Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten

Werbung
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Werbepolitik in europäischen
und globalen Märkten
_________________________________________________
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
Weltweit dynamische Werbung…………………..…………….... 2
Werbung fördert den Welthandel..……………..………………... 5
Ökonomische Werbepolitik gleich differenziertes Denken……. 7
EU-Werbepolitik bedroht die Werbefreiheit……………....…… 13
Voodoo-Glaube von der Werbewirkung………...…………...... 20
Wirtschaftliche Freiheit - Motor freier Gesellschaften.……….. 21
Vortrag von
Volker Nickel
Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW)
Vorlesungsreihe der Universität zu Köln
"Consumer Goods Marketing – Internationale Kommunikationspolitik
und Markenführung"
21. November 2006
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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I.
Weltweit dynamische Werbung
"Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten" – das ist ein
vielschichtiges Terrain. Heute wird das Wort ’Politik’ inflationär benutzt.
Verbraucherpolitik, Medienpolitik, Kirchenpolitik, Vereinspolitik. Und die
Wirtschaft? Ihre Verbände sind branchenpolitisch und in der Gesellschaftspolitik
aktiv. Auch Firmen betreiben Politik – ’Marktpolitik’. Ein Unternehmen muss mit
Hilfe von Kommunikationspolitik als Teil des Marketings über seine Produkte und
Dienstleistungen potentielle Käufer werbend informieren. Und das ist in einer
komplexen Welt alles andere als einfach.
Beispiel China. Dort musste der Sportartikelkonzern Nike einen TV-Werbespot
absetzen. Er hatte sich kulturell vergriffen. In dem Spot kämpft siegreich der
US-Basketball-Star LeBron James mit einem Kung-Fu-Meister und gleichzeitig mit
mehreren Drachen als Comic-Figuren. Die staatliche chinesische TV-Behörde sah
darin die Würde vieler Chinesen verletzt. Westliches Marketing dürfe nicht in
Konflikt mit chinesischen Traditionen und Symbolen geraten.
Dass man die gewohnte Richtung der Blicke in fremden Ländern auch mit
großem Werbeaufwand nicht umkehren kann, beweist die Kampagne eines
amerikanischen Waschmittelherstellers in drei arabischen Ländern. Die Menschen
dort lesen entgegengesetzt als wir - von rechts nach links. In dieser Blickfolge
werden auch Abbildungen auf Plakaten betrachtet.
Das amerikanische Unternehmen hatte aber daran nicht gedacht. Sein
Werbeplakat zeigte links zuerst einen Berg mit schmutziger Wäsche, dann die
Waschmittelmarke und rechts daneben einen Stapel blitzsauberer weißer
Textilien. Der ins arabische übersetzte Werbetext lautete "Mit wenig Aufwand sieht
Ihre Wäsche schnell so aus!" Da lachten Araber, als sie das Plakat sahen.
Werbung für Produkte und Dienstleistungen ist ein weltweites Phänomen.
Ausmaße und Dynamik der Markt-Kommunikation waren bisher nur
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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unvollkommen erfassbar: Es fehlte an Daten für seriöse Vergleiche über Größe
und Trends von Werbung in den Regionen der Welt. Die britische Studie "World
Advertising Trends" (herausgegeben vom britischen World Advertising Research
Center Ltd, www.warc.com) bietet seit einigen Jahren Einblick in die
Werbeausgaben der Staaten der Kontinente – und das auf einem qualitativ
akzeptablen Niveau der Erhebungsmethodik.
Insgesamt ermittelten die britischen Forscher im zuletzt erfassten Jahr 2005 ein
weltweites Werbevolumen von rund 452 Mrd Dollar. Und das bedeutet: In der
vergangenen Dekade sind die Investitionen in Werbung auf dem Globus um gut
zwei Drittel oder um 67 Prozent gestiegen. Da darf man getrost von erheblicher
Dynamik der Markt-Kommunikation rund um den Erdball sprechen.
Werbeausgaben global
im Zehn-Jahres-Vergleich
Werbung in Mio US-Dollar
Staaten
USA
1996
2005
97.876 Mio
155.252 Mio
China
2.199 Mio
38.525 Mio
Japan
36.238 Mio
35.941 Mio
Großbritannien
13.648 Mio
25.186 Mio
Deutschland
21.410 Mio
20.689 Mio
Mexiko
1.943 Mio
14.268 Mio
Brasilien
5.858 Mio
14.161 Mio
Frankreich
10.188 Mio
12.842 Mio
Italien
5.997 Mio
10.753 Mio
Kanada
4.381 Mio
8.858 Mio
Veränderung in Prozent
+ 59
+ 1.652
-1
+ 85
-3
+ 634
+ 142
+ 26
+ 79
+ 102
Inclusive Mittlerprovisionen und Presseeigenwerbung, ohne Rabatte und Produktionskosten
Quelle: World Advertising Trends 1997 und 2006, World Advertising Research Center Ltd., Henley-on-Thames (www.warc.com) /ZAW
Werbestärkstes Land der Erde sind die Vereinigten Staaten von Amerika mit
einem Anteil von 155 Mrd Dollar im Jahr 2005 - oder einem Drittel der globalen
Werbeausgaben. Auf Platz zwei weit abgeschlagen - dennoch sensationell - die
noch immer von Kommunisten gelenkte Volksrepublik China. Die Chinesen haben
bereits die Japaner bei den Investitionen in das kapitalistische Instrument der
kommerziellen Werbung überrundet. Auf sie entfallen 38,5 Mrd Dollar Werbe-
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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ausgaben gegenüber 36 Mrd Dollar Japans. Großbritannien rangiert mit
25 Mrd Dollar an vierter und Deutschland mit 21 Mrd Dollar an fünfter Stelle.
Die Bundesrepublik Deutschland war in den zurückliegenden Jahren der
werbekranke Mann Europas. In den Jahren 2001 bis 2003 stürzten die
Investitionen in Werbung geradezu in den Keller.
