Die wichtigsten Agenda des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet werden, sondern jene Funktionen, die über den Wirkungskreis des Individuums hinausgehen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft. John Maynard Keynes (1926), S. 35 5. DER KEYNESIANISCHE STAAT ALS MARKTTEILNEHMER 196 Der keynesianische Staat Ähnlich wie der Strukturalismus und Liberalismus hat auch der Keynesianismus mehrere Strömungen aufzuweisen, wobei diese sich durch ihre jeweilige Interpretation der Schriften Keynes’ unterscheiden. Die hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrades bedeutendste, aber gleichzeitig innerhalb des Keynesianismus umstrittenste Strömung wird dabei vom auf Hicks beruhenden Postkeynesianismus in der Lehrbuchfassung des IS-LM-Modells bzw. der neoklassischen Synthese sowie des Mundell-Fleming-Modells eingenommen. Durch die Konzentration auf den Gütermarkt und die überwiegende Abstraktion von Vermögensmarktaspekten zeichnet sich der Postkeynesianismus durch eine Dominanz von Mengeneffekten sowohl in der Analyse als auch in seinen wirtschaftspolitischen Empfehlungen aus, die sich in einer Tendenz zu einer relativ expansiv gehaltenen Fiskal-, mitunter auch Geldpolitik sowie des direkten Einsatzes des Wechselkurses zur Steigerung von gesamtwirtschaftlichen Einkommen und Beschäftigung widerspiegelt. Dem steht ein die monetären Aspekte betonende Keynes-Interpretation gegenüber, welche die Aktivitäten der Wirtschaftsakteure auf den Vermögensmärkten sowie die damit einhergehenden Auswirkungen auf die anderen Märkte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt, was sich auch in einer Betonung oder gar Dominanz von Preiseffekten in der wirtschaftspolitischen Analyse und den wirtschaftspolitischen Empfehlungen für Zentralbank und Staat reflektiert. Entsprechend ist diese Strömung durch eine weitreichende Skepsis oder gar Ablehnung gegenüber einer expansiv angelegten Geld- und Fiskalpolitik bzw. des unmittelbaren Einsatzes des Wechselkurses als Instrument der Einkommens- und Beschäftigungspolitik charakterisiert. Keynesianisch inspirierte Autoren, die sich auch oder sogar vorwiegend der Analyse von Entwicklungsländern widmen, repräsentieren demgegenüber keinen eigenständigen Zweig innerhalb des Keynesianismus. Die in dieser Arbeit verwendete Interpretation basiert im wesentlichen auf Keynes selbst und dort vor allem auf der General Theory (1936) sowie auf Riese und bei ihm insbesondere auf der Theorie der Inflation (1986). Unter ökonomischer Entwicklung wird hier ein heimischer Einkommensbildungsprozeß bei gleichzeitiger Wahrung stabilitätspolitischer Anforderungen verstanden. Während die Einkommensbildung als Resultat eines kreditfinanzierten Investitionsprozesses gefaßt werden kann, bildet die makroökonomische Stabilität die entscheidende Restriktion der Einkommensbildung, da nur sie gewährleisten kann, daß die Einkommensbildung in der jeweiligen nationalen Währung vollzogen wird. Damit sind auch bereits die Kriterien zur Bewertung eines Entwicklungsprozesses in der keynesianischen Welt genannt: makroökonomische Stabilität und ein Anstieg der Der keynesianische Staat 197 Beschäftigung. Unter ersterem sind in Relation zu anderen Ökonomien geringe Inflations- und Abwertungsraten der heimischen Währung zu verstehen, während letzteres einen dynamischen Einkommensbildungsprozeß kennzeichnet. An diesen beiden Anforderungen an einen Entwicklungsprozeß orientiert sich der Aufbau dieses letzten Kapitels. Zunächst sollen die externen Restriktionen eines sich in heimischer Währung vollziehenden Einkommensbildungsprozesses diskutiert werden (5.1). Damit stehen diejenigen ökonomischen Akteure im Mittelpunkt der Analyse, die vor der Entscheidung über das Halten oder die Aufgabe von heimischer als Alternative zu einer Fremdwährung stehen und somit auf dem Devisenmarkt agieren. In einem zweiten Schritt wird eine Auseinandersetzung mit den internen Restriktionen des Einkommenbildungsprozesses geführt, die den Fokus auf die Entscheidung über die Durchführung oder Unterlassung einer Investition durch Unternehmen legt (5.2). Der traditionellen Einteilung der Analyse einer Ökonomie in eine geschlossene und offene Volkswirtschaft, wobei zunächst die geschlossene unter Ausschluß des Devisenmarktes und damit aller Devisenmarktaktivitäten betrachtet wird und sich daran erst die Integration dieser Devisenmarktaktivitäten anschließt, wird in der hier vorliegenden Arbeit nicht gefolgt. Statt dessen wird einer Differenzierung zwischen devisenmarktinduzierten einerseits und andererseits durch den heimischen kredit- und gütermarktinduzierten Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses den Vorzug gegeben, wobei auch letztere von der Annahme einer offenen Volkswirtschaft ausgehen. Während die Zahlungsmittelfunktion des Geldes die Diskussion um die internen Restriktionen dominiert, bestimmt die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes die Ausführungen um die externen Restriktionen des heimischen Einkommensbildungsprozesses. Die Annahme einer geschlossenen Volkswirtschaft dagegen beschränkte den Blickwinkel allein darauf, ob ein Einkommensbildungsprozeß überhaupt stattfindet, aber abstrahiert von der Frage in welcher Währung der Prozeß sich vollzieht, da sie definitionsgemäß das Halten einer anderen Währung ausschließt. Somit steht die Analyse einer geschlossenen Ökonomie zu den beiden hier gewählten Betrachtungen nicht in einem substitutiven, sondern komplementären Verhältnis, dem durch ein Verweis in dem Abschnitt, der sich mit den externen Restriktionen beschäftigt, Rechnung getragen wird. Die Wahl der Reihenfolge ist unter dem Aspekt der Relevanz der Restriktionen für einen Entwicklungsprozeß als willkürlich zu betrachten, da die Einhaltung beider Restriktionen notwendig, aber jede für sich genommen nicht hinreichend für Entwicklung ist, die Mißachtung einer der beiden Restriktionen jedoch zwingend in einer Verletzung der jeweils anderen Restriktion mündet. Die gewählte Reihenfolge ist der 198 Der keynesianische Staat Auffassung geschuldet, daß eine umfassende Ableitung der internen Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses die Berücksichtigung des Devisenmarktes erfordert und deshalb eine Diskussion der Devisemarktaktivitäten voraussetzt. Die methodischen Instrumente zur Erfassung der von den privaten Akteuren entfalteten Aktivitäten auf dem Devisen-, Kredit- und Gütermarkt bestehen in der Liquiditätsprämie, der Prämie für die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß sowie der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Damit ist bereits die Relevanz der Erwartungsbildung als wesentliche Entscheidungsdeterminante der privaten Marktakteure offengelegt, in der sich die objektive Unsicherheit der Zukunft und die subjektive Ungewißheit über alternative Zukunftsszenarien bündeln. Dabei ist die Unsicherheit und Ungewißheit von dem mit jeder ökonomischen Aktivität verbundenen Risiko deutlich abzugrenzen, da sich das Risiko in einem Zins- oder Renditeaufschlag für die Durchführung einer Aktivität niederschlägt, während Unsicherheit und Ungewißheit im Extremfall die Aktivität selbst unterbinden. Eine diesbezügliche analytische Auseinandersetzung findet sich deshalb in beiden Ausführungen über die Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses. Eine Diskussion von Preis- und Mengeneffekten sowie der Grenzen der Geld- und Fiskalpolitik begleitet ebenfalls beide Abschnitte: Erstere, da beide Effekte gleichzeitig als Ergebnis der wirtschaftlichen Transaktionen auftreten und somit als Rahmenbedingung in der staatlichen Wirtschaftspolitik Berücksichtigung finden müssen, wobei der Marktprozeß sich dadurch auszeichnet, daß ex ante Unsicherheit herrscht, welcher der beiden Effekte ex post überwiegen wird; und letztere, da die keynesianische Welt keine omnipotenten Makroakteure kennt und somit die Annäherung an eine entwicklungskonforme Wirtschaftspolitik die Grenzen der Steuerbarkeit ökonomischer Prozesse reflektieren muß. Auf der Grundlage der Funktionsbedingungen des Devisen-, Kredit- und Gütermarktes und der aus ihnen abgeleiteten Spielräumen für die Geld- und Fiskalpolitik soll der letzte Abschnitt der Diskussion alternativer Wechselkursregime und den Funktionen des keynesianischen Staates vorbehalten sein (5.3). Externe Restriktionen 199 5.1 Externe Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses Die eigenständige und von Gütern unabhängige Existenz einer Währung bedarf der Formulierung von Bedingungen, unten denen das Halten von diesem Geld und damit dem Verzicht auf das Halten anderer Währungen auf der Basis ökonomischer Kalküle begründet wird. Unabhängig von der Wahl des Protektionsniveaus ist deshalb eine durch die Emission einer heimischen Währung definierte Ökonomie immer eine offene Volkswirtschaft und impliziert einen Devisenmarkt, auf dem die Entscheidungen der Marktakteure über das Halten oder den Verzicht auf das Halten von Währungen in Angebot und Nachfrage an Fremdwährung zum Ausdruck kommen (5.1.1). Entwicklungsländer sind im Vergleich zu Industrieländern durch ein geringeres Vertrauen in ihre Währungen charakterisiert, das positive Preis- und negative Mengeneffekte verursacht (5.1.2). Die von den privaten Marktakteuren verursachten Differenzierungsprozesse zwischen den Ökonomien werden jedoch nicht nur durch die unterschiedlichen Qualitäten der Währungen induziert, sondern beinhalten darüber hinaus sich selbst verstärkende Elemente. Auf der Basis unterschiedlicher Devisenmarktkonstellationen werden Möglichkeiten analysiert, eine marktinduzierte Verringerung der heimischen Liquiditätsprämie durch die Wirtschaftspolitik zu konterkarieren, wobei besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik gelegt wird (5.1.3). 5.1.1 Offene Volkswirtschaft und Liquiditätsprämie Die Phase der ökonomischen Seinswerdung und damit der Herausbildung einer Ökonomie beginnt mit der Emission einer eigenen Währung. Nationen grenzen sich in ökonomischer Hinsicht von anderen Nationen durch ihre jeweiligen Währungen ab und internationale im Gegensatz zu rein binnenwirtschaftlichen Prozessen bedingen immer währungsüberschreitende Aktivitäten entweder des Handels mit Gütern und Dienstleistungen oder der Kapitalströme. Häufig ist die 200 Der keynesianische Staat ökonomische, politische und rechtliche Souveränität gleichzeitig gegeben und wird aufgrund der gemeinsamen Erscheinungsform kaum differenziert wahrgenommen. Historisch betrachtet jedoch ist es sowohl für Industrie- als auch Entwicklungsländer nicht ungewöhnlich, daß diese drei Bereiche nicht zeitgleich bzw. gleichmäßig entwickelt werden: Nach der zunächst erfolgten rechtlichen Unabhängigkeit beispielsweise der früheren kolonisierten Länder konstituierte erst die Ausgabe einer eigenen Währung ihre gegenüber den Kolonialländern eigenständige ökonomische Existenz. Ein ähnliches Vorgehen war bei den ehemaligen Sowjetrepubliken beobachtbar, die nach der Auflösung der UdSSR ihre wirtschaftliche Selbständigkeit erst allmählich durch die Emission einer eigenen Währung anzeigten. Aber auch die Aufgabe der ökonomischen, politischen und rechtlichen Souveränität verläuft historisch nicht immer gleichförmig: Während die DDR erst im Oktober 1990 rechtlich und politisch dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angegliedert wurde, beendete sie bereits im Juli mit der Übernahme der D-Mark als einzig offiziell anerkanntes Zahlungsmittel ihre ökonomische Existenz. Ähnliches gilt auch für die an der Euro-Zone beteiligten Staaten, die mit der endgültigen Fixierung der Wechselkurse 1999 und spätestens mit der Einführung des Euro 2001 in ökonomischer Hinsicht in nicht-selbständige europäische Bundesländer transformiert wurden, ohne daß dieser Veränderung zeitgleich von einem politisch äquivalenten Schritt in Form der Bildung einer europäischen Bundesregierung begleitet worden wäre. Sollen der Staat sowie seine Aktivitäten ökonomisch fundiert werden, so ist es analytisch betrachtet unerläßlich, immer eine Differenzierung zwischen den politischen, rechtlichen und ökonomischen Ebenen vorzunehmen, selbst wenn diese als gemeinsames Moment wahrgenommen oder gar in einem konkreten Einzelfall tatsächlich zeitgleich auftreten mögen. Während eine geschlossene Volkswirtschaft einen Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt, einen Gütermarkt sowie einen Arbeitsmarkt aufweist, bedingt eine gegenüber anderen Ökonomien offene Volkswirtschaft demnach einen zusätzlichen Markt, auf dem sich die erwähnten grenzüberschreitenden Aktivitäten entfalten bzw. diese abgewickelt werden können. Erst der Devisenmarkt erlaubt die Aufnahme und einen sukzessiven Aufbau von Beziehungen mit internationalem Charakter, da nur der sich auf diesem Markt bildende Preis eine wirtschaftliche Relation zwischen den jeweiligen ökonomischen Agenten, ihren Aktivitäten oder gar ganzen Ökonomien herstellen und sie zueinander ins Verhältnis setzen kann. Der Wechselkurs ist im keynesianischen Verständnis insofern kein aus einem exogen gegebenen Bestand an physischen Gütern abgeleitetes reales Austausch- Externe Restriktionen 201 verhältnis, sondern eine nominale Größe, welche die Aktivitäten erst zu bewerten, begründen und letztendlich zu bestimmen vermag. Wiewohl heimisches Geld durch die Zentralbank ›aus dem Nichts‹ geschaffen wird, entsteht sie selbst keineswegs aus dem Nichts, sondern wird per Dekret des Zentralstaates kreiert, der das von ihr bunt bedruckte Papier als einzigen legal tender anerkennt. Das Halten von Geld seitens der Wirtschaftssubjekte folgt dem Motiv der Sicherheit und der Verfügbarkeit, wofür Keynes den Begriff der Liquiditätsprämie verwendet. »Endlich mag die Verfügungsmacht über einen Vermögensbestand während eines Zeitabschnittes eine potentielle Annehmlichkeit oder Sicherheit bieten, die für verschiedene Arten von Vermögensbeständen ungleich ist, obschon die Vermögensbestände selber den gleichen Anfangswert haben. (...) Wir werden den Betrag (in Größen von sich selbst gemessen), den sie bereit sind, für die durch diese Verfügungsmacht gegebene potentielle Annehmlichkeit oder Sicherheit zu bezahlen (ausschließlich des Erträgnisses oder der Durchhaltekosten, die mit dem Vermögensbestand verbunden sind), die Liquiditätsprämie l nennen. (...) Es ist eine Eigenart des Geldes, daß sein Erträgnis Null ist und seine Durchhaltekosten unbeachtlich, aber seine Liquiditätsprämie beträchtlich.«1 Geld wird von Keynes somit als ein Vermögensbestand gefaßt, der im Vergleich zu anderen Vermögensbeständen wie beispielsweise Sachvermögen, keiner Unsicherheit über den Vermögenserhalt unterliegt und eine friktionslose Verfügung über das Vermögen gewährleistet, weshalb Geld eine höhere Liquiditätsprämie als andere Vermögensbestände aufweist. Die Aufgabe der Geldhaltung und damit der Verzicht über die Disposition des Vermögens bedingt dagegen ein ›Erträgnis‹ in Form einer pekuniären Ertragsrate, die im Rahmen einer geschlossenen Volkswirtschaft der nicht-pekuniären Liquiditätsprämie entsprechen muß. »Die Bereitschaft der Aufgabe von Liquidität stellt ein Angebot dar, Geld für einen bestimmten Zeitraum aufzugeben, um dafür eine Prämie, den Zins, zu erhalten. Dadurch aber wird das Halten von Geld zu einem Verzicht auf ein Geldangebot; es figuriert als (versteckte) Kategorie des Geldangebotes, nicht jedoch als Kategorie der Geldnachfrage.«2 Hervorzuheben ist umgekehrt, daß der Verzicht auf das Halten von Liquidität in einer geschlossenen Volkswirtschaft und damit unter Abstraktion des Devisenmarktes nur dann als ein Geldangebot interpretiert werden kann, wenn dieser Verzicht nominelle Forderungen und damit den Anspruch auf pekuniäre Ent- —————— 1 2 Keynes, J.M. (1974), Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin: Duncker und Humblot, 5. Auflage, S.189 (Hervorhebung im Original). Riese (1986), S.53. 202 Der keynesianische Staat schädigung begründet und mit ihm nicht eine Tilgung von Verbindlichkeiten einhergeht. Ein Anstieg der Liquiditätsprämie, der eine erhöhte Unsicherheit über den Vermögenserhalt bei Aufgabe der Geldhaltung reflektiert, mündet in einem konsekutiven Anstieg des Zinses, der die Geldnachfrage restringiert. Umgekehrt symbolisiert ein Sinken der Liquiditätsprämie eine (subjektive) Verringerung der Unsicherheit, die eine erhöhte Bereitschaft zur Aufgabe von Geld und damit zur Ausweitung des Geldangebotes signalisiert, was eine Reduzierung des Zinses und eine Erhöhung der Geldnachfrage erlaubt. Wenn vom Devisenmarkt abgesehen wird, begründet im keynesianischen Paradigma demnach die Liquiditätsprämie des Geldes nicht nur die endogene Bestimmung der Geldmenge, sondern ermöglicht auch die Ableitung eines Gleichgewichtszinssatzes, welcher mindestens der inländischen Liquiditätsprämie entsprechen muß.3 In einer offenen Volkswirtschaft können Wirtschaftssubjekte aber nicht nur darüber entscheiden, ob sie Geld halten oder ein Geldangebot offerieren, sondern auch welches Geld sie halten oder in welcher Währung sie ein Geldangebot offerieren wollen. Ökonomische Agenten weisen entsprechend ihren individuellen Bewertungen den auf dem Devisenmarkt gehandelten Währungen je nach ihrem Grad der Vermögenssicherung unterschiedliche Liquiditätsprämien zu. Dieser Aussage unterliegt die wenig restriktive Annahme, daß immer mindestens ein (ökonomisches) Selektionskriterium existiert, anhand dessen eine Differenzierung von Ökonomien vorgenommen werden kann und das eine Bewertungsgrundlage für die Bildung der Liquiditätsprämie liefert. Nur wenn alle Ökonomien hinsichtlich aller denkbarer (ökonomischer) Aspekte über alle Zeiten hinweg identisch sind und bleiben, können auch die Liquiditätsprämien aller Währungen identisch sein, und der im folgenden nachgezeichnete Prozeß muß ausbleiben.4 Das von den Wirtschaftssubjekten jeweils konkret zur Anwendung kommende Selektionskriterium kann meines Erachtens jedoch nur unzureichend theoretisch deduziert werden, da es historischen Veränderungen unterliegt und sich genau darin der Stellenwert und die Relevanz einer theoriefundierten empirischen Wirtschaftsforschung ausdrückt, die spezifische historische Konstellatio- —————— 3 4 Vgl. hierzu ausführlich Riese (1986), S.52-62. Da das keynesianische Paradigma keine endogene Bewegung von einer Ungleichgewichtskonstellation zu einem stabilen Gleichgewicht impliziert, ist der Hinweis, daß alle Ökonomien doch wenigstens zum Zeitpunkt des ökonomischen Urknalls identisch gewesen seien, nicht ausreichend weder für einen generellen Ausschluß von Krisenprozessen noch für das Beharren auf außerökonomischen Begründungen derselben, ohne daß an dieser Stelle die grundsätzliche Gültigkeit des Hinweises bestätigt oder zurückgewiesen werden könnte. Dies entzieht sich der Kenntnis der Autorin. Externe Restriktionen 203 nen und ihre Erscheinungsformen zu identifizieren vermag, ohne sie mit Wesen und Ursache der Prozesse zu verwechseln.5 In den unterschiedlichen Liquiditätsprämien drücken sich somit die Einschätzungen der Wirtschaftssubjekte über die unterschiedlichen Qualitäten der Währungen als Medium der internationalen Abgrenzung aus, die unabhängig von dem in einer bestimmten historischen Phase vorherrschenden uni- oder multilateralen Wechselkursregime bestehen. Da auf dem Devisenmarkt nicht nur eine Entscheidung über das Halten von Geld in unterschiedlichen Währungen, sondern auch über die Aufgabe von Liquidität zugunsten dem Aufbau nomineller Forderungen mit unterschiedlichen pekuniären Erträgnissen gefällt wird, erfordert ein Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt zwischen zwei Währungen, das sich in einer Stabilität des nominalen Wechselkurses ausdrückt, eine Identität der Summe aus Liquiditätsprämie plus Zinssatz der heimischen Währung mit der Summe aus Liquiditätsprämie plus Zinssatz der Fremdwährung.6 Nur wenn die Liquiditätsprämien identisch sind, treten keine Zinssatzdifferenzen zwischen dem In- und Ausland auf, andernfalls erzwingen voneinander differierende Liquiditätsprämien der Währungen Zinssatzdifferenzen zwischen den Ökonomien. Ist beispielsweise die Liquiditätsprämie der in- im Vergleich zur ausländischen Währung geringer, so muß der inländische den ausländischen Zinssatz um den Betrag der Liquiditätsprämiendifferenz übersteigen. 7 Umgekehrt kann sich in diesem Beispiel der ausländische gegenüber dem inländischen Zins nicht um die Liquiditätsprämiendifferenz anpassen, da eine solche Anpassung nach unten durch die Gleichgewichtsbedingung auf dem ausländischen Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt begrenzt wird, die mindestens eine Identität des Zinssatzes mit der Liquiditätsprämie in dieser Währung erfordert. Somit existiert immer ein —————— 5 6 7 Zur analytischen Ableitung der Konstitutionsproblematik einer Ökonomie sowie eine Diskussion am Beispiel Indiens siehe Schelkle, W. (1992), Konstitution und Erosion einer Geldwirtschaft: Entwicklungsprobleme Indiens seit der Unabhängigkeit, Berlin: Schriften des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Band 102, S.24-48 bzw. S.90ff. Oder anders ausgedrückt: Unter Abstraktion des Geschäftsbankensystems ergibt sich ein Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt, d.h. eine Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage bezogen auf die heimische Währung bzw. Nachfrage und Angebot bezogen auf Fremdwährung, bei gegebenem (nominalen) Wechselkurs mit der Liquiditätsprämie l bzw. dem Zinssatz i und den Indices für I als Inland bzw. A als Ausland sowie ZB für Zentralbank und VE für Vermögenseigentümer, wenn gilt: iZBI + lVEI = iZBA + lVEA. Vgl. auch Riese (1986), S.234. Wenn nicht ausdrücklich auf einen realen Zinssatz hingewiesen wird, handelt es sich hier und im folgenden immer um den um die Inflationsratendifferenz zwischen In- und Ausland bereinigten heimischen nominalen Zinssatz. Dem entspricht: iZBI = iZBA + (lVEA – lVEI), wobei (lVEA – lVEI) > 0. 204 Der keynesianische Staat Gefälle zwischen Währungen basierend auf den voneinander differierenden Geldqualitäten, das sich in einer Hierarchie von Währungen manifestiert, wobei die Währung mit der höchsten Liquiditätsprämie die Spitze der Hierarchie besetzt und darüber den jeweiligen nationalen und internationalen Vermögens-, Geld-, bzw. Kreditsmarkt steuert.8 Entwicklungsländer dagegen sind durch eine im internationalen Kontext relativ geringe Liquiditätsprämie charakterisiert, befinden sich am unteren Ende der Währungshierarchie und werden überwiegend durch den internationalen Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt gesteuert. 5.1.2 Preis- und Mengeneffekte Wirtschaftssubjekte in Entwicklungsländern, die Liquidität halten wollen und unbeschränkten Zugang zum Devisenmarkt haben, werden ihre Geldhaltung tendenziell in derjenigen Währung realisieren, welche die höchste Liquiditätsprämie aufweist. Im oben angenommen Fall entsprechend werden – von der Transaktionskasse abgesehen – diese inländischen Wirtschaftssubjekte wegen (lVEA > lVEI) Fremdwährung halten, womit sie ein Geldangebot an heimischer Währung auf dem Devisenmarkt konstituieren, jedoch ohne dafür wie in der geschlossenen Volkswirtschaft ein pekuniäres Erträgnis zu erlangen. Diejenigen Wirtschaftssubjekte wiederum, die bereit sind, Liquidität aufzugeben, können entweder Forderungen in heimischer Währung oder in Fremdwährung begründen, wobei unabhängig davon, in welcher Währung die Wirtschaftssubjekte entscheiden, Forderungen aufzubauen und damit zum Gläubiger zu werden, mit der Aufgabe heimischer Liquidität immer ein heimisches Geldangebot einhergeht. Solange die inländische geringere nicht-pekuniäre Ertragsrate nicht durch eine entsprechend höhere pekuniäre Ertragsrate kompensiert wird, erfolgt eine kumulative Portfolioumschichtung zugunsten dem Aufbau von Fremdwährungsforderungen. Der individuelle Verzicht über die Aufgabe von Geld in einer offenen Volkswirtschaft bedingt somit nicht notwendigerweise eine Konstanz oder gar Reduzierung des heimischen Geldangebotes und einer dadurch ausgelösten Zinssatzerhöhung wie in der geschlossenen Volkswirtschaft, sondern mündet aufgrund der Aufgabe von heimischer Liquidität durch einen Währungswechsel in einer durch die Wirtschaftssubjekte induzierten Erhöhung des heimischen —————— 8 Zu den unterschiedlichen Ebenen der Währungshierarchie vgl. Herr, H. (1992), Geld, Währungswettbewerb und Währungssysteme, Frankfurt/M.: Campus, S.132-139. Externe Restriktionen 205 Geldangebotes auf dem Devisenmarkt, was ceteris paribus einen Abwertungsverdacht und damit eine (weitere) Qualitätsminderung der heimischen Währung verursacht. Dies bedeutet, daß, abgesehen von den Wirtschaftssubjekten, die heimische Liquidität nicht aufgeben wollen, in einer Ökonomie, deren Währung eine geringere Liquiditätsprämie als die jeweilige Fremdwährung aufweist, sowohl bei dem Halten als auch dem Verzicht auf Liquidität tendenziell immer ein Angebot in heimischer Währung erfolgt. Der Devisenmarktgleichgewichtszinssatz iZBI ergibt sich somit für Ökonomien, die sich nicht an der Spitze der Währungshierarchie befinden, nicht automatisch aus dem Zusammenspiel der einzelwirtschaftlichen Akteure wie in einer geschlossenen Volkswirtschaft, sondern muß durch die inländische Zentralbank, will sie kumulative Prozesse begrenzen, am Markt durchgesetzt werden. 9 Während demnach seitens der Wirtschaftssubjekte, die über einen Geldvermögensbestand verfügen, in drei von vier Optionen immer eine Erhöhung des heimischen Geldangebotes erfolgt,10 wird nur mit einer von vier potentiellen Optionen, namentlich dem Verzicht auf Liquidität zugunsten dem Aufbau heimischer Forderungen, eine gegenüber dem dadurch offerierten Geldangebot höhere Geldnachfrage in heimischer Währung generiert. Ökonomien, denen durch die Wirtschaftssubjekte vergleichbar geringe Liquiditätsprämien zugewiesen werden, zeichnen sich somit durch ein kontinuierlich hohes Geldangebot aufgrund des Währungswechsels sowie dem Aufbau von nominellen Forderungen in heimischer und Fremdwährung aus. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb im Gegensatz zu der häufig bemängelten bad policy von Entwicklungsländern eine niedrige Liquiditätsprämie im Rahmen einer offenen Volkswirtschaft als ein eigenständiger und endogener Faktor für ein relativ hohes heimisches Geldange- —————— Für die Ökonomie an der Spitze der Währungshierarchie mit der weltweit höchsten Liquiditätsprämie ergibt sich dagegen das Devisenmarktgleichgewicht aus einer Übereinstimmung ihres Zinssatzes mit ihrer Liquiditätsprämie: lA = iA. 10 Die vier Optionen bestehen aus: Erstens das Halten von heimischer Liquidität und damit der Verzicht auf ein heimisches Geldangebot; zweitens die Aufgabe von heimischer zugunsten von Liquidität in Fremdwährung und damit die Ausweitung des heimischen Geldangebotes, ohne eine Geldnachfrage nach heimischer Währung zu generieren; drittens die Aufgabe heimischer Liquidität zugunsten des Aufbaus von Forderungen in heimischer Währung und damit eine Ausweitung des heimischen Geldangebotes und gleichzeitig die Generierung einer Geldnachfrage in heimischer Währung; und viertens die Aufgabe heimischer Liquidität zugunsten des Aufbaus von Forderungen in Fremdwährung, wodurch ein Geldangebot sowohl in heimischer als auch in Fremdwährung konstituiert wird, eine Erhöhung der Geldnachfrage jedoch nur in Fremdwährung erfolgt. 9 206 Der keynesianische Staat bot bewertet, dem lediglich eine unterproportionale Ausweitung der heimischen Geldnachfrage gegenübersteht. Inflationäre Tendenzen stellen dann zunächst und vor allem ein Resultat einer im internationalen Kontext niedrigeren Liquiditätsprämie dar, die gesamtwirtschaftlich betrachtet in stärkere positive Preisauftriebskräfte mündet, und werden nicht, wie gemeinhin üblich, (ausschließlich) auf eine easy money policy zurückgeführt. Das »Versagen« einer Zentralbank – so weit dieser Begriff in diesem Zusammenhang überhaupt verwendet werden sollte – beruht demnach nicht darauf, die Ökonomie zu leichtfertig mit zu viel Geld versorgt zu haben, sondern in ihrer Verweigerung, den heimischen Einkommensbildungsprozeß, der die Wirtschaftssubjekte erst mit Liquidität und somit der Entscheidungssouveränität über Halten oder Nichthalten dieser heimischen Liquidität ausstattet, so stark zu restringieren, daß die positiven Preisauftriebskräfte nicht in inflationäre Prozesse umschlagen können. Diejenigen Wirtschaftssubjekte in Entwicklungsländern jedoch, die Liquidität in Form von Kreditkontrakten nachfragen, werden, bei gegebenem Wechselkurs und so weit sie Zugang zum internationalen Kapitalmarkt haben, aufgrund der Zinssatzdifferenzen Verbindlichkeiten in Fremdwährung eingehen. 