Das Streben nach Jugendlichkeit in einer alternden

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Die Autorin:
Dr. Julia Maria Derra, geb. 1981, Studium der Soziologie, Psychologie und Pädagogik in
Trier. Promotion im Bereich Konsum- und Kommunikationsforschung an der Universität
Trier. Forschungsschwerpunkte: Medien-/Werbe-, Geschlechter-, Körper-, Alters- und
Sozialisationsforschung.
Derra
Der demographische Wandel macht sich bemerkbar: Viele Menschen sind mittlerweile
ganz schön alt. Ob es allerdings möglich ist, auch schön (= in Schönheit) alt zu werden,
muss in Anbetracht von jugendlichem Schönheitsideal, Anti-Aging-Boom und chirur­
gischen Rundumerneuerungen angezweifelt werden. Die Autorin legt hierzu eine Inhaltsanalyse verknüpft mit einer Befragung von 3830 Teilnehmern vor. Basis der Analysen
bildet die Annahme, dass Körperbilder Schlüsselstellungen für Vorstellungen über Alter(n),
­Einstellungen zum Alter(n) sowie Identitätsbildungen im Alter innehaben. Im Vordergrund
steht die Frage, inwiefern ist die Entwicklung einer – in doppeldeutiger Hinsicht – ­schönen
alten Gesellschaft möglich?
Das Streben nach Jugendlichkeit in einer alternden Gesellschaft
Julia Maria Derra
Das Streben nach Jugendlichkeit
in einer alternden Gesellschaft
Eine Analyse altersbedingter Körperveränderungen
in Medien und Gesellschaft
ISBN 978-3-8329-7276-9
BUC_Derra_7276-9.indd 1
16.05.12 08:25
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Julia Maria Derra
Das Streben nach Jugendlichkeit
in einer alternden Gesellschaft
Eine Analyse altersbedingter Körperveränderungen
in Medien und Gesellschaft
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© Titelbild: istockphoto.com
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Universität Trier 2011
ISBN 978-3-8329-7276-9
1. Auflage 2012
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und
der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
5
Abbildungsverzeichnis
13
Tabellenverzeichnis
17
Abkürzungsverzeichnis
21
Einleitung und Forschungsansatz
23
1 Die alternde Gesellschaft
33
1.1
1.2
1.3
Demographischer Umriss: Von der Alterspyramide zum
Alterspilz
Kennzeichen und Herausforderungen der älter werdenden
Gesellschaft
Eine Gesellschaft für alte und mit alten Menschen
2 Alter und Altern – eine Annäherung an zwei Begriffe
2.1
2.2
2.3
Die Interdisziplinarität des Altersbegriffs
2.1.1 Biologisches Alter
2.1.2 Soziales Alter
2.1.3 Psychologisches Alter
2.1.4 Funktionales Alter
Alter(n)stheorie und Alter(n)smodelle
2.2.1 Altern als Abbau und Rückzug
2.2.2 Altern als lebenslange Entwicklungsphase
2.2.3 Das Zugeständnis eines erfolgreichen Alterns
2.2.3.1 Modell der Optimierung durch Selektion und
Kompensation
2.2.3.2 Gewinne und Verluste der Lebensphase Alter
Alter(n) als differenzielle und individuelle Lebensphase
33
36
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3 Alter(n) im Spiegel der Gesellschaft
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
Die soziale Konstruiertheit des Alters
Alter(n)sbilder als Selbst- und Meinungsbildner
Bilder vom Alter(n): gestern bis heute
Aktuelle Alter(n)sbilder
3.4.1 Vom uniformen Bild des alten Menschen zu
ausdifferenzierten Alterstypen
3.4.2 Junge Alte, alte Alte und Hochaltrige: Abgrenzung und
Charakterisierung
3.4.3 Das stereotypisierte Bild vom alten Menschen
3.4.4 Das ageistische Bild vom Alter
Die Etablierung emanzipierter Altersbilder – Hindernisse und
Erschwernisse
3.5.1 Wertekanon und Machtmittel
3.5.2 Alterung der Gesellschaft als unbekannte Größe
3.5.3 Endlichkeit und Todesnähe
Die jungen Alten. Ausblick auf ein annehmbares Altersbild?
Alter(n) zwischen Idealisierung und Stigmatisierung
Das Bild vom Alter(n) in den Köpfen der Menschen:
Studienergebnisse
4 Die Sicht- und Spürbarkeit des Alter(n)s
Exkurs: Natur-Kultur-Debatte des Körpers
4.1 Der Körper als spürbares Element im Alter
4.2 Die Rolle des Körpers in der Gesellschaft
4.2.1 Körper und Gesellschaft als Interaktionspartner
4.2.2 Körper als Zeichenträger und -produzent
4.2.3 Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Körperzeichen
4.3 Körper als Kapital
4.3.1 Selbst-Inszenierung und „embodied self“
4.3.2 Die Disziplinierung des Körpers
4.3.3 Ein guter Eindruck: Der optimale Einsatz des
Körperkapitals
4.3.3.1 Attraktivitätsstereotyp
4.3.3.2 Männliche und weibliche Idealkörper
4.4 Alter und Schönheit – ein Paradox?
4.4.1 Die alte Frau: „The double standard of aging“
8
55
56
58
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67
68
71
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4.4.2 Täuschung und Maskerade
4.4.3 Die Maskierung im Alter – „The Mask of ageing“
5 Anti-Ag(e)ing: Der Traum von ewiger Jugend
5.1
5.2
5.3
5.4
Die Sehnsucht nach ewiger Jugend – ein historischer Abriss
Das Streben nach Jugendlichkeit heute
Die Anti-Aging-Medizin
Die Gestaltung eines jugendlich-schönen Körpers
5.4.1 Faltenreduktion: Das Streben nach glatter, jugendlicher
Haut
5.4.2 Diätetik: Schlanke Körper als Jugendlichkeitsgaranten
5.4.3 Sport: Straffe Haut und fettfreie Körper
Exkurs: Fitness
5.4.4 Lifestyle-Medikamente: Verjüngungspillen und
Regenerationscocktails
5.4.5 Schönheitschirurgie: Die operative Verjüngung des
Körpers
5.5 Anti-Aging und Verschönerung in der Diskussion
6 Altern in medialisierten Gesellschaften
6.1
6.2
6.3
6.4
Medienbilder als visuelle Sinngeneratoren
Kennzeichen medialer Bildkommunikation
6.2.1 Oberflächenwahrnehmung
6.2.2 Wunschbilder
Eine kritische Sicht auf digital-ideale Werbebilder und ihre
Rezeption
6.3.1 Werbe‚figuren‘ als Orientierungs‚figuren‘
6.3.2 Divergenz zwischen beworbener und wirklicher
Körpermodellierbarkeit
6.3.3 Exklusive Körpernormen als Auslöser für ein gestörtes
Körpergefühl
6.3.4 Die Gefahr des weiblichen Existenzverlustes
6.3.5 Schönheit hat ihren Preis
6.3.6 Die neue Dimension der Entkörperlichung des Körpers
6.3.7 Durch Homogenisierung zur Diskriminierung
Alters- und Körperdarstellungen in der Werbung – ein
Forschungsüberblick
121
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6.5
6.4.1 Frauen und Männer in der Werbung
6.4.2 Ältere Menschen und Alter(n) in der Werbung
6.4.3 Die Körper älterer Protagonisten in der Werbung
Alter(n) in der Werbung – zwischen „Jugendprimat“ und „pro
Age“
6.5.1 Die Generation 50plus im Visier von Marketing und
Werbung
6.5.2 Ansprache und Ansprüche der Zielgruppe 50plus
6.5.3 Festhalten an jugendlicher Schönheit: Alterszeichen als
Stigmata
6.5.4 Die neue Inszenierungsart – Der Einsatz des natürlichen,
realen Alter(n)s
7 Alter und Jugendlichkeit in der Werbung – Ergebnisse einer
Inhaltsanalyse
7.1
7.2
7.3
7.4
7.5
Die methodische Konzeption der Inhaltsanalyse
Datengrundlage der Untersuchung
Codiersystem und Codierung
Die Ergebnisse der inhaltsanalytischen Untersuchung
7.4.1 Die Generation 50plus: Die Einbindung in das
Anzeigenbild
7.4.2 Werbekörper: Jung und schön, alt und grau?
7.4.3 Werbliche Körperprototypen nach Geschlecht und Alter
7.4.3.1 Prototypische Merkmale weiblicher
Werbeprotagonisten
7.4.3.2 Prototypische Merkmale männlicher
Werbeprotagonisten
7.4.4 Stellenwert und Inszenierung von Körperverschönerung
in der Werbung
7.4.5 „Enthüllen Sie die wahre Schönheit Ihrer Haut“ – Die
Schlagzeilen-Attribute
Alter(n) und Schönheit in der Werbung – Ergebnisse im
Überblick
8 Persönliches Alter(n) – Vorstellungen, Meinungen und
Empfindungen
8.1
8.2
10
Forschungshypothesen und Forschungsfragen
Konzeption der Befragung
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8.4
8.5
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8.8
8.9
8.2.1 Zielpopulation und Zugangswege
8.2.2 Der Fragebogen
Beschreibung der Befragtenpopulation
8.3.1 Angaben zur Nettostichprobe
8.3.2 Die Befragungsteilnehmer im Gesamtprofil
8.3.3 Das Befragtenprofil nach Zugangswegen
Alter(n)serleben und Alter(n)smeinung
8.4.1 „Ich bin so jung wie ich mich fühle“ – biologisches,
gefühltes und ideales Alter
8.4.2 Ab wann ist man alt? – Zuschreibung und Definition von
Alter und Alt-Sein
8.4.3 Vorstellungen und Einstellungen zum Älterwerden bzw.
Alt-Sein
8.4.4 Körperveränderungen im Alter: Betroffenheit,
Wahrnehmung und Bewertung
Körperbewusstsein und Körperbedeutung
8.5.1 Das Körperprofil der Befragten
8.5.2 Das Interesse an Körperthemen
8.5.3 Der Stellenwert des körperlich optimierten
Erscheinungsbildes
8.5.4 Die Verantwortlichkeit für Körpererscheinung und
Körperleistung
8.5.5 Das Schönheitshandeln der Befragten
8.5.6 Schönheitsoperationen: Ansichten von Insidern und
Outsidern
8.5.7 Gewichtsklasse und Körperempfinden
Körper-Selbst-Zufriedenheit als multifaktorielles Moment
8.6.1 Eine faktorenanalytische Untersuchung der Zufriedenheit
8.6.2 Zufriedenheiten und Unzufriedenheiten mit
Körpereinzelkomponenten
8.6.3 Körperzufriedenheit und Körperbedeutung
Körperbedeutsamkeit und Altersmeinung
Die Rezeption von Medien- und Werbekörpern
8.8.1 Ideengeber und Leitbilder
8.8.2 Das Mediennutzungsverhalten der Befragten
8.8.3 Wahrnehmung und Beurteilung altersspezifischer
Werbedarsteller
8.8.4 Rezeption der Generation 50plus
Zusammenfassung und Fazit der Befragung
253
257
260
260
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269
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9 Aussicht auf eine schöne alte Gesellschaft?
9.1
9.2
9.3
9.4
9.5
Altern als Risiko für Körperkapitalverlust
Die Akzeptanz des Alterns – Ansatzpunkte und Zielrichtung
Zwischen verjüngtem Altern und biologischem Abbauprozess
Altern im Angesicht altersabwehrender Werbekörper
Schönheit in einer alternden Gesellschaft – ein Ausblick
381
381
384
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387
390
10 Literaturverzeichnis
393
Anhang
421
12
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„Keine Kunst ist’s, alt zu werden; es ist Kunst, es zu ertragen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien I, 40-41
Einleitung und Forschungsansatz
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass besonders Frauen ihr Alter ab
einer gewissen Anzahl von Lebensjahren besser verschweigen und es unhöflich ist,
sie danach zu fragen. Vertraut sind ebenso die Denkweisen, dass die Heiratschancen ab dem 35. Geburtstag kontinuierlich sinken und Arbeitssuchenden mit 50 Jahren und älter keine große Perspektive auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt wird.
