von Alemann/Morlok/Spier (Hrsg.) • Parteien ohne Mitglieder? ISBN 978-3-8487-0812-3 46 BUC_Alemann_0812-3.indd 1 Schriften zum Parteienrecht und zur Parteienforschung 46 Ulrich von Alemann/Martin Morlok/Tim Spier (Hrsg.) Parteien ohne Mitglieder? Nomos 21.08.13 09:28 http://www.nomos-shop.de/21615 Schriften zum Parteienrecht und zur Parteienforschung herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Dimitris Th. Tsatsos † Prof. Dr. Ulrich von Alemann Prof. Dr. Martin Morlok Prof. Dr. Thomas Poguntke Prof. Dr. Dian Schefold Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Schneider in Verbindung mit dem Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteien­forschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Band 46 BUT_Alemann_0812-3.indd 2 16.08.13 09:27 http://www.nomos-shop.de/21615 Ulrich von Alemann/Martin Morlok/Tim Spier (Hrsg.) Parteien ohne Mitglieder? Nomos BUT_Alemann_0812-3.indd 3 16.08.13 09:27 http://www.nomos-shop.de/21615 Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akadamischen Austauschdienstes Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-0812-3 1. Auflage 2013 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. BUT_Alemann_0812-3.indd 4 16.08.13 09:27 http://www.nomos-shop.de/21615 Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber 7 Einführung in den Gegenstand der Tagung Prof. Dr. Martin Morlok, Düsseldorf 9 Erstes Podium: Parteimitglieder in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme Die Entwicklung der Parteimitgliedschaften in der Bundesrepublik Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Berlin 17 Die Potsdamer Parteimitgliederstudie 1998. Ein empirischer Test des Rational-Choice-Modells innerparteilicher Partizipation Prof. Dr. Wilhelm Bürklin, Potsdam 29 Die Deutsche Parteimitgliederstudie 2009 Prof. Dr. Markus Klein, Hannover/Prof. Dr. Tim Spier, Siegen 45 Erste Diskussion Leitung: Prof. Dr. Gerhard Vowe, Düsseldorf 59 Zweites Podium: Sinn und Zweck von Parteimitgliedern aus Sicht von Bürgern und Parteien Kein Frischblut mehr. Anmerkungen zur Erforschung der Nachwuchskrise der Parteien Prof. Dr. Elmar Wiesendahl, Hamburg 79 Party Membership as Restriction and Resource for Parties Prof. Dr. Susan E. Scarrow, Houston 127 Die Bedeutung der Parteimitgliedschaft in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes Prof. Dr. Uwe Volkmann, Mainz 141 Zweite Diskussion Leitung: Prof. Dr. Stefan Marschall, Düsseldorf 159 5 http://www.nomos-shop.de/21615 Abendvortrag „Öffnung“ der Parteien – Entprivilegierung der Parteimitgliedschaft? Prof. Dr. Hans H. Klein, BVR a.D., Göttingen 175 Drittes Podium: Erfahrungen aus den europäischen Demokratien Das Recht der Parteimitgliedschaft in vergleichender Perspektive Prof. Dr. Martin Morlok, Düsseldorf 183 Party Membership in Great Britain Prof. Dr. Paul Whiteley, Essex 197 Party Membership in Denmark Prof. Dr. Karina Kosiara-Pedersen, Copenhagen 205 Party Membership in Italy Prof. Dr. Luciano Bardi, Pisa 221 Dritte Diskussion Leitung: Prof. Dr. Thomas Poguntke, Düsseldorf 229 Viertes Podium: Maßnahmen gegen den Mitgliederschwund – Überblick, Evaluation und Alternativen Das „Jahrzehnt der Parteireform“ – Ein Überblick über die Entwicklungen Dr. Arijana Neumann, Kassel 239 Parteireformen und ihre Wirkung auf die Mitgliederentwicklung Prof. Dr. Melanie Walter-Rogg, Regensburg 247 „Mitgliederpartei 2.0“. Chancen und Grenzen virtueller Parteimitgliedschaft Prof. Dr. Stefan Marschall, Düsseldorf 