Bruttoinlandsprodukt und Werbeinvestitionen: Richtung Aufschwung
Index 1995 = 100%
130
Netto-Werbeeinnahmen der Medien
125
Bruttoinlandsprodukt
120
115
110
Investitionen
in Werbung
105
100
95
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
Quelle: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (Berlin),
Statistisches Bundesamt (Wiesbaden)
In dieser Zeitspanne verloren die deutschen Medien 4,1 Mrd Euro. Immerhin:
Es geht aufwärts – aber nur allmählich.
Medien noch im Werbeplus
Gewinne und Verluste / Netto-Werbeeinnahmen 2000 bis 2006 (in Mio €)
+ 1.560
2001
2002
2003
- 1.653
- 1.581
- 861
2000
Quelle: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (Berlin)
+ 308
+ 193
+ 396
2004
2005
2006
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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Der Blick auf die zehn werbestärksten Werbestaaten Europas zeigt zwar die
nach wie vor zweite Position Deutschlands der werbeintensivsten Länder auf dem
Kontinent – nach Großbritannien.
Werbeausgaben in Europa
im Zehn-Jahres-Vergleich
Werbung in Mio US-Dollar
Staaten
1996
2005
Veränderung in Prozent
Großbritannien
13.648 Mio
25.186 Mio
Deutschland
21.410 Mio
20.689 Mio - 3
Frankreich
10.188 Mio
12.842 Mio
Italien
5.997 Mio
10.753 Mio
Spanien
4.799 Mio
8.079 Mio
Ukraine
--- Mio
7.181 Mio
Russland
Niederlande
Rumänien
Polen
+ 85
+ 26
+ 79
+ 68
---
750 Mio
5.010 Mio
3.522 Mio
4.351 Mio
83 Mio
3.583 Mio
+ 4. 217
769 Mio
3.145 Mio
+ 309
+ 568
+ 24
Inclusive Mittlerprovisionen und Presseeigenwerbung, ohne Rabatte und Produktionskosten
Quelle: World Advertising Trends 1997 und 2006, World Advertising Research Center Ltd., Henley-on-Thames (www.warc.com) /ZAW
Deutlich wird aber gleichzeitig: Die Dynamik des Werbemarkts in der
Bundesrepublik hat erheblich nachgelassen. Zentraler Grund war die
volkswirtschaftliche Konjunkturflaute in Deutschland und das daraus resultierende
zyklische Werbeverhalten der Unternehmen – insbesondere mittelständischer
Firmen.
II. Werbung fördert den Welthandel
Markt-Kommunikation für Produkte und Dienstleistungen ist ein wichtiger
Impulsgeber für den weltweiten Warenaustausch. Sie ist gekoppelt mit
grenzenloser Güterproduktion. Das aber schafft neue Probleme, Ängste und
Ideologien.
Der Begriff "Globalisierung" dient manchem Feuilletonisten und Buchautor als
intellektuelles Kampfmittel gegen den vermeintlich bösen Kapitalismus. Der
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heraufziehende erbarmungslose Weltmarkt organisiere sich zur Geldmaschine.
Das Kapital entziehe sich immer stärker der nationalpolitischen Kontrolle und
schaffe Arbeit im herkömmlichen Sinne ab – so die Mahner und Warner.
Diese Sorgen sind ernst zu nehmen, auch wenn sie häufig emotional mit Wut
und Hass vorgetragen werden. Sie liefern jedoch noch kein Gegenmodell zur
internationalen Arbeitsteilung. Auch beruhen die Proteste gegen Globalisierung zu
einem großen Teil auf Unkenntnis wesentlicher wirtschaftlicher Zusammenhänge.
Jede Volkswirtschaft kann durch den internationalen Güteraustausch
Wohlstand gewinnen. Beispiel Deutschland: Ohne hohe Exporte wäre die
deutsche Leistungsbilanz dramatisch abgesackt. Erfolge von Importeuren auf dem
deutschen Markt, vor allem aus ärmeren Ländern, schaffen wiederum das
Einkommen, damit sie sich Maschinen aus Deutschland leisten können.
Die weltweite Arbeitsteilung im Wirtschaften ist kein Null-Summen-Spiel, bei
dem das eine Land lediglich dann einen Nutzenzuwachs erreicht, wenn das
andere Land verliert. Es geht um ein Positiv-Summen-Spiel, bei dem alle
Volkswirtschaften Vorteile verbuchen können.
So ist die Behauptung schlichtweg falsch, die weniger industriell entwickelten
Staaten der Erde hätten durch die internationale Arbeitsteilung verloren.
Betrachtet man den Zeitraum von 1975 bis 2000, so ist es den (nicht Erdöl
exportierenden) Entwicklungs- und Schwellenländern gelungen, ihren Anteil am
gesamten Weltexport von 18 Prozent auf etwa 30 Prozent zu steigern. Die
Internationalisierung der Güterproduktion und der Austausch von Waren haben
mehr als 600 Millionen Menschen über die Armutsschwelle gehoben.
„Weltwirtschaft“ ist überhaupt nichts Neues. Auch nicht für Deutschland. Die
Bayer AG gründete bereits 1864 die erste Tochtergesellschaft im Ausland. Das
Unternehmen Henkel ist nach seiner Gründung 1876 heute als Gruppe in mehr als
125 Ländern der Welt aktiv. Oder die Siemens AG: Sie erwirtschaftete schon vor
dem ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland - vor allem in
Russland.
