Skript Analysis I Dr. Jörn Steuding Mitschrift

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Skript Analysis I
Dr. Jörn Steuding
Mitschrift
David Dederscheck∗
[email protected]
http://www.davidded.de
Version 0.3
25. April 2004
∗
J. W.-Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Inhaltsverzeichnis
3
Inhaltsverzeichnis
1 Vollständige Induktion
1.1 Die Menge der natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Kombinatorische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
7
10
2 Angeordnete Körper
2.1 Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Betrag und Dreiecksungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
18
19
3 Folgen und Grenzwerte
3.1 Konvergenz und Grenzwertbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Rechnen mit Folgengrenzwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
23
25
4 Unendliche Reihen
29
5 Cauchyfolgen und Vollständigkeit
5.1 Das Vollständigkeitsaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
33
6 Punktmengen
6.1 Teilfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Schranken und Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
37
38
7 Konvergenzkriterien für Reihen
7.1 Absolute Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
43
8 Funktionen und Stetigkeit
8.1 Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.3 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
47
48
51
9 Die
9.1
9.2
9.3
Exponentialfunktion
Das Wachstum von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Exponentialfunktion zur Basis a . . . . . . . . . . . . . . .
57
62
64
67
10 Die
10.1
10.2
10.3
10.4
komplexen Zahlen
Konjugiert komplexe Zahlen . . . .
Betrag . . . . . . . . . . . . . . . .
Polynome über C . . . . . . . . . .
Konvergenz von Folgen und Reihen
68
69
70
71
71
. . .
. . .
. . .
in C
.
.
.
.
.
.
.
.
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.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
4
Inhaltsverzeichnis
10.5 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
11 Trigonometrische Funktionen
11.1 Sinus und Cosinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2 Der Tangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.3 Die Polarform der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . .
74
74
79
82
12 Differentiation
12.1 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
88
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
93
14 Das Newtonsche Näherungsverfahren
98
15 Integration
101
15.1 Das Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
16 Uneigentliche Integrale
105
17 Taylorreihen
108
Inhaltsverzeichnis
5
Wozu Analysis
80
Unser Universum ist endlich
√ (ca. 10 Atome). Andererseits gibt es irrationale Naturkonstanten wie 2, e bzw. π. Im Verlauf der Vorlesung werden wir
beweisen, daß diese Zahlen irrational sind.
Was ist π?
• für den Geographen: Mittelwert
• für den Schüler:
tatsächliche Länge
.
Luftlinienlänge Quelle–Mündung
Umfang
eines Kreises.
Durchmesser
• moderne Definition: π ist die kleinste positive Nullstelle des Sinus.
π ist alt
Papyros Rh. (1650 v. Chr.): π ≈ 4
8 2
9
= 3, 160.
Altes Testament (1000 v. Chr.): π ≈ 3.
Tsu Chung Chi (500 n. Chr.): π ≈
355
113
= 3, 141592 9 . . ..
| {z }
korrekt
USA / Indiana (1897): π per Gesetz auf 3, 2.
Warum sind rationale Approximationen wichtig?
Angenommen, Sie wollen einen Kreis vom Radius r auf ihrem Computerbildschirm darstellen. Ein Pixel sei ein Quadrat der Seitenlänge 1. Die benötigte
Anzahl der Pixel ist dann π · r2 + kleiner Fehler.
6
Inhaltsverzeichnis
Wir machen ein Zufallsexperiment: Jeder denke sich zufällig zwei Zahlen 0 ≤
x, y < 10 aus. Dann
Anzahl der (x, y) mit x2 + y 2 ≤ 100
230
≈
Anzahl aller (x, y)
240
Also: π ≈
23
6
(schlecht).
Solche Experimente heißen Monte-Carlo-Verfahren; sie sind erfolgreich bei Integralen ohne elementare Stammfunktionen, wie etwa
Z
2
e−x dx (wichtig für Gauss-Normalverteilung).
Archimedes (250 v. Chr.) approximierte π über den Umfang eines einen Kreis
einbeschriebenen regelmäßigen n-Ecks:
1 Vollständige Induktion
7
Das regelmäßige Sechseck zerfällt in sechs gleichgroße gleichseitige Dreiecke,
also
6
π ≈ = 3.
2
Je mehr Ecken das Vieleck hat, mit dem wir approximieren, desto besser stimmt
die Genauigkeit von π.
Wir haben nun mehr Fragen, als zu Beginn – allerdings haben wir gesehen, daß
Zahlen wie π nur mit Hilfe der Analysis ( unendliche Prozesse“) verstanden
”
werden können.
Die mathematische Analysis ist gewissermaßen eine einzige Sym”
phonie des Unendlichen.“
—David Hilbert
1 Vollständige Induktion
1.1 Die Menge der natürlichen Zahlen
N = {0, 1, 2, 3, . . .}
Vorsicht!
Bei vielen Autoren ist 0 6∈ N.
N ist charakterisisert durch die Peano-Axiome (Peano 1858–1932):
• 0 ∈ N.
8
1 Vollständige Induktion
• jede Zahl n ∈ N besitzt einen eindeutigen Nachfolger f (n) (später kommen wir dann zu f (n) = n + 1).
• es gibt keine Zahl n ∈ N mit Nachfolger 0.
• (Induktionsaxiom) Gilt für M ⊂ N : 0 ∈ M , mit m ∈ M , ist auch
f (m) ∈ M , so ist M = N.
Das Induktionsaxiom hat wichtige Konsequenzen: Einerseits folgt, daß jede
Teilmenge von N ein kleinstes Element besitzt, andererseits ergibt sich daraus
das Beweisprinzip der Vollständigen Induktion – es folgt aus dem Induktionsaxiom, angewandt auf
M = {n ∈ N|A(n) ist wahr}.
Definition: Für jedes n ∈ N sei A(n) eine Aussage. Gilt
• A(0) ist wahr (Induktionsanfang)
• für ein beliebiges n ∈ N gilt: Falls A(n) wahr ist (Induktionsanname), so
ist auch A(n + 1) wahr (Induktionsschritt),
dann ist A(n) für alle n ∈ N wahr.
(Def. 1.1)
Wir definieren noch für m, n ∈ N mit m ≤ n
n
X
ak := am + · · · + an
(Summe)
k=m
oder (rekursive bzw. induktive Definition)
n
X
k=m
und weiter
n
Y
k=m
ak :=
n−1
X
ak + an
k=m
ak := am · · · · · an
(Produkt)
1.1 Die Menge der natürlichen Zahlen
9
sowie die leere Summe bzw. das leere Produkt durch
m−1
X
ak := 0
bzw.
m−1
Y
ak := 1
k=m
k=m
Was ist die Summe der ersten 101 natürlichen Zahlen? Gauß als Viertklässler
löste das Problem folgendermaßen:
0 + 1 + 2 + · · · + 99 + 100 = 50 · 101 = 5050
(anhand von 101 = 1 + 100, 101 = 2 + 99, . . . ).
Satz 1.1:
Für alle n ∈ N gilt
n
X
n(n + 1)
2
(1)
(2k − 1) = n2
(2)
k=
k=1
und
n
X
k=1
Beweis:
per vollständiger Induktion.
(1) erste Teilaussage.
P0
Induktionanfang (n = 0): Es ist einerseits k=1 k = 0 (leere Summe)
und andererseits 0·(0+1)
= 0, also gilt die Formel für n = 0.
2
Induktionsschritt (n 7→ n + 1): Wir nehmen an, daß die Formel für
n gilt (Induktionsvoraussetzung). Dann folgt
= n(n + 1)
nach Ind.vss.
n+1
X
k=1
k=
z }| {
n
X
k
k=1
+ (n + 1) =
(n + 1)(n + 2)
n(n + 1)
+ (n + 1) =
.
2
2
und damit die Gültigkeit der Formel für n + 1. Per Induktion folgt, daß
damit die Formel für alle n ∈ N richtig ist.
(2) zweite Teilaussage.
10
1 Vollständige Induktion
Induktionanfang:
wie oben.
Induktionsschritt (n 7→ n + 1):
Es ist
= n2
nach Ind.vss.
n+1
X
(2k − 1)
z
}|
{
n
X
(2k − 1)
=
k=1
k=1
2
= n + 2n + 1
2(n + 1) − 1
+
=
(n + 1)2 ,
(3)
also gilt die Formel für n + 1, sofern sie für n gilt. Damit folgt die Formel
für beliebiges n ∈ N per Induktion.
2
Der Induktionsschritt bliebe auch richtig für
n
X
(2k − 1) = n2 + c,
(4)
k=1
lediglich der Induktionsanfang zeigt c = 0.
Ein geometrisches Argument ergibt sich aus:
7
5
3
1
Dies bedarf mehr Erklärung!
1.2 Kombinatorische Grundbegriffe
Definition: Für n ∈ N definieren wir n-Fakultät durch
n! =
n
Y
k,
(5)
k=1
insbesondere 0! = 1 (leeres Produkt).
(Def. 1.2)
1.2 Kombinatorische Grundbegriffe
11
Satz 1.2: Die Anzahl aller möglichen Anordnungen einer n-elementigen Menge ist gleich n!.
Beweis:
Beweis per Induktion nach n.
Induktionsanfang (n = 0):
trivial.
Induktionsschritt (n 7→ n + 1): Die möglichen Anordnungen der n + 1elementigen Menge {a1 , . . . , an+1 } zerfallen in n + 1 diskrete disjunkte Klassen
Ck , wobei 1 ≤ k ≤ n + 1, wie folgt:
Die Anordnungen der Klasse Ck haben ak an erster Stelle, die anderen Positionen werden beliebig mit den übrigen aj besetzt. Nach Induktionsvoraussetzung
besteht jede Klasse Ck aus n! Anordnungen. Damit ist die Anzahl aller möglichen Anordnungen der Menge {a1 , . . . , an + 1} gleich (n + 1) · n! = (n + 1)!.
2
Beispiel 1.1: Aus der linearen Algebra:
1
1
{1, 2, 3}
|
2 3
3 2
{z
}
C1
2
2
1 3
3 1
{z
}
|
C2
3
3
|
1 2
2 1
{z
}
C3
die Klassen Ck mit ak jeweils an erster Stelle.
Definition: Wir definieren die Menge der ganzen Zahlen
Z = {0, ±1, ±2, . . .}
(6)
und die Menge der rationalen Zahlen
o
na
Q=
: a, b ∈ Z ∧ b 6= 0 .
b
(7)
(Def. 1.3)
Unser Zahlenuniversum bislang:
N
⊂
|{z}
x+2=0
Z
⊂
|{z}
3x+2=0
Q
12
1 Vollständige Induktion
Definition: Wir definieren für n ∈ N mit k ∈ Z
n!
n
k!(n−k)! , falls 0 ≤ k ≤ n
=
k
0
sonst
n
k
heißt Binomialkoeffizient
Lemma 1.1:
Beweis:
(8)
(Def. 1.4)
Für alle n ∈ N mit n ≥ 1 und alle k ∈ Z gilt
n
n−1
n−1
.
=
+
k
k−1
k
(9)
Für k ≥ n oder k ≤ 0 ist die Formel trivialerweise richtig.
Sei also 0 < k < n, dann ist
n−1
k−1
+
=
k−1
k
=
(n − 1)
(n − 1)!
+
(k − 1)!(n − k)! k!(n − k − 1)!
k(n − 1)! + (n − k)(n − 1)!
=
k!(n − k)!
n
.
k
2
Satz 1.3: DieAnzahl der k-elementigen
Teilmengen einer n-elementigen Men
ge ist gleich nk . Insbesondere ist nk ∈ N.
Beweis:
Beweis per Induktion:
Induktionsanfang:
• n = 0: trivial.
• n = 1: Die einelementige Menge {a1 } besitzt mit der leeren Menge ∅ genau
eine nullelementige, und mit
{a1 } genau eine einelementige Teilmenge, in
Übereinstimmung mit 10 = 11 = 1.
1.2 Kombinatorische Grundbegriffe
13
Induktionsvoraussetzung: Angenommen, die Formel sei für n-elementige
Teilmengen Mn := {a1 , . . . , an } von Mn+1 = {a1 , . . . , an+1 } bereits bewiesen.
Die Fälle k = 0 und k = n + 1 sind trivial.
O. B. d. A. sei also 1 ≤ k ≤ n. Jede k-elementige Teilmenge von Mn+1 gehört
zu genau einer der folgenden Klassen:
• J: Menge der k-elementigen Teilmengen, die an+1 enthalten.
• N : Menge der k-elementigen Teilmengen, die an+1 nicht enthalten.
Die Anzahl der Elemente von N ist gleich der Anzahl der k-lementigen
Teil
mengen von Mn , ist also nach Induktionsvoraussetzung gleich nk .
Die Teilmengen der Klasse J enthalten alle an+1 , während die übrigen k −1
n
Elemente in Mn liegen. Damit besitzt J nach Induktionsvoraussetzung k+1
.
Mit obigem Lemma gibt es also
n
n
n+1
+
=
k
k−1
k
(10)
2
k-elementigen Teilmengen von Mn+1 .
Beispiel 1.2: Die Chancen, bei ‘6 aus 49’ einen Volltreffer zu haben sind
1
=
49
6
1
13983816
(Laplace-Experiment).
Satz 1.4:
(Binomischer Lehrsatz ) Für reelle Zahlen x, y und n ∈ N gilt
n X
n n−k k
(x + y)n =
x
y .
(11)
k
k=0
Für die Binomialkoeffizienten gibt es das Pascalsche1 Dreieck.
1
1 1
1 2 1
1 3 3 1
1 4 6 4 1
1 Pascal
(1623-1662)
← (x + y)2 = 1x2 + 2xy + 1y 2
14
1 Vollständige Induktion
Wichtig!
Den Binomischen Lehrsatz sollte man auswendig können!
Beweis:
Beweis per Induktion.
Induktionsvorausetzung (n = 0): Nach Definition des leeren Produktes
ist (x + y)0 = 1, in Übereinstimmung mit
0 X
0
k=0
k
x
Induktionsschritt (n 7→ n + 1):
n+1
(x + y)
0 0 0
y =
x y = 1.
0
0·k k
(12)
Es ist
= (x + y)n · x + (x + y)n · y.
(13)
Nun gilt nach Induktionsvorausetzung2
(x + y)n · x
=
Trick 1
=
n X
n
k=0
n X
k=0
k
n
k
xn+k y k
n n+1−k k
x
y
k
(14)
und ferner3
n
(x + y) y
=
Trick 2
=
=
n X
n
k
k=0
n+1
X
xn−k y k+1
n
xn−(k−1) y k
k−1
k=1
n+1
X n xn+1−k y k .
k−1
(15)
(16)
k=0
2
n 1: n+1
= 0.
3 Trick 2: Indexverschiebung k 7→ k + 1.
2 Trick
2 Angeordnete Körper
15
Folgerungen:
n X
n
k
k=0
= 2n ,
(17)
nach Satz 1.3 ist dies gleich der Anzahl aller Teilmengen einer n-elementigen
Teilmenge.
Satz 1.5:
Für x + 1 und n ∈ N gilt
n
X
xk =
k=0
Pn
k=0
1 − xn+1
.
1−x
(18)
xk heißt geometrische Reihe.
Beweis:
Beweis per Induktion:
Induktionsanfang (n = 0):
Es ist
Induktionsschritt (n 7→ n + 1):
n+1
X
xk
P0
k=0
xk = x0 = 1 =
1−x0+1
1−x .
Es ist
=
k=0
X
nxk + xn+1
k=0
n+1
nach Ind.vss. →
=
=
1 − xn+1+(1−x)x
1−x
1 − xn+2
.
1−x
(19)
2
2 Angeordnete Körper
Man kann die reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen heraus konstruieren.
Wir wollen die Menge der reellen Zahlen R4 als gegeben voraussetzen, geben
4 Literatur:
Heuser
16
2 Angeordnete Körper
aber eine axiomatische Begründung. Auf R sind zwei Verknüpfungen
+ : R × R → R, (x, y) 7→ x + y (Add.)
· : R × R → R, (x, y) 7→ x · y (Mult.)
(20)
(21)
definiert, die den folgenden Axiomen
• (A1) Assoziativgesetz:
Für alle x, y, z gilt: x + (y + z) = (x + y) + z.
• (A2) Kommutativgesetz:
Für alle x, y gilt: x + y = y + x.
• (A3) Existenz der 0:
Es gibt eine Zahl 0, so dass für alle x: x + 0 = x.
• (A4) Existenz des Inversen:
Zu jedem x existiert ein −x, so dass x + (−x) = 0.
• (M1) Assoziativgesetz:
Für alle x, y, z gilt: x · (y · z) = (x · y) · z.
• (M2) Kommutativgesetz:
Für alle x, y gilt: x · y = y · x.
• (M3) Existenz der 1:
Es gibt ein Element 1, so daß für alle x: 1 · x = x.
• (M4) Existenz des Inversen:
Zu jedem x existiert x−1 so daß x · x−1 = 1.
• (D) Distributivgesetz:
Für alle x, y, z gilt: x(y + z) = xy + xz.
Aus diesen Axiomen gewinnen wir fundamentale Aussagen wie etwa die Eindeutigkeit der Zahl 0. Angenommen es gibt ein weiteres Element 00 mit x + 00 = x
für alle x. Dann ist aber
(A2)
(A3)
0 = 0 + 0 0 = 00 + 0 = 0 0 .
Ähnlich zeigt man
(22)
2 Angeordnete Körper
17
• die Eindeutigkeit des Negativen, der 1 und des Inversen bezüglich der
Multiplikation für x 6= 0.
• −0 = 0, −(−x) = x, x · 0 = 0, −x = (−1) · x,
(x−1 )−1 = x, (xy)−1 = x−1 · y −1 .
(−x) · (−y) = x · y,
• für x, y gilt xy = 0 genau dann, wenn x = 0 oder y = 0
• Existenz einer eindeutig bestimmten Lösung von a + x = b bzw. a · x = b
falls a 6= 0.
Beispiel 2.1:
MU-Rätsel: Wörter gebildet aus den Buchstaben M , I, U nach den Regeln (von
Gödel):
(1) M I existiert
(3) M x → M xx
(2) xI → xIU
(4) xIIIy → xU y
(5) xU U y → xy
Frage: Ist M U ein herleitbares Wort?
Wir definieren für n ∈ N die Potenzen xn per Induktion durch
0
x
= 1}
| {z
und xn+1 = x · xn ,
(23)
leeres Produkt
insbesondere ist 0 = 1. Für x 6= 0 erklären wir so negative Potenzen x−n durch
0
x−n = (x−1 )n
für n ∈ N.
(24)
Es gilt dann:
xn · xm = xn+m ,
m
(xn )
= xn·m ,
xn · y n = (x · y)n
(25)
wobei m, n ∈ Z.
Eine Menge K zusammen mit den analog definierten Verknüpfungen der Addition und Mulitplikation für die die Axiome (A1)–(A4), (M1)–(M4) und (D)
gelten, heißt Körper. In jedem Körper gelten die oben erwähnten Rechengesetze.
Beispiel 2.2: R und Q sind Körper, Z hingegen nicht. Ein exotischer Körper ist
die Menge F2 = {0, 1} mit den Verknüpfungen
+
0
1
0
0
1
1
1
0
und
·
0
1
0
0
0
1
0 .
1
18
2 Angeordnete Körper
2.1 Anordnungsaxiome
Körper besitzen sehr viel Struktur (Gegenstand der Linearen Algebra). Für die
Analysis brauchen wir noch mehr Struktur!
Gewisse reelle Zahlen sind als positiv ausgezeichnet, in Zeichen: x > 0, so daß
die Anordnungsaxiome gelten:
• (O1) Trichotomie:
Für jedes x ∈ R gilt genau eine der drei Bedingungen
x < 0, x = 0, x > 0.
• (O2) Abgeschlossenheit bezüglich der Addition:
Für alle x, y > 0 gilt x + y > 0.
• (O3) Abgeschlossenheit bezüglich der Multiplikation:
Für alle x, y > 0 gilt x · y > 0.
Dann gilt für beliebige x, y ∈ R genau eine der Relationen
x < y,
x = y,
x > y.
(26)
Wir definieren nun Maximum bzw. Minimum zweier reeller Zahlen x, y durch
x falls x ≥ y
y falls x ≥ y
max(x, y) :=
bzw. min(x, y) :=
y sonst
x sonst
(27)
Damit gilt für beliebiges x, y, z (Beweis Zuhause)
(1) Transitivität: Mit x < y und y < z gilt x < z.
(2) Translationsinvarianz: Mit x < y gilt x + z < y + z.
(3) Symmetrie: Es gilt genau dann x < y, wenn −x > −y.
Dies unterstützt unsere Anschauung. Wir denken uns die reellen Zahlen so
auf einer Geraden – der reellen Zahlengeraden, angeordnet, daß alle positiven
Zahlen rechts der Null ihrer Größe nach angeordnet und ihre additiven Inversen
gespiegelt am Nullpunkt sind (Symmetrie).
2.2 Betrag und Dreiecksungleichung
19
Weitere Rechenregeln:
(1) Aus 0 ≤ x < y und 0 ≤ a < b folgt ax < by.
(2) Mit 0 < x < y gilt: x−1 < y −1 < 0.
Allgemein heißt ein Körper K, in dem gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet sind, so daß die Anordnungsaxiome (O1)–(O3) gelten, angeordnet.
Beispiel 2.3: R und Q sind angeordnet, nicht aber F2 (denn da gilt 1 + 1 = 0).
Mit diesen Axiomen und den daraus hergeleiteten Rechenregeln finden wir
über die Peano-Axiome leicht N (und damit auch Z, Q) als Teilmengen von R
wieder.
2.2 Betrag und Dreiecksungleichung
Definition: Der Absolutbetrag einer reellen Zahl x (sprich: x-Betrag“) ist
”
definiert durch
x
falls x ≥ 0
|x| := max(x, −x) =
(28)
−x sonst
(Def. 2.1)
Satz 2.1:
Der reelle Absolutbetrag hat folgende Eigenschaften
(1) für alle x ∈ R gilt |x| ≥ 0 und |x| = 0 genau dann, wenn x = 0,
(2) für alle x, y ∈ R gilt |x · y| = |x| · |y|,
(3) für alle x, y ∈ R gilt |x + y| ≤ |x| + |y| (Dreiecksungleichung)
Zur Dreiecksungleichung
20
2 Angeordnete Körper
Beweis:
(1) folgt sofort aus der Definition.