11 Ein Fremdwährungskredit stellt zum Zeitpunkt der Auszahlung einerseits ein Angebot an Fremdwährung dar, das aber andererseits aufgrund der damit verbundenen Zinszahlungen während seiner Laufzeit eine gegenüber dem Fremdwährungsangebot überproportionale Fremdwährungsnachfrage generiert, die am Devisenmarkt durch ein entsprechend hohes heimisches Geldangebot realisiert wird, so daß auch von diesen Wirtschaftssubjekten insgesamt eine steigende Tendenz zur Aufgabe heimischer Liquidität ausgeht. Nur diejenigen Wirtschaftssubjekte, denen der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt verwehrt ist, werden abgesehen von dem generellen Verzicht auf eine Kreditnachfrage, nominelle Verbindlichkeiten in heimischer Währung eingehen, wobei der höhere inländische Zinssatz ein im Vergleich zum Ausland geringeres Investitionsvolumen hervorruft und gesamtwirtschaftlich betrachtet in einer geringeren Dynamik des Einkommensbildungsprozesses mündet. 12 —————— 11 Wegen iZBI > iZBA = lVEA > lVEI. 12 Zur monetären Ableitung von Stagnationstendenzen in Entwicklungsländern vgl. Lüken- Klaßen, M., Betz, K. (1989), Weltmarkt und Abhängigkeit, in: Riese, H., Spahn, H.P. (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer Verlag, S.217-265, insbesondere S.241-259. Externe Restriktionen 207 5.1.3 Grenzen der Geld- und Fiskalpolitik Die stärkeren positiven Preisauftriebs- und negativen Mengeneffekte verdeutlichen gleichzeitig die Grenzen einer Geld- und Fiskalpolitik in Entwicklungsländern, was im folgenden an drei unterschiedlichen Devisenmarktkonstellationen deutlich gemacht werden soll: 5.1.3.1 Devisenmarktgleichgewicht: iZBI + lVEI = iZBA + lVEA. Ein hohes heimisches Zinssatzniveau kann die positiven Preisauftriebstendenzen nur durch eine Generierung negativer Mengeneffekte unterdrücken, die niedrige Liquiditätsprämie, die Ursache der Preisauftriebstendenzen darstellt, jedoch keineswegs zwingend regenerieren. Mittelbar schwächt ein höherer in- als ausländischer Zinssatz sogar die inländische Liquiditätsprämie, da höhere Zinsen ceteris paribus einerseits für potentielle heimische Schuldner einen höheren Anreiz darstellen, Verbindlichkeiten in Fremdwährung zu akkumulieren, und andererseits internationale Investoren induziert, Forderungen zur Ausnutzung des aus ihrer Sicht positiv bewerteten Zinssatzdifferentials in heimischer Währung einzugehen. Beide Formen des Kapitalimports stützen im Moment der Transaktion aufgrund der damit verbundenen inländischen Geldnachfrage die heimische Währung bzw. den Wechselkurs, schwächen sie jedoch im Verlauf der Rückzahlung durch den Transfer von Tilgung und Zins in Fremdwährung, was sich ceteris paribus aufgrund des dadurch verursachten Abwertungsverdachtes tendenziell in einer Reduzierung der heimischen Liquiditätsprämie widerspiegeln und möglicherweise eine zusätzliche kompensatorische Zinssatzerhöhung erfordern kann. Die hier skizzierte destabilisierende Wirkung von Nettokapitalimporten deutet bereits darauf hin, daß eine wirksame Geldpolitik in einer Ökonomie mit einer international relativ geringen Liquiditätsprämie, in der das Zinsinstrumentarium direkt zur Steuerung des Devisenmarktes eingesetzt werden soll, der Option des Einsatzes von Kapitalimportkontrollen, einschließlich einer Bardepotpflicht, bedarf. Mit Kapitalimportkontrollen können zwar die negativen inländischen Mengeneffekte der Geldpolitik nicht konterkariert, aber zumindest die negativen mittelbaren Konsequenzen auf Höhe und Fristigkeit der von inländischen Schuldnern gehaltenen Fremdwährungsverbindlichkeiten und damit auf die heimische Liquiditätsprämie abgemildert werden. Kapitalimportkontrollen sind sogenannten strategischen Kapitalexporten der Zentralbank in Form der 208 Der keynesianische Staat Devisenaufschatzung vorzuziehen. Letzteres stellt die Zentralbank vor das Problem der Sterilisierung, was nur mit entsprechend hoch verzinsten Offenmarktpapieren durchführbar ist, und darüber hinaus eine Erhöhung der ausländischen in Relation zur inländischen Geldentstehungskomponente impliziert und somit die ohnehin eingeschränkte Steuerungskapazität der Zentralbank gegenüber dem heimischen Bankensystem weiter reduziert. 13 Im Vergleich zu einer Devisenaufschatzung durch die Zentralbank beinhalten strategische Kapitalexporte des Staates nicht die Schwächung der Interventionsfähigkeit der Zentralbank, aber aufgrund der gegenüber den Verbindlichkeiten niedrigeren Verzinsung von Forderungen beinhaltet selbst ein identischer Bestand von Forderungen und Verbindlichkeiten in Fremdwährung dennoch ein currency mismatch der Ströme. Neben staatlichen strategischen Kapitalexporten zur Konterkarierung von privaten Kapitalimporten sollte der Staat generell auf eine Fremdwährungsfinanzierung seiner Ausgaben verzichten. Abgesehen von den Implikationen einer ansteigenden Auslandsverschuldung auf die heimische Liquiditätsprämie stützt ein solcher Verzicht darüber hinaus die inländische Geldnachfrage und dämpft somit die positiven Preisauftriebskräfte, allerdings um den Preis einer höheren Verzinsung der Staatsverschuldung, was bei gegebenen Steuereinnahmen und Wechselkurs einen geringeren fiskalpolitischen Spielraum oder ein höheres Budgetdefizit bedeutet. Obgleich ein ausschließlicher Rückgriff des Staates auf Kredite und Anleihen in heimischer Währung stabilisierend auf die Makroökonomie wirkt, erscheint er unter haushaltspolitischen Gesichtspunkten zunächst jedoch nur dann als rational und effizient im Sinne einer Reduzierung der staatlichen Kosten eines Kredites, wenn die Geld- und Fiskalpolitik scheitert und eine Abwertung des Wechselkurses erfolgt, die den zwischen In- und Ausland vorherrschenden Zinssatzspread übersteigt. Gelingt es demgegenüber der Geld- und Fiskalpolitik erfolgreich, den Wechselkurs auf einem gegebenen Anfangsniveau zu stabilisieren, erscheint ex post ein Verzicht auf die Fremdwährungsfinanzierung auf der Basis von haushaltspolitischen Aspekten ineffizient, da der Verzicht mit höheren Finanzierungskosten verbunden ist (siehe auch Übersicht 3, Reihe 2). —————— 13 Kapitalexporte der Zentralbank oder des Staates werden als strategisch klassifiziert, wenn sie als wirtschaftspolitische Maßnahme eingesetzt werden, um die destabilisierende Wirkung privater Kapitalimporte oder auch die von einem Leistungsbilanzüberschuß ausgehende Aufwertungstendenz zu konterkarieren. Strategische Kapitalexporte des Staates können beispielsweise die Form von Krediten, Schenkungen oder Übertragungen an andere Ökonomien oder supra- bzw. multinationale Organisationen annehmen. 209 Externe Restriktionen Hieran wird offenbar, daß die staatlichen Aktivitäten nicht auf der Basis einzelwirtschaftlicher Kalküle zu entwickeln sind und demnach unterschiedliche Kriterien zur Bewertung einzelwirtschaftlicher und staatlicher Aktivitäten herangezogen werden müssen. Folgte der Staat einem einzelwirtschaftlichen Kalkül und verhielte er sich als Preisnehmer, so akkumulierte er gleich allen anderen privaten Akteuren Fremdwährungsverbindlichkeiten, die über die Stationen ansteigendes heimisches Geldangebot und Fremdwährungsnachfrage auf dem Devisenmarkt innerhalb der Rückzahlungsfristen, sinkende heimische Liquiditätsprämie, steigender Abwertungsverdacht etc. tatsächlich in einer Abwertung der heimischen Währung mündete, die bei gegebenem externen Schuldenbestand eine Zahlungsbilanzkrise und im Extremfall die externe Zahlungsunfähigkeit der Ökonomie verursachte (siehe Übersicht 3, Reihe 3). Abgesehen von dem Fall einer einmaligen, unter dem Zinssatzspread liegenden Abwertung, bedeutet dies nichts anderes, als daß ein in Fremdwährung verschuldeter Staat unter haushaltspolitischen Aspekten nur dann effizient agiert, wenn eine makroökonomische Stabilisierung gelingt, die ja gerade einen Verzicht auf eine staatliche Fremdwährungsverschuldung voraussetzt. Übersicht 3: Haushaltspolitische Effizienz der Kontrahierung der Staatsschuld KEINE ABWERTUNG EINMALIGE ABWERTUNG ABWERTUNG > < ZINSSATZSPRE ZINSSATZSPRE AD EFFIZIENZ DER STAATLICHEN VERSCHULDUNG AD Verschuldung in heimischer Währung haushaltspolitisch ineffizient haushaltspolitisch ineffizient haushaltspolitisch effizient nur wenn Geld- und Fiskalpolitik scheitert Verschuldung in Fremdwährung ceteris paribus ausgeschlossen haushaltspolitisch effizient haushaltspolitisch ineffizient nur wenn makroökonomische Stabilisierung gelingt, was Verschuldung in Fremdwährung ausschließt 210 Der keynesianische Staat Eigene Darstellung Ein Kriterium, das zur Bewertung der Fiskalpolitik herangezogen werden muß, besteht demnach darin, inwieweit sich die staatlichen Aktivitäten stabilisierend oder destabilisierend auf die Schlüsselpreise einer Ökonomie und damit auf die Makroebene auswirken. Entsprechendes gilt ebenfalls für staatliche Unternehmen. Obwohl der Verzicht auf eine Fremdwährungsverschuldung bei gegebenem Umsatz die Akzeptanz höherer Finanzierungskosten beinhaltet, was geringere Gewinne oder bei Aufrechterhaltung der Gewinnspanne entweder eine Senkung anderer Kostenarten oder ein Anstieg der Verkaufspreise impliziert, wirkt dieser Verzicht sich stabilisierend auf den Devisenmarkt aus. Dementsprechend ist von einer Privatisierung staatlicher Unternehmen, die positive Gewinne realisieren oder sich gar durch eine hohe Devisenproduktion auszeichnen, abzusehen. Abgesehen von der Frage nach der Bereitstellung öffentlicher Güter und von verteilungspolitischen Aspekten ist hinsichtlich permanent defizitärer staatlicher Unternehmen zunächst zu prüfen, ob von der Beibehaltung der den staatlichen Handlungsspielraum reduzierenden Defizitfinanzierung aus dem zentralen Budget oder einer Privatisierung stärkere destabilisierende Momente sowohl für den Devisenmarkt als auch für den heimischen Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt ausgehen. 5.1.3.2 Abwertungsverdacht: iZBI + lVEI < iZBA + lVEA Da die Geldhaltung seitens der Wirtschaftssubjekte auf ihren Einschätzungen und Erwartungen darüber beruht, ob das heimische Geld seine Funktionen als Wertaufbewahrung, Wertstandard und Zahlungsmittel ausüben kann, und die ökonomische Existenz der Zentralbank wiederum an die Ausgabe einer eigenen Währung gebunden ist,14 besteht das Kalkül einer Zentralbank darin, die Akzeptanz des von ihr emitierten Geldes, so weit sie nicht durch den Marktprozeß selbst gewährleistet wird, durch das Zinsinstrumentarium weitestgehend (wieder) —————— 14 Mit dem Problem der ökonomischen Funktionslosigkeit ist u.a. die Deutsche Bundesbank nach der Einführung des Euro konfrontiert, was sich in ihrer gesteigerten Sensibilität gegenüber Umstrukturierungsvorschlägen und der hektischen Suche nach alternativen Aufgabenstellungen widerspiegelt, die das geld- und währungspolitische Vakuum, das die Deutsche Mark hinterlassen hat, füllen sollen. Externe Restriktionen 211 herzustellen.15 Dabei wird die Wertaufbewahrung in dieser Arbeit als diejenige Funktion begriffen, welche die restriktivsten Anforderungen an das Knapphalten des heimischen Geldangebotes stellt, da eine (marktendogene) Entknappung zunächst diese Funktion, danach diejenige des Wertstandards und zuletzt die des Zahlungsmittels, mit dem Wirtschaftssubjekte Verträge erfüllen und sich Güter aneignen können, schwächt bzw. zerstört. Eine vollständige Erosion des heimischen Geldsystems ist vollendet, wenn schließlich Lohnkontrakte, unabhängig davon welcher Wertstandard den Kontrakten zugrunde liegt, nicht mehr in heimischer Währung bedient werden können, da die Lohnempfänger eine Annahme dieses Geldes verweigern, was die vollständige Entwertung des heimischen Geldes bereits im Moment der Auszahlung des Lohnes anzeigt.16 Bei Abwertungsverdacht steht die Zentralbank eines Entwicklungslandes, will sie eine Erosion der Akzeptanz ihres Geldes verhindern, somit unter dem Druck, eine Geldpolitik zu entwerfen, die den für die Beibehaltung des Devisenmarktgleichgewichtes erforderlichen Zinssatz etabliert. Während in einer geschlossenen Volkswirtschaft eine geringe Liquiditätsprämie, die sich in einem entsprechend geringen Zinssatz widerspiegelt, endogen zu einer Ausweitung des Kreditangebotes und einer Verringerung der Investitionskosten führt, resultiert eine relativ geringe Liquiditätsprämie in einer offenen Volkswirtschaft endogen in positiven Preiseffekten, die bei unveränderter Geldpolitik in Abwertungen münden oder unter Beibehaltung des gegebenen Wechselkurses die Zentralbank zu Zinssatzerhöhungen zwingen. Von den negativen Mengeneffekten ganz abgesehen, unterliegt die Zentralbank jedoch selbst in ihrer Entscheidung hinsichtlich des Ausmaßes der Zinserhöhung der Akzeptanz durch die privaten ökonomischen Agenten.17 Bei starkem Abwertungsverdacht der heimischen Währung kann selbst eine Erhöhung um mehrere Hundert Basispunkte von den einzelwirtschaftlichen Subjekten entweder als (überproportionale) pekuniäre Kompensati- —————— 15 Zur Diskussion nationaler und internationaler Geldfunktionen siehe Herr (1992), S.28-33 und S.87-92. Eine theoretische Ableitung von und Auseinandersetzung mit den Funktionen Zahlungsmittel, Tauschmittel und Wertaufbewahrung, wobei die Betonung auf der Zahlungsmittelfunktion »als Ausdruck der Erfüllung monetärer Kontrakte« (S.20) liegt, findet sich in Riese, H. (1989), Geld, Kredit und Vermögen, in: Riese, H, Spahn, H.-P. (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer Verlag, S.1-59, S.20-34. 16 Demgegenüber spiegelt sich ›nur‹ der Verlust der Wertaufbewahrungs- und Wertstandardfunktion beispielsweise in der Ausgabe wechselkursfixierter Bonds wider, wobei das heimische Geld von den Gläubigern (noch) als Zahlungsmittel akzeptiert wird. 17 Wie innerhalb der EWS-Krise 1992/93 selbst Zentralbanken von Industrieländern erfahren mußten. 212 Der keynesianische Staat on für die gesunkene Liquiditätsprämie und explizites Bekenntnis zur Stabilisierung des aktuellen Wechselkurses oder aber als ein Eingeständnis der außergewöhnlichen Labilität des aktuellen Wechselkurses und somit als ein Signal interpretiert werden, daß eine Abwertung tatsächlich kurz bevorsteht. Ein Verzicht auf die Durchsetzung eines für die Aufrechterhaltung des Devisenmarktgleichgewichts erforderlichen inländischen Zinssatzes wiederum und damit der Verzicht auf die Wechselkursstabilisierung seitens der Zentralbank zugunsten einer höheren Akkumulationsdynamik impliziert die Akzeptanz einer Wechselkursabwertung. Eine solche zinsinduzierte Abwertung verbessert jedoch nicht nur die Kostenstruktur der heimischen Unternehmen sowie die Konkurrenzfähigkeit deren Güter und Dienstleistungen, sondern birgt insbesondere angesichts einer akkomodierenden Geldpolitik aufgrund sowohl des Währungswechsels als auch des auf den Importen beruhenden Preisniveauschubs die Gefahr von inflationären Tendenzen. Während eine Abwertung bereits die gegenwärtige Vermögenssicherung der heimischen Währung verringert, in dem sie allein durch die Veränderung der Parität heimisches in Relation zu Vermögen in Fremdwährung umbewertet, reduzieren inflationäre Tendenzen darüber hinaus die zukünftige Vermögenssicherheit der heimischen Währung, da ein Anstieg der Inflationsrate bei unveränderter Geldpolitik die Erwartungen der einzelwirtschaftlichen Subjekte hinsichtlich der Konstanz des nun neuen Wechselkurses verringert und damit die Unsicherheit über eine weitere Abwertung erhöht. Im Gegensatz zum Strukturalismus und Neoliberalismus haben Erwartungen innerhalb des keynesianischen Paradigmas eine strategische Bedeutung, da auf der Basis von Erwartungen über Entwicklungen in der Zukunft gegenwärtige Entscheidungen gefällt werden und dafür der einzelwirtschaftliche Erwartungsbildungsprozeß die Zukunft in der Gegenwart ex ante und somit unter Unsicherheit abbilden muß. Dabei reflektieren die Erwartungen nicht nur die gegebene objektive Unsicherheit der Zukunft als solches, sondern auch die subjektive Ungewißheit über potentielle alternative Entwicklungsoptionen in der Zukunft. Unsicherheit stellt insofern eine für die Bestimmung der einzelwirtschaftlichen Aktivitäten und gesamtwirtschaftlichen Prozesse zentrale Kategorie dar, die Keynes mit dem Begriff des Zustands des Vertrauens umschreibt. »Es wäre einfältig, wenn wir bei der Bildung unserer Erwartungen zu viel Gewicht auf Faktoren legen würden, die sehr ungewiß sind. Es ist daher vernünftig, daß wir uns in einem beträchtlichen Maß durch die Tatsachen leiten lassen, hinsichtlich derer wir uns einigermaßen zuversichtlich fühlen, obschon sie von weniger ausschlaggebender Bedeutung für den Ausgang sein mögen als andere Faktoren, über die Externe Restriktionen 213 unsere Kenntnis unbestimmt und spärlich ist. (...) Der Zustand der langfristigen Erwartung, auf die sich unsere Entscheidungen stützen, beruht daher nicht nur auf der wahrscheinlichsten Voraussage, die wir machen können. Er stützt sich auf das Vertrauen, mit dem wir diese Voraussage machen können, das heißt darauf, wie hoch wir die Möglichkeit einschätzen, daß unsere beste Voraussage sich als ganz falsch erweisen wird. Wenn wir große Änderungen erwarten, aber sehr unsicher über die genauen Formen sind, welche diese Änderungen annehmen werden, wird unser Vertrauen schwach sein.«18 Die Ungewißheit der Wirtschaftsakteure über die zukünftigen Entwicklung darf jedoch nicht mit dem Risiko und damit der Wahrscheinlichkeit eines wirtschaftlichen Erfolges oder Fehlschlages einer Anlage verwechselt werden. »Man wird bemerken, daß die Liquiditätsprämie teilweise ähnlich, aber teilweise auch verschieden von der Risikoprämie ist; – die Verschiedenheit entspricht dabei der Verschiedenheit zwischen den besten Schätzungen, die wir von den Wahrscheinlichkeiten machen können, und der Zuversicht, mit der wir sie machen.« 19 Risiko entspringt im Gegensatz zur Liquiditätsprämie nicht einem Kalkül der Vermögenssicherung, sondern der Vermögensvermehrung, und drückt sich mit der Möglichkeit mathematisch-statistisch erfaßbarer Wahrscheinlichkeiten je nach Anlageprojekt und Schuldnerqualität in den entsprechenden Risikoaufschlägen auf denjenigen Zinssatz aus, der als pekuniärer Ertrag für den Verzicht über die Disposition über das Vermögen aus der Liquiditätsprämie abgeleitet wird. Eine Abwertung reduziert die Sicherheit des in heimischer Währung nominierten Vermögens, unabhängig davon, ob es sich um das Halten von Liquidität, das ein Risiko von Null aufweist, eine Forderung mit relativ geringem Risiko wie staatliche Bonds oder um deutlich risikoreichere Anlagen wie Aktien handelt. »Probability – in respect of the frequency interpretation so beloved by postKeynesian writers – requires a scale, with zero set equal to impossibility and unity set equal to ontological certitude. Uncertainty, however, can exist even under condition of ontological certitude, while certainty can obtain even in the —————— 18 Keynes (1974), S.124-125 (Hervorhebung im Original). 19 Keynes (1974), S.210. Zur weiteren Diskussion von Wahrscheinlichkeit und Sicherheit siehe die Ausführungen von Keynes, J.M. (1921), A Treatise on Probability, in: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol. VIII, London, Basingstoke: Macmillan, insbesondere Kapitel 26 sowie Muchlinski, E. (1996), Keynes als Philosoph, Berlin: Duncker und Humblot, Kapitel 5. 214 Der keynesianische Staat face of obvious impossibility. Should there be any doubt on this score, try to convince a conspiracy theorist of the errors in his apprehension of the details!«20 Unter Bedingung einer zinsinduzierten Abwertung mit negativen Vermögensmarkt- und positiven Preisauftriebseffekten wird die heimische Liquiditätsprämie sinken, die das Vertrauen oder anders ausgedrückt die Erwartung der Wirtschaftssubjekte in die gegenwärtige und zukünftige Vermögenssicherungsqualität des Geldes widerspiegelt, so daß wiederum internationale Gläubiger die Fristigkeit ihrer Forderungen verringern und nicht nur durch internationale, sondern auch heimische Anleger zunehmend Portfolioumschichtungen zugunsten dem Halten von Liquidität und Forderungen jeweils in Fremdwährung erfolgen. An der Berücksichtigung der Option, daß auch heimische Anleger bei Abwertungserwartungen einen Währungswechsel vornehmen, wird deutlich, daß selbst eine hohe Devisenaufschatzung einer Zentralbank, was seit der Asienkrise immer wieder als ein wichtiges Krisenpräventionsinstrument besonders betont wird, eine Abwertung durch eine Privatisierung von Devisen nur hinauszögern, aber keineswegs zu beseitigen vermag. Denn die hohe Devisenaufschatzung erlaubt lediglich die Finanzierung der einzelwirtschaftlichen Aktivitäten, die durch die Abwertungserwartungen ausgelöst werden, in einem etwas längeren Zeithorizont, kann jedoch die Abwertungserwartungen selbst in ihrem Ursprung nicht reduzieren. Sollte keine Umkehr in der Geldpolitik erfolgen, markiert somit erst die externe Zahlungsunfähigkeit der Ökonomie und die Inkonvertibilität der heimischen Währung das Ende des kumulativen Prozesses. Inwieweit mit einer externen Zahlungsunfähigkeit auch ein Zusammenbruch der heimischen Produktion einhergeht, hängt einerseits davon ab, ob es dem Staat in Verhandlungen mit den internationalen Gläubigern gelingt, eine Reduzierung der externen Schuldbestände bzw. Zinssätze und/oder eine Verlängerung der Rückzahlungsfristen durchzusetzen und andererseits ob der Staat die Fremdwährungsverbindlichkeiten privater heimischer Schuldner übernimmt. Die Übernahme von Verbindlichkeiten des Unternehmens- oder Bankensektors, die in das Portfolio des Finanzministers mit dem Ziel eingestellt werden, einen Konkurs der betroffenen Unternehmen bzw. Banken zu verhindern, entspricht einem bail- —————— 20 McCann Jr, C.R., Perlman, M. (1998), Keynesian Economics and the Meaning of Uncer- tainty, in: Hamouda, O.F., Price, B.B. (Hrsg.), Keynesianism and the Keynesian Revolution in America: A Memorial Volume in Honour of Lorie Tarshis, Cheltenham, Northampton: Edward Elgar, S.173-185, S.176. Zur weiteren Auseinandersetzung mit der Interpretation von Wahrscheinlichkeit, Unsicherheit und Erwartungen bei Keynes siehe Parker, I. (1998), On Keynes and Ramsey on Probability, im selben Band, S.155-172. Externe Restriktionen 215 out in Form einer kontrollierten Sozialisierung privater Schuldbestände. Verweigert der Staat ein bail-out, so tritt an die Stelle der kontrollierten eine ›anarchische‹ Sozialisierung. Letzteres impliziert nicht die Sozialisierung der Verbindlichkeiten, sondern der Kosten ihrer Nichtbedienung durch den Unternehmensund Bankensektor, der damit seine Insolvenz anzeigt. Eine Insolvenz bedingt einerseits die Zerstörung entsprechender Produktionskapazitäten, Entlassungen und ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit sowie andererseits eine Reduzierung der Steuerbasis sowie eine krisenbedingte Erhöhung der Sozialausgaben. In einer extremen Variante, in der ein relevanter Anteil des Banken- und Unternehmenssektors – wie in Lateinamerika und Asien – betroffen ist, mündet eine ›anarchische‹ Sozialisierung in einem Run auf die restlichen (noch) solventen Banken, einer monetären Deintermediation sowie weitreichender sozialer und wirtschaftlicher Marginalisierung. Beide Arten der Sozialisierung belasten das staatliche Budget und vermindern den fiskalpolitischen Spielraum erheblich, aber die mit einer anarchischen Sozialisierung verbundenen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten aller beteiligten Akteure übersteigen im Fall der abwertungsbedingten externen Zahlungsunfähigkeit einer Ökonomie – im Gegensatz zu der eines einzigen einzelwirtschaftlichen Akteurs bei gegebenen Preisen – die Kosten eines staatlichen bail-out. Eine kategorische Verweigerung der Ex-post-Übernahme der Fremdwährungsverbindlichkeiten durch den Staat – wie im Verlauf der Asienkrise immer wieder gefordert – abstrahiert völlig von den mit einem Konkurs ganzer Sektoren verbundenen kumulativen Effekten und muß deshalb auf der Basis einer keynesianischen Interpretation von Krisenprozessen zurückgewiesen werden. 5.1.3.3 Aufwertungsverdacht: iZBI + lVEI > iZBA + lVEA Steht die heimische Währung beispielsweise durch eine Erhöhung der heimischen Liquiditätsprämie oder eine Zinssatzsenkung im Ausland unter Aufwertungsdruck, so eröffnet diese Marktkonstellation der Geld- und Fiskalpolitik den größten Spielraum, da die Wirtschaftspolitik entweder eine Aufwertung durch eine entsprechende (nominale) Zinssatzsenkung im Inland verhindern, mittels strategischer staatlicher Kapitalexporte hinauszögern oder eine von den privaten Akteuren induzierte Aufwertung zulassen kann. Eine sofortige Aufwertung erleichtert tatsächlichen heimischen Schuldnern die Rückzahlung ihrer Fremdwäh- 216 Der keynesianische Staat rungsverbindlichkeiten, stellt jedoch neben dem negativen Zinssatzspread zwischen Aus- und Inland noch einen zusätzlichen Anreiz für potentielle Schuldner dar, sich zukünftig in Fremdwährung zu verschulden und damit die Aufwertung mittelfristig rückgängig zu machen. Darüber hinaus reduziert eine Aufwertung mit sofortiger Wirkung die Konkurrenzfähigkeit aller heimischen Unternehmen. Dagegen erlauben strategische Kapitalexporte des Staates unter Aufrechterhaltung des Aufwertungsverdachts eine zeitliche Hinauszögerung der Aufwertung und damit des Verlustes von Wettbewerbsfähigkeit. Kann der Staat Forderungen in heimischer Währung gegenüber dem Ausland begründen, so generiert er damit eine zukünftig höhere und von den Dispositionen der heimischen Wirtschaftssubjekten unabhängige Nachfrage nach heimischer Währung. Strategische staatliche Kapitalexporte weisen insgesamt weniger einen alternativen als vielmehr komplementären Charakter zur inländischen Zinssatzsenkung auf. Letzteres entlastet alle in heimischer Währung verschuldeten Kreditnehmer, einschließlich den Staat, hält die internationale Konkurrenzfähigkeit der nationalen Unternehmen aufrecht und – sollte der Aufwertungsdruck durch eine ausländische (nominale) Zinssatzsenkung verursacht sein – den Zinssatzspread zwischen In- und Ausland konstant, reduziert ihn sogar in allen anderen Fällen und vermindert so den Anreiz für zukünftige Kreditnehmer, sich in Fremdwährung zu verschulden. Strategische Kapitalexporte und noch deutlicher eine inländische (nominale) Zinssatzsenkung unter Bedingung eines Aufwertungsverdachtes der heimischen Währung eröffnen der Geld- und Fiskalpolitik die Möglichkeit, eine Konstellation der Unterbewertung des Wechselkurses allmählich aufzubauen. Eine Unterbewertung weist den Vorteil oder, um es mit dem Keynesschen Begriff auszudrücken, die Annehmlichkeit auf, daß durch den Staat und die Zentralbank positive Mengeneffekte zugelassen werden können, ohne jedoch dadurch die externe stabilitätspolitische Restriktion zu verletzen und kann darüber hinaus über einen staatlich flankierten kontinuierlichen Aufwertungsverdacht einen Beitrag zur Erhöhung der heimischen Liquiditätsprämie liefern.21 An der Devisenmarktkonstellation eines Aufwertungsverdachtes, die der Geld- und Fiskalpolitik unterschiedliche Optionen zur Stabilisierung des Wechselkurses eröffnet, wird bereits deutlich, daß ein keynesianischer Staat bzw. eine keynesianische Zentralbank diskretionären Entscheidungsspielraum benötigen, um bei Veränderung der alten oder Eintritt einer neuen Marktkonstellation adä- —————— 21 Zur Diskussion einer absoluten und selektiven Unterbewertungsstrategie siehe Lüken genannt Klaßen, M. (1993), Währungskonkurrenz und Protektion: Peripherisierung und ihre Überwindung aus geldwirtschaftlicher Sicht, Marburg: Metropolis, S.139-221. Externe Restriktionen 217 quat und entsprechend ihrer makroökonomischen Kalküle reagieren zu können. Eine regelgebundene Geld- und Fiskalpolitik wie häufig von Neoliberalen gefordert, reduziert bewußt nicht nur das Aktivitätsniveau der monetären Autoritäten, sondern beschneidet auch deren Aktivitätsradius und unterbindet damit die Wahrnehmung von wirtschaftspolitischen Optionen, die eine Annäherung an oder sogar Durchsetzung von geld- und fiskalpolitischen Zielen erlauben. Schlußfolgerungen: Externe Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses Zusammenfassend kann erstens festgehalten werden, daß Entwicklungsländer in einer offenen Volkswirtschaft als Konsequenz ihrer geringeren Liquiditätsprämien durch positive Preisauftriebseffekte und als Folge von höheren Zinssätzen durch negative Mengeneffekten charakterisiert sind. Dies kann einerseits eine Erklärung für die häufig anzutreffenden, oberflächlich betrachtet, scheinbar widersprüchlichen Einschätzungen liefern, daß Zentralbankpolitik in Entwicklungsländern entweder noch nicht genug oder bereits zu restriktiv angelegt sei. Andererseits bestätigen diese Konsequenzen die Beobachtung der Strukturalisten über die den Entwicklungsländern inhärenten inflationären Tendenzen und Wachstumsschwächen, aber diese entfalten sich jedoch im Rahmen einer keynesianischen Ableitungskette vom monetären auf den realen Sektor und nicht umgekehrt. Gleichzeitig wird offenbar, daß der neoliberale Hinweis auf eine von der monetären Sphäre ausgehenden ›Störung‹ des Marktprozesses durchaus eine gewisse Berechtigung hat, die