164_232_BIOsp_0209.qxd 164 05.03.2009 15:29 Uhr Seite 164 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN Lebende Membranen Bakterien auf der Perlenkette MARCO GENSHEIMER, SEEMA AGARWAL, ANDREAS GREINER FACHBEREICH CHEMIE, MAKROMOLEKUL ARE CHEMIE, UNIVERSITÄT MARBURG Bakterien werden durch Elektrospinnen in Vliese aus Polymeren eingebracht und so immobilisiert. Durch eine nachträgliche Beschichtung mit einem weiteren Polymer sind wasserfeste, Bakterien enthaltende Vliese zugänglich. Bacteria are immobilized inside the fibers of water insoluble nonwovens made by electrospinning. ó Die Immobilisierung aktiver biologischer Spezies wie Bakterien oder sonstiger Zellen gewinnt an Bedeutung. Für bestimmte Aufgaben optimierte Bakterien werden beispielsweise in der Produktion von Wirkstoffen, Rohstoffen und Vorläuferprodukten eingesetzt. Sie können als „grüne Katalysatoren“ Reaktionen mit hoher Selektivität und Spezifität unter milden Bedingungen in wässrigen Medien katalysieren. So wird unter anderem Insulin mit gentechnisch veränderten Escherichia coli und Saccharomyces cerevisiae hergestellt. Das Wachstumshormon Soma- tropin wird mit modifizierten E. coli produziert. Zudem sind immobilisierte Mikroorganismen auch in der Umwelttechnik von Interesse, beispielsweise in der Abwasserbehandlung oder zur spezifischen Dekontamination belasteter Areale und Böden. Die Idee, Bakterien und andere Mikroorganismen zu immobilisieren, ist nicht neu: So werden bei der Essigherstellung im „Schnellessigverfahren“ schon seit geraumer Zeit auf Substraten wie Holzspänen oder Kunststoffkügelchen angesiedelte Essigbakterien verwendet. Zur Abwasserbehandlung wird Be¯ Abb. 1: Schematischer Aufbau einer Vorrichtung zur Herstellung von Polymernanofasern durch Elektrospinnen einer Polymerlösung. lebtschlamm verwendet, der in Pellets aus vernetztem Polyvinylalkohol eingebracht ist[1]. Auch in anorganische Materialien wie z. B. Silicagele können Mikroorganismen eingeschlossen werden. So wurden bei in Silicagelen immobilisierten E. coli mehr kultivierbare Bakterien in Abhängigkeit von der Zeit gefunden als in wässrigen Medien unter den gleichen Bedingungen[2]. Die Immobilisierung im Gel scheint einen schützenden Effekt auf die Bakterien zu haben, sodass die Lebensdauer der einzelnen Zellen steigt. Durch das Einbringen von Bakterien und anderen Mikroorganismen in Vliese aus elektrogesponnenen Nanofasern sind Substrate mit einer hohen spezifischen Oberfläche zugänglich, die beispielsweise der von Holzspänen pro Gewichtseinheit zur Verfügung gestellten Oberfläche deutlich überlegen ist. Auch sind solche Faservliese als Filtermedien prädestiniert, sodass hier Filtermedien zur Verfügung gestellt werden können, die Schwebstoffe zurückhalten, aber auch gelöste Stoffe je nach Art der immobilisierten Zellen abbauen oder umsetzen können. Wasserlösliche Vliese mit immobilisierten Bakterien könnten zudem verwendet werden, um Bakterien homogen auf Oberflächen auszubringen. Einfacher Zugang zu Fasern im Nanometerbereich Die Technik des Elektrospinnens ist eine vielseitige Technik zur Herstellung kontinuierlicher Fasern mit Durchmessern im Bereich von Mikrometern bis hinab zu wenigen Nanometern (Abb. 1)[3]. Polymerlösungen oder -schmelzen bilden unter dem Einfluss eines starken elektrischen Feldes einen Materialstrahl aus. Hierbei dienen die Kanüle einer Spritze als Elektrode und eine Metallplatte als Gegenelektrode. Der Materialstrahl verfestigt sich auf seinem Weg zur Gegenelektrode durch die Verfestigung der Schmelze oder das Verdampfen des Lösungsmittels, wobei es zur Ausbildung von Fasern kommt. Obwohl mit einem relativ geringen technischen Aufwand verbunden, ist dieser Prozess recht komplex, da mannigfaltige Parameter das Ergebnis beeinflussen. Zu diesen Parametern gehören die Viskosität der verarbeiBIOspektrum | 02.09 | 15. Jahrgang 164_232_BIOsp_0209.qxd 05.03.2009 15:29 Uhr Seite 165 165 teten Lösung, deren elektrische Leitfähigkeit, die Oberflächenspannung, der Elektrodenabstand, die Elektrodengeometrie, die molekulare Masse des Polymeren, die Glasübergangstemperatur und viele mehr. Die Methode eignet sich zur Herstellung von Kompositfasern, funktionalen Fasern und Fasern mit komplexer Struktur. Hierbei können zusätzliche Komponenten wie Nanopartikel, Kohlenstoff-Nanoröhrchen, Katalysatoren und Enzyme mitverarbeitet werden. So wurden kürzlich durch Elektrospinnen M13-Viren in Nanofasern eingebracht: Die Viren konnten aus den Fasern heraus Bakterien infizieren[4]. Auch das Einbringen verschiedener Arten von Bakterien in solche Fasern ist möglich[5, 6]. Herstellung Bakterien-enthaltender Faservliese Als Modellbakterium für die Immobilisierung in einem Faservlies wurde Micrococcus luteus ausgewählt, da dieses