(2) ist trivial, sofern x, y ≥ 0. Für den allgemeinen Fall sei x = εx0 , y = δy0
mit ε, δ ∈ {±1} und x0 , y0 ≥ 0. Dann ist
|x · y| = |ε · δ · x0 · y0 |
= |x0 | · |y0 | =
= |x0 · y0 |
|ε · x0 | · |δ · y0 |
=
|x| · |y|.
(3) Wegen x ≤ |x| und y ≤ |y| folgt aus der Translationsinvarianz (2)
x+y
≤
|x| + |y|.
(29)
Da dies schwer ersichtlich ist wegen des Betrags, sollte
der letzte Schritt noch genauer erläutert werden.
Ebenso gilt −x ≤ |x| und −y ≤ |y|, also
− (x + y) = −x − y
≤
|x| + |y|.
(30)
Damit folgt
|x + y| = max(x + y, −(x + y))
≤
|x| + |y|
(31)
2
Körper mit einer Abbildung x 7→ |x|, die den Eigenschaften aus dem obigen
Satz genügen, heißen bewertet.
Noch einige Rechenregeln:
• Aus (2) folgt |1| = |1| · |1|, also |1| = 1, ebenso
| − 1| = 1 und | − x| = |x|
für beliebiges x. Ferner gilt für y 6= 0: xy = |x|
|y| .
die
2.2 Betrag und Dreiecksungleichung
21
Axiom: Nun ein vorletztes Axiom, das Archimedische Axiom (Archimedes
287–212 v. Chr.):
Zu je zwei reellen Zahlen x, y > 0 existiert ein n ∈ N, so daß nx > y. (Ax. 2.1)
Damit existiert zu jedem x ∈ R ein n ∈ Z mit n ≤ x < n + 1, diese Zahl n wird
auch mit [x] bezeichnet (statt der Gaußklammer oft auch bxc (floor )) .
Ferner gewinnen wir die Bernoullische Ungleichung 5 :
Satz 2.2:
Für x ≥ −1 und beliebiges n ∈ N gilt
(1 + x)n ≥ 1 + nx.
Beweis:
(32)
Beweis per Induktion nach n.
Induktionsanfang (n = 0):
trivial.
Induktionsschritt (n 7→ n + 1): Nach Voraussetzung ist 1 + x ≤ 0. Multiplikation mit der Induktionsvoraussetzung
=
(1 + x)n+1 ≥ (1 + nx)(1 + x)
1 + (n + 1)x + |{z}
nx2 ≥ 1 + (n + 1)x.
≥0
2
Korollar: Sei b ∈ R positiv. Ist b ≥ 1, so gibt es zu jedem B ∈ R ein n ∈ N
mit bn > B. Ist hingegen b < 1, so gibt es zu jedem ε > 0 ein n ∈ N mit bn < ε.
Beweis: Sei zunächst b > 1. Dann liefert die Bernoullische Ungleichung für
x = b − 1 bn = (1 + x)n ≥ 1 + nx für alle N.
Nach dem Archimedischen Axiom existiert ein n ∈ N mit nx > B − 1, welches
damit bn > B genügt. Der Fall 0 < b < 1 ergibt sich aus dem bereits gezeigten
vermöge β = 1b , B = 1ε . Dann ist nämlich β n > 1ε bzw. bn < ε für ein n ∈ N. 2
5 J. Bernoulli,1654–1705
22
3 Folgen und Grenzwerte
3 Folgen und Grenzwerte
Das Grenzobjekt beißt Kochsche Insel (H. van Koch, 1870–1924).
• Wie groß ist die Kochsche Insel? (endliche Fläche)
• Wie lang ist ihre Küstenlinie?
Eine Folge reeller Zahlen
(an )n
ist eine Abbildung
N −→ R
n 7→ an
Wir schreiben auch (an )n∈N oder (a0 , a1 , a2 , . . .); manchmal lassen wir statt N
auch {n ∈ Z : n ≥ k} als Indexmenge zu.
Beispiel 3.1:
• an = a ∈ R führt auf konstante Folgen;
• Sei an =
1
n
für n ≥ 1, gibt dies (an )n = 1, 12 , 13 , . . . .
• Für an = (−1)n entsteht (an )n = (+1, −1, +1, −1, . . .).
• Die Fibonaccizahlen 6 sind rekursiv definiert durch
F0 = F1 = 1
und
Fn+1 = Fn + Fn−1
für n ∈ N
Dies liefert die Folge
(Fn )n = (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, . . .).
6 Leonardo
von Pisa, ≈ 1200
(33)
3.1 Konvergenz und Grenzwertbegriff
23
3.1 Konvergenz und Grenzwertbegriff
Eine Folge (an )n reeller Zahlen heißt konvergent gegen a ∈ R falls gilt:
Zu jedem ε > 0 existiert ein N ∈ N, so daß
|an − a| < ε für alle n ∈ N
(N hängt von ε ab!)
(34)
Konvergiert (an )n gegen a, so heißt a Grenzwert von (an ) und wir schreiben
lim an = a.
(35)
n→∞
Definition: Zur geometrischen Interpretation definieren wir für reelle Zahlen
a ≤ b die Intervalle durch
[a, b]
:= {x ∈ R : a ≤ x ≤ b}
a
[
b
]
[a, b)
:= {x ∈ R : a ≤ x < b}
a
[
b
)
(a, b] := {x ∈ R : a < x ≤ b}
a
(
b
]
:= {x ∈ R : a < x < b}
a
(
b
)
(a, b)
Dabei heißt [a, b] abgeschlossen, (a, b) heißt offen, und [a, b) bzw. (a, b] heißen
halboffen.
In mancher Literatur werden offene Intervallgrenzen statt der hier verwendeten
runden Klammer auch durch eine umgedrehte eckige Klammer angegeben, also
(a, b) ≡]a, b[.
(Def. 3.1)
Die Konvergenzbedingung besagt, daß zu jedem gegebenen ε > 0 ein Index
N existiert, so daß alle Folgeglieder an mit Index n ≥ N innerhalb der ε”
Umgebung um den Grenzwert a“ liegen:
24
3 Folgen und Grenzwerte
Eine Folge konvergiert also dann gegen a, wenn in jeder noch so kleinen εUmgebung von a fast alle Folgeglieder liegen – d. h. bis auf endlich viele Ausnahmen!
Eine Folge, die nicht konvergiert, heißt divergent.
Beispiel 3.2: Die konstante Folge (a, a, a, . . .) ist konvergent mit Grenzwert a (klar).
Beispiel 3.3: Die Folge ( n1 )n≥1 = 1, 12 , 13 , 14 , 15 konvergiert gegen Null, denn: sei
ε > 0 vorgegeben, dann gibt es nach dem Archimedisches AxiomArchimedischen
Axiom ein N ∈ N mit N > 1ε . Also gilt für n > N
1
1
1
≤
< ε.
(36)
|an − a| = − 0 =
n
n
N
Beispiel 3.4: Die Folge ((−1)n )n ist divergent. Wir beweisen dies indirekt:
Beweis: Angenommen die Folge (an )n mit an = (−1)n konvergiert gegen a ∈ R,
dann gibt es per Definition zu ε = 1 ein N ∈ N, so daß für alle n ≥ N
|an − a|
<
ε−1
(37)
Mit der Dreiecksungleichung folgt dann aber
2 = |an+1 − an |
=
|an+1 − a + a − an |
≤
|an+1 − a| + |an − a|
<
1+1=2
(38)
2
(Widerspruch !)
Eine Folge (an )n reeller Zahlen heißt nach oben beschränkt (bzw. nach unten
beschränkt), wenn es eine Konstante B ∈ R gibt, so daß für alle n ∈ N
an ≤ B
(bzw. an ≥ B).
(39)
Die Folge (an )n heißt beschränkt, falls ein ein B ∈ R gibt, so daß für alle n ∈ N
|an | ≤ B
(d. h. falls sie nach oben und unten beschränkt ist).
(40)
3.2 Rechnen mit Folgengrenzwerten
25
Satz 3.1: Jede konvergente Folge ist beschränkt. Die Umkehrung gilt nicht,
wie Beispiel 3.4 zeigt.
Beweis: Sei a = lim an , dann gibt es nach Voraussetzung ein N ∈ N, so
n→∞
dass für n ≥ N :
|an − a| < 1
(ε = 1)
(41)
Damit folgt:
|an | = |an − a + a|
≤ |an − a| + |a|
<
1 + |a|
für alle n ≥ N . Mit
B = max {|a0 |, |a1 |, . . . , |aN −1 |, 1 + |a|}
(42)
2
zeigt sich nun |a| ≤ B.
Beispiel 3.5: Die Folge (Fn )n der Fibonaccizahlen ist divergent, denn per Induktion
zeigt man leicht Fn+1 ≥ n für n ∈ N. (Angenommen (Fn )n konvergent, dann nach
Satz 3.1 auch beschränkt, ein Widerspruch zu Fn+1 ≥ n).
Satz 3.2:
Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.
Beweis: Die Folge (an )n konvergiere sowohl gegen a als auch gegen b. An(> 0, da a 6= b) gibt es dann Na , Nb , so
genommen a 6= b. Für ε := |a−b|
2
daß
|an − a| < ε für n ≥ Na
(43)
und
|an − b| < ε für n ≥ Nb
(44)
Dann gilt für n = max(Na , Nb ) mit der Dreiecksungleichung
2ε
= |a − b| = |a − an + an − b|
≤ |a − an | + |b − an | < 2 · ε,
was ein Widerspruch ist.
3.2 Rechnen mit Folgengrenzwerten
Sehr hilfreich in der Praxis ist
2
26
3 Folgen und Grenzwerte
Satz 3.3: Seien (an )n und (bn )n zwei konvergente Folgen reeller Zahlen. Dann
konvergieren die Folgen (an + bn )n , und es gilt
lim (an + bn )
=
lim (an · bn )
=
n→∞
n→∞
lim an + lim bn
n→∞
n→∞
lim an · lim bn .
n→∞
n→∞
Analog, nur mit Einschränkungen für Division: Ist ferner (cn )n eine konvergente
Folge mit limn→∞ cn 6= 0, so gibt es ein N , so daß für alle n ∈ N gilt cn 6= 0,
und die Folge
an
(45)
cn n
konvergiert mit Grenzwert
lim
n→∞
an
limn→∞ an
=
.
cn
limn→∞ cn
(46)
Beweis: Zunächst die Summe. Nach Voraussetzung gibt es zu jedem ε > 0
Zahlen Na , Nb mit
|an − a| < ε für n ≥ Na
(47)
und
|bn − b| < ε für
n ≥ Nb
(48)
wobei
a := lim an ,
b := lim bn .
n→∞
(49)
n→∞
Dann gilt für alle n ≥ max(Na , Nb ) mit der Dreiecksungleichung
|(an + bn ) − (a + b)|
≤
|an − a| + |bn − b|
<
2ε,
(50)
was die Konvergenz von (an + bn )n gegen a + b.
Das Produkt ist etwas schwieriger. Nach Satz 3.1 gibt es eine Konstante B, so
daß für alle n ∈ N
|an | < B,
|bn | < B
und |b| < B.
(51)
Nun gibt es nach Voraussetzung Zahlen Na , Nb so daß
|an − a| <
ε
2B
für n ≥ Na
(52)
3.2 Rechnen mit Folgengrenzwerten
und
|bn − b| <
27
ε
2B
für n ≥ Nb .
(53)
Für alle n ≥ max(Na , Nb ) gilt
|an bn − ab|
= |an bn − an b + an b − ab|
4
= an (bn − b) + b(an − a)
≤
= |an | · |bn − b| + |b| · |an a|
|an (bn − b)| + |b(an − a)|
ε
ε
< B·
+B·
= ε.
2B
2B
Also konvergiert (an bn ) gegen ab.
Für den Quotienten untersuchen wir zunächst den Spezialfall an = 1. Da 0 6=
limn→∞ cn := c, gibt es ein N , so daß für alle n ≥ N
|cn − c| <
|c|
2
Also gilt |cn | ≥
|c|
2
(> 0, da c 6= 0).
(54)
> 0.
Bild mit Zahlenstrahl und Intervall
Zu beliebigem fest vorgegebenem ε > 0 gibt es ein N 0 mit
|cn − c| <
ε · |c|2
2
für alle n ≥ N 0 .
(55)
Dies zeigt für n ≥ max(N, N 0 )
1
− 1 = c − cn ≤ 2 |c − cn | < ε.
cn
|{z}
c
c − n |c|2
(56)
|c|
|cn |≥ 2
Also limn→∞
nen mittels
1
cn
an
cn
= 1c ; der allgemeine Fall
=
n→∞
2n − 7
3n + 1
an
cn
folgt aus dem bereits bewiese2
an c1n .
Beispiel 3.6: Sei an =
lim
=
2n−7
,
3n+1
lim
n→∞
dann gilt
n(2 −
n(3 +
7
)
n
1
)
n
7
)
n
1
)
n
Satz 3.3
=
limn→∞ (2 −
limn→∞ (3 +
Satz 3.3
=
2 − 7 · limn→∞
3 + limn→∞
Folgen mit Grenzwert Null heißen Nullfolgen.
1
n
Bsp.
=
2
.
3
28
3 Folgen und Grenzwerte
Satz 3.4: Seien (an )n und (bn )n zwei konvergente Folgen reeller Zahlen mit
an ≤ bn für alle n ∈ N ( hinreichend groß“ genügt). Dann gilt
”
lim an ≤ lim bn .
(57)
n→∞
n→∞
Beweis: Wir gehen zur Differenzenfolge (bn − an )n über und zeigen, daß sie
einen Grenzwert c ≤ 0 besitzt. Dies impliziert
0 ≤ c = lim (bn − an ) = lim bn − lim an
n→∞
n→∞
n→∞
(nach Satz 3.3).
(58)
Angenommen, c < 0. Dann gäbe es ein N mit
|(bn − an ) − c| < |c|
(59)
(ε > 0, da c 6= 0 für alle n ∈ N). Daraus folgte bn − an < 0 (Widerspruch!). 2
Beispiel 3.7:
1
n2 n≥1
Folge (0)n≥1 , als auch
ist eine Nullfolge, denn: 0 < n12 ≤
sind Nullfolgen. Dies gibt
1
;
n
sowohl die konstante
1
n n≥1
0 = lim 0 ≤ lim
n→∞
n→∞
1
1
≤ lim
= 0.
n→∞ n
n2
(60)
Beispiel 3.8: Das Konvergenzverhalten der Folge (xn )n hängt von x ab. Mit Hilfe
des Korollars zu Satz 2.2 und Beispiel 3.3 gilt

 konvergiert gegen 0, falls |x| < 1,
n
konvergiert gegen 1, falls x = 1,
(x )n

divergiert
sonst.
Die Divergenz kann präzisiert werden:
Definition: Eine Folge (an )n reeller Zahlen heißt bestimmt divergent gegen
+∞ (bzw. gegen −∞), wenn zu jedem b ∈ R ein n ∈ N existiert, so daß an ≥ B
(bzw. wenn (−an )n bestimmt gegen −∞ divergiert). Wir schreiben dann
lim an = +∞
n→∞
bzw.
lim an = −∞
n→∞
(61)
Hinweis
±∞ sind Symbole, keine Zahlen!
(Def. 3.2)
4 Unendliche Reihen
29
Beispiel 3.9: Also ist (2n )n bestimmt divergent gegen +∞, während (−1)n nicht
bestimmt divergent ist (ohne Beweis).
Satz 3.5: Die Folge (an )n sei bestimmt divergent gegen +∞. Dann gibt es
ein N , so daß an 6= 0 für n ≥ N , und es gilt
lim
n→∞
1
= 0.
an
(62)
Ist andererseits (an )n eine Nullfolge mit an > 0, so indexDivergenz!bestimmtedivergiert
die Folge ( a1n )n bestimmt gegen +∞.
4 Unendliche Reihen
Sei (an )n eine Folge reeller Zahlen. Dann bilden wir für jedes m ∈ N die Partialsumme
m
X
sm :=
an .
(63)
n=0
Die Folge der Partialsummen (sm )m heißt unendliche Reihe mit den Gliedern
an , und wir schreiben hierfür
∞
X
an
(64)
n=0
im Falle P
der Konvergenz
P∞ von (sm )m bezeichnen wir auch ihren Grenzwert
m
limm→∞ n=0 mit n=0 an . Analog definieren wir Reihen mit einer anderen
Indexmenge.
Satz 4.1: (Unendliche Geometrische Reihe) Die Reihe
für alle x mit |x| < 1 mit dem Grenzwert
∞
X
n=0
xn =
P∞
n=0
1
.
1−x
(65)
Beispiel 4.1:
∞ n
1
1
1X 1
1
1
+ + ... =
= ·
4
2
4 n=0 4
4 1−
xn konvergiert
1
4
=
1
.
3
30
4 Unendliche Reihen
Wozu? Erklärung?
Beweis: Nach Satz 1.5 gilt sm =
3.8 und Satz 3.3
Pm
n=0
xn =
1−xm+1
1−x ;
also folgt mit Beispiel
1
1 − lim xm+1
m→∞
1−x
|
{z
}
lim sm =
n→∞
(66)
=0
2
1
2
1
4
1
8
1
2
1
4
Beispiel 4.2: Mit Satz 4.1 gilt: 1 + + + + . . . = 2, 1 − + −
P
1
Beispiel 4.3: Was ist ∞
n=1 n(n+1) ? Mit Partialbruchzerlegung gilt
1
8
± ... =
1
n(n+1)
=
1
n+1
sm
=
m
X
n=1
=
1
n(n + 1)
m X
1
=
n=1
n
−
1
n+1
1
1
1
1
1
1
1
1 − + − + − ± ... +
−
2
2
3
3
4
m
m+1
=
1−
1
m+1
(Teleskopsumme). Es folgt
∞
X
n=1
1
n(n + 1)
Satz 4.2:
Beweis:
=
lim
n→∞
1−
1
m+1
Die harmonische Reihe
P∞
=
1
n=1 n
1 − lim
m→∞
1
m+1
=
1.
ist divergent.
Für k ∈ N betrachten wir die Partialsummen
k
s2k
=
2
X
1
n
n=1
=
1+
1 1 1
1
1
+ + + · · · + k−1
+ ... + k
2 3 4
2
+1
2
|
{z
}
>2k−1 ·
j+1
=
k
2
1 X X
1+ +
2 j=1
j
n=2 +1
1
.
n
1
2k
2
.
3
1
n
−
4 Unendliche Reihen
31
Hierin gilt
j+1
2X
n=2j +1
1
≥
n
2j
|{z}
·
1
1
=
2j+1
2
(67)
Anzahl der
Summen
Also folgt
s2k ≥ 1 +
k
.
2
(68)
Damit ist die Folge der Partialsummen unbeschränkt. Also divergiert die harmonische Reihe (bestimmt gegen +∞).
2
Eine interessante Folgerung:
Korollar 4.3:
Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis: Mit der (hier nicht bewiesenen) eindeutigen Primfaktorzerlegung der
natürlichen Zahlen gilt (formal):
∞
X
1
n
n=1
1 1
1
1
1
1
+ +
+ +
+ + ···
2 3 22
5 2·3 7
1
1
=
1 + + ···
1 + + ···
2
3
Y Y
1
1
mit Satz 4.1 =
1 + + 2 + ...
=
p p
p
p
=
1+
Primzahl
Primzahl
1
.
1 − p1
Angenommen, es gäbe nur endlich viele Primzahlen, so wäre das Produkt endlich, im Widerspruch zur Divergenz der harmonischen Reihe.
2
P∞
P∞
Satz 4.4: Seien n=0 an und n=0 bn zwei konvergente
unendliche Reihen
P∞
reeller Zahlen. Dann konvergiert auch die Reihe n=0 (an +bn ) und besitzt den
Grenzwert
∞
∞
∞
X
X
X
(an + bn ) =
an +
bn .
(69)
n=0
n=0
n=0
32
5 Cauchyfolgen und Vollständigkeit
Beweis:
folgt aus der Definition unendlicher Reihen und Satz 3.3.
2
Produkte unendlicher Reihen sind schwieriger zu behandeln (später). Wir schließen mit den uns bekannten Dezimalbrüchen. Unendliche Dezimalbrüche sind
spezielle unendliche Reihen.
Beispiel 4.4: (periodischer Dezimalbruch)
0, 10232323 . . . = 0, 1023 ist ein periodischer Dezimalbruch. 0, 1023 =
∞
k
P
1
23
1
1
23
1
. . . = 10
+ 10
= 10
+ 10
= . . . = 1013
.
4
4 · 1− 1
100
9900
1
10
23
23
+ 10
4 + 106 +
100
k=0
So kann man jeden periodischen Dezimalbruch als rationale Zahl entlarven.
Es gilt sogar die Umkehrung. Damit haben genau die rationalen Zahlen eine
periodische Dezimalbruchentwicklung.
5 Cauchyfolgen und Vollständigkeit
Wollten wir bislang die Konvergenz einer Folge nachweisen, so mussten wir
ihren Grenzwert kennen. Ein besseres Werkzeug sind Cauchyfolgen (Cauchy,
1789-1857).
Eine Folge (an )n reeller Zahlen heißt Cauchyfolge, wenn zu jedem ε > 0 ein
N ∈ N existiert, so dass |am − an | < ε für alle m, n ≥ N .
Hinweis:
Grob gesprochen: für hinreichend große Indizes muss die Differenz beliebiger Folgen beliebig klein sein!
Satz 5.1:
Jede konvergente Folge reeller Zahlen ist eine Cauchyfolge.
Beweis: Die Folge (an )n konvergiere gegen a. Dann gibt es zu jedem ε>0 ein
N , so dass |an − a| < 2ε für n≥N . Damit folgt für beliebige m, n ≥ N
|am − an |
=
|am − a + a − an |
≤ |am − a| + |an − a|
ε ε
<
+
= ε.
2 2
2
5.1 Das Vollständigkeitsaxiom
33
Alle bisherigen Axiome gelten sowohl für R, als auch für Q. Zur Begründung
der reellen Zahlen fehlt also noch etwas, nämlich das
5.1 Das Vollständigkeitsaxiom
Axiom:
Vollständigkeitsaxiom (V):
In R konvergiert jede Cauchyfolge. (Umkehrung von Satz ??)
(Ax. 5.0)
Später werden wir sehen, dass dies nicht für Q gilt.
Anschaulicher ist das äquivalente Intervallschachtelungsprinzip: Sei I0 ⊃ I1 ⊃
I2 ⊃ . . . eine absteigende Folge von abgeschlossenen Intervallen In = [an , bn ] ⊂
R mit lim (bn − an ) = 0, dann gibt es genau eine reelle Zahl x mit x ∈ In für
n→∞
∞
T
alle n ≤ N (d.h.