Ebenso haben Berufsanfänger1 mit Karriereambitionen die besten Aussichten,
wenn sie neben einem guten Hochschulabschluss, Auslandsaufenthalten und relevanten Praktika unter 30 Jahre alt sind. Bestimmte technische Neuerungen und
Trends bleiben zudem vorwiegend Jüngeren vorbehalten. Allerdings scheint es
gegenwärtig keine Altersgrenze dafür zu geben, um Kinder zu kriegen, sich scheiden zu lassen, in der „Junge Mode“-Abteilung einzukaufen, Clubs bzw. Discos zu
besuchen, sportliche Autos zu fahren oder neue Kontinente zu entdecken.
Mit dem Lebensalter verhält es sich zwiespältig. Es gibt Räume, aus denen Ältere stärker ausgeklammert werden. Zugleich lassen sich aber Bereiche identifizieren – und deren Anzahl scheint kontinuierlich anzusteigen –, in denen das Alter
keiner Beschränkung unterliegt. Galt es vor 30 Jahren noch als absolute Ausnahme,
mit 40 Jahren Mutter und mit 50 oder 60 Jahren Vater zu werden, kann dies heute
schon fast als gängige Gegebenheit bezeichnet werden.
Grund dafür ist eine demographische Umwälzung in Deutschland, die es so noch
nicht gegeben hat. Es gibt immer mehr ältere Menschen, die immer länger leben.
Die Lebenserwartung erreicht derzeit ein historisches Hoch: Sie lag im Jahr 2009
für männliche Neugeborene bei 77,4 Jahren, für weibliche Neugeborene bei
82,6 Jahren, so die aktuell veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes
(vgl. Statistisches Bundesamt 2010 a & 2010 b). Der Anteil der älteren Bevölkerung
– vor allem jenseits der 80 – nimmt im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen überproportional zu. Begleitend dazu breitet sich – unterstützt durch die gerontologische Forschung – eine neue Definition der Lebensphase Alter aus: Das Alter(n)
wird immer weniger als ein Prozess des Abbaus charakterisiert, den man nur beobachten oder lindern kann, sondern vielmehr als eine Lebensphase anerkannt, die
1 Wenn das natürliche Geschlecht einer Personengruppe irrelevant ist, wird auf eine Beidnennung wie an dieser Stelle „Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger“ zur besseren Lesbarkeit
verzichtet. In Fällen, in denen nur ein Geschlecht gemeint ist, werden die Bezeichnungen
entsprechend gekennzeichnet.
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große Entwicklungspotentiale beinhaltet. Alt-Sein heißt heute nicht mehr automatisch, gebrechlich zu sein.
Arbeitsmarkt, Renten- und Gesundheitssystem, Bildungs- und Weiterbildungsinstitutionen, Freizeitindustrie oder Städteplanungsbüros (Stichwort: Mehrgenerationenhäuser, Bau von Seniorenzentren, Betreutes Wohnen etc.) – viele Institutionen und Einrichtungen haben dies erkannt und bereiten sich auf die kommende
Entwicklung vor. Auch Marketing- und Vertriebsstrategien, Produktentwicklungen sowie der mediale Sektor nehmen verstärkt den älteren Kunden – häufig umschrieben als Best Ager oder Generation 50plus – als durchaus lukrative Zielgruppe
wahr: Hier werden altersgerechte Handys, Telefone und Computer bzw. Tastaturen
entwickelt und der Umgang mit diesen wird in speziellen Senioren-Handy-Workshops oder seniorengerechten PC-Kursen2 vermittelt. Einkaufswagen in Supermärkten werden mit Sitzen, Lupen und/oder integrierten fahrbaren Gehhilfen ausgestattet oder speziell für Rollstuhlfahrer konzipiert. In einigen Städten sind sogar
explizite Generationen(super)märkte3 geschaffen worden, in denen Trittstufen vor
Kühlmöbeln und hohen Regalen, Ruhezonen und breite Gänge mit rutschfesten
Böden zum entspannten und barrierefreien Einkaufen einladen.4
Diese neu entdeckte Zielgruppe wird auch in der Werbung augenfällig: Banken
und Versicherungen präsentieren genießende und zufriedene Ältere als Anziehungsmagnete, die bei der Altersvorsorge alles richtig gemacht haben. Der Spielekonsolenproduzent Nintendo wirbt bei seinem Modell DS gezielt mit Best Agern,
die beim „Gehirnjogging“ ihre Gehirnzellen auffrischen, um das Interesse älterer
Kunden zu forcieren. Auch der Kosmetiksektor bietet eine breite Palette an Produkten für reife Haut sowie graues und gelichtetes Haar. Mit einer ganz bewussten
Inszenierung von älteren Frauen begegnet die Kosmetiklinie DOVE in ihrer
Pro Age-Kampagne „Schönheit kennt kein Alter“ diesem bisherigen Defizit in der
Werbung.5
2 So bspw. gesehen bei der VHS Trier unter der Rubrik „EDV 50+“ oder bei der Netzwerkstatt
Trier e. V.; Informationen im Internet unter: http://netzwerkstatt-trier.org/content/angebote_kurse/senioren.php [Abruf: 06.09.2010].
3 Vorwiegend in Ost- und Süddeutschland, z. B. in Berlin, Chemnitz, Coburg, Erlangen, Nürnberg, Würzburg und Zwickau.
4 Vgl. dazu bspw. die Artikel „Einkaufen. Mit Lupe und Gemütlichkeit“ (vgl. N. N. 2009) oder
„Einkaufswagen mit Sitz und Lupe“ (van Lessen 2006) in „Der Tagesspiegel Berlin“.