Heute betreiben nach einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs
(HWWA) mehr als 8.000 deutsche Investoren rund 23.000 Auslandsgesellschaften
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mit über 3 Mio Arbeitsplätzen. Allein die Auslandstöchter deutscher
Industrieunternehmen erreichen gegenwärtig insgesamt einen Umsatz von rund
320 Mrd Euro.
Die Internationalisierung von Produktion und Verkauf lässt sich an der
Autoindustrie eindrucksvoll ablesen. So sind nach Daten der
Welthandelsorganisation WTO die Vereinigten Staaten an der Produktion ihrer
eignen Pkw nur zu einem Drittel des Produktionswertes beteiligt. Auch in den
Autos deutscher Hersteller stecken immer weniger Teile, die tatsächlich auch in
Deutschland hergestellt sind, so eine jüngste Studie des Center Automotive
Research (CAR). „Made in Germany“ sind beim VW Golf gerade einmal
50 Prozent, bei BMW 55 Prozent und selbst bei der Mercedes E-Klasse nur gut
65 Prozent. Deutsche Wertarbeit wird eben heute gleichfalls im Ausland
produziert.
Oder Japan. Nippon stellt immer weniger Fahrzeuge zu Hause her: Durch die
rasch voranschreitende Internationalisierung wurden im vergangenen
Geschäftsjahr 2005 erstmals mehr Fahrzeuge in ausländischen Werken als in
Japan produziert.
Wenn Hersteller mit ihrer Produktion und Werbung aber ins Ausland gehen, um
ihre Märkte zu sichern oder zu erweitern, steigen sie zu wichtigen Investoren und
Arbeitgebern auf. Außerdem kaufen sie ihre Vorprodukte und Dienstleistungen
immer öfter von lokalen Zulieferern, können die eigenen Transportkosten senken
sowie ihre Produktion an kundenspezifische Bedürfnisse anpassen.
Der Effekt der Globalisierung: Über die Kontinente hinweg intensivieren sich die
Beziehungen. Technischer Fortschritt und kurze Innovationszyklen mischen sich
mit politischer Liberalisierung. Der Blick nach China lehrt: Wo Wettbewerb als
ökonomisches Prinzip einzieht, sind demokratische Strukturen nicht fern.
III. Ökonomische Werbepolitik gleich differenziertes Denken
Welche Rolle spielt dabei die Werbung? Offensichtlich eine denkbar fatale. Die
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Kritiker der Globalisierung werfen der Markt-Kommunikationspolitik der
Unternehmen vor, sie sei der Wegbereiter eines zerstörerischen Trends: Die
westliche Kultur verdränge die Kulturen in anderen Ländern, Regionen und
Kontinenten. Alles würde zum großen Einheitsbrei zusammenschmelzen. Die
Etiketts für diesen Vorwurf sind global geläufig. Es sei die "McDonaldisierung" der
Erde (George Ritzer), es baue sich eine "CocaColization" auf (Zdravko Mlinar); am
Horizont dämmere "McWorld" (Benjamin Barber).
Es stimmt natürlich: Im niederbayerischen Dorf werden die gleichen
'Krimiserien' gesehen wie in New York, Tokio oder Bombay. 800 Mio BarbiePuppen weltweit propagieren das Schönheits- und Lebensideal der weißen
US-amerikanischen Mittelschicht. McDonalds gibt es nun nahezu überall auf der
Welt, wie auch überall Blue Jeans getragen werden, Coca Cola getrunken und
Marlboro geraucht wird.
Aber so offenkundig sich die westliche Konsum- und Popularkultur auch mit
Hilfe von Werbung über den gesamten Erdball verbreitet, so verfehlt ist die
Schlussfolgerung, dass durch kommerzielle Werbepolitik lokale Kulturen
niedergewalzt werden.
Tatsächlich trifft auch Werbung nicht auf einen passiven Menschen, der durch
mangelnden psychischen Widerstand alles in sich aufsaugt und blind den
Vorgaben von Anzeigen, Plakaten und TV-Spots folgt.
Umgekehrt ist es richtig: Firmen müssen im lokalen Feld äußerst sensibel mit
den Umworbenen umgehen. Multinationale Konzerne haben bereits schmerzhaft
erfahren, was passiert, wenn sie den kulturellen Kontext eines neuen
Absatzmarktes für ihre Produkte ignorieren. Die notwendige kulturelle Umsicht
reicht vom Produktnamen über die Werbestrategien bis hin zum Design und den
Verkaufsformen.
Europa, dessen Staaten so dicht aneinander liegen, ist ein sehr gutes Beispiel
für den Zwang zum differenzierten Denken vor allem in der Markt-Kommunikation.
Der Jubel über den großen 'Europäischen Wirtschaftsraum' verdeckte das
dialektische Rauschen des Mantels der Geschichte: Einerseits werden die
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Handelsschranken in Europa abgebaut; andererseits erfolgt gleichzeitig zum
europäischen Einigungsprozess eine stärkere Rückbesinnung auf kulturelle,
sprachliche und nationale Identitäten.
Die Mentalitätsgrenzen fallen nicht gleichzeitig mit den Landesgrenzen. Im
Gegenteil: Je stärker die Welt wirtschaftlich zusammenwächst, desto intensiver
besinnen sich die Menschen auf ihre lokalen Bräuche und Gewohnheiten. Daraus
entstehen komplexe gesellschaftliche Verhältnisse, die von Land zu Land
variieren – selbst im weitgehend dicht besiedelten Europa. Kulturelle Unterschiede
müssen die Unternehmen vor allem bei grenzüberschreitenden
Marketingstrategien berücksichtigen.
Der Blick auf die Europäische Union lässt ahnen, was Vielfalt bedeutet. Man
lebt und arbeitet zwar in einem gemeinsamen Binnenmarkt. Aber die
Lebensgewohnheiten lassen sich in den 25 nationalen Gebilden der EU nicht
planieren. So arbeiten und kaufen die europäischen Konsumenten zwanzig Jahre
nach Gründung des Binnenmarkts am liebsten in ihren Heimatländern – berichtet
eine Studie des Brüsseler Think Tanks Bruegel (veröffentlicht 11.10.2006).
Danach sei der Handel zwischen den US-Bundesstaaten zwei- bis dreimal größer
als zwischen den EU-Ländern.
Die Studie platzt in die Debatte um eine Reform der EU-Binnenmarktpolitik.