In = {x}).
n=1
Tatsächlich läßt sich R aus Q durch Hinzufügen aller Grenzwerte sämtlicher
rationaler Cauchyfolgen konstruieren. Wir zeigen jetzt die Konsistenz unserer
axiomatischen Begründung von R mit der Dezimalbruchentwicklung.
Sei 2 ≤ b ∈ N. Ein b-adischer Bruch ist eine unendliche Reihe
±
∞
X
an b−n ,
(70)
n=−k
wobei k ∈ N, a ∈ N mit 0 ≤ an < b.
Für b = 10 erhalten wir die Dezimalbrüche, für b = 2 die dyadischen Brüche
(mit denen die Computer rechnen).
Satz 5.2:
(1) Jeder b-adische Bruch stellt eine Cauchyfolgen dar, konvergiert also gegen eine reelle Zahl.
(2) Jede reelle Zahl läßt sich in einen b-adischen Bruch entwickeln.
Vorsicht!
Diese Darstellung ist nicht eindeutig: 0, 9 = 1.
34
5 Cauchyfolgen und Vollständigkeit
Beweis:
(1) Es genügt, einen nichtnegativen Bruch
∞
X
an b−n
(71)
n=−k
zu betrachten. Für m ≥ −k sei
xm =
∞
X
an b−n .
(72)
n=−k
Zu vorgebenem ε > 0 sei N so groß, daß b−N < ε. Dann gilt für n ≥ m ≥
N
X
n
m
X
X
n
−j −j
|xn − xm | = aj b −
aj b =
aj b−j
j=−k
j=m+1
j=−k
n
X
≤
(b − 1)b−j
<
(b − 1)
j=m+1
=
∞
X
j=m+1
(b − 1)b−m−1
∞
X
b−j
=
<
ε.
(b − 1)b−m−1
j=0
= b
−m
b−j
≤
b
−N
1
1 − b−1
Also ist (xn )n eine Cauchyfolge, stellt also nach dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom 5.1) eine reelle Zahl dar.
(2) O. B. d. A. sei x ≥ 0. Nach dem Korollar zu Satz 2.2 es (mindestens) eine
natürliche Zahl m mit x < bm+1 . Sei k die kleinste natürliche Zahl mit
0 ≤ x < bk+1 . Per Induktion läßt sich eine Folge (aj )j natürlicher Zahlen
mit 0 ≤ aj < b konstruieren, so daß für alle n ≥ −k
x=
n
X
aj b−j + ξn
mit 0 ≤ ξn < b−n
(73)
j=−k
(Division mit Rest à la: x = 53 = 5 · 10 + 3 = 5 · 101 + 3 · 100 ). Wegen
limn→∞ ξn = 0 folgt
∞
X
x=
aj b−j
(74)
j=−k
5.1 Das Vollständigkeitsaxiom
35
2
Man kann ein DIN A4–Blatt so zuschneiden, dass zwei
√ DIN A5–Blätter entstehen. Damit ist deren Seitenverhältnis (annähernd) 2.
√
√
2 ist irrational: Wäre 2 = ab mit O. B. d. A. teilerfremden Zahlen a, b ≥ 1,
so auch 2b2 = a2 . Damit ist a gerade: a = 2α, α ∈ N. Es folgt 2b2 = 4α2
bzw. b2 = 2α2 . Also ist auch b eine gerade Zahl: b = 2β, β ∈ N, im Widerspruch
zur Teilerfremdheit von a und b.
√
Geometrisch
√ ist 2 die Länge der Diagonalen eines Quadrates mit Seitenlänge
√
1. 2 = 12 + 12 (Pythagoras).
Gewissermaßen ist Q zu ‘klein’, um erfolgreich Analysis betreiben zu können:
Q⊂R
(75)
Definition: Für eine reelle Zahl a ≥ 0 nennen wir die eindeutig bestimmte nichtnegative Lösung
der Gleichung x2 = a die Quadratwurzel aus a und
√
(Def. 5.1)
schreiben hierfür a.
Satz 5.3: Seien a > 0 und x0 relle Zahlen. Dann konvergiert die Folge (xn )n ,
definiert durch
1 a xn+1 =
xn
(76)
2
xn
√
gegen a.
Beweis: (Beweisskizze) Wir verzichten auf den Beweis, daß (xn )n eine Cauchyfolge ist. Mit dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom 5.1) folgt die Existenz des
Grenzwertes x := limn→∞ xn .
Mit den Rechenregeln für Grenzwerte folgt:
a
1
1
xn +
=
lim xn+limn→∞
x = lim xn+1 =
lim
n→∞
n→∞ 2
xn
2 n→∞
1
a
1
a
lim xn +
=
x+
,
=
2 n→∞
limn→∞ xn
2
x
was zu x2 = a führt.
a
xn
2
36
6 Punktmengen
Dies verdeutlicht die Tragweite des Vollständigkeitsaxioms (Axiom 5.1) (welches nicht für Q gilt!). Tatsächlich ist R durch die bisherigen Axiome (bis auf
Isomorphe) charakterisiert.
√
Die Iteration aus Satz 5.3 sehr gute rationale Approximationen von 2. Noch
besser sind ‘Kettenbrüche’:
√
2=1+
1
2+
1
2+···
(sehr gute Approximation an
← 1, 1 +
√
1
3
1
= ,1 +
2
2
2+
1
2
=
7
,...
5
(77)
2, wichtig in Kryptographie).
6 Punktmengen
Um wieviel ‘größer’ ist R im Vergleich zu Q? Eine Menge M heißt abzählbar,
wenn es eine bijektive Abbildung N → M gibt; die leere Menge sei dabei auch
abzählbar. Eine nichtabzählbare Menge heißt überabzählbar.
Offensichtlich sind N, Z und Q abzählbar. Bei Q genügt es bereits, sich auf
positive rationale Zahlen zu beschränken:
1
1
1
2
↓
→
.
%
1
3
2
1
2
2
%
3
1
4
1
3
2
4
2
2
3
3
3
..
.
2
4
···
.
.
1
4
→
.
..
.
Man kann zeigen, daß die Vereinigung abzählbarer Mengen wieder abzählbar
ist: Menge aller möglichen Computerprogramme abzählbar (Turing).
Für die Menge der rellen Zahlen bewies Cantor (1845–1918) mit seinem Diagonalverfahren:
Satz 6.1:
R ist überabzählbar.
6.1 Teilfolgen
37
Beweis: Angenommen, das Intervall [0, 1) ist abzählbar, dann gibt es eine
Abzählung (xn )n von [0, 1) und eine Liste der zugehörigen Dezimalbrüche
x1
x2
x3
= 0, a11 a12 a13 . . .
= 0, a21 a22 a23 . . .
= 0, a31 a32 a33 . . .
..
.
Wir definieren nun die Zahl x ∈ [0, 1) vermöge
4 falls aii = 5,
x = 0, b1 b2 b3 . . . mit bj =
5 falls ajj 6= 5.
(78)
Damit ist x kein Element der Liste (denn bj 6= ajj ). Also ist [0, 1) und somit
auch R überabzählbar.
2
Insbesondere ist (wegen R \ Q ∪ Q = R) Menge der Irrationalzahlen auch
überabzählbar.
6.1 Teilfolgen
Die Cantormenge C entsteht aus [0, 1], indem man sukzessive aus jedem Intervall das offene mittlere Drittel entfernt:


∞


X
C = x ∈ [0, 1] : x =
aj 3−j , aj ∈ {a2 }


j=1
Skizze mit Intervallen grün und blau (Frank Krick)
.
ist eine sehr ‘magere’ Menge, aber trotzdem überabzählbar – seltsame Topologie!
Definition: Sei (an )n eine Folge und n1 < n2 < · · · eine aufsteigende Folge
natürlicher Zahlen. Dann ist (ank )k = (an1 , an2 , an3 , . . .) eine Teilfolge von
(an )n .
(Def. 6.1)
Klar ist, daß mit (an )n auch jede (ank )k konvergiert, und zwar gegen denselben
Grenzwert.
38
6 Punktmengen
Satz 6.2: (Bolzano-Weierstrass) Jede beschränkte Folge reeller Zahlen
besitzt eine konvergente Teilfolge.
Beweis: Die reelle Folge (an )n sei beschränkt, also gibt es A, B ∈ R mit
A ≤ an ≤ B für alle n ∈ N. Wir konstruieren per Induktion eine Folge von
Intervallen Ik ⊂ R mit
(1) Ik enthält unendlich viele Glieder von (an )n ,
(2) Ik ⊂ Ik−1 für alle 1 ≤ k ∈ N.
(3) diam(Ik ) − 2−k diam(I0 ),
wobei diam(I) die Länge des Intervalls I bezeichnet: diam([a, b]) = b − a.
Induktionsanfang (k = 0):
Sei I0 = [A, B].
Induktionsschritt (k 7→ k + 1): Sei das Intervall Ik = [Ak , Bk ] mit den
Eigenschaften (1)–(3) bereits konstruiert. Sei M = 21 (Ak + Bk ). Da Ik nach (1)
unendlich viele an enthält, liegen in mindestens einem der Intervalle [Ak , M ]
bzw. [M, Bk ] unendlich viele an . Sei nun
[Ak , M ] falls dieses unendlich viele an s enthält
Ik+1 =
(79)
[M, Bk ] sonst
Ik+1 erfüllt damit die Eigenschaften (1)–(3). Damit finden wir eine Teilfolge
(ank )k von (an )n mit ank ∈ Ik (an0 , . . .) zu vorgegebenem ε > 0 sei N so groß,
daß diam(IN ) < ε. Dann gilt für alle k, j ∈ N
ank ∈ Ik ⊂ In
und anj ∈ Ij ⊂ IN
(80)
Somit |ank − anj | ≤ diam(IN ) < ε. Also ist (ank )k eine Cauchyfolge und nach
dem Vollständigkeitsaxiom (Axiom ??) konvergent.
2
6.2 Schranken und Monotonie
Eine Zahl a heißt Häufungspunkt einer Folge (an )n , wenn es eine Teilfolge
(ank )k gibt, die gegen a konvergiert. Beispielsweise besitzt die divergente aber
beschränkte Folge (2 + (−1)n )n die Häufungspunkte 1 und 3.
6.2 Schranken und Monotonie
39
Der Satz von Bolzano-Weierstrass (Satz 6.2) besagt also, daß jede beschränkte Folge reeller Zahlen mindestens einen Häufungspunkt besitzt. Konvergente Folgen besitzen nur einen Häufungspunkt.
Eine Folge (an )n reeller Zahlen heißt
• monoton wachsend, falls an ≤ an+1 für alle n ∈ N,
• streng monoton wachsend, falls an < an+1 für alle n ∈ N,
• monoton fallend, falls an ≥ an+1 für alle n ∈ N,
• streng monoton fallend, falls an > an+1 für alle n ∈ N.
Satz 6.3:
Jede beschränkte monotone Folge reller Zahlen konvergiert.
Beweis: Nach Satz 6.2 besitzt jede beschränkte (monotone) Folge (an )n eine
konvergente Teilfolge (ank )k . Sei a = limk→∞ ank . Ist nun o. B. d. A. (an )n
monoton wachsend, so gibt es zu vorgegebenem ε > 0 ein K, so daß für alle
k≥K
|ank − a| < ε.
(81)
Für alle n ≥ nk gibt es ein k ≥ K mit nk ≤ n < nk+1 . Aufgrund der Monotonie
gilt ank ≤ an ≤ ank+1 . Also |an − a| ≤ |ank − a| < ε.
2
Eine Teilmenge D ⊂ R heißt nach oben beschränkt (bzw. nach unten beschränkt), wenn es eine Konstante K ∈ R gibt, so daß für alle x ∈ D
x≤K
(bzw. x ≥ K)
(82)
K heißt dabei obere (bzw. untere) Schranke von D. Die Menge D heißt beschränkt, wenn D nach oben und nach unten beschränkt ist. Wir verallgemeinern die Erkenntnisse, die wir bereits für Folgen gewonnen haben!
Eine Zahl K heißt Supremum (bzw. Infimum) von D, falls K kleinste obere
Schranke (bzw. größte obere Schranke) von D ist, d. h.
• K ist obere Schranke von D
• Ist K 0 eine weitere obere Schranke von D, so gilt K ≤ K 0
40
6 Punktmengen
( größte untere Schranke“ analog). Im Falle der Existenz sind Supremum und
”
Infimum eindeutig bestimmt und wir schreiben
sup(D)
bzw.
inf(D)
(83)
Beispiel 6.1:
inf([a, b)) = a
sup([a, b)) = b
Ähnlich wie Satz 6.2 (Bolzano-Weierstrass) zeigt man
Satz 6.4: Jede nicht leere, nach oben (bzw. nach unten) beschränkte Teilmenge D ⊂ R besitzt ein Supremum (bzw. Infimum).
• falls sup(D) ∈ D, so heißt sup(D) das Maximum von D,
• falls inf(D) ∈ D, so heißt inf(D) das Minimum von D.
Ist D nach oben (bzw. nach unten) unbeschränkt, so schreiben wir
sup(D) = +∞
(bzw. inf(D) = −∞).
(84)
Zu einer Folge (an )n reeller Zahlen definieren wir limes superior bzw. limes
inferior durch
lim sup an = lim (sup{ak : k ≥ n})
(85)
n→∞
n→∞
bzw.
lim inf an = lim (inf{ak : k ≥ n})
n→∞
n→∞
(86)
Sie geben den größten bzw. kleinsten Häufungspunkt der Folge an an.
Die Wahl des n im Unendlichen ( +1 macht dann nichts mehr
”
aus“) muß hier unbedigt noch erläutert werden!
Aufgrund der Monotonie von sup{ak : k ≥ n} bzw. inf{ak : k ≥ n} sind nach
Satz 6.3 limes superior und limes inferior reelle Zahlen (‘eigentlich’) oder gleich
±∞ (‘uneigentlich’).
Beispiel 6.2: Für 1 ≤ n ∈ N sei an = (−1)n 1 + n1 . Dann gilt
1 + n1 ,
falls n gerade,
sup{ak · k ≥ n} =
1
1 − n+1
sonst.
7 Konvergenzkriterien für Reihen
41
Also ist lim supn→∞ an = limn→∞ 1 +
zeigt man lim inf n→∞ an = 1.
1
n
bzw. limn→∞ 1 +
1
n+1
= 1. Ebenso
Eine Charakterisierung liefert
Satz 6.5: Sei (an )n eine Folge reeller Zahlen. Genau dann gilt lim supn→∞ an =
a ∈ R, wenn für jedes ε > 0:
• für fast alle (d. h. alle bis auf endlich viele) n ∈ N gilt a1 < a + ε,
• es gibt unendlich viele m ∈ N, so daß am > a − ε.
Ohne Beweis (technisch). Analog: Kriterium für lim inf.
So kann man auch R aus Q konstruieren. Z. B. sup{x ∈ Q : x2 < 2} =
√
2.
7 Konvergenzkriterien für Reihen
Es gilt (Beweis vielleicht später)
π
∞
X
(−1)n
4
1
−
2n + 1 52n+1
2392n+1
n=0
∞
X
4
1
= 4
−
+4
···
5 29
n=1
|
{z
}
=
4
←− arctan (später)
= 3804
1195 =3,18...
Problem: Fehlerabschätzung! Verwandt dazu: Konvergenz.
Wenden wir das Vollständigkeitsaxiom (Axiom 5.1) über die Konvergenz von
Cauchyfolgen auf die Folge der Partialsummen unendlicher Reihen an, so ergibt sich
Satz 7.1: (Cauchykriterium)
Sei (an )n eine Folge reeller Zahlen, so konverP∞
giert die Reihe n=0 an genau dann, wenn zu jedem ε > 0 ein N ∈ N existiert,
so daß für alle m, k ≥ N
m
X an < ε
(87)
n=k
42
Beweis:
7 Konvergenzkriterien für Reihen
Die Folge der Partialsummen ist eine Cauchyfolge.
2
Insbesondere folgt (mit m = k):
Korollar 7.2: Eine notwendige,
aber nicht hinreichende Bedingung für die
P∞
Konvergenz einer Reihe n=0 an ist limn→∞ an = 0.
P∞
Satz ?? zeigt anhand der divergenten harmonischen Reihe n=1 n1 , daß die
Umkehrung nicht gilt.
P∞
Satz 7.3: Eine Reihe n=0 an mit an ≥ 0 konvergiert genau dann, wenn die
Folge ihrer Partialsummen beschränkt ist.
Beweis: Wegen an ≥ 0 ist die Folge der Partialsummen monoton wachsend.
Damit folgt die Konvergenz aus dem Satz 6.3 über die Konvergenz monotoner
beschränkter Folgen. Ist hingegen die Folge der Partialsummen unbeschränkt,
so divergiert die Reihe.
2
Beispiel 7.1: Die Reihe
Abschätzung
m
X
1
2
n
n=1
=
P∞
1
n=1 n2
1+
ist konvergent, dies folgt aus Satz 7.3 und der
m
X
1
2
n
n=2
<
1+
m
X
n=2
<
1+
1
n(n − 1)
∞
X
1
n(n
− 1)
n=2
|
{z
}
=1nach Beispiel 4.3
Die Berechnung dieses Grenzwerts war ein berühmtes Problem im 17./18. Jh. bis
P
1
π2
Euler (1707–1783) bewies, daß ∞
n=1 n2 = 6 .
Für alternierende Reihen, d. h. Reihen, deren Glieder ein abwechselndes Vorzeichen haben, fand Leibniz (1646–1716):
Satz 7.4: (Leibnizsches Konvergenzkriterium) Sei (an )n eine monotone, fallende
P∞ Folgen nicht negativer Zahlen mit limn→∞ an = 0. Dann konvergiert
n=0 (−1) an .
7.1 Absolute Konvergenz
Beweis:
43
(Beweisskizze) Sei sm =
P∞
n
n=0 (−1) an .
Dann folgt
s1 ≤ s3 ≤ · · · ≤ s2 ≤ s0 .
Es folgt:
lim |s2m − s2m+1 | = lim a2m+1 = 0,
m→∞
m→∞
2
was die Konvergenz zeigt.
P∞
Beispiel 7.2: Im Gegensatz zur divergenten harmonischen Reihe
P
(−1)n+1
die alternierende harmonische Reihe ∞
mit Grenzwert
n=1
n
1
n=1 n
konvergiert
∞
X
(−1)n+1
1
1
1
= 1 − + − ± · · · = log 2
n
2
3
4
n=1
(Beweis später).
Beispiel 7.3: Ebenso folgt mit dem Leibnizkriterium die Konvergenz von
Hier gilt: 1 − 13 + 15 − 17 ± · · · = π4 .
Beispiel 7.4: Die Reihe
P∞ (−1)n
n=0
√
n
+
1
n
(−1)n
n=0 2n+1 .
P∞
hingegen ist divergent.
7.1 Absolute Konvergenz
P∞
P∞
Eine Reihe n=0 an heißt absolut konvergent, falls n=0 |an | konvergiert. Klar
ist, daß eine absolut konvergente Reihe auch im herkömmlichen Sinne konvergiert:
m
m
X X
(88)
an ≤
|an |
n=k
n=k
(Den Rest macht Satz 7.1).
Wichtig in der Praxis:
P∞
Satz 7.5: (Majorantenkriterium) Sei n=0 bn eine konvergente Reihe mit
lauter nichtnegativen P
Gliedern bn und (an )n eine Folge mit |an | ≤ bn . Dann
∞
konvergiert die Reihe n=0 an absolut.
P∞
P∞
Die Reihe n=0 bn ist dann eine Majorante für die Reihe n=0 an .
44
Beweis:
7 Konvergenzkriterien für Reihen
Zu vorgegebenem ε > 0 existiert ein N , so daß für alle m ≥ k ≥ N
m
X bn < ε
n=k
(nach der Definition der Konvergenz und Satz 7.1).
Dann gilt für dieselben m ≥ k ≥ N aber auch
m
X
|an | ≤
n=k
m
X
bn < ε.
n=k
Nach dem
Satz 7.1 folgt die Konvergenz der Reihe
PCauchykriterium
∞
Also ist n=0 an absolut konvergent.
P∞
n=0
|an |.
2
Entsprechend haben wir auch ein Vergleichskriterium für divergente Reihen:
P∞
Satz 7.6: Ist n=0 bn eine divergente Reihe mit nichtnegativen Gliedern bn
und (an )n eine Folge mit an ≥ bn für (fast) alle n ∈ N, so divergiert auch
∞
X
an
(89)
n=0
P∞
(ansonsten
n=0 an eine konvergente Majorante für die divergente
P∞ wäre ja
Reihe n=0 bn ).
P∞
P∞
Die Reihe n=0 bn ist dann eine Minorante für die Reihe n=0 an .
P∞
Satz 7.7: (Quotientenkriterium) Sei n=0 an eine Reihe mit an 6= 0 für alle
n ≥ N . Gibt es dann eine Zahl γ mit 0 < γ < 1, so daß
an+1 (90)
an ≤ γ für alle n ≥ N ,
P∞
so konvergiert die Reihe n=0 an absolut.
Beweis: O. B. d. A. sei an 6= 0 für alle n ∈ N (endlich viele Summanden
beeinträchtigen nicht die Konvergenz). Per Induktion zeigt man:
(90)
(90)
(90)
(90)
|an+1 | ≤ γ|an | ≤ γ 2 |an−1 | ≤ · · · ≤ γ n |a0 |.
7.1 Absolute Konvergenz
45
P∞
P∞
Damit ist die geometrische Reihe n=0 |a0 |γ n eine Majorante für n=0 |an |
ist. Wegen 0 < γ < 1 folgt aus Satz 4.1:
∞
X
|a0 |γ n
|a0 |
=
n=0
∞
X
γn
|a0 | ·
=
n=0
1
.
1−γ
2
Mit dem Majorantenkriterium (Satz 7.5) folgt die Behauptung.
Beispiel 7.5: Die Reihe
(n+1)2
2n+1
n2
n
2
2
P∞
n
n=0 2n
konvergiert, denn für n ≥ 3 gilt:
2
(n + 1)2 2n
1
1
=
1+
=
n2 2n+1
2
n
≤
1
2
2
1
8
1+
=
3
9
<
1.
P
1
Beispiel 7.6: Die Reihe ∞
n=1 n+2 kann nicht mit dem Quotientenkriterium (Satz
7.7) behandelt werden. Zwar ist
1 n+2
1
n+3 =1−
1 =
n+2 n+3
n+3
aber wegen limn→∞ 1 −
1
n+3
<
1,
= 1 kennen wir kein γ < 1 mit
0<1−
1
<γ<1
n+3
finden.