5 Die Kosmetiklinie DOVE hat sich mit ihrer im Jahr 2007 gestarteten Kampagne „pro Age –
Schönheit kennt kein Alter“ zum Ziel gesetzt, die allgemeine Einstellung zum Thema ‚Frauen
und Älterwerden’ zu verändern bzw. die positiven Seiten hervorzuheben. Es handelt sich um
eine Fortführung ihrer ‚Initiative für wahre Schönheit’ (2005), da es auch hier darum geht, die
Vorstellung von aktuellen Schönheitsidealen und -normen zu erweitern. Als Darstellerinnen
setzt DOVE auf echte und normale Frauen ab 50 Jahren, die sich in ihrer Haut wohlfühlen.
Informationen im Internet unter: http://www.dove.de/de_de/de_de/flash_content.html [Abruf:
06.04.2010].
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Altersstereotype Vorurteile wie Langsamkeit, körperliche und geistige Einbußen, Sturheit, Desinteresse oder Passivität (vgl. dazu Filipp & Mayer 1999 & 2005)
hatten lange Zeit Bestand, können aber keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr für
sich beanspruchen. Gerade die so genannten ‚jungen Alten‘ – in der Regel die
Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen – erscheinen jugendlich, aktiv, vital, interessiert und voller Tatendrang und grenzen sich von der Gruppe der ‚alten Alten‘ und/
oder der Hochaltrigen innerlich wie äußerlich ab. Eine Befragung von Schülerinnen
und Schülern und deren Eltern im Spätsommer 2007 in Trier6 bestätigt dies (vgl.
Jäckel, Derra, Eck 2009): Die Begriffe ‚Jugendlichkeit‘ und ‚Älterwerden‘ werden
von den Befragten beider Generationen zwar tatsächlich als Gegenpole empfunden;
‚Jugendlichkeit‘ wird dabei jedoch nicht grundsätzlich positiv und ‚Älterwerden‘
nicht immer negativ bewertet.
Schirrmachers „Methusalem-Komplott“ wie auch Seidls Satire „Schöne junge
Welt“ zeigen auf populärwissenschaftlicher Ebene jedoch mögliche Konsequenzen
der älteren Gesellschaft auf, welche die Vorstellung von einem schönen alten Leben
untergraben. Auch die Werke von Robert Butler (1969), Jean Amèry (1968), Betty Friedan (1997) oder Simone de Beauvoir (1970), die den Gedanken einer altersfeindlichen (ageistischen) Gesellschaft auslegen, geben auf wissenschaftstheoretischer Ebene Einblick in die andere Seite des Altwerdens. Buchtitel und Ratgeber wie „STOP – Die Umkehrung des Alterungsprozesses. Die Uhr anhalten und
wieder zurückdrehen“7, „10 Jahre jünger. 10 Jahre schöner“8, „Generation Plus.
Von der Lüge, dass Altwerden Spaß macht“9 oder „Der Weg zurück in die Jugend.
Kein Wunschtraum, sondern wissenschaftliche Erkenntnis“10 offerieren dagegen
die praktische Anleitung zum Aufhalten des Älterwerdens für jeden. Der Ausblick
auf ein langes Leben scheint demnach gegenwärtig vor allem unter einer Voraussetzung attraktiv: Man bleibt möglichst lange jung.
6 Die Befragung erfolgte im Zuge des Projektes „Männlich und Weiblich im Spiegel der Werbung“ an der Universität Trier unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Jäckel. Basis der
Ergebnisse sind 266 Fragebögen, 51,5 % wurden von Schüler/innen Trierer Schulen
und 48,5 % von dazugehörigen Elternteilen ausgefüllt.
7 Campobasso, Andreas (2006): STOP – Die Umkehrung des Alterungsprozesses. Die Uhr
anhalten und wieder zurückdrehen. 2. Auflage. Norderstedt: Books on Demand.
8 Jacobs, Linda (2004): 10 Jahre jünger. 10 Jahre schöner. Anti Aging. Beauty. Dynamik.
Hannover: Humboldt Ratgeber Verlag.
9 Geissler, Christa; Held, Monika (2003): Generation Plus. Von der Lüge, dass Altwerden Spaß
macht. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf.
10 Whang, Sang (2006): Der Weg zurück in die Jugend. Kein Wunschtraum, sondern wissenschaftliche Erkenntnis. 3. Auflage. Norderstedt: Books on Demand.
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Verantwortlich dafür ist das gesellschaftlich sozial konstruierte Bild vom Alter(n), das häufig negativ getönt ist. Während das Ag(e)ing11 auf der einen Seite
erkannt und weitgehend akzeptiert zu sein scheint, wird auf der anderen Seite immer stärker das Anti-Aging proklamiert. Damit verstärkt sich jedoch die Vorstellung vom Altern als Laster des Lebens: „[D]er Prozess des Alterns wird als Anomalie empfunden, die nicht nur einen ästhetischen und körperlichen Verstoß signalisiert, sondern eine Art Infektion, eine ansteckende Krankheit, deren Berührung man meidet“, wie Schirrmacher (2004: 80; vgl. übereinstimmend dazu auch
Friedan 1997: 54, 68) scharf kritisiert.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass sich unsere Gesellschaft in
vielen Zeiten schwer damit getan hat, dem Alter(n) und dem alten Menschen allzu
viel Gutes abzugewinnen. Die Ursache scheint vor allem darin zu liegen, dass das
Alter in der Regel der Jugend gegenübergestellt wird und Jugendlichkeit – gleichgesetzt mit Schönheit12, Erfolg, Sympathie und Gesundheit – als erstrebenswertes
Ideal angesehen wird. So betont bereits Goethe im Einleitungszitat, dass dem Erleben des Altwerdens Entbehrungen innewohnen, die vor allem Langmut und
Nachsicht erfordern.
