Klinische Pathophysiologie - ReadingSample - beck

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Klinische Pathophysiologie
Bearbeitet von
Walter Siegenthaler, Hubert Erich Blum, Beatrice Amann-Vesti, Christian Arnold, Robert Bals, Felix
Beuschlein, Michael Böhm, Ulrich Büttner, Rainer Düsing, Fikret Er, Michael Fromm, Steffen Gay, Michael
Geißler, Roland Gärtner, Michael Hallek, Sigrid Harendza, Ulrich Hoffmann, Reinhard Hohlfeld, Dieter
Häussinger, Lothar Kanz, Stefan Kaufmann, Michael Kindermann, Jürgen Kohlhase, Karl-Anton Kreuzer,
Ulrich Laufs, Andreas Link, Michael Ludwig, Christoph Maack, Stephan Martin, Darius Moradpour, Ulf
Müller-Ladner, Peter P. Nawroth, Christoph Neumann-Haefelin, Wolfgang H. Oertel, Oliver G. Opitz, Rolf
Ostendorf, Ulf Panzer, Eberhard Passarge, Hans-Hartmut Peter, Werner J. Pichler, Martin Reincke,
Werner O. Richter, Felix Rosenow, Tom Schaberg, Bruno Scheller-Clever, Karsten Schepelmann, Werner
A. Scherbaum, Andre Schneider, Jochen Schopohl, Henning Schwacha, Abdul Nasser Semmo, Konstanze
Spieth, Rolf A.K. Stahl, Peter Staib, Eggert Stockfleth, Christian Strasburger, Federico Tató, Rudolf Tauber,
Friedrich Thaiss, Robert Thimme, Claus Franz Vogelmeier, Katja C. Weisel, Ulrich Wenzel, Walter Zidek,
Reinhard Ziegler, Michael Zimmermann, Marek Zygmunt, Arnold von Eckardstein
überarbeitet 2006. Buch. 1232 S. Hardcover
ISBN 978 3 13 449609 3
Format (B x L): 19,5 x 27 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Pathologie,
Cytopathologie, Histopathologie
Zu Inhaltsverzeichnis
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Nervensystem
(NRT) eingebunden, welche eine GABAB-Rezeptoren-vermittelte Hyperpolarisierung der RelayZellen hervorrufen, die wiederum niedrigschwellige T(transient)-Typ-Calciumkanäle aktiviert.
➤ Es wird heute angenommen, das Absencen durch
die Interaktion von T-Typ-Calciumkanal-Strömen,
Hyperpolarisation und die intrinsischen Eigenschaften der thalamischen Relay-Neurone, welche
tonisch oder oszillatorisch feuern können, bedingt
sind.
➤ Die Zeitkonstanten der beteiligten Prozesse und Kanäle sowie das Feedback der NRT-Zellen resultieren
in einer Zyklusdauer von 250 – 300 ms, was die EEGRepetitionsfrequenz von 3/s erklärt (1). Für die Bedeutung der T-Typ-Calciumkanäle spricht auch der
Nachweis einer vermehrten Expression des α-1-HSubtyps dieser Kanäle in einem Tiermodell, der „genetischen Absencen-Epilepsie-Ratte von Straßburg
(GAERS)“. Auch der klinisch beobachtete Absencen
37.9
auslösende Effekt GABAerger Antiepileptika (35)
lässt sich über die GABAB-Rezeptor-vermittelte Hyperpolarisation in diesem Modell erklären.
Modulatorischer Einfluss retikulärer Kerne. Beim Menschen und im Tiermodell kann Hyperventilation Absencen auslösen, und auch Schlaf modifiziert die SpikeWave-Komplexe im EEG. Dieses ist durch einen modulatorischen Einfluss retikulärer Kerne auf die thalamokortikale Schleife erklärt.
Spike-Komponente. Anders als bei fokalen Epilepsien
wird die Spike-Komponente bei der generalisierten 3Hz-Spike-Wave-Aktivität nicht durch den paroxysmalen
Depolarisationsshift (PDS), sondern durch die Summe
der Feldpotenziale synchroner exzitatorischer postsynaptischer Potenziale (EPSP) hervorgerufen. Der nachfolgenden langsamen Welle liegen entsprechend inhibitorische IPSP zugrunde (70).