positiven Preisauftriebstendenzen jedoch in einer keynesianischen Interpretation nicht exogen durch eine omnipotente Zentralbank verursacht, sondern endogen den von ihren jeweils individuellen Kalkülen geleiteten einzelwirtschaftlichen Aktivitäten entspringen und es sich somit nicht um eine ›Störung‹, sondern geradezu ein Merkmal des Systems offener Geldökonomien handelt. Die Zentralbank ist zweitens uneingeschränkt als Marktteilnehmerin zu charakterisieren, da private ökonomische Agenten sie mit einer Geldpolitik, die auf die Etablierung des für ein Devisenmarktgleichgewicht erforderlichen Zinssatzes verzichtet, durch Ausstieg aus ihrer Währung sanktionieren können. Selbst eine Geldpolitik, die sich an einem gegebenen Devisenmarktgleichgewicht orientiert, kann nicht zwingend ein solches Gleichgewicht dauerhaft gewährleisten. Des weiteren verfügt sie über kein Instrumentarium, das ihr eine autonome Regeneration der heimischen Liquiditätsprämie erlaubt. Eine Zinssatzsteigerung erhöht 218 Der keynesianische Staat keineswegs unmittelbar die Liquiditätsprämie, sondern das Sinken der Liquiditätsprämie wird kurzfristig durch einen Anstieg der Zinssätze kompensiert. Somit ist mit Ausnahme der negativen Mengeneffekte ex ante die Wirkung eines restriktiven Einsatzes der von der Zentralbank determinierten Refinanzierungszinssätze auf die heimische Liquiditätsprämie unbestimmt. In dieser Arbeit wird die Position vertreten, daß, wenn überhaupt, eine geldpolitisch induzierte Erhöhung der Liquiditätsprämie lediglich mittelbar über eine Unterdrückung der heimischen Einkommensbildung und somit einen über die Reduzierung der Importe erzwungenen Exportüberschuß erreicht werden kann, während durch den Einsatz des geldpolitischen Instrumentariums unmittelbar bestenfalls das Sinken der Liquiditätsprämie zum Stillstand gebracht werden kann. Dennoch ist ex ante jedoch nicht nur völlig ungewiß, in welchem Ausmaß der Einkommensbildungsprozeß restringiert werden muß, um einen solchen Überschuß zu realisieren, sondern auch, ob bei gegebener Auslandsverschuldung der privaten Akteure überhaupt ein Zinssatzniveau existiert, das einen solchen Überschuß in der Leistungsbilanz zu generieren vermag, ohne daß dadurch ein Konkurs relevanter Anteile des Unternehmens- und Geschäftsbankensektors in Kauf genommen werden muß. Das einzelwirtschaftliche Risiko eines Konkurses sowie die Gefahr einer gesamtwirtschaftlichen Zahlungsunfähigkeit aufgrund einer Zinssatzpolitik, die auf den Erhalt eines gegebenen Devisenmarktgleichgewichtes abzielen, verdeutlichen auch, daß der Devisenmarkt und mit ihm Wechselkursbewegungen nicht nur eine stabilitäts-, sondern gleichzeitig eine relevante beschäftigungspolitische Restriktion darstellen. Die Festlegung des Wechselkursregimes sowie des Wechselkurszieles fallen drittens nicht in die Kompetenz der Zentralbank, sondern unterliegen dem Verantwortungsbereich des Staates. Es ist der Staat, der die heimische Ökonomie konstituiert, in dem er die Emission seiner eigenen Währung durch eine eigens von ihm geschaffene Institution durchführen läßt oder eben auch diese Emission durch die Teilnahme an einer Währungsunion beendet. Bei gegebenem Wechselkursregime und Wechselkursziel besteht die Aufgabe dieser Institution darin, die Stabilität der heimischen Währung nach innen und nach außen zu gewährleisten. Sollte der Staat unilateral an die Zentralbank sowohl den Entscheidungsspielraum über die Wechselkurspolitik als auch über das konkrete Tagesgeschäft delegieren, so ist dies lediglich Ausdruck eines Verzichtes des Staates, diese sich unter seiner Ägide befindlichen Bereiche der Wirtschaftspolitik zu gestalten. Dennoch kann der Staat selbst bei eigener Gestaltung der Wechselkurspolitik die Preisbildung auf dem Devisenmarkt nicht determinieren, sondern lediglich Preis- Externe Restriktionen 219 bildungsprozesse beeinflussen, wobei auch er über kein Instrumentarium verfügt, das eine unmittelbare Erhöhung der heimischen Liquiditätsprämie zwingend einleiten kann. Der Staat kann jedoch in Kooperation mit der Zentralbank in einer Marktkonstellation, die ihnen unterschiedliche geld- und fiskalpolitische Optionen ermöglicht, Maßnahmen – wie beispielsweise die Bardepotpflicht, strategische Kapitalexporte, Verzicht auf eine staatliche Fremdwährungsverschuldung, selektive Protektion – ergreifen, die im Gegensatz zu den Handlungsoptionen der Zentralbank zumindest mittelbar zunächst auf eine Stabilisierung und dann auf eine Regeneration der Liquiditätsprämie abzielen, ohne gleichzeitig unmittelbare negative Mengeneffekte aufzuweisen. Aus makroökonomischer Sicht ist somit weder die Weisungsgebundenheit noch die Unabhängigkeit einer Zentralbank gegenüber dem Zentralstaat eine notwendige oder gar eine hinreichende Bedingung für Stabilität und Entwicklung. Demgegenüber ist viertens eine Kooperation zwischen Staat und Zentralbank sowohl für die Initiierung als auch für die Aufrechterhaltung nationaler ökonomischer Entwicklung unter der Bedingung externer Stabilität notwendig, aber nicht hinreichend, ersteres da bei einem nicht-kooperativen Verhalten durch einen der beiden Akteure entweder die stabilitätspolitische oder beschäftigungspolitischen Anforderungen oder beides verletzt werden und letzteres, weil Staat und Zentralbank selbst bei Kooperation eine von ihnen angestrebte Marktkonstellation aufgrund der individuellen Bildung der Liquiditätsprämie in einem internationalem, hierarchisch strukturiertem System von Geldökonomien nicht autonom bzw. gegen den Willen privater Marktakteure generieren können. 220 Der keynesianische Staat 5.2 Interne Restriktion des heimischen Einkommensbildungsprozesses Obgleich die Vermögensmarkttransaktionen auf dem Devisenmarkt über die Verbindung von heimischen Kredit- und Gütermarkt den Investitionsprozeß restringieren, indem sie eine Untergrenze für das heimische Zinsniveau bestimmen, wird der den Einkommensbildungsprozeß tragende Gewinn-InvestitionsMechanismus dennoch allein durch den Vermögensmarkt nicht hinreichend determiniert. Kreditangebot und Kreditnachfrage sind darüber hinaus durch die von den Geschäftsbanken gebildeten Erwartungen über den Vermögensrückfluß sowie die Gewinnerwartungen der Unternehmen gesteuert (5.2.1). Die höhere Unsicherheit über den Vermögensrückfluß seitens der Geschäftsbanken und die geringere Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals restringieren den Einkommensbildungsprozeß, was sich in geringeren positiven Mengen- und insgesamt stärkeren Preisauftriebseffekten in Entwicklungsländern gegenüber dem Einkommensbildungsprozeß in Industrieländern ausdrückt (5.2.2). Ausgehend von einem Devisenmarktgleichgewicht und unterschiedlichen Gütermarktkonstellationen wird der Spielraum der Wirtschaftspolitik einer näheren Betrachtung unterzogen, die Erwartungsbildung von Kreditinstituten und Unternehmenssektor zu stabilisieren (5.2.3). Umfang und Art der Beschäftigung nehmen innerhalb des keynesianischen Paradigmas einen vergleichbaren Stellenwert wie die Höhe des Wachstums innerhalb des Strukturalismus oder Umfang der Wohlfahrt innerhalb des Liberalismus ein. Wiewohl die Lage auf dem Arbeitsmarkt selbst als verdichtetes Resultat der Dispositionen auf den anderen Märkten verstanden wird und sich ein erfolgreich durchgeführter Entwicklungsprozeß in der Dynamik und Intensität des Einkommensbildungsprozesses ausdrückt, finden die Akteure des Arbeitsmarktes lediglich dann Eingang in die folgenden Betrachtungen, wenn durch ihre Reaktionen auf den von den anderen Märkten ausgehenden Anpassungsdruck Preis- und Mengeneffekte verursacht werden, welche die externen oder internen Restriktionen vertiefen. Interne Restriktionen 221 5.2.1 Zins und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Eine Einkommensbildung als Resultat eines kreditfinanzierten Akkumulationsprozesses setzt einen durch Preise bewerteten Produktionsprozeß und damit Investitionen voraus. Investitionen jedoch benötigen einen zweifachen Geldvorschuß, den des Gläubigers alias der Geschäftsbank an den Schuldner und den des Schuldners alias des Unternehmers in die Produktion. »Die Menge der Investition wird durch zwei Arten von Risiken beeinflußt, deren Unterscheidung wichtig ist, obschon sie oft vernachlässigt worden ist. Die erste ist das Risiko des Unternehmers oder Borgers und entsteht aus seinen eigenen Zweifeln über die Wahrscheinlichkeit, ob er das voraussichtliche Erträgnis wirklich verdienen wird, auf das er hofft. (...) Wo aber ein System von Borgen und Leihen besteht, worunter ich die Gewährung von Darlehn mit einem Einsatz von realer oder persönlicher Sicherheit verstehe, ist noch eine zweite Art Risiko maßgebend, die wir das Gläubigerrisiko nennen können.«22 Das von Keynes beschriebene Risiko beinhaltet jedoch auch die Unsicherheit einerseits über die Realisierung der Rendite aus Sicht des Schuldners und andererseits über den Vermögensrückfluß aus Sicht des Gläubigers. In beiden Fällen handelt es sich somit um die Bewertung zukünftiger Zahlungsströme und somit auf Erwartungen basierende Einschätzungen von Schuldnern und Gläubigern zugleich, die, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, nicht durch den Begriff des Risikos bzw. der Wahrscheinlichkeit abgedeckt sind. Das Risiko des Schuldners umfaßt die Frage, ob er bei erwarteten Preisen den für die Refundierung des Kredites notwendigen Umsatz generieren kann und besteht darin, daß er im Falle eines Scheiterns mindestens das zur Sicherheit hinterlegte Vermögen verliert und schlechtestenfalls alle anderen, nicht durch dieses Vermögen getilgten Verbindlichkeiten dennoch abtragen muß. Die Unsicherheit des Unternehmers jedoch spiegelt die Ungewißheit darüber wider, ob die als Grundlage für die Berechnung des Risikos verwendeten erwarteten Preise tatsächlich am Markt durchsetzbar sein werden und somit die Erwirtschaftung eines positiven Gewinnes überhaupt erlauben. Auch hinsichtlich der Unsicherheit mündet ein Scheitern in dem oben beschriebenen Vermögensverlust, aber im Gegensatz zum Fall des Risikos ist das Scheitern jedoch nicht dadurch hervorgerufen, daß es einem einzelnen Unternehmen bei Preisen, welche die Erwirtschaftung von positiven Gewinnen in dem jeweiligen Marktsegment zulassen, auf- —————— 22 Keynes (1974), S.121-122. 222 Der keynesianische Staat grund unternehmensinterner Prozesse nicht gelungen ist, kostendeckend zu produzieren, sondern dadurch, daß die am Markt sich bildenden Preise in dem jeweiligen Marktsegment generell positive Gewinne unterbinden, was sich einzelwirtschaftlich betrachtet in dem (erzwungenen) Marktaustritt und gesamtwirtschaftlich in einem Verdrängungswettbewerb und Konzentrationsbewegungen niederschlägt. Es ist eine Banalität, daß Gewinne nicht nur von der Angebotsseite und damit den kalkulatorischen Kosten, sondern auch von der Nachfrage abhängig sind, da die sich auf den Märkten bildenden Preise ebenfalls durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Gewinnerwartungen eines Unternehmers, der am Markt als Preisnehmer agiert und dieses Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ex ante abbildet, können deshalb weder vorwiegend noch ausschließlich eine mikroökonomisch fundierte, geschweige denn eine rein betriebswirtschaftlich motivierte Kategorie darstellen, da dann entweder gegebene Preise, einschließlich des in der Ökonomie vorherrschenden Preisniveaus und/oder eine gegebene Nachfrage vorausgesetzt werden müssen. Gewinnerwartungen werden hier deshalb als eine (einzelwirtschaftlich gebildete) makroökonomische Kategorie gefaßt, die Ausdruck des erwarteten Preisbildungsprozesses oder, etwas allgemeiner formuliert, der Einschätzung des Unternehmers über die zukünftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist, innerhalb derer er sich positioniert, wobei die kalkulatorischen Kosten lediglich die Orientierung an einem Mindestpreis vorgeben, den er nehmen muß, will er eine Insolvenz vermeiden, aber keinerlei Aussage darüber zulassen, ob er zukünftig diesen Preis nehmen kann. Unternehmen werden demzufolge nur dann Investitionen durchführen wollen, wenn sie erwarten, daß sich mindestens die Produktionskosten deckenden Preise einstellen werden oder, anders formuliert, die erwarteten Gewinne, die Keynes als Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bezeichnet, zumindest positiv ausfallen. »(I)ch definiere die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als jenem Diskontsatz gleich, der den gegenwärtigen Wert der Reihe von Jahresrenten, die aus dem Kapitalwert während seines Bestandes erwartet werden, genau gleich seinem Angebotspreis machen würde. (...) Der Leser sollte beachten, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hier in Kategorien der Erwartung von Erträgnis und des laufenden Angebotspreises des Kapitalwertes definiert wird.«23 —————— 23 Keynes (1974), S.114 (Hervorhebung im Original). Insofern werden in dieser Arbeit die von ihm zuvor in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe ›Risiko‹ und ›Wahrscheinlichkeit‹ als eine sprachliche Ungenauigkeit von Keynes interpretiert, die im Gesamtkontext der Generel Theory jedoch unmißverständlich sind. Interne Restriktionen 223 Je geringer die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bzw. je höher die Unsicherheit über den Preisbildungsprozeß ist, desto geringer ist der Anreiz für Unternehmen, sich zu verschulden und desto höher ist der Anteil derjenigen Unternehmen, die Neu- und Erweiterungsinvestitionen zeitlich zurückstellen. Wiewohl eine positive Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals eine notwendige Bedingung darstellt, ist sie jedoch für Investitionen nicht hinreichend, da Unternehmen sich nur dann verschulden, wenn die erwartete Profitrate mindestens so hoch ist wie der von den Gläubigern geforderte Kreditzinssatz. 24 Eine Geschäftsbank kann entweder ein Kreditangebot begründen, in dem sie sich bei der Zentralbank verschuldet und Forderungen gegenüber dem Unternehmenssektor aufbaut, oder aber auf ein Kreditangebot generell verzichten, so daß sie weder Verbindlichkeiten noch Forderungen hält. Der Preis für das Kreditangebot einer Geschäftsbank und damit der Aktivzinssatz wird insgesamt von mehreren Faktoren bestimmt: dem Refinanzierungszinssatz, den Transaktionskosten der Geschäftsbank sowie dem von Keynes genannten Gläubigerrisiko. Während die Transaktionskosten von der laufenden Geschäftstätigkeit der Bank abhängig sind, wird der Refinanzierungszinssatz von der Zentralbank bestimmt, die sich tendenziell an der Erhaltung des Devisenmarktgleichgewichtes orientiert. Unter dem Gläubigerrisiko subsumiert Keynes wiederum sowohl das einzelne Investitionsrisiko als auch die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß. Das Investitionsrisiko aus Sicht der Bank, das sich aus der Schuldnerqualität, der vom Schuldner hinterlegten Sicherheiten sowie dem konkreten Investitionskonzept ergibt, bezieht sich auf die gleichen Überlegungen wie die Ermittlung des Investitionsrisikos aus Sicht des Schuldners und differiert nur insofern von ihm, als daß die Bewertung dieser Kriterien von unterschiedlichen ökonomischen Akteuren durchgeführt wird. »Die zweite Art [von Risiko, MM] ist jedoch eine reine Hinzufügung zu den Investitionskosten, die nicht bestehen würde, wenn Borger und Verleiher die gleiche Person wären. Es bedingt überdies teilweise eine Verdoppelung eines Teilbetrages des Unternehmerrisikos, der zweimal dem reinen Zinsfuß zugefügt werden muß, um das mindeste voraussichtliche Erträgnis zu ergeben, das die Investition veranlassen wird.«25 Das von der Geschäftsbank eingeschätzte Risiko einer Investition kann beispielweise durch bereits erfolgreich abgewickelte Kreditbeziehungen mit dem Unternehmen reduziert werden, wobei der Mangel an solchen Erfahrungen und Kontakten bei gleichem Investitionskonzept und Sicherheitsleistungen durch einen entsprechend —————— 24 Eine Eigenfinanzierung wird als Kredit des Unternehmens an sich selbst interpretiert. 25 Keynes (1974), S.122 (Hervorhebung im Original). 224 Der keynesianische Staat höheren Zinssatz kompensiert werden muß.26 Obwohl die Transaktionskosten als auch das einzelne Investitionsrisiko mit die Preisbildung beeinflussen, werden sie im weiteren Verlauf der Diskussion nicht mehr berücksichtigt, da sie einerseits betriebswirtschaftlichen Kalkülen der Geschäftsbank entspringen und sich somit einer makroökonomischen Betrachtung der Bildung des Kreditzinssatzes entziehen. Andererseits widersprechen sie keineswegs der nun folgenden Argumentation, sondern erhöhen lediglich den von den Geschäftsbanken geforderten Aktivzinssatz um den entsprechenden Aufschlag. Die zweite Komponente Keynes‹ Vorstellung eines den Zinssatz bestimmenden ›Gläubigerrisikos‹ umfaßt die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß, die als die Erwartung der Geschäftsbank über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung – unabhängig vom einzelnen Kreditnehmer und dem konkreten Investitionsprojekt – interpretiert wird.27 In einem Boom weisen sowohl Unternehmen als auch Geschäftsbanken optimistischere Erwartungen auf, die sich in einer entsprechend hohen Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als auch einer geringen Unsicherheit über den Vermögensrückfluß seitens der Banken widerspiegeln, während im Vergleich dazu innerhalb einer Abschwungphase oder gar einer Depression generell die Erwartungen darüber, daß sich hinsichtlich desselben Investitionsprojektes zukünftig gewinnerzielende Preise am Markt etablieren, deutlich niedriger sind. »Während eines Aufschwunges hat die öffentliche Schätzung der Größe dieser beiden Risiken [im Sinne der Unsicherheit, MM], sowohl des Borgerrisikos als des Verleiherrisikos, die Neigung, ungewöhnlich und unvorsichtig niedrig zu sein.«28 Die Unsicherheit über den zukünftigen —————— 26 Für die Einschätzung des individuellen Investitionsrisikos und damit der Festlegung dieser Zinssatzkomponente durch die Geschäftsbank ist u.a. von Relevanz, ob es sich bei dem Kreditnehmer um einen staatlichen, einen privaten Schuldner ohne staatliche Garantien oder um einen privaten Schuldner mit staatlicher Ausfallbürgschaft handelt. Daran wird deutlich, daß staatliche Garantien nur einen geringeren Zinsaufschlag seitens der Gläubiger ermöglichen, aber keineswegs eine ›ineffiziente‹ Verwendung der Kreditmittel seitens der Schuldner bedingen wie im Zuge der Asienkrise immer wieder behauptet wurde. 27 "(...); denn in seinem Wert [des Zinses, MM] kommt teilweise die Ungewißheit über die Zukunft zum Ausdruck.« Keynes (1974), S.123, Fußnote 1 (Hervorhebung im Original). 28 Keynes (1974), S.122. Dementsprechend wird hier ein hoher Anteil der Eigenfinanzierung von Investitionen nicht als Ausdruck einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung, sondern als Reaktion der Unternehmen auf eine hohe Unsicherheit seitens der Geschäftsbanken bzw. ein gesamtwirtschaftlich hohes Zinsniveau interpretiert, so daß den Unternehmen als Alternative zur Eigenfinanzierung lediglich der Verzicht auf die Investition zur Verfügung steht. Eine hohe Eigenfinanzierungsquote weist somit tendenziell auf ökonomische Stagnation und/oder auf ein rudimentär entwickeltes Bankensystem hin. Interne Restriktionen 225 Vermögensrückfluß seitens der Geschäftsbank wird deshalb in dieser Arbeit als von ihrem Wesen her der Bildung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals durch den Unternehmer äquivalent gefaßt und entspricht hier somit nicht einer Liquiditätsprämie,29 welche die Ungewißheit über die (gegenwärtige und zukünftige) Vermögenssicherung widerspiegelt, obgleich beide Unsicherheiten mit in die Bestimmung des Zinssatzes einfließen.30 —————— 29 Zur Ableitung einer Liquiditätsprämie als Ausdruck der Unsicherheit über den Vermögens- rückfluß bei der Kreditvergabe durch das Geschäftsbankensystem in einer geschlossenen Volkswirtschaft siehe Betz, K. (1993), Ein monetärkeynesianisches makroökonomisches Gleichgewicht, Marburg: Metropolis, S.63-65. Der nominale Aktivzinssatz der Geschäftsbanken in einer geschlossenen Volkswirtschaft in dem Modell von Betz ergibt sich aus dem Diskontzinssatz plus der von den Banken gebildeten Liquiditätsprämie u, jeweils mit den Indizes B für Geschäftsbank und ZB für Zentralbank: i B = iZB + u. Das nominale Kreditangebot wird als absolut zinselastisch gefaßt, wobei u als die Liquiditätsprämie die maximale Untergrenze des Aktivzinssatzes markiert. Der Diskontsatz bestimmt die Höhe des Depositenzinssatzes, der wiederum »(...) als Kompensation für das Eingehen der RealwertUnsicherheit betrachtet werden (muß), die mit der Aufnahme von Geldvermögen in das Portfolio verbunden ist.« Betz (1993), S.70. Die Geldhaltung seitens der Haushalte alias Vermögenseigentümern wird in einer solchen Ökonomie in Abhängigkeit von der Realwertentwicklung des Sachvermögens modelliert: Je stärker die negative Realwertentwicklung des Sachvermögens ist, desto höher ist die Geldhaltung und damit der Verzicht auf ein Geldangebot und umgekehrt (vgl. Betz (1993), S.49-52 und insbesondere S.69-72). Hier werden jedoch Ursache und Wirkung verwechselt: Erst die Geldhaltung entscheidet vermittelt über inflationäre oder deflationäre Prozesse über die endogene Bewertung des gesamten SachvermögenS.Eine exogene Erhöhung (Reduzierung) des Realwertes von Sachvermögen induziert umgekehrt keineswegs eine Inflation (Deflation). 30 Unter Abstraktion der Transaktionskosten sowie des individuellen Investitionsrisikos und mit u für die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß mit dem Index GBI für den heimischen Geschäftsbankensektor ergibt sich in einer geschlossenen Volkswirtschaft wegen i ZBI = lVEI ein Aktivzinsatz der Geschäftsbanken von iGBI = lVEI + uGBI = iZBI + uGBI. Je geringer die Liquiditätsprämie, desto geringer ist bei gegebener Unsicherheit über den Vermögensrückfluß der Aktivzinssatz. Und je geringer die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß bei gegebener Liquiditätsprämie desto geringer ist der Aktivzinssatz. Bei Abwesenheit einer Unsicherheit, d.h. bei absoluter Sicherheit über den Vermögensrückfluß seitens der Geschäftsbanken und damit uGBI = 0, wird die untere Grenze des Aktivzinssatzes von der Liquiditätsprämie lVEI bzw. von dem Refinanzierungszinssatz der heimischen Zentralbank iZBI determiniert. Eine Veränderung von uGBI hat keinen Einfluß auf die Höhe des heimischen Zentralbankzinssatzes, da dieser sich an der Liquiditätsprämie orientiert. In einer offenen Volkswirtschaft ergibt sich ebenfalls ein Aktivzinssatz von iGBI = iZBI + uGBI, aber diesmal mit iZBI = iZBA + (lVEA – lVEI). In diesem Fall ist bei gegebener Unsicherheit über den Vermögensrückfluß uGBI der Aktivzinssatz jedoch um so geringer je höher die heimische bzw. geringer die ausländische Liquiditätsprämie sowie der ausländische Zinssatz ist. Bei Ab- 226 Der keynesianische Staat Deutlich gemacht werden können diese Differenzen zwischen der Kategorie der Vermögenssicherheit und des Vermögensrückflusses an der Kreditvergabe einer ausländischen Geschäftsbank an einen inländischen Schuldner, wobei die Liquiditätsprämie der heimischen im Vergleich zur ausländischen Währung annahmegemäß geringer sein soll. Erfolgt eine Kreditvergabe in der Landeswährung des Schuldners, so muß die niedrigere Liquiditätsprämie durch einen entsprechenden Zinssatzaufschlag kompensiert werden, der bei einer Denominierung des Kreditvertrages in sogenannter Hartwährung ersatzlos wegfallen kann, vorausgesetzt alle anderen Faktoren (Schuldner, Sicherheiten, Investitionsprojekt, Zahlungsfristen etc.) bleiben gleich. Demgegenüber resultiert eine hohe Unsicherheit über den Vermögensrückfluß seitens der Geschäftsbank ebenfalls in einem weiteren Zinssatzaufschlag sowie einer Verkürzung ihrer Forderungsfristen, kann jedoch durch keine Zugeständnisse des Schuldners hinsichtlich des zu wählenden Wertstandards und des Zahlungsmittels für den Schuldkontrakt kompensiert werden, sondern drückt sich in einem sinkendem Kreditvergabevolumen aus. Während somit im Extremfall bei einer heimischen Liquiditätsprämie von Null die Landeswährung überhaupt nicht kontraktfähig, eine Kreditaufnahme des heimischen Schuldners aber am internationalen Kapitalmarkt zumindest in Hartwährung deshalb nicht ausgeschlossen ist, bedingt ein Zusammenbruch der Sicherheit über den Vermögensrückfluß eine vollständige Einstellung oder auch Verweigerung einer selbst in Hartwährung nominierten Kreditvergabe wie gegenüber Mexiko 1994/95, den südostasiatischen Ökonomien kurz vor bzw. nach der Asienkrise oder gegenüber Argentinien 2001/2002 beobachtbar war. Wird somit die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß als eine von den Geschäftsbanken gebildete Erwartung über die zukünftige makroökonomische Entwicklung gefaßt, ist darüber hinaus bereits per Definition ausgeschlossen, daß die Unsicherheit aufgrund von sich mit dem ausstehenden Kreditvolumen verändernden Eigenschaften der einzelnen Schuldner variieren kann, da diese eine Kategorie des Risikos darstellen.31 Die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß in der obigen Interpretation wird dennoch mit wachsendem Kreditvolumen —————— wesenheit einer Unsicherheit über den Vermögensrückfluß ist iGBI = iZBI = iZBA + (lVEAlVEI), wobei im Extremfall von iZBA = 0 der Liquiditätsprämienspread die maximale Untergrenze des heimischen Zentralbank- und damit auch des Aktivzinssatzes determiniert. Dieser Zusammenhang gilt für alle Ökonomien außer derjenigen, die sich an der Spitze der Währungshierarchie befindet. 31 Zur Auseinandersetzung mit Argumenten basierend u.a. auf den Eigenschaften der Geschäftsbankenforderungen bei ansteigendem Kreditvolumen vgl. Betz (1993), S.66-68. Interne Restriktionen 227 ansteigen, wenn der Geschäftsbankensektor antizipiert, daß entweder die sich ausweitende Kreditnachfrage beispielsweise zu einem Überschießen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über das gesamtwirtschaftliche Angebot führt oder die Stabilität des Wechselkurses bei gesamtwirtschaftlich ansteigenden Fremdwährungsverbindlichkeiten gefährdet ist und dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, daß die Zentralbank auf solche Ungleichgewichtssituationen mit der Einleitung einer Stabilisierungskrise reagiert. Bei der Kreditvergabe in heimischer Währung und damit der Zinssatzbestimmung weisen Geschäftsbanken somit keine eigenständige Liquiditätsprämie auf, da ihre Aktiva und Passiva nominalwertgesichert sind und diese weder durch eine Abwertung noch durch inflationäre Prozesse einseitig entwertet werden können, wohingegen Vermögenseigentümer in ihrer Entscheidung zwischen dem Halten oder der Aufgabe von Liquidität der Gefahr einer solch einseitigen Entwertung ihres nominalen Vermögens – auch im Rahmen einer geschlossenen Volkswirtschaft – ausgesetzt sind, was die Liquiditätsprämie als Ausdruck der Vermögenssicherung überhaupt erst begründet. Lediglich ökonomische Akteure, die Forderungen und Verbindlichkeiten in unterschiedlichen Währungen in ihrem Portfolio aufweisen und damit ein Wechselkursrisiko tragen, werden neben dem Kalkül der Unsicherheit über den Vermögensrückfluß ebenso ein Kalkül der Vermögenssicherung bei der Bildung des Zinssatzes berücksichtigen. Geschäftsbanken, die Kredite in heimischer Währung vergeben, agieren jedoch statt dessen ausschließlich als Vermögensbesitzer,32 die lediglich zwischen dem Aufbau von Forderungen und Verbindlichkeiten gleichermaßen oder dem Verzicht auf das Eingehen dieser Forderungen und Verbindlichkeiten entscheiden können, weshalb makroökonomisch betrachtet der Grad der Sicherheit über den Vermögensrückfluß für die Geschäftsbanken die wesentliche Entscheidungsdeterminante für die Bestimmung von Preis, Menge und Frist des von ihnen offerierten Kreditangebots darstellt, da lediglich bei einem Forderungsausfall, aber konstanten Ver- —————— 32 Unter Vermögenseigentümern werden typischerweise Haushalte, aber auch zunehmend sogenannte institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Pensionsfonds subsumiert. Treten Banken ebenfalls als Portfolioanleger auf, so bilden sie selbstverständlich ebenfalls eine Liquiditätsprämie. Der funktionalen Trennung zwischen der Kreditvergabe einerseits und der Vermögensanlage andererseits bzw. zwischen der Unsicherheit über den Vermögensrückfluß und der Unsicherheit über den Vermögenserhalt tragen Banken häufig durch eine rechtliche Trennung zwischen dem traditionellen Kreditgeschäft und dem Fondsmanagement Rechnung. Geschäftsbanken werden in dieser Arbeit, so weit nichts anderes vermerkt wird, immer als Vermögensbesitzer verstanden. 