Vorschläge der EU-Kommission werden beim Frühjahrsgipfel der Staats- und
Regierungschefs im März 2007 diskutiert. Auch soll die Reform des Binnenmarkts
einer der Schwerpunkte des deutschen EU-Ratsvorsitzes werden, der im Januar
2007 beginnt. Ziel: Deutlich mehr grenzüberschreitender Wettbewerb in Europa.
Die fehlende Begeisterung für Handeln, Werben und Kaufen über das
Heimatland hinaus im großen EU-Markt wird sich aber nicht von oben nach unten
anweisen lassen. Nur wenn Vorteile für das einzelne Unternehmen und ebenso für
den privaten Käufer winken, kann sich die grenzüberschreitende Ökonomie
stärker entwickeln. Die Hindernisse auf diesem Weg sind hoch und tief verwurzelt.
Zeitgemäße Werbepolitik von Unternehmen muss sich an solchen überwiegend
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kulturellen Tatsachen orientieren und dabei die folgenden Punkte ins Kalkül
ziehen:
Faktor eins: Die Sprachen
Auf die weltweit mehr als 10.000 Sprachen entfallen rund 30 auf den
europäischen Kontinent - nimmt man regionale eigenständige Varianten hinzu. Für
die Werbung ist das nicht nur ein Problem der korrekten Übersetzung, sondern
erfordert auch Sprachverständnis, insbesondere bei Wortspielen oder einzelnen
Begriffen.
Ein Beispiel aus der Autowerbung: Der „Fiat Uno“ gibt in Finnland unfreiwillig
interessante Auskunft über seinen Fahrer. Dort bedeutet das Wort „Uuno“:
„Trottel“. Oder Spanien. Dort kam der werbende Autoname „Lada Nova“ nicht gut
an. Ein Auto, das laut spanischer Sprache „nicht fährt“ („no va“), braucht nun
wirklich niemand.
Auch das Weltprodukt ’Coca Cola’ hatte Probleme mit seiner Marke – wenn
auch außerhalb Europas. Als der Konzern das Getränk mit einer großen
Werbekampagne auf dem chinesischen Markt einführte, wäre das USUnternehmen fast gescheitert. In chinesischer Sprache bedeutet ’Kou-ka-kou-la’:
"Ein weibliches Pferd mit Kerzenwachs gefüllt". Das Unternehmen musste sein
Produkt umtaufen – in "Ke-kou-ke-le", was ungefähr so viel heißt wie ’schmackhaft
und glücklich’.
Zweitens: Soziokulturelle Faktoren
Oftmals sind in Europa Einstellungen, Traditionen, Verbrauchsgewohnheiten
und Wertvorstellungen unterschiedlich.
So hat zum Beispiel bei jungen Menschen in Portugal, Griechenland und
Spanien der Umweltschutz eine ungleich höhere Bedeutung als in Großbritannien,
Schweden, Dänemark oder den Niederlanden. Oder Franzosen haben eine
andere Einstellung zu Sex und Erotik in der Werbung als Engländer.
Deutsche wiederum verstehen unter Humor etwas anderes als Briten - Humor
ist in der Bundesrepublik häufig eine ernste Angelegenheit. Niemand kauft zum
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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Beispiel in Deutschland ein Waschmittel, weil er ein Humor-Defizit hat. Es wird
gekauft, weil es verspricht, ein Problem zu lösen, und das heißt: schmutzige
Wäsche.
Drittens: Soziodemografische Faktoren
Hierzu zählen Kriterien wie Altersstruktur, Haushaltsgröße, Kaufkraft,
Schulbildung oder Erwerbsquote der Frauen.
In Deutschland ist zum Beispiel jeder dritte Haushalt ein Single-Haushalt - in
Italien nur jeder Sechste, in Spanien sogar nur jeder Zehnte. Unterschiede auch in
der Kaufkraft. Luxemburger können pro Jahr doppelt soviel Geld ausgeben wie die
Spanier. Deutlich wohlhabender sind auch die Norweger im Vergleich zu
Franzosen und Italiener.
Viertens: Produkt- und Geschmackspräferenzen
Beispiel Verzehrsgewohnheiten: Die Dänen essen fast doppelt so viel Fisch wie
die Spanier; die Hälfte der in der EU verkauften Sahne verbrauchen die
Deutschen; in Belgien und Luxemburg ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Suppen am
höchsten; die Griechen trinken pro Kopf die meisten Spirituosen – dreimal mehr
als im EU-Durchschnitt – während die Hälfte des gesamten Süßwarenkonsums in
der Europäischen Union auf Briten und Deutsche entfällt.
Fünftens: Das Klima
Auch die Wetterverhältnisse können Ursache für Differenzierung sein. Werbung
für Kühlschränke oder Sonnenschutzmittel sieht zwischen Island und Italien
unterschiedlich aus. Oder Russland. Dort liegen die durchschnittlichen
Temperaturen von Oktober bis April unter dem Gefrierpunkt - mit Spitzen im
zweistelligen Minusbereich. Das Unternehmen Henkel hat sich mit einer
Produktinnovation für sein Weichspülkonzentrat ein herausragendes
Werbeargument verschafft: Der Weichspüler sei „frostsicher“ und halte
Temperaturen bis zu minus 20 Grad stand.
Sechstens: Medienstrukturen und Mediennutzung
Im Europa ohne Grenzen ist die Medienstruktur in den einzelnen Ländern
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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höchst unterschiedlich - und als Folge davon die Nutzung als Werbeträger.
So kaufen zum Beispiel von je 1.000 Einwohnern in Norwegen 580
Tageszeitungen, in Deutschland 305, in Frankreich lediglich 170 und
in Italien nur 110.
Oder die Nutzung von Zeitschriften: In deutschen Haushalten finden sich
durchschnittlich 4 verschiedene Titel von gekauften Publikumszeitschriften, in
Großbritannien nur 2 und in Dänemark meist nur 1 Titel.