P
1
Tatsächlich ist die Reihe ∞
n=1 n+2 divergent, was aus unserem Divergenzkriterium
im Vergleich mit der divergenten harmonischen Reihe folgt:
∞
∞
X
1X1
1
≤
.
3 n=1 n
n
+
2
n=1
Jetzt zu einer merkwürdigen Entdeckung von Riemann (1806–66):
P∞
Sei S : N → N eine
P∞bijektive Abbildung. Dann heißt n=0 aS(n) eine Umordnung der Reihe n=0 an ; sie besteht aus denselben Summanden, nur in einer
anderen Reihenfolge aufsummiert (sofern S 6= id).
Im Gegensatz zu endlichen Reihen kann eine Umordnung unendlicher Reihen
viel zerstören.
46
8 Funktionen und Stetigkeit
P∞
Satz 7.8: (Riemannscher Umordnungssatz ) Sei n=0 an eine konvergente,
aber nicht absolut konvergente Reihe und c eine beliebige reelle Zahl oder ±∞.
Dann gibt es eine Bijektion σ : N → N, so daß
∞
X
aσ(n) = c.
(91)
n=0
P∞
Ist
auch jede Umordnung
P∞hingegen n=0 an absolut konvergent, so konvergiert
P∞
n=0 aσ(n) , und zwar gegen den Grenzwert
n=0 an . Dies zeigt wie wichtig
absolute Konvergenz“ ist!
”
Beweis: Wir geben lediglich ein Beispiel für den ersten Teil des Satzes. Nach
Beispiel (2) ist
∞
X
1 1
(−1)n+1
= 1 − + ± ···
n
2 3
n=1
n+1 P1
P konvergent, aber nicht absolut konvergent ( (−1)n =
n : harmonische
Reihe). Wir ordnen diese Reihe nun so um, daß die Umordnung gegen +∞
divergiert.
1
1
1
1 1 1
1 −
+
−
+
+ −
+ ···
2
3
4
5 7 6
1
1
1
1
+ n
+ · · · + n+1
+
.
+
2n + 1
2 +3
2
−1
2n + 2
2
8 Funktionen und Stetigkeit
Zwischen der in m/s (Meter pro Sekunde) gemessenen Schallgeschwindigkeit c
und der in Grad Celsius gemessenen Lufttemperatur ϕ besteht die Relation
r
ϕ
c = 331, 50 1 +
für ϕ > 273.
(92)
273
Der Funktionsbegriff ist zentral in der Analysis (motiviert durch die Physik).
Zu beliebigen Mengen A und B versteht man unter einer Funktion f : A → B
eine Vorschrift, die jedem x ∈ A einen bestimmten Punkt y = f (x) ∈ B als
Funktionswert zuordnet. A heißt dabei Definitions-, und B Wertebereich.
8.1 Polynome
47
Der Graph von R ist die Menge {(x, y) ∈ A × B : y = f (x)}.
Beispiel 8.1:
(1) konstante Funktionen: Zu c ∈ R sei f : R → R, x 7→ f (x) = c.
(2) die identische Funktion: id : R → R, x 7→ id(x) = x.
(3) der reelle Absolutbetrag abs : R → R≥0 , x 7→ abs(x) = |x|.
(4) die Quadratwurzel:
sqrt : R≥0 = {x ∈ R : x ≥ 0} → R≥0 ,
x 7→ sqrt(x) =
(5) die Dirichletfunktion: ϑ : [0, 1] → {0, 1}, x 7→ ϑ(x) =
y
1,
0,
y
6
(1)
@
6
@
@
@
-x
(2)
x∈Q
x 6∈ Q
y
6
-x
√
x.
-x
(3)
8.1 Polynome
Eine größere Klasse von Funktionen sind die rationalen Funktionen zu a0 , a1 , . . . , an ∈
R heißt Polynom:
p:R
x
−→ R
7→
p(x) =
n
X
ak xk = an xn + · · · + a1 x + a0
(93)
k=0
Etwas allgemeiner versteht man unter dem Quotienten zweier Polynome eine
rationale Funktion:
r : D −→ R
,
(94)
x 7→ p(x)
q(x)
wobei p und q Polynome sind und D := {x ∈ R : q(x) 6= 0}.
Sind f, g : D → R Funktionen, so erklären wir rationale Operationen auf diesen
vermöge
f + g : D −→ R
(95)
x 7→ (f + g)(x) := f (x) + g(x)
48
8 Funktionen und Stetigkeit
(Superposition) und
f · g : D −→
x 7→
R
,
(f · g)(x) := f (x) · g(x)
(96)
und schließlich
f
g
: D −→ R
x 7→ fg (x) :=
f (x)
g(x)
,
(97)
wobei D0 = {x ∈ R : g(x) 6= 0}.
Damit entstehen alle rationalen Funktionen aus der Identität und der konstanten Funktion 1 aus diesen Operationen.
Zu Funktionen f : D → R, g : E → R mit Bild
f (D) := {y ∈ R : y = f (x) für x ∈ D} ⊂ E
(98)
erklären wir die Komposition
(g ◦ f ) : D −→
x 7→
R
(g ◦ f )(x) := g(f (x))
(99)
Zeichnung: Mengendiagramme magenta, orange, weiß
Beispielsweise gilt mit sq : R → R≥0 , x 7→ x2 , dann
(sqrt ◦ sq) = sqrt(x2 ) =
√
x2 = |x| = abs(x).
8.2 Grenzwerte von Funktionen
Ein Punkt a ∈ R heißt Berührpunkt von D ⊂ R, wenn es eine Folge (an )n mit
an ∈ D
(100)
für alle n ∈ N gibt, so daß limn→∞ an = a.
Klar: Jedes a ∈ D ist selbst Berührpunkt, aber u. U. gibt es Berührpunkte
außerhalb von D. (0, 1) hat so die zusätzlichen“ Berührpunkte 0 und 1.
”
8.2 Grenzwerte von Funktionen
49
Definition: Sei nun f : D → R eine Funktion und a ein Berührpunkt von D,
so schreiben wir
lim f (x) = c oder
lim f (x) = c
(101)
x→a
n→∞
falls für jede Folge (xn )n mit xn ∈ D und
lim xn = x
(102)
lim f (xn ) = c
(103)
n→∞
der Grenzwert
n→∞
existiert.
lim f (x) = c bzw.
x&a
lim f (x) = c,
(104)
(bzw. xn < a)
(105)
x%a
wenn für jede Folge (xn )n mit
xn ∈ D,
xn > a
und limn→∞ xn = a auch limn→∞ f (xn ) = c.
(Def. 8.1)
Dann gilt folglich limx→a f (x) = c wenn
lim f (x) = c und
x&a
lim f (x) = c,
x%a
(106)
d. h. limx&a f (x) = limx%a f (x) = c.
Definition: Ein asymtotisches Verhalten von Funktionen, d. h. für sehr große
(bzw. kleine) x gegen einen festen, endlichen Wert strebt, wird angegeben durch
lim f (x) = c
bzw. lim f (x) = c
(107)
n→+∞
x→−∞
wenn der Definitionsbereich D nach oben (bzw. nach unten) unbeschränkt ist
und für jede Folge (xn )n mit xn ∈ D und
lim xn = +∞
n→∞
auch limn→∞ f (xn ) = c gilt.
(bzw. −∞)
(108)
(Def. 8.2)
Also: Der Grenzwertbegriff für Funktionen wurde auf den Grenzwertbegriff
für Folgen zurückgeführt, indem der Funktionsbegriff auf die Folgengrenzwerte
angewandt wurde: f ((xn )n ).
Beispiel 8.2:
50
8 Funktionen und Stetigkeit
(1) Für den reellen Absolutbetrag gilt limx→0 |x| = 0, denn mit limn→∞ xn = 0
gilt insbesondere limn→∞ |xn | = 0.
(2) Die Dirichletfunktion ϑ besitzt nirgends einen Grenzwert, da
lim ϑ(xn ) =
n→∞
1
0
falls (xn )n konvergiert und xn ∈ Q
falls (xn )n konvergiert und xn ∈
6 Q
(3) für die rationale Funktion r(x) =
gilt
y
6
1
lim r(x) = ,
n→a6=0
a
und
1
x
lim r(x) = −∞
x%
-x
lim r(x) = +∞.
n&∞
(4) für ein Polynom p(x) = xn + an−1 xn−1 + · · · + a0 gilt
lim p(x) = +∞,
x→∞
denn für x ≥ B = max(1, 2m|an−1 |, . . . , 2m|a0 |) ist
p(x)
4-Ungl.
=
≤
|{z}
2m|am −1|≤x
x
−|am −1|≥
2m
xm − |am−1 |xm−1 + · · · + |a0 |
x
x xm −
xm−1 + . . . +
2m
2m
xm −
≤
1 m
x
2
=
1 m
x .
2
Sei nun (xn )n eine Folge mit limn→∞ xn = +∞, so gilt xn ≤ B für hinreichend
große n, und damit gilt
p(xn )
≥
1 m
xn
2
≥
1
xn .
2
y
(109)
6
c
Also limn→∞ = +∞. Damit limx→∞ p(x) = +∞.
Jetzt wird’s wichtig:
-x
8.3 Stetigkeit
51
8.3 Stetigkeit
Definition: Sei f : D → R eine Funktion und a ∈ D, dann heißt f stetig
in a, falls lim f (x) = f (a). f heißt stetig in D, falls f stetig in allen Punkten
x→a
a ∈ D ist.
(Def. 8.3)
Offensichtlich sind konstante Funktionen stetig, ebenso die Identität id. Ferner
ist r(x) = x1 nach Beispiel 8.2 (3) stetig für x 6= 0, nicht aber in x = 0. Und die
Dirichletfunktion ϑ(x) aus Beispiel 8.1 (5) ist nirgends stetig.
Satz 8.1: Seien f, g : D → R in a stetige Funktionen. Dann sind auch die
Funktionen f + g und f · g stetig in a. Ist ferner g(a) 6= 0, so ist auch fg stetig
in a.
Beweis: Sei (xn )n eine Folge mit xn ∈ D und limn→∞ xn = a. Nach Voraussetzung ist
lim f (xn ) = lim f (x) = f (a)
(110)
n→∞
x→a
und
lim g(xn ) = g(a).
n→∞
(111)
Damit folgt die Behauptung aus den Rechenregeln für Zahlenfolgen aus Satz
3.3.
2
Da die rationalen Funktionen durch rationale Operationen aus den stetigen
Funktionen id und x 7→ 1 entwickelbar sind, folgt
Korollar 8.2:
Rationale Funktionen sind stetig auf ihrem Definitonsbereich.
Satz 8.3: Seien f : D → R und g : E → R Funktionen mit f (D) ⊂ E. Ist f
stetig in a ∈ D und g stetig in b = f (a), so ist auch g ◦ f stetig in a.
Beweis: Sei (xn )n eine Folge in D und limn→∞ f (xn ) = f (a). Nach Voraussetzung ist xn := f (xn ) ∈ E sowie
lim xn = lim f (xn ) = f (a) = b.
n→∞
n→∞
Aus der Stetigkeit von g in b ergibt sich limn→∞ g(yn ) = g(b).
(112)
52
8 Funktionen und Stetigkeit
Damit folgt
lim (g ◦ f )(xn )
n→∞
=
lim g (f (xn ))
n→∞
= g(b)
=
=
g(f (a))
lim g(yn )
n→∞
=
(g ◦ f )(a).
2
Beispiel 8.3: Der Absolutbetrag ist stetig, dies folgt mit der Fallunterscheidung
• für a > 0 ist abs(a) = a = id(a).
• für a = 0 hatten wir bereits limn→∞ = 0 für jede Folge (xn )n
• für a > 0 ist abs(a) = −a = −id(a).
Satz 8.4:
(Zwischenwertsatz ) Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit
f (a) < 0 < f (b)
(bzw. f (b) < 0 < f (a))
(113)
Dann besitzt f eine Nullstelle in (a, b), d. h. es gibt η (sprich: eta) mit a < η < b
und f (η) = 0.
Beweis:
mittels Intervallschachtelung (à la Bolzano-Weierstraß).
Wir konstruieren eine Folge von Intervallen [an , bn ] ⊂ [a, b] mit:
(1) [an , bn ] ⊂ [an−1 , bn−1 ] für alle n ≥ 1
(2) bn − an = 2−n (b − a) für alle n ≥ 1
(3) f (an ) ≤ 0 ≤ f (bn ) für alle n ≥ 1
8.3 Stetigkeit
53
Dazu setzen wir zunächst [a0 , b0 ] = [a, b]. Ist [an , bn ] mit den Eigenschaften
n
(1)–(3) bereits konstruiert, so sei m = an +b
und setzen
2
[an+1 , bn+1 ] =
[an , m], falls f (m) ≥ 0
[m, bn ], sonst.
(114)
Dies erfüllt die Eigenschaften (1)–(3) (Induktionsschritt). Die Folge [an , bn ] mit
(1)–(3) existiert. Damit ist die Folge der an monoton wachsend, die Folge der
bn monoton fallend, beide sind beschränkt, also konvergieren (an )n und (bn )n .
Wegen (3) gilt:
lim an = lim bn
n→∞
n→∞
lim 2−n = 0 .
(115)
n→∞
Sei jetzt η := lim an . Klar ist η ∈ [a, b]. Aufgrund der Stetigkeit von f gilt
n→∞
lim f (an ) = f (η) = lim f (bn ).
n→∞
(116)
n→∞
Mit Satz 3.4 zeigt sich über (3)
f (η) = lim f (an )
n→∞
≤
0
≤
lim f (bn ) = f (η).
Also ist f (η) = 0, und offensichtlich f (η) ∈ (a, b).
Der Beweis ist konstruktiv. Wir finden gute Näherungen für
1
1
5
4
..
.
√
< √2 <
< √2 <
2 <
<
..
.
2
3
2
3
2
..
.
(117)
n→∞
√
2
2:
y 6
3
2
1
√
2
-x
2
−2
Korollar 8.5: Sei f : [a, b] → R stetig und c ∈ R genüge f (a) < c < f (b).
Dann gibt es ein λ ∈ (a, b) mit f (λ) = c.
54
8 Funktionen und Stetigkeit
Beweis: Folgt aus Anwendung des Zwischenwertsatzes (Satz 8.4) auf die
Funktion f (x) − c.
2
Korollar 8.6: Ist I ein Intervall und f : I → R stetig, so ist auch f (I) =
{y ∈ R : y = f (x) für ein x ∈ I} ein Intervall.
Beweis:
(a, b).
Nach Korollar 8.5 ist jedes c ∈ (f (a), f (b)) Funktionswert eines λ ∈
2
Eine Funktion f : D → R heißt beschränkt, wenn die Menge f (D) beschränkt
ist, d. h. es gibt eine Konstante B, so daß |f (x)| ≤ B für alle x ∈ D. Ein
Intervall heißt kompakt, wenn es beschränkt und abgeschlossen ist.
Satz 8.7: Eine in einem kompakten Intervall stetige Funktion f : [a, b] → R
ist beschränkt und nimmt ihr Maximum und Minimum an, d. h. es gibt ω, ζ ∈
[a, b], so daß
f (ω) = inf{f (x) : x ∈ [a, b]} und f (ζ) = sup{f (x) : x ∈ [a, b]}.
Die Aussage ist falsch, wenn eine der Intervallgrenzen offen ist, z. B. x 7→
(0, 1].
(118)
1
x
auf
Beweis: Es genügt, den Beweis nur für das Maximum zu führen; der Übergang von f nach −f liefert dann die Aussage für das Minimum.
Sei
B := sup{f (x) : x ∈ [a, b] ∈ R ∪ {∞}.
Dann existiert eine Folge (xn )n mit xn ∈ [a, b], so daß limn→∞ f (xn ) = B
(Stetigkeit von f ). Aus der Beschränktheit der Folge (xn )n ergibt sich mit Satz
6.2 die Existenz einer konvergenten Teilfolge (xnk )k mit
lim xnk = ζ ∈ [a, b].
k→∞
Aus der Stetigkeit von f ergibt sich nun f (ζ) = limk→∞ f (xnk ).
Für die Praxis ist folgendes ε-δ-Kriterium der Stetigkeit äußerst wichtig:
2
8.3 Stetigkeit
55
Satz 8.8: Sei D ⊂ R, f : D → R eine Funktion. f ist genau dann in a ∈ D
stetig, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 existiert ein δ > 0, so daß |f (x) − f (a)| < ε
für alle x ∈ D mit |x − a| < δ.
f ist also genau dann in a stetig, wenn der Funktionswert f (x) von f (a) beliebig
wenig abweicht, sofern nur x hinreichend nahe bei a liegt:
y6
}
2δ
s
f (a)
a
} 2ε
-x
ε-δ-Kriterium der Stetigkeit
Beweis:
• (‘⇐=’):
Angenommen, zu jedem ε > 0 existiert ein δ > 0, so daß |f (x) − f (a)| < ε
für alle x ∈ D mit |x − a| < δ.
Es ist zu zeigen, daß für jede Folge (xn )n mit limn→∞ xn = a auch
limn→∞ f (xn ) = f (a) gilt.
Wegen limn→∞ xn=a gibt es ein N , so daß |xn − a| < δ für alle n ≥ N .
Nach Voraussetzung folgt |f (xn ) − f (x)| < ε für alle n ≥ N .
• (‘=⇒’):
Angenommen, für jede Folge (xn )n in D mit limn→∞ xn = a gilt limn→∞ f (xn ) =
f (a).
Dann ist zu zeigen, daß zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert mit |f (x) −
f (a)| < ε für alle x ∈ D mit |x − a| < δ. Wir zeigen dies mittels Kontraposition (d. h. die Implikation A ⇒ B ⇔ ¬B ⇒ ¬A).
56
8 Funktionen und Stetigkeit
Angenommen, es gibt ein ε > 0, so daß für alle δ > 0 und alle x ∈ D mit
|x − a| < δ stets |f (x) − f (a)| ≥ ε. Dann existiert zu jedem n ≥ 1 ein
x1 ∈ D mit
1
und |f (xn ) − f (a)| ≥ ε.
(119)
|xn − a| <
n
Also gilt limn→∞ xn = a und nach Voraussetzung limn→∞ f (xn ) = f (a),
im Widerspruch zu |f (xn ) − f (a)| ≥ ε.
2
Korollar 8.9: Sei f : D → R stetig in a ∈ D und f (a) 6= 0. Dann gilt
f (x) 6= 0 für alle x in einer hinreichend kleinen Umgebung von a (d. h. es gibt
ein δ > 0, so daß f (x) 6= 0 für alle x ∈ D und |x − a| < δ).
Beweis: Zu ε := |f (a)| > 0 gibt es nach Satz 8.8 ein δ > 0, so daß |f (x) −
f (a)| < ε für alle x ∈ D mit |x − a| < δ. Damit folgt über die Dreiecksungleichung
|f (x)|
4−U ngl.
≥
|f (a)| − |f (x) − f (a)| > 0
| {z } |
{z
}
=ε
(120)
<ε
2
Wir benötigen einen noch filigraneren Stetigkeitsbegriff: Eine Funktion f : D →
R heißt gleichmäßig stetig in D, wenn gilt:
Für jedes ε > 0 gibt es ein δ > 0, so daß für alle x, y ∈ D mit |x − y| < δ
gilt: |f (x) − f (y)| < ε (gewissermaßen dasselbe δ für alle Punkte y in der alten
Stetigkeitsbedingung).
Damit ist natürlich jede gleichmäßig stetige Funktion f : D → R auch in jedem
Punkt a ∈ D stetig. Die Umkehrung gilt jedoch nicht.
Beispiel 8.4: Die Funktion f : (0, 1] → R, x 7→ x1 ist stetig, aber nicht gleichmäßig
stetig. δ läßt sich nicht unabhängig von a ∈ (0, 1] wählen.
Angenommen, f wäre gleichmäßig stetig, so gäbe es zu ε = 1 ein δ > 0, so daß für
alle x, y ∈ (0, 1] mit |x − y| < δ auch |f (x) − f (y)| < 1 gelten würde.
1 1
<δ
Widerspruch über die Existenz eines n ∈ N mit n ≥ 1 und |x−y| = n1 − 2n
= 2n
1
1
und |f ( n ) − f ( 2n )| = |n − 2n| = n ≥ 1.
Satz 8.10:
stetig.
Eine auf einem kompakten Intervall stetige Funktion ist gleichmäßig
9 Die Exponentialfunktion
57
Beweis: Angenommen, f : D → R sei nicht gleichmäßig stetig. Dann gibt
es ein ε > 0, so daß zu jedem 1 ≤ n ∈ N Punkte xn , yn ∈ D = [a, b] gibt mit
|xn − yn | < n1 und |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε.
Nach Satz 6.2 (Bolzano-Weierstrass) besitzt die beschränkte Folge (xn )n
eine konvergente Teilfolge (xnk )k mit Grenzwert
z = lim xnk ∈ [a, b],
(121)
n→∞
(die Zugehörigkeit von z ∈ [a, b] folgt aus Satz 3.4).
Wegen
1
1 1
−
xn
< nk
y
n
k
k
ist limk→∞ ynk = z. Aus der Stetigkeit von f folgt
lim (f (xnk ) − f (ynk )) = f ( lim ) − f ( lim )ynk ) = f (z) − f (z) = 0,
k→∞
k→∞
k→∞
2
im Widerspruch zu |f (xnk ) − f (ynk )| ≥ ε.
9 Die Exponentialfunktion
In der Zinsrechnung ist cn der Faktor, um den sich ein Kapital beim Zinssatz
100% in einem Jahr erhöht, wenn n mal aufgezinst wird.
jährlich:
monatlich:
täglich:
c1 = (1 + 1)1 = 2
1 12
= 2, 613 . . .
c12 = 1 + 12
1 365
= 2, 714 . . .
c365 = 1 + 365
Weitere Werte legen die Konvergenz von cn = 1 +
1 n
n
Tatsächlich gilt7
lim
n→∞
1
1+
n
n
=
∞
X
1
= e.
n!
n=0
e ist die Eulersche Zahl (aus dem Jahre 1742).
7 siehe
Übungsaufgaben 6.3 und 7.2
bei n → ∞ nahe!
58
9 Die Exponentialfunktion
Definition: Wir definieren allgemeiner die Exponentialfunktion durch
exp : R → R,
x 7→ exp(x) =
∞
X
xn
.
n!
n=0
(122)
(Def. 9.1)
Satz 9.1:
Für alle x ∈ R ist die Exponentialreihe
∞
X
xn
x2
=1+x+
+ ···
n!