228 Der keynesianische Staat bindlichkeiten gegenüber der Zentralbank sowie den Haushalten tendenziell sowohl ihre Liquidität als auch ihre Solvenz bedroht ist. Somit stellen bislang der von der Zentralbank vorgegebene Refinanzierungssatz als pekuniäre Kompensation der heimischen Liquiditätsprämie plus die von den Geschäftsbanken gebildete Unsicherheit über den Vermögensrückfluß die zwei wesentlichen makroökonomischen Einflußfaktoren auf die Bildung des Kreditzinssatzes dar und wirken als Restriktion auf den heimischen Einkommensbildungsprozeß, da bei einer positiven, aber unterhalb des Aktivzinsniveaus verbleibenden Grenzleistungsfähigkeit die Investitionen dennoch nicht durchgeführt werden können.33 Die über den Refinanzierungszinssatz mittelbare Berücksichtigung der von Vermögenseigentümern gebildeten Liquiditätsprämie bei der Bestimmung des Aktivzinssatzes impliziert jedoch keineswegs, daß vor der Versorgung der Ökonomie mit Geld durch die Zentralbank bereits ein exogenes Geldvermögen vorausgesetzt werden muß, sondern lediglich, daß in einer Volkswirtschaft direkt nach dem ökonomischen Urknall im Rahmen der ersten Runde, in der die Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse aufgebaut werden, der endogene, für den Vermögensmarkt gleichgewichtige Aktivzinssatz sowie das dazu korrespondierende Kreditvolumen unbestimmt sind. Unbestritten ist, daß Geld nur durch eine Kreditvergabe der Zentralbank gegenüber den Geschäftsbanken sowie der Geschäftsbanken an den Unternehmenssektor in die Ökonomie gelangen kann. Wenn der Zentralbank keine eigene Liquiditätsprämie unterstellt wird, sie somit ohne Existenz eines Vermögensmarktes nicht den gleichgewichtigen Zinssatz bestimmen und festlegen kann und wenn darüber hinaus von einer (monetaristisch geprägten) Omnipotenz der Zentralbank abgesehen wird, kann sie zum Zeitpunkt t = 0 lediglich ad hoc einen Refinanzierungszinssatz festlegen, da in diesem Moment eine Orientierung am Devisenmarktgleichgewicht aufgrund der (noch) nicht existierenden Devisenmarkttransaktionen unmöglich ist. Während die Zentralbank durch einen juristisch-administrativen Akt des Staates geschaffen wird, erfolgt die ökonomische Genese der Zentralbank jedoch erst dann, wenn sie ein Geld- und damit Kreditangebot nicht nur offeriert, sondern reali- —————— 33 Ein Anstieg der heimischen Investitionsausgaben erfolgt nur dann, wenn die erwartete Profitrate des Unternehmenssektors q UIe den Aktivzinssatz der Geschäftsbanken iGBI übersteigt: qUIe > iGBI = iZBI + uGBI, wobei in einer geschlossenen Volkswirtschaft iZBI = lVEI und in einer offenen Volkswirtschaft mit annahmegemäß einer international geringeren heimischen Liquiditätsprämie iZBI = iZBA + (lVEA – lVEI) gilt. Im Gleichgewicht stimmen (erwartete) Profitrate und Aktivzinssatz exakt überein. Interne Restriktionen 229 siert, d.h. erst in dem Moment, in dem sie ihre Aufgabe – Versorgung der Ökonomie mit Zahlungsmitteln – durch einen Forderungsaufbau gegenüber den Geschäftsbanken wahrnimmt, wird die Zentralbank ökonomisch betrachtet zur Zentralbank. Das bedeutet, daß sie in der ersten Runde dem Geschäftsbankensektor ein Geldangebot zu einem Zinssatz offerieren wird, das die Banken tatsächlich veranlassen wird, kurzfristige Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank einzugehen. Die Geschäftsbanken wiederum werden jedoch nur diese Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie dem Unternehmenssektor einen auf dem Zentralbankzinssatz basierenden Aktivzinssatz offerieren können, der es ihnen erlaubt, Forderungen gegenüber dem Unternehmenssektor aufzubauen. Die Höhe des sich in der ersten Runde der Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse bildenden Aktivzinssatzes wird deshalb als im wesentlichen von der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bestimmt interpretiert. Wird jedoch dem Geschäftsbankensektor unterstellt, beim ersten Kredit in heimischer Währung an den Unternehmenssektor – und nur um einen solchen kann es sich handeln, da die Geschäftsbanken sich annahmegemäß bei der heimischen Zentralbank verschulden – eine Liquiditätsprämie in der Bildung des Kreditzinssatzes zu berücksichtigen, so kann der Kritik, einen exogenen Geldvermögensbestand oder ein äquivalentes Substitut vor der Geldentstehung voraussetzen zu müssen, dennoch nicht entgangen werden, da eine Liquiditätsprämie Ausdruck der Disposition über (Geld-)Vermögen darstellt, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht existent ist, sondern erst als Resultat eines von der Geschäftsbank kreditfinanzierten Einkommensbildungsprozesses entstehen kann. Darüber hinaus bliebe das Argument der Omnipotenz gewahrt, auch wenn in dieser Fassung nicht der Zentralbank, sondern den Vermögensbesitzern alias Geschäftsbanken diese Fähigkeit übertragen würde. Erst wenn am Ende der Ableitungskette (Staat-Zentralbank-Geschäftsbankensektor-Unternehmenssektor-Haushalte) die Haushalte über ihre Faktoreinkommen verfügen und sie mit der Entscheidung konfrontiert sind, bis zu welchem Anteil sie von ihrem von Steuern bereinigten Einkommen positive Ersparnisse im Sinne einer Nettovermögensbestandsänderung der laufenden Periode bilden bzw. ob und in welcher Währung sie überhaupt Liquidität halten wollen, sind alle Marktakteure in den Marktprozeß integriert und ein endogener Geldangebotsprozeß ist möglich. Eine solche Interpretation weist zwei Vorteile auf: Erstens müssen zu Beginn der Ableitungskette weder ein gegebener Bestand an physischen Ressourcen noch ein durch Preise bewerteter Sachvermögensbestand, mit denen die Haushalte den Einkommensbildungsprozeß limitieren könnten, vorausgesetzt werden. Sowohl Geld- als auch Sachvermögen werden erst als Ergebnis des Produkti- 230 Der keynesianische Staat onsprozesses gebildet werden, zumal die zu Beginn einer Geldökonomie tatsächlich vorhandenen physischen Ressourcen erst im Rahmen des Produktionsprozesses bewertet werden können, deren Bewertung jedoch nicht dem Produktionsprozeß exogen vorgelagert sein darf. Zweitens weist diese Interpretation einen Geldangebotsprozeß auf, der in einer geschlossenen Volkswirtschaft endogen Preisniveaustabilität gewährleistet und in einer offenen Volkswirtschaft aufgrund des Währungswechsels in wirtschaftlicher Marginalisierung von bestimmten Ökonomien resultiert. Sollten Geschäftsbanken als Vermögensbesitzer die Liquiditätsprämie jedoch bereits autonom in ihrem Aktivzinssatz berücksichtigen, so könnte in einer geschlossenen Volkswirtschaft mit einer geringen Liquiditätsprämie lediglich die Zentralbank Garant für Preisniveaustabilität sein, da Vermögensbesitzer kein Kalkül aufweisen, den Kreditangebotsprozeß aufgrund inflationärer Effekte, insbesondere wenn von einer unendlich zinselastischen Kreditangebotskurve ausgegangen wird, einzuschränken: Je geringer die ›Liquiditätsprämie‹ alias Unsicherheit über den Vermögensrückfluß von Geschäftsbanken, desto geringer der von ihnen geforderte Aktivzinssatz, desto höher die Rückzahlungsfähigkeit der Unternehmen und desto geringer die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß etc. Darüber hinaus weist letztere das Risiko auf, eine Zins- und damit Wachstumkonvergenz zu beinhalten. So lange die Zentralbank nicht interveniert, müssen in einer (geschlossenen) Volkswirtschaft mit einer geringen ›Liquiditätsprämie‹ aufgrund des niedrigen Aktivzinssatzniveaus kumulative positive Mengeneffekte prognostiziert werden und in einer offenen Volkswirtschaft, in der die Zentralbank die geringe ›Liquiditätsprämie‹ durch eine Erhöhung des Refinanzierungszinssatzes zu kompensieren versucht, entweder über alle Ökonomien hinweg ein konstanter Realzins abgeleitet oder Realzinsdifferenzen lediglich auf eine unterschiedliche Geldpolitik der nationalen Zentralbanken zurückgeführt werden. 5.2.2 Preis- und Mengeneffekte Bei einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kann der Unternehmenssektor kurzfristig die Outputmenge durch einen Lagerabbau und der Ausnutzung bereits existierender Produktionskapazitäten bis zur Kapazitätsgrenze variieren. Darüber hinaus verbleiben den Unternehmen zur Anpassung in der kurzen Frist lediglich entweder eine Preiserhöhung oder bei gegebenen inländi- Interne Restriktionen 231 schen Preisen eine Verlängerung der Lieferzeiten sowie ein vermehrter Bezug der Produkte aus dem Ausland. Selbst unter der Annahme, daß der Lagerabbau sowie die Ausweitung der Produktionslaufzeiten bei gegebenen Kapazitäten ohne jegliche Preisaufschläge seitens der Unternehmen erfolgen, entscheiden der Ursprung der Nachfrageerhöhung und die Einschätzung des Unternehmenssektors über ihre Dauer darüber, in welchem Umfang nicht nur positive Preis-, sondern auch zusätzliche positive Mengeneffekte entstehen. Reflektieren die Unternehmen den Nachfrageüberschuß als vorübergehend, realisieren die Unternehmen lediglich eine Gewinnmitnahme durch (zeitweilige) Preiserhöhungen ihrer Produkte, erweitern jedoch nicht ihre Kapazitäten. Darüber hinaus kann eine Belastung der Leistungsbilanz a priori überhaupt nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage allein auf einen Impuls der Exportnachfrage zurückzuführen ist und somit den anwachsenden Importausgaben entsprechend oder sogar überproportional höhere Exporterlöse gegenüberstehen. Neben der Verbesserung der Nettovermögensposition einer Ökonomie basiert darauf die scheinbar ungebrochene Attraktivität eines von Exporten getragenen Wachstums bzw. des Handelsmerkantilismus. Ist die Exportnachfrage nicht oder nicht vorwiegend Ursache für die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, drückt sich der vermehrte Bezug von Vor- oder auch Endprodukten in einer höheren Fremdwährungsnachfrage auf dem Devisenmarkt aus, die ceteris paribus die aktuelle Notierung des Wechselkurses schwächt und das Devisenmarktgleichgewicht zu destabilisieren droht. Eine Ausweitung der Produktionskapazitäten in Form von Neu- und Erweiterungsinvestitionen mit einer erwarteten Profitrate mindestens in Höhe des Kreditzinssatzes (qUIe iGBI) wird somit erst getätigt, wenn einerseits die Ausweitung der Nachfrage als von Dauer eingeschätzt wird, was sich in einem Anstieg der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals widerspiegelt, und nachdem andererseits bereits vorhandene Produktionskapazitäten nahezu ausgeschöpft sind. Ein Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Investitionsniveaus geht deshalb nicht nur mit positiven Mengen-, sondern auch tendenziell (zunächst) mit positiven Preiseffekten einher und dies unabhängig davon, ob in der jeweiligen Ökonomie eine Unterbeschäftigung und somit Arbeitslosigkeit vorherrscht. »(...) (D)as Postulat eines simultanen Auftretens des Preis- und Mengeneffekts eines Nachfrageimpulses (erhält) seine markttheoretische Begründung durch Angebotsbeschränkungen, von denen angenommen wird, daß sie bei jeder Beschäftigungshöhe auftreten. Diese Unterstellung folgt der generellen Logik von Preis-MengenBeziehungen, deren mikrotheoretische Grundlage in einen makrotheoretischen 232 Der keynesianische Staat Kontext transponiert werden. Ihre marktheoretische Begründung erhält sie dadurch, daß insbesondere bei langfristiger Unterbeschäftigung Kapazitäten abgebaut werden, so daß bei einzelnen Anbietern, vor allem aber in bestimmten Branchen Nachfrageimpulse zu Preissteigerungen führen.«34 Selbst wenn eine identische Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zwischen Entwicklungs- und Industrieländern unterstellt wird, weisen erstere aufgrund des durch die niedrigere Liquiditätsprämie bedingten höheren Zinsniveaus entweder ein geringeres Investitionsvolumen sowie insgesamt geringere Produktionskapazitäten auf und geraten deshalb in einem früheren Stadium der Einkommensbildung an ihre Kapazitätsgrenzen als Industrieländer, oder die höheren Kreditkosten müssen bei gleichem Produktivitätsfortschritt und konstantem Wechselkurs durch niedrigere Lohnstückkosten kompensiert werden. Ein gesamtwirtschaftlich höheres Zinsniveau impliziert somit weder die Anwendung arbeitsintensiverer Produktionstechnologien noch eine höhere Arbeitsnachfrage: Ersteres nicht, da das höhere Zinsniveau ›lediglich‹ eine am gesamten Faktoreinkommen gemessene relativ geringere Lohn- und Gehaltssumme und damit bereits vor Besteuerung eine deutlich konzentriertere Einkommensverteilungsstruktur erzwingt, jedoch keine Rückschlüsse auf die dabei eingesetzte Technologie zuläßt, und letzteres nicht, da bei nicht ausreichend niedrigen Lohnstückkosten die Investitionen und damit die Arbeitsnachfrage überhaupt nicht realisiert werden. Ein in einer solchen Konstellation einsetzender Akkumulationsprozeß, der von einer Gewinninflation begleitet wird,35 verstanden als über dem Gleichgewicht liegende Extraprofite, die aus einem Überschuß der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über das bestehende Angebot resultieren und sich in einem Preisniveauschub ausdrücken, birgt deshalb in Entwicklungsländern aufgrund der begrenzteren Kapazitäten und des —————— 34 Riese (1986), S.136. 35 Zur analytischen und formalen Ableitung sowohl einer Gewinn- als auch Einkommensin- flation siehe Riese (1986), S.47-52 sowie S.133-145. Unter Einkommensinflation werden bei gegebener Einkommensverteilung Nominallohnerhöhungen verstanden, die den Produktivitätszuwachs übersteigen. Die gesamten Gewinne können in zwei Komponenten aufgeteilt werden: Einerseits die von der Angebotsseite kalkulierten Normalgewinne, die exakt eine Begleichung der Faktorkosten ermöglichen, und andererseits die sogenannten Extraprofite, die aus einer Abweichung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vom Angebot resultieren. Während positive Extraprofite eine Gewinninflation repräsentieren, stellen negative Extraprofite eine Gewinndeflation dar. Von den beiden Gewinnkomponenten drückt sich in der Entwicklung der (positiven bzw. negativen) Extraprofite ex post die jeweils vorherrschende makroökonomische Konstellation aus, auf die sich ex ante die Erwartungsbildung des Unternehmens- sowie Geschäftsbankensektors bezieht. Interne Restriktionen 233 generell niedrigen Lohnniveaus bereits im Anfangsstadium die Gefahr einer Preis-Lohn-Preis-Spirale in sich.36 Eine notwendige Bedingung für das Leisten des Geldvorschusses durch den Unternehmer in die Produktion stellen zwar Profiterwartungen dergestalt dar, daß der besagte Geldvorschuß aus dem durch den Verkauf der zusätzlichen Produktion zu erzielenden Rückflüsse getilgt werden kann, aber erst die tatsächliche Realisierung der für die Refundierung des Kredites notwendiger Profite versetzt das Unternehmen in die Lage, als Marktakteur zu überleben. Während eine sinkende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals positive Mengen- und Preiseffekte ausschließt, ist ihre Wirkung auf die Vernichtung gegebener Kapazitäten sowie den Preisbestimmungsprozeß ex ante nicht eindeutig. Entspricht demgegenüber der realisierte Gewinn der Unternehmen nicht nur nicht ihren jeweiligen Profiterwartungen, sondern erwirtschaftet ein Teil der Unternehmen beispielsweise aufgrund eines Angebotsüberschusses einen Verlust bzw. ist der Unternehmenssektor, in anderen Worten, mit einer Gewinndeflation konfrontiert, erfolgt gesamtwirtschaftlich betrachtet ein Verdrängungswettbewerb, im Verlauf dessen negative Mengen- und möglicherweise auch negative Preiseffekte eintreten, wobei die Liquidität des Unternehmenssektors die Geschwindigkeit der Anpassung und die Stabilität der Nominallöhne das Ausmaß negativer Preiseffekte determinieren. »Wenn ein Unternehmer aus irgendeinem Grunde über die Aussichten enttäuscht ist, stehen ihm von zwei möglichen Wegen einer oder alle beide offen: er kann seine Produktion einschränken oder er kann seine Kosten dadurch vermindern, daß er den Produktionsfaktoren niedrigere Angebote macht. Keine dieser Maßnahmen wird, wenn sie von der gesamten Unternehmerschaft getroffen wird, ihre Gesamtverluste im geringsten vermindern, sofern sie nicht die indirekte Wirkung hat, die Spartätigkeit zu vermindern oder die Banken in den Stand zu setzen bzw. sie zu veranlassen, ihre Kreditbedingungen zu erleichtern und dadurch die Investition zu erhöhen (nichts davon haben die Unternehmer im Sinn), während auf der anderen Seite wahrscheinlich die beiden Maßnahmen ihre Verluste durch eine Reduktion der Investitionskosten noch erhöhen.«37 Von einem allokationstheoretischen Standpunkt aus betrachtet, ist es unerheblich, ob die Anpassungen des Unternehmenssektors über Mengen- oder Preiseffekte verlaufen: Ersteres bedingt, daß der Abbau von Kapazitäten von —————— 36 Ein inflationärer Prozeß im Sinne einer Preis-Lohn-Preis-Spirale wird durch eine Gewinn- inflation ausgelöst und vermittelt über eine Einkommensinflation aufrechterhalten, die bei unveränderter Geldpolitik eine weitere Gewinninflation usw. hervorruft. 37 Keynes, J.M. (1932), Vom Gelde, Berlin: Duncker und Humblot, S.131. 234 Der keynesianische Staat einem entsprechenden Abbau eines Teils der Beschäftigten bei konstanten Nominallöhnen begleitet wird, dagegen erfordert letzteres eine äquivalente Reduktion der Nominallöhne bei konstanten Kapazitäten bzw. unveränderter Anzahl der Beschäftigten. Unter preistheoretischen und stabilitätspolitischen Aspekten ist es demgegenüber von entscheidender Relevanz, ob die Anpassungen ausschließlich mengen- oder auch preisvermittelt erfolgen. Während ein Abbau von Kapazitäten ergänzt um Entlassungen bei konstanten Preisen in wirtschaftlicher Stagnation, sozialer Marginalisierung der arbeitslosen Haushalte und insgesamt einer Verschlechterung der Einkommensverteilung resultieren, verursachen Nominallohnsenkungen tendenziell deflationäre Tendenzen. Eine Kostensenkung erlaubt dem einzelnen Unternehmen, die Preise seiner Produkte und Dienstleistungen entsprechend der Kostenreduktion in der Erwartung zu senken, dadurch die Umsatzmenge zu steigern und so weitere Verluste zu verhindern bzw. die Insolvenz abzuwenden. Dabei stellt die Lohn- und Gehaltssumme denjenigen Kostenfaktor dar, der insbesondere in der kurzen Frist aus Sicht der Unternehmen am erfolgversprechendsten verhandelbar ist, da die Unternehmen einerseits in einem System der Käufermärkte als Arbeitsnachfrager auftreten und andererseits weil ihnen, sollten die Verhandlungen scheitern, eine mit relativ geringen Kosten verbundene Alternative in Form von Entlassungen zur Verfügung steht. 38 Beide Faktoren zusammengenommen, welche die Unternehmen gegenüber den Arbeitsanbietern mit einer stärkeren Verhandlungsposition ausstatten, begründen die einzelwirtschaftliche Attraktivität von Kostensenkungen im Bereich der Nominallöhne zur Bereinigung eines durch einen Angebotsüberschuß bedingten profit squeeze. Der Erfolg einer solchen Strategie – ebenso wie derjenige eines abwertungsorientierten Handelsmerkantilismus – ist jedoch daran gebunden, daß die jeweiligen Konkurrenten ihre Preise unverändert belassen. In einer Konstellation des Angebotsüberschusses und einer damit einhergehenden Gewinndeflation, existiert jedoch kein Grund anzunehmen, daß Konkurrenten, die durch die Preissenkung eines anderen Anbieters weitere Marktanteile zu verlieren drohen, nicht ihrerseits Nominallohnsenkungen für entsprechende Preisreduktionen durchzusetzen versuchen. Selbst unter der Annahme einer zeitgleichen und gleichmäßigen Synchronisierung der Reduktion aller Zahlungsströme mündet —————— 38 Gegenüber Vermietern oder Lieferanten treten Unternehmen ebenfalls als Nachfrager auf; die jeweiligen Alternativen im Falle eines Verhandlungsabbruchs sind jedoch teilweise mit hohen Kosten (Umzugs-, Such- oder Qualitätsfeststellungskosten) verbunden. Ausgenommen davon sind Zulieferer, deren Umsatz wesentlich von einem Unternehmen dominiert wird und die sich deshalb in einer ähnlichen Position wie die Arbeitsanbieter befinden. Interne Restriktionen 235 eine Deflation gesamtwirtschaftlich in einem Zusammenbruch des Unternehmens- und gegebenenfalls Bankensektors, da aufgrund der Konstanz des Bestandes an Verbindlichkeiten der Unternehmen gegenüber den Banken eine reale Aufwertung der Kreditschuld erfolgt, welche die Zahlungsunfähigkeit hervorruft – ein Effekt, der bei einer Abwertung der heimischen Währung für in Fremdwährung verschuldete Unternehmen, die ihre Umsätze in heimischer Währung generieren, ebenfalls eintritt. Aus keynesianischer Sicht muß dennoch weder Unwissenheit noch Irrationalität seitens der privaten Marktteilnehmer unterstellt werden, um zu erklären, warum Unternehmen dennoch versuchen, durch Nominallohnsenkungen der Zahlungsunfähigkeit zu entgehen »Immerhin werden sich diese Mittel den Unternehmern empfehlen, weil, sofern eine Gruppe von Unternehmern sich eines von ihnen in höherem Grade bedienen kann als der Durchschnitt, sie dadurch in die Lage versetzt werden, sich zu schützen.«39 Was aus der Sicht eines Unternehmens selbst bei korrekter Antizipation der Reaktion der jeweiligen Konkurrenten durchaus rational sein kann, verursacht gesamtwirtschaftlich jedoch desaströse Konsequenzen. Nominallohnsenkungen stellen deshalb in einer keynesianischen Ökonomie kein adäquates Mittel weder zur Überwindung eines temporär auftretenden Angebotsüberschusses und eines damit einhergehenden profit squeeze noch generell eine investitionsinduzierende Maßnahme als Kompensation für höhere Zinsen und einer Steigerung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals in Entwicklungsländern dar. Demgegenüber erhalten Arbeitnehmervertretungen, tarifliche Regelungen, die Nominallohnsenkungen ausschließen, sowie branchenweit gültige Lohnabschlüsse eine zentrale Bedeutung für die Stabilität des Preissystems und damit der Ökonomie. 5.2.3 Grenzen der Geld- und Fiskalpolitik Während das synchronische Auftreten von Preis- und Mengeneffekten der staatlichen Wirtschaftspolitik eindeutige Resultate verweigert und somit immer die Möglichkeit eines Scheiterns im Sinne der Generierung unerwünschter Effekte beinhaltet, bindet es den Erfolg wirtschaftspolitischer Optionen im Sinne der Induzierung erwünschter Effekte an die Existenz bestimmter Marktkonstellatio- —————— 39 Keynes (1932), S.131-132. 236 Der keynesianische Staat nen, was im folgenden auf der Basis von drei unterschiedlichen Gütermarktkonstellationen exemplifiziert werden soll: 5.2.3.1 Gütermarktgleichgewicht YD = YS Ein Gütermarktgleichgewicht unter Bedingung eines Devisenmarktgleichgewichtes als Ausdruck der Berücksichtigung der externen Restriktion des Einkommensbildungsprozesses impliziert in einem Entwicklungsland aufgrund der geringeren heimischen Liquiditätsprämie nicht nur ein höheres Zinsniveau, sondern als Folge des höheren Zinsniveaus insgesamt geringere Produktionskapazitäten. Selbst wenn sowohl eine identische Grenzleistungsfähigkeit als auch Unsicherheit über den Vermögensrückfluß von in- und ausländischem Währungsraum angenommen werden, erfordert die Kreditfinanzierung der Investitionen in heimischer Währung in Entwicklungsländern die Realisierung einer durchschnittlich höheren Profitrate, welche dementsprechend die Anzahl und das Volumen der Investitionen limitiert.40 Da der Umfang der Arbeitsnachfrage seitens der Unternehmen von ihren Investitionsentscheidungen determiniert wird, entspricht der geringeren Kreditnachfrage der Unternehmen selbst bei gleicher Technologie eine geringere Anzahl der Beschäftigten oder geringere Nominallöhne bzw. einer Kombination aus beiden. Der Umstand, daß in Entwicklungsim Vergleich zu Industrieländern offiziell deutlich weniger Haushalte als arbeitslos gemeldet sind, kann deshalb nicht als Resultat einer hohen Arbeitsnachfrage interpretiert werden, sondern ist Ausdruck eines nicht existenten zweiten staatlich organisierten Arbeitsmarktes sowie gering entwickelter Sozialversicherungssysteme, welche die als arbeitslos zu klassifizierenden Haushalte, die sich dadurch auszeichnen, daß sie einerseits kein Arbeitsverhältnis im formellen Sektor aufweisen, aber andererseits ein solches anstreben, innerhalb des informellen Sektors zur Aufnahme von jeglicher Art von Tätigkeiten, häufig sogar als sogenannte Selbständige, zwingt, um überhaupt über ein monetäres oder gar in Gütern bemessenes Einkommen zu verfügen. —————— 40 Unter Abstraktion des individuellen Investitionsrisikos und der Transaktionskosten der Geschäftsbanken sowie identischer Unsicherheit über den Vermögensrückfluß uGBI = uGBA bzw. Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals qUIe = qUAe muß im Gleichgewicht wegen q UI = iGBI = iZBI + uGBI = iZBA + (lVEA – lVEI) + uGBI im Inland und qUA = iGBA = iZBA + uGBA = lVEA + uGBA im Ausland sowie lVEI < lVEA gelten: iGBI > iGBA und somit qUI > qUA. Im Vergleich zum Ausland können dementsprechend im Inland Investitionsprojekte nicht durchgeführt werden, die folgende positive Profitrate aufweisen: qUI > iGBA qUI < iGBI. Interne Restriktionen 237 Wenn den ökonomischen Akteuren Rationalität unterstellt wird, kann das geringere Niveau der gesamtwirtschaftlichen Einkommensbildung nicht ohne Auswirkung auf den Erwartungsbildungsprozeß von Unternehmen und Geschäftsbanken gleichermaßen bleiben. Identischen Investitionsprojekten werden deshalb bei sonst gleichem Risiko einerseits eine höhere Unsicherheit über den Vermögensrückfluß seitens der heimischen Geschäftsbanken und andererseits eine geringere Grenzleistungsfähigkeit seitens der heimischen Unternehmen jeweils im Vergleich zu ihren ausländischen Pendants zugeordnet, wobei letzteres sich in einer weiteren, diesmal jedoch erwartungsinduzierten Reduzierung der Kreditnachfrage und ersteres sich in einer diesbezüglichen Erhöhung der Kosten des Kreditangebotes widerspiegeln.41 Insofern ist das von Strukturalisten beklagte zögerliche Investitionsverhalten heimischer Unternehmen nicht auf eine geringere Preiselastizität des Angebotes in Entwicklungs- im Vergleich zu Industrieländern oder etwa auf ›oversanguine expectations‹ – wie Hirschman es ausdrückte – zurückzuführen, sondern ist Resultat unterschiedlicher gesamtwirtschaftlicher Entwicklungs- und damit Investitionsbedingungen, die sich in den jeweiligen Ertragserwartungen reflektieren und somit in divergierenden Entscheidungen über Kapazitätsveränderungen münden. Der finanzielle Spielraum der Fiskalpolitik zur Gegensteuerung stagnativer Tendenzen ist in einem Entwicklungsland jedoch sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch der Ausgaben stärker begrenzt. Bei gleicher Definition der Steuerbemessungsgrundlage und gleichem Steuersatz verfügt der Staat in einem Entwicklungsland aufgrund der geringeren Einkommensbildung über entsprechend geringere Steuereinnahmen, während gleichzeitig die Finanzierung des Budgetdefizits in der heimischen Währung höhere Zinskosten verursacht, so daß ein gegenüber dem Ausland höheres Budgetdefizit in Kauf genommen werden muß. Soll dennoch ein identischer Budgetsaldo erzielt werden, so ist eine Anhebung der Steuersätze oder die Reduzierung der sonstigen Ausgaben bzw. eine Kombination aus beiden erforderlich. Der Einsatz des Zinsinstrumentariums wiederum ist durch den Zwang zur Einhaltung der externen Restriktion ausgeschlossen, auch wenn Keynes bisweilen diese Restriktion durch die Etablierung einer staatlichen Institution als überwindbar betrachtete: »Das heißt, Arbeitslosigkeit entwickelt sich, weil die Menschen dem Mond nachjagen; – es ist nicht möglich, Menschen zu beschäftigen, wenn der Gegenstand des Verlangens (das heißt Geld) etwas ist, was nicht er- —————— 41 Wegen uGBI > uGBA und qUIe < qUAe bei Vernachlässigung der Transaktionskosten, aber gleichem Investitionsrisiko. 238 Der keynesianische Staat zeugt werden kann, und dessen Nachfrage nicht ohne weiteres unterdrückt werden kann. Es gibt nur das Heilmittel, die Bevölkerung zu überzeugen, daß Grünkäse sozusagen die gleiche Sache ist, und eine Grünkäsefabrik (das heißt eine Zentralbank) unter öffentlicher Leitung zu haben.