Während das Aufhalten des Alter(n)s und das ‚Jung-Aussehen‘ zu vielen Zeiten
mal mehr für Frauen, mal mehr für Männer als begehrenswertes Ideal angesehen
und unterschiedlichen Mitteln – z. B. Jungbrunnen, Rinder-Embryonenzellen,
Heilpflanzen oder Schlangenfleisch – die Kraft der Verjüngung unterstellt wurde
(vgl. Trueb 2006), scheint die ewige Jugend in Zeiten von Botox13-Partys, chirurgischen Rundum-Erneuerungen, Hormoncocktails in Altersoasen wie
11 Es werden grundsätzlich die beiden Schreibweisen „ageing“ und „aging“ akzeptiert. Im Folgenden wird die Schreibweise ohne „e“ favorisiert. Bei direkten Zitaten wird die im Original
verwendete Schreibweise verwendet. Da zudem die Ageismus-These nach Butler immer mit
„e“ geschrieben wird, wird dies bei dieser Form wie auch bei dem Adjektiv „ageistisch“
beibehalten.
12 Die Begriffe ‚Schönheit’ und ‚Attraktivität’ werden innerhalb dieser Arbeit synonym verwendet und damit nicht – trotz der Forderung einiger Wissenschaftler wie Westerbarkey 2002
und von Gottberg 2004 – unterschieden. Diese Entscheidung wurde auf Grundlage der hier
verwendeten Bedeutung getroffen: Beide Begriffe werden auf das äußere Erscheinungsbild
bezogen und beinhalten Schönheitsideale, also Merkmale, die als attraktiv angesehen werden.
Ebenso synonym wird die Bezeichnung ‚gutaussehend’ verwendet, worunter hier ebenfalls
Merkmale verstanden werden, die den aktuellen Schönheitsidealen entsprechen. Der Fokus
dieser Arbeit liegt auf dem Körper und seinen Merkmalen. Physische Attraktivität und
Schönheit werden somit auf die Dimension des Körperlichen und folglich auf das äußerliche
Erscheinungsbild bezogen. Die Diskussion weiterer attraktivitäts- und damit sympathie-erhöhender Komponenten wie Selbstdarstellungskompetenz, Charme, Gemeinsamkeiten, Bewunderung o. Ä. ist nicht vorgesehen.
13 Botox ist die Abkürzung für das Nervengift Botulinumtoxin. Eine Injektion mit diesem Stoff
lässt Muskeln erschlaffen und erzielt damit eine Glättung bzw. Verjüngung der Haut (vgl.
Kasten 2006: 91).
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Palm Springs/USA14, regenerativer Kosmetik, exzessivem Sporttreiben und obsessiver Diäten gegenwärtig kein unerreichbarer Traum mehr zu sein. Den entscheidenden Unterschied zwischen gestern und heute stellt die Individualisierung
und Pluralisierung der Techniken der invasiven Selbstgestaltung, verbunden mit
der biotechnischen Revolution, dar, nach denen das Jugendlichkeitsideal dank Entschlüsselung biochemischer Verbindungen, genetischer Codes und kosmetischer
Chirurgie zum ersten Mal greifbar erscheint (vgl. Penz 1995; Tschirge & Grüber-Hrcán 1999: 92 f.; Schulz 2002 b; Bublitz 2006: 358; Herrmann 2006: 71; Rosenmayr 2007: 13-17; Smaxwil 2007: 153).
Wurde eine Gesellschaft bisher dadurch ‚verjüngt‘, dass eine neue Generation
geboren wird, sich also aus neuer Lebenssubstanz etwas Neues entwickelt und neu
präformierende Erwartungen entstehen, wie Karl Mannheim (vgl. 1964/1970: 535)
es darlegt, scheint es gegenwärtig möglich, in einer Gesellschaft, in der nicht mehr
genügend junge Menschen heranwachsen, eine Verjüngung durch das ‚Jung-Machen‘ bzw. ‚Jung-Halten‘ – im Sinne eines Konservierens der Jugend – der bereits
vorhandenen Gesellschaftsmitglieder zu erzielen. Hinzu kommt, dass das Körpersujet durch den Ausblick auf ein langes, gesundes Leben und den Aufstieg der
Konsumkultur eine Erweiterung erfahren hat. Verstärkt wird dies durch die Ausdehnung der freien Zeit bzw. Ausweitung des Freizeitbereiches, der Betonung von
Erholung durch die Reduzierung der Arbeitszeit, dem vorgeschriebenem Ruhestand sowie dem Rückgang körperlicher Arbeit im Zuge der Entstehung einer postindustriellen Gesellschaft (vgl. Frank 1991: 39; Turner 1991 a: 19; Shilling
1993/2003: 14, 20-35; Shilling 2005: 2-6, 45 f.; Hahn & Meuser 2002: 12 f.; Gugutzer 2004: 33ff.).
‚Alt aussehen‘ möchte niemand – und offenbar wird die in ihrem Ursprung bedeutende umgangssprachliche Redensart ‚keine schwache Leistung zu zeigen‘
bzw. ‚nicht in eine Lage zu geraten, in der es scheinbar keinen Ausweg gibt‘, nun
allzu wörtlich genommen. Prominente machen es vor: Brigitte Nielsen lässt sich
vor laufender Kamera rundum erneuern (2008), um wieder ‚jung und schön‘ zu
sein, Madonna plante Gleiches ohne Kamera zu ihrem 52. Geburtstag. Cher,
Cliff Richard, Melanie Griffith oder auch der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi sind dafür bekannt, dass sie sich mit Botox behandeln, ihre Ge-
14 Altersoase Palm Springs: etwa 7000 ‚Patienten’ in den USA, schätzungsweise 20.000 weltweit, regelmäßiges Spritzen eines Hormoncocktail aus Wachstumshormonen, Botenstoffen,
Östrogen, Progesteron, Pregnenolon, Melatonin, Thyroiden, um dem Absinken des HormonPegels im Alter entgegenzuwirken. Anwendung sehr umstritten, noch keine klinischen Befunde, die endgültig und akzeptabel den Nutzen des Wachstumshormons beweisen, Krebsrisiko vorhanden, Gefahr übermäßigen Wachsens von Ohren, Kiefer, Händen oder Füßen
(vgl. dazu Hoppe 2006: 114).