Zerebrale Ischämie
W.H. Oertel
Der Schlaganfall stellt die dritthäufigste Todesursache in den industrialisierten Ländern dar und ist in
mehr als 80% durch eine zerebrale Ischämie bedingt.
Ein ischämischer Infarkt entsteht, wenn in einem Versorgungsgebiet einer Hirnarterie der zerebrale Blutfluss vorübergehend oder permanent verringert ist.
In den meisten Fällen liegt dem verringerten Blutfluss ein Verschluss der zerebralen Arterie – entweder durch einen arterioarteriellen oder kardiogenen
Embolus – zugrunde. Die klinische Symptomatik ist
von der Gefäßversorgung der jeweiligen geschädigten Gehirnregion mit ihren Funktionen abhängig
(Abb. 37.40).
Die Pathophysiologie ischämischer Insulte ist von den
Eigenheiten des zerebralen Stoffwechsels abzuleiten.
Die Ausprägung des ischämischen Gewebeschadens
beruht auf einer komplexen Sequenz von Vorgängen,
die sich in räumlicher und zeitlicher Abfolge entwickeln.
➤ Circulus arteriosus Willisii: Im Circulus arteriosus
Willisii (Abb. 37.38) sind z. B. die beiden Aa. cerebri
anteriores durch die A. communicans anterior und
die Aa. cerebri posteriores über die Aa. communicantes posteriores mit den Aa. carotis internae verbunden. Dieser Circulus arteriosus Willisii ist bei
mehr als 20% der Bevölkerung inkomplett angelegt.
Bei Patienten, die einen Schlaganfall erleiden, ist
dies häufiger der Fall als in der Gesamtbevölkerung.
➤ Andere Anastomosen: Andere wichtige Anastomosen verbinden die A. ophthalmica mit Ästen der A.
carotis externa in der Orbita.
Grenz- und Endzonen. Verbindungen zwischen A. cerebri media, A. cerebri anterior und A. cerebri posterior an
den Gehirnoberflächen sichern die Blutversorgung der
sog. Grenzzonen („Wasserscheide“ zwischen den einzelnen
Gefäßversorgungen)
(Grenzzoneninfarkt,
Abb. 37.45). Die kleinen Gefäße, die vom Circulus Willisii und von proximalen großen Gehirnarterien abstammen, haben in der Regel keine Anastomosen. Die durch
sie versorgten tiefer liegenden Gehirnregionen werden
als Endzonen bezeichnet (5).
Gefäße des Gehirns
Die Durchblutung des Gehirns sichert die Zufuhr von
Sauerstoff, Glucose und anderen Nährstoffen und entfernt gleichzeitig Kohlendioxid, Lactat und andere Abbauprodukte.
Anatomie
Anastomosen. Anastomosen zwischen den Blutgefäßen
schützen das Gehirn, wenn ein Teil des vaskulären Systems blockiert ist.
Klinische Bedeutung. Die Gefäßabschnitte,
an denen häufig pathologische Verengungen
(Stenosen) oder Verschlüsse angetroffen
werden (Abb. 37.38), sind im Zusammenhang mit der
individuellen Anlage des Circulus arteriosus Willisii zu
sehen. Die klinischen Ausfälle bei Stenose oder Verschluss eines kortikalen Endastes hängen von seinem jeweiligen Versorgungsgebiet ab (Abb. 37.39) bzw. von
der funktionellen Zuordnung primär sensorischer (Area
1) und primär motorischer (Area 4) Rindenfelder (s. a.
Epilepsien – einfach fokal-motorischer Anfall) in der betroffenen Rindenregion (Abb. 37.40).
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37.9 Zerebrale Ischämie
Abb. 37.38 Hirnversorgende und
hirneigene Gefäße. Der Circulus
arteriosus Willisii besteht aus den
Aa. carotis internae kurz vor der Bifurkation, den proximalen Aa. cerebri anteriores, der A. communicans
anterior, den Aa. communicantes
posteriores und den proximalen Aa.
cerebri posteriores. Dunkle Stellen
zeigen die häufigsten Orte von
Arteriosklerose und Verschluss an
(nach 2).
Regulation der Gehirngefäße
Die Gefäße des Gehirns können ihren Eigendurchmesser verändern. Man unterscheidet 2 Formen der
Autoregulation. Die erste Autoregulation ist vom
systemischen Blutdruck abhängig, die zweite hängt
vom arteriellen Blutgasdruck und pH-Wert ab.
