ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV FRAGE Die Wehrpflicht wird von manchen Ökonomen als eine Art Naturalstreuer betrachtet, die man an den Staat bezahlt. Welche ökonomischen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und welche Wachstumseffekte für die Konjunktur hätte die Aussetzung der Wehrpflicht? Welchen Beschäftigungseffekt erwarten Sie für den allgemeinen Arbeitsmarkt? Prof. Dr. Ulrich van Suntum Lehrstuhl am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Letztlich geht es nur um eine Verkleinerung der Bundeswehr um 90.000 Soldaten, das ist der maximale Arbeitsmarkteffekt. Praktisch werden das nur einige kleinere Standorte spüren, an denen die Kasernen geschlossen werden. Die Wehrgerechtigkeit im Sinne einer „Naturalsteuer“ war ohnehin schon lange nicht mehr gegeben. Prof. Dr. Justus Haucap Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insbesondere Wettbewerbstheorie und -politik und Gründungsdirektor, Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Insbesondere im Bereich der sozialen Dienstleistungen müssen Sozialdienstleistende durch vermutlich versicherungspflichtige Arbeitnehmer ersetzt werden. Zudem sollten positive Wachstumseffekte hinzukommen. Prof. Dr. Walter Krämer Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Universität Dortmund: Auf die 100.00 Personen mehr oder weniger kommt es arbeitsmarktpolitisch nicht an. Dr. Friedrich Heinemann Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Junge Männer könnten früher in den Berufen arbeiten, für welche sie ausgebildet werden. Angesichts der demographischen Wende wird dieses wachsende Arbeitsangebot auf Nachfrage stoßen, die reguläre Marktbeschäftigung steigt somit. Die Volkswirtschaft und der Fiskus profitieren: Mit dem Ende der Wehrpflicht würden wir die ungelernte obligatorische Hilfsarbeit von Wehrpflichtigen umtauschen in qualifizierte Arbeit von Menschen in einem Beruf, den sie sich ausgesucht haben und für den sie ausgebildet sind. Auch als Steuer- und Beitragszahler stünden junge Männer früher zur Verfügung. Prof. Dr. Thomas Apolte Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik am Institut für Ökonomische Bildung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Über Beschäftigungseffekte kann man nur spekulieren. Wichtiger sind die Effizienzeffekte bei der Bundeswehr und die Tatsache, dass junge Menschen Zeit für ihre Ausbildung gewinnen oder auch für das, was sie sonst tun möchten. Die Wehrpflicht ist ein sehr starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und daher ökonomisch gesehen mit hohen Opportunitätskosten verbunden. Prof. Dr. Andreas Freytag Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena: Die Bedeutung der Wehrpflicht ist ohnehin schon gering. Prof. Dr. Klaus Zimmermann Präsident, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Es ist Quatsch zu behaupten, das hätte einen Einfluss auf die Konjunktur. Es hat aber langfristige Wirkungen für das Wachstum, da es zu einer besseren Ausnutzung der volkswirtschaftlichen Ressourcen (hier der Talente der Männer) kommt, die früher dem Arbeitsmarkt in marktwirtschaftlicher Weise zu Verfügung stehen. Das ergibt sich schon aus dem Gesetz der 1 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV Arbeitsteilung von Adam Smith. Das trägt nicht nur zu höherem Wachstum, sondern auch zu größeren Steuereinnahmen bei, direkt und indirekt. Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos (Emeritus) ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomik und Leiter des Instituts für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Leipzig: Da die wehrpflichtigen Personen zurzeit statistisch nicht zu den Erwerbspersonen gehören, werden sie mit der Aussetzung der Wehrpflicht als Erwerbspersonen gezählt und damit das Erwerbspotential erhöhen. Insofern wird die Arbeitslosigkeitsquote möglicherweise erhöht. Andererseits werden die aufgenommenen Berufssoldaten die Beschäftigungsquote erhöhen und damit zu positiven Beschäftigungs- und Wachstumseffekten führen. Prof. Dr. Juergen B. Donges Emeritus am Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Köln: Das Angebot an Arbeitskräften wird möglicherweise schneller steigen als die Nachfrage der Unternehmen; denn diese werden erst einmal, bei fortschreitendem Konjunkturaufschwung, das eigene Personal, das bisher Kurzarbeit geleistet hatte, stärker nutzen. Dr. Michael Stahl Geschäftsführer Volkswirtschaft/Bildung, Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Da wir sehr bald auf einen gravierenden Mangel an Nachwuchskräften u.a. für die Duale Ausbildung zulaufen, würde die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht die Ausbildung stärken (allerdings: Einmaleffekt) und beschleunigen und damit auch die Beschäftigungslage insgesamt verbessern. Dr. Manfred Schweren Vorstand, PRIVALOR Vermögens-Management AG: Statt in die Wehrpflicht werden einige in eine Berufsausbildung gehen, andere werden studieren, wieder andere gehen direkt in ein Arbeitsverhältnis. Insgesamt wird der gesamtwirtschaftliche Beitrag dieser jungen Generation größer sein als durch die Produktion von „Sicherheit“, was insgesamt zu einer größeren Nachfrage nach Gütern führen sollte. Dieser Beitrag sollte größer sein als der Ausfall der Produzenten von Ausrüstung für die Bundeswehr. Dr. Jörg Krämer Chefvolkswirt, Commerzbank: Bei einer Abschaffung der Wehrpflicht würde die private Wirtschaft weder Stellen streichen noch aufbauen. Prof. Dr. Peter Oberender ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie, Universität Bayreuth: Das Arbeitsangebot würde entsprechend steigen. Die Nachfrage der Bundeswehr nach Gütern sinkt. Prof. Dr. Michael Heise Chefvolkswirt und Leiter, Allianz Economic Research & Development: Kurzfristig negative Effekte, da Wehr- und Zivildienstleistende statistisch als Arbeitnehmer zählen. Eine sinnvolle, Effizienz steigernde Strukturreform der Bundeswehr hätte mittelfristig aber eher positive Wachstumseffekte. Dr. Roland Döhrn Leiter des Kompetenzbereichs „Wachstum und Konjunktur“, RheinischWestfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.: Da halten sich wohl mehrere Effekte die Waage. Auf der einen Seite dringt kurzfristig zusätzliches Angebot in den Arbeitsmarkt. Dem dürfte eine Schaffung von mehr „regulären“ Stellen im Sozialbereich gegenüberstehen. Langfristig fördert ein höheres Erwerbspersonenpotenzial das 2 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV Wachstum. Hier wirkt eine Aussetzung der Wehrpflicht nicht anders als eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Prof. Dr. Frank Bulthaupt Lehrstuhl für Kapitalmärkte und Volkswirtschaftslehre, Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe: Die jungen Menschen starten früher als bisher ihre fachliche Aus- und Weiterbildung. Der auch demografisch bedingte Fachkräftemangel wird abgebaut. Die Unternehmen können aufgrund der verbesserten Rahmenbedingungen ihre Produktion im Inland aufnehmen. Dies ist positiv für Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum. Prof. Dr. Christoph M. Schmidt Präsident, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): Kurzfristig tritt ein zusätzliches Angebot auf den Arbeitsmarkt, da ansonsten Wehrpflichtige nun eine Stelle suchen. Dem dürfte aber eine Schaffung von mehr regulärer Beschäftigung im Sozialbereich gegenüberstehen. Langfristig fördert ein höheres Erwerbspersonenpotenzial das Wachstum. Hier wirkt eine Aussetzung der Wehrpflicht wie eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. FRAGE In welchen Bereichen sehen Sie Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt durch eine Aussetzung der Wehrpflicht und des Zivildienstes (Mehrfachnennung möglich)? Prof. Stephan Klasen, Ph.D. Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie und Entwicklungsökonomik, Georg-August-Universität Göttingen: Eine Aussetzung des Zivildienstes wird den Arbeitskräftemangel dort verschärfen und zu Problemen führen. Prof. Dr. Ulrich van Suntum Lehrstuhl am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Die billigen Arbeitskräfte des Zivildienstes werde vor allem im Gesundheitsbereich fehlen und zu Kostensteigerungen führen. Prof. Dr. Walter Krämer Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Universität Dortmund: Soziale Dienste und Pflegeangebote werden teurer, da die bisherige Subventionierung über den Zivildienst entfällt. Prof. Dr. Thomas Apolte Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik am Institut für Ökonomische Bildung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Es kommt auf die Elastizität an. Natürlich werden nicht alle Zivildienstleistende durch reguläre Kräfte ersetzt, aber eben ein Teil. Das wird die Kosten erhöhen und/oder auch die Qualität berühren. Dann aber muss man sich entscheiden, wie viel der Gesellschaft diese Dienste wert sind und muss sie ggf. entsprechend vergüten. Prof. Dr. Klaus Zimmermann Präsident, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Der Zivildienst versorgt primär den Pflege- und Gesundheitssektor. Hier hilft die Abschaffung endlich, die Betreuung zu professionalisieren. Durch Zuwanderung müssen die vorhandenen großen 3 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV Lücken, die künftig weiter wachsen, endlich systematisch und nachhaltig geschlossen werden. Schon derzeit fehlen 300.000 Pflegekräfte. Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos (Emeritus) ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomik und Leiter des Instituts für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Leipzig: Die Aussetzung des kostenlosen Zivildienstes wird das Angebot sozialer Dienste verringern und ihre Kosten erhöhen. Daraus ist ein Beschäftigungseffekt zu erwarten. Prof. Dr. Juergen B. Donges Emeritus am Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Köln: Der Zivildienst war bislang eine sehr komfortable Personal-Rekrutierungsquelle für Krankenhäuser und die diversen sozialen Pflegedienste. In der Privatwirtschaft wäre dies als „Lohndumping“ oder gar „Ausbeutung“ gebrandmarkt worden. Künftig gilt auch in diesem Dienstleistungsbereich das Marktprinzip, und das ist gut so. Norbert Braems Chefvolkswirt, Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. KGaA : Alles in allem werden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt eher gering sein. Durch die Verkürzung der Schulzeit für Gymnasien auf acht Jahre könnten sich viele junge Menschen außerdem für ein freiwilliges soziales Jahr bewerben, so dass die Effekte durch die Aussetzung des Zivildienstes nicht so gravierend wären. Prof. Dr. Ulrich Blum Präsident, Institut für Wirtschaftsforschung Halle: Es werden durch Reduktion des Ersatzdienstes reguläre Stellen geschaffen werden müssen. Prof. Dr. Michael Heise Chefvolkswirt und Leiter, Allianz Economic Research & Development: Die negativen Angebots- und Kosteneffekte dürften eher kurzfristiger Art sein. Im Bereich „soziale Dienste“ existieren sicher Effizienzreserven, die gehoben werden können. Prof. Dr. Frank Bulthaupt Lehrstuhl für Kapitalmärkte und Volkswirtschaftslehre, Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe: Ein unmittelbarer Effekt ist eine vorgezogene Nachfrage nach Ausbildungs- und Studienplätze. Durch den Rückgang der Zivildienstleistenden fehlen Arbeitskräfte in den Pflege- und Gesundheitsdiensten. Um diese Lücken zu schließen, ist zusätzliches Personal erforderlich. Dies erhöht die Kosten der Pflegedienste und infolgedessen auch deren Preise. FRAGE Die französische Finanzministerin Lagarde empfiehlt Deutschland Lohnerhöhungen zur Steigerung des Binnenkonsums und Verringerung der Exporte. Der französische EZB-Präsident Trichet hingegen lobt Deutschland für Lohnzurückhaltung und flexibilisierte Arbeitsmärkte. Deutsche Gewerkschaften fordern nun signifikant höhere Löhne. Was würden höhere Löhne derzeit an erster Stelle bewirken? Prof. Stephan Klasen, Ph.D. Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie und Entwicklungsökonomik, Georg-August-Universität Göttingen: Lohnerhöhung wird den Konsum erhöhen und damit Importe nach sich ziehen; Exporte werden tendenziell teurer, damit gäbe es einen geringeren Exportüberschuss. Wenn die Lohnerhöhung 4 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV nicht exorbitant ist, wären vielleicht sogar die Konsumwirkungen größer als die nachteiligen Wettbewerbswirkungen, so dass der Beschäftigungseffekt nahe Null oder leicht positiv wäre. Prof. Dr. Ulrich van Suntum Lehrstuhl am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Frau Lagarde dürfte vor allem die Interessen der französischen Industrie im Auge haben, denn Lohnerhöhungen bei VW erhöhen die Marktchancen von Renault und Citroen. Aus deutscher Sicht wäre es pure Dummheit, auf solche Vorschläge hereinzufallen. Dr. Friedrich Heinemann Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim: Es kommt auf das Ausmaß und die Struktur der Lohnerhöhungen an. Spezifische Knappheiten am Arbeitsmarkt für Fachkräfte werden zu Lohnerhöhungen führen, die unkritisch sind. Deutschland sollte aber keinesfalls die Politik konzertierter aggressiver Lohnerhöhungen verfolgen - dieses würde die Beschäftigungsdynamik beeinträchtigen. Prof. Dr. Thomas Apolte Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik am Institut für Ökonomische Bildung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Die Kaufkrafttheorie des Lohnes ist ein Märchen. Zu schön, um wahr zu sein. Prof. Dr. Andreas Freytag Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena: Die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre ist verantwortlich für die Beschäftigungszunahme vor der Krise und den glimpflichen Verlauf der Krise mit Blick auf die Beschäftigung. Die Forderung der französischen Ministerin kann nur als Versuch gewertet werden, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu schwächen. Im übrigen wären die exportorientierten Unternehmen nicht betroffen, da sie ohnehin hohe Löhne zahlen können. Prof. Dr. Klaus Zimmermann Präsident, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Zu Inflation kommt es nur bei mehrjährig hohen Lohnsteigerungen. Der monetäre Mantel ist durch die Flutung der Geldsysteme durch die EZB da. Das kann aber erst in ein paar Jahren zu einem Problem werden, da derzeit die Produktionskapazitäten noch nicht genug ausgelastet sind. Lohnsteigerungen könne heute nur über zwei Prozent liegen, wenn sie auf besondere Markterfolge stoßen, die Kapazitäten ausgelastet sind und sie sollten dann eher Einmalzahlungen als dauerhafte Erhöhungen sein. Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos (Emeritus) ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomik und Leiter des Instituts für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Leipzig: Das Argument der französischen Finanzministerin basiert auf der Vermutung, dass die Löhne der deutschen Wirtschaft unter ihrer Grenzproduktivität liegen. Würde dies stimmen, dann werden Lohnerhöhungen zu mehr Beschäftigung, zu mehr Konsum, zu mehr Importen und möglicherweise zu mehr Exporten führen. Die Leistungsbilanz kann, muss aber nicht davon negativ betroffen werden. Dr. Klaus Schrüfer Leiter Investment Strategy, SEB AG Portfolio Management: Die Wirkungen hängen ganz wesentlich von dem Ausmaß der Lohnerhöhungen ab. Fallen sie sehr hoch aus, dann dürfte es zu einem Arbeitsplatzabbau bzw. zu einem geringerem Aufbau kommen. Wenn die Löhne mit der Produktivität zunehmen und ein Teil als Einmalzahlung, abhängig von der 5 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV Konjunktur- und Gewinnentwicklung, erfolgt, dann dürfte sich dies positiv auf die Konjunktur und die Beschäftigungsentwicklung auswirken. Prof. Dr. Juergen B. Donges Emeritus am Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Köln: Alles hängt von der letztlich vereinbarten Lohnerhöhung ab. Bleibt diese maßvoll, wird sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter stabilisieren, und dies kann zu mehr Beschäftigung und zu höheren Steuereinnahmen führen. Im übrigen liegt Frau Lagarde schief, Herr Trichet richtig. Norbert Braems Chefvolkswirt, Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. KGaA : Deutschland hat durch die moderate Lohnpolitik zusammen mit Reformen am Arbeitsmarkt seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Staaten markant verbessert und damit auch einen Grundstein für die hohen Exportzuwächse in den letzten Jahren gelegt. Ein dauerhafter