hierfür ist die Körpergröûe,
die sich nur bedingt aus der Gröûe der jeweiligen Eltern vorhersagen lässt. Die stetige Zunahme der durchschnittlichen
Körpergröûe im letzten Jahrhundert zeigt, dass diese auch
durch Ernährung und sonstige Lebensbedingungen beeinflusst wird.
é
Monogene Erkrankungen können autosomal oder gonosomal vererbt werden, wobei
es jeweils dominante oder rezessive Erbgänge gibt. Diese unterscheiden sich durch ihr
Wiederholungsrisiko, also durch die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung bei Verwandten ersten Grades auftritt. Bei autosomal-dominanten Erkrankungen liegt das
Wiederholungsrisiko für Kinder in der Regel
bei 50 %, bei autosomal-rezessiven Erbgängen haben die Geschwister eines betroffenen Kindes ein Erkrankungsrisiko von 25 %.
Bei X-chromosomal-rezessiven Erbgängen
können Frauen gesunde Überträgerinnen
sein; deren Söhne haben ein Erkrankungsrisiko von 50 %, während 50 % der Töchter
wiederum gesunde Überträgerinnen sind.
Bei X-chromosomal-dominanten Erkrankungen sind Männer schwerer als Frauen betroffen; gelegentlich ist das dominante Allel
im männlichen Geschlecht letal.
21.3 Monogene Vererbung beim Menschen
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499
USB
dA
500
LIC
Kc
In diesem Kapitel wurden vor allem Erbgänge dargestellt, bei denen die Veränderung eines einzelnen
Gens eine erkennbare ¾nderung des Phänotyps bewirkt. Hat diese Mutation Krankheitswert, so
spricht man von einer monogen erblichen Krankheit. Heute kennt man etwa 8000 monogene Erkrankungen, und es werden laufend neue beschrieben. Insgesamt weist jedoch nur ein kleiner Teil aller
Erkrankungen einen einfachen Erbgang auf. Die meisten in der Bevölkerung häufigen Erkrankungen
werden nur zum Teil durch Erbanlagen verursacht. Wahrscheinlich müssen verschiedene, die Erkrankungsbereitschaft fördernde Gene und exogene Faktoren zusammentreffen. In den wenigsten
Fällen sind diese heute im Einzelnen bereits bekannt. Zu solchen Erkrankungen gehören zum Beispiel
der Diabetes mellitus Typ II und eine bestimmte Form der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung
(Morbus Crohn).
Kapitel A-21 Die Weitergabe der genetischen Information
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