Deutliche Abweichungen zeigen auch die Daten der TV-Nutzung. So sitzen die
Griechen 256 Minuten pro Tag vor dem Fernseher, die Italiener 239, die
Deutschen 226, die Franzosen 196 – die Österreicher aber nur 144 und
Luxemburger lediglich 124 Minuten TV. Im Vergleich zu Europa bleibt in den USA
der Fernseher mit 299 Minuten am längsten eingeschaltet.
Siebtens: Rechtliche Rahmenbedingungen
Werbestrategien in europäischen und globalen Märkten müssen außerdem die
unterschiedlichen rechtlichen Verhältnisse in den Ländern berücksichtigen. In den
Vereinigten Staaten trifft ein Unternehmen zum Beispiel auf eine kuriosgefährliche Rechtsauffassung: Um Millionen schweren
Schadensersatzansprüchen zu entgehen, enthalten Produkte und auch die
Werbung teilweise absurde Texte wie jene im Zusammenhang mit
Toilettenbürsten - "Nicht zur Körperhygiene verwenden!" Oder Fabrikanten von
Leitern warnen mit dem Aufkleber: "Achtung, dies ist die letzte Sprosse. Bitte nicht
weitersteigen!“
Und Europa? Die werbenden Unternehmen müssen sich in den
25 EU-Mitgliedstaaten mit nach wie vor unterschiedlichen Regelungen für die
Markt-Kommunikation plagen. Auch das sich heranbildende europäische
Werberecht schafft kaum einen harmonisierten rechtlichen Raum. So ist zum
Beispiel die Rechtsprechung in den EU-Ländern unterschiedlich, wann eine
Werbemaßnahme die umworbenen Konsumenten irreführt oder nicht – obwohl es
doch die europäische Harmonisierungsrichtlinie über irreführende Werbung
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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gibt. Die Folge: Ein Gericht in Neapel mag eine Werbung als irreführend einstufen,
in Düsseldorf aber nicht.
Diese differenten Verhältnisse ergeben sich aus einer schlichten Tatsache: Vor
Gericht tritt die lokale Gesellschaft auf und nicht eine europäische.
Als Fazit für die Werbepolitik aus betriebswirtschaftlicher Sicht bleibt die
Erkenntnis: Werbung kann keine Völker und ihre tief verwurzelte Kultur
umkrempeln. Das schafft keine globale Werbekampagne.
Werbepolitik ist zwar universal. Aber ihre Gestaltungselemente sind in der
Regel nicht homogen verwendbar. Schlüsselbegriffe und Schlüsselbilder müssen
in die Sprache der lokalen und regionalen Bevölkerung eingesetzt werden.
In Sachen Markt-Kommunikation gibt es demnach keine Schwarz-WeißLösung. Das Denken nur in lokalen oder nur in globalen Dimensionen lenkt in die
Irre. Je nach Unternehmenszielen bedarf es strategischer Konzepte, die mal zu
differenzierenden Kampagnen führen, mal zu einheitlichen europäischen oder
globalen Aktivitäten in der Werbung. Die Dialektik der Zeit weist also in beide
Richtungen.
IV. EU-Werbepolitik bedroht die Werbefreiheit
„Werbepolitik“ – diesen Begriff kann man aber auch in ganz anderem
Zusammenhang durchleuchten. Denn werbende Firmen, ihre Werbeagenturen
und die Medien als Werbeträger müssen auch den nationalen und europäischen
Gesetzgeber im Blick haben. Dort ist der Trend eindeutig: Immer häufiger und
immer umfassender greift Brüssel in die Werbung der Unternehmen ein.
Das überrascht - zumal der Niedergang der Planwirtschaft in den
sozialistischen Ländern den Vorteil der Wettbewerbswirtschaft mit ihrem System
der Markt-Kommunikation bewusst gemacht hat. Es ist ja die Europäische Union,
die mit ihrer in Lissabon beschlossenen Strategie Europa zum
wettbewerbsintensivsten Markt der Welt entwickeln will. Auch tragen die Politiker
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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in Brüssel ständig einen Begriff auf den Lippen, der verbindlich in den
europäischen Verträgen festgeschrieben ist: das „Subsidiaritätsprinzip“ – also von
oben nur regeln, wenn es unten nicht funktioniert.
Gleichfalls verträgt sich Werbezensur nicht mit der Absicht der Europäischen
Union, den Vorschriftendschungel der EU abzubauen und künftig neue
Wucherungen zu verhindern. Ohnehin ist es fraglich, ob diejenigen die
Vorschriften wieder abbauen können, die sie selbst geschaffen haben.
Der Vizepräsident der EU-Kommission Günter Verheugen, als
Industriekommissar gleichzeitig für die Entbürokratisierung der EU-Vorschriften
zuständig, gab dazu am 5. Oktober 2006 in der Süddeutschen Zeitung (Seite 5)
ein bemerkenswertes Interview. Zitat: „EU-Beamte wurden jahrzehntelang darauf
getrimmt, mehr Vorschriften zu machen. Das kriegt man nicht sofort aus den
Köpfen.“ Die EU-Kommission verbringe einen Großteil ihrer Zeit damit, Probleme
zu lösen, die es nicht gäbe, wenn es sie nicht gäbe.
Der SPD-Politiker hat Recht: Es ist doch etwas faul in Europa, wenn die
Rechtsmasse der EU unterdessen 105.000 Seiten erreicht hat – angefangen von
einer detaillierten Blumenkohl-Verordnung bis hin zu der gegenwärtig heftig
diskutierten Absicht einer EU-Chemikalien-Richtlinie mit Vorschriften auf
1.169 Seiten.
Erst recht anachronistisch ist es angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten
in vielen EU-Ländern, wenn die Markt-Kommunikation der Wirtschaft auch noch
von der Brüsseler Politik unter Druck gesetzt wird.
Das Bedrohungspotential für kommerzielle Kommunikationsfreiheit ist in seiner
Aktualität unterschiedlich. Manche politischen Vorgänge sind sehr nahe, andere
wiederum befinden sich in einer Phase der Weichenstellung oder in der
Metamorphose von Diskussionen. Wie ist die aktuelle Lage?