«42 Wirtschaftsakteure fragen jedoch nicht deshalb Geld nach, weil Geld aufgrund seiner geringen Elastizität der Erzeugung einen hohen Knappheitsgrad aufweist, sondern Geld ist knapp, weil Wirtschaftsakteure es halten und damit auf ein Angebot an Geld verzichten oder weil die Zentralbank das von ihr emitierte fiat money knapp hält, damit es die Funktionen der Vermögenssicherung und Kontrakterfüllung auch zukünftig ausfüllen kann. Insofern ist die Versorgung einer Ökonomie mit Geld keine technische Funktion, da jede Zentralbank ausreichend bunt bedrucktes Papier bereitzustellen in der Lage ist, sondern in ihrem Kern eine ökonomische, welche die Wahrung der Akzeptanz des von ihr bunt bedruckten Papiers als Geld und damit mindestens als Zahlungsmittel durch die Wirtschaftsakteure beinhaltet. Entsprechend muß ein Versuch, der Knappheit des Mediums Geld, welche sowohl die Produktion als auch die Beschäftigung relativ überschüssig hält, durch eine staatlich organisierte Entknappung des Geldes zu begegnen, bereits allein an der dadurch ausgelösten Portfolioumschichtung von heimischer zu Fremdwährung seitens der privaten Wirtschaftsakteure scheitern, ohne daß hieraus automatisch positive Effekte für Produktion und Beschäftigung induziert werden könnten. Eine hohe Nachfrage nach greenbacks ist somit nicht Folge der Inelastizität des Geldes bezüglich seiner Erzeugung, wiewohl die heimische Zentralbank Fremdwährung wie es der US-Dollar darstellt tatsächlich nicht autonom zu generieren vermag, sondern Ausdruck der relativen Knappheit des greenback oder, anders formuliert, der bereits vorhandenen relativen Entknappung der heimischen Währung gegenüber der Fremdwährung, was sich in einer entsprechend geringeren Liquiditätsprämie der heimischen Währung und als dessen Folge eines relativ hohen Zinsniveaus widerspiegelt. Die Wirtschaftsakteure sind somit mittels ihrer Dispositionen auf dem Devisen- und heimischen Vermögensmarkt in der Lage, die Aktivitäten der Zentralbank ad absurdum zu führen – was Keynes auch in der General Theory im Gegensatz zu allen postkeynesianischen Rezeptionen, die von Preis- und Vermögenseffekten abstrahieren, durchaus bewußt war: »Denn es ist unwahrscheinlich, daß eine Vermögensform, deren Angebot leicht vermehrt werden kann oder nach der das Verlangen durch eine Änderung im verhältnismäßigen Preis leicht abgelenkt werden kann, in den Gedanken der Besitzer von Reichtum die Eigenschaften der »Liqui- —————— 42 Keynes (1974), S.197. Interne Restriktionen 239 dität« haben wird. Selbst das Geld verliert rasch die Eigenschaft der »Liquidität«, wenn angenommen wird, daß ein zukünftiges Angebot scharfen Änderungen unterworfen sein wird.«43 5.2.3.2 Angebotsüberschuß: YS > YD Die aus einem Angebotsüberschuß resultierende Gewinndeflation verursacht eine Verletzung der einzelwirtschaftlichen Budgetrestriktion und ruft Anpassungen in Form von Rationalisierungen, Abbau von Kapazitäten, Entlassungen und Konkursen seitens des Unternehmenssektors hervor. Weiterhin mündet sie in einer Reduzierung der Gewinne des Geschäftsbankensektors aufgrund höherer Rücklagen als Folge der Umbewertung ausstehender Kredite und entsprechenden Abschreibungen auf als uneinbringbar eingestufte Forderungen. Entlassungen von Arbeitnehmern stellen einzelwirtschaftlich betrachtet eine Kostenentlastung dar, gesamtwirtschaftlich jedoch resultiert die geringere Lohn- und Gehaltssumme in einer (zusätzlichen) Abschwächung der privaten Nachfrage. Insofern wird sich der Zustand des Vertrauens des Unternehmens-, aber auch des Geschäftsbankensektors nicht nur wegen der Frustration der von ihnen in der Vergangenheit gebildeten Ertragsaussichten in der Gegenwart, sondern vor allem aufgrund der zukünftig zu erwartenden rückläufigen Investitions- und Konsumgüternachfrage verringern. Somit werden ceteris paribus die gegenwärtig gebildeten Ertragserwartungen hinsichtlich der zukünftigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sinken, wobei eine Abnahme der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu einer Reduzierung der Kreditnachfrage bei gegebenem Zinssatz und eine Erhöhung der Unsicherheit über den Vermögensrückfluß vermittelt über ein Anstieg des Aktivzinssatzes zu einer Reduzierung des Kreditangebotes bei gegebener Grenzleistungsfähigkeit führen wird. »Die Tatsache, daß ein Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Neigung hat, mit einer Erhöhung des Zinsfußes verbunden zu sein, kann somit die Abnahme der Investition ernstlich verschärfen. Das Wesentliche der Lage ist aber trotzdem im Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu finden, besonders im Fall jener Arten von Kapital, die am meisten zu der vorherigen Phase der großen Neuinvestitionen beigetragen haben.«44 Selbst wenn beispielsweise aufgrund abnehmender Importe im Zuge der Wachstumsschwäche die Einhaltung der externen Restriktion eine Zinssatzsen- —————— 43 Keynes (1974), Fußnote 1, S.202. 44 Keynes (1974), S.267. 240 Der keynesianische Staat kung durch die heimische Zentralbank erlaubt, ist nicht nur ungewiß, ob der vom Devisenmarkt ausgehende geldpolitische Spielraum ausreichend für eine Stabilisierung der Profiterwartungen ist, sondern ob eine Zinssatzsenkung allein eine solche Stabilisierung überhaupt zu erzielen vermag. Die Zentralbank kann lediglich über eine Politik der Geldverknappung den ökonomischen Akteuren ihren wirtschaftspolitischen Kurs aufzwingen, Ertragserwartungen und damit einen auf der Regeneration von Erwartungen basierenden Investitionsprozeß mit Hilfe der Geldpolitik zu steuern, ist ihr ebenso wenig unmittelbar möglich wie einen Anstieg der privaten Konsumnachfrage bei gleichzeitig sinkendem verfügbarem Haushaltseinkommen zu erwirken. Während ein restriktiver Einsatz des Zinsinstrumentariums unmittelbar die Kreditkosten erhöht und somit bei gegebener Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und gegebener Unsicherheit des Vermögensrückflusses das gesamtwirtschaftliche Investitionsvolumen reduziert, verbessert eine Zinssatzsenkung zunächst nur die Liquiditätsposition des Geschäftsbankensektors und bei entsprechender Weitergabe der Zinsreduktion ebenfalls diejenige der bei den Geschäftsbanken bereits verschuldeten Akteure, ohne jedoch unmittelbar eine Verbesserung der Ertragserwartungen und daraus folgend eine Erhöhung der Kreditnachfrage induzieren zu können. »Für den Augenblick aber kann der Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so vollständig sein, daß keine durchführbare Senkung des Zinsfußes groß genug sein wird. Wenn eine Senkung des Zinsfußes an sich ein wirksames Heilmittel sein könnte, wäre es möglich, einen Anstieg ohne beträchtlichen Zeitverlust und durch mehr oder weniger unmittelbar unter der Leitung der geldlichen Behörde stehende Mittel zu vollbringen. (...) Es ist die Rückkehr des Vertrauens, um in gewöhnlicher Sprache zu reden, die sich in einer Wirtschaftsform des individualistischen Kapitalismus einer Kontrolle gegenüber so unzugänglich verhält.«45 Auch wenn die Anpassungen des Unternehmens- und Geschäftsbankensektors vorwiegend über negative Mengeneffekte erfolgen und eine von den Nominallöhnen ausgehende Deflationsgefahr vorerst gebannt ist, spiegelt sich ein Angebotsüberschuß in einer Reduzierung der Steuereinnahmen und je nach Vorhandensein eines staatlichen sozialen Sicherungssystems in der Erhöhung der Ausgaben wider, so daß ceteris paribus das Haushaltsdefizit krisenbedingt ansteigt. Eine Fiskalpolitik, die sich mittels der Reduzierung der staatlichen Nachfrage sowie von Steuererhöhungen zum Ziel setzt, das Haushaltsdefizit in Relation zum Inlandsprodukt im Vergleich zu einer Konstellation des Gütermarktgleichgewichtes konstant zu halten, erhöht den Angebotsüberschuß und dementspre- —————— 45 Keynes (1974), S.268. Interne Restriktionen 241 chend den auf den Unternehmenssektor wirkenden Profit Squeeze. Während der Unternehmenssektor der staatlichen Ausgabensenkung nicht entgehen kann, bestimmen der Monopolisierungsgrad sowie das Ausmaß des Verdrängungswettbewerbes, ob und in welchem Umfang der Unternehmenssektor eine höhere Steuerbelastung an die Endverbraucher überwälzen kann. Bei einer Überwälzung der Steuererhöhung stellt sich als Marktergebnis der im Zuge der Krise eingeleiteten Anpassungsversuche des Unternehmens- und Geschäftsbankensektors und des Staates eine Situation der gesamtwirtschaftlichen Stagnation begleitet von einem Preisniveauschub ein. Ist eine Überwälzung lediglich gering möglich oder gar ausgeschlossen, so erfolgt ein steuerinduzierter Anstieg der negativen Extraprofite, wodurch eine weitere Runde des Kapazitätsabbaus und in dessen Folge von Entlassungen ausgelöst wird, welche die Gefahr des Umsturzes der Ökonomie von einer Rezession in eine Depression beinhalten. Da sowohl der Grad der Monopolisierung als auch die Intensität des Verdrängungswettbewerbes nach Branchen und Sektoren variieren, wird die Ökonomie eine Kombination von depressiven und stagflativen Tendenzen gleichzeitig aufweisen, was den Zinssatzsenkungsspielraum der Zentralbank limitiert. Während ein fiskalpolitisches Austeritätsprogramm aufgrund des damit verbundenen Nachfrageausfalls somit zweifellos den Erwartungsbildungsprozeß des Unternehmens- und Geschäftsbankensektors negativ beeinträchtigt, ist seine Wirkung auf die Höhe des Budgetdefizits aufgrund der Abhängigkeit der Steuereinnahmen von den in der Ökonomie vorherrschenden Wachstumsraten des Inlandsproduktes oder, allgemeiner gesprochen, von der Dynamik der Einkommensbildung, ex ante unbestimmt. »Die Finanzpolitik ist somit Opfer sinkender Steuereinnahmen, wird jedoch aber auch zum Täter, wenn sie durch Sparmaßnahmen in der Krise eine stagnierende Einkommensbildung stützt und die Profiterwartungen gegenüber dem Zinssatz weiter destabilisiert – ohne dabei, wenn überhaupt, das Budgetdefizit mehr als beiläufig vermindern zu können.«46 Im Extremfall mündet deshalb ein Austeritätsprogramm gerade wegen der Reduzierung der Staatsnachfrage und gegebenenfalls der Erhöhung der Steuersätze in einem Anstieg des Haushaltsdefizits bzw. der staatlichen Verschuldung. Ein aus Sicht der betroffenen Akteure unfreiwilliges Ausscheiden aus dem Marktprozeß in Form von Konkursen und Entlassungen im Zuge des Abbaus der Produktionskapazitäten verursacht bei gegebenem Steuersatz jedoch nicht nur einen Einbruch der staatlichen Steuereinnahmen, sondern resultiert darüber hin- —————— 46 Riese, H. (1998), Zur Reformulierung der Theorie der Makropolitik, in: Heise, A. (Hrsg.), Renaissance der Makropolitik, Marburg: Metropolis, S.25-40, S.37. 242 Der keynesianische Staat aus in einem Entwicklungsland mit keinem oder nur marginal existierenden Sozialversicherungssystem notwendigerweise in einem Anstieg der informellen Ökonomie, der ceteris paribus nur durch eine dauerhafte Arbeitsemigration abgeschwächt werden kann. Unabhängig davon, welche der vier Nachfragekomponenten den Angebotsüberschuß hervorgerufen hat, werden sich aufgrund der Anpassungen des Unternehmenssektors sowohl ihre Investitions- als auch die Konsumnachfrage der privaten Haushalte im Verlauf der Krise reduzieren, so daß, wenn von der Auslandsnachfrage abgesehen wird, der Staat als einziger Akteur in einer Konstellation des Angebotsüberschusses die Binnenökonomie zu stabilisieren vermag, in dem er seine gegenwärtigen Ausgaben zumindest beibehält und er sie somit weder aufgrund des geringeren laufenden Steueraufkommens noch aufgrund der zukünftig erwarteten niedrigeren Steuereinnahmen nach unten korrigiert. Hieran wird wie bereits bei der Diskussion um die externen Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses ebenfalls deutlich, daß in einer keynesianischen Interpretation einzelwirtschaftliche Kalküle nicht die Grundlage der staatlichen Aktivitäten bilden können. Dennoch zeichnet sich der keynesianische Staat als ein Marktakteur aus. Das im Rahmen eines Angebotsüberschusses realisierte Budgetdefizit bzw., allgemeiner formuliert, die Variation des Budgetsaldos über unterschiedliche Marktkonstellation hinweg, stellt ein Marktresultat dar. Die Abhängigkeit des Budgetsaldos vom gesamtwirtschaftlichen Steueraufkommen bei Konstanz der staatlichen Ausgaben charakterisiert den Staat darüber hinaus als einen nicht-omnipotenten Akteur. Dies kann auch dadurch nicht überwunden werden, daß die staatlichen Ausgaben den sinkenden Einnahmen angepaßt werden, da Ausmaß und Intensität der Ausgabenkürzungen Ausmaß und Intensität des dadurch initiierten Schrumpfungsprozesses der formellen Ökonomie und damit der Einkommen, die prinzipiell für eine Besteuerung herangezogen werden können, bestimmen. Unabhängig davon, ob die Höhe des Budgetdefizits von der Absenkung der staatlichen Nachfrage unberührt bleibt oder tatsächlich eine Reduktion gelingt, bedingt ein damit einhergehender Rückgang der Steuerbasis, der sich in einem Anstieg des informellen Sektors ausdrückt, eine Abnahme des fiskalischen Gestaltungsspielraumes mindestens in der mittleren Frist. Im Extremfall besteht die formelle Ökonomie nur noch aus den durch den Staatssektor ausgezahlten Einkommen und die Steuerungskapazität des Staates ist dann ausschließlich auf die von ihm selbst gebildete Enklave reduziert.47 Die Budgetrestriktion des Staates —————— 47 Die Austeritätsprogramme Nicaraguas in den 90er Jahren nach Überwindung der Hyperin- flation mögen diese Zusammenhänge illustrieren. Während nur eine leichte Abnahme des Interne Restriktionen 243 in heimischer Währung wird somit keineswegs durch eine über alle Marktkonstellationen konstante Relation des Budgetsaldos zum Inlandsprodukt markiert, sondern durch die maximal für eine Besteuerung zur Verfügung stehenden Einkommen. Darüber hinaus gehen mit dem Anstieg des informellen Sektors destabilisierende Effekte auf das Preisniveau aus. Während der Gefahr einer durch die Senkung von Nominallöhnen eingeleiteten Deflationsspirale innerhalb der formellen Ökonomie durch eine auf zentraler Ebene angesiedelte Einkommenspolitik zumindest begegnet werden kann, entzieht sich der Lohn- und damit der Preisbildungsprozeß des informellen Sektors nach unten jeglicher makroökonomischer Koordinierung. Aber je höher der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung ist, der im informellen Sektor Beschäftigung sucht und aufnehmen muß, desto stärker ist der Druck auf die Tarifparteien des formellen Sektors, die Preispolitik des informellen Sektors nachzuvollziehen.48 Inwieweit der Staat in einer Konstellation des Angebotsüberschusses über die Akzeptanz eines sinkenden Steueraufkommens und damit bei gleichbleibenden Ausgaben eines sich ausweitenden Budgetdefizits hinaus weitere nachfragestabilisierende Maßnahmen ergreifen sollte, ist innerhalb des keynesianischen Paradigmas umstritten. Der (traditionelle) Postkeynesianismus abstrahiert häufig von den mit einem deficit spending verbundenen Preiseffekten, in dem einer Staats- —————— Budgetdefizits vor allem durch die Berücksichtigung der Privatisierungserlöse als Einnahmen zu konstatieren war, stieg die Staatsquote zunächst sogar noch an und stagniert seit dem allen umfangreichen Ausgabensenkungen der Regierung zum Trotz. Das Ausmaß des Schrumpfungsprozess der nicht-staatlichen Ökonomie entsprach offensichtlich mindestens dem Umfang der Reduzierung der staatlichen Nachfrage. Der Anteil des informellen Sektors wird mittlerweile auf ca. 70 %-80 % der gesamten Ökonomie geschätzt, wobei jährlich ca. 10 % der gesamten Bevölkerung auf der Suche nach einer Arbeit als Tagelöhner beispielsweise in der Zuckerrohrernte die Grenzen insbesondere zu Costa Rica überschreiten. Der Anteil des informellen Sektors in Lateinamerika an der gesamten Wirtschaftsleistung wird durchschnittlich auf 50 % bis 60 % geschätzt. 48 Absolut kontraproduktiv im Hinblick auf die Stabilität der Nominallöhne in der formellen Ökonomie ist ein staatlicher Versuch, den Lohnbildungsprozeß des informellen Sektors in den formellen Arbeitsmarkt zu integrieren. Angesichts einer formalen Arbeitslosenquote von 35 %-50 % (der Economist (31.10.1998, S.45) spricht sogar von 80 %) und eines entsprechend großen informellen Sektors plant die Regierung der Republik Südafrika unter dem Mantel der – hinsichtlich der Staatsausgaben neutralen – Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, die Möglichkeit zu legalisieren, Arbeitnehmer bis zu einem Alter von 25 Jahren mit einem deutlichen Abschlag gegenüber den sonst üblich geltenden Tariflöhnen einzustellen. 244 Der keynesianische Staat ausgabenerhöhung reine Mengeneffekte hinsichtlich Einkommen und Beschäftigung gegenübergestellt werden und zielt darüber hinaus darauf ab, eine mangelnde private Nachfrage durch staatliche Ausgabenprogramme zu ersetzen. »Dadurch aber wendet sie [die postkeynesianische Theorie der Wirtschaftspolitik, MM] sich von ihrem Mentor ab, da für Keynes vom Staat ausgehende Nachfrageimpulse auf eine Stabilisierung der Ertragserwartungen zielen und folglich eine Unterstützung der Investitionstätigkeit bezwecken. Dabei wird diese Politik insbesondere dann notwendig, wenn der konjunkturelle Aufschwung deshalb nicht in Gang kommt, weil eine hinreichende Zinssenkung nicht möglich oder nur schwer erreichbar ist.«49 Selbst wenn beim Design der Wirtschaftspolitik analytisch zwischen der Begrenzung von negativen Preis- und Mengeneffekten einerseits und der Generierung positiver Mengeneffekte andererseits differenziert wird, ist jedoch fraglich, ob eine ausschließlich auf die Stabilisierung der Ertragserwartungen abzielende Fiskalpolitik notwendigerweise eine über den jeweiligen Krisenverlauf hinweg aufrechtzuerhaltende Konstanz der Staatsausgaben impliziert. Solange eine zusätzliche Nachfrage als dauerhaft durch den Unternehmens- und Geschäftsbankensektor interpretiert wird, tendiert sie immer dazu, Ertragserwartungen zu stabilisieren und dies zunächst unabhängig davon, ob ihr Ursprung im Ausland oder innerhalb des staatlichen Sektors zu verorten ist. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Nachfragestimulierung durch das Ausland einerseits und durch die Fiskalpolitik andererseits besteht in den mit den jeweiligen Nachfragekategorien verbundenen Vermögensmarkteffekten. Während bei gegebener Importneigung ein Anstieg der Exportnachfrage in einer Erhöhung der Nettodeviseneinnahmen bzw. bei gegebenen Staatsausgaben in einem Anstieg des Steueraufkommens mündet, bedingt ein Anstieg der Staatsausgaben bei gegebener Exportnachfrage eine Reduzierung der Nettodeviseneinnahmen, wobei ersteres einen Zinssenkungsspielraum beinhaltet und das Budget deshalb sowohl von der Einnahmen- als auch von der Ausgabenseite entlast, letzteres jedoch einen Abwertungsverdacht hervorruft, dementsprechend vermittelt über eine Reduzierung der Liquiditätsprämie eine Zinssatzerhöhung erfordert und somit das laufende Budget bei gleicher Erhöhung des Steueraufkommens hinsichtlich der Ausgaben doppelt belastet. Wenn von einer Abwertung abgesehen wird, ist eine Politik des deficit spending im Gegensatz zu einer Nachfrageerhöhung durch das Ausland —————— 49 Riese (1986), S.180 (Hervorhebung im Original). Siehe ebenfalls Riese, H. (1995), Das Grundproblem der Wirtschaftspolitik, in: Betz, K., Riese, H. (Hrsg.), Wirtschaftspolitik in einer Geldwirtschaft, Marburg: Metropolis, S.9-29, insbesondere S.9-15. Interne Restriktionen 245 somit allein deshalb attraktiver, da sie hinsichtlich des Umfangs und Zeitpunkts durch den Staat beeinflußbar ist. Resultiert die Staatsausgabenerhöhung aber im Extremfall in keinerlei positiver Veränderung der Profiterwartungen und damit der privaten Investitionsnachfrage, verursacht sie lediglich gesamtwirtschaftliche Preiseffekte und resultiert darüber hinaus in einem Anstieg der Staatsschuld. 50 Selbst wenn dies – unter Ausschluß einer Inflationierung der Staatsschuld – ohne Rückwirkungen auf die heimische Liquiditätsprämie bleibt, werden dadurch die stagnativen Tendenzen aufgrund der Reduzierung des geld- und fiskalpolitischen Handlungsspielraums verstärkt, während der Verzicht auf eine Ausgabenerhöhung den Staat zu fiskalpolitischer Untätigkeit verurteilt und die Ökonomie unter Abstraktion eines positiven exogenen Impulses zur dauerhaften Akzeptanz des Status Quo zwingt. Obgleich es für die Höhe sowie die Finanzierung des Budgetdefizits irrelevant ist, ob die staatliche Stimulierung der privaten Nachfrage in Form einer Ausgabenerhöhung oder einer äquivalenten Steuersenkung verläuft, ist aus einer keynesianischen Perspektive ersteres letzterem immer vorzuziehen, da einerseits die staatlichen Ausgaben auf Branchen mit spezifischen Merkmalen – wie beispielsweise überdurchschnittliche Unterauslastung oder unterdurchschnittliche Importintensität – konzentriert werden können und andererseits keinerlei unmittelbaren Sickerverluste auftreten. Demgegenüber ist eine makroökonomische Koordinierung der Disposition der Haushalte über ihr durch Steuersenkungen (oder Transfers) erhöhtes verfügbares Einkommen ausgeschlossen. Im Extremfall sparen die Haushalte nicht nur ihr zusätzliches Einkommen vollständig, sondern generieren darüber hinaus mit diesen Ersparnissen eine Fremdwährungsnachfrage auf dem Devisenmarkt. Steuererleichterungen (und Subventionen) zugunsten des Unternehmenssektors wiederum weisen teilweise einen ähnlichen Charakter wie Zinssatzsenkungen auf, in dem sie bei gegebenen Preisen —————— 50 Zur Budgetpolitik und der Notwendigkeit zur Stabilisierung des Staatsschuldbestandes siehe Riese (1995), S.20-22. Vgl. auch Herr, H. (1991), External Constraints on Fiscal Policies: An International Comparison, in: Matzner, E., Streeck, W. (Hrsg.), Beyond Keynesianism: The Socio-Economics of Production and Full Employment, Aldershot: Edward Elgar, S.161-181. Herr identifiziert auf der Basis von Fallstudien vier Industrieländer insgesamt drei Typen erfolgreicher fiskalpolitischer Expansion, wobei entweder ein bereits existierender Leistungsbilanzüberschuß oder eine bereits vorhandene hohe Liquiditätsprämie der heimischen Währung als »unused store of ›expansionary policy potential‹« (S.169) genutzt wird. Eine weitere Möglichkeit ist die Akzeptanz einer Abwertung als Folge der expansiven Fiskalpolitik in einer Konstellation, in der die Zentralbank nicht auf eine restriktive Geldpolitik zugreifen muß. Siehe insbesondere S.166-178. 246 Der keynesianische Staat eine Erhöhung der Gewinnspanne und damit Verbesserung der Liquiditätsposition erlauben oder aber – je nach Intensität des Verdrängungswettbewerbes – in eine Reduktion der Verkaufspreise münden, womit deflationäre Tendenzen gestärkt werden. Obgleich Ausgabenerhöhungen somit mit geringeren Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Preis- und Vermögensmarkteffekte im Vergleich zu Steuersenkungen verbunden sind, erlaubt ein staatliches Nachfrageprogramm in einer Konstellation des Angebotsüberschusses lediglich eine zeitlich begrenzte Verringerung des gegenwärtigen profit squeeze, vermag jedoch genauso wenig zwangsläufig wie eine Zinssatzsenkung eine endogene Regeneration der auf die Zukunft ausgerichteten Erwartungsbildung seitens des heimischen Unternehmens- und Geschäftsbankensektors einzuleiten. 5.2.3.3 Nachfrageüberschuß: YS < YD Ein Überschuß der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über das heimische Angebot drückt sich bei gegebenem Wechselkurs und Importneigung zunächst in einer Gewinninflation verbunden mit einem Anstieg der Importe aus. Wird der Nachfrageüberschuß seitens des Unternehmens- sowie Geschäftsbankensektors als dauerhaft interpretiert, so geht mit ihm sowohl ein Anstieg der Gewinnerwartungen als auch eine Reduzierung der Unsicherheit über den Vermögensrückfluß einher, wobei ersteres in einer Erhöhung der Kreditnachfrage bei gegebenem Aktivzinssatz und letzteres in einer Kostensenkung des Kreditangebotes bei gegebener Grenzleistungsfähigkeit resultiert. Die Stimulierung der Investitionstätigkeit verursacht zwar einerseits kurzfristig eine weitere Erhöhung des Nachfrageüberschusses und somit eine Verstärkung der Preiseffekte, aber generiert andererseits mittelfristig durch den Ausbau der Produktionskapazitäten positive Mengeneffekte, die eine Dämpfung und schließlich Zurückführung der Preiseffekte erlaubt.51 Eine Entlastung des Arbeitsmarktes in Form von Nettoneueinstellun- —————— 51 Eine Differenzierung der Nachfragekomponenten wird hier nur hinsichtlich ihrer direkten Wirkungen auf den Vermögensmarkt sowie der mit ihnen einhergehenden Preiseffekte vorgenommen: Während ein Anstieg der Exportnachfrage bei gegebenem Wechselkurs und Importneigung zu einer Verbesserung des Leistungsbilanzsaldos und damit ceteris paribus einem Anstieg der heimischen Liquiditätsprämie führt, resultiert eine Ausweitung der Investitions-, Konsum- und Staatsnachfrage in einer Verschlechterung des Leistungsbilanzsaldos und damit der heimischen Liquiditätsprämie. Im Gegensatz zur Investitionsnachfrage geht mit der Export-, Konsum- und Staatsnachfrage aber keine direkte Erhöhung der Kapazitäten einher, so daß durch diese Nachfragekomponenten keine Reduzierung des mit dem Nachfrageüberschuß verbundenen Preisniveauschubs erfolgt. Der Beginn im Sinne ei- Interne Restriktionen 247 gen als Resultierende der Investitionstätigkeit erfolgt allerdings lediglich dann, wenn die Wachstumsrate des realen Sozialproduktes den Anstieg der Arbeitsproduktivität übersteigt. Der als Gewinninflation bezeichnete Preisniveauschub wirkt sich jedoch nicht nur positiv auf die laufenden Gewinne sowie stabilisierend auf die Profiterwartungen aus, sondern beeinflußt gleichzeitig die Lohnforderungen von Arbeitnehmern, die sich tendenziell sowohl an der Veränderungsrate der Arbeitsproduktivität als auch an einem Ausgleich der vergangenen Inflationsrate orientieren. Schlagen Preisniveauschübe akkomodiert durch eine entsprechende Geldpolitik der Zentralbank in einen kontinuierlichen Inflationsprozeß um, der sich durch eine Koinzidenz von Gewinn- und Einkommensinflation auszeichnet, so beinhaltet dieser unmittelbare Konsequenzen sowohl für den Güter- als auch für den Vermögensmarkt. Bei gegebenem Wechselkurs erfolgt durch den Anstieg der Inflationsrate einerseits eine Reduzierung der nationalen und internationalen Konkurrenzfähigkeit der heimischen Unternehmen, was sich in einer Passivierung der Leistungsbilanz niederschlägt und andererseits eine Schwächung der Liquiditätsprämie der heimischen Währung, wobei beides bei prinzipiell begrenzten Devisenreserven Abwertungserwartungen generiert. Damit wird jedoch das stabilitätspolitische Primat verletzt, das in der Durchsetzung des Anspruchs der Vermögenseigentümer auf Vermögenssicherung besteht, und ceteris paribus eine Umschichtung des Portfolios der Vermögenseigentümer zugunsten von Fremdwährung und Sachvermögen ausgelöst. Die Zentralbank kann die Überschußnachfrage nach Fremdwährung entweder befriedigen, in dem sie ihre Devisenbestände zur Verfügung stellt, oder versuchen, die Fremdwährungsnachfrage zu reduzieren und langfristig umzukehren. Ersteres kann mit Hilfe ihrer Devisenreserven oder über eine steigende staatliche Auslandsverschuldung erfolgen. Beide Maßnahmen verringern das Vertrauen in die Stabilität, senken somit erneut die nicht-pekuniäre Ertragsrate der Währung und verstärken die vorhandenen Abwertungserwartungen bis hin zu dem Punkt, an dem eine Abwertung tatsächlich unumgänglich wird. Der Fremdwährungsnachfrage kann nur durch eine Zinser- —————— ner Initiierung der Akkumulationsdynamik wird in dieser Arbeit nicht an die Erhöhung der Investitionsnachfrage gebunden, da dies bei gegebenem Zinssatz eine autonome Regeneration der Gewinnerwartungen notwendigerweise voraussetzt. Keynes unterscheidet einerseits zwischen einer durch die Konsumgüternachfrage hervorgerufenen Gewinninflation, die er mit dem Begriff der Wareninflation belegt, und andererseits einer durch die Investitionsgüternachfrage bedingten Gewinninflation alias Kapitalinflation. Vgl. Keynes (1932), S.127f. Zur Differenzierung der Bedeutung von Konsum- und Investitionsgüternachfrage für den Inflationsprozeß siehe auch Riese (1986), S.128-133. 248 Der keynesianische Staat höhung als Ausdruck einer Verknappung des heimischen Geldangebots begegnet werden, um ein zumindest temporäres Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt zu etablieren. Höhere Zinsen verringern jedoch nicht nur die Profitabilität von laufenden Investitionen, so daß bereits realisierte Investitionen, soweit die Profitrate unterhalb des neuen Zinsniveaus verbleibt, eingestellt werden müssen, sondern reduziert auch die Unsicherheit über den Vermögensrückfluß sowie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, so daß Investitionsvorhaben zurück- oder sogar ganz eingestellt werden. Insgesamt gerät der durch einen Nachfrageüberschuß ausgelösten und von einer Gewinn- und Einkommensinflation begleiteten Akkumulationsprozeß ins Stocken, Produktionskapazitäten werden wieder vernichtet und der Einkommensbildungsprozeß zurückgeworfen. Inwieweit die Zentralbank in einer Konstellation des Nachfrageüberschusses ihre Zinspolitik unverändert belassen kann, ist einerseits abhängig davon, ob der mit dem Gewinn-Investitions-Mechanismus einhergehende Preisniveauschub durch das Preissetzungsverhalten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in eine Preis-Lohn-Preis-Spirale überführt wird und setzt andererseits voraus, daß eine Passivierung der Leistungsbilanz dauerhaft ausbleibt. Ersteres kann durch die Androhung einer restriktiveren Geldpolitik, sollten die von den Tarifparteien vereinbarten Nominallohnzuwächse die Produktivitätsentwicklung übersteigen, seitens der Zentralbank durchaus beeinflußt werden. Eine Zentralbank vermag aber lediglich die inflationären Konsequenzen eines aus ihrer Sicht nichtstabilitätskonformen Preissetzungsverhalten der Tarifparteien mit Zinssatzerhöhungen konterkarieren, dieses zu verhindern ist sie jedoch nicht in der Lage. Zinssatzerhöhungen entfalten inflationsdämpfende Wirkungen, da sie den Liquiditätsspielraum der Geschäftsbanken sowie der sich in einer Umschuldungsphase befindlichen heimischen Schuldner und darüber hinaus die Gewinnerwartungen senken, womit sie vermittelt über den Transmissionsmechanismus einer Reduzierung der Investitions-, Staats- und Konsumnachfrage, positive Preis-, aber auch positive Mengeneffekte dämpfen oder gar völlig unterbinden: »Wenn der Zinsfuß im gleichen Schritt mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steigen würde, gäbe es keine anregende Wirkung von der Erwartung steigender Preise.