kräftiger Anstieg der Löhne (über das Wachstum der Produktivität hinaus) würde sicherlich die Wettbewerbsfähigkeit belasten. Dr. Michael Stahl Geschäftsführer Volkswirtschaft/Bildung, Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Das Ergebnis wären Arbeitsplatzverluste bzw. auch die Verringerung eines sonst möglichen Beschäftigungsaufbaus. Die Bundesbank hat in ihrer Analyse im Monatsbericht im Juli 2010 noch einmal herausgearbeitet, dass die heimische Lohnpolitik vor allem über den Grad der heimischen Beschäftigung entscheidet und eine expansive Lohnpolitik ein untaugliches Instrument ist, wenn es um den Abbau der Handelsungleichgewichte geht. Dr. Manfred Schweren Vorstand, PRIVALOR Vermögens-Management AG: Höhere Löhne würden kurzfristig zu einer Erhöhung des Konsums führen, langfristig aber über den Transmissionsmechanismus der Lohn-Preis-Spirale zu einer höheren Inflation. Dr. Jörg Krämer Chefvolkswirt, Commerzbank: Die Lohnzurückhaltung hat sich für Deutschland insofern ausgezahlt, als die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2006 deutlich gestiegen ist. Die Politik der Lohnzurückhaltung hilft, die Arbeitslosigkeit in Zukunft weiter zu senken, auch wenn die Zeit sehr niedriger Abschlüsse vorbei sein dürfte. Prof. Dr. Karlhans Sauernheimer Lehrstuhl für Allgemeine und Außenwirtschaftstheorie, Johannes-Gutenberg-Universität: Eine starke Lohnerhöhung 2010 würde dem starken Lohnstückkostenanstieg des Jahres 2009 eine Folge der beschäftigungssichernden Politik der Unternehmen bei um knapp fünf Prozent gesunkener Produktion - einen erneuten Lohnstückkostenschub „bescheren“. Dass Frau Lagarde dies erfreuen würde, ist verständlich. Im Interesse Deutschlands liegt es freilich nicht. Deutschland fehlt es nicht an Konsum. Deutschland braucht angesichts seiner demographischen Entwicklung Kapitalbildung, also Investitionen im Inland, oder – „second-best“ - Investitionen im Ausland, d.h. Exportüberschüsse. Mit mehr Konsum hat noch keine Volkswirtschaft Vorsorge für die Zukunft getroffen. Die hinter der Lagarde'schen Aufforderung stehende These von der Kaufkrafttheorie des Lohnes ist ohnehin Humbug, denn zum einen wird eine Lohnerhöhung nicht zwingend die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aus Konsum, Investitionen und Nettoexporten (C+I+X) erhöhen, sondern allenfalls C, während sie auf I und X negative Effekte hat. Und selbst wenn der Konsumeffekt den Investitions- plus Exporteffekt überkompensieren würde, sich die gesamtwirtschaftliche Nachfragefunktion im Preis-Mengen-Diagramm also nach rechts verschieben würde, müsste diesem Effekt die lohnkosteninduzierte Linksverschiebung der Güterangebotsfunktion entgegen gesetzt werden. Die Idee, mit Kostenerhöhungen Beschäftigung 6 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV schaffen zu wollen, ist abwegig. Wenn Nachfragemangel Ursache des Beschäftigungsproblems ist, ist eine Politik der Nachfrageerhöhung, nicht der Kostenerhöhung, angebracht, wenn die Ursachen der Arbeitslosigkeit andere sind, hilft die Kaufkrafttheorie des Lohnes ohnehin nicht. Prof. Dr. Martin Werding Lehrstuhl für Sozialpolitik, Ruhr-Universität Bochum: Der unmittelbare Effekt einer Lohnerhöhung, die die Lohnsteigerungen im (EU-)Ausland übersteigt, ist eine überproportionale Erhöhung der Lohnstückkosten und damit eine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsposition. Natürlich gibt es zahlreiche nachgelagerte Kreislaufeffekte, die diese grundlegende Wirkung aber nicht außer Kraft setzen dürften. Prof. Dr. Michael Heise Chefvolkswirt und Leiter, Allianz Economic Research & Development: Das Wirtschaftswachstum war in Deutschland in den letzten Jahren dank Lohnzurückhaltung sehr beschäftigungsintensiv. Lohnsteigerungen deutlich über dem Produktivitätszuwachs würden diesen positiven Trend gefährden. Dr. Roland Döhrn Leiter des Kompetenzbereichs „Wachstum und Konjunktur“, RheinischWestfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.: Die kurzfristigen Effekte können in diametralem Gegensatz zu den mittelfristigen Effekten stehen. Was hilft es zu wissen, dass kurzfristig