271 Vierte Diskussion Leitung: Prof. Dr. Elmar Wiesendahl, Hamburg 289 Politikerdiskussion Leitung: Prof. Dr. Ulrich von Alemann, Düsseldorf 303 Rednerverzeichnis 329 6 http://www.nomos-shop.de/21615 Vorwort Seit mehr als zwei Jahrzehnten verlieren die deutschen Parteien koninuierlich an Mitgliedern. Pessimistische Diagnosen sprechen vom „Ende der Mitgliederpartei“. Droht eine Entkoppelung von Parteiapparaten und Fraktionen von ihrer gesellschaftlichen Basis? Gerade bei Praktikern in Parteizentralen, Werbeagenturen und Politikberatung wird bisweilen die Ansicht vertreten, dass Mitglieder für die Parteiorganisation auch weitgehend funktionslos geworden sind: An die Stelle personalintensiver lokaler Graswurzelkampagnen seien kapitalintensive, zentral organisierte Wahlkämpfe getreten. Die Parteiprominenz spreche über landesweite Medien die Bevölkerung viel effektiver an, als über den Umweg einer indirekten Mobilisierung mit Parteimitgliedern als Multiplikatoren. Schließlich sei die Parteibasis in Anbetracht von Spendenaufkommen und staatlicher Parteienfinanzierung auch als finanzielle Ressource immer entbehrlicher. Warum sollte sich eine Partei angesichts von anspruchsvollen Partizipations- und Mitbestimmungsbedürfnissen einer Basis, die ein professionelles, schnelles und flexibles PolitikManagement der Parteizentralen nur erschweren, überhaupt einen Mitgliederstamm leisten? Liegt die Zukunft also bei den Parteien ohne Mitglieder? Das Bild einer mitgliederlosen Partei trifft natürlich auf erhebliche normative Bedenken. Parteimitgliedern kommt in unserer Demokratie die wichtige Funktion der Verankerung und Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung zu. Sie sollen lebendige Bindeglieder zwischen Staat und Gesellschaft sein und so eine Rückkopplung an den empirischen Volkswillen ermöglichen. Grund genug, der Erosion des Mitgliederstamms der deutschen Parteien ein wissenschaftliches Symposion zu widmen. Dem ist das Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nachgekommen und hat vom 23. bis 24. Oktober 2009 die Tagung „Parteien ohne Mitglieder?“ in Düsseldorf veranstaltet. Dieser Tagungsband möchte die Beiträge zu diesem Symposion dokumentieren. In vielen Fällen handelt es sich um überarbeitete Redemanuskripte, einige der Autoren haben sich zudem die Mühe gemacht, ihre Beiträge zu Aufsätzen zu erweitern. Da sich der redaktionelle Prozess leider sehr lange hingezogen hat, bitten wir zu beachten, dass sich viele der Beiträge auf dem Stand 2009/2010 befinden. Für die finanzielle Förderung der Tagung durch die Gerda Henkel Stiftung und den Verein der Freunde und Förderer des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Heinrich-Heine-Universität (verso e.V.) sind wir sehr dankbar. Ohne diese freundliche Unterstützung wäre das gutbesuchte Symposion nicht möglich gewesen. Neben diesen Sponsoren gilt unser besonderer Dank natürlich den Autoren und Diskutanten, die die wissenschaftliche Diskussion zu diesem Gegenstand mit ihren Beiträgen bereichert haben. Nicht zuletzt möchten wir uns bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des PRuF bedanken, die bei der Organisation der Tagung und der Erstellung des Tagungsbandes geholfen haben. Namentlich sei7 http://www.nomos-shop.de/21615 en Sven Jürgensen, Anja Knappert, Jasper Prigge, Jannike Riesch und Patricia Wratil hervorgehoben, die Korrekturarbeiten für den Band geleistet haben. Düsseldorf, im Juli 2013 Ulrich von Alemann 8 Martin Morlok Tim