POLITIK | SA ARL AND Mit Allah und dem Grundgesetz In diesem Schuljahr wird erstmals an vier saarländischen Schulen Islam unterrichtet. Das Bildungsministerium spricht von Unterricht auf Probe, die islamischen Gemeinden und christlichen Kirchenverbände begrüßen dies. Doch es gibt auch Kritik. ohammed zieht sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Der fröhliche aufgeweckte Junge sitzt an einem Tisch neben Deyani und Ahmed, ihnen gegenüber Khaled. Hinter sein linkes Ohr hat er sich aus Spaß ein Efeublatt gesteckt. Stimmengewirr der Schüler erfüllt den Schulraum in der Ganztagsgrundschule Kirchberg in Saarbrücken. Plötzlich übertönt ein heller Klang das Wirrwarr der Stimmen. Der Gongschlag der Lehrerin Yesim Tasci signalisiert den Kindern: Nun soll langsam Ruhe einkehren, gleich beginnt der islamische Religionsunterricht. Tasci unterrichtet seit September 2015 islamischen Religionsunterricht an der Ganztagsgrundschule Kirchberg und an der Grundschule Füllengarten in Saarbrücken. Ihr Lehrerkollege Akin Aslan erteilt den Islamunterricht an den zwei Völklinger Grundschulen Bergstraße und Haydnstraße. Das Modellprojekt der schwarz-roten Landesregierung ist auf vier Jahre angelegt. Erklärtes Ziel des islamischen Religionsunterrichts unter staatlicher Aufsicht ist es laut saarländischem Bildungsministerium, die Schüler „zu bewusstem Denken und verantwortlichem Handeln als religiöse Individuen sowie als Mitglieder der Gesellschaft zu befähigen“. Über dieses Ziel hinaus möchte der Islamunterricht „einen Beitrag zur Teilhabe muslimischer Schülerinnen und Schüler in Schule und Gesellschaft“ leisten, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilte. Tasci ist der Meinung, dass alle muslimischen Kinder einen Anspruch auf 40 FORUM | 27. Mai 2016 religiöse Bildung haben. „Für die Dialogfähigkeit ist ein solcher Religionsunterricht enorm wichtig. Schon die ganz Kleinen unterhalten sich zum Beispiel über ihre Essgewohnheiten, was ja auch eine religiöse Komponente hat“, erklärt die Lehrerin, die darüber hinaus an einer berufsbildenden Schule in Idar-Oberstein Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Mathematik unterrichtet. Als die Muslima in den 80er-Jahren die Grundschule besuchte, hatte sie selbst keine Gelegenheit, an einem Religionsunterricht für Kinder aus muslimischen Migrantenfamilien teilzunehmen. Das Modellprojekt ist auf vier Jahre angelegt Zusammengezählt erhalten derzeit knapp 60 Erst- und Zweitklässler den bekenntnisorientierten schulischen Religionsunterricht in deutscher Sprache. An den vier ausgewählten Grundschulen werde ein „hoher Anteil muslimischer Kinder“ unterrichtet, hieß es aus dem Ministerium. Konkret heißt das: Die Schüler sollen dadurch idealerweise eine eigene religiöse Identität und eine persönliche Beziehung zum Glauben entwickeln. Da allerdings die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Islamunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach „derzeit noch nicht vorliegen“, wurde zunächst „zur Erprobung ein Modellprojekt“ gestartet, erklärte das Mi- nisterium. Grundsätzlich sei es jedoch so, dass Religion nach Grundgesetz, Landesverfassung und den Vorschriften des Schulgesetzes „ordentliches Unterrichtsfach“ ist. Im Schuljahr 2014/15 gab es dem Statistischem Landesamt zufolge insgesamt 9.118 junge Menschen muslimischen Glaubens an saarländischen Schulen, davon 6.757 Schüler an allgemeinbildenden und 2.361 an beruflichen Schulen. Die Aktion 3. Welt Saar hält es grundsätzlich für sinnvoll, islamischen Religionsunterricht als ein ergänzendes Fach an saarländischen Schulen einzuführen. Klaus Blees, Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Islamismus der linkspolitischen Organisation, kritisiert dessen ungeachtet das „unausgereifte Konzept“: „Als seinerzeit ein Konzept ausgearbeitet worden ist, hat es die saarländische Landesregierung versäumt, mit Vertretern eines liberalen Islams ins Gespräch zu kommen“. Die Islamische Gemeinde Saarland reagiert auf die Kritik der Aktion 3. Welt Saar mit Gelassenheit: „Im Saarland sind alle bestehenden Moscheegemeinden mit dem deutschen Grundgesetz konform“, erklärt deren Sprecher Manfred Petry. Muslime, die hierzulande leben, müssten ebenso die Gesetze achten wie die Vertreter der Islamverbände. Im September hat die Aktion 3. Welt Saar ein Papier mit Kriterien für einen Dialog mit Islamverbänden und für den Islamunterricht vorgelegt. Neben Minimalstandards für einen Dialog mit Islamverbänden enthält dieses auch FOTO: JENNIFER WEYL AND Von Benjamin Rannenberg SA ARL AND | POLITIK 60 Kinder erhalten derzeit im Saarland islamischen Religionsunterricht. 27. Mai 2016 | FORUM 41 Mindestkriterien für den islamischen Religionsunterricht. „An den Schulen soll ein Islambild vermittelt werden, das mit Grundgesetz, Demokratie und Menschenrechten vereinbar ist“, nennt Blees ein wichtiges Kriterium. Auf lange Sicht sollten islamische Religionslehrer an staatlichen Hochschulen ausgebildet und staatlich geprüft werden. „Für islamische Religionspädagogen sollte selbstverständlich sein, dass sie sich mit den historischen Quellen des Koran kritisch auseinandersetzen“, sagt der Islamkenner. Als ein Problem sieht Blees auch, dass bisher den „ultrakonservativen Islamverbänden“ wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und Milli Görus ein Auswahlrecht für Lehrkräfte zusteht. Stattdessen sollte eine breite Vertretung von nichtorthodoxen Muslimen mitentscheiden, wer islamischen Religionsunterricht lehren darf. Der Ditib-Landesverband Saar war bis Redaktionsschluss – trotz mehrmaliger Nachfragen – nicht bereit, zur Kritik Stellung zu nehmen. Das Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Saar hält das bisherige Konzept des Islamunterrichts im Saarland für unstrittig. Ob es Nachbesserungsbedarf gebe, werde sich erst in den nächsten Jahren zeigen, sagt Petry. Glaubensbekenntnis und Gebete müssen die Schüler Petry zufolge in arabischer Sprache sprechen. Die Auswahl der zukünftigen Lehrer, die islamischen Religionsunterricht lehren, muss laut Petry den Universitäten mit entsprechendem Studiengang obliegen. Die Unis sollten daher prüfen, ob die islamischen Religionslehrer über „pädagogischen Fähigkeiten und Wissenskompetenz verfügen sowie muslimischen Glaubens sind“, erläutert Petry. Ein Rat mit Vertretern aller islamischen Verbände müsse etwa bei der Erarbeitung der Lehrpläne miteinbezogen werden. Als „Korrektiv im Hintergrund“ würde dieser Rat dann überprüfen, ob die Inhalte des Lehrplans mit der „allgemeinen Lehrmeinung“ vereinbar seien. Zurück zum Unterricht: Die Schüler sollen sich in Gedanken vorstellen, wie sie in die Wüste reisen. „Alle sollten sich jetzt erst mal locker und bequem hinsetzen“, fordert die 32-Jährige die Schüler freundlich, aber bestimmt auf. Was auch prompt die Schüler tun: Sie legen ihre Arme vor sich auf den Tisch und lassen darauf ihren Kopf sinken. Erst dann liest Tasci den begleitenden 42 FORUM | 27. Mai 2016 Text zur Fantasiereise vor. Die Ent- vor dem Koran, die muslimische Gebetsspannungsmethode soll sie auch auf die stätte, Feste und Rituale des Islam, ein Geschichte vom Propheten Mohammed verantwortlicher Umgang mit der Schöpund dem weinenden Kamel einstimmen. fung sowie ein friedliches und respektIn den Stunden zuvor haben die Kinder volles Miteinander behandelt werden. mit der Religionslehrerin ein kleines Die saarländische Landesregierung hat Buch über den Propheten Mohammed, den erprobten Lehrplan aus Nordrheinzu seinem Leben und