ELITENSELEKTION DURCH BILDUNG ODER DURCH HERKUNFT? Promotion, soziale Herkunft und der Zugang zu Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft Michael Hartmann und Johannes Kopp Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? Zusammenfassung: Spielt die soziale Herkunft eine wichtige eigenständige Rolle für die ungleiche soziale Rekrutierung der deutschen Eliten oder wirkt sie nur vermittels der ungleichen Bildungsbeteiligung der verschiedenen Bevölkerungsschichten, wie die funktionalistische Eliteforschung behauptet? Dieser Frage geht der vorliegende Aufsatz am Beispiel der Wirtschaftselite nach. Für die 6.500 promovierten Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985 wird mit Hilfe multivariater Verfahren der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Bildungsverlauf und beruflicher Karriere untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Chancen, eine Führungsposition in der Wirtschaft zu erreichen, sind für die Promovierten, die aus dem gehobenen oder dem Großbürgertum stammen, um 50 bis 100 Prozent größer als für die Promovierten aus der Arbeiterklasse oder den Mittelschichten. Die Behauptung der funktionalistischen Eliteforschung erweist sich damit als unzutreffend. Die soziale Herkunft stellt einen wesentlichen eigenständigen Faktor der sozialen Auslese dar. Das zeigt auch die Entwicklung seit 1955. Die soziale Öffnung des deutschen Bildungswesens hat keine Öffnung des Zugangs zur Wirtschaftselite bewirkt. Ganz im Gegenteil hat sich die soziale Selektion bei den beiden jüngeren Promotionsjahrgängen sogar deutlich verschärft. I. Einleitung In den letzten zehn Jahren hat sich das öffentliche wie auch wissenschaftliche Interesse in Deutschland zwei Themen wieder zugewandt, die in den 1960ern und z.T. auch den 1970ern eine große Aufmerksamkeit genossen, um dann aber für über zwei Jahrzehnte in Vergessenheit zu geraten: der Bedeutung des Bildungssystems für gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen und der Rolle der Eliten in der Gesellschaft. Die seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit verstärkt geführte bildungspolitische Debatte verknüpft beide Diskussionsstränge sogar. Zunehmend wird von Seiten der Wirtschaft und der Politik darauf gedrängt, das bundesrepublikanische Bildungssystem nach angelsächsischem Vorbild umzugestalten, weil angeblich nur so die für den Standort Deutschland unverzichtbaren Eliten herangebildet werden können. Die immer vehementer geäußerte Forderung nach verstärkter Förderung von Eliten sowie der Etablierung spezieller Elitebildungsinstitutionen wirft die Frage auf, welchen Beitrag das bundesdeutsche Bildungssystem, das im Unterschied zu den anderen führenden Industrienationen keine Elitebildungseinrichtungen und damit auch keine direkten Eliteauswahlwege im Hochschulsystem kennt, bislang zur Rekrutierung der hiesigen Wirtschaftselite geleistet hat. Ihr soll im Folgenden nachgegangen werden. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 53, Heft 3, 2001, S. 436–466. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 437 In der sozialwissenschaftlichen Debatte ist eine derartige Verknüpfung von Diskussionssträngen trotz zahlreicher neuerer Veröffentlichungen zu beiden Themen bislang leider nicht zu beobachten. Die seit Beginn der 1990er Jahre wieder in großer Zahl erschienenen Arbeiten zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen (Becker 2000; Blossfeld 1989, 1993; Mayer und Blossfeld 1990; Henz 1996, 1997a, 1997b; Henz und Maas 1995; Köhler 1992; Konietzka 1999; Krais 1996; Mayer 1991; Meulemann 1990a, 1990b, 1991, 1992, 1995; Müller und Haun 1994; Müller und Karle 1993; Rodax 1995; Schimpl-Neimanns 2000; Shavit und Blossfeld 1993) befassen sich in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl ausschließlich mit den Konsequenzen der Bildungsexpansion für die Bildungsbeteiligung der verschiedenen Klassen und Schichten. Nur eine kleine Minderheit beschäftigt sich überhaupt mit dem Zusammenhang zwischen Bildungsabschlüssen und dem Einstieg in und dem Verlauf von beruflichen Karrieren. Allerdings bleiben auch in diesen Arbeiten die Rekrutierungsprozesse für Spitzenpositionen vollkommen unberücksichtigt. Die in den letzten zehn Jahren ebenfalls zahlreich erschienenen Publikationen zu den deutschen Eliten (Böhnisch 1999; Braun 1999; Bürklin und Rebenstorf 1997; Dupeux, Hudemann und Knipping 1996; Hartmann 1995, 1996, 1997a, 1997b, 1999, 2000a, 2000b, 2000c, 2001a, 2001b; Hoffmann-Lange 1991, 1992; Hudemann und Soutou 1994; Krais 2000; Rebenstorf 1996; Rusinek 2000; Sauer 2000; Scheuch und Scheuch 1995; Wehling 1990; Welzel 1997; Ziegler 2000) widmen der Bedeutung von Bildungstiteln für die Besetzung von Elitepositionen zwar eine größere Aufmerksamkeit, dafür kommt es allenfalls ansatzweise zu einer Auseinandersetzung mit den Folgen der Bildungsexpansion für die Rekrutierung der Eliten. II. Bildungsexpansion, soziale Ungleichheit und Elitenrekrutierung Das ist insofern erstaunlich, als die soziale Ungleichheit innerhalb des Bildungssystems für die meisten an der Erforschung der Eliten beteiligten Sozialwissenschaftler die entscheidende Ursache für die selektive soziale Rekrutierung der Eliten in Deutschland darstellt. In ihren Augen müsste eine Öffnung des Bildungswesens daher von zentraler Bedeutung für die soziale Zusammensetzung der Eliten sein. Dahrendorf, einer der prominentesten Vertreter der älteren Elite-Debatte (Dahrendorf 1962, 1965), hat diesen Zusammenhang schon 1962 in einem Aufsatz über die „neue deutsche Oberschicht“ sehr prägnant formuliert. Dort erklärt er die Kontinuität in der sozialen Herkunft der deutschen Eliten, die sich über alle historischen Wechsel hinweg „zum größten Teil selbst aus einer schmalen Oberschicht“ rekrutierten, im Wesentlichen mit dem „Bildungsprivileg bestimmter sozialer Schichten (insbesondere der Oberschicht und der oberen Mittelschicht)“ und verlangt folgerichtig einen „Abbau der Sozialschichtung der Bildungschancen“ als entscheidende Voraussetzung für eine soziale Öffnung der deutschen Eliten (Dahrendorf 1962: 21ff.). Drei Jahrzehnte später begründet Hoffmann-Lange (Hoffmann-Lange 1991, 1992) in ihren Auswertungen der Mannheimer Erhebung von 1981 die überwiegende Oberschichtrekrutierung der meisten deutschen Eliten ebenfalls mit der fehlenden sozialen Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems. Die soziale Herkunft bestimme nur 438 Michael Hartmann und Johannes Kopp indirekt, über die mit ihr verbundene Determinierung der Bildungschancen, den Aufstieg in die Eliten, habe aber „keinen eigenständigen Einfluss“ darauf (Hoffmann-Lange 1991: 87; 1992: 129f.). Selbst jene wenigen Autoren, die wie z.B. Schnapp in seiner Erläuterung der Potsdamer Elite-Studie von 1995 der sozialen Herkunft auch eine direkte Wirkung auf die Erreichung von Elitepositionen zuschreiben,1 sprechen davon, dass der Einfluss „dieser nichtmeritokratischen Elemente“ im Zeitverlauf zurückgegangen sei (Schnapp 1997a: 92), die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte die unmittelbare Bedeutung der sozialen Herkunft für die Besetzung von Elitepositionen reduziert habe. Rebenstorf geht in ihren Beiträgen zur Potsdamer Studie (Rebenstorf 1997a, 1997b) noch einen (für die hier behandelte Thematik ausgesprochen wichtigen) Schritt weiter. Eine Determinierung der Bildungsabschlüsse durch die soziale Herkunft, so ihre Schlussfolgerung, sei zwar weiterhin feststellbar, sie habe sich seit 1981 vor allem in den akademischen Laufbahnen aber abgeschwächt. Diese durch die Bildungsexpansion bewirkte soziale Öffnung des Hochschulstudiums habe auf Seiten der oberen Dienstklasse dann allerdings offenbar einen Trend zum verstärkten Erwerb des Doktortitels ausgelöst. Die soziale Herkunft der Elitemitglieder mit Promotion unterscheide sich 1995 ganz signifikant von der derjenigen Eliteangehörigen, die nur über ein Staatsexamen, ein Diplom oder einen Magisterabschluss verfügten. Bei der Elite des Jahres 1981 habe eine solche Differenz dagegen noch nicht existiert. Hier werde ein Effekt sichtbar, „den Bourdieu unter Distinktionsstrategien“ fasse, indem auf die Entwertung traditioneller hoch angesiedelter Bildungsabschlüsse durch ihre massenhafte Vermehrung mit dem Erwerb von Zusatzqualifikationen oder -abschlüssen reagiert werde (Rebenstorf 1997a: 148). Die Bildungssoziologie hat sich bislang kaum mit der Rolle des Bildungssystems für die späteren beruflichen Karrieren beschäftigt. Zu dieser Thematik existieren nur wenige empirische Untersuchungen (Mayer 1991; Mayer und Blossfeld 1990; Meulemann 1990a, 1990b, 1991), die zudem zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. So hebt Meulemann (1991), der sich auf die Daten einer Wiederholungsbefragung bei ehemaligen Gymnasiasten und Gymnasiastinnen stützt, vor allem „die große Bedeutung der Schulnoten für den Lebenserfolg“ hervor (Meulemann 1990a: 99). Er weist zugleich allerdings auch auf den von Leistungsunterschieden unabhängigen Einfluss der sozialen Herkunft auf den schulischen Erfolg hin und betont schließlich, dass „der Beruf des Vaters einen deutlichen Einfluß auf das Prestige des ersten Berufs der männlichen, nicht aber weiblichen ehemaligen Studenten“ habe (Meulemann 1990a: 103), für den Verdienst in der ersten Berufstätigkeit nach dem Studium dagegen ohne Bedeutung sei. Der Zusammenhang von Bildung, sozialer Herkunft und Berufsverlauf ist für Meulemann insgesamt also alles andere als eindeutig. Mayer (1991) und Mayer und Blossfeld (1990) sind diesbezüglich viel bestimmter. Die Lebensverlaufsstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zeigt ihrer Meinung nach klar, dass die Beziehung von Bildung und beruflichem Status im Zeit1 Schnapp kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Chancen, eine Eliteposition zu erringen, zum einen zwar „stark über die Wirkungskette von sozialer Herkunft auf die Bildungschancen bestimmt“ würden, „die soziale Herkunft aber einen eigenständigen Effekt auf die Rekrutierungschancen“ ausübe (Schnapp 1997a: 92). Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 439 ablauf „enger“ geworden ist. Der „Statuszuweisungsprozess zwischen Elterngeneration, Bildungssystem, Berufshierarchie und Berufskarriere“ sei heute nicht offener oder unbestimmter als früher, sondern eindeutiger (Mayer 1991: 329). Baumert charakterisiert die Entwicklung im Anschluss an die Arbeiten von Blossfeld und Mayer mit den Worten, das Schulwesen sei „eher ein Rad als eine Stellgröße im System sozialer Ungleichheit“ (Baumert 1991: 333). Das Bildungssystem wäre demnach trotz der Bildungsreformen und entgegen allen Hoffnungen, die mit diesen Reformen verknüpft waren, immer noch (vielleicht sogar verstärkt) ein System der Reproduktion und nicht der Öffnung gegebener Sozialstrukturen. Trotz dieser skeptischen Aussage ist die Argumentation bei Mayer, Blossfeld und Baumert mit der von Dahrendorf und Hoffmann-Lange im Kern vergleichbar: Das Bildungssystem transformiert auch in ihrer Sicht die sozialen Ungleichheiten von einer Generation in die nächste. Die hier kurz skizzierten Beiträge zur Bildungs- und Eliteforschung werfen zwei zentrale Fragen auf: 1. Macht sich die soziale Herkunft bei der Besetzung von Spitzenpositionen tatsächlich nur vermittels der ungleichen Bildungsbeteiligung der verschiedenen Klassen und Schichten bemerkbar oder wirkt sie in größerem Umfang doch auch ganz direkt? 