Spier http://www.nomos-shop.de/21615 Einführung in den Gegenstand der Tagung Prof. Dr. Martin Morlok, Düsseldorf 1. Der Ausgangsbefund: schwindende Parteimitgliedschaft Die politischen Parteien verlieren Mitglieder.1 Dies nachhaltig und in größerem Umfang. So ist die SPD von einer Million Mitglieder, die sie in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gehabt hat, fast auf die Hälfte geschrumpft. Die CDU hat von einem nicht ganz so hohen Ausgangsniveau Anfang der 1980er Jahre, als sie rund eine ¾ Million Mitglieder hatte, auch einen Rückgang auf rund 530.000 Mitglieder hinnehmen müssen. Etwas anders sieht das bei der FDP und den GRÜNEN aus. Nach einem Hoch durch die Vereinigung mit ihrem ostdeutschen Partner hat die FDP zunächst drastisch verloren, sich aber dann wieder gefangen. Seit 2010 sinken die Mitgliederzahlen allerdings erneut.2 DIE GRÜNEN haben im Laufe ihrer Existenz in der Tendenz eher zugenommen und stagnieren in den letzten Jahren bei rund 55.000 Mitgliedern. Nur relativ schwache Verluste hat die CSU zu verzeichnen. DIE LINKE hat sich nach enormen Verlusten nach der Wiedervereinigung durch die Vereinigung mit der WASG ebenfalls wieder stabilisieren und sogar erholen können. Für das Parteiensystem als solches ist aber weniger die Mitgliederentwicklung innerhalb der einzelnen Parteien wichtig, vielmehr der Anteil der Bevölkerung, der in den Parteien insgesamt organisiert ist. Hier ist der Anteil der Wahlberechtigten von 4,4 % Anfang der 80er Jahre auf 2,6 % im Jahre 2005 gefallen. Die Parteien haben zusammengenommen über 50 % ihrer Mitglieder verloren.3 1 2 3 Zu den nachfolgenden Zahlen vgl. W. Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Auflage, Wiesbaden 2006, S. 153; M. Klein/U. von Alemann/T. Spier, Warum brauchen Parteien Mitglieder?, in: T. Spier/M. Klein/U. von Alemann/H. Hoffmann/A. Laux/A. Nonnenmacher/K. Rohrbach (Hrsg.), Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden 2011, S. 19-29, hier: S. 19; U. von Alemann/P. Erbentraut/J. Walther, Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 171; O. Niedermayer, Die Entwicklung der Parteimitgliedschaften von 1990 bis 2009, in: ZParl, Bd. 41 (2010), S. 421-437, hier: S. 425. Ende 2010 waren es noch 68.541 Mitglieder, 5% weniger als ein Jahr zuvor (vgl. Niedermayer, Parteimitgliedschaften (Anm. 1)). Nach dem Stand vom 19.4.2011 hat die FDP nach eigenen Angaben nur noch 67.000 Mitglieder (vgl. http://www.fdp.de/Organisation/ 318b116/_23.9.11). Für die Zahlen ab 1990 vgl. wiederum Niedermayer, Parteimitgliedschaften (Anm. 1); ein Überblick über den Organisationsgrad von 1968 bis 2005 findet sich in: E. Wiesendahl, Parteien, Frankfurt 2006, S. 31; ein westeuropäischer Vergleich des Organisationsgrades von 1960 bis 2003 ist in E. Wiesendahl, Mitgliederparteien am Ende? Eine Kritik der Niedergangsdiskussion, Wiesbaden 2006, S. 66 enthalten. 9 http://www.nomos-shop.de/21615 Eine genauere Einführung in die Entwicklung der Parteimitgliedschaft in Deutschland wird Ihnen der erste Vortrag von Oskar Niedermayer geben. 