seinen Taten er- Westfalen „bis auf wenige Abweichunstellt. Mohammed, gen übernommen“, der den überlieferwie es aus dem Kritische ten Schriften nach Kultusministerium als ein hilfsberei- Auseinandersetzung heißt. An den vier ter und friedlicher Modellschulen setmit dem Koran Mensch dargestellt zen die Lehrkräfte wird, soll dabei den auf einen offenen, Kindern ein Vorbild sein. handlungsorientierten Unterricht mit Der Prophet Mohammed ist einer der verschiedenen Methoden, die auch die thematischen Schwerpunkte im Lehr- Sinne der Schüler ansprechen sollen. So plan zum Islamunterricht. Als weitere sollen diese zum Beispiel AnschauungsThemenschwerpunkte sollen unter ande- objekte sinnlich erfahren, sei es ein Gerem der Glaube an den einen Gott, die betsteppich oder eine Koran-Ausgabe. islamische Glaubensgemeinschaft (die Am Ende der zweiten und vierten Klasse Umma), Vorbilder für die Menschen, der sollen die Schüler bestimmte KompetenKoran als Buch, die heiligen Schriften zen erwerben, zum Beispiel sollten sie FOTOS: JENNIFER WEYL AND (4) POLITIK | SA ARL AND SA ARL AND | POLITIK Religionslehrerin Yesim Tasci und ihre Klasse an der Grundschule Kirchberg. fähig sein, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in einen interreligiösen Dialog einzubringen, Menschen anderer Religionen tolerant und respektvoll zu begegnen und über das Rollenbild der Frau und des Mannes im Islam zu reflektieren. Der Schulreferent der evangelischen Kirchenkreise Saar-Ost und Saar-West, Martin Vahrenhorst, bewertet den Lehrplan des islamischen Religionsunterrichts als „auf der Höhe der Zeit“. Positiv hebt der evangelische Pfarrer Vahrenhorst folgende Lehrinhalte hervor: die Verwandtschaft zwischen den drei Weltreligionen Islam, Judentum und Christentum, die Toleranz aus islamischer Perspektive sowie die Themen Menschenrechte und Menschenwürde. Im Sinne eines „kooperativen Lernens voneinander“ spricht sich der Kirchenmann für eine Zusammenarbeit ebenso zwischen evangelischen und muslimischen Religionslehrern wie auch zwischen den Religionsklassen aus. Der Modellversuch müsse nach vier Jahren ausgewertet werden, und dann müsse „ein flächendeckender islamischer Religionsunterricht im Saarland kommen“, unterstreicht Vahrenhorst. Eine Sprecherin der Bischöflichen Pressestelle in Trier sagt auf Anfrage, dass die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den hiesigen Schulen Kirchen hoffen auf landesweiten Islamunterricht sinnvoll sei. Dieser solle jedoch an den rechtlichen Vorgaben orientiert sein, wie es sie auch für den Unterricht der übrigen Religionen gibt. Zu dem ausgearbeiteten Konzept des Modellversuchs könne man, hieß es weiter, nicht Stellung beziehen, da man nicht im Detail informiert sei. „Wir hoffen für die Zukunft auf einen landesweit erteilten verfassungsgemäßen islamischen Religionsunterricht“, betont die Bistumssprecherin. Als die kurzweilige Reise in die Wüste zu Ende ist, verteilt Tasci die Arbeitsblätter zur Geschichte vom weinenden Kamel. Nahe einem Palmengarten steht es in der Wüste, festgebunden an einen Torpfosten in der prallen Sonne, und leidet Hunger und Durst. Der Prophet Mohammed, der das Leid des Kamels sieht, stellt den verantwortlichen Kameltreiber zur Rede und fordert ihn auf, das Tier zu versorgen. Die Botschaft: Allah liebt alle Tiere, und der Mensch hat die Pflicht, sich um sie zu kümmern. Eigentlich sollen sich die Kinder darüber unterhalten, was sie auf dem Papier sehen und die Bilder in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, doch dazu kommt es in der Stunde nicht mehr. Stattdessen vertiefen sie sich bis zum Ende der Stunde ins Ausmalen der Zeichnungen. Tasci verabschiedet sich von den Schülern bis zur nächsten Religionsstunde. t 27. Mai 2016 | FORUM 43