2
n=0
(123)
absolut konvergent.
Beweis: mit dem Quotientenkriterium (Satz 7.7). Mit an =
(der Fall x = 0 ist trivial) und n ≥ 2|x|
an+1 xn+1
n! |x|
=
an (n + 1)! + xn = n + 1
<
xn
n!
gilt für x 6= 0
1
.
2
2
Hinweis:
Das Quotientenkriterium und Beweise vermöge dessen Aussagekraft sind
von zentraler Bedeutung.
Die Exponentialreihe eignet sich wunderbar, die Exponentialfunktion zu approximieren.
Lemma 9.1:
Für alle x mit |x| ≤ 1 +
N
X
xn exp(x) −
n! n=0
N
2
gilt:
<
2
|x|N +1
.
(N + 1)!
9 Die Exponentialfunktion
59
Beweis: Mit Hilfe der geometrischen Reihe (Satz 4.1) zeigt sich für den Reihenrest
N
∞
∞
X
X
X
xn |x|n
xn exp(x) −
= ≤
n! n! n!
n=0
n=N +1
N +1
=
=
n=N +1
N +2
|x|
|x|N +3
|x|
+
+
+ ···
(N + 1)! (N + 2)! (N + 3)!
|x|N +1
|x|
|x|
1+
+
+ ···
(N + 1)!
N + 2 (N + 2)(N + 3)
|
{z
}
2
|x|
|x|
< 1+ N +2 +( N +2 ) +···
P∞
j
|x|
1
=
<2
j=0 ( N +2 ) =
|x|
1−
N +2
N +1
< 2
|x|
,
(N + 1)!
wobei
|x|
N +2
< 12 .
2
Satz 9.2:
e = exp(1) ist irrational.
Beweis: Angenommen, e = ab mit o. B. d. A. teilerfremden a, b ∈ N, b 6= 0.
Dann ist für jedes N ∈ N mit N ≥ b
!
N
N
X
1
N! X N!
ξN := N ! e −
=a
−
(124)
n!
b
n!
n=0
n=0
eine ganze Zahl. Andererseits gilt nach dem Lemma
∞
X
0 < ξN =
n=N +1
N!
2
1
· N! < 2
=
<1
n!
(N + 1)!
N +1
2
für N ≥ 2. Widerspruch.
Eine wichtige Eigenschaft der Exponentialfunktion
Satz 9.3:
(Funktionalgleichung) Für alle x, y ∈ R gilt
exp(x + y) = exp(x) · exp(y).
Für den Beweis benötigen wir
(125)
60
9 Die Exponentialfunktion
P∞
P∞
Lemma 9.2: (Cauchyprodukt) Es seien n=0 an und n=0 bn absolut konvergente (siehe §7.1) unendliche Reihen. Dann gilt
∞
X
!
·
an
n=0
wobei cn =
Beweis:
Pn
k=0
∞
X
!
bn
=
n=0
∞
X
cn ,
(126)
n=0 cn
ist absolut konvergent.
n=0
ak bn−k , und auch die Reihe
P∞
Wir definieren uns die Partialsummen
AN =
N
X
ak ,
BN =
N
X
bl ,
CN =
cn .
n=0
l=0
k=0
N
X
Dann gilt
AN BN − Cn =
N
X
k=0
ak
N
X
bl −
N
X
cn
N X
N
X
=
n=0
l=0
ak bl −
N X
n
X
ak bn−k
n=0 k=0
k=0 l=0
und mit 0 ≤ l = n − k ≤ N − k (bzw. k + l ≤ N ) (Idee!)
X
=
X
ak bl .
0≤k,l≤N k+l>N
In der Summation 0 ≤ k, l ≤ N, k + l > N ist mindestens ein Index >
Damit folgt
|AN BN − Cn |
4-Ungl. X
≤
k> N
2
|ak |
∞
X
|al | +
l=0
X
N
2.
|bl |
l> N
2
P∞
P∞
Da die Reihen
strebt die rechte
k=0 ak und
l=0 bl absolut konvergieren,
P∞
Seite bei N → ∞ gegen Null. Also konvergiert n=0 cn . Wegen
|cn | ≤
n
X
|ak | · |bn−k |
(127)
k=0
P∞
P∞
liefert das bislangPBewiesene angewandt auf k=0 |ak | und P
l=0 |bl | auch die
∞
∞
Konvergenz von n=0 |cn |, also die absolute Konvergenz von n=0 cn .
2
9 Die Exponentialfunktion
61
Beweis: (von Satz 9.3 – Funktionalgleichung) Bilden wir das Cauchyprodukt
der absolut konvergenten Exponentialreihen (Satz 9.1), so erhalten wir mit dem
binomischen Lehrsatz (Satz 1.4)
n
n X
X
n 1 k n−k
xk y n−k
(x + y)n
=
x y
=
.
cn =
k! (n − k)!
k n!
n!
k=0
(128)
k=0
Also folgt
exp(x) · exp(y) =
∞
X
xk
k=0
!
k!
∞
X
yl
k=0
!
l!
= exp(x + y).
(129)
2
Aus der Funktionalgleichung folgt exp(x) · exp(−x) = exp(0) = 1, und vermöge
exp(x) = 1 + x + · · · ≥ 1 + x für x ≥ 0
(positiv!)
(130)
folgt
Korollar 9.4: Für alle x ∈ R gilt 0 < exp(x) =
exp keine Nullstellen.
1
exp(−x) .
Insbesondere hat
y
6
exp(x)
1
f
- x
Ferner zeigt man leicht per vollständiger Induktion exp(n) = en (deshalb
schreibt man auch ex statt exp(x)).
Satz 9.5:
Die Exponentialfunktion exp ist in jedem Punkt a ∈ R stetig.
62
Beweis:
9 Die Exponentialfunktion
Dazu haben wir zu zeigen
lim exp(x) = exp(a).
n→∞
Sei (xn )n eine beliebige Folge mit limn→∞ xn = a. Dann gilt für die Folge (yn )n
mit yn = xn − a natürlich limn→∞ yn = 0.
Also gibt es ein N , so daß |yn | < 1 für alle n ≥ N.
Mit Lemma 9.1 folgt | exp(yn ) − 1| ≤ 2|yn | für n ≥ N. Daraus folgt
lim exp(xn − a) = lim exp(yn ) = 1.
n→∞
n→∞
Mit der Funktionalgleichung folgt
lim exp(xn )
n→∞
=
=
lim (exp(a) · exp(xn − a))
n→∞
exp(a) · lim exp(xn − a)
n→∞
=
exp(a).
2
9.1 Das Wachstum von Funktionen
Die Exponentialfunktion wächst rasend schnell“. Wir beschreiben dies durch
”
die Landau-Symbole ‘klein-oh’ (O) und ‘groß-oh’ (O) nach E. Landau (1877–
1938). Wir schreiben
f (x) = O(g(x))
falls
lim
x→∞
f (x)
= 0,
g(x)
(131)
d. h. also zu jedem ε > 0 gibt es ein B > a sowie eine Funktion g(x) mit
g(x) > 0 (wichtig!) für x > B, so daß
|f (x)| < ε · g(x)
für alle x > B.
Dies bedeutet, daß f (x) im Vergleich zu g(x) asymptotisch bei x → ∞ verschwindend klein ist. Ferner schreiben wir
f (x) = O(g(x))
falls
lim sup
n→∞
|f (x)|
< ∞,
g(x)
d. h. wenn es Konstanten c > 0 und B > a gibt, so daß für alle x > B
|f (x)| < c · g(x)
für alle x > B.
(132)
9.1 Das Wachstum von Funktionen
63
Anschauliche Erkläuterungen sind hier gefragt! Das ist zwar
bei Grenzwertprozessen nicht so einfach, aber vielleicht hat ja
jemand eine Idee oder hilfreiche Skizzen?
Beispiel 9.1: Für beliebiges n ∈ N gilt bei n → ∞
(i) xn =
O (exp(x)),
denn: für x > 0 ist exp(x) =
xn
limx→∞ exp(x)
(ii) exp(−x) = O(x−n ), dies folgt aus exp(−1) =
(iii)
= O(1), d. h.
exp( x1 )
>
xn+1
,
(n+1)!
also folgt
2 Die Exponentialfunktion wächst
limx→∞ (n+1)!
x
0≤
≤
= 0.
also schneller als jede Potenz von x!
exp( x1 )
xk
k=0 k!
P∞
1
exp(x)
und (1).
ist beschränkt.
Allgemein erklärt man ganz analog
f (x) = O(g(x))
f (x) = O(g(x))
für x → x0
für x → x0
falls lim
x→x0
falls lim sup
x→x0
f (x)
= 0.
g(x)
(133)
|f (x)|
< ∞.
g(x)
(134)
Vorsicht!
Bitte nie vergessen, g(x) > 0 zu wählen!
Wichtig sind die Restglieder der Exponentialreihe!
Im Hinblick auf das Lemma zu Satz 9.1 gilt mit
| exp(x) − (1 + x)| ≤ x2
exp(x) = 1 + x +
( x nahe bei der Null“).
”
Fazit:
∞
X
xn (135)
= 1 + x + O(x2 ) für x → 0
n!
n=2
(135)
(136)
64
9 Die Exponentialfunktion
y
exp(x)
6
1+x
-x
Ähnlich wichtig wie die Exponentialfunktion ist ihre Umkehrfunktion:
9.2 Der Logarithmus
Es heißt, daß sich alle zwei Jahre die Größe des WWW verdoppelt. Wir modellieren dieses Wachstum durch die Funktion t 7→ 2t , wobei t = 1 einem Zeitraum
von zwei Jahren entspricht. Wann ist das Internet zehn Mal so groß wie heute?
Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ist der Logarithmus. Zu seiner
Einführung benötigen wir noch etwas Theorie:
Es sei D ⊂ R und f : D → R eine Funktion. Dann sagen wir

monoton wachsend ,
falls f (x) ≤ f (y),



streng monoton wachsend , falls f (x) < f (y),
f ist
monoton fallend ,
falls f (x) ≥ f (y),



streng monoton fallend ,
falls f (x) > f (y).
für alle x < y, x, y ∈ D.
f (y)
6
f (x)
x
y
streng monoton wachsend
(137)
9.2 Der Logarithmus
65
Satz 9.6: Sei D ⊂ R ein Intervall und f : D → R eine stetige, streng monoton
wachsende (bzw. streng monoton fallende) Funktion.
Dann bildet f das Intervall D ab auf das Intervall D0 = f (D) ab, und die
Umkehrfunktion f −1 : D0 7→ D, definiert durch
f −1 (y) = x für f (x) = y,
(138)
ist ebenfalls stetig und streng monoton wachsend (bzw. streng monoton fallend).
Vorsicht!
f −1 ist nicht zu verwechseln mit
1
f.
Beweis: (Beweisskizze) Nach Korollar 8.6 ist D0 = f (D) ein Intervall. Aufgrund der strengen Monotonie von f ist f : D → D0 bijektiv. Die Stetigkeit
von f −1 folgt aus der Stetigkeit von f mit der Beobachtung f −1 (f (a)) = a
(nach Def.). Dies impliziert mit der Stetigkeit von f :
f −1 ((f (a) − δ, f (a) + δ)) ⊂ (a − ε, a + ε) ⊂ D
(139)
für jedes hinreichend kleine δ > 0 zu gegebenem ε > 0. Randpunkte kann man
ähnlich behandeln.
2
Korollar 9.7:
wachsend mit
Die Exponentialfunktion exp : R → R ist streng monoton
exp(R) = R+ := {y ∈ R mit y > 0}.
y
exp(x)
6
-x
(140)
66
9 Die Exponentialfunktion
Die Umkehrfunktion, der natürliche Logarithmus log : R+ → R ist stetig und
streng monoton wachsend und genügt der Funktionalgleichung:
log(x · y) = log x + log y
Beweis:
∀x, y ∈ R+ .
(141)
Für x < y ist χ := y − x > 0 (χ sprich: ‘chi’) und
exp(y − x) = exp(χ) = 1 + χ + · · · > 1.
(142)
Mit der Funktionalgleichung zeigt sich
exp(y) = exp(χ + x) = exp(χ) exp(x) > exp(x).
(143)
Also ist exp streng monoton wachsend (∗). Für alle n ∈ N gilt exp(n) ≥ 1 + n
und somit ist
∗
1
1
exp(−n) =
≤
.
(144)
exp(n)
n+1
Damit limn→∞ exp(−n) = 0 und limn→∞ exp(+n) = +∞. Es folgt exp(R) =
(0, +∞) = R+ . Der Rest ergibt sich aus Satz 9.6.
2
Hinweis:
Bezüglich des Graphen ist der Logarithmus gerade der an einer Ursprungsgeraden mit der Steigung 1 gespiegelte Graph der Exponentialfunktion:
y
exp(x)
6
log x
x
-x
f −1 (f (a))=a
9.3 Die Exponentialfunktion zur Basis a
67
9.3 Die Exponentialfunktion zur Basis a
Allgemeiner erklärt man für a > 0 die Exponentialfunktion zur Basis a auf R
vermöge
expa (x) := ax := exp(x · log a).
(145)
Die Umkehrfunktion heißt Logarithmusfunktion zur Basis a und wird mit loga
bezeichnet.
Exponentialfunktionen bzw. deren Logarithmus zu verschiedenen Basen lassen
sich leicht ineinander umrechnen.
Hier müssen unbedingt noch die Formel für loga und Beispiele
zu Basenumrechnungen angegeben werden!
Ferner erklären wir für 2 ≤ k ∈ N die k-te Wurzel
√
√
k
: R+ → R, x 7→ k x
(146)
als Umkehrfunktion zur k-ten Potenz x 7→ xk .
Im Falle eines ungeraden ks existiert diese Funktion sogar auf ganz R.
y
y
6
√
2
x2
6
√
3
x3
-x
Graph für k = 2:
-x
Graph für k = 3:
Wir schließen mit einer interessanten Grenzwertbetrachtung: lim
√
n
n→∞
√
n
n=n
also limn→∞
√
n
1
n
2 !
1
log n
log n
+O
,
= exp
· log n = 1 +
n
n
|n {z }
→0
n = 1.
n =?
68
10 Die komplexen Zahlen
10 Die komplexen Zahlen
Unglücklicherweise können wir so einfache Gleichungen wie x2 + 1 = 0 über
den rellen Zahlen nicht lösen. Hier hilft eine Zahlbereichserweiterung.
Definition: Wir definieren die imaginäre Einheit durch i :=
einer komplexen Zahl verstehen wir dann eine Zahl
z =a+i·b
mit a, b ∈ R.
√
−1. Unter
(147)
a heißt Realteil von z, in Zeichen: Re z := a, und b heißt Imaginärteil von z,
inZeichen: Im z := b. Die Menge der komplexen Zahlen bezeichnen wir mit
C = {z = a + i · b, a, b ∈ R}.
(148)
Sie lassen sich visualisieren in der Gaußschen Zahlenebene:
y
6
z=a+ib∼
=(a,b)
b=Im z
s
-x
a=Re z
Damit ist C=R
˜ 2 (siehe Lineare Algebra).
(Def. 10.1)
Vorsicht!
√
i = −1 ist keine reelle Zahl. Klar ist aber, daß R ⊂ C. Wir haben also
nichts aufgegeben, sondern mehr dazubekommen.
Wir erklären nun in Übereinstimmung mit der Vektoraddition im R2 eine Addition vermöge folgender Vorschrift
(a + ib) + (c + id) = (a + c) + i(b + d)
(149)
10.1 Konjugiert komplexe Zahlen
69
sowie eine Multiplikation
∗
(a + ib) · (c + id) = ac − bd + i · (bc + ad),
(150)
denn stupides Ausmultiplizieren (∗) zeigt uns
ac + iad + ibc + i2 bd = ac − bd + i(bc − ad)
(da i2 = −1).
Exkurs
Tatsächlich gilt folgendes:
i, i2 = −1, i3 = −i, i4 = +1, · · · ,
d. h. sie bilden eine . Das hat weitreichende Konsequenzen!
Satz 10.1:
C ist ein Körper, der Körper der komplexen Zahlen.
Beweis: Der Beweis ist leicht, bis auf den Nachweis der Existenz des multiplikativ Inversen:
Sei z = a + ib 6= 0, dann ist
1
z
=
=
1 a − ib
a + ib a − ib
a − ib
1
a − ib
= 2
= 2
(a − ib) ∈ C
2
2
2
a + abi − abi − (ib)
a +b
a + b2
1
a + ib
=
Hier wegen z 6= 0 auch a2 + b2 6= 0.
2
Mehr oder weniger haben wir diesen Satz jetzt bewiesen, und wir haben einen
netten Trick entdeckt: Im Beweis haben wir zwei wichtige zu z assoziierte komplexe Zahlen kennengelerrnt:
10.1 Konjugiert komplexe Zahlen
Für eine komplexe Zahl z = a + ib definiert man die konjugiert komplexe Zahl
durch
z̄ = a − ib,
70
10 Die komplexen Zahlen
dies entspricht in der Gaußschen Zahlenebene einer Spiegelung an der reellen
Achse.
6
s
z=a+ib
b
-R
−b
s
z=a−ib
Damit gilt z̄¯ = z und z = z̄¯ genau für z ∈ R. Ferner ist
Re z = a = 12 (a + ib + a − ib) = 21 (z + z̄)
(151)
Im z = a = 12 (a + ib − (a − ib)) = 21 (z − z̄)
(152)
sowie
Außerdem verifiziert man leicht
z + w = z̄ + w̄,
z · w = z̄ · w̄.
(153)
10.2 Betrag
Die komplexen Zahlen sind nicht angeordnet, denn es gibt Quadrate, die einen
negativen Wert besitzen: i2 = −1.
Genauer: Angenommen i > 0, dann −1 = i2 > 0, was ein Widerspruch ist.
i = 0 ist auch Unsinn. Angenommen i < 0, dann −1 = i2 > 0 (da sich das
Relationszeichen umdreht) – das ist wieder ein Widerspruch.
Also kommen Ungleichungen für komplexe Zahlen nicht in Frage!
Um aber trotzdem einen Begriff der Größe“ auf C zu erhalten, definieren wir
”
den Betrag einer komplexen Zahl z = a + ib durch
p
p
√
|z| = z · z̄ = (a + ib)(a − ib) = a2 + b2 ∈ R.
(154)
Dies ist auch nichts anderes, als der Euklidische Abstand von (a, b) vom Ursprung in R2 .
10.3 Polynome über C
71
6
s
z=a+ib,z=(a,b)
b
√
a2 +b2
a
√
|a+ib|=
-R
a2 +b2
Leicht zeigt sich, daß sämtliche Eigenschaften der Betragsfunktion (Satz 2.1)
erfüllt sind. Damit wird C zu einem bewerteten Körper (siehe S. 20).
1
z
Aus dem Beweis von Satz 10.2 folgt nun
=
z̄
|z|2 .
10.3 Polynome über C
Vieles ist über C ähnlich wie über R (siehe unten), und einige Dinge sind über
C sogar viel natürlicher als über R. Beispielsweise gilt der über R ungültige
Satz 10.2: (Fundamentalsatz der Algebra) Über C besitzt jedes nicht-konstante
Polynom eine Nullstelle.
Beispiel 10.1: z 2 + 1 = (z − i)(z + i).
6
+i
-R
−i
Der Beweis des Fundamentalsatzes ist nur mit Hilfe der Analysis möglich!
10.4 Konvergenz von Folgen und Reihen in C
Eine Folge (cn )n komplexer Zahlen heißt konvergent gegen eine komplexe Zahl
c, falls zu jedem ε > 0 ein N existiert, so daß für alle n ≥ N
|cn − c| < ε.
Wie bei reellen Folgen schreiben wir dann limn→∞ cn = c.
(155)
72
Satz 10.3:
die Folgen
10 Die komplexen Zahlen
Eine Folge (cn )n komplexer Zahlen konvergiert genau dann, wenn
(Re cn )n
und
(Im cn )n
(156)
beide konvergieren.
Im Falle der Konvergenz können wir auch noch den Grenzwert angeben.
lim cn = lim Re cn + i lim Im cn
(157)
n→∞
n→∞
n→∞
Beweis: Sei cn = an + i · bn mit an , bn ∈ R. Angenommen, (cn )n konvergiert
gegen c = a + ib, a, b ∈ R. Dann gibt es zu jedem ε > 0 ein n, so daß für alle
n>N
|cn − c| < ε.
(158)
Damit folgt
|an − a| = |Re (cn − c)|
4-Ungl.
≤
|cn − c|
Also konvergieren (an )n bzw. (bn )n gegen a bzw. b.
Sind andererseits die Folgen (an )n und (bn )n konvergent mit Grenzwerten a
bzw. b, so gibt es zu jedem ε > 0 ein N , so daß für alle n ≥ N
|an − a| <
ε
2
und |bn − b| <
ε
.
2
(159)
Damit ist
|cn − c| = |an + ibn − (a + ib)|
4-Ungl.
≤
|an − a| + |bn − b| <
ε ε
+ = ε. (160)
2 2
2
Damit ergibt sich nun vieles für C in völliger Analogie zu R. Beispielsweise
gelten für konvergente Zahlenfolgen dieselben Rechenregeln wie sie Satz 3.3 für
reelle Folgen liefert, zusätzlich
lim cn = lim cn .
n→∞
n→∞
(161)
Ferner heißt eine Folge (cn )n komplexer Zahlen eine Cauchyfolge, wenn zu
jedem ε > 0 ein N existiert, sodaß für alle m, n > N gilt: |cm − cn | < ε.
10.5 Stetigkeit
73
Satz 10.4: Eine Folge (cn )n komplexer Zahlen ist genau dann eine Cauchyfolge,
wenn die reellen Folgen (Re cn )n und (Im cn )n Cauchyfolgen sind.
Da in R jede Cauchyfolge konvergiert, gilt
Korollar 10.5:
In C konvergiert jede Cauchyfolge.
Völlig analog übertragen sich nun auch die Begriffe der ‘konvergenten’ bzw. ab”
solut konvergenten unendlichen Reihen“ reeller Zahlen auf ihre komplexen Pendants. Nahezu wortwörtlich beweist man das Majoranten- bzw. das Quotientenkriterium für unendliche Reihen komplexer Zahlen.
Damit zeigt sich u. a. auch die absolute Konvergenz der Exponentialreihe
exp(z) =
∞
X
zn
n!
n=0
(162)
für beliebiges z ∈ C. Es gilt die Funktionalgleichung
exp(z + w) = exp(z) · exp(w)
(163)
für beliebige z, w ∈ C.