Wir stehen in Deutschland vor einem Verbot der Tabakwerbung in
Pressemedien – erzwungen von einer nun auch vom Deutschen Bundestag
akzeptierten Richtlinie der Europäischen Union. Alle anderen Mitgliedsländer
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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hatten diese Werbezensur bereits vollzogen, nur Deutschland verweigerte bisher
die Umsetzung in nationales Recht. Der Grund: Die deutsche Regierung hat vor
dem Europäischen Gerichtshof gegen die Richtlinie eine Klage wegen
Überschreitung der Kompetenzen Brüssels eingereicht. Denn das Ziel des
europäischen Rechtsaktes gegen die Tabakwerbung war nicht etwa die
Harmonisierung des Binnenmarkts, sondern der Glaube der EU, mit einem
Werbeverbot den Zigarettenkonsum in Europa senken zu können.
Rechtsakte in Sachen Gesundheitspolitik aber dürfen nach den europäischen
Verträgen nur die Mitgliedsstaaten für ihr Territorium erlassen. Verliert
Deutschland seine Klage in Luxemburg, verändert sich die politische Lage für die
Werbung der Wirtschaft in Europa dramatisch: Dann gibt das höchste europäische
Gericht der EU-Kommission einen Werkzeugkasten in die Hand, mit dem sich
jegliche Werbung demontieren ließe.
Warum? Vordergründig braucht die EU-Kommission dann nur zu behaupten –
wie bei der Tabakwerbung geschehen – sie wolle unterschiedliche
Werbevorschriften der Mitgliedsländer harmonisieren. Hintergründig aber geht es
der Behörde um Durchsetzung ihrer Ideologie, die da heißt: Mit Werbeverboten
lässt sich menschliches Verhalten steuern.
Abgesehen davon, dass Brüssel trickreich – aber eben vertragswidrig den
Mitgliedsländern gesundheitspolitische Kompetenz entreißen will: Nirgendwo
haben Werbeverbote tatsächlich zum Verzicht auf Tabakkonsum geführt. Die
Raucher rauchten nicht eine Zigarette weniger, wie empirisch vielfach
nachgewiesen wurde. Tatsächlich wurde der Wettbewerb auch für immer
schadstoffärmere Zigaretten weitgehend abgeschafft, was letztlich den
Marktführern zugute kam und kommt. Und das Nachsehen hatten die Medien, die
wieder auf einen Teil von Einnahmen aus dem Markenwettbewerb verzichten
mussten. In Deutschland handelt es sich immerhin um einen Betrag von
120 Mio Euro.
Dass die EU-Kommission den Werkzeugkasten auch in anderen Branchen
einsetzen würde, haben bereits die Markenanbieter alkoholhaltiger Getränke zu
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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spüren bekommen. Eine Ende Oktober 2006 von der Brüsseler Behörde
veröffentlichte Strategie gegen den Konsum alkoholhaltiger Getränke in Europa
verlangt von den Produzenten zu den bereits bestehenden Selbstbeschränkungen
der Markt-Kommunikation weitere Selbstbeschneidungen.
Aus vorangegangenen Papieren ging klar hervor, mit welcher Taktik Brüssel
operiert: Entweder die Wirtschaft akzeptiert von Brüssel diktierte
Selbstbeschränkungen der Werbung, oder der Werkzeugkasten europarechtlicher
Werbedemontage wird geholt.
Ein weiterer Beleg für die europäische Politik des Werbedirigismus hängt mit
der Nahrungsmittelindustrie zusammen - ein wahrhaft exemplarischer Vorgang,
der schon bei oberflächlicher Schilderung die Tiefe des EU-behördlichen Eingriffs
in die Werbung veranschaulicht.
Greifen wir einmal vor: Irgendwann morgens im Jahr 2010. Ein EU-Bürger
schlägt ein Nachrichtenmagazin auf. Rechte Seite eine Anzeige für Joghurt. Die
Werbeaussage dort lautet: "Probiotische Kulturen können die natürlichen
Abwehrmechanismen des Körpers unterstützen – durch Beeinflussung der
Interstinal-Flora, eine Verbesserung der Barrierefunktion und/oder die Modulation
von Immun-Parametern sowie die Vermehrung unerwünschter Mikroorganismen
verhindern und zur Regeneration der Darmflora beitragen."
Satire? Heute darf diese Werbeaussage noch schlicht heißen: „Stärkt ihre
Abwehrkräfte“. Unterdessen hat die EU-Kommission aber eine Verordnung
durchgesetzt, nach der nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in der
Werbung durch den Tunnel langwieriger und für die Unternehmen teure
Genehmigungsverfahren hindurch müssen.
Die Behörde strebt mit den neuen Vorschriften einen radikalen
Paradigmenwechsel an: Bisher war bei gesundheits- und nährwertbezogenen
Aussagen in der Lebensmittelwerbung alles erlaubt, was nicht irreführend und
nicht verboten war. Nun aber soll alles verboten werden – es sei denn, Brüssel
erlaubt Werbung ausdrücklich.
Was sich die Beamten der Kommission am grünen Tisch auf 42 Seiten
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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Verordnungstext ausgedacht haben, wird in seiner Absurdität bereits bei einer
zusammenfassenden Skizze deutlich:
• Das Dekret betrifft nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die bei der
Etikettierung, der Aufmachung und bei der Werbung für Lebensmittel gemacht
werden. Erfasst sind auch solche Produkte, die unverpackt oder lose in Verkehr
gebracht werden. Aber auch Handelsmarken, Handelsnamen oder
Markenbezeichnungen sind betroffen, wenn sie als nährwert- oder
gesundheitsbezogene Angabe eingestuft werden könnten – denken wir nur an
das Hustenbonbon "Rachengold".