2. Welche Konsequenzen hatte und hat die Bildungsexpansion für die Rekrutierung der gesellschaftlichen Elite? Hat sie zu der von Beobachtern wie Dahrendorf erhofften Angleichung der Karrierechancen geführt oder dieses Ziel verfehlt, wie die Analysen von Mayer und Blossfeld nahe legen? Diesen beiden Fragen nachzugehen und zumindest Teilantworten zu finden, war das Ziel eines von der DFG geförderten Forschungsprojekts über die soziale Herkunft, die Ausbildungswege und die beruflichen Karrieren (in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik) aller promovierten Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985,2 dessen Ergebnisse für den zentralen Sektor Wirtschaft im Folgenden vorgestellt werden sollen. Die Beschränkung auf die Promovierten dieser drei Fachdisziplinen hat zwei Gründe. Zum einen dominieren Promovierte aus diesen Fächern die Mehrzahl der Elitepositionen. Dies gilt vor allem für die Wirtschaft. Ihre Spitzenmanager, für die ein Hochschulabschluss mit einem Anteil von (je nach Unternehmensgröße) 70 bis 90 Prozent mittlerweile die Regel ist (Hartmann 1996, 1997b, 2000c, 2001a), weisen nicht nur traditionell zu ca. 50 Prozent einen Doktortitel auf, sie haben durchweg auch eines der drei genannten Fächer studiert. Zum Zweiten stellt die Promotion den höchsten Bildungsabschluss in Deutschland dar3 und dürfte daher die stärkste soziale Selektivität unter allen Bildungstiteln aufweisen. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft, Bildungsabschluss und Karriere müssten Forschungsresultate über Promovierte daher besonders aussagekräftig sein. 2 Das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Die Bildungsexpansion in der Bundesrepublik und der Zugang zu den Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik“ läuft seit dem 1.2.1999 und wird zum 31.7.2001 beendet. Es wird von Michael Hartmann, Beate Krais und Ulrich Rendtel geleitet und von den Verfassern gemeinsam bearbeitet. 3 Die Habilitation als einziger höherwertiger Abschluss ist nur für die Medizin und die Geisteswissenschaften von wirklicher Bedeutung. 440 Michael Hartmann und Johannes Kopp III. Forschungsdesign und -methode Die Entscheidung, nur die vier Promotionskohorten 1955, 1965, 1975 und 1985 in die Erhebung einzubeziehen, beruht auf folgenden Überlegungen: Eine Totalerhebung ist angesichts einer Gesamtzahl von über 50.000 promovierten Ingenieuren, Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern zwischen 1950 und 1985 nur sehr schwer realisierbar.4 Außerdem verspricht sie keinen entscheidend größeren Erkenntnisgewinn als eine Beschränkung auf die vier Kohorten jeweils Mitte eines Jahrzehnts. Diese vier Kohorten weisen in methodischer Hinsicht nämlich mehrere wichtige Vorzüge auf: Zunächst sind sie mit insgesamt ca. 6.500 Promovierten so groß, dass die Untersuchungsergebnisse eine umfassende interne Differenzierung erlauben und außerdem die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, eine relativ große Anzahl der jeweiligen Kohortenmitglieder unter den Angehörigen der gesellschaftlichen Elite wieder zu finden. Sodann repräsentieren die Promovierten der Jahre 1955 und 1965 die Generationen, die im Rahmen des klassischen deutschen Universitätssystems studiert und promoviert haben, während die der Jahre 1975 und 1985 schon für jene stehen, die ihr Studium unter den veränderten Bedingungen während und nach dem massiven Ausbau des Bildungswesens ab Mitte der 60er durchgeführt und abgeschlossen haben. Gerade hinsichtlich der Frage, ob die Expansion des Bildungswesens auf Seiten des Nachwuchses der „besseren Kreise“ zu einer „Flucht“ in den höchsten Bildungsabschluss geführt hat, ist das von großer Bedeutung. Schließlich unterscheiden sich die Kohorten 1955 und 1965 von den beiden späteren noch in einem weiteren entscheidenden Punkt. Sie trafen nach dem Ende ihres Studiums auf erheblich bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen, besaßen in ihrer Gesamtheit folglich deutlich bessere berufliche Start- und auch Karrierechancen als die Kohorten 1975 und 1985, die sich ihren Platz im Beruf unter deutlich verschärften Konkurrenzbedingungen erkämpfen mussten. Grundgesamtheit und Ausschöpfungsquote der Untersuchung werden in Tabelle 1 dargestellt. Was die weitere Methodik betrifft, so erfolgte eine inhaltsanalytische Auswertung der in den Dissertationen enthaltenen Lebensläufe bezüglich der sozialen Herkunft und der Bildungswege der Promovierten mittels einer standardisierten Vorgehensweise. Lebensläufe bieten auf Grund ihrer Kürze und Beschränkung auf das Wesentliche im Unterschied zu anderen biographischen Quellen nicht nur ein hohes Maß an Vergleichbarkeit, sondern forschungspraktisch überhaupt erst die Möglichkeit, mit begrenzten Ressourcen eine so große Anzahl an Personen in eine Erhebung einzubeziehen. Diese Vorgehensweise hat sich bei früheren Untersuchungen über Spitzenmanager bereits bewährt (Hartmann 1997a, 1997b, 1999). Entscheidend waren dabei drei Punkte: 1. Je nach Jahrgang waren zwischen 80 und gut 90 Prozent der Dissertationen Lebensläufe beigefügt. 2. Diese Lebensläufe enthielten in ihrer großen Mehrzahl neben Angaben zum Bildungsweg auch solche über den Beruf des Vaters.5 3. Die Angaben 4 Promotionsjahrgänge nach 1985 bleiben unberücksichtigt, weil der Zeitraum bis heute zu kurz ist, um über Berufskarrieren in hohe Positionen hinein grundlegende Aussagen machen zu können. 5 In der Tabelle 1 sind – auch getrennt für die einzelnen Jahrgänge – die entsprechenden Angaben genauer dargestellt. Dabei wird deutlich, dass zwei Wege unterschieden werden müssen, die zu einer Nichtberücksichtigung der entsprechenden Promotion bei den folgenden Analy- Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 441 Tabelle 1: Ausschöpfungsquoten Jahrgang Gesamtzahl der Promotionen Nicht auffindbare Dissertationen Fehlende Lebensläufe Anzahl auswertbarer Dissertationen 1955 1965 1975 1985 Σ 1494 34 78 1382 1728 123 113 1492 1713 29 185 1499 1609 49 270 1290 6544 235 646 5663 Anteil auswertbarer Dissertationen (Prozent aller Promotionen) 92,5 86,3 87,5 80,1 86,5 Angaben über soziale Herkunft Keine Angaben über soziale Herkunft Fehlende Werte bei anderen Variablen Anzahl auswertbarer Fälle 1221 161 1 1220 1324 168 9 1315 1029 470 1 1028 620 670 3 617 4194 1469 14 4180 Anteil auswertbarer Fälle (Prozent aller Dissertationen mit Lebenslauf) 88,3 88,1 68,6 47,8 74,1 über die soziale Herkunft waren zeitlich insofern standardisiert, als in den Dissertationen in der Regel der Beruf des Vaters zum Geburtszeitpunkt angegeben wurde.6 Letzteres ist auch deshalb enorm wichtig, weil so eine klare soziale Zuordnung auch derjenigen Berufsgruppen möglich war, die (wie etwa im Falle der Studienräte oder der Angestellten mit Hochschulabschluss) angesichts der seit den 60er Jahren gravierenden Veränderungen der Erwerbstätigenstruktur ansonsten problematisch gewesen wäre. Zum Zweck einer generellen Einordnung der individuellen Angaben zum väterlichen Beruf sind elf Kategorien gebildet worden (1. Arbeiter, 2. Bauern, 3. untere Angestellte/Beamte, 4. mittlere und gehobene Angestellte/Beamte, 5. kleine Selbständige, 6. Kaufleute, 7. akademische Freiberufler, 8. höhere Offiziere/Grundbesitzer, 9. höhere sen, also zu einem Ausfall, führen können. Hier sind einerseits sogenannte neutrale Ausfälle zu nennen, bei denen entweder die entsprechende Promotionsarbeit nicht mehr auffindbar war oder sie keinen Lebenslauf enthielt. Andererseits finden sich Lebensläufe, in denen einfach der Beruf des Vaters nicht angegeben ist oder andere, hier wichtige Variablen nicht erfassbar waren. Während bei den nicht mehr auffindbaren Dissertationen vor allem die grosse Zahl der Fälle beim Jahrgang 1965 auffällt, die im Wesentlichen durch die Sonderbedingungen im Zusammenhang mit der Studentenbewegung erklärbar sein dürfte, findet sich bei den anderen Ausfallgründen über die Kohorten hinweg eine zunehmende Zahl entsprechend fehlender Fälle. Davon ist vor allem der Jahrgang 1985 betroffen: Bei mehr als der Hälfte aller vorliegenden Lebensläufe findet sich keine Angabe über den Beruf des Vaters. Das wirft die Frage auf, inwieweit dadurch die Forschungsergebnisse beeinflusst werden. So wäre etwa denkbar, dass an neu gegründeten Universitäten die soziale Zusammensetzung offener ist, gleichzeitig aber die formalen Regelungen hinsichtlich der Gestaltung der Promotion weniger rigide sind. Ein derartiger Zusammenhang könnte zu einer gewissen Verzerrung der hier berichteten Ergebnisse führen. Zwar lassen sich derartige Einwände nicht letztgültig ausräumen, eine detaillierte Analyse der einzelnen Ausfälle hinsichtlich Studienrichtung sowie Hochschulort ergibt jedoch, dass sich hier keine bedeutsamen Zusammenhänge ergeben. Vielmehr zeigt sich, dass sich ein Teil der beobachten Entwicklung auf die zunehmende Publikation der Promotion in Buchform zurückführen lässt. Mit einer inhaltlichen Verzerrung der Ergebnisse ist insgesamt nicht zu rechnen. 6 Bei den Jahrgängen 1955, 1965 und 1975 war das fast immer der Fall, beim Jahrgang 1985 noch zu über vier Fünfteln. 442 Michael Hartmann und Johannes Kopp Beamte, 10. leitende Angestellte und 11. größere Unternehmer). Die Eingruppierung ist dabei anhand der üblichen Kriterien erfolgt.7 Abgewichen worden ist nur in einem Fall. Graduierte Ingenieure wie auch Volks- und Realschullehrer sowie die Rektoren dieser Schultypen sind nicht den leitenden Angestellten bzw. den höheren Beamten, sondern den mittleren Angestellten/Beamten zugerechnet worden, weil die Lehrkräfte an den Volks- und Realschulen damals durchweg nicht zu den höheren Beamten zählten und auch bei den graduierten Ingenieuren nur bei einem nicht genauer zu quantifizierenden Teil von einer Einstufung als leitend ausgegangen werden kann. Die genannten Berufsgruppen sind in zwei bzw. drei soziale Klassen zusammengefasst worden. Zunächst ist eine Unterscheidung zwischen der Kategorie Arbeiterklasse/ Mittelschichten, die die Berufsgruppen 1 bis 5 umfassen, und dem gehobenen Bürgertum, zu dem die Berufsgruppen 7 bis 11 zählen, getroffen worden. Das gehobene Bürgertum ist dann noch einmal in zwei Gruppen aufgeteilt worden, das gehobene Bürgertum im engeren Sinne und das Großbürgertum, zu dem nur Großunternehmer, Vorstandsmitglieder, Direktoren und Geschäftsführer großer Unternehmen sowie hohe Beamte vom Oberlandesgerichtsrat und Studiendirektor aufwärts und Mitglieder der Generalität gerechnet worden sind. In den Jahrgängen zwischen 1920 und 1955, in denen fast alle untersuchten Promovierten geboren sind, entfielen auf das Großbürgertum fünf Promille der Erwerbstätigen, auf das gehobene Bürgertum im engeren Sinne noch einmal drei Prozent und auf die Kategorie Arbeiterklasse/Mittelschichten die restlichen 96,5 Prozent (Hartmann 1996: 37). Die Angaben über die beruflichen Karrieren wurden gewonnen, indem die wesentlichen persönlichen Daten, die für die Promovierten vorlagen (Name, Geburtsdatum, Doktortitel und eventuell das Studienfach), zunächst mit den Personenangaben in einschlägigen Handbüchern verglichen und dann um die so herausgefundenen berufsbezogenen Informationen ergänzt wurden. Für die Führungspositionen in der Wirtschaft wurden zu diesem Zweck zahlreiche Jahrgänge (von 1955 bis 2000) des HoppenstedtHandbuchs „Leitende Männer der Wirtschaft“ bzw. seit 1979 „Leitende Männer und Frauen der Wirtschaft“, in denen zwischen 50.000 und 60.000 Führungskräfte in „Großunternehmen“, d.h. vom Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs mit ca. 300 Beschäftigten aufwärts bis zum Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns, aufgeführt sind, herangezogen.8 Um zwischen den zur Wirtschaftselite im engeren Sinne zu 7 So wurden Werkmeister und Poliere der Kategorie 1 zugerechnet, alle Angestellten oder Beamten ohne nähere Angaben der Kategorie 3, Angestellte mit kaufmännischer oder technischer Ausbildung ebenso wie Beamte der mittleren und gehobenen Laufbahn der Kategorie 4, Einzelhändler, Handwerker, Schiffsführer etc. der Kategorie 5, Angestellte in Führungspositionen (Prokuristen, Betriebsleiter, Geschäftsführer etc.) und Angestellte mit akademischer Ausbildung (ohne Angabe der betrieblichen Position) der Kategorie 10 und Unternehmer mit mindestens zehn Beschäftigten der Kategorie 11. 