wahrscheinlich Konsum und Steueraufkommen steigen, wenn danach die Beschäftigung sinkt und beides wieder nach unter zieht? Prof. Dr. Frank Bulthaupt Lehrstuhl für Kapitalmärkte und Volkswirtschaftslehre, Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe: Höhere Löhne führen auf Unternehmerseite zu steigenden Lohnstückkosten und Preisen. Auf der Arbeitnehmerseite wirkt der Nachholeffekt bei den Löhnen positiv auf das Gerechtigkeitsempfinden unddas Konsumentenvertrauen. Diese Entwicklung schiebt den Konsum an. Prof. Dr. Christoph M. Schmidt Präsident, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): Möglichen kurzfristigen Effekten auf den privaten Konsum stünde langfristig eine Verringerung der Beschäftigung und in der Folge auch der Einkommen gegenüber. In der derzeitigen Situation ist deshalb eine Erhöhung der Tarife nicht angemessen. Auf die Lage einzelner Unternehmen zugeschnittene Einmalzahlungen könnten das Dilemma entschärfen. FRAGE Die Commerzbank kehrt früher als erwartet in die Gewinnzone zurück. Andere Staaten wie Frankreich oder die USA haben sich bereits mit Gewinn aus ihren Bankbeteiligungen zurückgezogen. Wann sollte sich der deutsche Staat zurückziehen? Prof. Stephan Klasen, Ph.D. Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie und Entwicklungsökonomik, Georg-August-Universität Göttingen: Der Staat sollte sich, wenn irgend möglich, mit Gewinn aus der Commerzbank verabschieden und solange engagiert bleiben (wenn auch mit fallender Beteiligung, z B. durch eine Kapitalerhöhung) 7 ÖKONOMEN-BAROMETER SEPTEMBER 2010 VON €URO AM SONNTAG UND N-TV Prof. Dr. Johannes Schneider Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie, KatholischeUniversität Eichstätt-Ingolstadt: Wenn die Commerzbank den zukünftigen Eigenkapitalkriterien genügt und eine solide Überlebensperspektive aufweist. Prof. Dr. Ulrich van Suntum Lehrstuhl am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Der Staat sollte seinen hohen Einsatz mit Zinsen wieder zurückbekommen. Dann aber ist es Zeit, sich zurückzuziehen, denn er ist auf Dauer nicht der bessere Banker, wie die Landesbanken gezeigt haben. Prof. Dr. Klaus Röder Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Finanzdienstleistungen, Universität Regensburg: Eine Verzinsung wäre sehr gut. Prof. Dr. Klaus Zimmermann Präsident, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: So rasch wie möglich ohne Verluste mit angemessener Verzinsung des Engagements. Der Staat hat bei den Banken nichts verloren, das zeigen die Landesbanken. Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos (Emeritus) ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomik und Leiter des Instituts für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Universität Leipzig: Wenn die staatlichen Gelder einschließlich die Zinserträge zurückgezahlt sind, dann besteht in einer Marktwirtschaft keine ökonomische Notwendigkeit für eine weitere staatliche Beteiligung. Prof. Dr. Juergen B. Donges Emeritus am Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Köln: Wenn die Bank wieder schwarze Zahlen schreibt, hat der Staat seine Aufgabe erfüllt. Eine staatliche Beteiligung hat dann ordnungspolitisch keine Legitimation mehr. Dr. Michael Stahl Geschäftsführer Volkswirtschaft/Bildung, Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Der Staat sollte sich zurückziehen, wenn der Zweck des Engagements erreicht ist, nämlich die Bank nachhaltig zu sichern. Dr. Manfred Schweren Vorstand, PRIVALOR Vermögens-Management AG: Aufgrund eines aktuellen Überangebotes an Bankaktien (Kapitalerhöhung Deutsche Bank und andere) sollte der Markt nicht allzu sehr strapaziert werden. Ziel muss sein, dass ein für den Staat verlustfreier Ausstieg vollzogen wird. Ein Timing des Ausstiegs hängt primär auch von der Aufnahmefähigkeit des Aktienmarktes ab und nicht nur von der Erfolgsbilanz der Bank. Prof. Dr. Frank Bulthaupt Lehrstuhl für Kapitalmärkte und Volkswirtschaftslehre, Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe: Die Bank sollte den Nachweis ihrer Überlebensfähigkeit durch einen operativen Gewinn erbringen. 8