• Die Brüsseler Behörde will über so genannte "Nährwertprofile" gesundheits- und
nährwertbezogene Werbeaussagen weitgehend unterdrücken. Nur jene
Produkte sollen unter besonderen Auflagen beworben werden dürfen, die dem
europarechtlich vorgegebenen Profil zum Beispiel an Zucker, Salz und Fett
entsprechen. Anstelle flexibler Produkte, die sich an den Markt anpassen, also
starre behördliche Vorgaben.
Die Nährwertprofile gibt es noch gar nicht. Erst wenn die Verordnung
voraussichtlich Anfang 2007 in Kraft getreten ist, nimmt sich die EU-Kommission
24 Monate Zeit, um die Vorgaben zu definieren. Dass damit das
Lebensmittelangebot in gute und schlechte Produkte eingeteilt wird – oder
besser: in behördlich genehme und in benachteiligte – kümmert Brüssel nicht.
Die Vorschrift würde in jedem Fall bedeuten, dass beispielsweise alkoholfreie
Getränke – wie Orangenlimonade, Multivitamin-Fruchtsaftgetränke, Energy
Drinks oder auch Vollmilch wegen des aus behördlicher Sicht zu hohen
Zuckergehalts oder Fettanteils nährwert- oder gesundheitsbezogen nicht mehr
wie bisher beworben werden dürfen.
Zu befürchten ist, dass Firmen um ihrer Existenz willen Marktflexibilität
aufgeben. Sie werden Waren herstellen, die den europabehördlichen Vorgaben
entsprechen. Das aber wäre nichts anderes als staatliche Produktsteuerung.
• Geradezu zersetzt würden der Wettbewerb und das System der Marktwirtschaft
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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durch die Einführung neuer und langwieriger Genehmigungsverfahren für
gesundheitsbezogene Werbeaussagen im Lebensmittelbereich.
Das von der EU-Kommission erdachte System zur Registrierung einer
gesundheitsbezogenen Angabe ist sowohl technisch als auch finanziell derart
aufwendig und bürokratisch gestaltet, dass es nur Großunternehmen
wirtschaftlich durchhalten können. Mittelständische und kleine
Lebensmittelhersteller würden damit erheblich benachteiligt.
Neue gesundheitsbezogene Angaben müssen von den Unternehmen beantragt
werden. Beschrieben ist das Zulassungsverfahren auf viereinhalb Seiten in der
Verordnung. Grob vereinfacht soll es in den folgenden Schritten ablaufen:
- Das Unternehmen muss einen detaillierten Antrag stellen, der unter anderem
wissenschaftliche Studien und den Vorschlag für eine Formulierung des
"Health Claim" enthält.
- Der Antrag wird zunächst einer nationalen Behörde vorgelegt, die ihn an die
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety
Authority EFSA) weiterleitet.
- Die europäische Behörde erstellt zu dem Antrag binnen sechs Monaten ein
Gutachten.
- Das Gutachten wird der Kommission, den Mitgliedstaaten und den
Antragstellern zugeleitet.
- Innerhalb von drei Monaten nach Erhalt des Gutachtens entscheidet die
Kommission über die Aufnahme der beantragten gesundheitsbezogenen
Angaben in die Liste.
- Die Entscheidung der Kommission wird im Amtsblatt der EU veröffentlicht.
Nach Schätzungen der deutschen Lebensmittelindustrie kommen auf die
Unternehmen allein durch geforderte wissenschaftliche Belege der
Werbeaussagen Kosten zwischen 250.000 Euro und 1 Mio Euro pro Studie zu.
Kosten entstehen außerdem für die verschiedenen Behördendurchläufe sowie
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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für den betriebsinternen Aufwand und externe Beratung.
Die EU-Kommission aber will es bei diesem bürokratischen Monster im
Lebensmittelbereich nicht belassen. Sie hat für das Jahr 2007 ein Weißbuch –
also Projekte auch der europäischen Rechtsetzung angekündigt. Es soll eine
zentrale Ernährungsstrategie auf EU-Ebene festschreiben. Dort geht es dann um
alles – um gesunde Lebensweise, gegen Übergewicht und Fettleibigkeit und so
weiter. Im Zentrum wird wieder die Ernährungsindustrie stehen – so als sei sie
oder ihre Markenwerbung Verursacher menschlichen Fehlverhaltens.
Und ein letztes werbepolitisches Beispiel. Auch dort ein vorweg genommener
Blick die Morgenzeitung des Jahres 2010. Autowerbung auf der dritten Seite:
"Erwerben Sie unser neues Automodell 'Kleiner Schädling'! Sein TreibhausgasAusstoß beträgt nur 297 Gramm pro Kilometer. Und denken Sie daran: Autos
töten Menschen und die Umwelt."
Wieder Satire? Keineswegs. Das Belgische Parlament hat im Jahr 2004 ein
Gesetz verabschiedet, nachdem Autowerbung mit dem Warnhinweis versehen
sein muss, dass der Fahrer für sicheres Fahren selbst verantwortlich ist.
Werbeagenturen und Automobilkonzerne, die jene Vorgaben ignorieren, müssen
mit heftigen Geldbußen und sogar mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr rechnen.
Die EU-Kommission hatte ähnliche und noch weitergehende Vorschriften im
Jahr 1998 während der britischen Ratspräsidentschaft durchzusetzen versucht.
Gegenwärtig wird nach internen Informationen aus Kreisen der Brüsseler Behörde
ein neuer Anlauf für die Reglementierung der Pkw-Werbung vorbereitet.
Grundlage soll eine noch unter Verschluss gehaltene Studie sein, in der die
Unfallhäufigkeit bei Jugendlichen mit Autowerbung als ursächlich dargestellt wird.
Durchgesetzt hat Brüssel bereits den Eingriff in die Pkw-Werbung mit der
Richtlinie 1999/94/EG über "Bereitstellung von Verbraucherinformationen über
den Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen beim Marketing für neue
Personenkraftwagen". Weil der Bürger als Pkw-Käufer offensichtlich nicht in der
Lage ist, solche Daten beim Autohändler zu erfragen, müssen nun
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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Benzinverbrauch und Abgasmenge in Werbeanzeigen angegeben werden – und
zwar "gut lesbar und nicht weniger hervorgehoben als der Hauptteil der
Werbebotschaft".