2. Rückgang der Zahl der Parteimitglieder – eine Gefahr für die Demokratie? Demokratie in einem staatlichen Verband braucht politische Parteien. Wenn ohne Parteien keine Demokratie möglich ist, dann stellt sich die Frage, ob die personelle Auszehrung der Parteien diese in ihrer Existenz und Funktion bedroht; noch schärfer: Stellt der Mitgliederschwund gar eine Gefahr für die Demokratie selbst dar? Bei aller Besorgnis um diese Entwicklung, es gibt auch Gründe, sie nicht gar so dramatisch zu sehen. Zum einen nehmen diese beängstigenden Zahlen immer Bezug auf die Hochzeit der Parteimitgliedschaft in Deutschland vor rund 25 Jahren. Daran gemessen sind die Rückgänge in der Tat dramatisch, aber darin steckt auch insofern ein deutlicher Basiseffekt, als man sich eben auf maximale Zahlen bezieht. Nimmt man etwa die CDU und geht weiter in die Vergangenheit zurück, so hat sie heute knapp doppelt so viele Mitglieder wie vor 40 Jahren. Zugegeben, die CDU hat sich erst seit den 1970er Jahren zur Mitgliederpartei hin verändert, aber sie existierte bereits vorher und spielte sogar eine wesentliche Rolle in der bundesdeutschen Politik. Neben der Relativierung durch die Maximalzahlen als Ausgangspunkt gibt es eine zweite Überlegung, die die sinkende Mitgliederzahl gelassener betrachten lässt. Ich spreche von unterschiedlichen Typen von Parteien4. Der Typus „Mitgliederpartei“ lebt wesentlich von den Mitgliedern. Die Mitglieder erbringen eine Reihe von wichtigen Leistungen für die Parteien, von den Beiträgen über freiwillige Parteiarbeit (sprichwörtlich etwa Plakate kleben) bis hin zur politischen Kommunikation im Alltag. Andere Parteitypen sind für ihre Leistungsfähigkeit nicht im selben Maße auf Mitglieder angewiesen. In den letzten Jahren wurden die beobachteten Veränderungen auch mit einem Wandel der Parteien selbst erklärt. Anstelle der ideologisch relativ gefestigten Mitgliederpartei bildeten sich zunehmend wesentlich von Berufspolitikern beherrschte Parteien heraus, die ihren Einfluss in erster Linie über die Medien suchten, mit den Worten von Klaus 4 10 Einen Überblick über vier wesentliche Parteitypen und deren Evolution anhand der Positionierung zwischen Staat und Zivilgesellschaft gibt P. Mair, Party System Change. Approaches and Interpretations, Oxford 1997, S. 105ff, insbesondere S. 110f. Zur CatchAll-Partei im Besonderen vgl. O. Kirchheimer, The Transformation of the Western European Party Systems, in: J. LaPalombara/M. Weiner (Hrsg.), Political Parties and Political Development, Princeton 1966, S. 177-200; zur Kartell-Parteien-Hypothese vgl. R. S. Katz/P. Mair, Changing Models of Party Organization and Democracy. The Emergence of the Cartel Party, in: Party Politics, Bd. 1 (1995), H. 1, S. 5-28. http://www.nomos-shop.de/21615 von Beyme formuliert: „Von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker“5. Anstelle der Mitglieder stütze sich dieser Parteitypus finanziell nicht mehr so stark auf die Mitglieder, vielmehr bildeten staatliche Finanzzuschüsse und Spenden einen substanziellen Teil der finanziellen Basis. Das Kleben von Plakaten sei in den Händen von Spezialisten ohnehin besser aufgehoben und die werbende Ansprache der Bevölkerung erfolge vor allen Dingen über die Massenmedien. Der Auftritt eines Spitzenpolitikers in der Tagesschau wiegt nach dieser Auffassung sehr viel mehr als der Stand der Parteifreunde auf dem Wochenmarkt. Diese Kontroverse um einen Charakterwandel oder Typuswandel der Parteien möchte ich hier nicht führen. Es gibt durchaus auch Hinweise darauf, dass ein solcher Typuswandel übertrieben dargestellt wurde. Die Parteien setzten tatsächlich durchaus auf die Arbeit der Mitglieder vor Ort. Dies erscheint mir plausibel. Das alte Theorem von „personal influence“6 hat in meinen Augen immer noch viel für sich. Wie dem auch sei – ich möchte hier nur hinweisen auf die Möglichkeit, dass die Mitgliederentwicklung