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sichtkonturen straffen und glätten lassen, um Alterserscheinungen zu eliminieren.15 Von weiteren Prominenten und öffentlichen Personen ist es ebenfalls bekannt, von vielen anderen wird es vermutet, sie geben es aber nicht öffentlich
preis.16
Für einzelne ‚Normalverbraucher‘ zeigen Fernsehshows wie „The Swan – Endlich schön!“ (Pro7, 2004), „Schönheit um jeden Preis – letzte Hoffnung Skalpell“
(RTL II, 2004) oder immer wieder auch „Extrem schön – Endlich ein neues Leben“
(RTL II, 2009 & 2010) die Transformation des Selbst von Frauen und Männern,
die als körperlich benachteiligt präsentiert werden, mittels eines vollständig überarbeiteten und optimierten Körpers. Für die Masse bietet besonders die Konsumund Werbewelt eine Vielzahl an Verjüngungsmitteln zum Reduzieren, Vermeiden,
Aufhalten und Ausgleichen körperlicher Alterserscheinungen und zur (Wieder-)Erlangung des jugendlichen Schönheitsideals. Hier finden sich auf jedes Lebensalter und jede Lebenssituation zugeschnittene Produkte. Die Aufforderungen
sind trotz ausdifferenzierter Branche gleich: Falten sollen aufgefüllt, Altersflecken
aufgehellt, Haut erneuert, Bindegewebe gestrafft, graue Haare verdeckt, Haarwachstum angeregt bzw. Haare transplantiert und Übergewicht im Alter vermieden
werden. Die Werbung verkauft somit über alle Lebensphasen hinweg Jugend und
Jugendlichkeit als einzig erstrebenswertes Ideal, das soziale Anerkennung verheißt
(vgl. Kochhan & Jäckel 2000; Jäckel, Kochhan & Rieck 2002: 676).
Dem durchweg positiv wahrgenommenen Gewinn von Zeit und Möglichkeiten,
die die verlängerte aktive Lebensphase mit sich bringt, stehen die negativ konnotierten körperlichen Alterserscheinungen gegenüber. Es entsteht der Eindruck, dass
Altern und die Verlängerung dieser Lebensphase zwar erlebt, genutzt und gefeiert
werden darf, das Alter an sich im äußerlichen Erscheinungsbild (vor allem beim
weiblichen Geschlecht) aber nicht erkennbar sein soll bzw. sein darf.
Der Körper fungiert – wie es speziell von soziologischen Klassikern hervorgehoben wird – als Zeichenträger im Sinne eines Verständigungsmediums (vgl. Goffman 1983/2001, 1959/2006) und als symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu
1979/1982). Beeinflusst werden das Körpererleben und Körperbild von seinem
15 Diese Vorkommnisse rufen aber auch Gegner hervor. So beschwert sich Kirstie Alley öffentlich über diesen Jugend- und Schlankheitswahn in der Fernsehserie „Fat Actress“: „Wer
arbeiten will, hängt häufig an der Botox-Nadel. Und das nicht erst mit 40 oder 50, sondern
inzwischen schon ab Mitte 20“. Gleichzeitig wird jedoch thematisiert, dass zu viel Botox und
Facelifts auch zu viel Künstlichkeit bewirken, da hiermit auch der Ausdruck von Mimik und
Emotionen gelähmt wird. Schauspieler können sich auf diese Weise somit selbst ins Abseits
katapultieren (vgl. dazu den Artikel von Weingarten 2005).
16 Prominente Beispiele mit Schönheitsoperationen: Pamela Anderson, Anouschka Renzi, Katie Price, Carla Bruni, Carlos Menem, Britney Spears, Al Pacino, Dustin Hoffman, Heather
Locklear, Liv Tyler, Michelle Pfeiffer, Halle Berry, Salma Hayek, Drew Barrymore, Sharon
Stone, Demi Moore, Carmen Electra, Alyssa Milano, Meg Ryan, Courtney Love, Chiara
Ohoven, Liz Hurley, Kylie Minogue, Mariah Carey, Elton John, Uwe Ochsenknecht, Cindy
Crawford.
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gesellschaftlichen Stellenwert und der Art seiner medialen Inszenierung: Folgt die
Wahrnehmung des Körpers nun einseitig dem bekannten Assoziationsschema:
„what is beautiful is good“ (Dion, Berscheid & Walster 1972; auch Bergler 2006:
122), kann das Wissen über den Idealkörper als Garant für Erfolg, Sozialkontakte,
Bildung, Karriere, Anerkennung und Status Probleme bereiten, wenn der eigene
Körper als ‚not beautiful‘ angesehen wird.
Kritisch wird es, weil der Körper mit Identität und Selbstbild verknüpft ist und
demnach die eigene Körperwahrnehmung sowie das (Körper)Selbstbild mitbestimmt (vgl. u. a. Mrazek & Rittner 1986: 67; Steins 2007: 94ff.). Ein verzerrtes
Körperselbstbild kann die Folge sein. Problematisch ist außerdem, dass jugendliche
Schönheit und Körperoberfläche zusehends „Warencharakter“ (Penz 1995: 40; vgl.
auch Gugutzer 2007) erhalten, die Werbewelt das körperliche Aufhalten des Alterns als für jedermann käuflich erwerbbar präsentiert und auf diese Weise ein
jugendliches Aussehen und „ideale Schönheit für jedermann erreichbar erscheinen“ (kursiv i. Org. Willems & Kautt 2000: 358). Damit wird eingeleitet: Wer nicht
zugreift, wird eben ‚alt aussehen‘; er ist dies dann aber selbst schuld und wird nicht
bemitleidet, wenn er erfolglos, ungeliebt und unglücklich bleibt. Ein jugendliches
Aussehen wird folglich nicht als natürliche Gegebenheit betrachtet, sondern als
eigenverantwortliche Angelegenheit, als „Verdienst der richtigen Haltung zum eigenen Körper“ (Koppetsch 2002: 374). Die Devise lautet ‚Nichts ist unmöglich‘.