Addiert man das gegenwärtige Bedrohungspotential gegen weitere Branchen
und ihre Werbung – unter anderem in Sektoren Spielzeug, Süßwaren, Heilmittel –
dann drohen allein den Medien in Deutschland ein Verlust von 3,6 Mrd Euro – also
rund 15 Prozent ihrer gesamten Netto-Werbeeinnahmen von 20 Mrd Euro.
Zensur von Redefreiheit in den Märkten baut aber nicht nur Medienvielfalt und
Meinungsfreiheit ab, sondern vernichtet auch Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie
der Werbebranche, erschüttert die Existenz mittelständischer Firmen und stellt
den Bürger als Konsumtrottel hin. Marktwirtschaft wird auf diese Weise zur
Regulierungswirtschaft.
Woher kommt diese immer bedrohlicher werdende Sturmflut für die Freiheit der
Markt-Kommunikation?
V. Voodoo-Glaube von der Werbewirkung
Da trifft man bei einer großen Anzahl von politischen Entscheidern auf den
Voodoo-Glauben von der unheimlichen Wirkung der Werbung. Politiker wissen,
dass auch die geschickteste Werbung wenig Stimmen bringt, wenn das Produkt –
also die angebotene Politik – abgelehnt wird.
Auch umgekehrt unterliegen Befürworter von Werbeverboten einem kardinalen
Irrtum. Wer den Bürgern die Werbung wegnimmt, nimmt ihnen nicht die Probleme
weg, warum sie zur Flasche greifen, rauchen, aufs Gaspedal treten oder
unverträgliche Mengen von Nahrungsmitteln zu sich nehmen.
Glauben ist gut, Wissen ist besser. Überall dort, wo Werbung verboten wurde,
oder verboten war, hat sich an auftretenden Problemen gesundheitsschädlichen
Konsums nichts geändert. In Ländern mit halbwegs liberalen Werberegeln
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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dagegen, wie in Deutschland, werden schadstoffärmere Zigaretten geraucht und
sinkt der Alkoholkonsum.
Tatsächlich ist die Lebensmittelwirtschaft der Leistungsträger für gesunde
Ernährung. Markt-Kommunikation der Firmen kann zwar gesundes
Ernährungsverhalten selbst nicht produzieren – aber unterstützen und fördern
durch entsprechende Produkte und werbende Angebote. Dieser Wirtschaftszweig
investiert enorme Summen in die Forschung für gesunde Produkte. Werbeverbote
im Ernährungsbereich dagegen werden am Problem der Fettleibigkeit nichts
ändern können.
Jede Werbemaßnahme ist eine kommerziell orientierte Botschaft mit dem
Versuch, das Kaufverhalten der Umworbenen zu beeinflussen. Die Wirkung reicht
bestenfalls bis zur Ladentheke, aber nicht bis in die Ursachen, warum Missbrauch
mit Produkten betrieben wird.
Werbung als Auslöser individuellen und sozialen Übels hinzustellen, zeugt von
allzu schlichter Denkübung. Menschen haben nicht nur Erbanlagen,
unterschiedliche Biographien und individuelle Erlebnisse. Sie werden auch durch
zahlreiche andere Absender beeinflusst - wie zum Beispiel redaktionelle Teile der
Medien, Bildungssysteme, Pornographie, Kinofilme, politische Parteien, Predigten
von der äußeren und inneren Kanzel, von Gewerkschaften oder den
Erziehungsmethoden der Eltern.
Ob in aufsteigenden oder gesättigten Märkten – Werbung erhält ihren
betriebswirtschaftlichen Sinn, weil sie etwas ganz Entscheidendes darstellt: Ein
Wettbewerbsmittel für das einzelne Unternehmen, um seine Marktanteile zu
halten, auszuweiten oder um sie für neue Produkte zu gewinnen.
Konkurrenzwirtschaft lebt durch das Angebot attraktiver Alternativen. Dadurch
entsteht Markttransparenz, von der vor allem auch der Konsument profitiert.
VI. Wirtschaftliche Freiheit – Motor freier Gesellschaften
Die Skizze über Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten hat
Werbepolitik in europäischen und globalen Märkten
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gezeigt, dass die betriebswirtschaftliche Sicht und die staatspolitischen
Zusammenhänge Kontraste sein können: Dem Bemühen der Unternehmen, mit
effizienter und effektiver Werbung erfolgreich zu sein, kann sich die vom Staat
inszenierte Werbepolitik als Hürde, als Mauer und manchmal als Betonwand
entgegenstellen.
Wie im Straßenverkehr braucht auch Werbepolitik der Unternehmen eine
Rahmenordnung. Auch Entscheidungsträger im kommerziellen Bereich müssen
sich in ihren Kommunikationsstrategien an den Werten der Gesellschaft
orientieren. Gefahren lauern insbesondere bei Werbung die Grenzen
überschreitet. Markt-Kommunikationspolitik braucht in offenen, freiheitlichen
Gesellschaften moralische Grundierung.
Aber auch staatliche Werbepolitik muss sich von der Verhältnismäßigkeit ihrer
Eingriffe leiten lassen. Wer die Werbung zerstört, baut nicht nur Wettbewerb ab, er
fördert auch die Erosion der Marktwirtschaft.
Anlässlich der Gipfelkonferenz der Regierungsvertreter der großen
Industrieländer (G-7-Staaten) im Juni 2002 in den kanadischen Rocky Mountains
schrieb Milton Friedman der Politik ins Stammbuch: "Wirtschaftliche Freiheit bringt
Wachstum voran, senkt die Armut und stärkt die bürgerliche und politische Freiheit
der Menschen." Welch ein treffliches Schlusswort.
Kontakt
Volker Nickel
Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW)
Telefon: (030) 59 00 99 – 715, E-Mail: [email protected]
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