Autoregulation über den Blutdruck. Gehirnarteriolen
konstringieren, wenn der systemische Blutdruck steigt
und erweitern sich, wenn er sinkt. Beide Formen der Anpassung helfen, eine optimale zerebrale Durchblutung
zu sichern.
➤ Gesunde Individuen zeigen eine konstante Gehirndurchblutung bei einem mittleren arteriellen Druck
zwischen 60 und 160 mmHg. Über- oder unterhalb
dieser Blutdruckwerte steigt oder fällt die zerebrale
Durchblutung linear.
➤ Bei einem sehr niedrigen Blutdruck sinkt die Durchblutung unter die kritische Schwelle ab (Tab. 37.12).
➤ Ein extrem hoher arterieller Blutdruck durchbricht
die Autoregulation (2, 51).
➤ Bei Hypokapnie (z. B. Abfall des pCO2 im Rahmen einer Hyperventilation) verengen sich die Gefäße und
die zerebrale Durchblutung nimmt ab. Steigt der arterielle pCO2, erweitern sich die Arteriolen und der
zerebrale Blutfluss steigt an. Diese Regulation ist
sehr empfindlich: Eine Inhalation von 5% CO2 erhöht die zerebrale Durchblutung um 50%, die von
7% verdoppelt sie.
➤ Eine Änderung des arteriellen pO2 führt zu einer
entgegengesetzten, jedoch geringer ausgeprägten
Antwort: Einatmen von Sauerstoff verringert die zerebrale Durchblutung um etwa 13%. Ein nur 10%iger
Sauerstoffanteil in der Atemluft bedingt einen Anstieg der Hirndurchblutung um 35%.
Diese Regulationsvorgänge schützen das Gehirn, indem sie das Sauerstoffangebot erhöhen und gleichzeitig im Rahmen der Hypoxie und Ischämie entstandene
saure Metabolite abtransportieren helfen. Sie erlauben
auch eine nahezu sofortige Anpassung des regionalen
zerebralen Blutflusses an plötzlich sich ändernde Anforderungen an den Sauerstoff- und Glucosebedarf,
wie sie im Rahmen der normalen Gehirnaktivität auftreten.
Autoregulation über Gase und pH. Die zweite Form der
Autoregulation erfolgt über die Blut- und Gewebegase
und die Wasserstoffionenkonzentration (pH).
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Nervensystem
Abb. 37.39 Arterielle Territorialversorgung des Gehirns.
a Transversaler Schnitt durch das Gehirn. Auf der rechten Gehirnhälfte sind die Versorgungsgebiete der einzelnen Gehirnarterien mit unterschiedlichen Markierungen dargestellt. Auf der
linken Gehirnhälfte sind die einzelnen Gefäße eingezeichnet.
Die Gefäßterritorien der A. lenticulostriatae laterales und mediales (der penetrierenden Endarterien der A. cerebri media)
und der A. chorioidea anterior sind zusätzlich dargestellt. Aa.
lenticulostriatae (penetrierende Endarterien der A. cerebri media): Corpus nuclei caudati, Putamen, Globus pallidus (exter-
Tabelle 37.12
nus), oberer Anteil der Capsula interna, unterer Anteil der Corona radiata. A. chorioidea anterior: untere 2/3 der Capsula interna, Globus pallidus (internus), Unkus, Hippokampus anterior,
Amygdala.
b – g Laterale (b), mediale (c) Ansicht und horizontale Schichten
(d – g) des Gehirns. Die Versorgungsgebiete der A. cerebri
anterior, A. cerebri media, A. chorioidea anterior, der Aa. lenticulostriatae und A. cerebri posterior sind in unterschiedlicher Markierung eingezeichnet (a – c nach 50, d – g nach 26).
