Proteine nutzbar machen

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Life Science
Proteine
nutzbar machen
Ob man eine Hantel stemmt, eine Infektion abwehrt
oder vor Lampenfieber zittert – immer sind Proteine
beteiligt. Die Eiweiße wirken unmittelbarer auf den
Körper als Gene. Das wollen Forscher nutzen, um
Krankheiten zu bekämpfen.
Herstellung von
Nanopartikeln in
einem Reaktor
mittels Emulsionspolymerisation.
© BioRegio STERN/
Lichtenscheidt
Als Gentechniker vor drei Jahren über die
Entschlüsselung des menschlichen Genoms
jubelten, schossen Hoffnungen auf eine
neue Art von Medizin ins Kraut: Eingriffe in
das Erbgut sollten die Menschheit von all ihren Krankheiten befreien und vielleicht sogar dem Tod ein Schnippchen schlagen. Inzwischen hat sich die Euphorie gelegt. Forscher entdecken zwar immer neue Gene,
die für bestimmte Leiden anfällig machen,
und entwickeln sogar DNA-Mikrochips, mit
denen sich solche heiklen Erbanlagen ohne
großen Aufwand aufspüren lassen. Doch ein
praktischer Nutzen zeichnet sich allenfalls
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verschwommen ab, denn der Zusammenhang zwischen genetischer Ausstattung und
Krankheit ist meist nicht eindeutig. Und vor
allem: Es gibt noch keine Therapie, um GenDefekte auszumerzen.
Die Speerspitze der Forschung hat sich deshalb einem viel versprechenderen Ziel zugewandt: den Proteinen. Diese komplexen
Moleküle, deren Bauplan im Genom steckt,
sind der Stoff, aus dem das Leben ist. Menschen und Tiere bestehen zum größten Teil
aus solchen Eiweißen – wenn man einmal
vom Wasser absieht. Sie stecken in Zellen
und Chromosomen, bilden Haare und Hormone. Jede Regung, jedes Gefühl ist letztlich ein Resultat dieser chemischen Substanzen. Ob man eine Hantel stemmt, vor Lampenfieber zittert oder eine Krankheit abwehrt – immer sind Proteine mit von der
Partie. Insgesamt tummeln sich im menschlichen Körper mehr als eine Million verschiedener Eiweißstoffe. Sie bestehen aus
20 Grundbausteinen, den Aminosäuren, in
jeweils spezifischer Reihenfolge und Gestalt.
Proteine sind interessante
Wirkstoffe für Medikamente
Proteine wirken unmittelbarer auf den Körper als Gene. Jeder kennt den aufputschenden Kick, wenn nach einem Schrecken das
Adrenalin – eines der bekanntesten Proteine – in den Körper schießt. Da liegt es
nahe, sie als schlagkräftige Waffe gegen
Krankheiten einzusetzen. Noch stecken
Proteine nur in wenigen Medikamenten,
rund 96 Prozent aller Wirkstoffe sind weitaus simplere chemische Verbindungen.
Doch von den künftigen Pillen, an denen
die Pharma-Firmen schon heute basteln,
werden sie rund ein Drittel stellen. Visionäre träumen bereits von einer intelligenten
Medizin, die mithilfe eines ausgefeilten
Protein-Cocktails Krankheiten individuell
besiegt. Im Kampf gegen Krebs könnte
das folgendermaßen aussehen: Winzige
Kügelchen als Trägersubstanz, nicht größer
als menschliche Zellen, werden mit einem
handverlesenen Protein-Mix bestückt. Einige der Proteine wirken als Sensoren, die
Krebszellen zuverlässig von gesunden Zellen unterscheiden und ansteuern. Sie docken am Geschwulst an und bringen so
die Killer-Proteine in Stellung, die dann
den Störenfried im Nahkampf ausmerzen.
Das klingt nach Science-Fiction. Doch das
Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und
Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart hat
sich diesem Ziel schon ein gutes Stück genähert. Der Gruppe um den Chemiker Dr.
Günter Tovar ist es gemeinsam mit Forschern der Universität Stuttgart gelungen,
das Protein »Tumor Nekrose Faktor« (TNF)
auf winzigen Siliziumkügelchen zu verankern und so für den Einsatz in der Tumortherapie vorzubereiten. TNF gilt als Hoffnungsträger im Kampf gegen Krebs, denn
die Substanz dockt an Krebszellen an und
entfaltet dort ihre fatale Wirkung: den programmierten Zelltod. Sie zwingt die Zellen
unweigerlich in den Selbstmord.