Satz 10.6:
Beweis:
Für beliebiges z ∈ C gilt exp(z̄) = exp(z).
Für jedes m ∈ N gilt
m
m
m
X
X
X
(z̄)n
zn
zn
=
=
n!
n!
n!
n=0
n=0
n=0
Mit m → ∞ folgt diese Behauptung.
2
10.5 Stetigkeit
Sei D eine Teilmenge von C. Dann heißt die Funktion f : D → C stetig in
einem Punkt w ∈ D, falls
lim f (z) = f (w),
z→w
(164)
d. h. wenn für jede Folge (zn )n in D mit limn→∞ zn = w auch limn→∞ f (zn ) =
f (w) gilt. Eine Funktion f : D → C heißt stetig in D, falls f stetig in jedem
Punkt w ∈ D ist.
Wie im Reellen gilt
74
11 Trigonometrische Funktionen
Satz 10.7:
Die Exponentialfunktion exp : C → C ist in ganz C stetig.
11 Trigonometrische Funktionen
11.1 Sinus und Cosinus
Wir definieren die Funktion Cosinus und Sinus für x ∈ R > vermöge
cos(x) = Re exp(ix)
und
sin(x) = Im exp(ix).
(165)
Damit gilt die Eulersche Formel :
Für beliebiges x ∈ R ist
exp(ix) = cos(x) + sin(x)
(166)
(verwandt: eiπ + 1 = 0). Wichtige geometrische Interpretation von cos und sin
in der Gaußschen Zahlenebene:
Für alle x ∈ R gilt
| exp(ix)|2
=
=
cos2 (x) + sin2 (x)
exp(ix) · exp(ix)
(167)
=
exp(ix) exp(−ix)
und mit der Funktionalgleichung (§9, Gleichung 163) folgt exp(0) = 1.
Also parametrisiert exp(ix) den Einheitskreis {z ∈ C : |z| = 1} in der Gaußschen
Zahlenebene und cos(x) bzw. sin(x) und somit die Projektionen von exp(ix)
auf die reelle bzw. auf die imaginäre Achse iR := {iy : y ∈ R}.
iR 6
sin(x)
r
cos(x)
R
Aus der Eulerschen Formel 166 folgt unmittelbar
11.1 Sinus und Cosinus
Satz 11.1:
75
Für alle x ∈ R gilt
• cos(x) =
1
2
(exp(ix) + exp(−ix)),
• sin(x) =
1
2i
(exp(ix) − exp(−ix)),
• cos(−x) = cos(x),
alt: Re z =
2+2
2
sin(−x) = sin(x),
2
• cos2 (x) + sin (x) = 1 (Winkelpythagoras).
2
Beweis:
Satz 11.2: Die Funktionen cos, sin : R → R sind auf ganz R stetig. Und für
beliebige x, y ∈ R gelten die Additionstheoreme
• cos(x + y) = cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y),
• sin(x + y) = sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y).
Beweis: Die Stetigkeit von cos und sin folgt unmittelbar aus der Stetigkeit
der Exponentialfunktion (§9 bzw. Satz 10.7). Die Additionstheoreme ergeben
sich durch Koeffizientenvergleich:
cos(x + y) + i sin(x + y)
(166)
=
(166)
=
=
(163)
exp(i(x + y)) = exp(ix) · exp(iy)
(cos(x) + i sin(x)) (cos(y) + i sin(y))
cos(x) cos(y) + i cos(x) sin(y)
+i sin(x) cos(y) + sin(x) sin(y).
2
Wichtig für die Analysis sind die folgenden Reihendarstellungen:
Satz 11.3:
Für alle x ∈ R gilt:
cos(x)
=
∞
X
k=0
=
1−
(−1)k
x2k
(2k)!
x2
x4
+
∓ ...
2!
4!
(168)
76
11 Trigonometrische Funktionen
und
∞
X
sin(x) =
(−1)k
k=0
(169)
x3
x5
+
∓ ...
3!
5!
= x−
Beweis:
x2k+1
(2k + 1)!
Mit der Exponentialreihe gilt
exp(ix)
=
∞
X
(ix)n
n!
n=0
=
∞
X
(ix)2k
k=0
|
∞
X
(ix)2k+1
(2k)!
(2k + 1)!
k=0
{z } |
{z
}
(170)
(gerade n = 2k) (ungerade n = 2k + 1)
und wegen i2 = −1
(i)2k =(i2 )k =(−1)k
=
∞
X
∞
(−1)k
k=0
X
x2k
x2k+1
+i
(−1)k
(2k)!
(2k + 1)!
(171)
k=0
Die Umordnung im 2. Schritt ist erlaubt, da die exp-Reihe konvergiert.
Andererseits liefert die Eulersche Formel
exp(ix) = cos(x) + i sin(x).
Vergleich beider Formeln liefert die Behauptung.
2
Wichtig!
Die Exponentialreihe muß man im Schlafe beherrschen!
Ähnlich wie in Lemma 9.1 kann man die Restglieder der Reihendarstellungen
abschätzen. Dies liefert hier
2
cos(x) = 1 − x2 + O(x4 )
bei x → 0
(172)
sin(x) = x + O(x3 )
Insbesondere folgt
lim
x→0
sin(x)
= 1.
x
(173)
11.1 Sinus und Cosinus
77
iR 6
x
sin(x)
R
Satz 11.4: Der Cosinus cos : R → R hat im Intervall [0, 2] genau eine Nullstelle, und wir bezeichnen diese Nullstelle mit π2 .
Beweis:
Zunächst findet man (ähnlich wie in Lemma 9.1) für beliebiges x ≥ 0
cos(x) ≤ 1 −
x2
x4
+ 4
2
2
Damit ist
cos(2) ≤ 1 − 2 +
und
sin(x) ≥ x −
2
1
= − < 0 = cos(0).
3
3
x2
.
6
(174)
(175)
iR 6
R
Also besitzt cos(x) nach dem Zwischenwertsatz (Satz 8.4) im Intervall (0, 2)
u−v
mindestens eine Nullstelle. Satz 11.1 und 11.2 liegen für x = u+v
2 , y = 2
cos(u) − cos(v)
=
cos(x + y) − cos(x − y)
(176)
78
11 Trigonometrische Funktionen
=
cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y)
− cos(x) cos(−y)} − sin(x) sin(−y)
| {z }
| {z }
=cos(y)
=− sin(y)
= −2 sin(x) sin(y)
=
−2 sin
u+v
2
sin
u−v
2
Diese Identität gilt für beliebige u, v ∈ R.
Aus
x2
x
=x 1−
> 0 für x ∈ (0, 2]
6
6
folgt für 0 ≤ v < u ≤ 2 mit obiger Formel
u+v
u−v
cos(u) − cos(v) = −2 sin
sin
< 0.
2
2
sin(x) ≥ x −
(177)
Also ist cos(x) streng monoton fallend in [0, 2]; die nachgewiesene Nullstelle π2
ist also die einzige in [0, 2].
2
Dies und die Additionstheoreme liefern
Korollar 11.5:
(1) Für alle x ∈ R gilt
• cos(x + 2π) = cos(x) und sin(x + 2π) = sin(x),
• cos(x + π) = − cos(x) und sin(x + π) = − sin(x),
• cos(x) = sin π2 − x und sin(x) = cos π2 .
(2) Es ist sin(x) = 0 genau für x = k · π mit k ∈ Z und cos(x) = 0 genau für
x = π2 + kπ.
Cosinus und Sinus sind 2π-periodisch:
iR 6
sin(x)
cos(x)
π
2π
R
11.2 Der Tangens
79
(Beweisskizze) Mit cos( π2 ) = 0 ist nach Satz 11.1
π
π
sin2
= 1 − cos2
= 1.
2
2
Mit sin( π2 ) > 0 (aus letzten Beweis) folgt sin( π2 ) = ±1.
Beweis:
(178)
Mit der Eulerschen Formel 166 folgt exp(i π2 ) = cos( π2 ) + i sin( π2 ) = +i. Mit
den Additionstheoremen aus Satz 11.2 folgt
x
exp(ix)
cos(x)
sin(x)
π
3π
0
π
2
2
+1 +i −1 −i
+1 0 −1 0
0 +1 0 −1
···
···
···
···
(179)
Dies liefert z. B. cos(x + π) = cos(x) cos(π) − sin(x) sin(π) = − cos(x).
| {z }
| {z }
−1
=0
Die anderen Aussagen unter (12.1) zeigt man analog.
(12.2) ergibt sich aus (12.1) wie folgt:
Es ist cos(−x) = cos(x) > 0 für − π2 < x <
für − π2 < x < π2
π
2.
Ferner cos(x + π) = − cos(x) < 0
iR 6
−π
2
π
2
R
Nach dem Zwischenwertsatz folgt cos(± π2 ) = 0. Der Rest folgt ähnlich.
2
11.2 Der Tangens
Wir erklären den Tangens (tan) durch
π
tan : R\{ + kπ : k ∈ Z} → R,
2
.
sin(x)
x 7→ tan(x) =
cos(x)
(180)
80
11 Trigonometrische Funktionen
Der Tangens ist 2π-periodisch (klar): tan(x + 2π) = tan(x). Ferner ist tan(x)
stetig (auch klar), aber nicht gleichmäßig stetig auf seinem Definitionsbereich
iR 6
−π
2
π
2
R
Der Tangens ist sogar π-periodisch:
tan(x + π) =
sin(x + π)
− sin(x)
=
= tan(x).
cos(x + π)
− cos(x)
(181)
Die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen cos, sin und tan sind
gegeben durch:
•
arccos : [−1, 1] → R,
:
arccos(x) = cos−1 (x)
Arcuscosinus – Umkehrfunktion des cos : [0, π] → R
•
arcsin : [−1, 1] → R,
:
arcsin(x) = sin−1 (x)
Arcussinus – Umkehrfunktion des sin : [− π2 , π2 ] → R
•
arctan : R → R,
:
arctan(x) = tan−1 (x)
Arcustangens – Umkehrfunktion des tan : [− π2 , π2 ] → R
Insbesondere ist der Tangens von Interesse, und seine Umkehrfunktion!
Für 0 ≤ x < y <
π
2
gilt sin(x) < sin(y) und cos(x) > cos(y) > 0 und damit
tan(x) =
sin(x)
sin(y)
<
= tan(y).
cos(x)
cos(y)
(182)
11.2 Der Tangens
81
Wegen tan(−x) = − tan(x) (nach Satz 11.4) ist tan(x) auf (− π2 , π2 ) streng
monoton wachsend. Es gilt
lim tan(x) = −∞ und
x&− π
2
lim tan(x) = +∞
(183)
x%+ π
2
iR 6
sin(x)
−π
2
cos(x)
R
iR 6
π
2
tan
arctan
R
−π
2
Mit dem Satz 9.6 über die Umkehrfunktion folgt, daß arctan(x) streng monoton
wachsend auf ganz R ist und
lim arctan(x) = −
x→−∞
π
2
bzw.
lim arctan(x) =
x→+∞
π
.
2
(184)
82
11 Trigonometrische Funktionen
arctan(x) ist also die Umkehrfunktion von
π π
tan : − ,
→R
2 2
(185)
Wir kehren kurz zurück zu den komplexen Zahlen:
11.3 Die Polarform der komplexen Zahlen
Satz 11.6: Jede komplexe Zahl z läßt sich darstellen als z = r · exp(iϕ) mit
ϕ ∈ R und r = |z| ∈ R+ . Für z 6= 0 ist ϕ bis auf ein ganzzahliges Vielfaches
von 2π eindeutig bestimmt.
z = r · exp(iϕ) ist die Darstellung von z in Polarkoordinaten; ϕ heißt Argument
von z.
6
r
z=x+iy
iy
ϕ
x
-
Beweis: (Beweisskizze) Der Fall z ∈ R ist trivial. Sei O. B. d. A. yr = |z| = 1.
Mit der Eulerschen Formel gilt:
x + iy = z = exp(iϕ) = cos(ϕ) + i sin(ϕ).
(186)
Also folgt für x, y > 0 (der Rest geht ähnlich):
y
sin(ϕ)
=
= tan(ϕ)
x
cos(ϕ)
mit 0 < ϕ <
(187)
π
2.
Explizit nach ϕ aufgelöst folgt ϕ = arctan( xy ). Die Eindeutigkeit des Winkels
ϕ bis auf Vielfache von 2π resultiert aus der 2π-Periodität von exp(iϕ).
2
12 Differentiation
83
Der Beweis offenbart den Zusammenhang zwischen den trigonometrischen Funktionen und der euklidischen Geometrie.
Neue Interpretation der Multipklikation komplexer Zahlen mit Hilfe der Polarkoordinaten:
z1 · z2
= |z1 | · exp(iϕ1 ) · |z2 | exp(iϕ2 )
=
|z1 z2 |
· exp(i
| {z }
Multiplikation der Beträge
(ϕ1 + ϕ2 )
| {z }
(188)
)(189)
Addition der Argumente
12 Differentiation
Wir lassen aus großer Höhe einen Stein fallen. Mit der Erdbeschleunigung g
beträgt die Geschwindigkeit in m/sec im freien Fall nach t Sekunden
v(t) = g · t
(190)
Die zurückgelegte Strecke beträgt s(t) = 12 gt2 . Wir machen die Beobachtung:
Ableitung von s(t) : s0 (t) = g · t = v(t) aktuelle Geschwindigkeit.
Die Differentialrechnung wurde vor dem Hintergrund physikalischer Probleme
von Leibniz und (unabhängig) Isaac Newton (1642-1727) entwickelt um
ca. 1670.
Definition: Sei D ⊂ R und f : D → R eine Funktion. f heißt in einem Punkt
x ∈ D differenzierbar, wenn der Grenzwert
f 0 (x) = lim
h→0
f (x + h) − f (x)
h
existiert.
(191)
(Def. 12.1)
Völlig gleichwertig ist
f 0 (x) = lim
ξ→x
f (ξ) − f (x)
,
ξ−x
auch
d f (x)
.
dx
(192)
Der Grenzwert f 0 (x) heißt Differentialquotient oder Ableitung von f im Punkte
x. Bei der Limesbildung sind nur Folgen (hn )n zugelassen mit
lim hn = 0,
n→∞
hn 6= 0,
x + hn ∈ D.
(193)
84
12 Differentiation
Die Funktion f heißt differenzierbar in D falls f in jedem x ∈ D differenzierbar
ist.
Geometrisch beschreibt der Differenzenquotient die Steitung der Sekante des
Graphen von f durch die Punkte (x, f (x)) und (x−h, f (x−h)). Beim Grenzübergang h → 0 geht im Falle der Existenz von f 0 (x) die Sekante in die Tangente
an der Graphen von f in (x, f (x)) über – f 0 (x) ist die Steigung der Tangente
in (x, f (x)).
f (x + h) − f (x)
(194)
h
iR 6
Sekante
r
f (x+h)
f (x)
f (x)
r
x
←−
x+h
R
Tangente an f (x)
Beispiel 12.1: Konstante Funktionen sind differenzierbar mit Ableitung 0.
Beispiel 12.2: f : R → R, x 7→ f (x) = ax + b mit a, b ∈ R ist differenzierbar mit
Ableitung:
f 0 (x) = lim
h→0
f (x + h) − f (x)
a(x + h) + b − (ax + b)
ah
= lim
= lim
= a. (195)
h→0
h→0 h
h
h
Beispiel 12.3: f : R → R, x 7→ f (x) = x2 ist differenzierbar mit
f 0 (x) = lim
h→0
(x + h)2 − x2
2xh + h2
= lim
= 2x + lim h = 2x.
h→0
h→0
h
h
(196)
Beispiel 12.4: f : R∗ := R \ {0} → R, x 7→ f (x) x1 ist differenzierbar mit:
f 0 (x) = lim
h→0
1
x+h
−
h
1
x
= lim
h→0
−h
−1
= 2.
hx(x + h)
x
(197)
12 Differentiation
85
Beispiel 12.5: exp : R → R ist differenzierbar mit
exp0 (x)
=
=
exp(x + h) − exp(x) (9.3)
=
h
exp(h) − 1
exp(x) lim
= exp(x).
h→0
h
|
{z
}
lim
h→0
lim exp(x)
h→0
exp(h) − 1
h
→1
Die Exponentialfunktion reproduziert sich also bei der Differentiation. Sie genügt der
Differentialgleichung y 0 = y.
Beispiel 12.6: cos : R → R ist differenzierbar. Mit der Identität aus Gleichung
(176) gilt
2x − h
h
cos(x + h) − cos(x) = −2 sin
sin
,
(198)
2
was aus den Additionstheoremen (Satz 11.2) folgt. Dami erhält man dann:
0
cos (x)
=
cos(x + h) − cos(x)
lim
h→0
h
=
h
− lim sin x +
lim
h→0
2 h→0
(199)
=
lim
h→0
=
− sin(x + h2 ) sin
h
2
h
2
=1
z
}| !{
sin( h2 )
h
2
=
− sin(x).
unter Zuhilfenahme von
cos(x + h) − cos(x) = −2 sin
2x − h
sin
h
2
(Additionstheorem)
(199)
Analog zeigt man die Differenzierbarkeit vom Sinus. Wir beobachten:
Differentiation: cos → cos0 = − sin → − cos → sin → cos → · · ·
Beispiel 12.7: Die Funktion abs : R → R, x 7→ abs(x) = |x| ist in x = 0 nicht
differenzierbar, denn linksseitiger Grenzwert = −1 6= 1 = rechtseitiger Grenzwert. Fr
alle anderen x ∈ R ist abs(x) differenzierbar.
86
12 Differentiation
6
@
@
@b
-
Jetzt kommt eine analytische Deutung der Differenzierbarkeit: lineare Appro”
ximierbarkeit“:
Satz 12.1: Sei D ⊂ R ein Punkt, für den eine Folge (xn )n in D \ {a} mit
limn→∞ xn = a existiert. Eine Funktion f : D → R ist genau dann in a
differenzierbar, wenn es eine Konstante c ∈ R gibt, so daß für x ∈ D
f (x) = f (a) + c(x − a) + O(|x − a|)
mit
ϕ(x) = O(|x − a|)
falls
ϕ(x)
=0
x→a |x − a|
lim
(200)
(201)
bei x → a. In diesem Falle ist c = f 0 (a).
Dann gilt also:
f (x) =
f (a) + f 0 (a)(x − a)
+
|
{z
}
Tangente an f in (a, f (a))
kleiner Fehler
bei x → a.
f (x)
6
f (a)
r Tangente an
(a,f (a))
a
-
(202)
12 Differentiation
87
Beweis: Sei zunächst f differenzierbar in a mit c = f 0 (a). Wir definieren eine
Funktion ϕ(x) durch
f (x) = f (a) + c(x − a) + ϕ(x).
(203)
ϕ(x)
f (x) − f (a)
=
− f 0 (a)
x−a
x−a
(204)
ϕ(x)
f (x) − f (a)
= lim
− f 0 (a) = f 0 (a).
x − a x→a
x−a
(205)
Dann ist
und also
lim
x→a
2
Also gilt ϕ(x) = O(|x − a|), was zu zeigen war.
Gilt nun umgekehrt
f 0 (x) = f (a) + c(x − a) + ϕ(x)
(206)
ϕ(x) = O(|x − a|),
(207)
mit
so ist
lim
x→a
f 0 (x) − f (a)
ϕ(x) (207)
= 0
− c = lim
x→a x − a
x−a
(208)
Daraus folgt
lim
x→a
f (x) − f (a)
= c,
x−a
(209)
also ist f differenzierbar in a mit Ableitung f 0 (a) = c.
Korollar 12.2:
in a.
Ist f : D → R differenzierbar in a ∈ D, so ist f auch stetig
Differenzierbarkeit =⇒ Stetigkeit
Beweis:
lim f (x) = lim [f (a) + c(x − a) + O(|x − a|)] = f (a)
x→a
nach Satz 12.1.
x→a
(210)
2
88
12 Differentiation
12.1 Ableitungsregeln
Satz 12.3: (elementare Ableitungsregeln) Seien f, g : D → R in x ∈ D differenzierbar und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g, λ · f und f · g in
x diffbar mit
• Linearität:
(f + g)0 (x)
(λf )0 (x)
= f 0 (x) + g 0 (x),
= λ · f 0 (x)
(211)
(212)
(f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x)
(213)
• Produktregel :
Ist g(ξ) 6= 0 für alle ξ ∈ D, so ist auch
• Quotientenregel :
f
g
differenzierbar in x, und es gilt die
0
f
f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x)
(x) =
.
g
g(x)2
Beweis:
• Die Aussagen über die Linearität folgen sofort aus aus den Rechenregeln
für die Grenzwerte konvergenter Folgen (Satz 3.3).
• Für die Produktregel benutzen wir die Stetigkeit von f in x (nach dem
Korollar)
(f · g)0 (x)
=
Trick
=
=
=
f (x + h)g(x + h) − f (x)g(x)
h
1
lim
f (x + h) (g(x + h) − g(x))
h→0 h
+(f (x + h) − f (x))g(x)
g(x + h) − g(x)
lim
h→0
h
f (x + h) − f (x)
+ lim
h→0
h
f (x)g 0 (x) + f 0 (x) · g(x)
lim
h→0
(214)
(215)
(216)
(217)
(218)
12.1 Ableitungsregeln
89
Der Trick in Zeile ist, daß man −f (x + h)g(x) + f (x + h)g(x) = 0 addiert
und so g(x + h) − g(x) sowie f (x + h) − f (x) ausklammern kann, wodurch
man die beiden Ableitungen f 0 (x) und g 0 (x) nach Definition der Ableitung
erhält.
• Für die Quotientenregel betrachten wir zunächst den Spezialfall
stant 1. Dann ist
0
1
1
1
1
(x) = lim
−
h→0 h
g
g(x + h) g(x)
1
g(x) − g(x + h)
= lim
·
h→0 g(x + h) · g(x)
h
1
g(x) − g(x + h)
= lim
· lim
h→0 g(x + h)g(x) h→0
h
−g 0 (x)
=
g(x)2
f kon-
(219)
(220)
(221)
(222)
aufgrund der Stetigkeit von g.
Der allgemeine Fall ergibt sich hieraus mit der Produktregel.
Tip!
Gute Vorbereitung für die Klausur!
2
Beispiel 12.8: Für n ∈ N sei fn : R → R, x 7→ xn . Dann ist fn differenzierbar mit
fn0 (x) = nxn−1 . Die Fälle n = 0, 1, 2 hatten wir in den Beispielen 12.1–12.3.
