Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars Medikamentöse und interventionelle Therapie der Herzinsuffizienz Definition: „Herzinsuffizienz“ • • • Komplexes klinisches Syndrom, das durch eine strukturelle oder funktionelle kardiale Veränderung hervorgerufen wird -> führt zu einer Störung der ventrikulären Füllung (diastolisch) oder Pumpfunktion (systolisch) des Herzens Pathophysiologisch: mangelnde Fähigkeit des Herzens, die Gewebe mit genügend Blut und damit Sauerstoff zu versorgen, um den Gewebestoffwechsel unter Belastung oder in Ruhe sicherzustellen. Klinisch: es liegt eine Herzinsuffizienz vor, wenn typische Symptome (Dyspnoe, Müdigkeit) und klinische Zeichen (Flüssigkeitsretention, Ödeme, Halsvenenstauung) bestehen, denen ursächlich eine kardiale Funktionsstörung zugrunde liegt. Fünfjahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: Ursachen: • • • • • • • • • • • • Koronare Herzerkrankung Arterielle Hypertonie Dilatative Kardiomyopathie Hypertrophe Kardiomyopathie Restriktive Kardiomyopathie Vitien Perikarderkrankungen Entzündliche Erkrankungen Stoffwechelstörungen Toxische Wirkungen Rhythmusstörungen Andere Ursachen MERKE: Koronare Herzerkrankung und arterielle Hypertonie sind die häufigsten Ursachen einer Herzinsuffizienz! Klinischer Fall: • • Ein 70-jähriger Mann sucht Sie auf und klagt über Belastungsdyspnoe, nächtliche Luftnot und Knöchelödeme. Bei der Untersuchung finden Sie basal mäßige Rasselgeräusche; die Halsvenen sind bei 45° Oberkörperlage kräftig gefüllt. 1 Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars Diagnostik: => Klassifikation nach NYHA-Stadium: Klasse I keine Einschränkung der körperlichen Aktivität. Normale körperliche Aktivität führt nicht zu Luftnot, Müdigkeit oder Palpitationen. Klasse II leichte Einschränkung der körperlichen Aktivität. Beschwerdefreiheit unter Ruhebedingungen, aber bei normaler körperlicher Aktivität kommt es zu Luftnot, Müdigkeit oder Palpitationen. Klasse III Deutliche Einschränkung der körperlichen Aktivität. Beschwerdefreiheit unter Ruhebedingungen, aber bereits bei geringer physischer körperlicher Aktivität Auftreten von Luftnot, Müdigkeit oder Palpitationen. Klasse IV Unfähigkeit körperliche Aktivität ohne Beschwerden auszuüben. Symptome unter Ruhebedingungen können vorhanden sein. Jegliche körperliche Aktivität führt zur Zunahme der Beschwerden. => Natriuretische Peptide (NPs): NPs Wirkung ANP, BNP Gefäßdilatation Natriumausscheidung Absenkung des Aldosteronspiegels CNP Gefäßdilatation Reduktion des SMC-Wachstums Reduktion des Aldosteronspiegels Therapie: (1) Allgemeine Massnahmen: • Lebensstilmodifikation: Einschränkung des Alkoholkonsums (< 30 g bei Männern, < 20 g bei Frauen), Reduktion atherogener Risikofaktoren; regelmäßig körperliche Bewegung (-> Ausdauertraining) • Ernährung und Gewicht: bei Hypovolämie und/oder Hypernatriämie Trinkmenge ca. 1 l/Tag (cave: Nierenfunktion!); täglich wiegen (bei > 1 kg/Nacht, > 2 kg/3Tage => Arzt kontaktieren); limitierte Kochsalzzufuhr (< 3 g/Tag) • Impfschutz und Reisen: 1x/Jahr Grippeschutzimpfung bei fehlender Kontraindikation; Flugreisen kontraindiziert bei Ruhedyspnoe, > 1500 mm und hohe Luftfeuchte kritisch • Kritische Medikation: Antiarrhythmika, NSAID, Kalziumantagonisten 2 Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars • Zusätzlich: CPAP-Therapie bei obstruktiver Schlafapnoe, Beobachtung depressiver Symptome (2) Grundpfeiler der medikamentösen Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz: • ACE-Hemmer (oder Sartane) • ß-Blocker • Diuretika -> Stadiengerechte Therapie (nach NYHA-Stadium): -> Einzelne Medikamente: ACE-Hemmer: - Indikation: ab NYHA-Stadium I zur Nachlastsenkung und gesicherten Prognoseverbesserung - Kontraindikation: angioneurotisches Ödem, Allergie, HOCM, Gravidität, Laktation, Nierenarterienstenose bds., schwere Aortenstenose, starker Hustenreiz -> Austausch gegen AT1-Blocker AT1-Antagonisten: - Alternative zu ACE-Hemmern, v.a. bei Patienten mit Hustenreiz - Indikation: ab NYHA-Stadium II zur Nachlastsenkung und gesicherten Prognoseverbesserung - Kontraindikation: Komedikation von ACE-Hemmern und AT-Blockern - MERKE: Das angioneurotische Ödem ist keine Kontraindikation gegen AT1Antagonisten! Aldosteron-Antagonisten: - Spironolacton, Eplerenon - Indikation: o ab NYHA-Stadium II: Spironolacton o Nach Infarkt mit Herzinsuffizienz: Eplerenon => wirken prognoseverbessernd - Kontraindikation: Kreatinin > 2.5 mg/dl, Kalium > 5 mmol/l ß-Blocker: 3 Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars - Bisoprolol, Metoprolol, Carvedilol und Nebivolol Wirken sich auf die Herzinsuffizienz günstig aus, weil sie die Herzfrequenz senken, dadurch die Diastole verlängern und die Inotropie reduzieren Einschleichende Dosierung Indikation: ab NYHA-Stadium II oder NYHA-Stadium I mit Z.n. Infarkt Kontraindikation: Asthma bronchiale, AV-Block II-III°, Bradykarde, Hypotonie, Sick-Sinus-Syndrom MERKE: COPD und pAVK sind keine Kontraindikationen! Diuretika: - 3 Klassen der Diuretika: Schleifendiuretika, Thiaziddiuretika, Kalium-sparende Substanzen - Wirkmaximum: Schleifendiuretika > Thiaziddiuretika > kalium-sparende Substanzen - Indikation: ab NYHA-Stadium III oder Flüssigkeitsretention (-> NYHA II) - Nebenwirkungen: Schleifendiuretika (-> Hypokaliämie), Kalium-sparende Diuretika (-> Hyperkaliämie) Herzglykoside: - Digitoxin und Digoxin - Kontraktionskraftsteigerung bei TAA bei VHF unabhängig vom Stadium - Indikation: Senkung der Vorhofflimmerfrequenz (ab NYHA I) If-Kanal-Blocker: - Senken die Herzfrequenz am Sinusknoten - Indikation:bei SR und HF > 70/min zur Senkung der HF um 5-10/min => Ausblick: Chronische Herzinsuffizienz - Die Kombination aus Neprilysin-Inhibitor und Sartan (ARNI-Konzept) scheint der Behandlung mit einem ACE-Hemmer überlegen zu sein. Akute Herzinsuffizienz - Serelaxin verbesserte die Dyspnoe (bis Tag 5), Serelaxin ging mit einer signifikanten Senkungen der Gesamtmortalität und der kardiovaskulären Sterblichkeit bis Tag 180 einher. (3) Interventionelle Therapie: Defibrillator (ICD): - Ein implantierbarer Defibrillator (ICD) wird indiziert zur Primärprophylaxe (bei Patienten mit LVEF < 35%), d.h. zur Verringerung der Mortalität oder zur Sekundärprophylaxe bei Pat. mit ventrikulärer Herzrythmusstörung, die zu hämodynamischen Instabilität führte. Kardiale Resynchromisationstherapie (CRT-D): - Kardiosynchronisation + ICD - Eine kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) ist indiziert bei Pat. mit systolischer Herzinsuffizienz mit einer EF < 35% und einem verbreitetem QRSKomplex (>120msec i.S. eines LSB), die persistierende Symptome ≥ NYHA II und einer reduzierten EF trotz optimaler medikamentöser Therapie aufweisen. - Der Nutzen ist am deutlichsten bei Pat. mit LSB-Morphologie und SR. 4 Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars - Mechanismus: die zusätzliche Stimulation des linken Ventrikels erfolgt über den Koronarsinus Wirkung: o Steigerung des Herzzeitvolumens o Verbesserung der Lebensqualität o Verringerung der Mortalität Ventrikuläre Unterstützungssysteme (VAD): - Die Implantation eines linksventrikulären oder biventrikulären Unterstützungssystems (ventrikular assist device, VAD) wird bei Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz trotz optimaler Pharmako- und Aggregattherapie, die keine Kontraindikation gegen eine Herztransplantation haben, empfohlen, um die Hospitalisationsrate und Mortalität auf die Warteliste zu reduzieren. (-> bridge to transplant) - Ein VAD sollte bei hochselektierten Patienten mit terminaler Herzinsiffizinenz trotz optimaler Therapie und Kontraindikation gegen Transplantation in Erwägung gezogen werden. (destination therapy) - Mechanismus: es entsteht ein nicht-pulsatiler Fluss -> das Blut wird aus dem linken Ventrikel angesaugt und direkt in die Aorta befördert - MERKE: können nicht ohne Antikoagulation betrieben werden und benötigen eine externe Stromquelle! (4) Herztransplantation Indikation: - Patienten < 70 Jahre - Schwere Symptome der Herzinsuffizienz, bei denen keine weiteren medikamentösen oder chirurgischen Massnahmen zur Verfügung stehen - Lebenserwartung < 1 Jahr - Größtes Problem: fehlende Spenderorgane! Kontraindikation: - Leberinsuffizienz (-> Bilirubin > 5 mg/dl, Quick < 50%) - Schwere Niereninsuffizienz (-> Krea-Clearance < 50 ml) - Nicht verheiltes peptisches Ulkus - Unkontrollierte Infektion - Schwere Lungenerkrankung - Malignom in Remission < 5 Jahre - Systemerkrankung mit Multiorganbeteiligung - Schlechte Compliance - Drogen- und Alkoholabusus - Schwere psychiatrische Erkrankung Komplikationen post-OP: - Abstoßungsreaktion - Infektneigung durch Immunsuppression - KHK als Graft-Arteriosklerose - Depressionen - Osteoporose - Malignome 5 Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Schmidt/Baars Prognose: Überlebensrate im Median 10 Jahre 6