auch in einem Zusammenhang steht mit einer Entwicklung der Parteien selbst. Ein anderer Typus von Parteien als die herkömmliche Mitgliederpartei bedeutet aber auch eine andere Art der Politikformulierung. Damit verbunden sind auch andere Einflusswege und – nicht zuletzt – eine andere Verteilung der Chancen, die politische Willensbildung zu beeinflussen. Die Zahl der Parteimitglieder ist also nicht lediglich eine Größe, die vor allen Dingen für den Schatzmeister im Hinblick auf das Beitragsaufkommen wichtig ist, sie hat vielmehr weitreichende Konsequenzen bis hin zur Relevanz für die Einflusswege der Politik. 3. Wozu Parteimitglieder? Angesichts dessen stellt sich mit besonderer Intensität die Frage, wozu Parteimitglieder gut sind, wer welchen Nutzen von einer Parteimitgliedschaft hat. Elmar Wiesendahl untersucht von der Warte der Bürger aus die Parteimitgliedschaft auf politische Partizipationsmöglichkeiten. Die Position der Parteien nimmt Susan Scarrow ein, die „Party Membership“ sowohl als „Restriction“ als auch als „Resource for Political Parties“ versteht. 5 6 Vgl. K. von Beyme, Funktionenwandel der Parteien in der Entwicklung von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker, in: O. W. Gabriel/O. Niedermayer/R. Stöss (Hrsg.), Parteiendemokratie in Deutschland, 2. Auflage, Opladen 2001, S. 315-339. Vgl. E. Katz/P. F. Lazarsfeld, Personal Influence. The Part Played by People in the Flow of Mass Communications, New York 1964. 11 http://www.nomos-shop.de/21615 Parteimitgliedschaft ist aber nicht nur ein Instrument für die parteipolitisch aktiven Bürger und die Parteien selbst. In einer parteigetragenen Demokratie sind die Parteien, ihre Strukturen und ihre Mitglieder auch von Bedeutung für das politische Gemeinwesen insgesamt, haben doch die Parteien nach § 1 II PartG die Aufgabe „für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu sorgen“. Dementsprechend widmet sich Uwe Volkmann dem Stellenwert der Parteimitgliedschaft für die repräsentative Demokratie. 4. Gründe für das Nachlassen des Engagements in politischen Parteien Das Erheben des faktischen Befundes ist eine Sache, die Suche nach den Gründen eine andere. Wenn wir nach den Gründen für den Rückgang des parteipolitischen Engagements fragen, so kann man politikspezifische und ganz allgemeine voneinander abheben. Politikspezifisch ist der Komplex, der als Politikverdrossenheit, in Besonderheit auch als Parteiverdrossenheit bezeichnet wird. Was daran berechtigt ist, was daran eine Übertreibung der Medien ist, soll an dieser Stelle dahinstehen. Tatsache scheint aber zu sein, dass die Politik und ein Engagement in der Politik nicht mehr besonders „sexy“ ist, man findet in seinem sozialen Umfeld wohl kaum größeren Respekt und Bewunderung dafür, dass man sich in einer Partei engagiert. Der Rückgang der parteipolitischen Partizipation mag auch mit einer allgemeinen Entideologisierung zu tun haben und nicht zuletzt mit dem Fehlen großer bewegender Kontroversen. Soll die Bundesrepublik sich Streitkräfte zulegen oder nicht? Ostverträge ja oder nein? Für oder gegen die sogenannte Nachrüstung? Auseinandersetzungen mit dieser Motivationskraft sind kaum mehr vorhanden. Vor allen Dingen hat es den Anschein, als ob es an erheblichen Politikalternativen derzeit fehlt. Eine andere politische Mehrheit kann schwerlich versprechen, Grundstürzendes zu ändern. Weder droht der Untergang des Abendlandes, noch kann ernsthaft der Anbruch des goldenen Zeitalters