8 Für diesen Beitrag bleiben neben den reinen Verbandsfunktionären alle jene Führungskräfte (ca. 11 Prozent) unberücksichtigt, die zwar im Hoppenstedt-Handbuch aufgeführt sind, aber in Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Hand (z.B. regionale Sparkassen, Verkehrsbetriebe etc., nicht jedoch Landesbanken oder Großkonzerne wie etwa VEBA oder RWE) tätig waren oder sind. Sie werden nicht mitgerechnet, da die Rekrutierungsmechanismen und -kriterien in den öffentlich-rechtlichen Unternehmen aufgrund des politischen Einflusses der Eigentümer in vielerlei Hinsicht eher denen in der Politik als denen in der Wirtschaft ähneln. Wie der Fall Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 443 zählenden Topmanagern und denjenigen, die nur als Mitglied der wirtschaftlichen Führungselite Deutschlands in seiner Gesamtheit zu bezeichnen sind, unterscheiden zu können, wurde dann noch eine interne Differenzierung in größere Unternehmen und wirkliche Großunternehmen auf Basis der von der FAZ seit fünf Jahrzehnten veröffentlichten Liste der 100 größten Unternehmen Deutschlands vorgenommen.9 Der hier zur Verfügung stehende und im Folgenden analysierte Datensatz umfasst also zwei Teile: Einerseits die aus den jeweiligen Promotionen übernommenen Angaben über die soziale Herkunft und die individuellen Bildungswege sowie andererseits die mit Hilfe des Hoppenstedt-Handbuchs rekonstruierten Informationen über den beruflichen Werdegang. Diese Vernetzung verschiedener Datenquellen stellt eine wichtige Neuerung des hier vorgestellten Forschungsprojekts dar. Für eine Antwort auf die Frage, welche Bedeutung der sozialen Herkunft bei der Erreichung einer Führungsposition in der Wirtschaft zukommt, sind einfache deskriptive Analysen über den Anteil der erfolgreichen Karrieren in den einzelnen sozialen Herkunftsschichten sicherlich wichtig. Die hier zu berichtenden Ergebnisse können nun aber von einer Vielzahl sozialer Prozesse abhängen: So ist es etwa denkbar, dass es, durch die soziale Herkunft bedingt, zu einer unterschiedlichen Wahl von Studiengängen kommt und dass allein hierdurch unterschiedliche Erfolgschancen erklärbar wären. Um also den tatsächlichen Einfluss der sozialen Herkunft bestimmen zu können, muss man auf multivariate Analyseverfahren zurückgreifen, die eine derart unterschiedliche Studiengangwahl, aber auch andere wichtige Einflussfaktoren kontrollieren können. Eine Besonderheit der hier vorliegenden Daten ist, dass – zumindest für einen Teil der hier interessierenden Personen – der Karriereverlauf zum Zeitpunkt der Beobachtung noch gar nicht abgeschlossen ist. Die Personen aus dem Promotionsjahrgang 1985 können ja durchaus erst in den nächsten Jahren eine entsprechende Position einnehmen.10 Doch auch für die älteren Jahrgänge ist ja nicht nur interessant, ob eine Spitzenposition in der Wirtschaft eingenommen wurde, sondern auch, wann dies geschehen ist. Es ist theoretisch durchaus bedeutsam, wie lange der entsprechende Übergang in eine Führungsposition dauert und ob sich hier typische Unterschiede finden. Für derartige Probleme wurden so genannte ereignisdatenanalytische Verfahren entwickelt, die sich seit knapp zwei Jahrzehnten auch in den Sozialwissenschaften großer BeLandowsky zeigt, spielen politische Entscheidungskriterien für die Besetzung von Spitzenpositionen selbst bei den großen Landesbanken, die im Sample verblieben sind, immer noch eine große Rolle. 9 Sie werden im Folgenden als Spitzenunternehmen bezeichnet. Es handelte sich dabei schon ursprünglich um mehr als 100 Unternehmen, nämlich um knapp 160 Firmen aus der Industrie, weil die Tochtergesellschaften bereits aufgeführter Konzerne von Anfang an zwar aufgelistet, aber nicht mitgezählt wurden. Im Verlauf der 60er und 70er Jahre wurde durch die Hinzunahme von Handels-, Verkehrs- und Dienstleistungsfirmen dann eine Gesamtzahl von durchgängig 200 bis 240 Unternehmen erreicht, eine Zahl, die in den 80ern durch die Aufnahme von Banken und Versicherungen auf um die 300 und in den 90ern auf inzwischen 416 Unternehmen ausgeweitet wurde. In unserer Untersuchung sind für die Jahre, in denen in der FAZ-Liste noch keine Finanzkonzerne enthalten waren, diese anhand ihrer Auflistung aus dem ersten Jahr ihrer Nennung ergänzt worden. 10 Für die Angehörigen des Promotionsjahrgangs 1975 ist das zwar theoretisch auch noch möglich, angesichts eines Durchschnittsalters von fast 60 allerdings sehr unwahrscheinlich. 444 Michael Hartmann und Johannes Kopp liebtheit erfreuen.11 Generell sind hier die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses, hier also die Erreichung einer Führungsposition, und die Zeitdauer bis zum Eintreten dieses Ereignisses die wichtigsten Variablen.12 Wesentlich dabei ist, dass die entsprechende Übergangswahrscheinlichkeit von verschiedenen, inhaltlich bedeutsamen oder interessierenden Einflussfaktoren, den so genannten Kovariaten, abhängig gemacht werden kann. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer speziellen Klasse dieser Ereignisdatenanalyen, der so genannten Cox-Modelle, vorzustellen sein.13 Die entsprechenden Effektstärken β der theoretisch bedeutsamen Einflussgrößen sind dann sehr einfach zu interpretieren: Nachdem man sie exponiert hat, stellen sie einen multiplikativen Effekt dar, der häufig auch als α-Effekt bezeichnet wird. So bedeutet ein exponierter oder α-Effekt von 0,6, dass die Übergangswahrscheinlichkeit oder das Risiko nur noch 60 Prozent beträgt und ein exponierter oder α-Effekt von 1,3 lässt sich als Risikosteigerung um 30 Prozent bei Veränderung der entsprechenden Kovariate interpretieren. Im Folgenden werden immer diese einfachen, als multiplikativer Effekt zu verstehenden α-Koeffizienten verwendet und interpretiert. IV. Die soziale Auslese bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft Zwischen der sozialen Herkunft und der Besetzung einer hohen Führungsposition in der deutschen Wirtschaft besteht ein sehr enger Zusammenhang, der nicht nur vermittels der ungleichen Bildungsbeteiligung der verschiedenen Klassen und Schichten der Gesellschaft, sondern in großem Umfang auch ganz direkt wirkt. Das ist das zentrale Resultat des Forschungsprojekts. Im Folgenden wird diese Kernaussage anhand einzelner wesentlicher Ergebnisse verdeutlicht. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Promotion tatsächlich als ein sozial bereits 11 Herkömmliche Verfahren können nicht beendete Prozesse letztlich nur aus der Analyse ausschließen und dann auch nur – etwa mit Hilfe logistischer Regressionen – Aussagen über die Erreichung einer Führungsposition beispielsweise nach fünf Jahren machen. Man ist theoretisch jedoch allgemein daran interessiert, wie sich die entsprechenden Übergangswahrscheinlichkeiten verhalten und von welchen Faktoren sie beeinflusst werden. Bei Ereignisdatenanalysen ist es möglich, diese Fälle, deren ,Schicksal‘ nicht eindeutig bestimmt ist und die hier Zensierungen genannt werden, in der Schätzung der jeweiligen Einflussgrößen zu berücksichtigen. Mittlerweile gibt es eine Fülle entsprechender einführender Darstellungen und Lehrbücher über diesen Bereich, vgl. Diekmann und Mitter (1984), Blossfeld und Rohwer (1995) oder Rohwer (2000), in denen die statistischen Grundlagen, aber auch die Möglichkeiten der praktischen Anwendung übersichtlich dargestellt werden. 12 Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird auch als „Risiko“ und die Dauer bis zum Ereignis als „Verweildauer im Ausgangszustand“ bezeichnet. Entsprechende Untersuchungen finden sich beispielsweise zur Lebensdauer von Personen, der Stabilität einer Ehe oder der Dauer der Arbeitslosigkeit. 13 Der Vorteil dieser auch als semiparametrisch gekennzeichneten Modelle gegenüber den anderen ereignisdatananalystischen Modellen besteht darin, dass „keine restriktiven parametrischen Annahmen über den Verlauf der Baseline-Rate erforderlich sind“ (Rohwer 2000: 588). Die entsprechenden Effektstärken der Kovariaten werden mit Hilfe einer partial-likelihood-Methode geschätzt (vgl. für eine genauere Vorstellung der unterschiedlichen Verfahren die oben erwähnten Lehrbücher). Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 445 sehr selektiver Bildungsabschluss erweist. Fast durchgängig stammen über drei Fünftel der Promovierten in den drei untersuchten Fachdisziplinen aus dem gehobenen oder dem Großbürgertum. Einzig für den Jahrgang 1985 sinkt dieser Anteil auf „nur“ noch knapp 55 Prozent. Der Nachwuchs der oberen fünf Promille der Erwerbstätigen stellt jeden zehnten Promovierten, die Kinder der nächsten drei Prozent fast die Hälfte. Die Promovierten, die aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten, also den restlichen 96,5 Prozent der Bevölkerung, kommen, stellen dagegen gerade einmal 40 Prozent (s. Tabelle 2). Differenziert man diese Angaben nach den einzelnen Studienfächern, so ändert sich das Bild nur unwesentlich. Nicht weiter überraschend liegen die Rechtswissenschaften hinsichtlich des Anteils der Promovierten aus dem gehobenen und dem Großbürgertum ca. 15 Prozent über dem Durchschnitt, die Wirtschaftswissenschaften um ungefähr acht Prozent und die Ingenieurwissenschaften um knapp 15 Prozent darunter. Tabelle 2: Die soziale Herkunft der Promovierten (Angaben in Spaltenprozenten) Jahrgang 1955 1965 1975 1985 Gesamt Arbeiterklasse/Mittelschichten Gehobenes Bürgertum* Großbürgertum 38,5 46,1 15,4 38,2 50,6 11,3 39,0 52,8 8,2 45,9 46,4 7,8 39,6 49,2 11,2 N 1220 1315 1028 617 4180 * Bei den Angaben für die Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum ist hier wie im Folgenden zu berücksichtigen, dass dabei diejenigen Promovierten, die dem Großbürgertum entstammen, nicht inbegriffen sind, da sie in der Kategorie Großbürgertum extra ausgewiesen werden. Trotz der scharfen sozialen Auslese durch das Bildungssystem erfolgt bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft eine zweite – und da alle untersuchten Personen mit der Promotion denselben