Das Ziel soll es sein, alles daran zu setzen, möglichst nicht als ‚alt‘ charakterisiert
zu werden und vor allem nicht ‚alt auszusehen‘. Ewig jung und schön zu sein wird
zum einzig erstrebenswerten Ideal – für jedes Alter.
Der Knackpunkt ist, dass das Altern aber nach wie vor ein biologisch fundierter
Prozess ist, der nicht in allen Belangen gesteuert und kontrolliert werden kann. Es
gibt wissenschaftliche Nachweise für ein nachlassendes Zellwachstum, ein schwächer werdendes Immunsystem und eine erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen und
körperliche Störungen (vgl. u. a. Baltes & Baltes 1994; Danner & Schröder 1994;
Schachtschabel & Maksiuk 2006 oder Sieber 2006). Die altersbedingten Körperveränderungen lassen sich somit bisher eher auf der Oberfläche behandeln. Die
Erforschung genetischer Dispositionen zum Erhalt ewiger Jugend erfolgt jedoch
kontinuierlich. Ein Fall wie Brooke Greenberg, einem 16-jährigen Mädchen aus
Baltimore, dessen Körper und Geist auf dem Stand einer Vierjährigen geblieben
sind – das somit älter wird ohne zu altern (vgl. N. N. 2005; Schmitt 2009) – wird
als sensationell für Forschung und Entwicklung bezeichnet. Er könnte die Ärzte zu
weiteren, möglicherweise herausragenden Erkenntnissen auf diesem Gebiet führen.
Damit gerät die Frage in den Blick, ob es in einer Gesellschaft, die jugendliche
Schönheit als Maxime definiert, überhaupt möglich ist, alt und gebrechlich zu
werden, ohne bemitleidet, stigmatisiert oder als nachlässig und undiszipliniert be-
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trachtet zu werden. Das Bild des jungen, agilen Alten könnte somit als Schutz und
Bestand für das Leben in einer ‚Anti-Aging‘-Gesellschaft dienen, da nur durch und
über Jugendlichkeit Gewinne erzielt werden können und nur jugendliche Schönheit
den gesellschaftlichen Anforderungen standhält. Weiter interessiert, inwiefern in
dieser Gesellschaft ein negatives Bild vom Alter und der unsichere Umgang mit
dem Älterwerden durch die Stigmatisierung körperlicher Alterserscheinungen forciert und die Entwicklung einer positiven Vorstellung vom und Einstellung zum
Älterwerden erschwert – wenn nicht gar unmöglich – werden. Die Hauptfrage, die
sich hier stellt, lautet: Kann das Älterwerden akzeptiert werden, wenn die körperlichen Alterserscheinungen nicht angenommen werden?
Die vorliegende Arbeit nimmt das Altern in seiner phänotypischen Gestalt in
den Fokus. Das Ziel dieser Arbeit ist eine Verknüpfung der biologischen Altersdimension als sichtbare Körperveränderungen (z. B. Falten, graue Haare, Glatze,
gebeugte Haltung, Langsamkeit) mit der psychologischen (dem individuellen Erleben des alternden Körpers im Zusammenhang mit Körperselbstbild und Körperfremdbild) und der soziologischen Dimension des gesellschaftlichen Stellenwerts
vom Körper (Körper als Kapital und Interaktionsmedium) wie auch der damit verbundenen gesellschaftlichen Rollenerwartungen.
Auf der theoretischen Ebene gilt es mit Blick auf die demographischen Veränderungen zuerst zu klären, welchen Stellenwert die Altersgruppe 50plus aktuell
einnimmt und welche Merkmale und Eigenschaften mit dem Älterwerden verbunden sind. Im Anschluss daran werden die soziale Konstruiertheit des Alter(n)s und
damit verschiedene gesellschaftliche Alter(n)sbilder vorgestellt. Hierbei werden
die gegenwärtige Ausdifferenzierung in mehrere Generationen der Alten und die
widerstandsfähige negative Konnotation, die in einem negativ stereotypierten und
agistischen Altersbild zum Ausdruck kommt, näher betrachtet.
Danach wird der Blick auf den alternden Körper und damit auf die Körperoberfläche gelenkt. Im Vordergrund steht die gesellschaftliche Rolle des Körpers.
Durch den Diskurs um die Kapitaldienstfähigkeit von Körpern rückt die eigenverantwortliche Selbstinszenierung durch den eigenen Körper in das Blickfeld und
appelliert damit zugleich an die bewusste Gestaltung eines gesellschaftlich positiv
konnotierten – also jugendlichen – Körpers. Die höhere Bedeutsamkeit des guten
Aussehens für das weibliche Geschlecht wird unter Susan Sontags „double standard of aging“ dargelegt. Außerdem kann die Abwendung von einem alten Äußeren
eine Maskierung und Täuschung zur Folge haben. Hierzu werden Erving Goffmans
„Theater-Metapher“ (vgl. 1959/2006) und das Konzept der „Mask of ageing“ von
Mike Featherstone und Mike Hepworth hinzugezogen.
Besondere Relevanz erhalten diesbezüglich auch die Anti-Aging-Medizin und
ein „Schönheitshandeln“ (Degele 2004), das die Verjüngung des Körpers zum Ziel
hat, da es nach Degele beim Schönheitshandeln immer darum geht, „sich über das
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Aussehen und die äußere Erscheinungsweise sozial zu positionieren“ (Degele
2008 b: 169; vgl. auch Degele 2007: 27). Diesen Aspekten gebührt dementsprechend eine besondere Aufmerksamkeit.