Ischämieschwellenwerte der Hirndurchblutung (nach 23)
Hirndurchblutung
Prozent Hirnfunktion
Biochemische Änderungen
Pathologie
80 – 120 ml/100 g/min
100%
normal
normale Ionengradienten
normal
⬍ 55 ml/100 g/min
⬍ 70%
Ausfall der Proteinsynthese
⬍ 20 ml/100 g/min
⬍ 25%
Ausfall des EEG,
Verlust von Komponenten
der evozierten Potenziale
Akkumulation exzitatorischer Ami- Zunahme des Wassernosäuren (Glutamat)
gehalts
⬍ 18 ml/100 g/min
⬍ 20%
neuronale Funktion erlischt
ATP-Verbrauch
⬍ 10 ml/100 g/min
⬍ 10%
Beginn des irreversiblen
Funktionsverlustes
extrazellulärer K+-Anstieg
intrazellulärer Na+-Ca2 +-Anstieg
Infarktschwelle
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Stim m bildung
kretion
e
s
l
e
h
eic
Sp en
u
Ka
37.9 Zerebrale Ischämie
Abb. 37.40 Lokalisation und Größenverhältnisse der primären
sensorischen (a) und motorischen Rindenfelder (b) beim Menschen
Zerebrale Durchblutung, Glucose- und
Sauerstoffbedarf
Das Gehirn wiegt mit etwa 1600 g 2% des Körpergewichts. Vom Herzminutenvolumen fließen 16 – 17%
zum Gehirn. Sein Sauerstoffbedarf beträgt 20% des
Körperbedarfs.
Durchblutung. Das
Gehirn
durchströmen
etwa
750 – 1000 ml Blut/min. Etwa 350 ml Blut fließen durch
jede A. carotis interna und 100 – 200 ml Blut durch das
vertebrobasiläre System. Pro 100 g Hirngewebe und Minute beträgt die Durchblutung beim Kleinkind 100 ml,
beim Erwachsenen 50 ml und beim Betagten 40 ml. Die
Durchblutung der weißen Substanz ist mit etwa
16 ml/100 g/min konstant, diejenige der grauen Substanz des Kortex ist mit im Durchschnitt 85 ml/100
g/min 4-mal so hoch und variabel (5).
Sauerstoff- und Glucoseverbrauch. Für seinen Energiebedarf ist das Gehirn fast ausschließlich auf den oxidativen
Abbau von Glucose angewiesen. In Ruhe verbraucht es
pro Tag 75 l oder 3,3 ml/100 g/min Sauerstoff und pro Tag
115 g Glucose oder 5,3 mg/100 g/min (29 µmol/100
g/min).
(nach 13; aus Penfield W, Rasmussen T. The Cerebral Cortex of Man.
New York: Mac Millan 1950).
Verminderung der
Hirndurchblutung
und Hirnfunktion
Pathomechanismen. Das pathophysiologische Verständnis der zerebralen Ischämie stammt überwiegend aus
dem Tierexperiment. In diesem Kapitel werden als wesentliche Mechanismen die Themen Energiemangel,
Ödem, Exzitotoxizität, Entzündung, Apoptose und Depolarisation im Periinfarktgebiet diskutiert. Es besteht
kein Zweifel, dass diese Prozesse für die Pathophysiologie der menschlichen zerebralen Ischämie von Relevanz
sind.
Zusammenfassend ist die Wahrscheinlichkeit einer
Gewebeinfarzierung höher als 95%, wenn der zerebrale
Blutfluss (CBF) im betroffenen Gebiet unter 25% des
Normwertes sinkt. Die Wahrscheinlichkeit eines Infarktes ist andererseits geringer als 5%, wenn der CBF
höher als 50% des Normwertes liegt.
Durchblutungsverminderung. Eine temporäre Verminderung der regionalen Durchblutung bis auf 20 ml/100
g/min lässt unter Normothermie die spontane elektrische Aktivität des Kortex und die evozierten Potenziale
unbeeinträchtigt. Unter einem Durchblutungswert von
20 ml/100 g/min akkumulieren exzitatorische Aminosäuren wie z. B. Glutamat (s. Exzitotoxizität). Elektrische
Stille wurde beim Primaten mit einer Durchblutungsverminderung auf 15 ml/100 g/min erzeugt, während
erst bei Werten zwischen 6 und 8 ml/100 g/min ein irreversibler Funktionsverlust auftritt (Tab. 37.12).
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Nervensystem
mit folgender Depolarisation („periinfarct depolarisation“, „spreading depolarisation“) die in der Penumbra metabolisch vorgeschädigten Zellen überlasten, zerstören und somit zu einer Vergrößerung der
Core-Region führen (22).