Abschluss aufweisen – vom Bildungstitel vollkommen unabhängige soziale Selektion. Von allen Promovierten hat es ungefähr jeder Achte geschafft, eine hohe Führungsposition in der Wirtschaft zu bekleiden, und weniger als vier Prozent haben eine solche Position in einem Spitzenunternehmen erreicht. Die Karriereerfolge verteilen sich je nach sozialer Herkunft aber äußerst ungleichmäßig. Von den Promovierten aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten haben es nur 9,3 Prozent in die Chefetagen geschafft, von denen aus dem gehobenen Bürgertum schon 13,2 Prozent und von denen aus dem Großbürgertum sogar 19 Prozent. In der oberen Hälfte der Tabelle 3 ist, auch getrennt nach den einzelnen Jahrgängen, angegeben, wie hoch der Anteil der Personen in den einzelnen sozialen Herkunftsklassen ist, die eine Führungsposition in der Wirtschaft eingenommen haben. Noch viel eindeutiger sind die Zahlen, wenn man nur die Spitzenunternehmen betrachtet (vgl. hierfür die untere Hälfte der Tabelle 3). Haben es – wenn man alle Jahrgänge gemeinsam betrachtet – von den Promovierten, die aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten stammen, nur ganze zwei Prozent zu einer hohen Führungsposition in einem solchen Unternehmen gebracht, so sind es unter denjenigen aus dem ge- 446 Michael Hartmann und Johannes Kopp Tabelle 3: Anteil von Personen mit eigenständiger Karriere in der Wirtschaft in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft und dem Promotionsjahr (Angaben in Prozent) Jahrgang 1955 1965 1975 1985 Gesamt Führungsposition Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum Führungsposition in Spitzenunternehmen (FAZ-Liste) Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum N 11,7 15,8 22,3 12,2 14,4 19,6 6,0 10,5 16,7 4,9 10,1 8,3 9,3 13,2 19,0 3,6 5,2 7,4 2,4 4,5 6,8 1,2 3,1 6,0 0,0 1,4 0,0 2,1 3,9 6,2 1220 1315 1028 617 4180 hobenen Bürgertum mit immerhin 3,9 Prozent beinahe doppelt und unter denen aus dem Großbürgertum mit sechs Prozent sogar dreimal so viele. Wie angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Altersstruktur der Promovierten nicht anders zu erwarten, gestalten sich die Erfolgschancen für die einzelnen Jahrgänge allerdings recht unterschiedlich. So finden sich sowohl im Jahrgang 1975, vor allem aber im Abschlussjahrgang 1985, deutlich weniger Personen, die eine hohe Position in der Wirtschaft einnehmen. Am deutlichsten ist dieses Ergebnis für den Jahrgang 1985 hinsichtlich einer Führungsposition in einem Spitzenunternehmen: Hier erreichten nur vier Personen in den ersten 14 Jahren nach Abschluss ihrer Promotion eine entsprechende Position.14 Durchgängig bleibt jedoch für alle Jahrgänge festzuhalten, dass die soziale Herkunft die beruflichen Karriereaussichten ganz massiv beeinflusst. Schon bei einer solchen einfachen deskriptiven Analyse ist es jedoch hilfreich, für die einzelnen Studienfächer getrennt die Erfolgswahrscheinlichkeiten zu betrachten, da hier schon mit wesentlichen Unterschieden zu rechnen ist. Um eine derartige Übersicht nicht zu unübersichtlich zu gestalten, wird auch hier die soziale Herkunft durch eine trichotomisierte Variable erfasst (s. Tabelle 4).15 Ähnlich wie bei der Analyse der Tabelle 3 finden sich auch hier die vermuteten Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Abschlussjahrgänge. Ebenso erwartbar sind die Differenzen hinsichtlich der verschiedenen Studiengänge. So scheinen vor allem Studierende der Wirtschaftswissenschaften leichter den Zugang zu einer Führungsposition – auch in einem Spitzenunternehmen – zu finden als Absolventen der beiden anderen Fächer. 14 Angesichts dieser sehr kleinen Zahl sind die Angaben für 1985 für eine Analyse allenfalls sehr eingeschränkt geeignet. In den weiter unten dargestellten multivariaten Modellen wird dieser Jahrgang hinsichtlich der Erlangung einer Position in einem Spitzenunternehmen deshalb auch nicht weiter berücksichtigt. 15 Weitere, hier aus Platzgründen nicht darstellbare Analysen zeigen, dass bei der Verwendung anderer und vor allem auch komplexerer Vercodungen der sozialen Herkunft sich weder bei der einfachen deskriptiven, noch bei den weiter unten vorzustellenden multivariaten Berechnungen inhaltliche Änderungen der hier vorgestellten Ergebnisse ergeben. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 447 Tabelle 4: Anteil von Personen mit Karriere in der Wirtschaft in Abhängigkeit von sozialer Herkunft, Studienfach und Promotionsjahr (Angaben in Prozent) Jahrgang Studienfach Herkunft 1955 1965 1975 1985 Gesamt Ingenieurwissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 13,0 7,4 19,2 9,2 12,7 20,6 5,3 10,4 10,0 4,4 11,0 17,6 7,2 10,9 17,5 Rechtswissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 8,3 14,4 20,2 10,1 15,6 15,9 3,8 7,1 12,8 4,8 7,7 3,8 7,6 12,1 15,6 Wirtschaftswissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 17,3 21,9 26,0 19,5 15,1 30,8 10,2 18,4 35,3 7,5 15,8 0,0 15,4 18,9 27,3 Führungsposition Führungsposition in Spitzenunternehmen Ingenieurwissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 3,9 3,2 7,7 2,1 4,0 5,9 1,0 2,7 10,0 0,0 0,8 0,0 1,4 2,9 6,2 Rechtswissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 3,1 3,3 6,7 3,4 5,2 4,5 1,0 3,6 2,1 0,0 0,8 0,0 2,4 4,0 4,4 Wirtschaftswissenschaften Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 4,3 7,1 8,2 1,6 3,8 15,4 2,3 3,1 11,8 0,0 5,3 0,0 2,5 5,3 9,9 1220 1315 1028 617 4180 n Unabhängig davon bleibt der Effekt der sozialen Herkunft aber durchgängig bestehen. Der Anteil von Promovierten, die eine Führungsposition erreichen, liegt bei denen, die dem gehobenen Bürgertum entstammen, bis auf zwei Ausnahmen (bei den Ingenieuren des Jahrgangs 1955 und bei den Wirtschaftswissenschaftlern des Jahrgangs 1965) stets über dem entsprechenden Wert für die Personen aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten, und zwar um mindestens 27 und um höchstens 150 Prozent. Bei den Promovierten aus dem Großbürgertum sind die Unterschiede mit mind. 50 und max. 300 Prozent noch deutlicher.16 Betrachtet man nur die Spitzenunternehmen, fällt der Effekt der sozialen Herkunft spürbar stärker aus. Für den Nachwuchs des gehobenen Bürgertums stehen die Chancen dort um bis das Dreieinhalbfache besser, für den des Großbürgertums um bis das Zehnfache. Trotz dieser eindeutigen Ergebnisse wird aber schon in dieser Darstellung deutlich, dass größere Kontingenztabellen recht schnell die Grenze der Interpretierbarkeit errei16 Aufgrund des im Laufe der Zeit immer geringer werdenden Anteils von Personen mit großbürgerlichem Hintergrund sind die entsprechenden Angaben vor allem für den Jahrgang 1985 allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. So finden sich für diesen Jahrgang nur noch insgesamt fünf Personen aus einer großbürgerlichem Familie, die in Wirtschaftswissenschaften promoviert haben. 448 Michael Hartmann und Johannes Kopp chen. Aus diesem Grunde sollen im Folgenden auch eher die Ergebnisse entsprechender multivariater Verfahren, wie sie oben skizziert wurden, vorgestellt werden, und zwar zunächst für das Erreichen einer hohen Führungsposition in großen Unternehmen allgemein. Um die verschiedenen strukturellen Randbedingungen zu kontrollieren, wurde in einem ersten Schritt ein so genanntes Grundmodell berechnet, in dem neben der sozialen Herkunft der Abschlussjahrgang, die Studienrichtung und das Geschlecht berücksichtigt wurden In der ersten Ergebnisspalte der Tabelle 5 (Modell 1) werden die als proportionale Risikoverschiebung beim Übergang in eine Führungsposition interpretierbaren α-Effekte vorgestellt.17 Es zeigt sich dabei, dass unter Kontrolle der anderen Variablen vor allem Absolventen des Jahrganges 1975 schlechtere Chancen besitzen, eine wirtschaftliche Führungsposition einzunehmen. Bei ihnen machen sich die schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit Mitte der 70er Jahre bemerkbar. Die anderen Jahrgänge unterscheiden sich hingegen wenig voneinander. Deutlich bestätigen sich auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Studienabschlüssen. Im Vergleich zu Absolventen der Ingenieur- oder Rechtswissenschaften ist die Übergangsrate und damit die Karrierechance für Promovierte im Fach Wirtschaftswissenschaften fast doppelt so hoch. Noch deutlicher ist der Geschlechtereffekt: Frauen besitzen im Vergleich zu Männern nur eine 10-Prozent-Chance, eine Führungsposition in einem Wirtschaftsunternehmen zu erreichen. Konkret bedeutet dies, dass von den insgesamt hier betrachteten 182 Frauen nur drei eine weiterreichende Karriereposition in der Wirtschaft einnehmen konnten. Auch unter Berücksichtigung all dieser Variablen bleibt jedoch der dominante Effekt der sozialen Herkunft bestehen. Im Vergleich zu einer Herkunft aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten erhöht sich die Chance auf eine Karriere in der deutschen Wirtschaft bei einer Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum um 50 Prozent. Wer einen großbürgerlichen Hintergrund aufweist, hat sogar eine mehr als doppelt so hohe Chance, eine Führungsposition zu erreichen. Die Ergebnisse dieses Grundmodells bestätigen die bei Betrachtung der deskriptiven Resultate gewonnenen Eindrücke vollständig. Das bleibt auch so, wenn man andere in der Diskussion für einen schnellen beruf17 Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, dass bei diesen und den folgenden multivariaten Modellen keine Angaben über das Signifikanzniveau der entsprechenden Effektgrößen zu finden sind. Es handelt sich bei der hier analysierten Population jedoch um keine Stichprobe, sondern um eine vollständige Analyse der entsprechenden Jahr- und Studiengänge, aus diesem Grunde ist die Angabe eines entsprechenden Testwertes nicht sinnvoll (vgl. für die verschiedenen Argumente die entsprechende Diskussion in Berk, Western und Weiss 1995a, 1995b; Bollen 1995; Firebaugh 1995; Rubin 1995). Nur wenn man über die entsprechenden Jahrgänge hinaus Aussagen etwa über die Veränderungen in den 1980er Jahren treffen wollte, erscheint die Berücksichtigung eventueller Signifikanztests wichtig. Es sei an dieser Stelle deshalb darauf hingewiesen, dass fast alle inhaltlichen Effekte auch bei der Berücksichtigung von Signifikanztests unverändert interpretierbar bleiben; eine Ausnahme bilden die Interaktionseffekte in den Modellen 3 und A6. Darüber hinaus sind die kleineren Effekte des Abschlussjahrganges, des Abschlusses in Jura sowie der Einfluss eines Auslandsaufenthaltes nicht signifikant. In Anbetracht dessen lassen sich die im Folgenden berichteten Ergebnisse – zumindest hinsichtlich der entscheidenden Frage nach dem Einfluss der sozialen Herkunft – also auch über die beobachteten Kohorten hinaus verallgemeinern bzw. auch dann inhaltlich interpretieren, wenn man in der skizzierten Methodendiskussion eine andere Position vertritt. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 449 Tabelle 5: Einflussfaktoren einer Wirtschaftskarriere (Übersicht über die verschiedenen Modelle – jeweils α-Effekte) Einflussgrößen Modell 1 Modell 2 Modell 3 Abschlussjahrgang 1955 1965 1975 1985 Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 1,01 1,09 1,08 0,73 0,88 0,59 1,11 1,34 0,90 Fachrichtung Ingenieurwissenschaften Rechtswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 1,03 0,82 1,02 1,87 1,47 1,85 Geschlecht männlich weiblich Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 0,10 0,10 0,10 Interaktionseffekt soziale Herkunft und Abschlussjahrgang gehobenes Bürgertum und 1965 gehobenes Bürgertum und 1975 gehobenes Bürgertum und 1985 Großbürgertum und 1965 Großbürgertum und 1975 Großbürgertum und 1985 0,92 1,32 1,49 0,88 1,54 0,85 Studiendauer Regelstudienzeit ein bis zwei Semester über der RSZ mehr als zwei Semester über RSZ Referenzgruppe 0,73 0,74 Auslandsaufenthalt während des Studiums nein ja Referenzgruppe 1,18 Alter bei der Promotion (in Jahren) Berufstätigkeit vor der Promotion nein ja soziale Herkunft Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum 0,95 Referenzgruppe 1,27 Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 1,50 1,46 1,42 2,12 2,00 2,07 n = 4.180; Zahl der Ereignisse: 514. lichen Erfolg immer wieder als wichtig betrachtete Faktoren mit einbezieht: Studiendauer, Auslandsaufenthalte, Promotionsalter und Berufstätigkeit vor der Promotion. Ein rascher Studienabschluss sollte sich ebenso wie ein längerer Auslandsaufenthalt positiv auf die Karriere auswirken. Auch eine schnelle Promotion sollte gerade vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über die zu langen Ausbildungsphasen in der Bundesrepublik die Karrierechancen erhöhen. Ähnliches gilt auch für eine Berufstätigkeit außerhalb der Universität zwischen Examen und Promotion. In ihrem Rahmen 450 Michael Hartmann und Johannes Kopp können schließlich Verbindungen entstehen, die den beruflichen Werdegang positiv beeinflussen. Zunächst kann man feststellen, dass diese erwarteten Effekte, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, durchaus zu beobachten sind. Eine über die Regelstudienzeit hinausgehende Studiendauer vermindert deutlich die Übergangsrate. Ähnliches gilt für das Alter bei der Promotion: Eine Karriere wird mit zunehmendem Alter bei der Promotion unwahrscheinlicher.18 Im Gegensatz dazu erleichtert eine Erwerbstätigkeit vor der Promotion außerhalb der Universität deutlich die entsprechenden Chancen. Ein Auslandsaufenthalt während des Studiums erhöht die Karrierechancen, auch wenn dieser Effekt im Vergleich relativ gering ist. Die vier Variablen lassen sich nun aber als Ressourcen interpretieren, die je nach sozialer Herkunft nicht gleichermaßen verfügbar sind. Lassen sich die Karriereunterschiede zwischen den verschiedenen sozialen Herkunftsklassen also vielleicht doch weit gehend auf eine unterschiedliche Ausstattung mit diesen sozialen Ressourcen zurückführen? Wenn dies der Fall wäre, müsste bei Kontrolle dieser Variablen der Herkunftseffekt verschwinden oder es sollte sich zumindest ein deutlicher Rückgang des Herkunftseffektes finden lassen. Ein Blick auf das Modell 2 in Tabelle 5 zeigt jedoch, dass sich ein derartiger Rückgang nicht finden lässt. Sowohl Personen aus dem gehobenen wie aus dem Großbürgertum besitzen auch nach Kontrolle dieser sozialen Ressourcen deutlich bessere und vor allem auch im Vergleich zum Ausgangsmodell (vgl. Modell 1 in Tabelle 5) nahezu unveränderte Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in der deutschen Wirtschaft. Es ist daher zwar zutreffend, dass die genannten Faktoren wie Studiendauer, Promotionsalter etc. die erwarteten Effekte aufweisen, die sozialen Unterschiede hinsichtlich der Karrierechancen lassen sich jedoch nicht durch eine unterschiedliche Ausstattung mit diesen Ressourcen erklären. Nachdem die Übergangsprozesse in eine Führungsposition in der gesamten Wirtschaft sehr ausführlich diskutiert worden sind, sollen die entsprechenden Analysen für die Übergänge hin zu einer derartigen Position in einem Spitzenunternehmen im Folgenden nur relativ knapp vorgestellt werden, da sie weitgehend parallel zu den bisher vorgestellten Berechnungen durchgeführt worden sind. Einzige Ausnahme bildet – wie ja bereits erwähnt – der Jahrgang 1985, bei dem sich so gut wie keine Personen mehr finden, die überhaupt eine derartige Position in der Wirtschaft einnehmen. Aus diesem Grunde beschränken sich die vorliegenden Analysen auf die ersten drei hier betrachteten Abschlussjahre. Die entsprechende tabellarische Darstellung der Ergebnisse findet sich im Anhang dieses Beitrages (vgl. Tabelle A2 im Anhang und die dort aufgeführten Modelle A4 bis A6). Auch beim Übergang zu einer Führungsposition in einem Spitzenunternehmen wurde zuerst ein Grundmodell geschätzt, in dem neben der sozialen Herkunft der Abschlussjahrgang, die Studienrichtung sowie das Geschlecht Berücksichtigung finden (vgl. Modell A4 in Tabelle A2). Hier finden sich, allerdings in abgeschwächter Form, die gleichen inhaltlichen Effekte wie in den oben diskutierten Schätzungen: Die Kar- 18 Es ist an dieser Stelle zu beachten, dass das Alter in Jahren erfasst wird. Ein Unterschied von beispielsweise fünf Jahren bedeutet dann etwa eine Verringerung der Karrierechancen um mehr als 20 Prozent. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 451 rierechancen sinken für die späteren Abschlussjahrgänge, Studierende der Wirtschaftswissenschaften haben spürbar bessere und Frauen wesentlich schlechtere Chancen. Was die soziale Herkunft betrifft, so nimmt ihr Einfluss dagegen noch einmal deutlich zu. Verglichen mit einer Herkunft aus der Arbeiterklasse/Mittelschichten steigt die entsprechende Übergangsrate hin zu einer Führungsposition in einem Spitzenunternehmen bei einer Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum um mehr als 80 Prozent. Bei einer Herkunft aus dem Großbürgertum ist die Chance sogar mehr als zweieinhalbmal so hoch. Schließlich zeigt die Kontrolle der verschiedenen skizzierten sozialen Ressourcen dasselbe Bild wie schon bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft allgemein (vgl. Modell A5 in Tabelle A2). Auch hier wird der Effekt der sozialen Herkunft nur unwesentlich durch die Hinzunahme der diesbezüglichen Variablen verändert und bleibt vor allem deutlich höher als beim Übergang in wirtschaftliche Führungspositionen allgemein. Die erste Forschungsfrage lässt sich daher abschließend ganz eindeutig beantworten: Unabhängig von allen Effekten, die auf die unterschiedliche Bildungsbeteiligung der verschiedenen Klassen und Schichten zurückzuführen sind, beeinflusst die soziale Herkunft ganz entscheidend die Chance, eine hohe Führungsposition in einem großen Unternehmen zu erreichen und damit in die deutsche Wirtschaftselite im weiteren wie im engeren Sinne aufzusteigen. V. Die Bildungsexpansion und der Zugang zur deutschen Wirtschaftselite Die eindeutige Beantwortung der ersten der beiden Forschungsfragen lässt allerdings noch offen, ob sich die zweite, die Frage nach den Folgen der Bildungsexpansion für die Elitenrekrutierung, genauso klar beantworten lässt. Die in Tabellenform bereits dargestellten Ergebnisse lassen vermuten, dass die Bildungsexpansion zwar die Chancen für die Kinder aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten erhöht hat, den Doktortitel zu erwerben, diese Verbesserung aber auf den Bildungsbereich beschränkt bleibt; für die Besetzung von hohen Führungspositionen in der Wirtschaft scheint sich sogar ganz im Gegenteil eine Zunahme der sozialen Schließung abzuzeichnen. Ob dieser Eindruck zutreffend ist, wird im Folgenden ebenso zu klären sein wie die Frage, ob und, falls ja, inwieweit der Nachwuchs des gehobenen und des Großbürgertums auf die mit der Bildungsexpansion verbundene Entwertung von Bildungsabschlüssen zumindest zeitweise mit dem verstärkten Erwerb des Doktortitels als Gegenstrategie geantwortet hat. Für klare Aussagen ist es zunächst unerlässlich, den Beginn der Bildungsexpansion genauer zu bestimmen. Entscheidend ist in dieser Hinsicht, ob die Promovierten des Jahrgangs 1975, die ihr Studium ganz überwiegend zwischen 1964 und 1969 absolviert haben, schon von der Bildungsexpansion erfasst worden sind oder nicht. Schaut man sich die Ergebnisse der regelmäßigen Sozialerhebungen des deutschen Studentenwerks unter diesem Aspekt an, so scheint das Bild auf den ersten Blick eindeutig zu sein. Die Studentenkohorten,19 denen die Promotionsjahrgänge von 1965 bis 19 Da der Anteil der Frauen in den untersuchten Promoviertenkohorten unter fünf Prozent liegt 452 Michael Hartmann und Johannes Kopp Tabelle 6: Die Studenten mit gehobener sozialer Herkunft (Angaben in Spaltenprozenten)20 Jahrgang Beruf des Vaters 1959 1967 1973 1979 Höherer Beamter Leitender Angestellter (inkl. Lehrer) Unternehmer 4,9 11,3 3,4 3,1 12,8 3,2 1,1 6,8 1,7 0,9 7,1 0,9 Ohne Hochschulabschluss insgesamt 19,6 19,1 9,6 8,9 Höhere Beamte insgesamt Darunter: Hochschullehrer Lehrer Richter/Staatsanwalt 11,1 1,2 3,9 1,3 10,1 0,9 3,3 1,1 13,6 1,0 5,1 0,8 13,2 1,3 5,0 0,7 3,2 7,8 3,6 0,7 3,5 13,2 4,7 0,8 7,2 15,6 5,6 0,9 8,6 12,4 1,4 3,6 s.o. 5,7 0,7 1,0 11,2 1,2 1,4 0,2 6,1 0,6 1,7 8,4 0,7 1,5 0,1 3,6 0,5 2,2 7,6 0,6 1,5 0,1 2,4 0,3 2,7 Landwirte 0,6 0,9 1,5 2,1 Unternehmer 1,1 1,3 3,0 4,0 28,4 31,6 40,6 43,5 Angestellte insgesamt Darunter: Ingenieur/Architekt Arzt Sonstige Angestellte Freie Berufe insgesamt Darunter: Rechtsanwalt Ingenieur/Architekt Wirtschaftsprüfer Arzt/Zahnarzt Apotheker Sonstige Freiberufler Mit Hochschulabschluss insgesamt 1985 entstammen, unterscheiden sich nur minimal voneinander, soweit es den Anteil der Studenten mit einer gehobenen sozialen Herkunft betrifft (s. Tabelle 6). Zwar ist der Prozentsatz der Arbeiterkinder im Verlauf der 1970er Jahre gestiegen, da gleichzeitig aber der Nachwuchs von mittleren und gehobenen Beamten stark rückläufig war, ist – oberflächlich betrachtet – alles beim Alten geblieben. Wenn man berücksichtigt, dass seit 1973 die Absolventen von Ingenieurschulen, pädagogischen Hochschulen und ähnlichen Einrichtungen, anders als in den Erhebungen zuvor, von den Verfassern der Sozialerhebung zu den Hochschulabsolventen gerechnet worden sind, so bleibt selbst der Akademisierungsprozess bei den Vätern eher schleichend. Der und sie in den Führungspositionen nicht vertreten sind, werden hier wie im folgenden nur die Angaben für die Studenten angeführt. 20 Die Prozentsätze summieren sich nicht auf 100 Prozent, weil die Angaben für die anderen Bevölkerungsgruppen wie Arbeiter etc. nicht aufgeführt werden. Die Erhebungen des Deutschen Studentenwerks sind für die Jahre 1951, 1953, 1956, 1959, 1963 und 1967 als Vollerhebungen unter allen deutschen Studierenden durchgeführt worden und haben dabei mit Ausnahme des Jahres 1967, in dem der Rücklauf bei 79 Prozent lag, über 90 prozentige Antwortquoten erzielt. Ab 1973 war eine Vollerhebung nicht mehr möglich. An ihre Stelle trat eine 10 prozentige repräsentative Stichprobe (Kath et.al. 1973: 14ff.), die Antwortraten von 75 Prozent (1973) und 56 Prozent (1979) erreichte. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 453 große Sprung von 1967 auf 1973 entspringt nämlich fast völlig dieser Umdefinition.21 Von einer sozialen Öffnung der Hochschulen im Sinne einer Reduzierung des Anteils aus dem gehobenen Bürgertum ist zunächst nichts zu sehen. Dieser erste Eindruck täuscht jedoch. Ein reiner Vergleich der Prozentsätze lässt nämlich völlig außer Acht, dass sich in diesem Zeitraum die Struktur der Erwerbstätigkeit erheblich verändert hat. Dass der Anteil der Akademikerkinder22 von Jahrgang zu Jahrgang leicht gestiegen ist, sagt über die soziale Selektivität des Hochschulzugangs nur sehr begrenzt etwas aus, solange man den jeweiligen Anteil der Akademiker unter den Erwerbstätigen nicht zum Vergleich heranzieht.23 Gerade der Anteil der Akademiker unter den Erwerbstätigen war aber seit 1960 einem tief greifenden Wandlungsprozess unterworfen. Zum einen expandierten alle akademischen Berufsgruppen, zum anderen geschah das in höchst unterschiedlichem Umfang, so dass es nicht nur zu einer erheblichen Zunahme der Akademiker an den Erwerbstätigen kam, sondern auch zu einer deutlichen internen Umschichtung. Während sich der Anteil der größeren Unternehmer an den männlichen Erwerbstätigen24 von 1950 bis 1971 nur geringfügig von 0,9 auf 1,1 Prozent erhöhte,25 sah das bei den aka21 Das ist deutlich zu erkennen, wenn man die Rückgänge bei den höheren Beamten, den leitenden Angestellten und den Unternehmern ohne Hochschulabschluss mit den Zunahmen bei den entsprechenden Gruppen mit Hochschulabschluss vergleicht. Die Prozentsätze sind fast identisch. 22 Entsprechend dem Vorgehen des Studentenwerks werden die Fachhochschulabsolventen hier ebenfalls zu den Akademikern gezählt. 23 Da die Studierenden in der Sozialerhebung nach dem aktuellen Beruf des Vaters und nur bei den nicht mehr berufstätigen Vätern nach dem früheren Beruf gefragt worden sind, kann man hier, anders als bei den meisten anderen Erhebungen, einen direkten Vergleich der Angaben mit der jeweiligen Erwerbstätigenstruktur anstellen. Ein Zeitvergleich ist ebenfalls unproblematisch, weil sich der Prozentsatz der im Erwerbsleben stehenden Väter mit ungefähr zwei Drittel über die Jahre nicht verändert hat. 24 Weil die Studierenden wie auch die Promovierten den Beruf ihres Vaters angegeben haben, muss man zum Vergleich die männlichen Erwerbstätigen heranziehen, was zu einem erhöhten Anteil der gehobenen Berufsgruppen führt. 25 Diese wie auch die folgenden Zahlenangaben beruhen auf eigenen Berechnungen und Schätzungen nach den Angaben des Statistischen Bundesamts für die Volkszählungen 1950, 1961 und 1970 sowie zahlreichen Mikrozensen (Fachserie 1. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Reihe 4.1.2. Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen) inkl. einer Sonderauswertung der Mikrozensus-Zusatzerhebung April 1971 „Berufliche und soziale Umschichtung der Bevölkerung“ durch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), Abteilung Mikrodaten, und Einzelerhebungen wie z.B. denen über das Personal des öffentlichen Dienstes (Fachserie 14. Finanzen und Steuern. Reihe 6. Personal des öffentlichen Dienstes). Für die Ärzte und Anwälte sind außerdem die von ihren Standesvertretungen veröffentlichten Zahlen herangezogen worden. Ohne jedes Problem konnten (abgesehen von einzelnen Berufen wie Ärzte oder Anwälte) dabei die Angaben über die Beamten des höheren Dienstes ermittelt werden. Sie lagen in der Fachserie 14 vollständig vor und mussten nur prozentual berechnet werden. Bei den anderen sozialen Kategorien war es komplizierter. Für das Jahr 1950 konnte auf Zahlen aus eigenen früheren Berechnungen (Hartmann 1996: 37) zurückgegriffen werden, die durch den Ausschluss der weiblichen Erwerbstätigen nur eine andere Bezugsgröße und damit höhere Prozentsätze aufweisen. Bedeutend schwieriger lag es beim Jahr 1960. Hier mussten die Zahlen, die das statistische Bundesamt bei der Umrechnung ihrer eigenen Daten der Volkszählung von 1961 für das bei Berufen international übliche Klassifikationsschema angegeben hatte (Spe. 19), noch einmal mit den Volkszählungsdaten und den Angaben über die 454 Michael Hartmann und Johannes Kopp demischen Freiberuflern schon anders aus. Die Zahl der niedergelassenen Ärzte stieg um ein Drittel, die der Anwälte sogar um drei Viertel. Diese Zunahme verteilte sich allerdings noch ziemlich gleichmäßig über die beiden Jahrzehnte. Das war bei den höheren Beamten und bei den Angestellten mit Hoch- bzw. Fachhochschulabschluss oder leitender Funktion ganz anders. Der Anteil der höheren Beamten verdreifachte sich in diesem Zeitraum nicht nur fast, die entscheidende Ausweitung des höheren Dienstes fand auch erst ab Beginn der 60er Jahre statt. Ging es in den 50ern „nur“ von knapp 85.000 auf ca. 140.000, so gab es zehn Jahre später schon ungefähr 250.000 höhere Beamte männlichen Geschlechts. Für die leitenden oder akademisch ausgebildeten Angestellten gilt dasselbe, nur in noch deutlicherer Form. Ihre Zunahme um das Dreifache entfiel nur zu ungefähr einem Fünftel auf die 1950er Jahre. Die wirkliche Expansion erfolgte erst in den 1960ern. Für die Struktur der männlichen Erwerbstätigen bedeuteten diese Prozesse eine enorme Veränderung. Der Anteil der akademischen Freiberufler erhöhte sich bis 1971 zwar „nur“ von 0,7 auf 1,2 Prozent, der der höheren Beamten aber schon von 0,5 auf 1,4 Prozent und der der Angestellten mit Hoch- bzw. Fachhochschulabschluss oder leitender Funktion von 1,4 auf 4 Prozent. Insgesamt verfügten damit 6,2 Prozent der männlichen Erwerbstätigen über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss.26 In den 1970ern setzte sich dieser Prozess ungebremst fort. Von den männlichen Erwerbstätigen wiesen 1976 bereits 8,4 Prozent einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss auf (Stg. 1978: 567).27 Der Anteil der höheren Beamten stieg bis 1977 auf 1,8 Prozent. Die Zahl der Anwälte nahm in nur sieben Jahren um über 40 Prozent zu, die der Ärzte erhöhte sich in diesem kurzen Zeitraum insgesamt um über ein Drittel, die der niedergelassenen allerdings nur um ein gutes Achtel. Einschließlich der leitenden Angestellten und Unternehmer ohne einen höheren Bildungstitel28 dürfte 1977 damit mehr als jeder zehnte Erwerbstätige in die Kategorie „Hochschul“- bzw. „Fachhochschulabsolvent“ oder „leitend“ gefallen sein. Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Sozialerhebungen, so wird schnell klar, höheren Beamten verglichen werden, um zu einer realistischen Schätzung zu gelangen. Für das Jahr 1971 war es wieder deutlich einfacher. Hier wurden die Daten aus der Sonderauswertung des Mikrozensus verwendet. Während die leitenden Angestellten und die größeren Unternehmer dabei als eigene Kategorien ausgewiesen waren, wurde die Anzahl der akademischen Freiberufler durch eine Gleichsetzung mit der Zahl der Selbständigen außerhalb der Landwirtschaft, die weniger als zehn Beschäftigte und gleichzeitig einen Hochschulabschluss aufwiesen, errechnet. Die Prozentsätze für 1976 schließlich beruhen auf Angaben des Statistischen Bundesamts in „Wirtschaft und Statistik“ für die Mikrozensen von 1976 und 1982 (Mörtl 1984a, 1984b; Stg. 1978). 26 Dieser Prozentsatz ergibt sich, wenn man die Werte für die freiberuflichen Akademiker (1,2 Prozent), die höheren Beamten (1,4 Prozent), die Angestellten (3,4 Prozent) und die größeren Unternehmer (0,2 Prozent) mit einem solchen Bildungsabschluss addiert. Er liegt leicht höher als die Angaben des statistischen Bundesamts für die Volkszählung 1970, die auf 6,1 Prozent kommen (Stg. 1978: 567f.). 27 Die Erwerbstätigen mit einem solchen Abschluss, die zuvor die Fachhochschul- oder Hochschulreife erworben hatten, stellten 7,2 Prozent, jene, die nur einen Realschulabschluss aufwiesen, noch einmal 1,2 Prozent (Mörtl 1984a: 108ff.). 28 1971 verfügten immerhin 58 Prozent der leitenden Angestellten und 83 Prozent der größeren Unternehmer über keinen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss (eigene Berechnungen nach der Sonderauswertung des Mikrozensus von 1971). Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 455 dass sich hinter den relativ stabil gebliebenen Prozentsätzen für die Väter mit gehobener Herkunft ganz gravierende soziale Veränderungen verbergen. Die Studenten des Jahres 1959 weisen eine wesentlich exklusivere soziale Rekrutierung auf als die der folgenden Jahrgänge. Angesichts der enormen Zunahme der Akademiker in den 1960er und 1970er Jahren bedeutet ein fast gleich gebliebener Prozentsatz für die männlichen Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss (inkl. Fachhochschulabschluss) de facto einen drastischen Rückgang der Kinder aus dem gehobenen Bürgertum. Während bei den Studenten des Jahres 1959 die Väter mit Hoch- bzw. Fachhochschulabschluss in der Regel noch zum gehobenen Bürgertum zu rechnen waren, sah das 1967 oder gar in den 1970ern schon völlig anders aus. Viele Väter mit einem solchen Abschluss gehörten nicht mehr zu diesem Milieu, sondern waren nur noch als qualifizierte Fachkräfte tätig. In welchem Umfang das in dieser Zeit schon der Fall war, zeigen die Daten des Mikrozensus aus den Jahren 1971 und 1982. Während sich der Anteil der im Mikrozensus als leitend ausgewiesenen Angestellten mit 1,3 Prozent gegenüber der Volkszählung von 1950 nur minimal erhöht hatte, lag der Prozentsatz der Angestellten mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss ohne leitende Funktion 1971 bereits bei 2,7 Prozent.29 1982 (wie auch 1987 und 1995) bekleideten sogar fast 80 Prozent der Angestellten mit einem derartigen Abschluss nur noch Funktionen unterhalb der Kategorien „Abteilungsleiter, Prokurist“ oder „Direktor, Amtsleiter, Geschäftsführer, Betriebsleiter/Werksleiter“, obwohl nur die zweite dieser beiden Kategorien mit einem Anteil von 1,6 Prozent an den männlichen Erwerbstätigen komplett zu den leitenden Angestellten zu rechnen ist. Auf die erstere mit einem Anteil von 2,2 Prozent trifft das dagegen allenfalls noch zu einem sehr kleinen Teil zu, denn anders als in den 1950er und 1960er Jahren ist ein Prokurist oder ein Abteilungsleiter heutzutage eher selten als leitender Angestellter eingestuft. In den Sozialerhebungen der Studentenwerke ist all das schon daran oberflächlich erkennbar, dass die Anteile für die klassischen akademischen Berufe, trotz deren deutlicher absoluter wie prozentualer Zunahme unter den Studierenden, rückläufig sind. Die Richter und Staatsanwälte sind unter den Vätern ebenso in immer geringerem Maße vertreten wie auch die Ärzte, Anwälte, Apotheker und die akademischen Freiberufler in ihrer Gesamtheit. Auch der Prozentsatz der Unternehmer ist praktisch stabil geblieben, erhöht hat sich dagegen vor allem der Anteil der sonstigen Angestellten, also der qualifizierten Fachkräfte ohne wirkliche Führungsposition, und derjenige der Lehrer. Insgesamt bedeutet das eine eindeutige soziale Öffnung der Hochschulen, und zwar schon Mitte der 1960er, also noch vor dem Beginn der staatlich eingeleiteten Reformen. Letztere haben den bereits stattfindenden Prozess allerdings noch einmal spürbar beschleunigt, wie die weitere Zunahme der männlichen Erwerbstätigen mit Hoch- oder 29 All diese wie auch die folgenden Zahlen aus den Mikrozensen von 1971, 1982, 1987 und 1995 entstammen eigenen Berechnungen auf Grundlage einer Sonderauswertung anonymisierter Daten dieser Mikrozensen (Mikrozensus-Zusatzerhebung April 1971 „Berufliche und soziale Umschichtung der Bevölkerung“, 98 Prozent-Substichprobe des Mikrozensus 1982 sowie eine jeweils 70 Prozentige Substichprobe der Mikrozensen von 1987 und 1995) durch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), Abteilung Mikrodaten sowie der Vorstellung der Mikrozensusergebnisse von 1982 in „Wirtschaft und Statistik“ (Mörtl 1984a, 1984b). 