Der allgemeine Fall folgt per Induktion nach n.
n 7→ n + 1: Wegen fn+1 = f1 · fn gilt mit der Produktregel
12.4
0
fn+1
(x) = (f1 fn )0 (x) = f10 (x)fn (x) + f1 (x)fn0 (x) = xn + nxn = (n + 1)xn . (223)
Beispiel 12.9: Zusammen mit der Quotientenregel liefert Beispiel 12.8 für x 6= 0
0
−fn0 (x)
1
−nxn−1
(x) =
=
= −nx−n−1 .
(224)
2
fn
fn (x)
x2n
90
12 Differentiation
Tip!
Gute Vorbereitung für die Klausur!
Beispiel 12.10: Für den Tangens zeigt sich mit der Quotientenregel und Satz 11.1
sowie Beispiel 12.6
tan0 (x)
=
=
(11.1)
=
sin(x)
cos(x)
0
=
sin0 (x) cos(x) − sin(x) cos0 (x)
cos2 x
cos2 (x) + sin2 (x)
cos2 x
2
cos (x) + 1 − cos2 (x)
cos2 (x)
(225)
(226)
=
1
.
cos2 (x)
(227)
Als Nächstes betrachten wir die Ableitung der Umkehrfunktion:
Satz 12.4: Sei D ⊂ R ein Intervall und f : D → R eine stetige, streng
monotone Funktion. Ist f im Punkte x ∈ D differenzierbar mit f 0 (x) 6= 0, so
ist die Umkehrfunktion f −1 : f (D) → R im Punkt y = f (x) differenzierbar.
Beweis: Sei (yk )k eine Folge in f (D) \ {y} mit limk→∞ yk = y. Nach Satz
9.6 ist f −1 stetig in y, also gilt
lim f −1 (yk ) = f −1 (y) = x.
(228)
k→∞
Damit folgt für hk = yk − y und xk := f −1 (yk )
lim
k→∞
f −1 (y + hk ) − f −1 (y)
hk
hk :=yk −y
=
f −1 (yk ) − f −1 (y)
(229)
k→∞
xk − y
lim
hk →0
xk =f −1 (yk )
=
=
xk − x
f (xk ) − f (x)
1
lim f (x )−f (x) .
lim
k→∞
k→∞
k
xk −x
(230)
(231)
12.1 Ableitungsregeln
91
Mit h0k = xk − x ist dies
=
1
lim
f (x+h0k )−f (x)
h0k
k→∞
h0k →0
=
1
f 0 (x)
.
(232)
2
Beispiel 12.11: Ein offenes Problem – das 3n + 1-Problem“:
”
n
,
,
falls
n gerade,
2
,
n 7→
3n + 1, sonst.
n ∈ N.
Beispiel 12.12: Beispiel 12.10 und Satz 12.4 liefern
1
= cos2 (arctan(x)).
tan0 (arctan(x))
arctan0 (x) =
Mit y = arctan(x) folgt
x2 = tan2 (y) =
1 − cos2 (y)
sin(y)2
1
=
=
− 1.
2
cos(y)
cos2 (y)
cos2 (y)
Also ist
arctan0 (x) = cos2 (y) =
1
1 + x2
Beispiel 12.13: Satz 12.4 liefert für den Logarithmus
(log(x))0 =
1
1
= .
exp0 (log x)
x
Dieses letzte Beispiel 12.13 liefert folgendes
Korollar 12.5:
Beweis:
Für x ∈ R gilt exp(x) = limn→∞ 1 +
x n
.
n
Beispiel 12.13 gibt
lim
n→∞
x
n
− log(1)
= log0 (1) = 1.
x
n
|{z}
log 1 +
n→∞
x
h= n
→ 0
(233)
92
12 Differentiation
Also folgt
lim
n→∞
1+
x n
n
x lim exp n · log 1 +
n→∞
n
h
1
x i
= exp x ·
lim n · log 1 +
x n→∞
n
= exp(x).
=
(234)
(235)
(236)
2
Satz 12.6: (Kettenregel ) Seien f : D → R und g : E → R Funktionen mit
f (D) ⊂ E. f sei in x ∈ D und g ∈ y = f (x) ∈ E differenzierbar. Dann ist
g ◦ f : D → R in x differenzierbar, und es gilt
(g ◦ f )0
Beweis:
= f 0 (x) · g 0 (f (x)).
(237)
Wir definieren uns zunächst eine Hilfsfunktion G : E → R durch
(
g(η)·g(y)
falls η 6= y
η−x
(238)
G(η) =
g 0 (y)
falls η = y
(denn g ist differenzierbar in y = f (x)).
Wegen
g(η) − g(y) = G(η)(η − y)
(239)
zeigt sich
(g ◦ f )0 (x)
=
=
(239)
=
=
=
lim (g ◦ f )(x)
h→0
g(f (x + h)) − g(f (x))
h→0
h
G(f (x + h))(f (x + h) − f (x))
lim
h→0
h
f (x + h) − f (x)
lim G(f (x + h)) · lim
h→0
h→0
h
g 0 (f (x)) · f 0 (x).
lim
(240)
(241)
(242)
(243)
(244)
2
Anwendungen der Kettenregel: Quotientenregel, bzw. die logarithmische Ableitung:
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
93
Definition: Für x ∈ R und einer Funktion f mit f (x) 6= 0 heißt – falls
existent –
f 0 (x)
(log f (x))0 =
(245)
f (x)
logarithmische Ableitung.
(Def. 12.2)
0
Ist die Funktion f : D → R differenzierbar und die Ableitung f differenzierbar
in x ∈ D, so heißt
f 00 (x) = (f 0 )0 (x)
(246)
die zweite Ableitung von f im Punkte x.
Allgemeiner definiert man die k-te Ableitung von f in x ∈ D, falls f (k −1)-mal
differenzierbar ist in einer Umgebung von x, sowie die (k − 1)-te Ableitung von
f im Punkte x differenzierbar ist. Wir schreiben dann auch
f (k) (x),
(247)
die ‘nullte’ Ableitung von f ist f selbst.
Gemäß Beispiel 12.6 gilt:
− cos; sin(4) = sin.
sin(0) = sin; sin0 = cos; sin00 = cos0 = − sin; sin(3) =
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
Aus einer rechtwinkligen Blechplatte der Seitenlängen 15 cm und 10 cm soll eine
quaderförmige, oben offene Wanne mit maximalen Volumen geformt werden.
Sei f : (a, b) → R eine Funktion. f besitzt in x ∈ (a, b) ein lokales Maximum
(bzw. lokales Minimum), wenn es ein ε > 0 gibt, so dass für alle y ∈ (a, b) mit
|x − y| < ε,
(248)
gilt
f (x) ≥ f (y)
(bzw. f (x) ≤ f (y)).
(249)
94
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
6
f (x)
f (y)
y
x
-
Gilt hier Gleichheit nur für y = x, so ist x ein strenges (striktes) Maximum
(bzw. strenges Minimum). Extremum ist der Oberbegriff von Maximum und
Minimum. Ihre Bestimmung ist von großer praktischer Bedeutung.
Satz 13.1: Die Funktion f : (a, b) → R besitze ein lokales Extremum in
x ∈ (a, b). Ist f differenzierbar in x, so gilt f 0 (x) = 0.
Beweis: O. B. d. A. habe f ein lokales Maximum (andernfalls betrachte man
−f statt f ). Dann existiert ein ε > 0, so daß f (x) ≥ f (y) für alle y mit
|x − y| < ε. Es folgt
lim
h&0
f (x + h) − f (x)
h
≤
0
≤
lim
h%0
f (x + h) − f (x)
.
h
(250)
Aufgrund der Differenzierbarkeit von f in x existieren beide Grenzwerte, sind
also damit = 0,
2
Wichtig!
f 0 (x) = 0 ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, wie
das Beispiel x 7→ x3 lehrt.
Nach Satz 8.7 nimmt eine auf einem abgeschlossenen Intervall stetige Funktion
ihr Maximum und ihr Minimum an. Falls diese jedoch auf dem Rand des Intervalles liegen, so muß nicht notwendigerweise f 0 (x) = 0 gelten. Beispielsweise
betrachtet man dazu x 7→ x auf dem Intervall [0, 1].
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
95
Satz 13.2: (Satz von Rolle) Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige
Funktion, die in (a, b) differenzierbar ist. Gilt f (a) = f (b), so existiert ein
x ∈ (a, b) mit f 0 (x) = 0.
Insbesondere besitzt also eine differenzierbare Funktion zwischen je zwei ihrer
Nullstellen eine Nullstelle ihrer Ableitung.
Beweis: Für konstante f brauchen wir nichts mehr zu zeigen (da f 0 (c) = 0),
die Aussage trivial.
Andernfalls gibt es ein y ∈ (a, b) mit f (y) 6= f (a). Nach Satz 8.7 nimmt f sein
Maximum und sein Minimum auf [a, b] an.
Mit Satz 13.1 folgt f 0 (x) = 0 für ein Maximum bzw. Minimum x ∈ (a, b), da
ja f (a) 6= f (b) und f nicht konstant ist.
2
Korollar 13.3: (Mittelwertsatz ) Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige,
auf (a, b) differenzierbare Funktion. Dann existiert ein x ∈ (a, b) mit
f 0 (x)
Beweis:
=
f (b) − f (a)
.
b−a
(251)
folgt sofort mittels der Hilfsfunktion
F (x) := f (x) −
f (b) − f (a)
(x − a)
b−a
(252)
6
r
f (b)
f (a)
Sekante
6
r
parallel
Tangente
?
a
aus Satz 13.2.
b
-
2
96
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
Korollar 13.4: Sei f : [a, b] → R eine stetige, auf (a, b) differenzierbare
Funktion. Gibt es Konstanten m, M ∈ R mit
m
≤
f 0 (x)
≤
M
(253)
für alle x ∈ (a, b), so gilt für alle x, y ∈ (a, b) mit x ≤ y die Abschätzung
m(y − x)
≤
f (y) − f (x)
≤
M (y − x).
(254)
Die Ableitung bestimmt also das lokale Wachstum der zugrundeliegenden Funktion. Insbesondere sind differenzierbare Funktionen f mit f 0 konstant Null notwendigerweise selbst konstant!
Tip!
Das Wachstum von Funktionen spiegelt sich lokal in der Ableitung wieder, was einiges leichter machen kann.
Beweis:
Folgt unmittelbar aus dem Mittelwertsatz (Satz 13.3).
2
Eine Charakterisierung der Monotonie einer Funktion durch ihre Ableitung
liefert
Satz 13.5:
Sei f : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar.
(1) Gilt für alle x ∈ (a, b) die Ungleichung
f 0 (x) ≥ 0
(bzw. f 0 (x) > 0,
f 0 (x) ≤ 0,
f 0 (x) < 0) ,
(255)
so ist f in [a, b] monoton wachsend (bzw. streng monoton wachsend, monoton fallend, streng monoton fallend ).
(2) Ist f monoton wachsend (bzw. monoton fallend), so folgt f 0 (x) ≥ 0
(bzw. f 0 (x) ≤ 0) für alle x ∈ (a, b).
Beweis:
folgt relativ leicht aus dem Mittelwertsatz.
Jetzt kommen wir zu einem hinreichenden Kriterium für Extrema.
2
13 Extrema und asymptotisches Verhalten
97
Satz 13.6: Sei f : (a, b) → R differenzierbar. Ist f im Punkte x ∈ (a, b)
zweimal differenzierbar mit
f 0 (x) = 0
und f 00 (x) > 0
(bzw. f 00 (x) < 0),
(256)
so besitzt f in x ein strenges lokales Minimum (bzw. ein streng lokales Maximum).
Das Kriterium ist nicht notwendig wie das Beispiel x 7→ x4 zeigt.
Beweis:
O. B. d. A. sei f 00 (x) > 0 (der andere Fall geht analog), also gilt
0
<
f 0 (x + h) − f 0 (x)
.
h→0
h
f 00 (x) = lim
(257)
Wegen f 0 (x) = 0 folgt daraus
f 0 (x + h) < 0
f 0 (x + h) > 0
für kleine h < 0
für kleine h > 0.
(258)
(259)
Satz 13.2 liefert die strenge, fallende Monotonie von f links, bzw. die strenge
wachsende Monotonie von f rechts des Punktes x. Also liegt in x ein Minimum
vor.
m
2
f (x) − f (a)
f (x)
=
=
(g(x)
g(x) − g(a)
f (x)−f (a)
x→a
x−a
−→
g(x)−g(a)
x−a
f 0 (a)
.
g 0 (x)
(260)
Dies gibt im obigen Beispiel
0
exp(x)
exp(x) − 1
(exp(x) − 1)
1
= lim
= lim
= = 1.
0
x→0
x→0
x→0
sin(x)
cos(x)
1
(sin(x))
lim
(261)
98
14 Das Newtonsche Näherungsverfahren
Satz 13.7:
(Regel von l’Hospital8 )
Es seien f, g : (a, b) → R zwei differenzierbar Funktionen mit g 0 (x) 6= 0 für alle
x ∈ (a, b). Ferner gelte entweder
lim f (x) = lim g(x) = 0
(262)
lim f (x) = lim g(x) = +∞ (bzw. = −∞).
(263)
f 0 (x)
f (x)
= lim 0
x&a g (x)
x&a g(x)
(264)
x&a
x&a
oder
x&a
x&a
Dann ist
lim
falls der Limes auf der rechten Seite existiert.
Eine analoge Regel gilt für limx%b
f (x)
g(x) .
Beispiel 13.1:
lim
x→∞
1 − cos( x2 )
1 − cos(x)
(13.7)
=
(13.7)
=
lim
x→∞
lim
x→∞
1
2
sin( x2 )
sin(x)
1
4
cos( x2 )
cos(x)
(265)
=
1
.
4
(266)
Diee Regeln von l’Hospital sind wichtig zur Bestimmung des asymptotischen
Verhaltens differenzierbarer Funktion.
Zur Charakterisierung solcher Funktionen fehlt uns im wesentlichen nur noch
Kenntnis über die Lage der Nullstellen. Dies geben wir an in
14 Das Newtonsche Näherungsverfahren
Im allgemeinen ist es sehr schwer, die Wurzeln einer Gleichung zu bestimmen.
Abel (1802–1829) bewies, daß das allgemeine Polynom vom Grad ≥ 5 nicht
durch Radikale auflösbar ist, d. h. z. B. sind die Nullstellen von x5 − 6x3 + 3
√
nicht durch algebraische Operationen +, ·, :, − und
ausdrückbar.
Hier hilft ein Iterationsverfahren.
8 J.
1661–1704
14 Das Newtonsche Näherungsverfahren
99
Sei f : D → R stetig differenzierbar, d. h. f ist differenzierbar und die Ableitung
f 0 ist stetig auf D. Gilt dann f 0 (x) 6= 0 für alle x ∈ D, so betrachte man die
zum Startwert x0 ∈ D rekursiv definierte Folge
xn+1
= xn −
f (xn )
(f 0 (xn )
für n ∈ N.
(267)
Im Falle der Konvergenz der Folge (xn )n gegen η ∈ D folgt aufgrund der
Stetigkeit von f
f (xn )
η = lim xn+1 =
lim xn − 0
(268)
n→∞
x→∞
f (xn )
limx→∞ f (xn )
f (η)
= η−
= η− 0 .
(269)
limx→∞ f 0 (xn )
f (η)
Also gilt f (η) = 0, d. h. der Grenzwert der xn ist eine Nullstelle von f .
Dieses sogenannte Newtonsche Näherungsverfahren zur Lokalisierung einer
Nullstelle von f besteht also darin, zu einem Näherungswert xn für die Nullstelle η den Graphen von f durch die Tangente zu ersetzen und deren Schnittpunkt
mit der x-Achse als neuen Näherungswert xn+1 zu benutzen.
Die Iteration läßt sich umschreiben zu
f (xn )
f (xn ) − f (xn+1 )
f 0 (xn ) =
≈
xn xn+1
.
(270)
Im allgemeinen braucht dieses Verfahren jedoch nicht zu konvergieren. Aber
100
14 Das Newtonsche Näherungsverfahren
Satz 14.1: Es sei f : [a, b] → R ein zweimal diffbar mit f (x) < 0 < f (b) und
f 00 (x) ≥ 0 für alle x ∈ [a, b].
Dann gibt es genau ein η ∈ (a, b) mit f (η) = 0 und die Folge (xn ), definiert
durch
f 0 (xn )
xn+1 = xn = 0
(271)
f (xn )
mit einem beliebigen Startwert x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) ≥ 0, konvergiert monoton
fallend gegen die Nullstelle η.
Zweimal differenzierbare Funktionen f mit nichtnegativer zweiter Ableitung
und konvex, d. h. für alle x, y ∈ D und alle λ ∈ (0, 1) gilt (ohne Beweis)
f (λx + (1 − λ)y) ≤ λf (x) + (1 − λ)f (y)
(272)
Bildchen
Beweis: Aufgrund von f 00 (x) ≥ 0 für x ∈ (a, b) ist f 0 monoton wachsend in
[a, b]. Nach Satz 8.7 gibt es ein c ∈ [a, b] mit f (c) = min{f (x) : x ∈ [a, b]} < 0.
U. U. gilt a = c, aber in jedem Fall liegen alle Nullstellen von f in (c, b). Nach
dem Zwischenwertsatz (Satz 8.4 hat f in (a, b) mindestens eine Nullstelle.
Angenommen, es gäbt zwei Nullstellen η1 , η2 mit η1 < η2 . Nach dem Mittelwertsatz gäbe es dann ein κ mit κ ∈ (c, η1 ), so daß
f (κ)
=
f (η1 ) − f (c)
η1 − c
=
−f (c)
η1 − c
> 0.
(273)
Aufgrund der Monotonie von f 0 folgt f (η2 ) > 0, ein Widerspruch. Also besitzt
f nur eine Nullstelle η. Für x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) ≥ 0 gilt damit x0 > η.
Per Induktion zeigt sich, daß
f (xn ) ≥ 0
und η ≤ xn ≤ xn−1 .
(274)
für alle n ∈ N.
Die Folge (xn )n ist also monoton fallend und nach unten beschränkt gegen
η. Also existiert der Grenzwert der Folge limn→∞ xn = λ, und mit unserer
Beobachtung zu Anfang dieses Kapitels folgt f (λ) = 0. Also folgt aus der
Eindeutigkeit von η, daß η = λ = limn→∞ xn .
2
15 Integration
101
Wichtig in der Praxis ist: Mit f 0 (η) ≥ C > 0 und f 00 (x) ≤ K für alle x ∈ (η, b]
gilt
|xn+1 − xn |
≤
K
|xn − xn−1 |2 .
2C
(275)
Man sagt auch: die Konvergenz ist quadratisch,“ d. h. jeder Iterationsschritt
”
verdoppelt die Anzahl der korrekten Dezimalstellen.
Beispiel 14.1: Als Beispiel betrachten wir das Polynom vom Anfang: f (x) = x5 −
6x3 + 3. Maple liefert für die Nulstelle η ∈ (2, 3) die Näherung η = 2, 405068666 . . ..
Maple-Plot
Die Newtonsche Iterationsfolge
x0 = 3,
xn+1 = xn −
f (xn )
x5n − 6x3n + 3
=
x
−
n
f 0 (xn )
5x4n − 18x2n
(276)
liefert
x0 = 0 > x1 = 2, 654 . . . > x2 = 2, 4685 . . . > x3 = 2, 4105 . . . > x4 = 2, 405113 . . . > x5 = 2, 4050
15 Integration
15.1 Das Riemann-Integral
102
15 Integration
Satz 15.1: Es sei f : [a, b] → R Riemann-integrierbare Funktion. Dann sind
die Funktionen f + , f − und |f | auch Riemann-integrierbar, und es gilt
Z
Z b
b
f (x) ≤
(278)
|f (x)|
a
a
ergibt sich aus der Monotonie des Integrals angewandt auf ±f ≤ |f |.
Da f auf [a, b] Maximum und Minimum annimmt, genügt es sich auf Funktionen
f mit 0 ≤ f ≤ 1 zurückzuziehen beim Beweis der Riemann-Integrierbarkeit
von |f |2 .
Es gibt Treppenfunktionen φ, ψ mit 0 ≤ Φ ≤ f 0 ≤ ψ ≤ 1 mit
Z b
.
(ψ − φ) (x)dx ≤
2
a
(279)
Nun sind auch φ2 , ψ 2 Treppenfunktionen mit φ2 ≤ f 2 ≤ ψ 2 und
ψ 2 − φ2
=
(ψ − φ)(ψ + φ) ≤ 2(ψ − φ).
(280)
Also gilt
Z
b
ψ 2 − φ2 (x)dx ≤
a
Z
b
(ψ + φ)(x)dx
(281)
a
Beweis: Nach Vorraussetzung gibt es zu jedem > 0 Treppenfunktionen
φ, ψ ∈ T [a, b] mit φ ≤ f ≤ ψ und
Z b
(ψ − φ)(x)dx < ε.
(282)
a
+
Dann sind auch φ , ψ
+
Treppenfunktionen mit φ+ ≤ f + ≤ ψ + und
Z b
(ψ + − φ+ )(x)dx < .
(283)
a
Also ist f + Riemann-Integrierbar. Analog zeigt man selbiges für f − .
Mit der Linearität folgt dann die Riemann-Integrierbarkeit von |f | = f + + f − .
Die Ungleichung ergibt sich
..
.
2
15.1 Das Riemann-Integral
103
Satz 15.2: (Substitutionsregel ) Sei f : I → R stetig und ϕ : [a, b] → R eine
stetig differenzierbare Funktion mit ϕ([a, b]) ⊂ I. Dann gilt
Z
b
f (ϕ(t)) · ϕ0 (t)dt
Z
ϕ(b)
=
f (x)dx.
a
(284)
ϕ(a)
Beweis: Sei F : I → R eine Stammfunktion von f . Für die Funktion F ◦ ϕ :
[a, b] → R liefert die Kettenregel der Ableitung (siehe §??).
(F ◦ ϕ)0 (t) = ϕ0 (t) · F 0 (ϕ(t))
F 0 =f
ϕ0 (t)f (ϕ(t)).
=
(285)
Mit dem Hauptsatz (Satz ??) folgt
Z
b
f (ϕ(t))ϕ0 (t)dt
=
a
b
(F ◦ ϕ)(t) − F (ϕ(b)) − F (ϕ(a))
(286)
a
Z
ϕ(b)
f (x)dx.
=
(287)
ϕ(a)
2
Ferner gilt mit der logarithmischen Ableitung (siehe §??)