Diagnostik. Es ist heute mit bildgebenden
Verfahren am lebenden Menschen möglich,
das am stärksten ischämisch betroffene Gebiet („core“) und die Penumbra in etwa zu unterscheiden. So erlaubt die diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie (DWI) mittels Messung der Wasserdiffusion des Gewebes bereits in der Frühphase der akuten zerebralen Ischämie (weniger als 3 h) die Veränderungen im intrazellulären Wasserhaushalt darzustellen.
In der perfusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (PWI) wird die Veränderung der lokalen Magnetfeldinhomogenität nach Injektion eines paramagnetischen Kontrastmittels genutzt und so der Bezirk mit
verringerter Perfusion (Penumbra) nachgewiesen (50).
Abb. 37.41 Wirkung der totalen Ischämie des Gehirns auf den
Sauerstoff des Gewebes, das Bewusstsein, das Elektroenzephalogramm, die Morphologie der Nervenzellen und ihren Glucosegehalt (aus 43).
Fehlende Substratzufuhr. Unterbrechen der Substratzufuhr führt zu einem raschen Erlöschen der Gehirnfunktion. Nach 6 – 8 s findet sich in der grauen Substanz des
Gehirns kein molekularer Sauerstoff mehr. EEG-Veränderungen treten auf, nach 10 – 12 s tritt Bewusstlosigkeit
ein. Nach 3 – 4 min ist die freie Glucose verbraucht. Nach
4 – 5 min kann es zu ersten nekrotischen Prozessen in
Nervenzellen kommen. Ein Herzstillstand von mehr als
9 min Dauer führt in der Regel zum irreversiblen Hirntod
(Abb. 37.41) (2, 43).
Core – Penumbra
Im ischämischen Gebiet sind die hämodynamischen,
metabolischen und Elektrolytveränderungen unterschiedlich ausgeprägt:
➤ Core: Im Zentrum des Perfusionsdefizits tritt bei
massiver Reduktion des CBF wenige Minuten nach
dem Beginn der Ischämie eine dauerhafte Depolarisation der Zellen ein. Der Mangel an energiereichen
Substraten führt zum Zusammenbruch des Ionengleichgewichts, zur Proteolyse und Lipolyse mit folgendem Neuronenuntergang (Nekrose – s. u.).
➤ Penumbra: Der ischämische Kernbereich („core“)
wird von der sog. Penumbra (Schatten) umgeben.
Dieser Bereich besitzt über umgebende Kollateralgefäße noch eine grenzwertige Durchblutung mit
teilweise erhaltenem Energiehaushalt und partiell
gestörter Homöostase. Mit der Zeit kann dieses noch
nicht abgestorbene Gewebe durch weiter vorliegende Exzitotoxizität, Entzündungsreaktionen oder
Apoptose (s. u.) ebenfalls absterben. Darüber hinaus
können energieabhängige Repolarisationsversuche
Ischämische zerebrale Mikrozirkulation
Durchblutungswerte. Experimentelle Untersuchungen
über fokale zerebrale Ischämie haben auch in der zentralen Zone eines sich entwickelnden Infarkts einen Blutfluss, wenn auch nur von weniger als 20% gemessen. Um
das Zentrum des ischämischen Infarkts liegt eine Zone
von gering bis mäßig ischämischem Hirngewebe (zerebraler Blutfluss bei 15 – 50%).
➤ Dauert die Ischämie länger als 1 h, beginnt der Tod
von allen Zelltypen im Zentrum der ischämischen
Region und erreicht dann fortschreitend auch die
peripherer liegenden Regionen verringerten Blutflusses.
➤ Kann der Blutfluss innerhalb von 1 – 8 h wieder hergestellt werden, z. B. über Kollateralen oder Reperfusion, kann der Zelltod im gering- bis mittelgradig
ischämischen Gewebe verringert oder verhindert
werden.
➤ Der zerebrale Blutfluss dieser sog. Grenzzone hängt
u. a. vom arteriellen Blutdruck ab (Abb. 37.42). Es liegen Gebiete lokaler Hyperperfusion und lokaler Hypoperfusion nebeneinander. Ebenso finden sich
neurophysiologisch Perioden von Funktionsunterdrückung und Perioden abnormaler Membranionenleitfähigkeit.