456 Michael Hartmann und Johannes Kopp Fachhochschulabschluss auf über 12 Prozent bis 1987 und auf über 16 Prozent bis 2000 deutlich zeigt. Die Promotionskohorten 1975 und 1985 haben ihr Studium dementsprechend bereits unter den Bedingungen einer größeren sozialen Öffnung der Hochschulen absolviert. Zunächst stellt sich deshalb die Frage, ob der Nachwuchs des gehobenen Bürgertums auf diese Öffnungsprozesse und die damit verknüpfte Entwertung der üblichen Bildungsabschlüsse wie Diplom und Staatsexamen mit einem verstärkten Erwerb des Doktortitels reagiert hat. Für den Promotionsjahrgang 1975 ist eine solche Umorientierung ganz eindeutig zu bejahen. Während unter den Studenten des entsprechenden Jahrgangs 1967 eine klare soziale Öffnung festzustellen ist, ändert sich die Struktur der Promovierten überhaupt nicht (s. Tabelle 2).30 Die soziale Öffnung bleibt hier, soweit es die Aufteilung in gehobenes und Großbürgertum auf der einen und die Arbeiterklasse und die Mittelschichten auf der anderen Seiten betrifft, auf die normalen Hochschulabschlüsse begrenzt. Bei der Kohorte des Jahres 1985 sieht das schon anders aus. In ihrem Fall schlägt die Öffnung auch auf die Promotion durch, allerdings immer noch in vermindertem Umfang.31 Für das Erreichen einer Führungsposition ist all das aber unbedeutend. Sowohl der Promotionsjahrgang 1975 als auch der von 1985 zeichnen sich durch eine weit überproportionale Erfolgsquote der Kinder aus dem gehobenen und dem Großbürgertum aus, wenn es um die Besetzung von hohen Führungspositionen in der Wirtschaft geht. Eine erste Betrachtung lässt schon vermuten, dass die soziale Selektion sogar noch schärfer ausfällt als bei den Jahrgängen 1955 und 1965 (s. Tabelle 3). Um diese These auch empirisch zu überprüfen, wurden in einem dritten Modell (vgl. Tabelle 5, Modell 3) entsprechende Interaktionseffekte zwischen der sozialen Herkunft und dem Abschlussjahrgang in das Ausgangsmodell hinzugefügt. Wenn infolge der Bildungsexpansion eine Abschwächung der sozialen Auslese eingetreten sein sollte, so sollten diese Interaktionseffekte deutlich negativ – also hier deutlich kleiner als 1 – sein und vor allem 30 Die Veränderung der Erwerbstätigenstruktur kann bei den Promovierten im Gegensatz zu den Studierenden unberücksichtigt bleiben, weil sie den Beruf ihres Vaters bei der Geburt, die im Durchschnitt vor 1945 lag, angegeben haben. 31 Innerhalb der beiden großen sozialen Kategorien lassen sich dabei interessante Veränderungen beobachten (s. Tabelle A1). So hat der Anteil der Arbeiterkinder von Jahr zu Jahr deutlich zugenommen (von 2,5 auf 10,2 Prozent), während der Anteil der Kinder aus den Familien mittlerer sowie gehobener Angestellter und Beamter von Jahr zu Jahr gesunken ist (von 21,3 auf 14,3 Prozent). Obwohl das unterschiedliche Gewicht der Studienfächer bei dieser Änderung insofern eine Rolle spielt, als die starke Zunahme der traditionell stärker von Arbeiterkindern gewählten Ingenieurwissenschaften die Relationen verzerrt, hat infolge der Bildungsexpansion doch eine spürbare interne Verschiebung stattgefunden. Selbst unter den Juristen haben die Arbeiterkinder nämlich zugelegt, allerdings nur geringfügig, bei den Wirtschaftswissenschaftlern dafür sehr stark. Die Beamtenkinder haben überraschenderweise unter den Juristen, in ihrer traditionellen Hochburg, am deutlichsten eingebüßt. Beim gehobenen Bürgertum sind ebenfalls erhebliche interne Umstrukturierungen zu sehen. Auch hier haben die Beamtenkinder an Boden verloren (von 15,7 auf 10,2 Prozent), während diesmal der Nachwuchs der leitenden Angestellten der eindeutige Gewinner ist (von 14,3 auf 21,9 Prozent). Auf die Studienfächer bezogen hat der Nachwuchs aus den Familien höherer Beamter seine Position in den Rechtswissenschaften gehalten, dafür in den beiden anderen Fächern z.T. drastisch eingebüßt, während die Kinder leitender Angestellter unter den Ingenieuren und den Juristen zugelegt haben. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 457 auch den Haupteffekt der sozialen Herkunft mindestens verringern, wenn nicht sogar gänzlich erklären. Es zeigt sich jedoch das Gegenteil. Einerseits verringert sich der entsprechende Haupteffekt der sozialen Herkunft nur unbedeutend.32 Andererseits findet man positive Interaktionseffekte, vor allem für das gehobene Bürgertum. In den Abschlussjahrgängen 1975 und 1985 finden sich sogar stärkere Effekte der sozialen Herkunft und damit Tendenzen einer im Zeitverlauf eher zunehmenden sozialen Schließung. Die aus dem gehobenen Bürgertum stammenden Promovierten der Jahrgänge 1975 und 1985 haben verglichen mit denen des Jahrgangs 1955 immerhin eine um 32 bzw. 49 Prozent größere Chance, in eine hohe Führungsposition zu gelangen. Bei den Spitzenunternehmen finden sich diese Effekte einer zunehmenden sozialen Schließung sogar schon beim Jahrgang 1965. Insgesamt liegen die Differenzen mit 35 und 73 Prozent sogar noch etwas höher. Ähnliches gilt auch für die aus dem Großbürgertum kommenden Promovierten (s. Modell 3 in Tabelle 5 sowie Modell A6 in Tabelle A2).33 Die Bildungsexpansion hat zwar zu einer sozialen Öffnung der Hochschulen und (mit ungefähr einem Jahrzehnt Verspätung) auch der Promotion als höchstem Bildungsabschluss geführt, diese Öffnung hatte und hat aber keinerlei Auswirkungen auf die Besetzung von hohen Führungspositionen in der Wirtschaft. Statt einer sozialen Öffnung ist hier sogar eine weitere Schließung zu beobachten. Einzig beim Promotionsjahrgang 1965 ist eine leicht gegenläufige Tendenz zu erkennen. Sie ist aber nicht auf Veränderungen des Bildungssystems zurückzuführen, die ja erst deutlich später eintraten, sondern ausschließlich auf Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Die politische Wende in Bonn (Regierungsbeteiligung der SPD) und die günstige wirtschaftliche Lage boten dem Nachwuchs aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten in diesem Jahrgang außergewöhnlich günstige Karrierebedingungen. VI. Promotion, Habitus und die Besetzung von hohen Führungspositionen in der Wirtschaft Der Erwerb von hohen Bildungstiteln bewirkt zwar eine soziale Vorauswahl unter den Bewerbern für Führungspositionen, die endgültige Selektion wird aber von Faktoren bestimmt, die unmittelbar mit der sozialen Herkunft der Kandidaten zusammenhängen. Die Dominanz des Nachwuchses aus dem gehobenen und Großbürgertum in den oberen Führungsetagen der deutschen Wirtschaft ist dementsprechend nicht nur ein Resultat der ungleich verteilten Bildungschancen, sondern zu einem großen Prozentsatz auch direkte Konsequenz der sozialen Herkunft. Das ist das entscheidende Ergebnis 32 Auch die anderen, in diesem Modell berücksichtigten, strukturellen Variablen verändern sich nicht wesentlich. Wieder finden sich für den Abschlussjahrgang 1975 schlechtere und für Absolventen der Wirtschaftswissenschaften deutlich bessere Karrierechancen. Auch der Geschlechtereffekt wird in diesem Modell bestätigt. 33 Beim Jahrgang 1985 sind die Prozentsätze für das Großbürgertum aufgrund der geringen absoluten Zahlen von nur fünf Personen allerdings mit äußerster Vorsicht zu interpretieren. Für eine sinnvolle Aussage sind sie vermutlich sogar untauglich. 458 Michael Hartmann und Johannes Kopp des hier vorgestellten Forschungsprojekts über die promovierten Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler. Obwohl das Resultat ganz eindeutig ist – bei gleich hohem Bildungsabschluss und unter Berücksichtigung anderer wichtiger Variablen, wie etwa der Studiendauer oder von Auslandsaufenthalten, sind die Karrierechancen der Kinder aus dem gehobenen oder Großbürgertum nicht nur um durchschnittlich 50 bis 100 Prozent besser, ihr Vorsprung vergrößert sich im Laufe der Jahrzehnte auch noch –, stellt sich abschließend dennoch die Frage, welchen herkunftsbedingten Faktoren die Kinder aus den „besseren Kreisen“ ihre Erfolge nun genau zu verdanken haben. Unter Rückgriff auf die Ergebnisse vorangegangener Forschungen über die deutsche Wirtschaftselite (Hartmann 1995, 1996, 1997a, 1997b, 2000a, 2000c, 2001a) lassen sich dazu in aller Kürze folgende Aussagen treffen. Der Nachwuchs des gehobenen und noch stärker des Großbürgertums profitiert im Wesentlichen von bestimmten, vom Aufwachsen in diesen sozialen Milieus abhängigen Persönlichkeitsmerkmalen, die durch den leichteren Zugang zu relevanten Informationen auf Grund der familiären Verbindungen nur noch ergänzt werden.34 Ausschlaggebend sind dabei die intime Kenntnis der in diesen Kreisen geltenden Dress- und Benimm-Codes, eine breite Allgemeinbildung, unternehmerisches Denken und vor allem Souveränität in Auftreten und Verhalten. Diese Merkmale dominieren die Auswahlkriterien, anhand derer die für die Besetzung von hohen Führungspositionen zuständigen Personen (Aufsichtsratsmitglieder, Vorstandskollegen, Mehrheitsaktionäre, Eigentümer) letztlich ihre Wahl unter den zur Verfügung stehenden Kandidaten treffen. Da sie in einem kaum kalkulierbaren Umfeld Entscheidungen von oft großer Tragweite treffen müssen, suchen sie nach Menschen, auf die sie sich verlassen können, deren Verhaltensmuster und Einstellungen den eigenen ähneln. Das steckt im Kern hinter dem in Interviews mit Spitzenmanagern und führenden Personalberatern immer wieder geäußerten Satz: „Die Chemie muss stimmen“. Ein Topmanager charakterisierte diesen Sachverhalt bei einem Interview im Rahmen eines früheren Forschungsprojekts kurz und knapp mit den Worten: „Die Gespräche mit dem Vorstand laufen doch so, dass der nicht viel mehr macht als herauszufinden, ob man miteinander kann, und wenn jemand ähnliche Interessen hat wie jemand vom Vorstand, dann der Großteil des Gesprächs nur noch darum kreist.“ Der Münchener Psychologieprofessor Dieter Frey spricht genau dasselbe Phänomen an, wenn er in einem Gespräch mit der Wirtschaftswoche sagt: „Bei gleicher Leistung wirkt sich Ähnlichkeit als Plus, Unähnlichkeit hingegen als Minus aus“.35 Angesichts der Unsicherheit und Komplexität der Entscheidungssituationen wird unter 34 Andere Faktoren sind von geringer Bedeutung. So beeinflusst die Mitgliedschaft in studentischen Verbindungen oder bei den Rotariern Karrieren in der Wirtschaft kaum, wie frühere Studien gezeigt haben (Hartmann 1996: 55ff.). Eine unmittelbare Vererbung von Unternehmen spielt sicherlich eine größere Rolle. Ihr Umfang ließ sich im Rahmen des Projekts angesichts des langen Zeitraums und der vielfach komplizierten und nicht immer öffentlich zugänglichen Eigentumsverhältnisse bei den Unternehmen aber nicht ermitteln. Der von 8,6 Prozent für den Jahrgang 1955 auf nur noch 4,1 Prozent für die Jahrgänge 1975 und 1985 deutlich gesunkene Prozentsatz von Unternehmerkindern unter den Promovierten, die es in eine Führungsposition geschafft haben, ist jedoch ein deutliches Indiz für das relativ geringe Gewicht dieses Faktors. 35 Wirtschaftswoche Nr. 9 vom 22.2.2001, 127. Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 459 mehreren Kandidaten in der Regel derjenige vorgezogen, dem man am ehesten Vertrauen schenken zu können glaubt. Vertrauen soll helfen, die hohe Komplexität der Entscheidungen zu reduzieren (Luhmann 1973: 26ff., 74f.), auch die bei der Entscheidung über den „richtigen Mann“ für eine vakante Führungsposition. Die sicherste Grundlage für ähnliche Verhaltens- und Beurteilungsmuster bietet nun aber eine vergleichbare soziale Herkunft. Ausschlaggebend bei der Auswahl ist vor allem die Souveränität des Bewerbers, die Selbstverständlichkeit, mit der er sich in den Chefetagen eines großen Unternehmens bewegt. Sie macht den entscheidenden Unterschied aus zwischen denen, die qua Geburt dazugehören, und denen, die nur dazugehören wollen. Letztere versuchen zwar, sich den Habitus der „besseren Kreise“ anzueignen, aber gerade die Offensichtlichkeit ihres Bemühens diskreditiert ihr Verhalten. Man muss die für Spitzenpositionen wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale besitzen, ohne dass der Prozess ihres Erwerbs erkennbar wird. Das ist der Punkt, auf den es ankommt.36 Die „feinen Unterschiede“, die hinsichtlich der für die Auswahl von Topmanagern ausschlaggebenden Eigenschaften zwischen dem Nachwuchs des gehobenen und Großbürgertums und dem der anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft bestehen, beruhen darauf, dass man sich jene Selbstverständlichkeit, die nur die in der Kindheit und Jugend im Rahmen der familiären Sozialisation unmerklich vor sich gehende Vermittlung von Verhaltensweisen und Einstellungen mit sich bringt, später nicht mehr aneignen kann. Nur diese Form der Aneignung aber garantiert, dass sie zum einen überall und jederzeit funktionieren, „wie eine Art soziales Gespür, das ermöglicht, sich in schwierigen Situationen zurechtzufinden, in denen die normalen Orientierungsmittel fehlen“ (Bourdieu 1982: 568), dass man zum anderen ein sicheres Gefühl dafür besitzt, wann und wie man gegen die herrschenden Regeln verstoßen kann und damit nicht negativ auffällt, sondern im Gegenteil durch den souveränen Umgang mit eben diesen Regeln sogar Pluspunkte sammelt. Ergänzt wird all das durch die Vermittlung des in der Familie angesammelten Wissens über karriererelevante Faktoren. Es findet zwar nur in seltenen Fällen eine direkte Protegierung einzelner Kandidaten auf Grund ihrer familiären Beziehungen statt, obwohl dieses als „Vitamin B“ berühmt berüchtigte Mittel hin und wieder auch zum Einsatz kommt, in der Regel geht es hier aber „nur“ um die Weitergabe von Informationen über freiwerdende Positionen und die für ihre Besetzung wichtigen Faktoren und Einflüsse im jeweiligen Unternehmen. Der Vorsprung, den der „richtige“ Habitus dem Nachwuchs des gehobenen und Großbürgertums verschafft, wird dadurch noch weiter ausgebaut. Zusammenfassend lässt sich daher folgendes Resümee ziehen: Wer aus der Arbeiterklasse oder den breiten Mittelschichten stammt und damit nicht über den Habitus der „besseren Kreise“ verfügt, kann dieses Manko in der Regel nicht wettmachen. Er wird zumeist nur zweiter Sieger sein, sei er nun promoviert oder nicht. 36 Max Horkheimer, dessen Vater als Eigentümer mehrerer Textilfabriken und Inhaber des begehrten Titels eines Kommerzienrates selbst zum Großbürgertum gehörte und der deshalb mit den Gepflogenheiten dieser Klasse bestens vertraut war, drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: „Die Freiheit, Selbstverständlichkeit, ,Natürlichkeit‘, die einen Menschen in gehobenem Kreis sympathisch machen, sind eine Wirkung des Selbstbewußtseins; gewöhnlich hat sie nur der, welcher immer schon dabei war und gewiss sein kann, dabei zu bleiben. Die Großbourgeoisie erkennt die Menschen, mit denen sie gern umgeht, die ,netten‘ Menschen an jedem Wort“ (Horkheimer 1934: 23). 460 Michael Hartmann und Johannes Kopp Dieses Fazit beinhaltet eine deutliche Kritik sowohl an der Position Luhmanns, der auf Grund der funktionalen Differenzierung der Einzelsysteme vom „Zerfall einer Standardtypik von Karriere, die in erheblichem Maße noch durch Herkunft bestimmt war“ (Luhmann 1997: 773), ausgeht, als auch an zentralen Elementen des Individualisierungstheorems von Ulrich Beck. Wenn Luhmann davon spricht, dass trotz auch weiterhin existierender sozialer Unterschiede die „Vorteilskonglomerate funktionsspezifischer Art“, also Bündelungen von Geld, Macht, Bildung etc., „auch in den Familien kaum noch transferierbar“ (Luhmann 1997: 768) seien und dies mit der Nichtübertragbarkeit von Ungleichheiten von einem System (etwa dem Erziehungssystem) in ein anderes (etwa das Wirtschaftssystem) begründet,37 dann verfehlt er die Realität. Die Feststellungen Luhmanns kontrastieren ganz eindeutig mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung. Von einer Nichttransferierbarkeit von „Vorteilskonglomeraten“ kann bei den vier Promoviertenkohorten überhaupt keine Rede sein. Der Nachwuchs aus dem gehobenen und (sogar noch stärker) dem Großbürgertum kann die ihm qua Herkunft gebotenen Privilegien in puncto Geld, Einfluss und Bildung nicht nur dazu nutzen, in einem weit überproportionalen Maß den Doktortitel zu erwerben, er profitiert bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft gegenüber der Konkurrenz aus den anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft auch noch direkt von seinem familiären „Erbe“. Im klassenspezifischen Habitus kulminieren all jene Sozialisationselemente, die ihm den entscheidenden Vorsprung verschaffen. Die Karrieren werden, anders als Luhmann meint, also durchaus noch in erheblichem Maße von der Herkunft bestimmt. Diese Feststellung ist ebenso unvereinbar mit der für das Individualisierungstheorem zentralen Denkfigur der „Wahlbiographie“ oder „Bastelbiographie“ (Beck und Beck-Gernsheim 1993; Beck-Gernsheim 1997). Letztere beinhaltet entgegen vielen Missinterpretationen zwar keineswegs eine wirklich freie Wahl des eigenen Lebenswegs, die weiterhin bestehenden gesellschaftlichen Standardisierungen und Normierungen von Lebensläufen (Beck und Sopp reden hier von „Trampelpfaden“, auf denen sich die Individuen „eher in einer Volkswanderung bewegen“) werden von Beck und anderen Vertretern dieses Theorems aber in erster Linie auf die Einwirkungen des Arbeitsmarkts und des Wohlfahrtsstaats zurückgeführt (Beck und Sopp 1997: 11f.). Die soziale Herkunft als Charakteristikum früherer Gesellschaftstypen spielt in ihren Überlegungen dagegen keine nennenswerte Rolle mehr. Damit verfehlen Beck und BeckGernsheim (wie auch die anderen Vertreter der Individualisierungstheorie) den Kern der Sache. Mit ihrer These, dass sich die „handlungsleitenden ,Mesosicherheiten‘ sozialer Milieus“ auflösten (Beck und Beck-Gernsheim 1993: 179), die Menschen also zur In- 37 Luhmann leugnet damit nicht die Existenz sozialer Ungleichheit. Ungleichheiten in den Einzelsystemen produzierten zweifelsohne auch „krasse Unterschiede der Lebenschancen“, obwohl die Differenzierungsform der Gesellschaft nicht mehr darauf angewiesen sei. Warum es dennoch geschehe, beantwortet Luhmann allerdings nur außerordentlich knapp und wenig überzeugend mit dem Hinweis, dass diese Unterschiede „offenbar ein Nebenprodukt des rationalen Operierens der einzelnen Funktionssysteme ..., und vor allem: des Wirtschaftssystems und des Erziehungssystems“ seien, die kleinste Differenzen zum Zwecke der Abweichungsverstärkung nutzten, „auch wenn dieser Effekt keinerlei soziale Funktion hätte“ (Luhmann 1997: 774). Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 461 dividualisierung verdammt seien, verkennen sie die weiterhin große Bedeutung herkunftsabhängiger Lebensmuster. Der Sohn eines Staatsanwalts, eines Arztes, eines Geschäftsführers oder eines mittelständischen Unternehmers trifft die Entscheidung, ob er studiert, was er studiert und welchen Beruf er danach ergreift, nicht nur durchweg auf dem Hintergrund der ausgesprochen oder unausgesprochen an ihn herangetragenen familiären Erwartungen, er vollzieht all seine Schritte auch auf dem Fundament, das ihm das Aufwachsen in solchen Familien verschafft. So kann er sich beispielsweise Risiken leisten, vor denen diejenigen, die aus weniger begüterten Verhältnissen stammen, zurückschrecken, weil er um das Sicherheitsnetz weiß, das die Familie für den Notfall bereithält. Der Jungunternehmer, der bei einer eventuellen Pleite auf die familiären Ressourcen zurückgreifen kann, wird sich im Geschäftsleben zumeist ruhiger und zugleich risikobereiter bewegen als der, dessen gesamte Existenz auf dem Spiele steht. Es sind jedoch nicht nur die materiellen Mittel, die dieses Fundament ausmachen. Es ist vor allem der Habitus, der aus dem Aufwachsen in solchen Milieus resultiert. Man bewegt sich in den oberen Etagen einfach „trittsicherer“, weil man das Gelände seit Kindesbeinen kennt. Dieser Sicherheit entspricht auf Seiten des Nachwuchses aus den breiten Bevölkerungsschichten jene „Parkettunsicherheit“, die der Unkenntnis und fehlenden Vertrautheit mit den Gegebenheiten entspringt. Handlungsleitend sind die Herkunftsmilieus im einen wie im anderen Fall, einmal im positiven Sinne, einmal im negativen. Von „Wahlbiographien“ im Beckschen Sinne kann daher ebenso wenig die Rede sein wie von der Nichtübertragbarkeit von Ungleichheiten in funktional differenzierten Gesellschaften, wie sie Luhmann konstatiert. Anhang Tabelle A1: Die soziale Herkunft der Promovierten (Angaben in Spaltenprozenten) Jahrgang 1955 1965 1975 1985 Arbeiter Bauern untere Angestellte und Beamte mittlere und gehobene Angestellte und Beamte kleine Selbständige Kaufleute freiberufliche Akademiker Offiziere und Großgrundbesitzer höhere Beamte leitende Angestellte größere Unternehmer 2,5 2,3 5,9 21,3 6,5 13,4 8,8 2,5 15,7 14,3 6,7 3,7 2,3 7,8 18,4 6,0 10,6 9,7 3,0 14,8 21,0 2,8 5,7 2,4 8,0 17,1 5,7 10,8 10,8 4,1 13,1 19,8 2,3 10,2 3,4 9,1 14,3 8,9 8,6 10,2 1,0 10,2 21,9 2,4 n 1220 1315 1028 617 462 Michael Hartmann und Johannes Kopp Tabelle A2: Übersicht über die verschiedenen Modelle bei der Erreichung einer wirtschaftlichen Führungsposition in einem Spitzenunternehmen (jeweils α-Effekte) Einflussgrößen Modell A4 Modell A5 Modell A6 Abschlussjahrgang 1955 1965 1975 Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 0,85 0,87 0,67 0,73 0,87 0,46 Fachrichtung Ingenieurwissenschaften Rechtswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 1,14 0,82 1,12 1,51 1,00 1,50 Geschlecht männlich weiblich Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 0,13 0,12 0,13 Interaktionseffekt soziale Herkunft und Abschlussjahrgang gehobenes Bürgertum und 1965 gehobenes Bürgertum und 1975 Großbürgertum und 1965 Großbürgertum und 1975 1,35 1,73 1,40 2,36 Studiendauer Regelstudienzeit ein bis zwei Semester über der RSZ mehr als zwei Semester über der RSZ Referenzgruppe 0,81 0,74 Auslandsaufenthalt während des Studiums nein ja Referenzgruppe 1,68 Alter bei der Promotion (in Jahren) Berufstätigkeit vor der Promotion nein ja soziale Herkunft Arbeiterklasse/Mittelschichten gehobenes Bürgertum Großbürgertum n = 3.563; Zahl der Ereignisse: 139. 0,91 Referenzgruppe 1,70 Referenzgruppe Referenzgruppe Referenzgruppe 1,82 1,70 1,48 2,76 2,46 2,13 Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? 463 Literatur Baumert, Jürgen, 1991: Langfristige Auswirkungen der Bildungsexpansion, Unterrichtswissenschaft 19: 333–349. 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