Z
b
a
ϕ0 (t)
dt
ϕ(t)
=
a
log |ϕ(t)| .
(288)
b
für jede auf [a, b] stetig differenzierbare, nicht verschwindende Funktion ϕ(t).
Ein anderes wichtiges Hilfmittel zur Integralberechnung ist
Satz 15.3: (partielle Integration) Es seien f, g : [a, b] → R stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt
Z
b
0
f (x) · g (x)
a
Beweis:
b Z
= f (x)g(x) −
a
b
f 0 (x)g(x)dx.
(289)
a
Für F = f · g liefert die Produktregel
F 0 (x)
= f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x).
(290)
104
15 Integration
Mit dem Hauptsatz (Satz ??) folgt daher
Z
b
b
(f (x)g(x) + f (x)g (x)) dx = F (x)
0
a
0
=
a
b
f (x)g(x) .
(291)
a
2
Beispiel 15.1: Für a, b > 0 gilt
b
Z
b
Z
log(x)dx
=
a
a
=
=
1 · log(x) dx
|{z}
| {z }
f 0 (x)
(292)
g(x)
b Z b
1
x · log x −
x dx
x
a
a
b
x(log(x) − 1) .
a
In der Regel lassen sich allerdings nur sehr selten elementare‘ Stammfunktio’
nen angeben; ein Beispiel ist das in der Wahrscheinlichkeitstheorie sehr wichtige
Gausssche Integral ( Normalverteilung‘)
’
Z
exp(−x2 )dx
(293)
Hier helfen Monte-Carlo-Verfahren (vgl. §??) oder numerische Integration.
Kleiner Prinz: Elephant, der von der Schlange gefressen wurde
mit vielen kleinen Punkten und einem Rahmen drumherum.
Satz 15.4: (Trapezregel ) Es sei f : [a, b] → R eine zweimal stetig differenzierbare Funktion mit
M := max {|f 00 (x)| : x ∈ [a, b]} .
Sei 1 ≤ n ∈ N und h :=
Z
a
b
b−a
n ,
(294)
dann gilt


n−1
X
1
1
f (x)dx = h  f (a) +
f (a + jh) + f 0 (b) + R,
2
2
j=1
(295)
16 Uneigentliche Integrale
105
wobei
|R|
≤
M 2
h (b − a)2 .
12
(296)
Das Integral über f wird also durch eine Summe von Flächen von Trapezen
approximiert.
Mit n → ∞ gilt h → 0, und die Approximation wird beliebig genau.
Beweis: (Beweisskizze) O. B. d. A. sei [a, b] = [0, 1], dann zeigt partielle Integration mit g(x) = 21 x(1 − x)
Z
1
g(x)f 00 (x)dx =
0
1
(f (0) + f (1)) −
2
Das Integral auf der linken Seite läßt sich gegen |R| ≤
Z
1
f (x)dx
(297)
0
M
12
abschätzen.
Dies liefert dann die Formel für den Fall n = 1.
Der allgemeine Fall folgt durch mehrfaches Anwenden auf die Teilintervalle
zwischen je zwei Stützstellen x = a + gh.
2
Wie schon beim Ansatz mit den Riemannschen Summen sehen wir einen Zusammenhang zwischen dem Integral über eine Funktion f und
einer
R
P Summe
gewisser Funktionswerte von f . Mehr über die Beziehung
≈ “ erfahren
”
wir in
16 Uneigentliche Integrale
Wir erklären Integrale über unendliche Integrationsintervalle bzw. Integrale
über unbeschränkte Funktionen als Grenzwerte zugehöriger Folgen von Integralen.
Definition: Ist f : [a, ∞) → R über jedem Intervall [a, N ] mit N ∈ N Riemann-integrierbar, so definieren wir
Z
∞
Z
= lim
a
N →∞
N
f (x)dx
a
(298)
106
16 Uneigentliche Integrale
im Falle der Existenz dieses Grenzwertes; dann heißt das linke Integral konvergent. Analog erklärt man Integrale über (−∞, a] bzw. (−∞, ∞) (durch Addition der Integrale über (−∞, a] und [a, +∞)).
(Def.
16.1)
Beispiel 16.1: Für s > 1 ist
N
Z
x−s dx
N
x1−s s − 1 1
1
1 − N 1−s .
s−1
=
1
=
Wegen limN →∞ N 1−s = 0 folgt
Z N
x−s dx
1
s−1
=
1
(299)
(300)
(für s > 1).
(301)
Im Falle s = 1 erhält man kein konvergentes Integral, denn
N
Z N
dx
N →∞
− log(x)
= log(N ) ⇒ +∞.
x
1
1
(302)
Die Beweisidee des Integralvergleichskriterium liefert auch Aufschluß über das
Wachstum der Fakultät n!.
Beweis:
(Beweisidee) Es ist
log(n!)
!
n
Y
= log
log(k)
Z
≈
log(x)dx
Idee!.
(303)
k=1
Wegen
Z
k+1
log(k) ≤
log(x)dx
≤
log(k + 1)
(304)
k
folgt
n
X
log(k) ≤
k=1
n Z
X
k=1
≤
n
X
k=1
k+1
Z
log(x)dx
k
log(k + 1)
n+1
=
log(x)dx
(305)
1
=
n+1
X
k=2
log(k).
(306)
16 Uneigentliche Integrale
107
Damit ergibt sich nun
log(n!)
=
n
X
Z
log(k)
n+1
log(x)dx + O (log(n + 1))
=
(307)
1
k=1
n+1
x(log(x) + 1)
+ O (log(n + 1)) . (308)
alt
=
1
Daraus ergibt sich
n!
= exp (n log(n) − n + O (log(n)))
(309)
bzw.
n!
nn
=
O(n).
=
(310)
2
Mit erheblich mehr Aufwand zeigt sich etwas, was eine sehm, sehr wichtige
Formel ist, die Stirlingsche Formel (J. Stirling, 1692–1770):
n n
√
2πn
(1 + O(1)).
(311)
n! =
e
Ein wichtiges Problem des 18./19. Jahrhunderts war die Konstruktion einer
Funktion, die an den Stellen n die Fakultät n! interpoliert. Gelöst wurde dies
durch Euler und Gauß.
Definition: Hierzu definieren wird für x > 0 die Gammafunktion
Z ∞
Γ(x) =
tx−1 · exp(−1)dt
(312)
0
(Def. 16.2)
Nach Beispiel ?? und ?? gilt
t→0
exp(−t) −→ 1
t→∞
und tx+1 exp(−t) −→ 0.
(313)
Damit folgt
t
x−1
· exp(−t) ≤
tx−1
t−2
für alle t > 0,
für hinreichend große t.
(314)
In Hinblick auf Beispiel ?? und ?? ergibt sich daraus die Konvergenz von
Z 1
Z ∞
x−1
t
exp(−t)dt bzw.
tx−1 exp(−t)dt.
(315)
0
1
Also existiert das Γ-definierende uneigentliche Integral.
108
17 Taylorreihen
Satz 16.1:
(Funktionalgleichung der Gammafunktion) Es gilt
Γ(n + 1) = n!
Γ(x + 1) : xΓ(x)
Beweis:
für alle n ∈ N,
für alle x > 0.
(316)
Partielle Integration liefert (mit f (t) = tx , g 0 (t) = exp(−t))
N
Z N
Z N
x
x
t exp(−t)dt = −t exp(−t) + x
tx−1 exp(−t)dt
ε
(317)
ε
ε
Mittels ε → 0 und N → ∞ folgt unter Zuhilfenahme von Beispiel ?? und ??
Z N
Γ(x + 1) =
lim
tx exp(−t)dt
(318)
ε→0,N →∞ ε
(
)
N
=
lim
−tx exp(−t)
+xΓ(x)
(319)
ε→0,N →∞
ε
|
{z
}
0
= xΓ(x).
(320)
Vermöge
Z
Γ(1)
=
=
lim
N →∞
N
exp(−t)dt
N
lim − exp(−t)
N →∞
(321)
0
=
+1
=
0!
(322)
0
folgt aus der Funktionalgleichung induktiv Γ(n + 1) = n.
Γ(n)
= n · (n − 1)Γ(n − 1)
= · · · = n(n − 1) · · · 2 · 1 · Γ(1)
= n!.
(323)
(324)
(325)
2
17 Taylorreihen
Für konkrete Berechnungen benötigt man oft eine Reihendarstellung für eine
Funktion; diese gibt dann unter bestimmten Vorraussetzungen eine sehr gute
Approximation der Funktion durch ein Polynom.
Im folgenden sei I ⊂ R ein Intervall, bestehend aus mehr als einem Punkt.
17 Taylorreihen
109
Satz 17.1: (Taylorsche Formel 9 ) Sei f : I → R eine (n + 1)-mal stetig
differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann gilt für alle x ∈ I
f (x)
=
n
X
f (j) (a)
j!
j=0
(x − a)j + Rn+1 (x)
(326)
mit a: Entwicklungspunkt, wobei
Rn+1 (x) :=
1
n!
Z
x
(x − t)n f (n+1) (t)dt
(327)
a
der Fehlerterm.
Die Taylorsche Formel ist eine Verallgemeinerung des Satzes 12.1 über die
lineare Approximierbarkeit differenzierbarer Funktionen (n = 1):
f (x)
Beweis:
= f (a) + f 0 (a)(x − a) + kleiner Fehler.
(328)
per Induktion nach n.
Induktionsanfang n = 0:
Die zu beweisende Formel
Z x
f (x) = f (a) +
f 0 (t)dt
a
ist genau der Hauptsatz ??.
Induktionsschritt n − 1 7→ n:
f (x) =
n−1
X
j=0
Nach Induktionsvorraussetzung gilt
f (j) (a)
(x − a)j + Rn (x),
j!
(329)
wobei
Rn (x) =
9 Brooke
T., 1685–1731
1
(n − 1)!
Z
a
x
(x − t)n−1 f (n) (t)dt.
(330)
110
17 Taylorreihen
Mit partieller Intergration (angewandt auf g 0 (t) =
Rn (x)
1
(n−1)! (x
− t)n−1 ) gilt
x Z x
(x − t)n (n+1)
(x − t)n (n) f (t) +
f
(t)dt
n!
n!
a
a
Z
f (n) (a)
1 x
n
(x − a) +
(x − t)n f (n+1) (t)dt .
n!
n! a
|
{z
}
= −
(331)
=
(332)
=Rn+1 (x)
2
Daraus folgt die Formel von Taylor für n.
Satz 17.2:
(Lagrangesches Integral)
Mittwoch: Atschel Apfelweinwirtschaft, Wallstr. 7, 1700
Ist f : I → R eine beliebig oft differenzierbare Funktion und a ∈ I, so heißt
∞
X
f (j) (a)
j=0
j!
(x − a)j
(333)
die Taylorreihe von f mit Entwicklungspunkt a. Da wir es hier mit einer unendlichen Reihe zu tun haben, ist Vorsicht geboten. Die Taylorreihe konvergiert nicht notwendig für x 6= a, falls aber die Taylorreihe von f konvergiert,
so konvergiert sie nicht notwendig gegen f , wie das folgende Beispiel lehrt:
Beispiel 17.1:
f (x) =
exp( x12 )
0
für x 6= 0,
für x = 0.
(334)
Hier gilt nämlich f (n) (0) = 0 für alle n ∈ N. Immerhin konvergiert die Taylorreihe genau für diejenigen x ∈ I gegen f (x) für das Restglied aus Satz 17.1
gegen 0 konvergiert.
Mit Hilfe des Begriffes des gleichmäßigen Konvergenz werden wir in Analysis
II sogenannte konvergente Potenzreihen mit positivem Konvergenzradius mit
Taylorreihen identifizieren.
Wir kennen bereits einige konvergente Taylorreihen, nämlich
17 Taylorreihen
111
• die Exponentialfunktion
exp(x) =
∞
X
1 j
x
j!
j=0
bzw. mit Hilfe der Funktionalgleichung für einen beliebigen Entwicklungspunkt a:
exp(x)
exp(a) exp(x − a)
∞
X
exp(a)
=
(x − a)j .
j!
j=0
=
• die Reihendarstellungen von cos und sin aus Satz 11.3.
Die Entwickelbarkeit von Funktionen in Taylorreihen hat wichtige Konsequenzen. Wir können dies nicht rigoros ohne gleichmäßige Konvergenz machen, wollen dies aber trotzdem an zwei Beispielen motivieren (streng in Analysis II).
Zunächst betrachten wir den Logarithmus. Für |x| < 1 gilt
x Z x
dt
log(1 + x) = log(1 + t) =
.
0 1+t
0
Mit Hilfe der geometrischen Reihe gilt hier
∞
X
1
1
=
=
(−t)0 .
1+t
1 − (−t) j=0
In Analysis II erweist sich diese unendliche Reihe als gleichmäßig konvergent,
woraus sich die Vertauschbarkeit von Grenzprozessen wie Summation und Integration ergibt, d. h.
Z xX
∞
log(1 + x) =
(−t)0 dt
0
=
∞
X
j=0
j
=
(−1)j
x
tj+1 j + 1 0
∞
X
(−1)j+1
j=0
tj dt
0
j=0
=
x
(−1)
j=0
∞
X
Z
j
xj .
112
17 Taylorreihen
Dies ist die sogenannte Potenzreihenentwicklung (bzw. Taylorreihenentwicklung)
des Logarithmus. Hieraus gewinnen wir sogar (mit dem Leibnizkriterium und
Analysis II)
log(2) =
∞
X
(−1)j+1
j=1
j
=1−
1 1 1 1
+ − + ∓ ···
2 3 4 5
Ganz ähnlich kann man für den Tangens vorgehen. Nach Beispiel ?? gilt für
|x| < 1
Z x
dt
arctan(x) =
1
+
t2
0
unter Vorbehalt der Vertauschbarkeit von Summation und Integration. Vermöge
sin( π2 )
sin( π2 )
π
=
=1
tan( ) =
4
cos( π2 )
sin( π2 − π4 )
bzw. arctan(1) =
π
4.
Damit ergibt sich nun die Leibnizsche Reihe (vgl. Beispiel ??)
π
1 1 1 1
= 1 − + − + ∓ ···
4
3 5 7 9
Dies ist für eine näherungweise Berechnung von π jedoch eine viel zu langsam
konvergierende Reihe. Mittels der Funktionalgleichung
x+y
arctan(x) + arctan(y) = arctan
1 − xy
gültig für alle x, y ∈ R mit | arctan(x) + arctan(y)| < pi
2 , herleitbar aus der Potenzreihenentwicklung bzw. der Funktionalgleichung des Tangens, findet man
die “effiziente Machinsche Formel10
”
1
π
= 4 arctan( ) − arctan(1239)
4
5
(vgl. Beginn von Kapitel 7 (!!)).
10 J.
M., 1685–1751
Index
Ableitung, 83
konstante, 96
logarithmische, 92, 93, 103
zweite, 93
Absolutbetrag, 19, 47, 50, 52
absolute Konvergenz, 43
Abstand
euklidischer, 70
abzählbar, 36
Abzählung, 37
Achse
imaginäre, 74
reelle, 74
Additionstheoreme, 75
angeordnet, 19
Anordnungsaxiome, 18
Approximation
der Exponentialfunktion, 58
Archimedisches Axiom, 21, 24
Arcuscosinus, 80
Arcussinus, 80
Arcustangens, 80
Argument, 82
asymtotisch, 62
Verhalten, 49
Aufzinsung, 57
Ausmultiplizieren, 69
Berührpunkt, 48
Bernoullische Ungleichung, 21
beschränkt, 24, 54
nach oben, 24, 39
nach unten, 24, 39
Betrag, 19, 70
Beweis
indirekter, 24, 55
bijektiv, 65
Bild, 48
Binomialkoeffizient, 12
binomischer Lehrsatz, 13, 61
Bolzano-Weierstrass, 38
Bruch
b-adischer, 33
Cantormenge, 37
Cauchyfolge, 32, 38, 41, 42
komplexe, 72, 73
Cauchykriterium, 41, 44
Cosinus, 74
Definition
induktive, 8
rekursive, 8
Definitionsbereich, 46
Dezimalbruch, 33, 37
periodischer, 32
Diagonalverfahren von Cantor, 36
Differentialgleichung, 85
Differentialquotient, 83
Differenzenfolge, 28
Differenzenquotient, 84
Differenzierbarkeit, 83, 84, 86, 95
Dirichletfunktion, 47, 51
Divergenz, 24
bestimmte, 28, 29, 31
Dreiecksungleichung, 19, 24–26, 56
Einheit
imaginäre, 68
Einheitskreis, 74
elementare Ableitungsregeln, 88
Entwicklungspunkt, 109, 110
ε-δ-Kriterium, 54
ε-Umgebung, 23
113
114
Eulersche Formel, 74
Eulersche Zahl, 57
Exponentialfunktion, 58
Wachstum der, 63
zur Basis a, 67
Exponentialreihe, 58, 76
in C, 73
Extremum, 94
Fakultät, 10
Fallunterscheidung, 52
Fehlerterm, 109
Fibonaccizahlen, 22, 25
Folge, 22
aufsteigende, 37
beschränkte, 24, 39
Cauchy-, 32
divergent, siehe Divergenz
konvergente, siehe Konvergenz
monotone, 39
Teil-, 37
konvergente, 57
Fundamentalsatz der Algebra, 71
Funktion
beschränkte, 54
differenzierbare, 95
rationale, 47, 51
Funktionalgleichung
der e-Funktion, 59, 73, 74
der Gammafunktion, 108
des Logarithmus, 66
Gammafunktion, 107, 108
Gaußklammer, 21
Gausssches Integral, 104
gleichmäßig stetig, 56
Grenzwert, 23
uneigentlicher, 40
Gruppe, 69
Häufungspunkt, 38, 40
Index
hinreichend, 96
l’Hospital
Regel von, 98
Identität, 48
Imaginärteil, 68
Indexverschiebung, 14
Induktion
vollständige, 8
Induktionsanfang, 8
Induktionsanname, 8
Induktionsaxiom, 8
Induktionsschritt, 8
Infimum, 39
Integral
Gausssche, 104
Riemann, 101
Integration
numerische, 104
partielle, 103
Intervall, 23
abgeschlossenes, 23
kompakt, 54, 56
Intervallschachtelung, 33, 52
Inverses
multiplikativ, 69
Iterationsverfahren, 98
Kettenbruch, 36
Kettenregel, 92
klein
verschwindend, 62
Kochsche Insel, 22
Koeffizientenvergleich, 75
Körper, 17
bewerteter, 20, 71
exotischer, 17
komplexe Zahlen, 69
konjugiert, 69
Komposition, 48
Index
konjugiert komplexe Zahl, 69
Kontraposition, 55
Konvergenz, 23
absolute, 43
bei Integralen, 106
in C, 71
unendlicher Reihen, 41
Lagrangesches Integral, 110
Landau-Symbole, 62
Laplace-Experiment, 13
Leibniz-Kriterium, 42
Leibnizsche Reihe, 112
limes inferior, 40
limes superior, 40
lineare Approximierbarkeit, 86
Linearität, 88
Logarithmus, 64
natürlicher, 66
zur Basis a, 67
lokales Maximum, 93
lokales Minimum, 93
Machinsche Formel, 112
Majorante, 43
Majorantenkriterium, 43, 73
Maximum, 18, 40, 54
lokales, 93
strenges, 94
striktes, 94
Menge
magere, 37
Minimum, 18, 40, 54
lokales, 93
strenges, 94
striktes, 94
Minorante, 44
Minorantenkriterium, 44
Mittelwertsatz, 95
monoton fallend, 39, 96
115
monoton wachsend, 39, 96
Monte-Carlo-Verfahren, 6, 104
Newtonsche Iterationsfolge, 101
Newtonsches Naherungsverfahren,
99
notwendige Bedingung, 42
Nullfolge, 27–29
Nullstelle, 52, 77
numerische Integration, 104
Operationen
rationale, 47
Partialbruchzerlegung, 30
Partialsumme, 29, 30, 41, 60
Folge der ,̃ 42
partielle Integration, 103
Pascalsches Dreieck
Pascalsches Dreieck, 13
Peano-Axiome, 7
periodisch
zu 2π, 78
zu π, 80
periodischer Dezimalbruch, 32
π
2 , 77
Polarkoordinaten, 82, 83
Polynom, 47
nicht-konstantes, 71
Primzahl, 31
Produkt, 8
leeres, 9, 10
Produktregel, 88
Quadratwurzel, 35
Quotientenkriterium, 44, 58, 73
Quotientenregel, 88
Randpunkte, 65
rationale Funktion, 47
rationale Operationen, 47, 51
116
Realteil, 68
Regel von l’Hospital, 98
Reihe
cos, 75
Exponential-, 58
geometrische
endliche, 15
unendliche, 29
harmonische, 30, 31
alternierende, 43
Leibnizsche, 112
sin, 75
unendliche, 29, 41
Reihenrest, 59
rekursiv, 22
Restglied, 76
Riemann-Integral, 101
Riemannscher Umordnungssatz, 46
Satz von Rolle, 95
Schranke, 39
obere, 39
untere, 39
Sinus, 74
stetig, 51, 73
gleichmäßig, 56
stetig differenzierbar, 99
Stetigkeit, 51, 73
gleichmäßige, 56
Stirlingsche Formel, 107
strenges Maximum, 94
strenges Minimum, 94
streng monoton fallend, 39, 96
streng monoton wachsend, 39, 96
striktes Maximum, 94
striktes Minimum, 94
Substitutionsregel, 103
Summe, 8
leere, 9
Riemannsche, 105
Index
Superposition, 48
Supremum, 39
Symmetrie, 18
Tangens, 79
Taylorreihe, 110
Taylorsche Formel, 109
teilerfremd, 59
Teilfolge, 37, 54
konvergente, 57
Teleskopsumme, 30
Topologie
seltsame, 37
Transitivität, 18
Translationsinvarianz, 18
Trapezregel, 104
überabzählbar, 36
Umkehrfunktion, 64, 65, 67, 90
Umordnung, 45, 76
Ungleichung, 70
Vektoraddition, 68
Vollständige Induktion, 8
Vollständigkeitsaxiom, 33, 41
Wertebereich, 46
Winkelpythagoras,
75
√
2
Näherungen für, 53
Zahlen
ganze, 11
irrationale, 37, 59
komplexe, 68, 69
konjugiert, 69
Polarform, 83
nicht angeordnet, 70
rationale, 11, 32
reelle, 15
Zahlenebene
Index
Gaußsche, 68, 70, 74
Gaussche, 74
Zahlengerade, 18
Zinsrechnung, 57
Zwischenwertsatz, 52
117
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