Allerdings verfügen nicht nur Krebszellen
über Rezeptoren für TNF, sondern auch viele gesunde Zellen. Die geraten ebenfalls ins
Visier, wenn man TNF in reiner Form verabreicht. Damit das gesunde Gewebe überlebt, muss man die intelligenten Kügelchen
mit einem weiteren Protein bestücken, das
Krebszellen aufspürt. Zwei Eiweißmoleküle
im Tandem verbessern die Zielgenauigkeit
und verringern so die unerwünschten
Nebenwirkungen. »Wir haben schon ein
Eiweiß im Visier«, sagt Tovar. Doch damit
ist es nicht getan. Die Biochemiker müssen
ihre medizinischen Mini-Lenkwaffen obendrein mit einer Tarnkappe versehen: einer
Substanz, die sie vor dem menschlichen Immunsystem verbirgt. Sonst würden sie vernichtet, bevor sie ihre Wirkung entfalten
könnten. Biologen sprechen vom »StealthEffekt«, einem Begriff aus der Militärtechnik: Stealth-Bomber sind bekanntlich für
Radarstrahlen unsichtbar.
Neue Ansätze für
die Krebstherapie
Tovar macht sich nichts vor: »Wir stehen
erst am Anfang, bis zur Krebs-Therapie ist
es noch ein weiter Weg.« Doch mit dem
Wissen, bestimmte biochemische Bausteine
auf einer künstlichen Trägersubstanz zu
verankern, ist seinem Team ein erster entDie Nanopartikel sind
mit bioaktivem Cytokin (TNF) verbunden.
Binden sie an einen
TNF-Rezeptor, lösen
sie eine spezifische
Zellantwort aus.
© Fraunhofer
scheidender Schritt gelungen. »Ein Riesenerfolg«, freut sich der Chemiker. Denn im
Allgemeinen verlieren Proteine außerhalb
ihres natürlichen Milieus rasch ihre biologische Wirkung. Um die Aktivität der Winzlinge zu wahren, haben die Stuttgarter ihnen ein möglichst naturnahes Umfeld geschaffen: eine künstliche Zellmembran.
Viele Proteine fristen auf der Zellhaut ihr
kurzes Dasein von oft nur wenigen Stunden. Hier herrscht ein reges Treiben, fast
wie im Foyer eines Wolkenkratzers: Biochemische Substanzen kommunizieren unentwegt miteinander und schicken Botenstoffe
ins Zellinnere und nach außen. Hunderte
unterschiedlicher Proteine sitzen auf einer
einzigen Membran.
Eine solche Membran nachzubauen, ist eine
knifflige Arbeit – Experten sprechen von
chemischer Nanotechnologie. Die SiliziumKügelchen, die als künstliche Trägerzelle
fungieren, sind nur 100 bis 1 000 Nanometer dick (1 Nanometer ist der millionste Teil
eines Millimeters). Deren Oberfläche muss
chemisch so präpariert werden, dass sie einer natürlichen Zellmembran ähnelt – maßgeschneidert für die Bedürfnisse eines bestimmten Proteins. Die Kunst besteht darin,
das Protein-Molekül zu zwingen, in einer
bestimmten Ausrichtung festzuhalten.
Denn Proteine entfalten ihre Wirkung meist
nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Wenn
das Schloss nicht akkurat auf der Außenseite sitzt und damit für andere Substanzen
zugänglich ist, nutzt der beste Schlüssel
nichts: Die Tür bleibt zu.
Mit ihrer Methode sind die Stuttgarter Nano-Technologen in der Lage, prinzipiell jedes Protein festzuhalten. So können sie
nicht nur beim Maßschneidern neuer Medikamente helfen, sondern auch beim Entschlüsseln des Proteoms, des gesamten
Protein-Inventars eines Organismus. Bisher
ist über die Wirkung der meisten Proteine
nur wenig bekannt. Und wie das komplizierte Räderwerk dieser abertausenden Bausteine im Detail ineinander greift, weiß kein
Mensch. Deshalb peilen die Stuttgarter Forscher noch ein weiteres Ziel an: den Biochip
für die individuelle Diagnose, ähnlich dem
DNA-Chip der Genetiker. Auf einem fingernagelgroßen Plättchen ließe sich in einem
Aufwasch eine Vielzahl von Proteinen nachweisen. So könnten Mediziner ohne großen Aufwand herausfinden, unter welchen
Krankheiten ein Patient leidet oder ob er auf
ein bestimmtes Medikament anspricht. Erste
Prototypen solcher Biochips gibt es bereits.
Klaus Jacob
Fraunhofer Magazin 2.2003
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