«52 Aber selbst bei einem Verzicht der Arbeitnehmer auf einen Inflationsausgleich, erzwingt ein überproportionaler Anstieg der Importe gegenüber den Exporten die Initiierung einer Stabilisierungskrise durch die Zentralbank, soll eine Destabilisierung des Devisenmarktgleichgewichtes als Folge der leistungsbilanzbedingten Überschußnachfrage nach Fremdwährung vereitelt werden. —————— 52 Keynes (1974), S.120 (Hervorhebung im Original). Interne Restriktionen 249 Die Akzeptanz einer Überbewertung des Wechselkurses, mit der Intention, dadurch inflationäre Prozesse als Folge des Gewinn-Investitions-Mechanismus zu unterbinden, ohne jedoch die positiven Mengeneffekte des Nachfrageüberschusses zu unterdrücken, stellt hinsichtlich des Güter- und Vermögensmarktes weder eine Alternative zur Preis-Lohn-Preis-Spirale noch zur Einleitung einer Stabilisierungskrise dar. Ein überbewerteter Wechselkurs kann durchaus ein Disziplinierungsmittel für die Preiserhöhungen seitens des heimischen Unternehmenssektors sein, da die in heimischer Währung ausgedrückten Importpreise eine preisliche Obergrenze darstellen und so den Preisgestaltungsspielraum des Unternehmenssektors bei einem Anstieg der Nachfrage begrenzen. Aber bei einer Überbewertung ist ausgeschlossen, daß die Konstellation eines Nachfrageüberschusses vermittelt über die Exporte aufrechterhalten werden kann, da eine Überbewertung des Wechselkurses eine gegenüber internationalen Konkurrenten geringere preisliche Wettbewerbsfähigkeit im In- und Ausland anzeigt. Demnach limitiert eine Überbewertung sowohl positive Preis- als auch positive Mengeneffekte eines hauptsächlich von der Binnennachfrage gestützten Nachfrageüberschusses und erlaubt die Aufrechterhaltung des von ihm ausgehenden Importbooms, der ein heimisch finanziertes Konjunkturprogramm für das Ausland darstellt, nur so lange, wie die leistungsbilanzbedingte Fremdwährungsnachfrage aus einer kontinuierlichen Akkumulation der externen Verschuldung heimischer Akteure alimentiert werden kann. Somit zeitigt auch eine Überbewertung eindeutig negative Konsequenzen für den Güter- und Vermögensmarkt, in dem ersterer gleichfalls die Wettbewerbsfähigkeit einbüßt und letzterer sich ebenso durch eine Schwächung der Liquiditätsprämie auszeichnet, diesmal jedoch nicht als Folge eines Anstiegs der heimischen Inflationsraten, sondern der Fremdwährungsverschuldung. Insofern prolongiert eine Strategie der Überbewertung in Abhängigkeit des externen Verschuldungspotentials heimischer Akteure den Zeitpunkt zur Einleitung einer Stabilisierungskrise, ersetzt diese jedoch nicht. Ein Nachfrageüberschuß spiegelt sich, insbesondere wenn die Konstellation auf einem bzw. einer Kombination der Akteure Unternehmenssektor, Haushaltssektor oder Ausland basiert, aufgrund der Erhöhung der Steuereinnahmen sowie der Verringerung von – so weit existent – Sozialausgaben in einer Reduzierung des Budgetdefizits des Staates wider. Die Verminderung des laufenden Budgetdefizits allein wirkt bereits dämpfend auf die durch den Nachfrageüberschuß hervorgerufene Gewinninflation und somit stabilisierend auf das Preisniveau, ohne jedoch positive Mengeneffekte zu restringieren, da die Schließung der Lükke zwischen Steuereinnahmen einerseits und staatlichen Ausgaben andererseits 250 Der keynesianische Staat nicht über eine Einschränkung letzterer, sondern eine Erhöhung ersterer als direktes Marktresultat des Einkommensbildungsprozesses verläuft. Geht darüber hinaus mit der sukzessiven Verringerung der Nettoneuverschuldung eine Entschuldung des Staates einher, so weitet sich damit der fiskalpolitische Spielraum zur Stützung des heimischen Vermögensmarktes aus. Die allmähliche Verwandlung vom Schuldner zum Gläubiger eröffnet dem Staat die Möglichkeit, Forderungen in heimischer Währung zu begründen, wobei er sich von privaten Vermögenseigentümern dadurch unterscheiden muß, daß seine Entscheidung über den Verzicht auf das Halten heimischer Liquidität entweder unbeeinflußt von der heimischen Liquiditätsprämie oder aufgrund makroökonomischer Erwägungen sogar negativ an die Qualität der heimischen Währung gebunden ist. Der keynesianische Staat akkumuliert in einer Position des Gläubigers demnach Forderungen in heimischer Währung nicht trotz, sondern gerade weil die heimische Liquiditätsprämie relativ gering ist, um zumindest seitens der Vermögensdispositionen des Staates einerseits ein Destabilisierungspotential für den Devisenmarkt und somit den Wechselkurs auszuschließen und andererseits durch die Generierung einer gegenüber dem Angebot höheren Geldnachfrage Erhöhung der heimischen Liquiditätsprämie zu bewirken. Unter Abstraktion des Risikos erfordert die Entschädigung für den Verzicht auf die Disposition des Vermögens dementsprechend als absolute Untergrenze lediglich eine Realwertsicherung der staatlichen Forderungen, aber keinesfalls eine Kompensation der international niedrigen Liquiditätsprämie der heimischen Währung. Dennoch erfordert die Aufrechterhaltung eines Einkommensbildungsprozesses eine zusätzliche stabilitätspolitische Absicherung durch die Fiskalpolitik. Dies kann mit Hilfe des Aufbaus eines allgemeinen staatlichen Sozialversicherungssystems erfolgen, in dem ein Teil der im Verlauf des Prozesses ansteigenden Einkommen der Haushalte abgeschöpft und zunächst stillgelegt werden. Insbesondere eine Arbeitslosenversicherung weist diesen Funktionsmechanismus auf, da nur diejenigen Haushalte in Zeiten der späteren Arbeitslosigkeit Auszahlungen durch die Versicherung erwarten können, die sich in vorangegangenen Perioden der Beschäftigung im formellen Sektor durch entsprechende Beitragszahlungen finanzielle Ansprüche erworben haben. Eine solche Sozialversicherung impliziert sowohl eine Stabilisierung der Profiterwartungen als auch eine Dämpfung von positiven Preiseffekten in einer Konstellation des Nachfrageüberschusses bzw. von negativen Preiseffekten in Zeiten eines Angebotsüberschusses. Die private Konsumnachfrage sinkt aufgrund der Zuwendungen in einer Rezessions- oder Depressionsphase unterproportional im Verhältnis zu den lau- Interne Restriktionen 251 fenden Erwerbseinkommen, wenn auch nur für die Dauer des Bezugs der Versicherungsleistungen, die zeitlich befristet sind. In einer Phase des Nachfrageüberschusses steigt dagegen die private Konsumnachfrage aufgrund der zu leistenden Versicherungsbeiträge ebenfalls unterproportional an, in diesem Fall aber über den gesamten Verlauf dieser Marktkonstellation. Dies ermöglicht es, kumulative Prozesse in einer Konstellation des Nachfrageüberschusses abzuschwächen, die sich dadurch auszeichnen, daß positive Mengeneffekte in positive Preiseffekte umschlagen und über den Transmissionsmechanismus Anstieg der privaten Konsumnachfrage die jeweiligen Mengenund Preiseffekte zusätzlich verstärken. Darüber hinaus kann durch ein aus Vertretern der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und des Staates bestehender Sozialpakt bereits das Aufkommen einer Einkommensinflation als Folge der Gewinninflation und somit die Gefahr einer Preis-Lohn-Preis-Spirale durch eine makroökonomische Koordinierung des Preisbildungsprozesses auf dem Arbeitsmarkt für einen gewissen Zeitraum verringert werden. Werden seitens des Unternehmenssektors mittelfristig durch eine entsprechende Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Angebots Bedingungen generiert, die eine Gewinninflation unterbinden, entfallen damit auch die auf den Preisniveauschüben beruhenden Forderungen der Arbeitnehmer nach einen Inflationsausgleich gewährleistenden Nominallohnerhöhungen. Mit Ausnahme seiner Position als öffentlicher Arbeitgeber vermag der Staat eine Vereinbarung zwischen den Tarifparteien, die Nominallöhne ausschließlich im Umfang des Veränderungsrate der Arbeitsproduktivität ansteigen zu lassen, lediglich zu initiieren, aber keinesfalls zu erzwingen. Ein Nachfrageüberschuß stellt gerade eine Konstellation dar, die sich zur Durchsetzung von die Arbeitsproduktivität übersteigende Lohnerhöhungen sowohl seitens der Arbeitnehmer, insbesondere wenn sie in der Vergangenheit Nominallohnzuwächse unterhalb des Produktivitätsfortschritts hinzunehmen hatten, als auch angesichts geringer Lagerbestände und voller Auftragsbücher seitens der Arbeitgeber eignet. Jedes weitere Einkommen jedoch, das im Rahmen dieses Akkumulationsprozesses gewonnen wird, stellt entweder eine zusätzliche güterwirtschaftliche Nachfragekomponente, die den Nachfrageüberschuß verstärkt, oder eine potentielle Fremdwährungsnachfrage dar. Insofern ist die angesprochene stabilitätspolitische Absicherung durch die Fiskalpolitik insbesondere dann notwendig, wenn eine Vereinbarung zwischen den Tarifparteien über eine bei gegebener Einkommensverteilung produktivitätsorientierte Lohnpolitik nicht zustande kommt. 252 Der keynesianische Staat Schlußfolgerungen: Interne Restriktionen des Einkommensbildungsprozesses Der Einkommensbildungsprozeß in Entwicklungsländern wird in einer keynesianischen Interpretation somit erstens nicht nur aufgrund der niedrigeren Liquiditätsprämie seitens des Vermögensmarktes, sondern auch aufgrund der bei gleichem Risiko und Transaktionskosten höheren Unsicherheit des Vermögensrückflusses sowie geringeren Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals seitens des Kredit- und Gütermarktes restringiert. Dabei wird der Einkommensbildungsprozeß zunächst durch den die niedrige Liquiditätsprämie kompensierenden Diskontsatz der Zentralbank gedrosselt, was sich ceteris paribus in den jeweiligen Erwartungsbildungen des Unternehmens- und Geschäftsbankensektors widerspiegelt, wobei die Dämpfung der Erwartungen ein Resultat der Zinspolitik darstellt, aber dennoch ein eigenständiges, die Stagnationstendenzen verstärkendes Element beinhalten. Dies offenbart zweitens, daß neben einer Hierarchie von Währungsräumen im internationalen Kontext die einzelnen Märkte innerhalb einer Geldökonomie ebenfalls einer hierarchischen Strukturierung unterworfen sind. Dabei definiert der Vermögensmarkt die Bedingungen, unter denen sich Aktivitäten auf dem heimischen Gütermarkt überhaupt entfalten können, und dieser wiederum dominiert die Transaktionen auf dem heimischen Arbeitsmarkt, in dem zunächst auf dem Vermögensmarkt mit dem dort bestimmten Zinssatz die von den Gütermarktakteuren zu realisierende Mindestprofitrate als Vorgabe festlegt wird, während der Arbeitsmarkt als unmittelbare Residualgröße der Anpassungsprozesse auf dem Gütermarkt fungiert. Ein Ausbau der Kapazitäten durch den Unternehmenssektor in Entwicklungsim Vergleich zu Industrieländern erfordert deshalb drittens einen von Intensität und Umfang stärkeren Nachfrageüberschuß. Diese Anforderung mag eine Erklärung für die vielfältigen Aktivitäten des strukturalistischen Staates zur makroökonomischen Koordinierung der Investitionsausgaben entweder durch staatliche Investitionsprogramme unter Einschluß privater Akteure – wie beispielsweise in Asien in Form der Chaebols zu beobachten war – oder sogar ausschließlich mit Hilfe staatlicher Konzerne liefern, um privaten Unternehmen eine gewisse Planungssicherheit mit der Intention zu garantieren, ihren Erwartungsbildungsprozeß zu stabilisieren und so einen Anstieg der staatlichen und privaten Investitionsausgaben zu generieren, ohne daß diesen jedoch ein entsprechender über den Interne Restriktionen 253 Welt- oder Binnenmarkt vermittelter Nachfrageüberschuß vorangegangen sein muß. Aufgrund der geringer vorhandenen Produktionskapazitäten und des höheren Nachfrageüberschusses, der für die Induzierung positiver Mengeneffekte erforderlich ist, sind Entwicklungsländer somit viertens durch stärkere positive Preiseffekte auch auf ihren Gütermärkten als Industrieländer charakterisiert, die das Aufkommen von Preis-Lohn-Preis-Spiralen begünstigen. Mit der einzigen Ausnahme einer Deflation sind jedoch in keiner Marktkonstellation positive Preiseffekte, sondern ausschließlich positive Mengeneffekte erwünscht. Eine restriktive Geldpolitik, unabhängig davon, ob sie präventiv oder aktiv zur Bekämpfung von inflationären Effekten eingesetzt wird, verhindert jedoch nicht nur die Entfaltung positiver Preis-, sondern unterdrückt auch positive Mengeneffekte, wodurch die ökonomische und soziale Marginalisierung verstetigt wird. Eine der Entwicklung förderliche Marktkonstellation erfordert somit fünftens, daß die Zentralbank unter Einhaltung der externen Restriktion akkomodierend tätig ist und damit die Entstehung von Mengeneffekten überhaupt zuläßt, während gleichzeitig eine Dämpfung der damit einhergehenden positiven Preiseffekte durch die Fiskalpolitik erfolgt. Bei der Verweigerung einer Koordinierung der Geld- und Fiskalpolitik wechseln sich Boomphasen mit Stabilisierungskrisen ab und resultieren in einer Stop-Go-Stop-Politik, die einerseits den Erwartungsbildungsprozeß der privaten Akteure kontinuierlich destabilisiert und andererseits das für die Besteuerung zur Verfügung stehende Einkommen der formellen Ökonomie zunehmend verringert. Obgleich unter entwicklungspolitischen Aspekten notwendig, ist eine Koordinierung dennoch ebenfalls unter binnenwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht hinreichend, da weder die Zentralbank noch der Staat eine Regeneration der Profiterwartungen unmittelbar erwirken können. Abgesehen davon, daß der Zinssenkungsspielraum der Zentralbank durch die Einhaltung der externen Restriktion und damit des Devisenmarktgleichgewichtes limitiert wird, erhöht eine Reduzierung des Zinsniveaus unmittelbar lediglich die Liquiditätsposition heimischer Schuldner. Der Staat wiederum kann lediglich über einen Verzicht zur Einschränkung seiner Ausgaben und damit der Akzeptanz eines sich entsprechend der vorherrschenden Marktkonstellationen variierenden Budgetsaldos zur Abschwächung der Verminderung von Profiterwartungen beitragen. 254 Der keynesianische Staat 5.3 Der Staat zwischen Stabilisierungszwängen und Beschäftigungsanforderungen Angesichts einerseits des höheren Zinsniveaus und der geringeren Investitionsdynamik und andererseits des geringeren Gestaltungsspielraumes der Geld- und Fiskalpolitik in Entwicklungs- im Vergleich zu Industrieländern wird innerhalb der scientific community der Wahl eines Wechselkursregimes eine hohe entwicklungspolitische Relevanz beigemessen, da entweder durch die Fixierung des nominalen Wechselkurses eine stabilitätspolitische Absicherung der Einkommensbildung oder durch die Stabilisierung des realen Wechselkurses ein investitionsgeleiteter Einkommensbildungsprozeß ermöglicht werden soll.53 Nationale makroökonomische Stabilität versus internationale Konkurrenzfähigkeit bilden das Gegensatzpaar, das die Debatte um eine für Entwicklung förderliche Marktkonstellation prägt und das sich in der alternativen Gegenüberstellung von nominalen und realem Wechselkursanker widerspiegelt. Während ersteres auf einen Anstieg der Liquiditätsprämie sowie die Generierung von Aufwertungserwartungen (5.3.2) und letzteres auf die Einleitung von Produktions- und Exportoffensiven abzielt (5.3.1), drückt sich der Erfolg beider Wechselkurssysteme darin aus, daß sie langfristig sowohl die externe als auch die interne Restriktion des Einkommensbildungsprozesses nicht verletzen. Inwiefern die Wahl eines solchen Wechselkursregimes tatsächlich eine entwicklungsstrategische Entscheidung dergestalt beinhaltet, daß mit ihr eine für ökonomische Entwicklung förderliche Marktkonstellation tatsächlich generiert werden kann, soll im folgenden näher erörtert werden. Abschließend erfolgt eine Diskussion sowohl der Funktionen als auch der Restriktionen, denen der ökonomische Staat in einer keynesianischen Welt unterliegt, ohne – das sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – daß Szenarien präsentiert werden könnten, diesen zu entkommen (5.3.3). —————— 53 Bereits diskutiert in Metzger, M. (2000), 25 Years After the Collaps of the Bretton Woods System: Still not Having Found What We Were Looking for, in: Metzger, M., Reichenstein, R. (Hrsg.), Challenges for International Organizations in the 21st Century: Essays in Honour of Klaus Hüfner, Basingstoke, London: Macmillan, S.89-108. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 255 5.3.1 Reale Währungsanker Als einer der wesentlichsten Vorteile eines realen Währungsankers bzw. eines Crawling-Peg-Regimes gilt gemeinhin, daß über entsprechende Anpassungen des nominalen Wechselkurses in Form von Abwertungen eine Stabilisierung des realen Wechselkurses erreicht werden kann, dessen Höhe die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Produkte auf dem Weltmarkt bestimmt. Dabei zielt die Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf die Stabilisierung von Profiterwartungen und nicht zuletzt auf eine Stimulierung des heimischen Einkommensbildungsprozesses durch die Exportnachfrage ab. Angesichts der stärkeren positiven Preisauftriebstendenzen und den geringeren positiven Mengeneffekten in Entwicklungsländern erscheint ein realer Anker bzw. ein crawling peg zunächst als das für sie attraktivste Wechselkursregime. Dennoch sind mit einem realen Anker zwei Probleme verbunden: (a) es ist unabdingbar, einen gleichgewichtigen realen Wechselkurs zu identifizieren, an den der nominale Wechselkurs überhaupt erst angepaßt werden kann, und (b) selbst unter der Annahme, daß ein solcher Wechselkurs bestimmt werden kann, birgt der durch die Abwertungen ausgelöste Anpassungsprozeß das Risiko einer AbwertungInflation-Spirale in sich. (a) Da reale Wechselkurse nicht direkt am Markt beobachtbar sind, wurden unterschiedliche Verfahren entwickelt, die ihrer Schätzung und Extrapolation auf der Grundlage empirischer Daten dienen. 54 Aber die mathematisch-statistische Perfektionierung der Suche nach einem gleichgewichtigen realen Wechselkurs ersetzt nicht die Notwendigkeit, den ökonomischen Zustand, bei welchem von einem Gleichgewicht auszugehen ist, zu definieren. Ein Gleichgewicht gilt als erreicht, wenn der Einkommensbildungsprozeß sowohl der internen als auch externen makroökonomischen Restriktion unter Bedingung einer nachhaltigen Leistungsbilanz entspricht, wobei »(a)ny path that satisfies intertemporal budget constraints, and that can be followed indefinitely without surprises that would make agents wish that they had not acted as they did, is sustainable.«55 Das solchermaßen definierte Gleichgewicht eines realen Wechselkurses existiert jedoch —————— 54 Ein Überblick über unterschiedliche Ansätze zur Berechnung von gleichgewichtigen realen Wechselkursen finden sich in Williamson, J. (Hrsg.) (1994a), Estimating Equilibrium Exchange Rates, Washington, D.C: Institute for International Economics. 55 Williamson, J. (1994b), Estimates of FEERs, in: Williamson (1994a), S.177-243, Fußnote 3, S.180 (Hervorhebung nicht im Original). 256 Der keynesianische Staat überhaupt nicht: weder als historisches Ereignis, da bislang kein Entwicklungspfad unbegrenzt verfolgt werden konnte, noch theoretisch, da ein Entwicklungspfad ohne Überraschungen bedingt, daß die Erwartungen eines jeden Wirtschaftssubjektes über eine zukünftige ökonomische Begebenheit oder eine Abfolge von Vorfällen tatsächlich dem Auftreten der Begebenheit bzw. der Reihe von Vorfällen exakt entsprechen müssen. Zusätzlich ist erforderlich, daß jede konkrete ökonomische Begebenheit in der Gegenwart Erwartungen bei allen Marktakteuren bereits in der Vergangenheit in einer Form ausgelöst haben muß, die keine Divergenz zwischen diesen Erwartungen und den konkreten Ereignissen zuläßt. Diese Annahmen sind jedoch innerhalb eines keynesianischen Paradigmas als unhaltbar zu klassifizieren. Absolute Sicherheit hinsichtlich zukünftiger Ereignisse und Entwicklungen stellt in einem keynesianischen Kontext kein Spezialfall eines Erwartungsbildungsprozesses mit einer Varianz von Null dar, sondern impliziert die Suspension der Kategorie Zukunft als solche, da Zukunft inhärent durch Unsicherheit charakterisiert ist. Edwards schlägt eine weniger restriktivere Definition vor, indem er den gleichgewichtigen realen Wechselkurs an einen Leistungsbilanzsaldo von Null bindet. Aber in seinem Grundmodell abstrahiert er von internationaler Kapitalmobilität, so daß seine Definition eher pragmatisch-mathematischen Überlegungen geschuldet als von ökonomischer Natur ist.56 In einer Modifikation des Modells integriert er formal Kapitalmobilität, verändert jedoch nicht den Kern seiner Argumentation: »The simplest way to incorporate capital flows into the model is by assuming that they are restricted to the government, and by treating them as exogenous.«57 In dieser Arbeit wird ebenfalls eine ausgeglichene Leistungsbilanz als Indikator für einen gleichgewichtigen realen Wechselkurs jedoch unter der Annahme einer offenen Volkswirtschaft und damit internationaler Kapitalmobilität verstanden. In einer solchen Konstellation akkumuliert eine Ökonomie weder Verbindlichkeiten noch Forderungen gegenüber dem Rest der Welt und somit bleibt die Nettovermögensposition unverändert. Ein solchermaßen definiertes Gleichgewicht impliziert ceteris paribus somit allein den Erhalt des entwicklungsökonomischen Status Quo, jedoch keineswegs dessen Überwindung. (b) Unter der Annahme, daß ein gleichgewichtiger realer Wechselkurs identifiziert wurde, kann der nominale Wechselkurs entsprechend dem positiven Inflati- —————— 56 Edwards, S.(1994), Real and Monetary Determinants of Real Exchange Rate Behavior: Theory and Evidence from Developing Countries, in: Williamson (1994a), S.61-91, S.65. 57 Edwards (1994), S.70 (Hervorhebungen nicht im Original). Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 257 onsdifferential gegenüber den Haupthandelspartnern angepaßt werden.58 Kontinuierliche Abwertungen implizieren jedoch eine abwertungs- und zinsbedingte Verminderung der Gewinnmarge aller heimischen Unternehmen. Da eine Abwertung des nominalen Wechselkurses in heimischer Währung denominiertes Vermögen ab- und in Fremdwährung kontrahierte Verbindlichkeiten aufwertet, propagiert die überwiegende Mehrheit der Anhänger eines Crawling-Peg-Regimes parallel zur Abwertung einen entsprechenden kompensatorischen Anstieg des nominalen Zinsniveaus, so daß die reale Verzinsung der inländischen Vermögenswerte unverändert bleibt und umfangreiche Portfolioumschichtungen verhindert werden können. Aber ein Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt erfordert in einer keynesianischen Welt, daß die Summe des inländischen Zinssatzes plus der Liquiditätsprämie der heimischen Währung der Summe aus dem Zinssatz plus der Liquiditätsprämie der Fremdwährung entspricht. Eine Abwertung der heimischen Währung bedarf somit eines überproportionalen Anstiegs des inländischen Zinsniveaus um die Abwertungsrate plus um die durch die Abwertung hervorgerufene Absenkung der heimischen Liquiditätsprämie. Eine Aufwertung der in Fremdwährung kontrahierten Verbindlichkeiten, die mit einer Zinssatzerhöhung im Inland einhergeht, stellt jedoch, unabhängig davon in welcher Währung ihre Zahlungsverpflichtungen denominiert sind, für alle verschuldeten heimischen Wirtschaftsakteure eine Erhöhung ihrer Kapitalkosten dar, was entsprechende Anpassungsprozesse bis hin zur Verringerung von Produktionskapazitäten auslöst. Ein weiteres mit kontinuierlichen Abwertungen verknüpftes Risiko besteht darin, daß Abwertungen inflationäre Tendenzen stimulieren. Nur unter der Bedingung, daß entweder durch den Staat bzw. die Zentralbank alle Importe auf Null reduziert werden können oder im Importsektor ein über den Markt vermittelter Verdrängungswettbewerb in dem Ausmaß herrscht, der eine Überwälzung der ansteigenden Importkosten auf die inländischen Preise vollständig unterbindet und die Abwertungen somit ceteris paribus in Kapazitätsreduktionen oder in Nominallohnsenkungen dieses Sektors münden, kann ein abwertungsbedingter Preisniveauschub ausgeschlossen werden. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, verursacht eine Abwertung einen Anstieg der absoluten heimischen Preise der importierten Güter. Während der Umfang der traditionellen Importe sowie —————— 58 Von Produktivitätsdifferentialen, externen Schocks oder nicht proportionalen Veränderun- gen von Einkommenselastizitäten der Import- bzw. Exportnachfrage, die ebenfalls Einflußfaktoren des realen Wechselkurs darstellen, wird hier abstrahiert, da sie den Kern der Argumentation qualitativ nicht modifizieren. 258 Der keynesianische Staat die zur Verfügung stehenden inländischen Produktionskapazitäten das Ausmaß des Preisniveauschubs bestimmen, determiniert die Stabilität der um die Produktivitätsfortschritte bereinigten Nominallöhne, oder anders ausgedrückt, die Akzeptanz von Einkommensverlusten, ob und in welcher Höhe die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate als Folge des Preisniveauschubs ansteigt. Unter traditionellen Importen sind solche Güter zu fassen, die kurzfristig nicht durch inländische Produkte substituiert werden können (wie z.B. Energie), was sich in einem Anstieg der erforderlichen Importausgaben und einem korrespondierenden Angebot an heimischer Währung auf dem Devisenmarkt widerspiegelt. Aber selbst unter der Annahme einer hohen Preiselastizität der sonstigen Importnachfrage, resultiert eine Abwertung in einem Preisniveauschub, sollte die inländische Industrie nahe oder bereits an der Kapazitätsgrenze produzieren. Je umfangreicher demnach die traditionellen Importe ausfallen und je weniger das gesamtwirtschaftliche Angebot eine preisinduzierte Substitution der Importnachfrage durch heimisch produzierte Gütern zu befriedigen in der Lage ist, desto stärker ist der Preisniveauschub. Je stärker der Preisniveauschub erfolgt und je häufiger er sich wiederholt, desto weniger werden Arbeitnehmer gewillt sein, weitere Einkommensverluste hinzunehmen. Deshalb setzt eine Abwertungs-Inflations-Spirale im Zuge eines realen Währungsankers keineswegs das Auftreten eines negativen externen Schocks oder etwa einer von den privaten Akteuren unerwarteten Geldmengenexpansion durch die heimische Zentralbank voraus, sondern ist lediglich an die Abwesenheit eines Verdrängungswettbewerbes sowie eine am Kaufkraftausgleich und an Produktivitätsfortschritten orientierte Lohnpolitik gebunden. Halten die monetären Autoritäten auch dauerhaft an einem realen Währungsanker fest, sind sie bis zur Zurückführung der heimischen Inflationsrate auf diejenige des Ankerwährungsraumes nicht nur gezwungen, eine die jeweiligen Abwertungsraten übersteigende Zinssatzerhöhung durchzuführen, die sowohl die laufenden Gewinne als auch die Gewinnerwartungen der Unternehmen verringern, sondern sie müssen darüber hinaus eine Reduzierung der Lohnstückkosten und damit Einkommensverluste der Lohnempfänger im Umfang der durch die Abwertungen ausgelösten Preisniveauschübe durchsetzen, um die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale im Gefolge der Abwertungen zu bannen. Während ex ante keine Aussage darüber möglich ist, welches Niveau die Zinssätze tatsächlich erreichen müssen, um Portfolioumschichtungen aus der heimischen zugunsten einer mit einer höheren Liquiditätsprämie ausgestatteten Fremdwährung zu verhindern, wird das Angebot an heimischer Währung auf dem Devisenmarkt aufgrund der in Fremdwährung verschuldeten heimischen Akteure ansteigen. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 259 Selbst unter der Annahme, daß die Zentralbank den Einkommensbildungsprozeß tatsächlich ausreichend restringieren kann, verursacht im Gegensatz zu der damit intendierten Stabilisierung von Profiterwartungen ein Crawling-PegRegime aufgrund des durch die Geldpolitik hervorgerufenen profit squeeze eine Reduzierung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sowie eine Erhöhung der Unsicherheit über den Vermögensrückfluß. Einzig der Erhalt der preislichen Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt muß deshalb aus einer keynesianischen Perspektive für die Stabilisierung von Profiterwartungen und einer darauf basierenden kreditfinanzierten Exportoffensive als ungenügend charakterisiert werden. Inwieweit jedoch eine in Relation zu dem vorherrschenden Inflationsdifferential überproportionale Abwertung die durch die restriktiv angelegte Geld- und Fiskalpolitik verminderte Grenzleistungsfähigkeit bzw. Sicherheit über den Vermögensrückfluß überhaupt zu konterkarieren vermag oder diese in ihren destabilisierenden Wirkungen noch verstärkt, ist von dem Grad der Fremdwährungsverschuldung der heimischen Akteure und damit der Rückwirkungen der Abwertungen auf ihre Zahlungsfähigkeit abhängig. Bleibt eine ausreichende Unterdrückung des Einkommensbildungsprozesses jedoch aus, geht mit einem realen Währungsanker eine AbwertungsInflations-Spirale einher und die externe Restriktion wird nachhaltig verletzt. Der ›Erfolg‹ eines Crawling-Peg-Regimes, das auf eine Stabilisierung des nominalen Wechselkurses verzichtet und mit der Intention, den Einkommensbildungsprozeß mittels institutionalisierter Abwertungen zu unterstützen, etabliert wird, ist demnach daran gebunden, den Einkommensbildungsprozeß so lange zu restringieren, bis die Zurückführung der heimischen Inflationsrate (mindestens) auf das Niveau des Ankerwährungsraumes und damit eine von den Dispositionen der privaten Akteure herbeigeführte Stabilisierung des nominalen Wechselkurses eine Aufhebung der Unterdrückung der Investitionsdynamik seitens der Zentralbank erlaubt. 