➤ Das Ausmaß des Blutflusses durch die Mikrovaskulatur bestimmt die Möglichkeit des Abtransportes
der metabolischen Produkte und das Ausmaß, energiereiche Substrate (Sauerstoff, Glucose) bzw. therapeutische Substanzen im ischämischen Gebiet anzubieten.
Gestörte mikrovaskuläre Zirkulation. Die mikrovaskuläre
Zirkulation im ischämischen Gebiet hängt von mehreren
Faktoren ab:
➤ Mechanische Faktoren: Sie umfassen das sog. perikapilläre Ödem, bei dem Neurone, Gliazellen und Perizyten ödematös anschwellen. Ursache ist der Zu-
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37.9 Zerebrale Ischämie
Energiemangel
Abb. 37.42 Abhängigkeit des zerebralen Blutflusses im normalen
und unterschiedlich stark ischämischen Hirngewebe vom zerebralen Perfusionsdruck (arterieller Blutdruck). Während bei normalem
Hirngewebe aufgrund der Autoregulation der zerebrale Blutfluss
zwischen 60 und 160 mmHg konstant gehalten wird, zeigt sich eine
eher lineare Beziehung im gering und mäßig ischämischen Gehirngewebe. Die Kurve verdeutlicht auch, dass bei Patienten, die einen
ischämischen Insult erlitten haben, eine deutliche Reduktion des
arteriellen Blutdrucks zu einer Abnahme des zerebralen Blutflusses
in der sog. Penumbra (gering bis mäßig ausgeprägt ischämische
Region) führt (nach 51).
sammenbruch energieabhängiger endothelialer
Funktionen, sodass die Blut-Gehirn-Schranke gestört ist und Plasmaproteine den Extrazellulärraum
des Gehirns erreichen. Weiterhin können toxische
Substanzen aus dem ischämischen Gewebe oder
von intravasalen Blutzellen (z. B. freie Sauerstoffradikale, Proteasen) die Blut-Gehirn-Schranke durchtreten. Andere Faktoren, die das interstitielle Ödem
fördern, sind die gestörte Autoregulation
(Abb. 37.42), die intrakapilläre Hämokonzentration
und das „sludging“ von roten Blutkörperchen. Auch
Leukozyten und Thrombozyten verlegen die kapilläre Mikrozirkulation und das venöse Gefäßbett.
➤ Humorale Faktoren: Neben diesen mechanischen
Faktoren sind auch humorale Komponenten zu nennen. So führt der Thrombozyten aktivierende Faktor
(PAF, s. u.) zu einer Vasokonstriktion, während z. B.
Prostaglandine, NO (s. u.) oder Adenosin eine Vasodilatation begünstigen (5, 11, 23, 41).
Zelluläre Pathophysiologie
der Ischämie
Wesentliche Mechanismen der zerebralen Ischämie
sind Energiemangel, Exzitotoxizität, freie (Sauerstoff-)Radikale, Ödem, Entzündung, Apoptose und
eine gestörte Blut-Gehirn-Schranke (s. o.). Sie sind in
den vergangenen Jahren Gegenstand intensiver
Grundlagenforschung gewesen. Hierauf basierend,
werden Medikamente entwickelt in der Hoffnung,
für den Menschen einen substanziellen therapeutischen Erfolg zu erzielen.
Wegen der verminderten Mikrozirkulation ist die Zufuhr energiereicher Substrate zum Gehirn und damit
die ATP-Produktion (s. u.) verringert. Eine Beeinträchtigung des Energiemetabolismus verhindert eine ATPabhängige Entfernung von Ca2 + aus der Zelle und die
ATP-abhängige Speicherung von Ca2 + im endoplasmatischen Retikulum. Die glutamatvermittelten Entgleisungen (s. u.) der Ionenkonzentrationen können die
metabolischen Defekte verstärken. Die Calciumüberlastung der Mitochondrien führt zu einem irreversiblen Schaden der Mitochondrien. Erhöhte Konzentrationen von intrazellulärem Ca2 + aktivieren Proteasen,
Phospholipasen, Lipasen und Endonukleasen. Diese
Enzyme führen zu autodestruktiven Prozessen in der
Zelle. Ein Mangel an Energieträgern kann daher eine
Zellschädigung und letztlich den Zelltod bedingen
(Abb. 37.43).