versprochen werden. Angesichts dessen verwundert eine Zurückhaltung im politischen Engagement nicht sehr. Nicht zuletzt darf auch gefragt werden, ob die bisherigen Formen der Parteiarbeit, mit einem deutlichen Schwerpunkt in den lokalen Basiseinheiten, besonders viele Anreize zur Mitarbeit geben.7 Anspruchsvollere po- 7 12 Zum Beteiligungsgrad bei den unterschiedlichen Aktivitätsformen vgl. T. Spier, Wie aktiv sind die Mitglieder der Parteien?, in: T. Spier/M. Klein/U. von Alemann/H. Hoffmann/A. Laux/A. Nonnenmacher/K. Rohrbach (Hrsg.), Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden 2011, S. 97-119, hier: S. 108ff. http://www.nomos-shop.de/21615 litische Arbeit setzt doch eine thematische Einschränkung und fachliche Spezialisierung voraus. Aber auch ganz unabhängig von den Parteien und der Politik sind wichtige Gründe dafür namhaft zu machen, dass die Bereitschaft, sich in einer Partei zu organisieren, deutlich nachgelassen hat. In den letzten Jahrzehnten haben verschiedene gesellschaftliche Veränderungsprozesse stattgefunden, welche die klassische dauerhafte, gar lebenslängliche Mitgliedschaft und Mitarbeit in einer Organisation weniger attraktiv machen. Die Vielzahl der Möglichkeiten, sich zu interessieren und zu engagieren, stellt eine bedeutende Konkurrenz zur Parteitätigkeit dar, die oft auch attraktivere und auch schnellere Gratifikationen bietet. Ein Wandel im Persönlichkeitstypus oder auch ein Wertewandel8 mag hinzukommen, der langfristige Bindungen eher unwahrscheinlich werden lässt. Der Freizeitsektor dominiert sehr viel stärker, ernsthafte Betätigungen haben, wenn nicht typischerweise, so doch häufiger einen geringeren Erlebniswert oder geringeren Spaßfaktor als Aktivitäten eben im Freizeitbereich. Zufolge dessen haben nicht nur die Parteien, sondern auch andere traditionelle Großorganisationen erhebliche Probleme mit ihrer Mitgliedschaft, das gilt für Kirchen, Gewerkschaften und auch Sportvereine.9 Während man früher mit fünf Jahren beim Kinderturnen angefangen hat, mit 17 allmählich in den Leistungssport hineinwuchs, dann später zu den Altersturnern ging und mit 75 immer noch das deutsche Turnfest besuchte, um dort die goldene Ehrennadel mit Brillanten für die 60- oder 70jährige Mitgliedschaft entgegen zu nehmen, frönt man heute der in diesem Sommer gerade aktuellen Trendsportart und sucht generell eher das Sportstudio auf, als die verbindliche Mitgliedschaft in einem Verein. Wir dürfen also nicht den Fehler begehen, unsere Thematik zu eng zuzuschneiden. Um das Erfahrungsfeld über Deutschland hinaus auszuweiten, sollen uns einige Vorträge die anderorts gemachten Erfahrungen näher bringen. Ich selbst darf kurz über die rechtlichen Bedingungen der Parteimitgliedschaften in den anderen EU-Staaten referieren, Paul Whiteley stellt uns die Parteimitgliedschaft in Großbritannien vor, Karina Kosiara-Pedersen informiert uns über die Parteimitgliedschaft in Skandinavien und Luciano Bardi berichtet über die italienischen Verhältnisse. 8 9 Vgl. R. Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles Among Western Publics, Princeton 1977; R. J. Dalton, Cognitive Mobilization and Partisan Dealignment in Advanced Industrial Democracies, in: Journal of Politics, Bd. 46 (1984), H. 1, S. 264-284. Vgl. dazu W. Streeck, Vielfalt und Interdependenz. Überlegungen zur Rolle von intermediären Organisationen in sich ändernden Umwelten, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 39 (1987), H. 3, S. 471-495. 13