Bakterium an ein Leben bei niedriger Wasseraktivität angepasst ist und daher erwartungsgemäß den beim Spinnen auftretenden raschen Wechsel des osmotischen Drucks übersteht. Die Bakterien wurden vor der Immobilisierung sedimentiert, gewaschen und in der Polymerlösung dispergiert. Als faserbildendes Polymer wurde Polyethylenoxid, ein wasserlöslicher Polyether mit einem Molekulargewicht von 900.000 g/mol, verwendet. Die Konzentration des Polymeren in der Lösung betrug 4,5 Prozent. Die resultierenden Fasern wiesen einen durchschnittlichen Durchmesser von 180 nm auf und zeigten Verdickungen in der Größenordnung und Form der immobilisierten Bakterien (Abb. 2). Die Lebendfärbung mittels eines fluoreszierenden Farbstoffs (Calcofluor M2R) wies nach, dass es sich bei den Verdickungen um die verwendeten Bakterien handelte. Durch Auflösen der Faservliese und anschließendes Ausplattieren der Lösung auf Agarplatten konnte ermittelt werden, dass 74 Prozent der eingesetzten Bakterien den eigentlichen Spinnvorgang überstanden. Zudem waren noch nach mehr als 300 Stunden trockener Lagerung bei 4 °C lebende Bakterien nachweisbar. Weiterer Schritt für Wasserresistenz notwendig Da es sich bei den verwendeten Polymeren um wasserlösliche handeln muss, ist ein weiterer Schritt notwendig, um die Faservliese wasserfest zu machen. Als geeignete Methode erwies sich die Beschichtung der Polyethylenoxid-Fasern mit Poly(p-xylylen) (PPX, BIOspektrum | 02.09 | 15. Jahrgang ˚ Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Fasern aus Polyethylenoxid mit eingesponnenen Micrococcus luteus. A, Übersichtsaufnahme; gut zu erkennen sind die Verdickungen, die die Bakterien enthalten. B, Detailaufnahme der Verdickungen. Handelsname Parylene). Bei PPX handelt es sich um ein chemisch beständiges und bei Raumtemperatur in allen Lösungsmitteln praktisch unlösliches Polymer. Gleichzeitig zeigt PPX bei geringen Schichtdicken eine Durchlässigkeit für Wasser, die durch die Dicke reguliert werden kann[7]. Die Beschichtung der Fasern erfolgt durch chemische Gasphasenabscheidung (CVD), wodurch dünne Beschichtungen bis hinab in den Nanometerbereich erzeugt werden können. Vorhandene Mikro- und Nanostrukturen werden hierbei nicht verwischt. Eine Vorläuferverbindung ([2,2]-Paracyclophan) wird im Vakuum zunächst bei 170 °C verdampft, in einen Ofen geleitet und bei 600–700 °C pyrolysiert. In der Beschichtungskammer schlägt sich das entstandene p-Chinodimethan, das in einem Gleichgewicht mit dem Xylylendiradikal steht, bei Raumtemperatur im Vakuum auf dem zu beschichtenden Substrat nieder, wo die Polymerisation unter teilweiser Ausbildung kovalenter Bindungen zum Substrat zu PPX stattfindet[8, 9]. Werden M. luteus enthaltende Faservliese auf einen Nährboden aufgebracht und anschließend mechanisch beschädigt, so zeigt sich unterhalb des Vlieses Bakterienwachstum. Dies beweist, dass die immobilisierten M. luteus-Bakterien die Beschichtung mit PPX überstehen, und ist zum anderen ein Hinweis darauf, dass die Bakterien die PPX beschichteten Fasern nicht verlassen können, da signifikantes Wachstum erst nach Beschädigung des Vlieses zu beobachten ist. Neue Arbeiten in unseren Labors erlauben jetzt die Trockenlagerung lebender Bakterien in Nanofaservliesen für viele Monate und stellen damit einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu funktionalen lebenden Membranen als neuartige Biohybridmaterialien dar. Danksagung Wir danken Johannes Koch, Weng Tan, Marita Kratz und Rolf Alexander Düring für die Unterstützung bei den ersten Experimenten sowie der Volkswagenstiftung für die teilweise finanzielle Unterstützung. ó Literatur [1] Okazaki, M., Hamada, T., Fujii, H., Mitzobe, A., Mazuzawa, S. (1995): Development of poly(vinyl alcohol) hydrogel for waste water cleaning. I. Study of poly(vinyl alcohol) gel as a carrier for immobilizing microorganisms. J. Appl. Polymer Science 58: 2235–2241. [2] Nassif, N., Bouvet, O., Rager, M. N., Roux, C., Coradin, T., Livage, J. (2002): Living bacteria in silica gels. Nat. Mater. 1: 42–44. [3] Greiner, A., Wendorff, J. H. (2007): Electrospinning: a fascinating method for the preparation of ultrathin fibers. Angew. Chem. Int. Ed. 46: 5670–5703. [4] Lee, S.-W., Belcher, A. M. (2004): Virus-based fabrication of micro- and nanofibers using electrospinning. Nano Letters 4: 387–390. [5] Gensheimer, M., Becker, M., Brandis-Heep, A., Wendorff, J. H., Thauer, R. 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Korrespondenzadresse: 1 2 3 Prof. Dr. Andreas Greiner1 PD Seema Agarwal, PhD2 Marco Gensheimer3 Philipps-Universität Marburg Fachbereich Chemie Makromolekulare Chemie Hans-Meerwein-Straße Gebäude H D-35032 Marburg Tel.: 06421-2825573 bzw. -790 Fax: 06421-2825785 [email protected], [email protected]