5.3.2 Nominale Währungsanker Die makroökonomische Stabilität einer Ökonomie drückt sich in einer im Vergleich zum Rest der Welt identischen oder niedrigeren Inflationsrate und in einem konstanten oder sogar unter Aufwertungsverdacht stehenden Wechselkurs aus. Eine nominelle Währungsanbindung genießt deshalb eine so hohe Attrakti- 260 Der keynesianische Staat vität, da mit ihr scheinbar zwei Ziele gleichzeitig erreicht werden können: Annahmegemäß erfolgt ein Import (a) der Preisniveaustabilität der Ankerwährung und (b) der Glaubwürdigkeit, diesen Wechselkurs aufgrund der Bindung zu stabilisieren. Eine Stabilisierung des nominalen Wechselkurses durch die Währungsanbindung soll deshalb in einem Anstieg der Liquiditätsprämie der heimischen Währung resultieren, so daß die Zentralbank unter Einhaltung des Devisenmarktgleichgewichtes, den Refinanzierungszinssatz zu senken und dadurch den heimischen Einkommensbildungsprozeß zu unterstützen vermag. Die Rationalität eines nominalen Währungsankers beruht somit mittel- bis langfristig auf der Stimulierung der wirtschaftlichen Dynamik unter Bedingungen makroökonomischer Stabilität. Das Problem der Bindung des Wechselkurses eines Entwicklungslandes an denjenigen eines Industrielandes besteht jedoch in der Existenz des zwischen den beiden Währungsräumen herrschenden positiven Inflationsdifferentials und damit in der Prävention der Überbewertung, die mit der Fixierung der heimischen an die Fremdwährung einsetzt. Ein überbewerteter Wechselkurs verursacht sinkende Exporterträge und steigende Importausgaben, was sich in einer (zusätzlichen) Passivierung der Leistungsbilanz widerspiegelt, und schürt Abwertungserwartungen, die nicht nur die Liquiditätsprämie der heimischen Währung reduzieren und damit die Intention der Wechselkurspolitik konterkarieren, sondern auch die Bindung der heimischen an die Fremdwährung generell zur Disposition stellen. Die Aufrechterhaltung eines nominalen Währungsankers erfordert deshalb eine unverzügliche Zurückführung der inländischen Inflationsrate auf das Inflationsniveau des Ankerwährungsraumes, wofür einzeln oder in Kombination die Geld-, die Fiskal- oder die Einkommenspolitik zur Verfügung stehen. Obgleich eine restriktive Geldpolitik gemeinhin als das effektivste Mittel gilt, inflationäre Tendenzen abzuschwächen, ist sie – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt – nicht in der Lage, eine Regeneration der durch die privaten Marktakteure gebildeten niedrigen Liquiditätsprämie der heimischen Währung, die Ursache der stärkeren positiven Preisauftriebstendenzen darstellt, zu erzwingen, so daß ein an der Aufrechterhaltung des nominalen Ankers gemessener Erfolg des Einsatzes des Zinsinstrumentariums daran gebunden ist, daß der Einkommensbildungsprozeß bereits überwiegend in heimischer Währung verläuft und somit eine Restringierung der Investitionstätigkeit durch den Anstieg des heimischen Zinsniveaus überhaupt erfolgen kann. Dennoch attrahieren höhere inländische Zinsen Portfolioinvestitionen von internationalen Gläubigern und stellen für heimische Akteure einen Anreiz zur Aufnahme von Fremdwährungsverbindlich- Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 261 keiten dar. Diese erschweren es jedoch, die Überbewertung zu verringern, da die Nettokapitalimporte einerseits von der Zentralbank sterilisiert werden müssen und andererseits die Konstellation der Überbewertung zusätzlich zu dem vorhandenen positiven Inflationsdifferential noch verstärken. Eine Fiskalpolitik, die darauf abzielt, einen Budgetüberschuß durch eine Reduzierung der Ausgaben bzw. Erhöhung der Einnahmen zu generieren, wird häufig als komplementäres Instrument zur Zinspolitik betrachtet. Die Durchführung von fiskalpolitischen Austeritätsmaßnahmen ist jedoch nicht allein von der Bereitschaft und der Fähigkeit der im Prozeß der Erstellung des Haushaltes involvierten Akteure abhängig und somit kein Verwaltungsakt, wie dies häufig imoder gar explizit unterstellt wird. Der überwiegende Anteil der Budgetausgaben muß in der kurzen Frist als quasi-fix unterstellt werden, wozu insbesondere regelmäßige Zahlungen wie jene für Löhne und Gehälter, Mieten, Defizite von Staatsunternehmen, den staatlichen Schuldendienst, staatlich garantierte Verbindlichkeiten des privaten Sektors oder auch Sozialversicherungen zählen. Während die drei zuletzt genannten in die Kategorie langfristiger Verbindlichkeiten fallen, deshalb in jedem Fall bedient werden müssen und somit generell nicht für Einsparungen zur Verfügung stehen, basieren die übrigen Verpflichtungen als Minimum auf Ein-Jahres-Verträgen. Die Reorganisation des öffentlichen Dienstes, einschließlich der Privatisierung staatlicher Unternehmen, und eine Restrukturierung der Budgetausgaben analog neuer Prioritäten sind sogar mittelbis langfristige Projekte. Somit ist der Handlungsspielraum der Regierung zur Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und von dieser Seite des Budgets, die Geldpolitik zu entlasten und den nominalen Anker zu stabilisieren, in hohem Maße beschränkt. Darüber hinaus variieren die Steuernahmen mit der in einer Ökonomie vorherrschenden Dynamik der Einkommensbildung. Eine Reduzierung der staatlichen Nachfrage mit dem Ziel, einen Budgetausgleich in einer Konstellation der Überbewertung des nominalen Wechselkurses und damit des Verlustes an preislicher Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Produzenten, zu erzwingen, die um eine restriktive Geldpolitik der heimischen Zentralbank ergänzt wird, vermindert nicht nur den laufenden Profit, sondern ebenfalls die Gewinnerwartungen, in deren Folge eine sinkende Investitionsdynamik eine Reduzierung der Einkommensbildung und schließlich der Steuereinnahmen nach sich zieht. Den sinkenden Steuereinnahmen stehen aufgrund des höheren Zinssatzniveaus ansteigende öffentliche Zahlungsverpflichtungen in Form des inländischen Schuldendienstes und – so weit existent – krisenbedingter Mehrausgaben im Sozialbereich gegenüber. 262 Der keynesianische Staat Im Extremfall sind Regierungen deshalb mit einer Situation konfrontiert, in der sie eine expansive Fiskalpolitik als direkte Folge einer restriktiven Geldpolitik implementieren müssen, wobei dies keineswegs eine politisch motivierte Abkehr von ihrem Austeritätsprogramm widerspiegelt, sondern Konsequenz einer zur Aufrechterhaltung des nominalen Ankers eingeleitete Rezession oder gar Depression darstellt. Demnach kann bei gegebener Steuerbemessungsgrundlage und gegebenen Steuersätzen erst mit einer Erhöhung der öffentlichen Einnahmen gerechnet werden, wenn die makroökonomische Stabilität als etabliert zu betrachten ist, so daß die Zentralbank nicht mehr auf eine restriktive Geldpolitik zur Verteidigung der Wechselkursanbindung angewiesen ist und sich die Gewinnerwartungen der Unternehmen regeneriert haben. Ein Budgetüberschuß stellt somit das Resultat einer hohen Akkumulationsdynamik dar und kennzeichnet nicht den Beginn, sondern den erfolgreichen Abschluß eines Entwicklungsprozesses. Unter Einkommenspolitik kann eine Tarifpolitik gefaßt werden, die sowohl in Phasen der Vollbeschäftigung als auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit auf eine Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend des durchschnittlichen Produktivitätszuwachses der heimischen Industrie sowie des Dienstleistungssektors abzielt. Eine notwendige Voraussetzung für eine funktionsfähige Einkommenspolitik besteht deshalb in Lohnverhandlungen auf zentraler Ebene, an denen neben der Regierung Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgeberverbände teilnehmen. Um jedoch einen nominalen Anker durch die Einkommenspolitik zu unterstützen, muß die Regierung Lohnabschlüsse durchsetzen, bei denen die Nominallohnerhöhungen unterhalb des Produktivitätsanstieges liegen, um die anfänglich noch höhere inländische Inflationsrate im Vergleich zu derjenigen des Ankerwährungsraumes zu kompensieren. Ob Gewerkschaften bereit sind und über den dafür erforderlichen Handlungsspielraum verfügen, solche Lohnabschlüsse in dem erforderlichen Ausmaß zu akzeptieren, ist abhängig von ihren Erfahrungen mit in der Vergangenheit getroffenen Übereinkünften im Rahmen von sogenannten pacto sociales, der Zustimmung ihrer Mitglieder sowie den sich ihnen bietenden Alternativen. Wiewohl Regierung und Zentralbank diese Faktoren zu beeinflussen vermögen, entziehen sie sich jedoch ihrer alleinigen Bestimmung. Darüber hinaus basiert eine funktionierende Einkommenspolitik auf einem hohen Organisationsgrad sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, so daß gewährleistet ist, daß auf zentraler Ebene getroffene Verhandlungsergebnisse von der überwiegenden Mehrheit der inländischen Arbeitnehmer und Unternehmen ohne Zusatzvereinbarungen oder Ausstiegs- bzw. Öffnungsklauseln übernommen werden. Ist aber wie in Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 263 vielen Entwicklungsländern der Arbeitsmarkt hoch fragmentiert – oder wie neoliberale Ökonomen es euphemistisch bezeichnen: sehr flexibilisiert –, ist eine Einkommenspolitik, die übergreifend für Unternehmen, Branchen, Regionen oder miteinander konkurrierende Gewerkschaften Gültigkeit hat, fast ausgeschlossen. Eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik stellen deshalb weder eindeutige noch immer adäquate Instrumente dar, mit denen ein positives Inflationsdifferential reduziert und die Überbewertung der heimischen Währung verhindert und damit die unverzichtbare Bedingung für die Aufrechterhaltung eines nominalen Ankers etabliert werden kann. Eine restriktive Politik wirkt gesamtwirtschaftlichen Preisauftriebstendenzen entgegen, kann dies aber nur um den Preis der Vernichtung von Produktionskapazitäten, so daß der nächste Nachfrageaufschwung bedeutend früher mengenmäßig beschränkt wird, was die Gefahr von inflationären Tendenzen oder ansteigenden Importen und deshalb einer weiteren Schwächung der heimischen Währung birgt. Somit verursacht eine restriktive Geldund Fiskalpolitik zunächst eine Verminderung des Aktivitätsniveaus der heimischen Ökonomie und einen Rückgang der Staatseinnahmen, ohne daß daraus zwingend eine Umkehrung der Abwertungserwartungen folgt, da mit einer restriktiven Politik lediglich die am Markt sichtbare Nachfrage nach Devisen durch eine Unterdrückung der Einkommensbildung verringert, aber nicht notwendigerweise einen Anstieg der heimischen Liquiditätsprämie eingeleitet werden kann. Kann der Einkommensbildungsprozeß nicht in dem Ausmaß restringiert werden, der es der Ökonomie erlaubt, mindestens eine ausgeglichene Leistungsbilanz zu erzielen, so münden steigende Abwertungserwartungen zwangsläufig in einer Aufgabe der Parität, wobei ein Anstieg des heimischen Zinsniveaus, staatliche Kapitalimporte oder gar eine staatliche Übernahme des Wechselkursrisikos nur die Aufgabe der Wechselkursbindung hinauszögern, sie aber nicht aufheben können. Von einem pessimistischen Blickwinkel aus betrachtet – wofür einige lateinamerikanische Länder als Beispiel dienen können – stellen zeitgleich steigende kurzfristige Nettokapitalimporte, ein konstantes oder gar ansteigendes Haushaltsdefizit und – abhängig davon, inwieweit heimischen Unternehmen der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt verschlossen ist – eine Abschwächung der Investitionsdynamik, abnehmende Inflationsraten sowie ein Ansteigen der Überbewertung des Wechselkurses die wahrscheinlichsten Resultate eines Anpassungsprozesses unter den Bedingungen eines nominalen Ankers dar. Die bisherigen Ausführungen hinsichtlich nominaler Anker treffen bis auf zwei Ausnahmen auch auf nominale Währungsanbindungen zu, denen jeweils 264 Der keynesianische Staat eine Maxiabwertung vor der Fixierung des Wechselkurses vorausgehen und die auf die Generierung einer Konstellation der Unterbewertung abzielen. Die Forderung nach einer Unterbewertung des Wechselkurses impliziert, daß eine Überwindung des ökonomischen und sozialen Status Quo nicht die Aufrechterhaltung eines externen und internen Gleichgewichts, sondern die Kreierung eines Ungleichgewichtes in Form eines von den Exporten gespeisten Nachfrageüberschusses und von korrespondierenden Nettokapitalexporten bedarf. Darüber hinaus beinhaltet eine Unterbewertungsstrategie, daß sich diese Konstellation nicht zwangsläufig über die Dispositionen der privaten Marktakteure einstellt, sondern Interventionen der Zentralbank und des Staates zur Aufrechterhaltung des unterbewerteten nominalen Wechselkurses erfordern. Insofern handelt es sich hierbei ebenfalls um eine Entwicklungsstrategie, die sich des Einsatzes des Wechelkurses zur Erfüllung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen bedient, wenn dies auch nicht unmittelbar eine Veränderung des nominalen Wechselkurses – wie beispielsweise im Rahmen einer Strategie des crawling peg – , sondern gerade eine durch die Wirtschaftspolitik gesteuerte Verhinderung einer Anpassung des nominalen Wechselkurses beinhaltet. Aus der Verbindung von leistungsbilanzbedingten Exportüberschüssen und in heimischer Währung denominierten Nettokapitalexporten, die zu einer Verbesserung der Nettovermögensposition des heimischen Währungsraumes beitragen und aus der Aufwertungserwartungen resultieren, wird der vermögensmerkantilistische Charakter dieser Empfehlung deutlich. Im Gegensatz zu der Win-win-Situation, welche die neoklassischen Vorstellungen über internationale Wirtschaftsbeziehungen prägt, geht der Merkantilismus von einem weltwirtschaftlichen Nullsummenspiel aus, wobei sein nationalistischer Kern darin zum Ausdruck kommt, daß Entwicklung des heimischen Währungsraumes nur auf Kosten anderer Währungsräume erfolgen kann. 59 Offen bleibt dabei, ob diese Entwicklung auf Kosten derjenigen Ökonomien vonstatten geht, die in der Währungshierarchie über oder unter dem merkantilistisch agierenden Währungsraum stehen. Die in den letzten 50 Jahren beobachtbaren Differenzierungsprozesse innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer, die Teile der scientific community bereits zu Überlegungen veranlaßt haben, es existiere überhaupt keine Gruppe von qualitativ gemeinsamen Merkmalen aufweisenden Entwicklungsländern mehr, und Wortschöpfungen wie NIC bzw. NIE, —————— 59 Vgl. auch die Ausführungen Keynes’ (1974) über den Merkantilismus S.283-298. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 265 LLDC, SIMIC oder HIPC lassen vermuten,60 daß Entwicklung innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer mehrheitlich auf Kosten von Mitkonkurrenten oder gar von Ökonomien erfolgt ist, die für ein einzelnes Entwicklungsland selbst Peripherie darstellen. Als Ergebnis der vorangegangenen 50 Jahre an Entwicklungsgeschichte läßt sich deshalb auch kaum eine kontinuierliche Homogenisierung, sondern vielmehr eine Heterogenisierung der Währungsqualitäten in der Mitte sowie am unteren Ende der Währungshierarchie und damit der ökonomischen Bedingungen über unterschiedliche Währungsräume hinweg beobachten. Diese Differenzierungsprozesse werden in dieser Arbeit als Ausdruck dafür interpretiert, daß sich einzelne Ökonomien lediglich stärker als andere Ökonomien einer merkantilistischen Politik mit dem Resultat zu bedienen vermochten, in der Währungshierarchie überhaupt nicht oder weniger stark abzusteigen. Sie dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbst den relativ stark merkantilistisch agierenden Ökonomien ein Aufstieg nicht gelungen ist, und sie sich deshalb immer noch innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer befinden. Wenn die Ceteris-paribus-Klausel aufgehoben und Anpassungsprozesse seitens anderer Ökonomien zugelassen werden, muß konstatiert werden, daß die Implementierung einer Unterbewertungsstrategie, gerade weil sie ein spezifisches Ungleichgewicht herbeizuführen und es so lange wie möglich aufrechtzuerhalten empfiehlt, die dem Weltwährungssystem inhärenten Instabilitäten noch verstärkt. So wenig einzelne Unternehmen sich dem Lohnsenkungsdruck ihrer Konkurrenten entziehen können, können sich ganze Ökonomien als Konkurrenten in der Währungshierarchie von dem sich einer relativen Unterbewertung des Wechselkurses bedienenden Währungsraumes ausgehenden Deflations- bzw. Abwertungsdruck entziehen, woraus sich die Notwendigkeit internationaler Regulierungen ergeben. Der Frage jedoch, welche konkrete Regulierung im internationalen Kontext analog der Funktion eines Geldlohnankers innerhalb der heimischen Ökonomie für die Stabilität des Weltwährungssystems erforderlich und adäquat ist, kann aber weder an dieser Stelle noch insgesamt in dieser Arbeit nachgegangen werden. Weiterhin ist einschränkend hinzuzufügen, daß allein an die Aufrechterhaltung einer Unterbewertungskonstellation mindestens ebenso harte geld-, fiskalund einkommenspolitische Bedingungen geknüpft sind wie an die Etablierung anderer – Currency Boards ausgenommen – nominaler Währungsanker. »Nur —————— 60 Newly Industrializing Economies bzw. Newly Industrializing Countries, Last and Least Developed Countries, Severely Indebted Middle Income Countries oder Highly Indebted Poor Countries. 266 Der keynesianische Staat wenn es gelingt, Budgetdisziplin und einen nominellen Wechselkurs- und Geldlohnanker zu etablieren, kann eine Unterbewertung erfolgreich aufrechterhalten werden.«61 Wenn jedoch nicht nur eine umfassende Steuerungskapazität des heimischen Vermögens- sowie des Devisenmarktes seitens des Staates und der Zentralbank, sondern bis zu einem gewissen Umfang bereits eine vermögensmarktkonforme Kompensation der stärkeren positiven Preis- und der geringeren Mengeneffekte vorausgesetzt werden, so beinhaltet dies die Gefahr, tautologisch zu argumentieren. Selbst bei einer strikten Orientierung der für die Geld-, Fiskalund Einkommenspolitik zuständigen Makroakteure an Preisniveaustabilität, entzieht sich die Entscheidung der einzelwirtschaftlichen Akteure, die gerade die stärkeren positiven Preiseffekte in Entwicklungsländern befördern und so die entsprechenden Vermögensmärkte destabilisieren, dem Diktat der Makroakteure. Es sind ganz im Gegenteil die Makroakteure, die angesichts ihrer nicht vorhandenen ökonomischen Omnipotenz an die durch die einzelwirtschaftlichen Entscheidungen auferlegten Restriktionen in der Ausgestaltung ihrer Politik gebunden sind – in dem die Zentralbank durch ihre Geldpolitik auf die stärkeren positiven Preiseffekte reagiert und das staatliche Budget sowie die Lohnempfänger die Kosten der geldpolitischen Reaktion in Form geringerer positiver Mengeneffekte zu tragen haben, während demgegenüber die einzelwirtschaftlichen Akteure über ihre jeweiligen Dispositionen auf den Vermögens- und Devisenmärkten in der Lage sind, eine jene Restriktionen mißachtende Politik nahezu unbeschränkt ad absurdum zu führen. Die stärkeren Preisauftriebskräfte, die einzelwirtschaftliche Akteure erst veranlassen, der heimischen Währung eine geringere Liquiditätsprämie zuzuordnen, ausschließlich auf das (fehlende oder ungenügende) Vorgehen der Wirtschaftspolitik zurückzuführen, impliziert eine bei Wohlverhalten der Makroakteure zumindest theoretisch mögliche Egalität von Währungsräumen, was dem dieser Arbeit zugrundeliegenden keynesianischen Verständnis diametral widerspricht. Obgleich eine Unterbewertung des Wechselkurses zweifellos Entwicklungsperspektiven eröffnet und Gestaltungsspielraum erhöht, erscheint es auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen sowie unter Aufhebung der Ceteris-paribusKlausel mehr als zweifelhaft, ob mittels einer restriktiven Politik direkt über den Vermögens- und damit auch den Devisenmarkt eine solche Entwicklungskonstellation zu erzwingen ist. Insofern drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß der Rückgriff auf eine restriktive Politik Ausdruck für die stärkere monetäre —————— 61 Herr (1992), S.221. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 267 Destabilisierung sowie die geringere Einkommensbildung, aber nicht Mittel zu deren Überwindung darstellt. Da die Stabilität einer Währung nicht durch die Wahl eines konkreten Wechselkursregimes bestimmt wird, sondern auf der Qualität der heimischen Währung beruht, existiert kein universell zu empfehlendes Wechselkursregime für Entwicklungsländer. Die Akkumulation von Fremdwährungsverbindlichkeiten führt zu einer Schwächung der heimischen Währung, und eine auf Seiten der Entwicklungsländer unilaterale Verpflichtung zu Devisenmarktinterventionen zugunsten ihrer Währungen belastet nachhaltig die Entwicklungsbemühungen. Die Vorstellung, daß durch die Implementierung eines allgemein gültigen Wechselkursregimes – sei es in Form eines nominalen oder realen Ankers – das Dilemma der Unterentwicklung überwunden werden könne, verkürzt somit das Problem von Entwicklung auf eine Frage des Designs von unterstellten korrekten (absoluten oder relativen) Preisen. Wenn darüber hinaus eine geringe oder gar keine Fremdwährungsverschuldung, eine geringere Inflationsrate sowie ein geringeres Budgetdefizit im Vergleich zum Ankerwährungsraum, an den der (nominale oder reale) Wechselkurs gebunden ist, als Bedingungen für den Erfolg eines Wechselkursregimes vorausgesetzt werden, so stellte man damit eine Marktkonstellation an den Anfang der Ableitungskette von Unterentwicklung zu Entwicklung, deren Abwesenheit ja gerade Unterentwicklung hervorruft. Auf diesem Hintergrund erscheint auch die Debatte um Stabilisierung versus Einkommensbildung problematisch, da sie eine Wahl zwischen beiden suggeriert oder zumindest an der Möglichkeit festhält, ersteres ohne gleichzeitig auch letzteres zu realisieren. »Monetäre Stabilität kann für unterentwickelte Länder mit anhaltender Stagnation verbunden sein, da monetäre Stabilität zwar die Voraussetzung einer anhaltenden Akkumulationsdynamik ist, jedoch keine hinreichende Bedingung.«62 Stabilisierung und Einkommensbildung sind aber nicht etwa bloße Begleiterscheinungen oder Voraussetzungen eines Entwicklungsprozesses, sondern unabdingbare gemeinsame Ingredienzen ökonomischer Entwicklung. Ein Einkommensbildungsprozeß ohne stabilitätspolitische Absicherung ruft zweifelsohne einen Verlust von Geldfunktionen hervor, der durch einen kumulativen Prozeß der Inflation begleitet wird und im Extremfall in der Erosion des heimischen Geldsystems münden kann, so daß der Einkommensbildungsprozeß in heimischer Währung vollständig zum Erliegen kommt. Gleichzeitig muß jedoch konstatiert werden, daß eine Stabilisierung der Makroökonomie ohne Einkommensbildung allenfalls kurzfristig möglich ist. Mittel- bis langfristig wird —————— 62 Herr, 1992, S.215. 268 Der keynesianische Staat jedoch ein Prozeß der Deökonomisierung von Ressourcen eingeleitet, der im Extremfall die formelle Ökonomie allein auf die staatlich bewirtschafteten Segmente reduziert und damit mittels einer geldpolitischen Unterdrückung der Einkommensbildung die heimische Währung verdrängt. »Langfristig sind wir somit, um KEYNES berühmtes Aperçu aus der Tract zu tradieren, nicht etwa alle tot (...); vielmehr findet langfristig kein Wirtschaften statt.«63 5.3.3 Dilemma des ökonomischen Staates Eine Ökonomie innerhalb des dieser Arbeit zugrundeliegenden keynesianischen Paradigmas definiert sich über die Emission einer eigenen Währung und nicht etwa über historisch herausgebildete Strukturen wie im Strukturalismus oder den Bestand an physischen Ressourcen innerhalb des Neoliberalismus. Der Grad der ökonomischen Souveränität einer keynesianischen Ökonomie bemißt sich demzufolge an dem Grad der Ausfüllung von Geldfunktionen durch die heimische Währung, wobei eine Verdrängung der heimischen Währung aus den binnenwirtschaftlichen Aktivitäten eine Bewirtschaftung durch andere Währungsräume und damit einen teilweisen oder, wie im Falle einer hundertprozentigen unilateralen Dollarisierung, gar vollständigen Souveränitätsverlust anzeigt. Eine Übernahme internationaler Geldfunktionen durch eine nationale Währung dagegen ist Ausdruck eines hohen Souveränitätsgrades, welcher der heimischen Wirtschaftspolitik einen internationalen Resonanzboden verschafft. Ökonomische Souveränität ist jedoch keinesfalls gleichzusetzen mit der Vorstellung monetärer Autonomie wie dies beispielsweise der Monetarismus im Falle vollständiger flexibler Wechselkurse postuliert. Mit dem Anstieg der ökonomischen Souveränität geht ein Anstieg des Gestaltungsspielraumes der Wirtschaftspolitik einher, auf Marktprozesse zu reagieren sowie Richtung und Ausmaß von Marktprozessen zu beeinflussen, aber nicht die Fähigkeit, das Resultat von Marktprozessen vorwegzunehmen, diese zu determinieren oder sie gar gänzlich zu unterbinden.64 —————— 63 Riese, H. (1997), Die moderne Wachstumstheorie: Eine keynesianische Unmöglichkeit, in: Bombach, G., Ramser, H.J., Riese, H., Stadler, M. (Hrsg.), Der Keynesianismus VI: Der Einfluß keynesianischen Denkens auf die Wachstumstheorie, Berlin et.al.: Springer, S.187225, S.193. 64 Ähnlich argumentiert auch Riese (1998), S.30. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 269 Gleichzeitig mit der Emission einer eigenen Währung fungiert somit der Weltmarkt als der Referenzmaßstab für die Bewertung einer Ökonomie. Eine keynesianische Ökonomie ist deshalb immer eine offene Volkswirtschaft, deren internationale Einbindung sich auf dem Devisenmarkt anhand der von den Wirtschaftssubjekten den einzelnen Währungen zugeordneten Liquiditätsprämien vollzieht. Nur im Falle des multilateralen Übergangs zu einer einzigen Weltwährung können die auf den unterschiedlichen Währungsqualitäten basierenden Differenzierungsprozesse, die sich gerade in der Fragmentierung der Weltwirtschaft in unterschiedliche Währungsräume ausdrücken, ausbleiben. Andernfalls drücken sich unterschiedliche Währungsqualitäten in Liquiditätsprämienspreads aus und mit Ausnahme derjenigen Ökonomie, welche über die höchste Liquiditätsprämie verfügt, erfordert die Stabilisierung der Devisenmarktaktivitäten ein im Verhältnis zur heimischen Liquiditätsprämie reziproke Beziehung des heimischen Zinsniveaus, um eine im internationalen Vergleich geringe Liquiditätsprämie durch ein dazu korrespondierendes hohes Zinsniveau zumindest temporär zu kompensieren. Eine Hierarchie von Währungen auf dem Weltmarkt restringiert den jeweiligen heimischen Einkommensbildungsprozeß und stellt eine wesentliche Ursache des vom Devisenmarkt ausgehenden Peripherisierungsdrucks sowie von Peripherisierung und somit Unterentwicklung selbst dar. Ein geringer Grad an internationaler Integration spiegelt deshalb auch nicht eine geringe Relevanz der Weltwirtschaft für diese Ökonomie wider, sondern offenbart statt dessen, daß diese Ökonomie den vom Weltmarkt ausgehenden Marginalisierungstendenzen nicht zu widerstehen vermochte. Die hierarchische Strukturierung des Weltmarktes erhält durch die hierarchische Strukturierung der heimischen Märkte untereinander ihr binnenwirtschaftliches Pendant, das eine zweite wesentliche Ursache für die geringe Dynamik der Einkommensbildung repräsentiert. Der Binnenmarkt ist innerhalb einer keynesianischen Ökonomie keineswegs durch eine Egalität der Märkte – wie etwa in der Neoklassik – oder gar durch eine Dominanz des Güter- über den Geld-, Kredit- oder Vermögensmarkt – wie in der strukturalistischen Welt – charakterisiert. Die Entscheidungen auf dem Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt konstituieren die Anforderungen in Form einer Mindestprofitrate, denen der Gütermarkt genügen muß. Die Dominanz des Gläubigers über den Schuldner sowohl hinsichtlich des Kreditmittels als auch des dafür zu entrichtenden Obolus ist Konsequenz sowohl einer Hierarchie der Währungen als auch der Märkte, denen sich eine Ökonomie als Gesamtheit nicht zu entziehen vermag. Dies gilt insbesondere für eine Ökonomie, deren Währung mit einer international geringen 270 Der keynesianische Staat nicht-pekuniären Ertragsrate ausgestattet und durch einen ebenfalls geringen Umfang von langfristigen, nominal fixierten Forderungen in dieser Währung gekennzeichnet ist. Deshalb offenbaren die Investitionen in Ausfüllung ihrer Scharnierfunktion sowohl zwischen Kredit- und Gütermarkt als auch zwischen Gegenwart und Zukunft wie in einem Brennglas die Bedingungen und Restriktionen, unter denen sich Entwicklung, verstanden als die Organisation von Produktion und Beschäftigung in heimischer Währung, in der jeweiligen Ökonomie vollziehen muß. Die Destabilisierung des Erwartungsbildungsprozesses der Geschäftsbanken sowie der Unternehmen stellt aufgrund ihres Beharrungsvermögens ein über das international hohe heimische Zinsniveau hinausgehendes Hindernis für eine Ökonomie dar, da eine durch den Devisenmarkt abgesicherte Zinssatzsenkung nicht automatisch in einen konsekutiven Anstieg der Sicherheit über den Vermögensrückfluß und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapital mündet. Aus der hierarchischen Verfaßtheit der Märkte (vgl. auch Übersicht 4) und der Unsicherheit der Zukunft läßt sich innerhalb der keynesianischen Welt endogen im Sinne einer Systemimmanenz eine ökonomische Interpretation von Krisenphänomenen vornehmen, ohne daß der Erkenntnisprozeß a priori auf exogene Faktoren wie im neoliberalen Paradigma oder auf historische Erscheinungsformen im strukturalistischen Paradigma reduziert wird. Die Konsistenz der einzelwirtschaftlichen Entscheidungen sowohl zwischen den Märkten als auch im Zeitablauf ist nicht automatisch gegeben, ersteres nicht, da die Entscheidungen auf den Geld-, Kredit- und Vermögens- sowie Güter- und Arbeitsmärkten von unterschiedlichen Wirtschaftssubjekten in Form der Geschäftsbanken, Unternehmen und Haushalten getroffen werden, deren ökonomische Kalküle, Ziele und Strategien nicht notwendigerweise identisch sind, und letzteres nicht, weil die Zukunft nicht einfach eine Extrapolation der Vergangenheit darstellt. Die Wirtschaftssubjekte treffen in der Gegenwart bei gegebenen Preisen Entscheidungen, mit denen sie zukünftige Zahlungsverpflichtungen eingehen, ohne daß sie jedoch über die Sicherheit verfügen, ob die erwartete Preisbildung, auf der ihre Entscheidungen beruhen und die Grundlage ihrer freiwilligen Verpflichtung zu zukünftigen Zahlungen darstellen, tatsächlich eintritt und somit ohne über die Gewißheit zu verfügen, ob ihre Entscheidungen auch in der Zukunft noch Bestand haben werden. Da der Keynesianismus weder das Privileg eines (neoklassischen) Auktionators noch des eines (strukturalistischen) omnipotenten Staates aufweist, muß eine fehlende Konsistenz von einzelwirtschaftlichen Entscheidungen durch Anpas- Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 271 sungsprozesse auf und zwischen den Märkten re-etabliert werden. Ökonomische Anpassungsprozesse implizieren jedoch nicht die friktionslose Rückkehr zu einem ehemals stabilen Gleichgewichtspfad, sondern eine Phase der Marktbereinigung, die im Extremfall auf der einzelwirtschaftlichen Ebene mit der individuellen Zahlungsunfähigkeit und damit dem Ausscheiden des Wirtschaftssubjektes aus dem Markt endet. Gesamtwirtschaftlich können solche Anpassungsprozesse in kumulativen Phasen münden und sich in internationalen Marginalisierungsschüben äußern. Insbesondere kontinuierliche Abwertungen des heimischen Wechselkurses oder eine Phase der Deflation verursachen aufgrund der Aufwertung der Realschuld eine Zahlungsunfähigkeit des heimischen Unternehmensund gegebenenfalls des Bankensektors. Die Zahlungsunfähigkeit ganzer Sektoren als Resultat der Veränderung des gesamtwirtschaftlichen Preissystems ist Ausdruck für eine die makroökonomische Stabilität einer Ökonomie bedrohende Krise im Gegensatz zu einem einzelwirtschaftlichen Konkurs bei gegebenen Preisen. Während die sich öffnende Schere zwischen den aus den in der Vergangenheit eingegangenen Schuldbeständen für die Gegenwart erwachsenen Zahlungsverpflichtungen und den zu aktuellen Preisen tatsächlich möglichen Einkommensströmen Ausmaß und Intensität der Anpassungsprozesse vorgeben, verläuft die Marktbereinigung und damit die Richtung dieser Prozesse vom Devisenmarkt über den heimischen Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt zum heimischen Güter- und schließlich Arbeitsmarkt, wobei diejenigen Wirtschaftssubjekte, die aus dem Marktprozeß ausscheiden müssen, sich direkt im informellen Sektor wiederfinden (vgl. auch Übersicht 4). Der wirtschaftliche und soziale Abstieg der Wirtschaftssubjekte kann abgesehen von der Familienwirtschaft nur bei einer entsprechenden Wirtschaftspolitik durch einen staatlich organisierten zweiten Arbeitsmarkt oder soziale Sicherungssysteme gemildert werden. Entsprechend dem keynesianischen Verständnis, das dieser Arbeit zugrunde liegt, stellt Entwicklung einen heimischen Einkommensbildungsprozeß bei gleichzeitiger Wahrung stabilitätspolitischer Anforderungen in Form von gegenüber Leit- und Reservewährungen relativ geringen Inflations- und Abwertungsraten der heimischen Währung dar. Entwicklungsländer zeichnen sich durch eine Einkommensbildung aus, die sich teilweise oder gar zum überwiegenden Anteil aus Fremdwährung speist. Eine keynesianische Strategie der Entwicklung bzw. der Entperipherisierung bedarf somit Eingriffe in das Marktgeschehen, die eine Dynamisierung der Einkommensbildung unter stabilen makroökonomischen Bedingungen ermöglichen, wobei sich Entwicklung unter dem gegebenen Weltwirtschaftssystem darin ausdrückt, daß die Einkommensbildung vollständig in 272 Der keynesianische Staat heimischer Währung erfolgt und perspektivisch ein Aufstieg dieser Ökonomie innerhalb der Hierarchie der Währungsräume erfolgt. Solche Eingriffe können nicht durch die einzelwirtschaftlichen Akteure Haushalte alias Vermögenseigentümer, Geschäftsbanken alias Vermögensbesitzer oder Unternehmen alias Schuldner durchgeführt werden, da diese jeweils über Kalküle verfügen, deren Realisierung eine Veränderung in der Position der Währungshierarchie zwar verbessert, sie aber weder voraussetzt noch bedingt. Übersicht 4: Hierarchie der Märkte DEVISENMARKT Heimischer Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt Heimischer Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt Heimischer Gütermarkt Heimischer Gütermarkt Heimischer Arbeitsmarkt Heimischer Arbeitsmarkt Staatlich organisierter, zweiter Arbeitsmarkt Staatliche soziale Sicherungssysteme Informeller Sektor Informeller Sektor (Industrieländer) (Entwicklungsländer) Eigene Darstellung Die Zentralbank wiederum kann maximal über eine Geldverknappung ihre Politik den Märkten aufzwingen und stellt deshalb im Hinblick auf die Absicherung der Position der Ökonomie innerhalb der Währungshierarchie nach unten einen wichtigen makroökonomischen Akteur dar, einen Aufstieg in der Wäh- Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 273 rungshierarchie mittels des Zinsinstrumentariums zu bewerkstelligen, ist sie jedoch nicht in der Lage. Während der Devisenmarkt der Ort ist, in dem die Bestandshalteentscheidungen der Vermögenseigentümer getroffen werden, reflektiert der heimische Kreditmarkt die Investitionsentscheidungen. In einer Ökonomie, die sich durch eine international geringe Liquiditätsprämie auszeichnet, vermag jedoch der Wechselkurs nicht die Vermögenssicherung zu übernehmen, so daß diese Funktion an die heimische Geldpolitik übergeht. Da die Gläubiger und mit ihnen der Devisenmarkt im Zweifelsfall immer die härtere Restriktion markieren,65 wird die Geldpolitik in diesem Dilemma das Zinsinstrumentarium für die Erfüllung der stabilitätspolitischen Norm einsetzen, will die Zentralbank nicht Gefahr laufen, daß diese Steuerungsfunktion von einer ausländischen wertstabileren Währung übernommen wird. Es ist somit offensichtlich, daß es nicht eine Frage des Designs der Geldpolitik darstellt, die ›richtigen‹ Zinssätze zu finden, die einen dynamischen Einkommensbildungsprozeß und gleichzeitig die Aufrechterhaltung der Vermögenssicherungsfunktion der heimischen Währung gewährleisten. Dennoch ist ein Erhalt der aktuellen Liquiditätsprämie durch die Zentralbank nicht in jedem Fall gesichert, selbst wenn sie diesen auch um den Preis der gänzlichen Unterdrückung des heimischen Einkommensbildungsprozesses durchzusetzen sucht. Obwohl der Einsatz ihres Instrumentariums mittel- oder sogar unmittelbar auf die Steuerung und Beeinflussung der Dispositionen privater Akteure auf dem Devisen-, Geld-, Kredit-, Vermögens- und Gütermarkt abzielt, beschneidet die Zentralbank im Falle einer geringen heimischen, vorwiegend durch den staatlichen Sektor bewirtschafteten ökonomischen Enklave jedoch vor allem die Fiskalpolitik und destabilisiert so eine Haushaltskonsolidierung, da sich ihre unmittelbare Macht ausschließlich auf das Segment der formellen Ökonomie beschränkt. Die Wirksamkeit des Zinsinstrumentariums im Hinblick auf die Steuerung der Dispositionen der privaten Akteure ist somit an die Integration deren Aktivitäten in die formelle heimische Ökonomie gebunden und muß in einer Ökonomie, die vorwiegend durch andere Währungen bewirtschaftet wird oder die sich durch einen hohen Anteil des informellen Sektors an der Gesamtökonomie auszeichnet, als gering oder sogar inexistent bezeichnet werden. Dies —————— 65 Dies gilt in abgeschwächter Form auch für eine Ökonomie, die an der Spitze der Wäh- rungshierarchie steht. Hier erfüllt der Wechselkurs das Kriterium der Vermögenssicherung, so daß die Geldpolitik lediglich auf den Erhalt der Vermögenssicherung durch den Wechselkurs ausgerichtet ist, womit sie hinsichtlich der Einkommensbildung über einen höheren Gestaltungsspielraum oder, anders ausgedrückt, über mehr Souveränität verfügt. 274 Der keynesianische Staat mag eine Erklärung für das weit verbreitete Mißtrauen der Strukturalisten in die Steuerung der Ökonomie durch das traditionelle Zinsinstrumentarium und für ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Form einer expansiv angelegten administrierten Wechselkurs-, Geld- und Kreditpolitik liefern. Das in der neoklassisch-monetarischen oder auch keynesianisch geprägten Literatur häufig sogar ungebrochene Vertrauen in den restriktiven Einsatz der Zinspolitik als Garant für den Erhalt der internen sowie externen Stabilität muß auf der Grundlage der Ausführungen in dieser Arbeit entweder als Über- oder gar als Fehleinschätzung der Zentralbankpolitik und damit des ökonomischen Akteurs Zentralbank zurückgewiesen werden. Die Zinspolitik bleibt in einem Entwicklungsland hinsichtlich der Steuerung der privaten Dispositionen so lange ein relativ stumpfes Schwert wie eine markt- oder politikinduzierte Ausweitung der durch die heimische Währung bewirtschafteten formellen Ökonomie nicht gelingt. Erst in dem Moment, in dem die heimische Liquiditätsprämie allmählich ansteigt und somit ein Entwicklungsprozeß bereits eingeleitet ist, avanciert die Zentralbank zu einem zentralen Akteur der Ökonomie. In einer solchen Konstellation des Aufwertungsverdachtes, in dem der Wechselkurs zunehmend als Garant für die Vermögenssicherungsqualität der heimischen Währung fungiert, verfügt die Zentralbank einerseits über den Spielraum, mit der Senkung des Zinsniveaus auf den heimischen Einkommensbildungsprozeß unterstützend einzuwirken, in dem sie Mengeneffekte zuläßt, und erfährt andererseits durch die allmähliche Integration von privaten Dispositionen in die formellen heimischen Märkte selbst eine Aufwertung, die sich in einer Steigerung der Wirksamkeit ihres Instrumentariums oder, anders formuliert, in einem Machtzuwachs der Zentralbank ausdrückt. Der Staat weist sich sowohl hinsichtlich seines Kalküls als auch der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente als der einzige Akteur aus, der, wenn überhaupt, die oben genannten Eingriffe in den Marktprozeß von Richtung und Umfang in der Lage ist zu koordinieren und gegebenenfalls auch selbst zu realisieren. Der Staat ist ein ökonomischer Akteur, dessen Einnahmen durch Zwangserhebungen bzw. durch nicht-freiwillige Zahlungen anderer, vorwiegend privater Marktteilnehmer beispielsweise in Form von Steuern, Zölle oder Gebühren erfolgen. Ein Staat existiert so lange, wie seine Währung von privaten Wirtschaftssubjekten gehalten wird und so lange noch genügend Einkommen erwirtschaftet werden, die als Grundlage für Zwangserhebungen dienen können. Das Kalkül des Staates besteht demnach darin, seine Einnahmen bei gegebenem Wechselkurs und Steuersystem zu konsolidieren und zu erhöhen, um damit seine eigene Budgetrestriktionen zunächst einhalten und schließlich kontinuierlich erweitern Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 275 zu können. Die Einhaltung der staatlichen externen Budgetrestriktion erfordert die Zahlungsfähigkeit des Staates in Fremdwährung, wozu unmittelbar Währungsreserven mindestens in Höhe der durch den Staat selbst eingegangenen Zahlungsverpflichtungen in Fremdwährung zählen. Mittelbar jedoch sind darunter ebenfalls darüber hinausgehende Devisenbestände zu subsumieren, mit Hilfe derer eine staatliche Nachfrage nach heimischer Währung auf dem Devisenmarkt kreiert werden kann, um damit bei einer temporären Überschußnachfrage nach Fremdwährung durch die privaten Akteure den aktuellen Wechselkurs zu stabilisieren und eine Abwertung zu verhindern. Dabei ist die Tatsache, daß es sich bei dieser Überschußnachfrage juristisch betrachtet um den Aufbau privater Forderungsbestände oder der Bedienung privater Schuldbestände handelt, für die Privatisierung staatlicher Währungsreserven so lange nicht von Belang wie die Dispositionen der privaten Akteure das Risiko makroökonomischer Anpassungsprozesse beinhalten können, welche die Aufrechterhaltung des aktuellen Preisgefüges in Form des Wechselkurses und des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus gefährden. Je geringer die staatlichen Zahlungsverpflichtungen in Fremdwährung sind, desto größer ist bei gegebener Devisenproduktion der Ökonomie der staatliche Spielraum, stabilisierend zugunsten des aktuellen Wechselkurses einzugreifen und somit die staatliche sowie gesamtwirtschaftliche Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Damit eine temporäre Überschußnachfrage der privaten Akteure nicht in eine strukturelle Überschußnachfrage nach Fremdwährung übergeht, bedarf es darüber hinaus staatlicher Einschränkungen von privaten Akteuren, die über den Zugang zum internationalen Geld- und Kreditmarkt verfügen, dort Fremdwährungsverbindlichkeiten einzugehen. Die interne Budgetrestriktion des Staates wird durch den Umfang der Steuerbasis und damit dem durch die heimische Währung bewirtschafteten formellen Anteil der Ökonomie markiert. Obgleich die interne Budgetrestriktion die Zahlungsfähigkeit des Staates in heimischer Währung impliziert, welche der Staat im Gegensatz zu Währungsreserven selbst produzieren kann, ist sie keineswegs eine weiche oder gar inexistente wie häufig mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Inflationierung der Staatsschuld unterstellt wird. Der Versuch einer Inflationierung der Staatsschuld ist zwar möglich, verhindert jedoch im Extremfall nicht eine interne Zahlungsunfähigkeit des Staates, sondern wird entsprechende Anpassungsprozesse auslösen. Entweder verweigert die Zentralbank die Inflationierung, in dem sie durch das Zinsinstrumentarium eine interne Stabilisierungskrise auslöst, in deren Folge der formelle Sektor und damit die Steuerbasis weiter schrumpfen und sich die staatlichen Ausgaben sogar noch erhöhen werden, oder 276 Der keynesianische Staat die Zentralbank läßt eine solche Inflationierung zu, was private Marktakteure im Verlauf des Inflationsprozesses dazu induziert, den durch die heimische Währung bewirtschafteten Teil der Ökonomie zu verlassen. In beiden Fällen werden die Einnahmen des Staates durch den Schrumpfungsprozeß des formellen zugunsten des informellen oder durch Fremdwährung bewirtschafteten Sektors gesenkt. In dem Moment, in dem die formelle, in heimischer Währung denominierte Steuerbasis auf den durch den Staat bewirtschafteten Anteil der Ökonomie reduziert ist und es sich somit um eine erzwungene ›staatliche Subsistenzwirtschaft‹ handelt oder die Staatsbediensteten sich weigern, gegen Löhne und Gehälter in heimischer Währung ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ist die interne Budgetrestriktion endgültig verletzt, was sich in der Zahlungsunfähigkeit des Staates in heimischer Währung ausdrückt. »Die wichtigsten Agenda des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet werden, sondern jene Funktionen, die über den Wirkungskreis des Individuums hinausgehen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft.«66 Sowohl strukturalistische als auch neoliberale Autoren beziehen sich in ihren Ausführungen auf dieses Keynes-Zitat, das je nach zugehörigem Paradigma entweder zur Begründung von staatlichen Investitionsoffensiven bei ausbleibenden privaten Investitionen (Strukturalismus) oder zur Forderung der Privatisierung der staatlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen (Neoliberalismus) herangezogen wird. Gemeinsam ist der Auslegung dieses Keynes-Zitat durch die beiden Paradigmen, daß sie unter den Agenden des Staates Aktivitäten verstehen, die von privaten Akteuren entweder noch nicht oder sogar besser durchgeführt werden könnten. In dieser Arbeit werden die Aussagen Keynes jedoch als Hinweis auf ökonomische Funktionen interpretiert, die der Staat auszufüllen hat, wobei er sich zur Realisierung dieser Funktionen uneingeschränkt ähnlicher oder gar identischer Aktivitäten von privaten Wirtschaftssubjekten bedienen darf. Die zwei wesentlichsten Funktionen des keynesianischen Staates bestehen in der Begrenzung von ökonomischen Anpassungsprozessen und in der Stabilisierung von Erwartungen der Wirtschaftssubjekte. Die Stabilisierung von Erwartungen impliziert den Verzicht des Staates auf eine prozyklische Wirtschaftspolitik und damit den Verzicht auf eine Vertiefung der jeweils vorherrschenden Marktkonstellation, in concreto der Verstärkung der gesamtwirtschaftlichen —————— 66 Keynes, J.M. (1926), Das Ende des Laissez-Faire: Ideen zur Verbindung von Privat- und Gemeinwirtschaft, München, Leipzig: Duncker und Humblot, S.35 (Hervorhebungen im Original). Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 277 Nachfrage als Folge einer staatlichen Ausgabenerhöhung im Zuge eines Booms und damit der Beschleunigung inflationärer Effekte sowie der Vertiefung des Anpassungsdrucks während einer Rezessions- oder Depressionsphase durch eine staatliche Ausgabensenkung und damit der weiteren Verringerung der Sicherheit über den Vermögensrückfluß sowie der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Darüber hinaus wirken staatliche Regulierungen stabilisierend, die aus dem Marktprozeß erwachsene Unsicherheiten reduzieren oder gar gänzlich eliminieren. Dazu gehört insbesondere eine multilaterale Währungsunion, die den Devisenmarkt zwischen den bislang fragmentierten Währungsräumen aufhebt und somit die vom Devisenmarkt ausgehende Destabilisierung der Erwartungsbildung außer Kraft setzt. In diesem Zusammenhang ist auch eine bi- oder gar multilaterale Wechselkursbindung zu nennen, da die Interventionspflicht von mindestens zwei Währungsräumen, die Möglichkeiten, stabilisierend auf dem Devisenmarkt einzugreifen, erhöht und damit einem Währungsraum unter Abwertungsdruck eine Verlängerung des Anpassungszeitraumes sowie eine Verringerung der mit der Anpassung einhergehenden ökonomischen und sozialen Kosten eröffnet. Die Begrenzung der ökonomischen Anpassungskosten, die im Zeitablauf durch miteinander inkonsistente Dispositionen privater Akteure hervorgerufen werden, erfordert die staatliche Begrenzung der Verlagerung von Entscheidungen privater Akteure auf in der Hierarchie höher befindliche Märkte. Je höher die Märkte in der heimischen und internationalen Hierarchie angesiedelt sind, auf denen Entscheidungen gefällt werden können, desto mehr Märkte werden bei sich herausbildenden Inkonsistenzen in den Anpassungsprozeß miteinbezogen. Je mehr Märkte aber in den Anpassungsprozeß involviert sind, desto stärker ist die Intensität und desto größer sind die Kosten dieses Prozesses. So lange beispielsweise Investitionsentscheidungen auf dem heimischen Kredit- und Gütermarkt getroffen werden, werden diesbezügliche Anpassungen nicht direkt auf den Devisenmarkt übergreifen. Gleichzeitig wird das Potential an Instabilitäten auf dem Devisenmarkt selbst geringer, da dort dann insgesamt am Umfang der Zahlungsströme gemessen weniger Dispositionen durch die privaten Akteure realisiert werden und somit auch die unmittelbare Transmissionskraft des Devisenmarktes zur Übertragung von Instabilitäten auf den heimischen Kredit-, Güter- sowie letztendlich Arbeitsmarkt abgeschwächt wird. Aus denselben Gründen ist die Bindung der Höhe von Gehaltszahlungen an den Aktienwert des jeweiligen Unternehmens oder der Einführung eines Kapitaldeckungsverfahren für die Rentenversicherung unter entwicklungsstrategischen Aspekten zurückzuweisen. 278 Der keynesianische Staat Unter dem Mantel der Leistungs- und Effizienzsteigerung erfolgt eine Verlagerung von privaten Entscheidungen, die bislang auf dem Güter- und Arbeitsmarkt angesiedelt waren auf den heimischen oder sogar internationalen Vermögensmarkt, so daß die unmittelbare Abhängigkeit der Akteure des Güter- und Arbeitsmarktes von den Dispositionen auf den internationalen Vermögensmärkten ansteigen muß. Allgemein formuliert zielt die staatliche Begrenzung von Verlagerungen privater Entscheidungen auf in der Hierarchie höher gestellte Märkte bereits vor dem Eintritt einer Krisenkonstellation auf eine Reduzierung der Krisenanfälligkeit der Ökonomie ab, in dem der Staat als makroökonomischer Akteur Bedingungen setzt, die einzelwirtschaftliche Akteure tendenziell veranlassen, ihre Dispositionen auf den in der Hierarchie niedriger angesiedelten Märkten durchzuführen. Zu diesen Bedingungen gehören auch die negative Sanktionierung des Aufbaus von Fremdwährungsverbindlichkeiten seitens privater Wirtschaftsakteure oder der Rückgriff auf eine Bardepotpflicht sowie die Vermeidung von Nominallohnsenkungen, wobei erstere das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit bei Abwertungen und letzteres die Gefahr einer deflationären Spirale reduzieren. Die Begrenzung von Anpassungsprozessen im Verlauf einer gesamtwirtschaftlichen Krise zielt dagegen auf eine Minderung der ökonomischen und sozialen Verwerfungen ab, die mit dem dann bereits eingeleiteten Prozeß der Marktbereinigung verbunden sind. Auf diesem Hintergrund kann auch ein bailout internationaler Anleger oder des heimischen Bankensystems aus makroökonomischer Sicht durchaus rational sein, wenn es dadurch gelingt, die Tiefe und Intensität der Marktbereinigung auf dem Devisen- oder heimischen Vermögensund Kreditmarkt zu reduzieren und so den sich auf dem heimischen Güter- und Arbeitsmarkt fortsetzenden Anpassungsdruck ebenfalls zu mindern. Während somit vor einer Krisenkonstellation die Verminderung der Krisenanfälligkeit der Ökonomie und während einer gesamtwirtschaftlichen Krise die Minderung der Anzahl derjenigen Wirtschaftssubjekte, die aus dem Marktprozeß ausscheiden, die staatliche Funktion der Begrenzung von ökonomischen Anpassungsprozessen füllen, besteht die Aufgabe einer staatlichen Sozialpolitik im engeren Sinne ›lediglich‹ in der sozialen Abfederung derjenigen Akteur, die als Konsequenz der Krise tatsächlich aus dem Marktprozeß ausscheiden müssen. An der aus keynesianischer Sicht notwendigen Existenz einer staatlichen Sozialpolitik wird unabhängig von ethischen Erwägungen offenbar, daß staatliche Interventionen, welche die Verlagerung von Entscheidungen privater Marktakteure in der Hierarchie der Märkte nach oben begrenzen, keineswegs in der Lage sind, die Hie- Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 279 rarchie dieser Märkte gänzlich aufzuheben und Krisen zwingend zu verhindern, sondern daß sie ausschließlich das Ausmaß von zukünftigen, dem herrschenden System immanenten ökonomischen Verwerfungen zu reduzieren vermögen. Allein aus der Funktion der Stabilisierung der Erwartungen und der davon abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlung, namentlich dem Verzicht auf eine pro-zyklische Fiskalpolitik, ergibt sich, daß die staatlichen Interventionen diskretionär erfolgen müssen und nicht regelgebunden sein können. Die unterschiedlichen Marktkonstellationen, während derer ein qualitativ jeweils unterschiedliches staatliches Agieren erforderlich ist, unterstreichen zusätzlich die Notwendigkeit diskretionärer staatlicher Interventionen. Die Stabilität des Wechselkurses mit einer Tendenz zur Aufwertung der heimischen Währung und die marktvermittelte Ausweitung der Beschäftigung als Resultat eines in heimischer Währung erfolgenden Gewinn-Investitions-Mechanismus liefern die Kriterien zur Beurteilung, ob und inwieweit die Wirtschaftspolitik unter entwicklungsstrategischen Gesichtspunkten als erfolgreich zu klassifizieren ist. Dabei spiegelt sich ökonomische Entwicklung in einer Ausweitung des heimischen formellen Sektors sowie in einem Aufstieg der heimischen Währung in der weltweiten Währungshierarchie wider, welche die Einhaltung der staatlichen Budgetrestriktionen erleichtern. Der Staat zeichnet sich nicht nur dadurch aus, daß er wie Geschäftsbanken, Unternehmen und Haushalte auf den Märkten agiert, sondern gleichzeitig durch die Währungs- und Steuerhoheit ebenfalls Gestalter von gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist, was ihn als zentralen makroökonomischen Akteur auszeichnet. Die Durchsetzung dieser Rahmenbedingungen erfährt jedoch in der Akzeptanz der Wirtschaftssubjekte ihre ökonomische Bedingung, bei deren Fehlen eine Sanktionierung der staatlichen Wirtschaftspolitik jederzeit möglich ist und durch die Anpassungen der Wirtschaftssubjekte selbst sowie durch die von ihnen ausgelösten Marktprozesse ad absurdum geführt werden kann. Während ein Verlust an ökonomischer Souveränität somit durch Marktprozesse verursacht werden kann, die sowohl durch die Aktivitäten privater Akteure als auch durch wirtschaftspolitische Interventionen ausgelöst und verstärkt werden können, sind der Erhalt und der Ausbau der ökonomischen Souveränität immer an einen Erfolg der staatlichen Wirtschaftspolitik in der jeweiligen Marktkonstellation gebunden. Die Möglichkeit des Erfolges impliziert jedoch gleichzeitig das Risiko des Scheiterns – eine angesichts der Unsicherheit der Zukunft geradezu beunruhigende Gewißheit, die der ökonomische Staat mit privaten Wirtschaftssubjekten teilt und die ihn als Marktteilnehmer charakterisiert. 280 Der keynesianische Staat Während die quantitativen und qualitativen stabilitäts- und einkommenspolitischen Anforderungen an die staatliche Wirtschaftspolitik in einer Konstellation der Unterentwicklung im Hinblick auf die Überwindung dieser Konstellation geradezu maximales Ausmaß annehmen, weisen der für die Erfüllung dieser Anforderungen vorhandene budgetpolitische Spielraum sowie die staatliche Fähigkeit zur Steuerung der Märkte zunächst einen nur marginalen Umfang auf. Das Dilemma des ökonomischen Staates besteht nun nicht in der Wahl zwischen wirtschaftspolitischer Aktivität und damit der Möglichkeit des Erfolges oder der wirtschaftspolitischen Abstinenz und deshalb dem Verzicht auf das Risiko des Scheiterns, sondern genau darin, daß der Marktprozeß ihm diese Wahlmöglichkeit überhaupt nicht gewährt. Eine wirtschaftspolitische Abstinenz drückt bestenfalls lediglich den freiwilligen Verzicht auf die Möglichkeit des Erfolges aus, beinhaltet jedoch dennoch das Risiko, oder keynesianisch formuliert, die Bestimmtheit des Scheiterns des Staates. Schlimmstenfalls spiegelt ein unfreiwilliger Verzicht auf eine geld- und fiskalpolitische Steuerung das staatliche Eingeständnis wider, daß eine Marginalisierung und damit ein Scheitern der Politik bereits erfolgt ist. Aber selbst der Erfolg der Geld- und Fiskalpolitik eines Währungsraumes impliziert immer das Scheitern eines anderen Währungsraumes. Aus dem Drama der ökonomischen Entwicklung ist weltwirtschaftlich betrachtet unter gegebenen Bedingungen somit kein Entrinnen möglich. Stabilisierungszwänge und Beschäftigungsanforderungen 281 Übersicht 5: Der keynesianische Staat im Entwicklungsprozeß KEYNESIANISMUS Definition einer Ökonomie – Währung Ursachen für Unterentwicklung – Hierarchie von Währungen – Hierarchie von Märkten Zentrale Akteure – Staat – Zentralbank – Tarifparteien Budgetrestriktionen des Staates – Zahlungsfähigkeit in Fremdwährung: Devisenproduktion – Zahlungsfähigkeit in heimischer Währung: Steuerbasis Staatsfunktionen – Stabilisierung von Erwartungen – Begrenzung von Anpassungsprozessen Wirtschaftspolitische Empfehlungen – Verzicht auf pro-zyklische Wirtschaftspolitik – Begrenzung von Entscheidungsverlagerungen Kriterien der Wirtschaftspolitik – Wechselkursstabilität – Anstieg der Beschäftigung Ziel der Wirtschaftspolitik – Ökonomische Entwicklung Definition des Staates – ökonomisch Bild des Staates – Marktteilnehmer – endogen gegenüber dem Marktprozeß Eigene Darstellung