ATP, Ionenpumpen und exzitatorische
Neurotransmission
ATP aus Glykolyse. ATP wird in den Mitochondrien hergestellt. Glykolytische Enzyme der Mitochondrien bilden
unter aeroben Bedingungen aus 1 Mol Glucose 36 Mol
ATP, unter anaeroben Bedingungen jedoch nur 2 Mol
ATP. Die glykolytischen Enzyme sind in Dendriten und
Axonendigungen konzentriert, wo die Ionenflüsse mit
der synaptischen Transmission assoziiert sind.
Verwendung des ATP. Das im Gehirn produzierte ATP
wird zum größten Teil verbraucht, um die Ionengradienten über die Na+-K+-ATPase und damit das Ruhemembranpotenzial (-80 mV) der Nervenzellen zu erhalten
bzw. nach synaptischer Erregung wieder aufzubauen.
ATP ist auch für den Erhalt des Glia-Ruhemembranpotenzials erforderlich. Dieses unterstützt den energieabhängigen hoch affinen Aufnahmemechanismus für exzitatorische Aminosäuren (insbesondere für Glutamat)
und ist zusätzlich für den Erhalt einer niedrigen Konzentration von extrazellulärem Kalium verantwortlich,
das seinerseits das neuronale Ruhemembranpotenzial
mitbestimmt.
Folgen des ATP-Mangels. Infolge des ATP-Mangels
nimmt die Funktion der energieabhängigen Ionenpumpen ab. Dadurch strömen Natrium und Chlorid – und
nachfolgend Wasser – in die Zellen. Bricht das Ruhemembranpotenzial zusammen oder werden Neurone
unter diesen Bedingungen infolge einer glutamatergen
Erregung depolarisiert, so kann der Repolarisationsmechanismus versagen. Im Rahmen von anoxischen Depolarisationen werden weitere Quanten exzitatorischer
Aminosäuren (Exzitotoxizität, s. u.) in den extrazellulären Raum freigesetzt.
Ödem
Dem deutlich überwiegenden Na+- und Cl--Einstrom –
im Vergleich zum K+-Ausstrom – folgen passiv Wassermoleküle. Ist dieser Vorgang ausgeprägt, kommt es zur
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Nervensystem
Abb. 37.43 Mögliche Mechanismen des Zelltods bei zerebraler
Ischämie (Erläuterung s. Text, nach 11).
AMPA-R = (RS)-α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isokazol-Propionsäure-Rezeptor, AS = Arachidonsäure, CAT = Katalase, ER = endoplasmatisches Retikulum (mit intrazellulärem Calciumspeicher),
Glu = Glutamat, GPX = Glutathionperoxidase, IP3 = Inositoltriphos-
osmotischen Zelllyse (Nekrose). Die Gesamtheit von
geschwollenen Zellen bedingt ein (mikroskopisches,
später makroskopisches) Ödem (s. auch oben – mechanische Faktoren – gestörte Blut-Gehirn-Schranke). Dieses Ödem kann die Perfusion des Gewebes der Penumbra negativ beeinträchtigen. Ist es ausgeprägt, kann das
perifokale Ödem den intrazerebralen Druck erhöhen,
damit den venösen Abfluss verschlechtern und sogar
zur Einklemmung (Herniation) von entfernt gelegenem gesundem Hirngewebe führen.
phat, METAB-R = metabotroper Rezeptor, NMDA-R = N-Methyl-DAspartat-Rezeptor, NO = Stickoxid, NOO = Peroxynitrit, PAF =
Thrombozyten aktivierender Faktor, O2•, OH•, NOO• = freie Radikale, SOD = Superoxiddismutase, VSCC = spannungsabhängiger
Calciumkanal, XDH = Xanthindehydrogenase, XO = Xanthinoxidase.
Das Ödem ist ein sehr frühes Zeichen für die
Pathophysiologie eines ischämischen Insults
und ist im ZNS des Menschen in vivo mittels
Diffusions-Magnetresonanztomographie und später
auch mit der Standard-MRT und dem Computertomogramm darstellbar (50).
Exzitotoxizität
Extrazelluläre Anreicherung exzitatorischer Aminosäuren. Der Energiemangel führt zur Depolarisation von
Neuronen und Gliazellen (46). Hierdurch bedingt werden somatodendritische und präsynaptische span-
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