Alters- und Körperansichten und folglich auch Darstellungen von und Einstellungen zu alten Körpern werden immer auch über Medien und Werbung transportiert. Diese erscheinen im Allgemeinen – mitbestimmt durch die bisherige Medienfokussierung auf die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen – vor allem jugendzentriert und altersdistanziert. Während in einigen Produktbereichen eine allmähliche
Einbindung von Älteren erfolgt, vermarktet speziell die körperfokussierende Werbung die immerwährende Jugendlichkeit. Dieser Sektor wird daher besonders beachtet.
Um den aktuellen Stellenwert des Älterwerdens und speziell des alternden Körpers im gesellschaftlichen wie medialen Umfeld aufzuzeigen, werden die Ergebnisse einer inhaltsanalytischen Untersuchung von 1861 Werbeanzeigen in ausgewählten Publikumszeitschriften und eine eigens durchgeführte Online-Befragung
vorgestellt. Der Rücklauf der Online-Befragung umfasst 3830 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 88 Jahren.
Gegenstand der Inhaltsanalyse ist es, darzulegen, wie die Werbung im Hinblick
auf die demographische Entwicklung und die Ausdifferenzierung des höheren Lebensalters Alter, Älterwerden und die Generation 50plus inszeniert und ob sich die
bekannte Stereotypisierung „jung und schön; alt und grau“ wiederfinden lässt. Mit
Blick auf bekannte Werbekampagnen, die scheinbar konträr zueinander stehen17,
wird der Blick speziell auf den alternden Körper und den Umgang mit körperlichen
Alterserscheinungen gerichtet. Außerdem wird analysiert, welche Rolle Schönheit
bzw. das Streben nach Schönheit generell in der Werbung spielt und inwiefern im
Hinblick auf das „schöne Geschlecht“ vor allem eine Gleichsetzung von weiblicher
Schönheit und Jugendlichkeit erfolgt.
Die Befragung hat das Ziel, die persönliche Einstellung zum und die Vorstellung
vom Alter(n) zu analysieren und damit auch Aufschluss über die Ansicht zu und
den Störungsgrad von körperlich bedingten Alterserscheinungen zu geben. Wichtig
ist hierfür auch die generelle Körperbedeutsamkeit und Körperzufriedenheit. Die
Analyse der Ergebnisse widmet sich somit den Fragen: Inwiefern besteht eine
Verbindung zwischen dem Bild vom Alter, der Einstellung zum Älterwerden und
17 Akzeptanz des Alters und Loslösung von einseitigen jugendlichen Schönheitsidealen wie
z. B. bei DOVE; dazu Nicole Ehlen, Senior Brand Managerin für die Marke DOVE in einem
Interview mit Marius Meyer in der Süddeutschen Zeitung (2007): „Wir möchten (…) das
vorherrschende Schönheitsideal – Maße von 90-60-90, makellose Haut, Jugendlichkeit –
erweitern (…).“ Im Gegensatz dazu Kampagnen, die Alter tabuisieren und jugendliche
Schönheit als einzig erstrebenswertes Ideal propagieren, z. B. frei Anti-Age: „Die Faltenblockade – damit machen sie ihr Alter zum Geheimnis“ oder L’Oreal Age-Perfect: „Anti-Erschlaffung und Anti-Altersflecken – weil Sie es sich wert sind“ etc.
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der Bewertung körperlicher Alterserscheinungen? Wirken sich die gesellschaftlichen Forderungen nach jugendlicher Schönheit, der Stellenwert des eigenen Körpers, ein ausgeprägtes Körperbewusstsein und die Bewertung des eigenen Aussehens auf die Selbstakzeptanz, die eigene Körperzufriedenheit sowie die Vorstellung
vom und die Einstellung zum Alter und Älterwerden aus? Kann das Bild vom Alter
durch das Bild vom alternden Körper definiert, beeinflusst und erklärt werden?
Zusätzlich wurden den Befragungsteilnehmern ausgewählte Werbeanzeigen,
darunter verschiedene Typen der Generation 50plus, zur Bewertung und Klassifizierung vorgelegt. Im Vordergrund stand hierbei, inwiefern Rezipienten Werbeprotagonisten einer speziellen Altersgruppe bevorzugen und wie besonders Protagonisten aus der Gruppe der ‚jungen Alten‘ von verschiedenen Altersgruppen aufgenommen und bewertet werden.
Am Ende der Arbeit erfolgt ein Ausblick auf mögliche Entwicklungsrichtungen:
Hierzu wird das Phänomen der digitalen Chirurgie, das gleichzeitig homogene,
standardisierte und unerreichbare Körper produziert, genauso diskutiert wie auch
die damit verbundene Entwicklung ent-natürlichter Körper, die durch die kosmetische Chirurgie am Mensch selbst praktiziert werden kann. Außerdem wird erörtert, wie es gelingen kann, im Angesicht jugendzentrierter Schönheit und altersabwehrender Maßnahmen körperlich alt zu werden und diese natürlichen Körperveränderungen zu akzeptieren. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden: Wo gibt es
weiterhin Barrieren, wie lassen sich diese möglicherweise umgehen und welcher
Impulse bedarf es für ein neues, ausgeglichenes, realistisches Bild vom Alter(n)?
Betty Friedan (1997: 775) fragt zu Recht: „Warum das Alter nicht als Teil der
Natur akzeptieren und herausfinden, wie es wirklich ist, statt dauernd daran herumzupfuschen?“ Dies erfordert jedoch bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen, die bisher in dieser Form nicht gewährleistet sind. Für die Zukunft soll in
diesem Zusammenhang jedoch überlegt werden: Kann es im Zuge der demographischen Veränderungen zu einer Revidierung des Schönheitsideals kommen und
ist die Entwicklung einer schönen alten Gesellschaft trotz des bislang sehr resistenten Bildes von der Unvollkommenheit des Alt-Aussehens tatsächlich möglich?
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